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Torn Ribbon

von

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Torn Ribbon

Es musste helllichter Tag sein, doch hier im Zimmer war es stockdunkel. Die Jalousien hatte ich herunter gelassen, bis kein Lichtstrahl mehr hindurch dringen konnte; den Lichtschalter hatte ich absichtlich ignoriert. Ich saß zusammen gekauert in der Ecke meines Bettes, die schwere Bettdecke fest um meine Schultern geschlungen, die Fingernägel in den Seiten meines Körpers gebohrt. Ich hatte nicht die geringste Ahnung welcher Monat gerade war, geschweige denn welcher Tag, aber es war mir eigentlich auch egal. Genau genommen war mir alles egal seitdem er weg war.
 

“Toshi! Vorsicht!“, bekam ich gerade noch heraus, bevor die Szene die sich in meinem Kopf bereits abgespielt hatte Wirklichkeit wurde. Ein lauter Knall ertönte, dann war alles still. Totenstill…
 

Leise seufzte ich auf. Es war so schwer. So verdammt schwer. Ohne ihn. Seine lieben blauen Augen, seine zarte Haut, seine sanfte Stimme, sein fröhliches Lachen. Doch nun war es still um mich herum. Nur mein schwerer, stockender Atem war zu hören. Als er gegangen war, hatte er einen Teil von mir mitgenommen und nur noch eine leblose Hülle zurückgelassen, der selbst das Lebensnotwendigste schon zu anstrengend war. Nur erdrückende Stille um mich herum. Sein Lachen würde nie wieder erklingen. Nie wieder…
 

„Wo warst du gestern Abend schon wieder!? Du wolltest doch um sieben zu Hause sein!“, fing ich auch gleich an zu meckern, als wir uns in das kleine Café gesetzt hatten. Leise lachte er und sein Lächeln blieb auch, als er mich ansah und sagte: „Überstunden, du weißt doch, dass das immer gut kommt“

Anscheinend dachte er ich würde über reagieren, doch in letzter Zeit häufte es sich, dass er ‘Überstunden‘ machte und mich noch nicht einmal anrief. Meistens schlief ich schon, als er unsere gemeinsame Wohnung betrat.

„Und du hältst es noch nicht mal für nötig dich bei mir zu melden!?“, fuhr ich ihn an. Ich wurde immer gereizter, weil er den Unschuldigen spielte und mich nicht ernst nahm.

Eindringlich sah er mich an und legte schließlich seine Hand auf meine.

„Ren. Ich bin einfach nicht dazu gekommen. Sobald ich die Ausbildung hinter mir habe, wird das besser, ich versprechs dir“

Wütend sah ich ihn an.

„Achja, und das nächste halbe Jahr sehen wir uns dann gar nicht mehr, oder was!?“
 

Ich bettete meinen Kopf in meine Hände. Die Erinnerung an unser letztes Gespräch schmerzte einfach zu sehr. Warum war ich auch so dumm gewesen? Warum war ich so gemein zu ihm gewesen? Er hatte seine Ausbildung einfach ernst genommen und ich Idiot war zu dumm das zu verstehen und musste ihm eine riesen Szene machen… Wie dumm ich doch war…

Wie unser Gespräch genau weiter verlaufen war, wusste ich nicht mehr. Wahrscheinlich schmerzte die Erinnerung an unseren Streit so sehr, dass mein Gehirn jedes weitere Denken daran verbat. Ich wusste nur noch, dass ich mich immer weiter hinein gesteigert hatte, ihm irgendwann sogar vorwarf er würde mich betrügen und ihn wüst beleidigt hatte.
 

Wir standen vor dem Café. Wir hatten es wegen unserer Gesprächslautstärke lieber verlassen. Immer noch lag der bittere Nachgeschmack meines Vorwurfs in der Luft.

~Gibs zu, du hast einen Anderen, du mieser Lügner!~

Seine schönen blauen Augen füllten sich mit Tränen, seine Stimme die die angespannte Luft durchschnitt war nicht mehr als ein heißeres Flüstern: „N-Nein…wie…wie kannst du so was nur denken…?“

Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und rann langsam sein blasses Gesicht herunter.

„Ich würde dich niemals betrügen, Ren, dass weißt du doch! Ich liebe dich!“

Immer mehr Tränen rannen über sein Gesicht, tropften von seinem Kinn auf den grauen Asphalt. Ich sah ihm nur kalt, ohne jegliche Spur von Mitleid an. Ich glaubte ihm nicht. Verächtlich stieß ich die Luft aus. Das war wohl zu viel für ihn.

Schluchzend schloss er die Augen, drehte sich um und rannte blind weg von mir, dem der ihn so verletzt hatte. Direkt auf die viel befahrene Straße…
 

Verzweifelt schluchzte ich auf. Es war meine Schuld. Meine. Verdammte. Schuld! Wäre ich doch nur nicht so stur gewesen! Er hätte mich niemals betrügen können, denn ich konnte mir seiner Liebe immer hundertprozentig sicher sein. Wie hatte ich ihm das nur unterstellen können!? Ich musste ihn tief verletzt haben damit, dass ich ihm so misstraute, ihm so etwas vorwarf.

Immer wieder tauchte das ‘Warum?‘ in meinem Kopf auf. Ich stellte mir so viele Fragen, doch wusste ich keine Antwort darauf. Doch eines wusste ich ganz genau: Ich hatte es verdient jetzt so zu leiden.
 

„Toshi! Vorsicht!“, bekam ich gerade noch so heraus, als ich aus meiner Wut erwachte und sich das Bild vor meinen Augen realisierte. Toshi war direkt auf die Straße gelaufen, hatte sich nach meinem Schrei aber noch einmal umgedreht und blickte mich noch einmal kurz aus seinen verletzten, tränennassen Augen an…bevor plötzlich ein lauter Knall ertönte. Danach war es still.

Totenstill…

Unbewusst schien ich die Augen geschlossen zu haben, denn ich zählte innerlich die Sekunden, bevor ich es wagte sie wieder zu öffnen.

3…

2…

1…

Dann war plötzlich der ganze Lärm wieder da. Ein Auto stand mitten auf der Straße, die anderen Autofahrer hupten und beschimpften ihn, dass er einfach angehalten hatte. Leute um mich herum sahen geschockt auf die Straße und irgendwo ertönte ein Frauenschrei. Doch das Einzige das ich wahrnahm war ein Körper der reglos vor dem stehenden Auto lag und aus dessen Kopf dickflüssiges, rotes Blut sickerte.

„Toshi!“, schrie ich verzweifelt und saß im nächsten Moment schon neben ihm auf dem Boden und hielt seine Hand.

„Toshi…“, flüsterte ich leise und strich vorsichtig über seine Wange. Mit schmerzverzerrtem Gesicht öffnete er seine Augen einen winzigen Spalt.

„Ren…“, wisperte er angestrengt. Blut sickerte aus seinem Mundwinkel.

„Es tut mir Leid Toshi. Bitte verzeih mir!“, flehte ich ihn an, während sich erste Tränen ihren Weg über mein Gesicht bahnten. Sein Lächeln und sein leichtes Kopfnicken ließen mich kurz auflachen.

„Ich liebe dich!“

Doch kurz nachdem diese Worte einen Weg über meine Lippen gefunden hatten, schloss Toshi seine Augen…und öffnete sie nicht wieder… Nur noch ganz schwach hob und senkte sich seine Brust und immer mehr warmes Blut floss aus seinen Verletzungen auf die Straße. Konnte es nicht endlich aufhören!?

Panisch sah ich mich um. Konnte nicht endlich jemand helfen? Konnte nicht endlich der Notarzt eintreffen?

Verzweifelt schrie ich immer wieder Toshis Namen, durchnässte mit meinen Tränen sein T-Shirt, doch er wollte und wollte einfach nicht aufwachen. Mit einem schwachen Atemzug hob sich seine Brust ein letztes Mal…danach blieb er völlig leblos liegen, ohne jegliches Lebenszeichen…
 

Immer hysterischer schrie und weinte ich, bis ich spüren konnte, dass mich jemand an den Schultern wegziehen wollte. Weg von der Liebe meines Lebens. Weg von Toshi.

Ich schrie und schlug um mich und war einfach nicht wegzubekommen vom Körper meines toten Freundes.

Ein letztes Mal schrie ich aufgelöst seinen Namen, bevor die Welt um mich herum dunkel wurde und neben Toshis leblosen Körper das Bewusstsein verlor…
 

Ich krallte meine Fingernägel tiefer in meine Haut, so sehr bis es schmerzte. Ich hatte ihn nicht retten können. Ich war schuld, dass er tot ist.

Als ich aus meiner Besinnungslosigkeit erwacht war, war der Notarzt bereits vor Ort gewesen. Ich hatte mich auf einer weißen Trage befunden, auf der ich mich vermutlich von meinem Schock hatte erholen sollen.

Der Blick nach rechts war das Schlimmste gewesen. Eine weitere weiße Trage mit einem Körper darauf stand dort, nur dass der Körper mit einem weißen Tuch bedeckt gewesen war. Und das war der Moment in dem mein Leben endgültig zerbrach…

Ich erinnerte mich noch genau, wie sie damals beratschlagt hatten, ob sie mich nicht zu meiner eigenen Sicherheit in die Psychiatrie einweisen sollten, weil ich so mit den Nerven am Ende gewesen war. Als ob ich mir etwas antun würde. Ich musste für das leiden, was ich Toshi angetan hatte. Ein Selbstmord hätte mich von diesem Leid erlöst. Und das verdiente ich nicht. Ich hatte ihn umgebracht. Das rote Band, das uns vorher so fest aneinander gebunden hatte, war zerrissen und niemand hätte mehr die Möglichkeit gehabt es wieder zusammen zu flicken. Toshi war weg. Aus dem Leben gerissen, nur weil ich ihn mit meinen dummen Anschuldigungen so verletzt hatte.

Seitdem er weg war, war mein Leben leer, hatte jeden Sinn verloren. Ich ging nicht mehr zur Arbeit, verließ das Haus allgemein nicht mehr und vernachlässigte alle menschlichen Bedürfnisse. Es mag sich verrückt anhören, aber ich wusste noch nicht einmal mehr wie lange sein Tod jetzt eigentlich zurücklag. Es kam mir immer noch so vor, als wäre ich gerade erst von der Unfallstelle nach Hause gekommen.

Obwohl, eigentlich hatte ich kein Zuhause mehr. Es war mit Toshi gestorben.

Schwerfällig erhob ich mich, lockerte meine völlig erstarrten Glieder. Langsam schritt ich durch die Wohnung, die mir ohne ihn und sein Lachen furchtbar leer vorkam. Ohne ihn fehlte einfach ein entscheidendes Detail, das Detail, dass der Wohnung ihr Leben eingehaucht hatte. Er hatte sie mit seiner fröhlichen Art nicht nur zu einem Zufluchtsort gemacht, sondern auch zu einem Ort, an den ich immer gerne wieder gekommen bin, den ich wirklich mein Zuhause nennen konnte. Ich musste ihn besuchen. Jetzt sofort.
 

Notdürftig für die Öffentlichkeit hergerichtet verließ ich ‘unsere‘ Wohnung, schritt kraftlos durch die Straßen. Der spitze Kirchturm, den ich hinter einigen Häusern ausmachen konnte zog mich magisch an, dennoch ging ich freiwillig einige Umwege, da ich sonst an dem Ort vorbeigekommen wäre, an dem Toshi sein Leben ausgehaucht hatte. Und das hätte ich wirklich nicht überstanden.

Die seltsamen Blicke der Menschen nahm ich gar nicht wahr, ich lief einfach unbeirrt weiter und hatte mein Ziel auch schon bald erreicht. Jetzt etwas schneller, lief ich um den Kirchturm herum, bis ich das große, graue Metalltor des Friedhofs erkennen konnte.

Es war das erste Mal, dass ich ihn besuchte, denn ich hatte es einfach nicht fertig gebracht auf seiner Beerdigung zu erscheinen. Er hätte es mir bestimmt übel genommen, doch alles Gute was über ihn gesagt worden wäre, seine weinenden Eltern… das alles wäre zu viel für mich gewesen und am Ende wäre ich doch ein Fall für die Psychiatrie geworden.

Andächtig schritt ich auf das einzige Grab auf dem Friedhof zu, dass noch mit Schalen und Schleifen bedeckt war. Traurig lächelnd musterte ich sein Foto auf dem Sterbebild, dass einem hellen, hölzernen Kreuz hing, Große, blaue Augen, weiches, schwarzes Haar und das glückliche Lächeln, dass sein blasses Gesicht zierte… Es trieb mir die Tränen in die Augen. Er war noch so jung. Bald wäre er gerade einmal 19 Jahre alt geworden. Und mich jämmerlich Existenz traf die Schuld daran, dass er diese Welt schon verlassen hatte. Unbewusst wischte ich mir mit der Hand übers Gesicht und sah verwundert auf die nassen Flecken, die sich auf meiner Haut gesammelt hatten. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich angefangen hatte zu weinen. Ich war überzeugt davon gewesen, dass ich schon gar keine Tränen mehr übrig hatte. Doch die Tatsache jetzt so nah bei ihm zu sein…

Ich ging in die Knie und weinte stumm an seinem Grab.

„Bitte verzeih mir, Toshi…Ich liebe dich so sehr“, flüsterte ich und berührte sanft sein lächelndes Gesicht auf dem Foto. Als würde er gleich um die nächste Ecke gerannt kommen und mich stürmisch umarmen. Er fehlte mir. So sehr.

Mein Herz zog sich zusammen, als ich an all die glücklichen Tage zurück dachte…

Und er wollte noch so viel sehen! Ich hatte ihm versprochen, dass ich mit ihm, sobald er seine Ausbildung abgeschlossen hatte nach Venedig fliegen würde. Er hatte diese Stadt so sehr geliebt, obwohl er sie nur aus Büchern gekannt hatte. Ich würde ihm seinen Traum nicht mehr erfüllen können…
 

Als ich wieder in der leeren Wohnung war, die sich mein Zuhause schimpfte, verkroch ich mich sofort wieder in mein Zimmer. Ich beschloss gleich versuchen zu schlafen, obwohl ruhiger Schlaf mir seit Toshis Tod verwehrt geblieben war.

Ich schälte mich aus meinen Klamotten, legte mich nur in Boxershorts ins kalte Bett und zog die Decke bis unter mein Kinn. Mein Körper zitterte, aber das war ich bereits gewöhnt. Auch er sehnte sich nach seiner Wärme.

Seufzend drehte ich mich auf die Seite und mein Blick fiel auf die Wand, nicht wie sonst immer in sein Gesicht. Auch wenn es mir bewusst war, dass ich ihn für immer verloren hatte, sehnte ich mich trotzdem nach ihm. So sehr, dass es beinahe unmenschlich war. An mir war sowieso fast nichts menschliches mehr. Ich wunderte mich, dass ich überhaupt noch am Leben war, ich konnte mich nicht erinnern wann ich zuletzt etwas Essbares zu mir genommen hatte.

Ich schloss die Augen und hoffte auf Schlaf. Selbst dort ließ mich die Schuld nicht in Ruhe. Wieder und wieder ließen mich meine Träume seinen Tod sehen. Traurig seufzte ich. Es hatte ja doch keinen Sinn. Ich würde ohne ihn leben müssen. Dafür mit ewiger Schuld.

Über diese Gedanken fiel ich dann doch in einen unruhigen Schlaf.
 

~Erlaube er mir dir irgendwann zu folgen, Toshi, ich bitte dich.

Wenn du mir vergeben kannst, hol mich zu dir.

Dies ist mein einziger Wunsch…~



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