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Entlang des Sternenpfades

von

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1. Kapitel

„Ist dir dein tapferes Mannesherz etwa schon vor dem großen Ende in die Kniekehlen gerutscht?“

Von der barschen Stimme aus ihrer Lethargie gerissen, hob Adelheid missmutig den Kopf und stemmte eine Hand gegen ihren Steiß. Sofort wurde ihr der Zügel zur Hälfte aus der Hand gerissen und eine brennende Spur blieb zwischen ihren Fingern zurück.

Pärk – einst Listenleiter und Buchbeschützer, nunmehr gemeiner Stallknecht – nutzte den plötzlichen Halt um seinen Schecken an Adelheid heranzubringen. Ihr Vater, Michele, wandte den Blick in Richtung der beiden Nachzügler und blieb schließlich an einem Punkt irgendwo zwischen ihren beiden Köpfen kleben. Unpraktischerweise standen seine Augen einfach nicht weit genug auseinander, um sie beide gleichzeitig ansehen zu können.

„Falls sie nicht darauf reinfallen, müssen wir hier sehr schnell verschwinden.“ Er betonte das ‚sehr’ auf eine Art, die Adelheid die Schultern nach oben ziehen ließ. Ihre Nase verschwand unter dem Hemdkragen. Sie war keine geübte Reiterin. Zweifellos bliebe sie dabei auf der Strecke. Der fünftägige Ritt hatte ihre Finger aufgeraut, Blasen auf Handflächen gebildet, die nie etwas Schwereres als einen Milchkrug gehalten hatten, und vom Steiß zog sich bei jedem Schritt ein stechender Schmerz bis in den Nacken. Pärk missdeutete diese Bewegung. Aufmunternd nickte er ihr zu.

„Du frierst?“

„Ja“, erwiderte sie etwas zu hastig, um zu verbergen, dass ihr kleiner Körper nichts als ein einziger Schmerz war – einer, über den die beiden Männer gelacht hätten.

„Du wirst noch viel mehr frieren, sollte sich dieser Wahnsinnstaat als funktionstüchtig erweisen“, gab der Knecht zu bedenken.

„Seit ruhig“, knurrte Michele und trieb sein Pferd mit einem leichten Klaps gegen die Flanken an. Pärk folgte – und widerstrebend auch Adelheid. Sie tauchten in die Finsternis der Bäume ein und über ihren Köpfen schlossen sich die Kronen wie das Dach einer himmelsgroßen, schwarzgrünen Halle. Zwischen den mächtigen Stämmen hing eine feuchte Kälte, die aus dem sumpfigen Boden selbst aufstieg. Mehrmals sah Adelheid wie Tildas Hufe in den schlammigen Moorwiesen einsanken und beim Herausziehen ein ekelhaftes Geräusch mit sich brachten.

„Fernab aller guten Hoffnung sind wir hier“, zischte Pärk in Adelheids Nacken. „Allein ein Kloster in einer solchen Finsternis zu bauen, ist Blasphemie.“

„Nicht ganz so fernab, mein Freund“, murmelte Michele, mehr in seinen Kragen als in Pärks Richtung. „Eine alte Handelsstraße ist nicht weit von hier.“

„Eine Straße?“ Pärk trieb sein Pferd an, um mit Michele auf gleicher Höhe zu bleiben.

„Warum waten wir dann durch diesen klammkalten Sumpf. Ich glaub meine Nase wird abfrieren.“

„Sie kommt vom Haagtal herunter. Zwielichtige Gegend, sage ich. Es entzieht sich meiner Kenntnis, warum dort jemand eine Straße angelegt hat – bestimmt nicht unsretwegen. Händler und Waren haben diesen Weg seit Jahrzehnten nicht mehr genommen.“ Er streckte seinen langen Arm hinter sich und schlug Adelheid fast den Hut vom Kopf. „Aber nach einigen Meilen in Richtung Süden finden wir ein Dorf – Dobralug heißt es.“

„Ein Name, und mir wird mulmig im Buch“, antwortete Pärk. „Von diesem Ort hab ich niemals gehört.“

„Die meisten kennen ihn nicht, und auch in den meisten deiner Bücher ist er nicht verzeichnet“, führte Michele seine Erläuterungen fort. Hinter den beiden Männern war es auffällig still geworden. „Der Name bedeutet ‚Schöne Wiese’. Und über seinen Anfängen schwebt geheimnisvolles Dunkel.“

Pärk rümpfte die Nase, angesichts der Vorstellung diesen Morast mit einer Wiese gleichzusetzen. Plötzlich hielt er inne. „Halt mal. Wo ist Adelheid?“ Suchend starrten die zwei Männer nach allen Seiten. Michele verkniff sich mit großer Mühe einen langen hässlichen Fluch.

„Ganz toll.“ Er riss den Zügel herum und wollte wütend auf dem Absatz kehrt machen, als Pärk ihn am Arm zurückhielt und angespannt den Zeigefinger hob. Mit angehaltenem Atem lauschten sie in die kalte Stille. Nicht weit entfernt antwortete ein Stimmchen.

„Hallo? Papa? Lass das, Tilda!” Die Anspannung fiel mit einem Knall von Adelheids Vater ab und er sackte hörbar in sich zusammen.

„Sie ist also doch noch da.“ Erleichtert folgte er der Stimme und blieb dann ruckartig stehen, als er seine Tochter entdeckte. Adelheid hing über Tildas grauem Hals und zerrte wehleidig an den Zügeln. Die Stute hatte den Kopf mit einer Selbstverständlichkeit in dem feuchten Moos vergraben, der Adelheids schmächtige Ärmchen nichts entgegenzusetzen hatten, und kaute an einem saftigen Blattgewächs. Für einen Moment war Michele hin und her gerissen zwischen lachen und weinen. Geräuschvolles Stapfen hinter ihm verkündete Pärks Ankunft. Der Stallknecht stockte ebenfalls und zog sich dann wieder schnurstracks zurück. Daraufhin folgte nur halbherzig unterdrücktes Gelächter.

„Hilf mir“, stieß Adelheid in Richtung ihres Vaters hervor, der das Ganze mit sardonischem Blick betrachtete.

„Ne, ne. Das kannst du selber.“ Auf Adelheids flehenden Blick hin, seufzte er entnervt.

„So schwer kann das doch nicht sein. Nimm die Zügel kurz – ganz vorne – und zieh ihren Kopf langsam zurück. Ziehen, nicht zerren! … Na bitte, es geht doch.“ Nachdem die kleine Gemeinschaft sich wieder gesammelt hatte, setzten sie ihren Weg nur noch schrittchenweise fort. Die festen Flecken Land wurden rar und rarer, und Pfade gab es auch nicht. Die Mönche mochten die Sümpfe entwässert haben, doch ihr Pragmatismus hatte diesen Teil des Waldes nicht erreicht. Inzwischen bereute Michele es, die angebotene Karte im letzten Wirtshaus ausgeschlagen zu haben. Aber wo das Gedächtnis versagte, gab es vielleicht noch andere Zeichen.

„Der erste von euch, der Gesang oder Geläut hört – nur raus damit!“, wies Michele sie an. „Bald dürften wir die Länderein der Abtei erreichen.“ Ich hoffe, es befindet sich so dicht im Moor überhaupt noch Land unter dem Gras, fügte er im Stillen hinzu. Pärk und Michele hatten Adelheid vorsichtshalber wieder zwischen sich genommen, damit sie nicht noch einmal verschwand. Tilda trottete lustlos hinter Micheles großem, schwarzem Ross. Doch ihrer Reiterin war unbehaglich zumute. Mit jedem Schritt, den die Stute tat, fühlte Adelheid, wie sich eine kalte Furcht schwerer und schwerer auf ihr Herz legte. Ihre Kehle war zugeschnürt, am liebsten wäre sie auf der Stelle umgekehrt. Ihr Herz machte einen Hüpfer und traf klingend ihren Kehlkopf, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte; Pärk war wieder einmal lautlos heran geritten. Er neigte den Kopf so dicht zu ihr herunter, dass sein fauliger Atem in Adelheids Nase drang.

„Wenn wir ankommen, dann hältst du die Schultern ganz gerade und legst einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf“, wisperte er in ihre Ohren.

„Ich fühl mich so unentschlossen, wie nie zuvor“, zischte sie.

„Das darfst du ab jetzt aber nie wieder sein. Schon so müsste ein Wunder geschehen, damit sie dich bei sich aufnehmen.“

„Sagtest du gerade etwas von einem Wunder?“, fragte Michele mit hochgezogenen Augenbrauen. Pärk setzte an etwas darauf zu sagen, doch in diesem Moment lüftete sich das Dach der Zweige und lies einige Sonnenstrahlen wie hellgoldene Kreise auf die Lichtung fallen. Das Gras war hier kurz, der Boden hart. Und an die drei Reisenden heran, drang ein schwebender Klang, genährt von vielen Stimmen, die Pärk nun endgültig die Antwort ersparten.

Erleichtert seufzte er auf. „Das ist wahrlich ein Klang, der den Himmel öffnet. Wir müssen fast am Ziel sein.“

„Die Vesperglocke und das Gebet zur Dämmerstunde“, stimmte Michele zu. „Wir kommen fast pünktlich zum Abendessen.“ Vor ihren Augen tauchten nun mehrere hölzerne Stallgebäude und Scheunen auf, sowie ein aufragender, rötlicher Steinbau – der Kern der Abtei. Seine Höhe wollte den Wipfeln der urigen Wälder nacheifern und streckte sich den wenigen Fleckchen Himmel entgegen, die wuchtigen Mauern jedoch kündeten von tiefer Erdverbundenheit. Adelheid legte den Kopf tief in den Nacken und blickte kurzzeitig an der hohen Mauer empor, bis ein runder Torbogen das Sonnenlicht verschluckte. Das alte Unbehagen erwachte wieder, als sie die Abtei betraten. Mehrere Knechte schwirrten heran, gefolgt von Brüdern in staubigen Kutten. Die Reiter saßen ab und Adelheid schwankte einen Moment beim ersten Kontakt ihrer Stiefel mit dem Boden. Zwischen ihren Beinen breitete sich eine seltsame Leere aus. Prüfend tat sie einige Schritte und verkrampfte sich sofort. Das Stechen setzte wieder ein.

Ich komme also tief gebeugt hierher, dachte sie säuerlich.

Pärk gab einem der Knechte, der die Zügel der Reittiere entgegengenommen hatte, ein abwehrendes Zeichen. „Absatteln ist nicht nötig. Wir gedenken, bald wieder aufzubrechen.“

„Um diese Zeit noch, Herr?“, fragte der Knecht mit verwirrtem Unterton. „Das Sonnenlicht trügt; bald wird es finster. Ihr werdet den Wald nicht vor Einbruch der Dunkelheit verlassen können – “

„– Ich hörte, er sei gar nicht mehr so breit“, unterbrach Michele den jungen Knecht. „Nicht mehr als zwei drei Meilen, und wir sind wieder auf der Straße.“

„Das täuscht“, murmelte der Stallbursche, zog sich aber zurück, als ein weiterer Mann auf die Reisenden zutrat.

Abt Folkmar, dachte Adelheid und ihr Herz machte einen weiteren geräuschvollen Hüpfer. Sie hatte ihn schon einmal gesehen. Dies war ein Mann von Einfluss; ein Würdenträger von großer geistlicher Kraft, der sich kerzengerade hielt wie ein Gardesoldat. Seine dunkle Kutte verbarg seine breiten Schultern und den kräftigen Körperbau. Das schwarze Haar war schon zu einem großen Teil ergraut; die Augen in dem strengen Gesicht waren von einem rötlichen Braun. Das gleiche dunkle Rotbraun, wie in ihren eigenen Augen.

Michele trat vor und grüßte den Abt mit einer angedeuteten Verbeugung, die dieser mit einem knappen Nicken erwiderte.

„Ehrwürdiger Abt, ich bin Michele Faberg von Luckau. Ich sprach Euch nach Eurem Besuch im Zunfthaus vor dreizehn Tagen an.“ Ein Sonnenstrahl fiel auf den dünnen Goldring in Micheles Ohr, das Erkennungszeichnen des Metallgewerbes, das ihn als Meister seiner Zunft auswies.

„Ja, ich erinnere mich gut“, erwiderte der Abt. „Ich habe einen Abstecher in eure Werkstadt gemacht, um den Meister kennen zu lernen, dem ich diese vortrefflichen Sakralgerätschaften verdanke. Danke übrigens, für die Einladung zum Essen.“

„Einmal im Jahr trifft sich die Zunft zu einem gemeinsamen Mahl. Ihr wart nur plötzlich sehr schnell fort“, sagte Michele.

„Nun, ich nehme an, dass Eure Gesellen trinkfester sind, als ich. Und außerdem hatte ich noch eine Unterredung mit dem Vogt zu bewältigen. Und grade für Altmar – diesen durchtriebenen Fuchs – braucht man einen klaren Kopf.“

„Ja, zweifellos.“

„Er ist ordnungsgemäß abgereist.“ Der Abt schien nicht auf weitere Einzelheiten erpicht. Stattdessen blickte er in Adelheids Richtung, die blitzschnell den Kopf senkte.

„Das ist der Junge?“

„Just der“, bekräftigte Michele.

„Tritt nur vor. Lass mich dich anschauen.“ Die Hände an Adelheids Hosenaht wurden kalt und feucht. Sie machte einige zögernde Schritte in Folkmars Richtung und versuchte, auf Pärks Rat fixiert, so gerade wie möglich zu gehen und dabei ihr noch nicht abgeklungenes Humpeln zu verbergen. Es war ein kläglicher Versuch; sie glich eher einem Grashalm im Wind, als einem geraden, jungen Baum. Auf gleicher Höhe mit ihrem Vater blieb sie stehen.

„Hast du vor mir Angst, mein Junge?“

Die Antwort war ein heftiges Kopfschütteln. Adelheid traute ihrer Stimme noch nicht ganz. Dann hör auf die Kieselsteine vor deinen Füßen zu zählen und kuck ihn an, mahnte eine Stimme, die Adelheid sich selbst zuordnen konnte. Sie hob den Kopf und blinzelte den Abt unter ihrer Hutkrempe hervor an. Noch immer nervös, aber ohne Furcht. Auf einen kleinen Schubs von Seiten Micheles trat sie noch zwei Schritte vor.

„Wie alt bist du?“

„Fast zwölf.“ Die Lüge ging ihr glatt von der Zunge, denn bis dahin würde noch ein gutes Jahr ins Land ziehen.

„Zwölf Jahre? Dann bist du ja schon fast mündig. Du bist gesund und hast noch alle Zähne?“ Anstatt einer Antwort, öffnete Adelheid den Mund so weit sie konnte.

„Kannst du die Sprachen unserer Orden lesen und sprechen?“

„Alle vier.“ Adelheids Selbstvertrauen wuchs. Das war für sie sicherer Boden.

Der Abt sah Michele an. Ein quälender Augenblick der Stille verging. „Nun gut, dann sehe ich nichts, was gegen eine Aufnahme spräche, abgesehen von seinem Alter vielleicht. Er ist recht klein, ist er wirklich schon zwölf?“

„Ja, er ist etwas klein, aber das täuscht“, räumte Michele ein.

„Und er hat sich auf einen Weg voller Strenge und Mühsal eingelassen“, fügte der Abt mit gefurchter Stirn hinzu.

„Ich versichere euch, dass Adelphus dieser Aufgabe vollkommen gewachsen ist“, beschwichtigte Michele und legte zur Bekräftigung seiner Worte die Hände auf Adelheids Schultern. Zum ersten Mal hatte er diesen falschen Namen genannt. „Er ist mir in der Werkstatt zur Hand gegangen und kann zupacken, auch wenn sein Aussehen etwas anderes sagt.“

Abt Folkmar schwieg einen weiteren Moment. Dann nickte er. „Er wird ein Probejahr durchstehen müssen. Sollte er es sich noch mal anders überlegen oder unangenehm auffallen, darf er so oder so zurück nach Hause.“

Michele nickte zustimmend. „Ich weiß.“

„Du weißt das auch?“, fragte der Abt, nun an Adelheid gewandt. Die Antwort war ein überzeugtes Nicken.

„Dann lasst uns gemeinsam beten. Und dann verabschiede dich von deinem Vater.“ Offenbar hatte Folkmar Micheles Entschluss, noch vor Anbruch der Nacht weiterzureisen, schon aufgeschnappt. Er faltete die Hände, neigte das Haupt, und Vater und ‚Sohn’ taten ein Gleiches.

„Herr, wir bitten dich für diesen jungen Mann Adelphus Faberg: Schenk ihm Kraft, gib ihm Mut, …“

… auf dass er, was ich ihm zutraue, klug gedacht und weise tut, beendete Michele das Gebet im Gedanken. Adelheid brachte gar kein Wort hervor. Sie stimmte lediglich in das ‚Amen’ mit ein. Gemeinsam schlenderten sie zurück zu Pärk, der den Stallknecht, samt Pferden, nicht aus den Augen gelassen hatte. Der Junge hatte die Tiere schließlich doch nicht abgesattelt, sondern ihnen lediglich einen Hafersack umgehängt und sie mit frischem Wasser getränkt. Pärk lächelte, als er die drei zurückkommen sah. Offensichtlich war alles gut gegangen. Für den anderen Fall hatte er darauf geachtet, dass die Pferde gesattelt blieben. Michele nahm Adelheid am Arm und sie entfernten sich einige Schritte. Außer Hörweite Pärks und des Abts, packte Michele Adelheid an den Schultern und schaute ihr fest ins Gesicht.

„Damit wäre die erste Stufe erreicht. Der Rest liegt bei dir. Und welchen Sinn hätte es dir etwas vorzumachen; es wird unangenehm werden. Ich beneide dich nicht die Bohne, aber wenn es zu viel für dich wird dann – “

„ – hab es selbst so gewollt“, unterbrach das Kind ihn murmelnd.

„Versuch bloß nicht das Noviziat zu beenden, es würde – “

„ – hab ich nicht vor. Nicht nach der fünftägigen Strapaze.“

„Darum geht es nicht. Es würde dich verraten. Verd …flixt. Hörst du? Und du weißt, was dich dann er– “

„ – ja. Punkt. Aus. Das wäre das Ende. Und Feuer und Wasser.“

„Gut.“ Er zögerte einen Moment. „Möchtest du trotzdem einen Rat?“

Die Antwort war ein zaghaftes Nicken.“

„Such dir Freunde, am besten heute noch. Ja, ich weiß, das willst du nicht hören, aber wenigstens einen brauchst du. Ich fürchte ohne Jemanden, der dir von Zeit zu Zeit hilft, wird es unmöglich sein, das hier durchzuhalten.“ Adelheid runzelte missbilligend die Stirn. Sie hatte bisher keinen einzigen Freund gehabt und ehrlich gesagt – sie hatte auch nie einen gewollt. Die anderen Kinder waren ihr zu albern, zu laut, zu wild, zu brutal – zu einfach-alles-was-sie-nicht-war.

„Das kann ich versuchen.“

„Na, das klang nicht wirklich überzeugend. Aber wir werden sehen. Oder eher, ich werde es nicht sehen. Wir zwei werden uns nämlich nicht wieder sehen.“

„Was macht das schon. Euch bleiben doch noch zehn andere Kinder.“

Michele seufzte hörbar und nahm gar nicht zur Kenntnis, dass sie endlich aufgehört hatte ihn zu unterbrechen. Genauso wenig bemerkte er das Zittern von Adelheids Mundwinkeln und die Tränen, die sie während des ganzen Gesprächs herunterschluckte. Die Zeit zerrann ihm zwischen den Fingern und er wollte es nicht riskieren, dass der Abt zu ihnen kam. Auch Pärk deutete wortlos immer wieder an, dass dieser Abschied schon zu lange dauerte, und sie endlich wegmüssten. Also tätschelte er Adelheids bedeckten Kopf, dann nahm er sie in die Arme – nur für einen Moment. Schon war das Abschiednehmen beendet. Nur Micheles Hand ruhte immer noch auf ihrer Schulter.

Pärk erwartete sie ungeduldig. Die Sonne stand schon zu tief. Und er wollte nach Hause. Wenigstens raus aus diesem ungastlichen Sumpfwald, natürlich tat der Gedanke an ein gutes Abendessen sein Übriges.

„Viel Glück, Junge. Lerne, was du kannst.“ Er klopfte Adelheid freundschaftlich auf die Schulter und schwang sich dann in den Sattel, genau wie Michele. Der konnte die Augen nicht von Adelheid lassen, Tilda führte er an einer Leine mit sich. Zwei der Knechte, die den Weg zurück zur Straße gut kannten, begleiteten sie durch das Tor. Er traute sich nicht, noch einmal zurückzublicken. Er wollte ihr nicht ‚Leb wohl’ sagen müssen und in dem Wissen verschwinden, dass er für immer auf sein Kind verzichten würde.

Adelheid sah ihrem Vater nach. Sie hatte die Hände in den Taschen geballt und knabberte an ihrer Unterlippe. Das Unbehagen, das auf ihrem Herzen lastete, war zu einem erdrückenden Schmerz geworden.



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