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Inhuman

von

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Vorbereitungen

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mein Kopf angenehm leer. Ich versuchte erst gar nicht, alles was ich erfahren und erlebt hatte zu rekonstruieren denn mir war klar, dass die Erinnerungen nicht lange auf sich warten lassen würden. Eine gepackte Tasche und darauf liegende, frische Sachen, fielen mir ins Auge, als ich mich aufrichtete und streckte. Es waren definitiv meine Sachen, das erkannte ich an den ganzen kleinen Accessoire und dem Style, welcher mehrere Richtungen vermischte und zu meinem eigenen, mich und meinen Charakter wiederspiegelndem Stil wurde.

Ich stand auf und blickte mich im Raum um. Reika war nicht da doch es roch nach frischem Kaffee und ich nahm an, dass er wohl schon wach sein würde. Schnell streifte ich mir den rot-schwarz karierten, mit Kettchen und Spitze verzierten Rock über, wechselte das weiße Top gegen ein schwarzes mit ebenso dunklen Magnolien-Print.

„Jill?“

Dürftig brachte ich meine Haare mehr oder weniger in Ordnung und ging in Richtung der Tür, von der ich Reika´s Stimme vernommen hatte. Ich drückte die schwere Klinke herunter und steckte meinen Kopf durch den Spalt. Vor mir befand sich eine Mischung aus Arbeitsplatz, Küche und Wohnraum. Eine weitere Tür befand sich mir gegenüber und ich nahm an, dass sie zum Flur führen würde. Reika stand an der kleinen pfirsichfarbenen Küchenzeile und goss eine dunkle Flüssigkeit in zwei Tassen. Im Stillen hoffte ich zutiefst, dass es Kaffee und eine der Tassen für mich bestimmt war. Als er mich bemerkte, setze er die Kanne ab und bedachte mich mit seinem typischen Lächeln.
 

„Guten Morgen, komm rein. Milch, Zucker, beides oder nichts?“, fragte er und deutete auf eine der Tassen.

Innerlich stoß ich einen kleinen Jubelschrei aus. Wenn es etwas gab, das mich morgens annähernd aufheitern konnte, dann war es das einzig wahre und beste Heißgetränk der Welt. Wäre ich ein Hund, hätte ich wohl alles mit meinem Schwanz weggewedelt.

„Schwarz bitte!“, antwortete ich und merkte, wie in Erwartung eines meiner Suchtmittel, die Lebensgeister zu mir zurück kehrten. Reika nickte und bedeutete mir, mich auf einen der zwei Stühle zu setzen, die an einen kleinen runden Tisch standen. Nachdem ich Platz genommen hatte nutzte ich den Moment und schaute mich ein wenig in dem Raum um. Direkt neben der Tür, die diesen Raum mit dem verband, in dem ich geschlafen hatte, befand sich eine große weinrote Couchgarnitur, eckig und mir einem gläsernen Tisch in der Mitte, auf welchem sich eine Vase mit einer einzelnen schwarzen Rose befand. Auf der anderen Seite befand sich ein großer Schrank mit unzähligen Aktenordnern, auch er war weinrot.

Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein fast schwarzer, hölzerner Tisch auf welchem sich Papiere und dicke Bücher fanden, die meisten in mir fremden Sprachen, wie ich am Titel erkennen konnte. Angrenzend war die Tür zum nächsten Bereich eingelassen. Die Küchenzeile, an der Reika den Kaffee zubereitet hatte, war gegenüber dem Wohnbereich aufgebaut. Der Tisch an dem ich saß befand sich dazwischen.

Nun gesellte sich auch der Lehrer zu mir und stellte zu dem Kaffee auch noch köstlich aussehende, frische Sandwichs auf den Tisch. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und jetzt machte sich auch mein leerer Magen bemerkbar. Er musste das Magengrummeln mitbekommen haben, denn er lachte leise und bat, mich zuzugreifen. Verlegen griff ich nach der Tasse und nuschelte einen Dank.

„Konntest du schlafen? Es ist relativ früh, es wundert mich, das du schon wach bist.“

Verwundert sah ich mich nach einer Uhr um, konnte jedoch keine entdecken. Reika nippte kurz an seinem Kaffee, ich tat es ihm nach.

„Der Unterricht beginnt erst in zwei Stunden, es ist gerade mal kurz nach halb sechs. Ich werde dich nachher zu deinem Raum bringen, du hast die erste Stunde bei Professor Lucius. Außerdem musst du dich heute auch noch für die Sonderkurse einschreiben und deinen Ausweis abholen.“

Ich nickte. Mal ganz davon abgesehen, dass der Kaffee der Beste war, den ich seit langem getrunken hatte, waren die Sandwiches der wahrgewordene Traum einer Snack-Liebhaberin wie mir. Als ich das erste gierig verschlungen hatte, gönnte ich mir eine kurze Pause und antwortete auf seine Frage.
 

„Hm, ich hab geschlafen wie ein Stein, keine Träume, kein Aufwachen zwischendurch…Was unterrichtet Professor Lucius denn?“

Reika stand auf und ging zu seinem Schreibtisch um zwischen den Büchertürmen nach etwas zu suchen.

„Seine Hauptfächer sind Geschichte und Geographik. Da aber Mr. Quint ausfällt, habt ihr mir ihm Mathe Vertretung.“, antwortete er, während er drei Bücher aus dem Stapel zog und damit zurück kam. Mir war nicht so recht klar, ob meine Stimmung in Aussicht auf mein Hass-Fach sinken sollte oder, durch das Wissen, dass Quint nicht da wäre, steigen sollte. Reika legte mir die Bücher neben meinen Teller. Es waren die einzigen, welche ich aufgrund der Sprache auch lesen konnte.

„Die wirst du heute brauchen. Nach dem Unterricht kommst du nochmal zu mir und ich gebe dir eine schriftliche Erlaubnis, dass du das Gelände verlassen darfst. Du musst noch in die Stadt fahren und dir deine restlichen Bücher zulegen. Ansonsten ist es nur in den Ferien erlaubt, das Internatsgelände zu verlassen.“, sagte er und klang bei diesen Worten schon viel mehr wie ein Lehrer, jedoch nicht unfreundlich.

„Alles klar. Ist Mr. Quint krank?“

„Nein, er muss auswärts etwas erledigen um eine Veranstaltung vorzubereiten. Aber er wird morgen wieder da sein.“

Die Versammlung.

In diesem Moment fiel mir wieder ein, über was sich Uriel und Reika gestern Abend unterhalten hatten. Es hatte nicht so geklungen, als wäre es eine normale Zusammenkunft, auf der man üblicherweise den schulischen Ablaufplan oder ähnliches, Belangloses klärte. Dazu hatten beide zu ernst und geheimnisvoll geredet. Ich versuchte aufzuhören, mir darüber Gedanken zu machen, sonst würde ich nur wieder zu neugierig werden. Mit Sicherheit war es eine ganz normale, stinklangweilige Versammlung der Lehrer und die Beiden hatten nur so gedämpft gesprochen, damit ich nicht wach würde. Aber warum-

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Reika besorgt als er meine Geistesabwesenheit bemerkte.

„Eh? J-ja, alles okay. War nur in Gedanken versunken wegen gestern…“

Das war immerhin nicht gelogen.

„Was mich nicht wundert.“, gab er zu und seufzte. Dann stutzte er und schnippte mit den Fingern, als wäre ihm etwas eingefallen. Fragend blickte ich ihn an.
 

„Dir ist gestern dein Handy aus der Tasche gefallen, als du gestürzt bist. Elias hat es mir überreicht und ich hab total vergessen, es dir wieder zugeben. Aber als es vorhin geklingelt hat, ist es mir wieder eingefallen.“

Er lächelte und holte das Telefon aus seiner Tasche. Erst jetzt registrierte ich, dass er heute ein weniger weibliches Gewand trug. Eine weite Hose und ein langärmliges Hemd ließen zumindest seine Statur ein wenig mehr nach dem Geschlecht aussehen, dem er angehörte. Dankend nahm ich mein Handy an mich und schaute aufs Display. Ich hatte eine SMS bekommen. Um diese Uhrzeit konnte die wohl nur von einer Person stammen. Unweigerlich musste ich lächeln.

„Ich hoffe, es hat dich nicht geweckt?“, frage ich und biss mir auf die Unterlippe, was meistens ein Zeichen für mein schlechtes Gewissen war. Doch er schüttelte den Kopf bevor er wieder seinen Kaffee nahm und trank. Nicht wirklich überzeugt davon, dass man in dieser Herrgottsfrühe nicht von einem Handy geweckt werden konnte, akzeptierte ich die Antwort jedoch und öffnete die Nachricht.

Als ich den Absender erkannte musste ich grinsen. Es war so, wie ich es mir gedacht hatte.

„Hey Schlafmütze! Rate mal wer schon wach ist und sich Gedanken macht, wie wohl dein erster Tag war? Melde dich bei Gelegenheit mal, ich hoffe bei dir ist alles gut. Hab dich lieb Schatzi, pass auf dich auf<3“

Mia war der gutmütigste und liebste Mensch den ich kannte. Sie war auch die einzige unter meinen Freunden, die die damaligen Geschehnisse überlebt hatte. Was aber eher daran lag, dass sie kurzfristig nicht zu dem vereinbarten Treffen erscheinen konnte. Zu dem war sie auch der einzige Mensch in unserem Kreis gewesen. Manchmal hatten wir sie damit aufgezogen, dass sie sich immer heimlich von ihrem Elternhaus davon schleichen musste, um uns zu sehen. Aber sie war nicht nur unser Nesthäkchen und Wirbelwind, sie war unser rettender Anker, wenn Hetzkampagnen auf uns gerichtet wurden oder irgendwelche Menschen sich zu Gangs zusammen gefunden hatten, um uns zu vertreiben. Sie war es auch, die mir nach dem Massaker dieses Internat geraten hatte.

„Eine Freundin von dir?“, fragte Reika freundlich und ich nickte lächelnd. Kurz erklärte ich ihm mein Verhältnis zu Mia und er hörte schweigend zu. Er stellte keine Fragen bezüglich der Geschehnisse. Nicht dass ich ihm eine Antwort verweigert hätte, schließlich hatte ich sie selber erwähnt und somit vorausgesetzt, dass er nachhaken würde. Aber es erleichterte mich trotzdem, als er dies nicht tat. Er erklärte mir, dass sie in den Ferien in die Internatseigene Pension unten in der Stadt eine Herberge beziehen könnte, damit wir etwas Zeit miteinander verbringen könnten. Leider war es nicht möglich, einen Menschen in einer Schule voller, teils gefährlicher Wesen zu beherbergen. Davon war ich von Anfang an ausgegangen aber es freute mich sehr, dass er mir die Möglichkeit mit der Pension angeboten hatte. Wir redeten noch eine Weile über die Schule, die Umgebung und ein paar Regelungen, bis er mir sagte, dass es Zeit wäre zum Unterricht zu gehen.
 

Als wir durch den nur schwach beleuchteten Gang liefen -das Licht der aufgehenden Sonne ließ die Mauern rot erscheinen- kamen uns vereinzelt Schüler entgegen, alle von verschiedener Art, manchen konnte man gleich ansehen was sie waren, andere gaben ihre Identität nur durch kleinere Merkmale preis. Ein kleines braun gebranntes Mädchen rammte mich versehentlich, als sie eilig zu ihrem Raum rannte. Sie nuschelte nur eine kleine Entschuldigung und stürmte dann mit gesenktem Kopf davon. An einer Gabelung trennten sich unserer Wege. Reika war noch etwas eingefallen, was er erledigen müsste und was, seinen Worten nach, keinen Aufschub mehr erduldete. Mit einem schlechten Gewissen im Blick erklärte er mir, dass ich nur noch bis zu nächsten Gabelung gehen müsste und dann einmal nach rechts um dann direkt vor dem Raum zu stehen, in dem ich meinen Tag verbringen würde. Nach dem wir uns förmlich verabschiedet hatten beschleunigte ich meinen Schritt um nicht zu spät zu kommen. Langsam wurde es voller und das Gedränge wurde größer. Ein paar ältere Schüler diskutierten über die letzten Klausuren, Mädchen kicherten, unterhielten sich über die neuesten Trends oder schwärmten über irgendwelche Jungen. Wusste man nicht, dass dies ein Asylum für Inhuman war, so hätte man es auch auf den ersten Blick für eine normale High-School halten können. Ich hörte wie jemand meinen Namen rief, drehte mich unachtsam um und prallte augenblicklich gegen etwas hartes.

„Autsch…“, murmelte ich, rieb mir die Stirn und blickte auf um zu sehen gegen was ich gestoßen war. Oder gegen wen.

„Oh. Hallo…“, sagte ich, ohne zu wissen warum ich es überhaupt für nötig hielt, etwas zu sagen. Darian verzog verächtlich den Mundwinkel und blickte sah mich von oben herab an. Sofort vergas ich das Pochen an meiner Stirn und meine mäßige Laune wurde zu einer schlechten. Bevor ich mir in Gedanken ausmahlen konnte, wie ich ihm am besten mein Knie zwischen die Beine rammen und ihm alles möglich an den Kopf werfen könnte für das, was er mir angetan hatte, erschienen hinter ihm Uriel und Elias. Doch noch waren sie nicht nahe genug und somit nutzte er die Gelegenheit, mir einen weiteren Grund zu geben, ihn nicht ausstehen zu können.

Er beugte sich zu mir herunter und kam mit seinem Gesicht so nah an meines, das wir nur noch durch eingefühltes Blatt Papier voneinander getrennt waren.

„Na Jill…gut geschlafen? Ich bedanke mich für gestern, habe noch nie im Leben so gut gegessen.“, hauchte er mir ins Ohr während mir mein Herz bis zum Hals schlug. Dieser verdammte Dreckskerl. Noch ehe er etwas anderes sagen konnte hatten die anderen Beiden uns erreicht und Elias griff ein.

„Lass sie in Ruhe Darian. Du hast gestern schon genug angerichtet. Erledige das, was ich dir aufgetragen habe, bitte.“, sprach er, zwar nicht erbost, aber keine Widerrede erduldend.

„Tss“, schnaubte Darian, richtete sich wieder auf und verschwand zwischen den anderen Schülern. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Was wusste er mittlerweile? Mir fiel auf, dass mir Reika nicht gesagt hatte, warum diese Wesen ihren Namen trugen, auch wenn ich es mir selbstverständlich denken konnte.

„Hey Jill! Ich hoffe mal, dass es dir besser geht…war ja kein guter Start für dich.“, meldete sich Uriel donnernd zu Wort und grinste mich an. War schon irgendwie komisch zu wissen, dass der Hüne seine Sorge versuchte zu verbergen.

„Morgen Uriel. Naja es geht mir den Umständen entsprechend. Danke, dass du mich gestern zu Reika gebracht hast. Er hat mir wirklich geholfen.“, antwortete ich, wobei die letzten Sätze an Elias richtete. Er nickte nur und wandte sich dann ab um in den Klassenraum zu gehen, der nur noch wenige Meter entfernt war. Ich zog die Augenbraue hoch und fragte mich, ob hier eigentlich jeder zweite Kerl ein verschwiegener oder eingebildeter Armleuchter war.

Uriel legte seine riesige Hand auf meine Schulter, wodurch ich mir absolut winzig vorkam.

„Mach dir keine Gedanken, der ist nun mal so. Hat Reika dich ein wenig aufgeklärt?“, fragte er mich munter und schob mich sanft zum Klassenzimmer.

„Ist mir schon aufgefallen…Ja hat er. Wenn auch nicht so, dass es mich zufrieden stellen würde, wenn ich ehrlich bin. Ich kann auch nicht recht glauben, dass er hier nur Lehrer ist. Wenn-“

Der Hüne schnitt mir das Wort ab in dem er mir einen Finger auf den Mund legte, der mir fast von Kinn bis Haaransatz reichte. Beunruhigend.

„Nicht hier.“, sagte er und ich nickte nur.

Vor dem Unterrichtsraum verabschiedete er sich von mir und wünschte mir augenzwinkernd viel Spaß.
 

Der Tag verlief ruhig. Professor Lucien war ein kühler aber guter Lehrer und führte mich leicht in den Unterricht ein ohne die anderen dabei außen vor zu lassen. Ab und zu viel es mir sehr schwer, mich auf das zu konzentrieren, was der schwarzhaarige, hochgewachsene Lehrer sagte. Alle fünf Minuten schossen mir die Erinnerungen wie erwartet durch den Kopf und ließen mich über alles Mögliche grübeln. Allem voran natürlich über Darian und Elias. Letzterer saß auch in diesem Raum neben mir, wobei er sich dieses Mal freiwillig an denselben Platz setzte anstatt ungewollt mein Banknachbar zu werden. Er wirkte abwesend und so, als würde ihn das, was Lucien mit tiefer und rauchiger Stimme erzählte, nicht im Geringsten interessieren. Nach dem der Unterricht vorbei war, begab ich mich zurück auf den Weg zu Reika um mir die Papiere abzuholen. Kurz bevor ich an seiner Tür klopfte, hielt Uriel mich auf.

„Reika hat mich gebeten, dich am Wochenende in die Stadt zu fahren. Hoffe das geht in Ordnung für dich, Kleines?“, fragte er grinsend und ich starte ihn perplex an.

„Wo kommst du denn jetzt plötzlich her? Also ich habe kein Problem damit, solange ich dir nicht zur Last falle.“, antwortete ich wahrheitsgemäß und trat von einem Fuß auf den anderen. Ich wollte so schnell wie möglich zu Reika um danach endlich mal ein bis zwei Stunden für mich allein zu sein.

„Du würdest mir nie zu Last fallen Jill. Aber wenn dein schlechtes Gewissen doch so groß sein sollte, dann kannst du mich gerne auf ein Essen und so begleiten, um es wieder rein zu waschen.“

Verlegen versuchte ich sein anzügliches Grinsen zu übersehen aber ich sollte mich wohl daran gewöhnen denn es schien seine Natur zu sein. Also grinste ich zurück.

„Ich werde sehen, was mein schlechtes Gewissen darüber denkt. Sag mal, ich muss mich noch in Kurse eintragen…gibt es irgendwelche empfehlenswerten?“

„Kommt ganz drauf an, für was du dich interessierst. Es gibt sprachspezifische Kurze, künstlerische, welche die sich speziell auf bestimmte Wesen spezialisiert haben und dann gibt es noch sowas wie Kryptologie, Symbolik und Allegorie.“

Bei seinen letzten Worten weiten sich meine Augen. Für solche Dinge hatte ich mich schon immer interessiert und jetzt wurde es als Kurs angeboten? Das überraschte mich so positiv, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn meine Augen angefangen hätten zu glitzern. Vielleicht taten sie es sogar, denn Uriels Grinsen wurde noch breiter als er mich ansah.

„Du brauchst dich nur dafür anzumelden. Ich werde mich jetzt erst mal auf den Weg zu dem verfressenen Stinkstiefel machen. Wenn du Hilfe brauchst beim Zurechtfinden oder falls du mich einfach sehen willst, lass dir die Nummer von Reika geben. Wir sehen uns Kleines.“

Und so ging er, nicht ohne mir noch ein letztes Mal sein typisches Grinsen zuzuwerfen, in Richtung Schulpforte davon.

Als ich an Reika´s Tür klopfte und er einen Augenblick später zum Eintreten bat, öffnete ich sie und tat wie geheißen. Es seltsamer Geruch lag in der Luft, der mir komischerweise sogar bekannt vor kam aber ansonsten hatte sich nichts verändert. Auch die Aktenstapel lagen noch immer auf Schreibtisch und Schrank verteilt. Reika wuselte herum und wirkte nervös, was so gar nicht zu ihm passen wollte.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte ich ihn leicht besorgt, das er normalerweise mein Lehrer ist, hatte ich anscheinend komplett in den Hintergrund geschoben. Doch er winkte nur ab und lachte kurz auf.

„Mach dir keine Gedanken Jill, ich habe nur etwas Wichtiges verlegt. Wie war dein erster Tag?“

Also erzählte ich ihm, welche Eindrücke ich hatte, das ich fand, dass Luciens Stimme sehr nach Whisky und Zigarette klang, dass Elias es noch immer nicht für nötig hielt, mehr als das Nötigste mit mir zu reden und das Uriel sich bereits angeboten hatte, mich in die Stadt zu begleiten.

„Sag mal, wo kann ich mich eigentlich für die Kurse eintragen lassen? Das hab ich vorhin ganz vergessen zu fragen.“, wandte ich mich direkt zu ihm, er durchsuchte gerade die massive Papierstapel, und fragte mich, ob ich ihm vielleicht Hilfeanbieten sollte.

„Du musst dich immer an den jeweiligen Lehrer wenden. Also kommt es ganz darauf an, welche Kurse du wählen möchtest. Hast du dich denn schon entschieden?“, antwortete er ohne aufzusehen. Meine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Natürlich hatte ich mich schon lange für Allegorien und Symbolismus entschieden. Reika richtete sich auf und blickte mich überrascht aber lächelnd an. Den Moment, in dem er mal nicht lächeln würde, würde ich mir definitiv rot im Kalender anstreichen. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, erklang eine Stimme hinter mir und ließ mich aufschrecken.

„Dafür sollten Sie sich dann wohl an mich wenden, Mrs. Hazel.“, sprach die dunkle Stimme von Professor Lucien. Perplex starrte ich ihn an, während er die Tür zu dem Raum schloss, in dem ich in der letzten Nacht geschlafen hatte. Er wirkte noch kühler als vorher im Unterricht. Sofort versuchte ich mich zusammenzureißen und in die förmliche Wortwahl zu wechseln.

„H-hallo Professor. Und wann kann ich das machen?“

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Reika aufgehört hatte zu suchen und stattdessen seinen wundervollen Kaffee kochte. Wahrscheinlich bildete ich es mir ein, aber es schien, als würde er penibel darauf bedacht sein, sein Gesicht vor mir oder uns zu verbergen.

„Ich werden Ihnen morgen nach dem Unterricht die Papiere dafür mitgeben, es reicht wenn Sie sie mir am nächsten Tag wieder einreichen. Aber nicht später.“

Zur Antwort nickte ich eifrig und wandte mich danach an Reika. Aber er war schneller als ich, drehte sich zu uns und am mit einer Klemmmappe auf mich zu.

„Hier sind deine Unterlage Jill. Die schriftliche Erlaubnis liegt auch schon anbei aber bitte melde dich, wenn du am Wochenende raus fährst, vorher noch bei unserem Pförtner ab und auch wieder an, wenn ihr zurück seid.“, unterwies er mich und überreichte mir die Mappe mit einem Augenzwinkern. Ich bedankte mich, wollte schon zur Tür gehen und mich verabschieden, als mir noch etwas einfiel.

„Rei- eh, ich mein, Herr Conel?“

Professor Lucien schüttelte mit einem angedeuteten Grinsen den Kopf aber Reika lachte und winkte erneut ab.

„Belass es ruhig bei meinem Vornamen, solange du nicht im Unterricht bist. Was ist denn?“

Ich zuckte die Schultern und bedachte den Professor mit einem vorsichtigen Blick. Dieses Grinsen ließ ihn irgendwie…gefährlich wirken. Außerdem hatte er sich wie selbstverständlich auf der Couch breit gemacht und die Füße auf den Tisch gelegt. Das passte nicht zu der Disziplin, die er im Unterricht an den Tag lag. Aber was passte in dieser Schule überhaupt?

„Ich hab deinen Schlafplatz letzte Nacht beansprucht….i-ich wollte mich nur für die Umstände entschuldigen und-“

„Du machst dir immer viel zu viele Gedanken Jill. Glaub mir wenn ich sage, dass ich schon einen Platz zum Schlafen gefunden hätte, wenn ich das gewollt hätte. Ich bin froh, dass du dich wieder erholt hast, um mehr brauchst du dir keine Sorgen machen okay?“, unterbrach er mich und ich seufzte.

„Na gut, wenn du das sagst. Ich geh jetzt auf mein Zimmer. Brauch endlich mal Ruhe und ich glaube, Emilia ist so lieb und gönnt sie mir auch. Muss mal allein sein, wenigstens ein paar Stunden. Bis morgen!“, entgegnete ich schnell und verließ, den Beiden vorher nochmal zunickend, das Zimmer.
 

Die Tage zum Wochenende vergingen viel schneller, als ich es erwartet hatte. Wie durch einen einzigen Augenaufschlag stand der Freitag vor der Tür. In den vergangenen Tagen hatte ich mich mehr mit meinen Klassenkameraden unterhalten und mir eine bessere Meinung zu ihnen bilden können. Es war, wie ich schon am ersten Tag angenommen hatte. An sich waren alle vollkommen in Ordnung, mit Stacia kam ich jedoch nicht so gut aus. Sie war eine verwöhnte Göre wie sie im Buche stand, versuchte alle männlichen gutaussehenden Individuen um sich zu scharen und schreckte nicht mal vor den Lehrern zurück. Eine Elfe, der ihre Schönheit sichtbar zu Kopf gestiegen war. Doch wie am Anfang erhofft, verstand ich mich blendend mit Noah, der, der den mündlichen Test bei Quint mit Humor -mehr oder weniger- mäßig überstanden hatte. Andauernd brachte er mich mit seinen Witzen zum Lachen, einmal wurden wir sogar schon für fünf Minuten aus dem Raum geschmissen. Was natürlich auf Quint´s Kappe ging der, wie Reika es gesagt hatte, einen Tag nach seinem Fehlen wieder normal unterrichtete. Zum Leidwesen der Schüler. Außerdem begann ich mich in dem großen Gebäude zurecht zu finden. Immer wieder staunte ich über die alten Skulpturen und Gemälde, die prachtvollen Schnitzarbeiten in Holzverkleidungen von Wänden und manchen Decken. Das Schulgebäude war in neugotischem Stil gehalten, West-und Ostflügel hellrot, Nordflügel und Schulportal weiß und cremefarben. Wenn man aus dem Innenraum der langen Flügel heraustrat, blickte man auf den großen Park der in einen, sich unendlich zu erstreckenden Wald überging. An der östlichen Grenze befand sich auch das Nonnenhaus, während sich das Pfarrhaus hinter dem Westflügel verbarg. Die Schulpforte war um ein Stockwerk höher gebaut als der restliche Teil des Gebäudes und diente nicht nur der Lehrerschaft als Schlaf-und Wohnplatz, sondern wurde hauptsächlich als Empfangsgebäude genutzt. Da der große, pompöse Festsaal -welcher durch seine bunten Deckenmalereien, detaillierten Ornamente und Verzierungen eher zum Spätbarock zählen könnte- ebenfalls im Schulportal war fanden dort auch Feste und Versammlungen statt. Bei Letzterem war ich mir sogar mehr als sicher, dass auch die von Reika und Uriel erwähnte Versammlung dort abgehalten werden würde. Das gesamte Gelände wurde weder von einem Zaun noch von einer Mauer abgegrenzt oder ähnliches und da es sich mitten auf dem Land befand, führte auch nur eine einzige Straße hin und bis zur nächsten Ortschaft waren es mehrere Kilometer. Jedoch, und darauf freute ich mich besonders, lag diese Ortschaft direkt am Meer, womit ich es gar nicht mehr erwarten konnte, endlich dorthin zu fahren.

Am Samstagmorgen wachte ich schon sehr früh auf. Leise ging ich zum Fenster um es zu öffnen, penibel darauf bedacht, Emilia nicht zu wecken. Wie erwartet war sie ein ausgesprochen herzensgutes, wenn auch stilles und eventuell etwas naives Mädchen. Nach dem ich ein paar Sekunden lang die wunderbrare frische Luft eingesogen hatte, begab ich mich ins Bad um mich frisch zu machen. Zugegeben war es eine ungemeine Erleichterung für mich gewesen als man mir erklärte, dass in jedem Mädchenzimmer ein eigenes Bad eingebaut war. Die männlichen Bewohner des Internats hatten wohl nicht ganz so viel Glück gehabt. In ihren Schlafhäusern, welche sich auf der Rückseite des Ostflügels befanden, gab es nur jeweils drei bis vier, mehr oder weniger große Bäder je Etage. Als ich geduscht und mich zurecht gemacht hatte wechselte ich mein Top und meine Shorts gegen eine enganliegende, schwarze Hose welche Bondage-ähnlich gefertigt und mit vielen kleinen Applikationen verziert war. Mein langärmliges Shirt, welches an den Schultern frei von Stoff und stattdessen mit Spinnennetzförmigen Ketten zusammengehalten wurde streifte ich über und wuschelte anschließend nur noch einmal kurz durch meine schwarz-braunen Haare. Leise packte ich meine Habseligkeiten die ich für die Stadt bräuchte in eine kleine Tasche, nahm meinen Schlüssel und die Papiere in die andere Hand und verließ das Zimmer. Am vorigen Tag hatte ich mit Uriel abgesprochen, dass wir uns schon früh treffen würden da er noch ein paar Kleinigkeiten vorzubereiten hatte, die wohl seinen ganzen Nachmittag einspannen würden. Jedoch blieb mir noch immer fast eine Stunde Zeit und so spazierte ich ein bisschen durch den großen englischen Garten, welcher schon eher als weitläufiger Park durch ging. In der Ferne konnte ich eine kleine Ruine erkennen, ob diese jedoch echt oder eher künstlich angefertigt war, wusste ich nicht. Als ich einen kleinen Schwenk Richtung Westen nahm, gelangte ich an einen See welcher mit Seerosen überdeckt war und zu einem Drittel im Schatten einer Trauerweide lag. Es war ein ausgesprochen schöner Tag, warm, mit einer leichten Brise und klarem, azurblauem Himmel. Manchmal bildete ich mir sogar ein, schon das Meer riechen zu können. Als ich auf die Uhr blickte und erschrocken feststellte, dass ich in wenigen Minuten am Parkplatz der Schule sein sollte, machte ich mich zügig auf den Weg ohne nochmal die schöne Umgebung auf mich wirken zu lassen. Der mittelmäßig große Parkplatz, welcher sich Synapsen-förmig vor dem Schulportal ausbreitete, war nur gering besetzt da nur wenige Schüler schon ein eigenes Auto oder Motorrad besaßen und die Lehrer einen separaten Platz hatten, um ihr Gefährt abzustellen. Es war nahezu unmöglich, Uriel zu übersehen. Er überragte die wenigen Autos um einiges und lehnte lässig an seinem schwarz glänzenden Auto. Wenige Meter bevor ich vor ihm stand konnte ich es mir nicht mehr verkneifen.

„Du fährst nicht ernsthaft einen Escalade!?“, begrüßte ich ihn aufgedreht und fragte mich gleichzeitig, was wohl besser zu ihm gepasst hätte als DAS. Ich konnte nicht gerade behaupten, dass ich auch nur die kleinste Ahnung von Autos hatte. Jedoch hatte mir eine Cadillac-verrückte Bekannte einmal so viel davon vorgeschwärmt, dass ich inzwischen fähig war, sie von Anderen Autos bewusst zu unterscheiden.

Sichtlich stolz grinste er mich an.

„Guten Morgen Kleines. Scheinst ja schon sehr gut drauf zu sein?“, grollte er in seiner typischen Stimmlage und zerwuschelte mir mit seiner Hand die Haare.

„Mir geht es tatsächlich blendend, muss am Wetter liegen. Wie sieht es bei dir aus?“, fragte ich ihn und merkte, dass mir der Umgang mit dem Hünen schon viel leichter fiel und ich ihn immer mehr als einen Freund sah, anstatt eines lauten und freimütigen Muskelprotzes. Wobei das eine das Andere auch nicht wirklich ausschloss.

„Ich freue mich, dass ich dich beeindrucken konnte. Wie sieht´s aus, können wir starten?“, antwortete er lachend und ließ die Autoschlüssel um seinen Finger durch die Luft rotieren.

Begeistert nickte ich und setzte mich auf den ledernen Beifahrersitz, nachdem Uriel mir galant die Tür geöffnet hatte.

Auf der Fahrt in Richtung Stadt fragte er mich aus, wie meine erste Woche gewesen war und ob es mir, bezüglich dessen was mit und durch Darian geschehen war, schon wieder besser ging. Nachdem ich ihm wahrheitsmäßig geantwortet hatte, dass Darian andauernd und fortwährend undefinierbare Gefühlsregungen in mir auslöste, wann immer er sprach oder einfach nur da war, überlegte ich, ob ich ihn zur Versammlung ausfragen sollte. Zu verlieren hatte ich nichts. Und das ich etwas davon mitbekomme hatten die Beiden selber riskiert, in dem sie sich in dem Raum darüber unterhielten, in dem ich mich kurz zuvor noch mit Reika gesprochen hatte.

„Sag mal Uriel, kann ich dich was fragen?“, begann ich zögerlich, nach dem ich mich entschieden hatte.

„Alles was du willst Süße.“, antwortete er ohne seine Augen von der Straße abzuwenden. Unmerklich seufzte ich und legte mir gedanklich noch mal die Worte zurecht.

„Du und Reika, ihr habt euch über eine Versammlung unterhalten….Darf ich wissen worum es da geht? Tut mir leid, ich bin ziemlich neugierig.“

Den letzten Satz fügte ich erst einen Augenblick später nuschelnd hinzu. Als Uriel nichts entgegnete und auch keine Anstalten dazu machte, dachte ich zuerst, ich hätte einen Fehler gemacht. Doch noch ein paar Sekunden später seufzte er laut, was irgendwie seltsam klang da man jemandem wie ihm einfach kein Seufzen zutraute.

„Reika hat mich sozusagen schon vorgewarnt, dass du sehr neugierig bist. Zudem haben wir beide bereits geahnt, dass du wohl noch nicht geschlafen hast, als wir darüber redeten.“

Ich zog die Augenbraue hoch.

„Dann kann es ja nicht so überaus geheimnisvoll oder so sein, immerhin hättet ihr auch in einen anderen Raum gehen können, wo ich es mit Sicherheit hätte nicht mithören können.“, stellte ich fest.

„Ich war auch leicht perplex, als er mich in deiner Anwesenheit dazu gefragt hat. Aber Reika weiß was er tut und mittlerweile hat er mir auch erklärt, was er bezweckt. Jedenfalls, die Versammlung ist ein Treffen hochrangiger Inhuman, Sponsoren und Leiter unserer Schule und ihres Internats. Normalerweise findet diese Zusammenkunft einmal im Jahr statt, um die wichtigsten organisatorischen Dinge zu beraten und zu besprechen. Durch ein paar Vorkommnisse in diesem Jahr jedoch, ist der Kernpunkt ein wenig verschoben und verändert worden. Du wirst im Übrigen mit dabei sein.“

Ich schwieg um vielleicht noch zu hören, dass er sich gerade versprochen hatte oder ähnliches. Aber scheinbar meinte er es ernst, denn er wartete auf eine Antwort meinerseits.

„Ehm…ich werde was?!“

„Du hast schon richtig verstanden. An sich ist es nicht normal, dass ein Schüler an so einer Versammlung teilnehmen darf. Aber da eines dieser erwähnten Vorkommnisse nun mal auch dich einschließt, wurdest du mit eingeplant und es ist sogar deine Pflicht, teilzunehmen.“

Ich rollte mit den Augen. Und das teilte man mir nur einen Tag vorher mit?

„Die Versammlung findet übrigens heute Abend statt…“, ergänzte er nüchtern.

Okay. Mir wurde als nicht mal ein Tag gegönnt. Bevor ich noch etwas sagen konnte fuhr er an einem Ortseingangsschild vorbei und sagte mir, dass wir in wenigen Minuten da wären.

Wir hielten auf einem kleinen Parkplatz neben dem sich ein kleines Einkaufszentrum befand.

Vorsichtig schlug ich die Autotür hinter mir zu und sah mich um. Was ich von der kurzen Strecke, die wir innerhalb des Städtchens zurück gelegt hatten, gesehen hatte, ließ mich darauf schließen, dass wir uns in einer nicht allzu großen Hafenstadt befanden. Überall lag der Geruch des von mir geliebten Meeres in den kleinen Gassen und auf dem Weg zu dem Buchladen, der meine Exemplare anbieten sollte, sah ich viele kleine Cafés und süße Läden, welche allerlei handgefertigte Arbeiten anboten wie Flechtkörbe oder Töpferwaren. Zahlreiche barocke Profan- und Sakralbauten schmückten die gut erhaltene Altstadt und es gab keinen kleinen oder großen Platz ohne Springbrunnen oder Ginkobäume. Was mir ebenfalls auffiel waren die Menschen. Sie betrachteten uns nicht mit schrägen Blicken oder versuchten uns um Meter aus dem Weg zu gehen. Das war recht selten in Ortschaften, welche größer als so manches überdurchschnittliche Dorf waren.

Nachdem wir meine Bücher gekauft hatten, -der Buchhändler war ein hochgewachsener, aber sehr dürrer, alter Mann gewesen welcher mich die ganze Zeit argwöhnisch angestarrt hatte- bat ich Uriel darum, dass wir noch einen kurzen Abstecher zum Strand machen könnten. Breit grinsend willigte er ein, war jedoch, wie er lauthals preisgab, sichtlich enttäuscht, dass ich nicht vorhatte ins Wasser zu gehen. Das Meer hatte einen leichten Wellengang, doch noch nicht allzu stark, um Surfer raus zu locken. Möwen kreischten und irgendwo vermischten sich auch die begeisterten Schreie spielender Kinder dazu. Genießerisch sog ich den Geruch des Meeres tief ein und breitete die Arme aus. Meiner Meinung nach war der Ozean einer der wenigen Orte, an dem man das Gefühl vermittelt bekam, frei zu sein.

Anschließend kehrten wir zu Uriel´s Auto zurück, auch wenn ich gerne noch viel länger geblieben wäre. Auf der Rückfahrt redeten wir nicht ganz so viel und so bekam ich die Chance, mich in der Gegend durch die wir fuhren, ein wenig umzusehen. Die Straße durchkreuzte abwechselnd Raps- und Getreidefelder. Als wir an einem feuerroten Meer aus Mohnblumen vorbeifuhren, verschlug es mir für einen Moment den Atem. Warum war mir das noch nicht auf der Hinfahrt aufgefallen? Vor uns erstreckte sich das Hochgebirge, welches mit manchen Bergkuppen sogar noch Schnee vom vergangenen Winter zeigte.

Nach einer weiteren gefühlten halben Stunde fuhren wir auf den mit Rollsplit ausgelegten Parkplatz des Internats. Schweigend schnallte ich mich ab und stieg aus dem Escalade aus.

Nachdem Uriel es mir gleich getan hatte kam er zu mir und drückte mir einen Briefumschlag in die Hand, welcher schwer in der Hand wog.

„Keine Ahnung was da drin ist aber Reika bat mich, ihn dir zu geben.“, erklärte er und kratzte sich schulterzuckend am Hinterkopf. Dann breitete sich wieder das Grinsen auf seinem Gesicht aus.

„Ich werde jetzt noch meinen Kram erledigen. Wir treffen uns acht an der Schulpforte alles klar?“

Verwirrt sah ich ihn an und konnte nur nicken. Zufrieden, dass ich verstanden hatte, nickte er ebenfalls und wandte mir dann den Rücken zu, nicht ohne mir noch einmal dezente eindeutige Komplimente an den Kopf zu werfen.
 

Eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Zeitpunkt verließ ich mein Zimmer und begab mich langsam auf den Weg Richtung Pforte. Als Uriel mich allein hatte auf dem Parkplatz stehen lassen, hatte ich schnell entschieden, wieder in den Park zu gehen und dort ein wenig Entspannung zu suchen. Erst später war ich zum Pfarrhaus zurück gekehrt um zu duschen und meine Kleidung gegen etwas weniger Auffälliges zu wechseln. Meine Nervosität war von Minute zu Minute gestiegen und ich konnte keine Anderen Gedanken mehr fassen als die, was mich wohl bei der Versammlung erwarten würde. Mit dröhnendem Kopf und schnellen Schritten erreichte ich die Pforte bald und sah auch Uriel bereits dort stehen. Er hob die Hand zur Begrüßung und lächelte mich aufmunternd an.

„Tut mir leid, dass du damit vorhin so überrumpelt wurdest, es ließ sich leider nicht vermeiden. Du brauchst aber nicht beunruhigt zu sein. Es sind zwar ein Haufen reiche Schnösel da, aber die meisten von ihnen sind nur Arschkriecher die entweder Angst vor den Großen haben oder gar nicht erst die Klappe aufkriegen.“

Während wir die Treppenstufen zum Eingang hochgingen schluckte ich mehrmals.

„Und was ist mit den “Großen“? Ich mein, wenn Reika schon sagt, dass definitiv nichts schief gehen darf, dann muss doch irgendeine negative Reaktion zu befürchten sein, falls doch etwas schief laufen sollte, oder nicht?“, fragte ich zögerlich.

„Es wird nichts schief gehen, dafür haben wir schon gesorgt, mach dir darum keine Gedanken Süße.“, entgegnete er locker und klopfte mir aufmunternd auf den Rücken, was mich fast die Stufe hochwarf. Als wir in das Gebäude eintraten wunderte ich mich zuerst, warum es nur so spärlich beleuchtet war doch dann stieg mir der Geruch von Braten in die Nase.

„Ist jetzt noch Betrieb in der Küche oder willst du mir sagen, dass die feinen Herren hier schon durch gefüttert werden?“, schnaubte ich und Uriel lachte auf.

„Du sprichst schon wie ein langjähriges Internatsmitglied. Ja, es gibt oben auch Essen, an dem darfst du dich sogar auch bedienen.“, sagte er noch immer lachend.

„Na ich weiß ja nicht ob mir danach ist, zwischen den allen zu Essen. Ohnehin bin ich schon nervös genug, egal ob du meinst es sei nicht nötig oder nicht…Kommst du auch mit rein?“

Bei der Frage klang ich so hoffnungsvoll, dass ich schon fast wieder verlegen wurde und mich am liebsten selber die nächste Treppe runter getreten hätte.

„Ich werde auch mit reinkommen, ja. Die Versammlung an sich hat schon angefangen, wir werden erst ab einem bestimmten Zeitpunkt eingelassen. Aber ich sollte dich wahrscheinlich vorwarnen, Darian wird ebenfalls da sein.“

Na super. Warum hatte ich damit eigentlich nicht von Anfang an gerechnet? Schließlich war er der Schuldige an der ganzen Misere. Ich gab eine genervtes Geräusch von mir und schwieg den restliche Weg über. Wenigstens würde Uriel sich im gleichen Raum aufhalten. Das gab mir wenigstens ein wenig Sicherheit. Wir liefen einen langen Flur entlang und stiegen insgesamt drei Treppen auf. Somit fand die Versammlung also doch nicht, wie von mir vermutet, in dem großen Festsaal statt, sondern in mir noch unbekannten Räumlichkeiten, welche sich im obersten, dem Dachgeschoss befanden. Vor einer großen doppelseitigen Tür blieb Uriel stehen und ließ sich auf dem Boden nieder. Fragend blickte ich ihn an.

„Wir müssen noch ein bisschen warten. Jemand kommt dann und wird uns mit hinein begleiten.“, begründete er sein Verhalten und klopfte neben sich auf die Holzdielen.

Also setzte auch ich mich hin und versuchte, mit irgendeinem Interessantem Thema das herannahende Schweigen zwischen uns schon im Vornherein zu unterbinden. Mir fiel schnell etwas ein. Unsicher darüber, wie dünn die Wände hier oben waren, senkte ich meine Stimme lieber.

„Was wollte Elias eigentlich mit mir klären?“

Erstaunt blickte er mich an.

„Es überrascht mich, dass dir das ausgerechnet jetzt einfällt.“

„Tut es nicht, aber ich hielt andere Sachen für wichtiger und danach brauchte ich erst mal eine kleine Pause vom Denken. Also?“

„Ganz genau kann wohl nur er dir das sagen. Elias redet nicht immer von seinen Absichten, es sei denn er braucht Hilfe von uns. Er ist generell nicht sehr gesprächig, aber das wirst du ja schon gemerkt haben.“

Und wie.

„Ich hätte mal eine Frage an dich.“

Jetzt war es an mir, erstaunt zu sein. Er klang seltsam unsicher und das war wieder etwas, was nicht zu dem Uriel passte, wie ich ihn bis jetzt kennen gelernt hatte.

„Immer raus damit.“

„Das, was damals passiert ist…also mit deinen Freunden. Wodurch wurde es ausgelöstß“

Ich zuckte zusammen. So genau wusste er davon? Blieb denn keinem mehr meine Vergangenheit verborgen? Dafür würde ich Darian definitiv eines Tages eine reinhauen, mindestens.

Aber das brachte mich im Moment auch nicht weiter. Wenn Uriel schon so weit Bescheid wusste, dann konnte ich ihm auch ruhig diesen Punkt verraten.

„Es war ein bösartiger Zodiac.“, gab ich knapp von mir und sah aus dem Augenwinkel wie Uriel den Blick erst senkte, dann aber nickte.

„Deswegen diese Reaktion, als du Elias gerochen hast.“

„Ja.“

Während er versuchte die richtigen Worte zu finden schwieg ich und spielte an der Kordel meiner Kapuze herum. Unweigerlich erinnerte ich mich an das Gesicht des Zodiac´s, der mich in den Wahnsinn und den anschließenden Blutrausch gestürzt hatte. Diese entstellte Fratze mir all ihren Narben, welche mich grinsend angesehen hatte, während immer mehr Blut an meinen Fingern klebte. Dieses verdammte Gesicht, welches durch meine Vorfahren zerfetzt und wieder zusammengefügt wurde. Diese Visage einer armen Kreatur, die sich in den Kopf gesetzt hatte sich für das, was ihr angetan wurde, an mir zu rächen. Plötzlich hörte ich ein leises Scharren, wie vo Pfoten. Es verstummte aber so schnell, dass ich dachte, ich hätte es mir eingebildet.

„Es ist schwer…beziehungsweise fast unmöglich, nach so etwas wieder zu Frieden zu finden, nicht wahr?“

Auch wenn ich wusste, dass er aus eigener Erfahrung sprach, lachte ich trocken auf. Unmöglich Frieden zu finden? Es war schon ein Ding der absoluten Unmöglichkeit, überhaupt die Bedeutung des Wortes wieder zu finden.

„Frieden ist eine fragile Glaskugel in den Händen eines Barbaren, Uriel. Das solltest du wissen.“

Ich schreckte so sehr auf, dass ich meinen Kopf an der massiven Türangel anstieß. Auch Uriel zuckte vor der Stimme zusammen, deren Besitzerin wie aus dem Nichts vor uns aufgetaucht war.

„Verdammt noch mal Jasmen, musst du dich immer so anschleichen?!!“, fluchte er und stand auf.

Währenddessen spürte ich einen heißen Atem direkt neben mir und drehte vorsichtig und mit rasendem Herz meinen Kopf in die Richtung des Atems. Und blickte direkt in ein paar Augen.

Nach weiteren Schrecksekunden erkannte ich, dass es ein Hund war. Einer von Dreien um genau zu sein. Es waren drei Boxer, die anderen Beiden standen jedoch im Schatten des Mädchens, weswegen ich ihr genaues Aussehen nicht ausmachen konnte. Der, der vor mir stand war ein schwarz-weiß Farbendes Tier welches keinerlei Anstalten machte, auch nur einen Zentimeter von mir zu weichen. Langsam wandte ich mich wieder dem Mädchen zu welches mich mit kühlem Blick ansah. Es schien, als würden die Schatten ihre Augen zweifarbig erscheinen lassen. Oder waren sie es wirklich? Ich war nicht wirklich erpicht darauf, ihr dafür länger als nötig in die Augen zu starren.

„Was macht das Mädchen hier Uriel? Du weißt genau, dass du deine Weiber nicht überall mit hinschleppen sollst. Schon gar nicht zu der Versammlung dieser ganzen Noobs.“, sprach sie mit leiser, rauer Stimme und ignorierte Uriel´s Frage. Sie war komplett in Schwarz gekleidet, von den schweren Stiefeln über die weite Hose bis zu der Jacke, deren hochgeschlagener und weiter Kragen ihr Gesicht fast bis über den Mund bedeckten. Den einzigen Kontrast zu dem ganzen Dunkel bildeten ihre roten Haare. Und die Augen.

„Das ist das Mädchen, von dem ich dir erzählt habe. Sie wird heute auch an der Versammlung teilnehmen, bezüglich des Vorfalls.“, begründete er sachlich und zog mich vorsichtig auf die Füße.

Jasmen, falls ich mir ihren Namen richtig mitbekommen hatte, zog die Augenbraue hoch.

„Jill Hazel? Dann bist du also die, von der dieser seltendämliche Idiot nicht die Flossen lassen konnte?“

Während sie sprach sah ich, dass ihr Gebiss anders geformt war, als gewöhnliche Gebisse. Schon fast hundeähnliche Zähne blitzten hervor, sobald sie den Mund öffnete.

„Sie meint Darian.“, klärte Uriel mich unnötigerweise auf und ich nicke bejahend.

„Und, könntest du dir irgendwann mal angewöhnen, deine Drei richtig anzuleinen? Taifun starrt Jill immer noch an, als wäre sie ein übergroßes Kotelett…“

Schockiert reiße ich meinen Kopf zu ihm herum. Das war nun wirklich nicht sehr beruhigend. Mal ganz davon abgesehen, dass ich sowieso gerade etwas….von der Rolle war.

„Ich entscheide immer noch selber, wann ich meine Babys an die Leine nehme. Und wenn er sie hätte beißen wollen, dann hätte er es schon lange getan.“, entgegnete sie noch leiser, was sie irgendwie noch bedrohlicher machte.

Mein Herz sackte in die Hose, als sich die Tür hinter uns öffnete und Reika auf den Flur trat.

Am liebsten hätte ich mich auf ihn gestürzt oder hinter ihm versteckt. Auf jeden Fall war ich schon lange nicht mehr so erleichtert gewesen, jemand unerwartet dazu kommen zu sehen.

Wie immer lächelte er freundlich.

„Hallo ihr drei. Seit ihr soweit?“

Dann war Reika also derjenige, der uns in die Versammlung holte. Und anscheinend sollte das Mädchen mit den Hunden auch daran teilnehmen. Ich würde wohl mindestens ein paar Wochen Urlaub brauchen, um mich von diesem Abend zu erholen.

„Ah, Jasmen, entschuldige bitte nochmal, dass wir dir neulich mit Darian solche Umstände gemacht haben.“, wandte sich Reika an sie.

„Er wird es sich nicht nochmal so schnell erlauben.“

Uriel schnaubte.

Der Bedeutung dieser Worte nicht wirklich unbewusst wurde mir klar, dass sie wohl diejenige war, von der Reika und Uriel gesprochen hatten als es um Darian´s Zustand ging.

Noch bevor ich weitere Gedanken daran geben konnte, bat Reika uns durch die Tür.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  trash-troll
2010-10-18T20:18:37+00:00 18.10.2010 22:18
WAaaai, Wieder ein tolles Kapitel *~*
vor allem weil Darian immer böser wird *___* <:3 - fehlt nur noch das die Beiden sich ewige Rache schwören weil Jill ihre "Schüchternheit" überwindet und ihm eine Reinhaut oder so xD Sag nich er ist irgendwie sadist oder so xDD
Kritik ? Noja, kritisieren kann ich eigentlich nix * auch nich will* xD
wenn ich was kritisieren müsste dann das die so langsam publisht werden *___* .
EDIT: Wunderbar, es wird immer spannender ♥ Ich freue mich schon auf unerwartete twist's n' turns und auf viel dramatisch-ästhetische action! *~* ♥ <3


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