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Hoffnung auf ein Wiedersehen

von

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Lucy stand auf einem der Balkone des Schlosses Feeneden und blickte hinunter auf den Strand und das Meer. Erst vor einer halben Stunde hatte die Sonne damit begonnen ihre Strahlen auf Narnia zu werfen. Es war früher Morgen. Noch nicht mal die Möwen zogen ihre Kreise am Himmel.
 

Das kleine Mädchen seufzte leise. Seit drei Monaten war sie nun schon Königin. Sicher, es gefiel ihr, aber so richtig daran gewöhnt hatte sie sich noch nicht. Die große Verantwortung machte ihr Angst, auch wenn sie sie nicht alleine tragen musste. Vielleicht wäre es einfacher, wenn Aslan bei ihnen wäre.
 

Aslan …
 

Schon lange hatte die Gischt seine Pfotenabdrücke im Sand weggewischt, doch manchmal kam es Lucy so vor, als könnte sie sie immer noch sehen. Er würde zurückkommen. Irgendwann.

Wann war ‚irgendwann‘? In einem Jahr? In Zehn Jahren? In fünf Monaten? Oder schon morgen?
 

Ärgerlich rieb das Mädchen sich die aufkommenden Tränen aus den Augen. Sie sollte sich lieber auf seine Rückkehr freuen, anstatt traurig zu sein! Doch es ging einfach nicht. Sie vermisste ihn! In Momenten, in denen sie ganz allein war, so wie jetzt, da fehlte er ihr immer so sehr, dass sie den ganzen Schmerz am liebsten in die Welt hinausgeschrien hätte.
 

Plötzlich kam Lucy eine Idee: Sie könnte doch zu seinem Zelt gehen. Genau! Das Lager, welches das Heer damals in der Nähe des steinernen Tisches aufgeschlagen hatte, war zwar inzwischen wieder abgebaut, doch Aslans Zelt hatte man, auf Befehl von König Peter, stehen lassen. Wenn sie zu Fuß ging, würde sie bestimmt den ganzen Tag brauchen, aber das fand sie gar nicht so schlimm. Hauptsache dieser Ort schaffte es ihr etwas Trost zu spenden! Sie hinterließ ihren Geschwistern noch schnell eine Nachricht und machte sich dann auf den Weg.
 

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Lucy hatte den Strand hinter sich gelassen und lief nun über weiches Gras.

Inzwischen waren auch die Vögel aufgewacht, ebenso die Bäume. Der Himmel war strahlend blau und die Luft erwärmte sich allmählich. Es würde ein schöner Tag werden, dessen war Lucy sich sicher.
 

Auf einmal bemerkte sie bei einem der Kirschbäume eine Gestalt: Sie war groß, trug Sandalen aus Leder und ein einfaches, bis zu den Knöcheln reichendes, beiges Leinengewand. An dem Gürtel um ihre Taille befand sich ein dunkelbrauner Beutel, vermutlich aus demselben Material wie die Schuhe. Kastanienbraunes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Ob es ein Mann oder eine Frau war konnte Lucy nicht sagen, denn die Person stand mit dem Rücken zu ihr.

Neugierig geworden ging das Mädchen auf sie zu: „Hallo!“ Nun, da sie sich ihr zuwandte, konnte Lucy an dem Bart erkennen, dass es sich um einen Mann handelte. Er hatte schöne hellbraune Augen mit einem leichten Goldstich, die sofort von jeder Menge Lachfältchen eingerahmt wurden. „Hallo!“, grüßte er zurück. Erst danach bemerkte er das feinsilbrige Diadem, welches in Lucys Haar steckte. Erschrocken fiel er auf die Knie: „Verzeiht, meine Königin, dass ich Euch nicht gleich …“ „Lass das bitte!“, sie zog eine Grimasse. Dies war einer der Gründe, wieso sie das Königinsein nicht mochte: Man konnte mit keinem Lebewesen mehr normal Freundschaft schließen, weil sich alles dazu verpflichtet fühlte sich einem zu unterwerfen. „Nenn mich einfach Lucy! Und wer bist du?“ „Ich heiße Jeschi!“, er richtete sich wieder auf, „Entschuldige bitte meine Neugierde, aber … wo willst du denn jetzt so früh am Morgen hin?“ „Oh, das ist kein Geheimnis: Ich will zu Aslans Zelt, in der Nähe des steinernen Tisches!“ Jeschi legte fragend den Kopf ein wenig schief: „Aslan? Wer ist Aslan?“ Lucy schaute ihn einige Sekunden sprachlos an. „Du kennst Aslan nicht?“, hauchte sie schließlich fassungslos. Der Mann vor ihr hob entschuldigend die Hände: „Tut mir Leid! Ich bin erst seit kurzem in Narnia!“

„Aslan ist der wahre Herrscher über Narnia. Er hat meinem Bruder das Leben gerettet und die weiße Hexe besiegt!“, freudig fing sie an zu erzählen, „Er war tot und ist dann aber wieder lebendig geworden, oh …“, sie stoppte kurz und fügte dann noch hinzu, „und er ist ein Löwe!“ Jeschi lachte leise: „Das hört sich ja nach einer richtig spannenden Geschichte an!“ „Wieso kommst du nicht einfach mit mir?“, das Mädchen nahm in bei der Hand und hüpfte ungeduldig auf der Stelle, „Dann kann ich sie dir ganz erzählen!“ Der Mann neigte gütig lächelnd den Kopf ein wenig zur Seite, so dass eine seiner Haarsträhnen in der Sonne glänzten: „Ja! Sehr gern!“
 

„Eine Zeit lang hat hier in Narnia mal die weiße Hexe regiert! Wegen ihr war immer Winter. Ich und meine Geschwister, wir sollten gegen sie kämpfen. Edmund, mein Bruder, hat uns an sie verraten. Und dann kam Aslan! Kaum war er da, wurde es plötzlich wieder Frühling. Er hat Edmund gerettet und dann ist er sogar für ihn auf dem steinernen Tisch gestorben. Ich und meine Schwester haben gesehen wie die weiße Hexe ihn getötet hat. Aber dann ist Aslan wieder lebendig geworden! Du hättest dabei sein müssen. Es war wie ein Wunder! Und dann hat er die weiße Hexe getötet und der Krieg war vorbei!“ Sie kamen an ein paar große, moosbewachsene Felsen auf denen zwei junge Faune herum kletterten. Nachdenklich sah Jeschi ihnen zu. „Und wo ist Aslan jetzt?“, fragte er schließlich, ohne den Blick abzuwenden.

„Ich weiß nicht!“, sagte Lucy. Sofort kehrte ein Teil der alten Schwermut zurück. „Er ist gegangen. Einfach so, ohne sich zu verabschieden. … Aber er kommt zurück. Ich weiß es!“, fast schon trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Aber du vermisst ihn trotzdem, nicht wahr?“, mit einer einzigen leichten Berührung seiner Fingerspitzen an Lucys Schulter, forderte er sie auf, weiterzugehen. Auf seine Frage hin konnte das Mädchen nur nicken. „Jetzt verstehe ich, wieso du zu seinem Zelt willst!“, das Licht der Sonne ließ die Iris seines linken Auges golden leuchten, „Bist du ihm böse?“ „Nein!“, die Kleine lächelte wieder, „Aslan kann man nicht böse sein!“

Jeschi beschleunigte seinen Schritt: „ Erzähl mir mehr über ihn! Wie ist er sonst noch so?“ Lachend rannte Lucy ihm mit ausgebreiteten Armen hinterher: „Er ist wundervoll! Freundlich, hilfsbereit, aber auch mächtig und stark, eben wie ein König und weise … und ich hab ihn sehr lieb!“, plötzlich ließ sie die Arme wieder sinken und meinte dann traurig: „Nur leider hab ich ihm das noch nie gesagt …“ Ihr Begleiter beruhigte sie: „Keine Sorge! So wie du ihn mir eben beschrieben hast, … weiß er das bestimmt schon!“
 

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Immer näher kamen sie ihrem Ziel. Bald würden sie am steinernen Tisch ankommen. Ihr Weg hatte sie nun schon seit ein paar Stunden an einem klaren Gebirgsbach entlanggeführt. An dessen Quelle blieb Jeschi plötzlich stehen. „Hast du nicht Hunger?“, fragte er unvermittelt. Lucy stutzte und legte sich die Hand auf den Bauch: „Stimmt, du hast Recht. Und Durst auch!“ „Dann lass uns hier eine kurze Pause machen, in Ordnung?“
 

Sie wollte sich gerade zu der Quelle beugen, um zu trinken, da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. „Lass mich das machen! Sonst wirst du noch nass!“, der Mann ließ das kühle Nass in seine hohlen Hände fließen und hielt diese dann Lucy an die Lippen. Sie legte die Finger um Jeschis Handgelenke und trank das Wasser. Danach setzten sie sich auf die Steine, welche das Ufer umsäumten. Jeschi löste den Beutel von seinem Gürtel und holte eine runde Scheibe Fladenbrot heraus. „Tut mir Leid, dass ich dir nichts anderes bieten kann!“, entschuldigte er sich, als er es in zwei Hälften teilte, „Ich weiß, das ist nicht gerade das angemessenste Mahl für eine Königin!“ „Ach, das macht nichts!“, lächelte sie ihm noch einmal zu, ehe sie anfing zu essen.
 

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Die Sonne begann so langsam unterzugehen, als sie wieder aufbrachen. „Komm mit!“, Lucy lief ihm voraus durch den Wald, „Es ist gar nicht mehr weit! Ich will dir unbedingt den Platz zeigen, an dem Aslan auferstanden ist!“

Es war wirklich nur noch ein kurzes Stück Weg, dann konnten sie das große Felsentor schon sehen. Jetzt gingen sie direkt auf den steinernen Tisch zu. Das Mädchen nahm Jeschis Hand. „Hier standen sie alle und habe ihn verhöhnt!“, flüsterte sie leise, „Sie haben ihm seine Mähne abgeschnitten und ihn gefesselt!“ Der Mann sagte kein Wort, erwiderte nur den Druck und gemeinsam stiegen sie die letzten Stufen empor. „Und hier hat die weiße Hexe ihn getötet!“, Lucy legte ihre Hände auf den Stein, „Mit einem Dolch!“

Langsam ging sie auf das Felsentor zu, doch diesmal folgte Jeschi ihr nicht sofort. Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte er auf den Boden, bückte sich schließlich und hob eines der Seile auf. Nachdenklich zerrieb er das spröde Material zwischen seinen Fingern und ließ den Staub zur Erde rieseln. Erst die Stimme des Mädchens holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück: „Susan und ich wollten gerade gehen, da haben wir einen lauten Knall gehört. Der steinerne Tisch war zerbrochen und Aslan weg. Und hier stand er dann!“, sie breitete die Arme aus, „Im Licht der Morgensonne. Es war unglaublich!“

Jeschi stellte sich zu ihr unter das Tor und zog sie leicht an sich. Nun gab es nichts mehr zu erzählen. Nur noch schweigen konnte man und dabei zusehen, wie sich die Sonnenscheibe hinter den Horizont schob.
 

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Schemenhaft konnten sie das Zelt auf der weiten Fläche erkennen. „Ich nehme an, du möchtest jetzt allein sein!“, Jeschis Stimme klang ein wenig rau. Er wandte sich zum Gehen. Lucy zögerte. Wollte sie das wirklich? Bei dem Gedanken, nun allein zu sein, wo sie sich inzwischen so an die Gegenwart dieses Mannes gewöhnt hatte, bekam sie plötzlich Angst. „Nein!“, Lucy hängte sich schon fast an Jeschis Arm, sah flehend zu ihm auf, „Bleib da! Bitte!“ Er lächelte. Hier im Mondlicht waren seine Augen ganz dunkel. „Alles was Ihr wollt, meine Königin!“
 

Lucy schob den schweren Stoff zur Seite und blieb dann so urplötzlich stehen, dass Jeschi beinahe über sie gestolpert wäre. Als er einen Blick in das Innere warf, begriff er, was sie erschreckte: Sämtliche Kissen waren zerfetzt. In einer Ecke stapelte sich rohes Fleisch und abgenagte Knochen lagen überall auf dem Boden verstreut. Inmitten dieses ganzen Chaos saßen fünf Kobolde und amüsierten sich bei einer Art Würfelspiel.
 

„Hey, was soll das?“, zornig trat die junge Königin auf sie zu, „Das ist Aslans Zelt! Ihr wisst, dass ihr hier nicht sein dürft. Verschwindet!“ „Aslans Zelt. Aslans Zelt!“, lachten die dunkelgrünen Kreaturen kreischend, „Aber Aslan ist doch gar nicht hier! Wieso sollen wir dann hier raus? Wir gehen hier nicht raus!“
 

„Ihr WAGT es, euch zu widersetzten? Tut gefälligst, was eure Königin euch befiehlt!“
 

Lucy wirbelte herum, auch die Kobolde verstummten. Streng blickte Jeschi auf sie herab. Mächtig. Erhaben. Dass fünf kleine Gestalten an ihr vorbei ins Freie huschten, bekam Lucy gar nicht mehr mit. Sie konnte nur noch den Mann vor sich ungläubig anstarren. Das war nämlich eindeutig Aslans Stimme gewesen, die da aus seinem Mund gekommen war. Ein Knurren war auch noch herauszuhören gewesen. Und Jeschis Augen: Löwenaugen! Wieso fiel ihr das erst jetzt auf? „Aslan?“, fragte sie leise.
 

Als hätte sie ein Zauberwort ausgesprochen, fing der Mann plötzlich an zu leuchten. So heftig, dass die Kleine zurückstolperte und hinfiel. Sie musste die Augen mit der Hand abschirmen, hielt sie aber dennoch so gut es ging offen. Und so konnte sie undeutlich zumindest Umrisse erkennen: Der Menschenkopf zog sich in die Länge, der Oberkörper senkte sich fast automatisch auf den Boden und die Hände wurden zu großen Tatzen. Nachdem das Licht wieder abgeebbt war, stand tatsächlich der Löwe Aslan vor ihr. In all seiner Pracht!
 

„Du warst es …“, hauchte Lucy fassungslos, doch dann sprang sie auf und drückte ihr Gesicht in seine Mähne, „Du warst es die ganze Zeit über!“ Aslan schloss lächelnd die Augen. Schnurrte leise.

„Aber warum hast du dich mir denn nicht von Anfang an gezeigt?“, sie hatte ihn wieder losgelassen und sah ihn nun strahlend an. „Es ist nicht immer von Nöten alle meine Beweggründe zu verstehen, Lucy Pevensie!“, meinte der Löwe nur. „Na komm, steig auf! Ich bring dich zurück nach Feeneden!“
 

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Je näher sie dem Schloss kamen, umso langsamer wurde Aslan, bis er schließlich nur noch dahin schritt. Jetzt konnte Lucy sich mit ihrem Oberkörper nach vorne legen und unter dem gleichmäßigen Schaukeln seiner Bewegungen ein wenig vor sich hin dösen. Die Reise war doch anstrengender gewesen, als sie gedacht hatte.
 

„Lucy?“, Aslan drehte ein wenig den Kopf, als sie bei den Marmorstufen angekommen waren, „Schläfst du?“ Er konnte spüren, wie sie den Kopf schüttelte. „Wieso steigst du dann nicht ab?“ „Weil ich weiß, dass du wieder weggehst, wenn ich dich jetzt loslasse!“ Er senkte den Kopf. „War das eigentlich wahr, was du da vorhin gesagt hast?“, fragte er leise. „Was?“ „Dass du mich liebst!“ „Natürlich!“, ruckartig setzte sie sich auf. „Dann steig jetzt bitte ab und mach es mir nicht unnötig schwerer!“, bat er. Lucys Unterlippe zitterte zwar, aber sie rutschte gehorsam von seinem Rücken. Der Löwe kam ihr mit seinem Gesicht immer näher, neigte schließlich den Kopf ein wenig zur Seite und leckte ihr mit seiner weichen Zunge eine Träne von der Wange. „Nicht weinen, meine Kleine! Ich komme wieder! Und außerdem …“, er lächelte geheimnisvoll, „bin ich ja nie wirklich weg! Vielleicht kannst du im Grollen des Donners meine Stimme hören oder der warme Sommerwind wird zu meinem Atem auf deiner Haut, wer weiß? Du musst nur mit allen Sinnen aufmerksam genug leben!“ „Mach ich!“, Lucy umarmte ihn noch einmal. „Geh jetzt!“, Aslan schob sie mit seiner Nase auf den Eingang zu, „Und sieh dich nicht um!“
 

Lucy nickte und wandte sich dann von ihm ab. Trat durch das Tor des gewaltigen Schlosses. Er würde wiederkommen! Irgendwann. Und sie würde warten. Auch wenn es mehr als zehn Jahre dauern sollte!
 

**~**~**~** Ende **~**~**~**
 

(In Walter Wangerins Roman „Jesus“, wird Jesus von seiner Mutter immer Jeschi genannt)



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