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Shadowwalkers II

Kampf und Flucht
von

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Ashleys Entscheidung

Es war bereits weit nach Mitternacht, als Ashley immer noch wach lag und versuchte Klarheit in ihre Gedanken zu bringen. Neben ihr lag Lily, ihren Kopf auf ihrer Schulter ruhend und ruhig vor sich hin schlafend. Wie sie es schaffte, so ruhig nach einem solchen Tag schlafen zu können, war Ashley ein absolutes Rätsel.

Doch das war nur eine von vielen Dingen, die sie nun beschäftigen. Und so starrte sie verloren an die Zimmerdecke des kleinen Schlafraumes im Versteck von Sams Außenseitern. Trinity hatte ihren Schlafplatz wohl wissend schon vorher geräumt und ihn Lily überlassen. Wo Sam sie dann untergebracht hatte, wusste Ashley nicht. Sie hatte nicht die Gelegenheit gehabt, danach zu fragen.

Sie kamen hier an, nachdem es bereits begonnen hatte, zu dunkeln. Daniel hatte sie sofort zu Sam und Colin gebracht, der Ashley unter ziemlich bohrenden Blicken seitens Lily in die Arme schloss. Doch Ashley teilte seine und Colins Wiedersehensfreude nicht im Mindesten. Zu sehr waren ihre Gedanken damit beschäftigt, sich um das zu drehen, was sie immer noch in ihrer Tasche verstaut hatte.

Und so ging es auch Lily und Trinity. Lily machte ein Gesicht, als wolle sie im nächsten Moment jemandem an den Hals gehen (Sam war sehr nahe dran, ihr Opfer zu werden, als er Ashley umarmte), Trinity war ungewöhnlich wortkarg und ruhig. Sam entging dies aber nicht, auf seine Nachfrage hin, hatte alle drei Frauen erstmal geschwiegen. Trinity wandte ihren Blick zu Ashley, Ashley konnte nur Lily Hilfe suchend anstarren und Lily entschied sich, dass das Fenster hinter Sam viel interessanter war.

Schließlich hatte Ashley widerwillig den Mut aufgebracht, ihm zu erzählen, was sie aus der Stadt geholt hatte, wie sie es vor Monaten versteckt hatte und es geheim gehalten hatte, in der Hoffnung, dass das Manuskript vielleicht für immer verschollen bleiben würde.

Sam und Colin hatten ihr zugehört und sie nicht einmal durch eine Frage unterbrochen. Als sie mit ihrer Erzählung geendet hatte, herrschte wieder Stille. Colin war schließlich der, der diese wieder durchbrach, als er nach einigen Minuten fragte: "Und was hast du jetzt vor?" Ashley hatte ihn verständnislos gemustert. Er wollte von ihr wissen, was sie vorhatte. Sie hatte eigentlich gehofft, sie würden ihr nur sagen, was sie mit dem Manuskript vorhatten.

Sam schien das verstanden zu haben und fügte nach einer Weile, in der Ashley nicht antwortete hinzu: "Du hast es gefunden, also wirst du entscheiden, was damit geschehen soll." Ashley hatte ihn daraufhin gefragt: "Und wenn ich entscheide, dass ich es verbrennen und nie wieder darüber reden will? Ist euch das auch recht?" Sam hatte sich zurück gelehnt und genickt, bevor er antwortete: "Du warst bestimmt es zu finden und es vor den Dämonen und den Schattengängern in Sicherheit zu bringen - obwohl du wohl eine der wenigen bist, die es eigentlich nicht haben wollte - dann bist auch du dafür vorgesehen, zu entscheiden, was damit geschehen soll. Selbst wenn du es einfach nur vernichten willst."

Ashley hatte wieder versucht, Hilfe bei Lily zu suchen. Doch obwohl diese zumindest nicht mehr sinnlos zum Fenster rausstarrte, war ihr Blick leer und ausdruckslos. Warum versuch ich von ihr eine Reaktion zu bekommen? fragte sie sich selbst. Ich weiß doch ganz genau, was sie will, dass ich damit mache! Aber Ashley wusste, dass es nicht richtig war, das Manuskript zu zerstören oder wieder verschwinden zu lassen. Dieser Gedanke fühlte sich - für sie zumindest - nicht richtig an.

Eine Möglichkeit wäre es, Sam das Schriftstück zu überlassen. Sollte doch er damit anfangen was er wollte und es nutzen, um sich gegen die Dämonen, Unterweltler und Schattengänger - deren Zorn er sich mit Lilys Befreiung zweifelsohne zugezogen hatte - zur Wehr zu setzten. Doch auch das schien ihr nicht richtig.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte und auch nicht was sie eigentlich damit machen wollte! Schließlich hatte Colin vorgeschlagen: "Vielleicht solltest du einfach eine Weile darüber nachdenken, ein paar Nächte darüber schlafen. Du hast alle Zeit der Welt und hier seid ihr erstmal sicher." Sam hatte ihm zugestimmt und Ashley hatte durch stummes Nicken ihr Einverständnis gegeben.

Danach hatte Colin sie und Lily zu ihrem Zimmer gebracht. Trinity war bei Sam geblieben um noch etwas zu besprechen. Ashley hatte versucht Lily in ein Gespräch zu verwickeln, als sie allein waren, doch Lily war sehr wortkarg gewesen. Sie hatte auf dem Bett wie ein Häufchen Elend gesessen und den Rucksack auf der Couch gegenüber angestarrt. Schließlich hatte Ashley sich entschieden, dass Reden nicht gerade den Effekt hatte, den sie gehofft hatte zu erzielen. Also hatte sie sich zu ihr auf die Couch gesetzt und sich an sie geschmiegt.

Nach einer Weile hatte Lily sie in den Arm genommen und ihr einen sanften Kuss auf die Wange gegeben. Ashley hatte den Kuss erwidert und wenig später hatte sie Lilys ungeteilte Aufmerksamkeit zwar nicht mit Worten, aber mit Gesten erreicht. Doch nun - Stunden später - lag sie noch wach und Lily schlief wie ein Stein. Wenn sie jetzt noch anfängt zu schnarchen, werde ich sie umbringen! dachte Ashley mit einer Prise Galgenhumor.

Doch selbst das lenkte sie nicht ab, ihre Gedanken und ihr Blick wanderten immer wieder zu der Tasche auf der Couch und zu ihrem Inhalt, der ihr diese schlaflose Nacht verschaffte. Ashley schloss die Augen. Warum um alles in der Welt sollte sie entscheiden, was mit dem Gegenstand passiert, der die Antwort auf die wichtigsten Fragen geben würde?

Es wäre das einfachste, es einfach weg zu geben, die ganze Angelegenheit hinter sich zu lassen. Warum hatte sie es dann aber als so wichtig empfunden, dass sie selbst den Rücksack vom Bahnhof holte. Sie hätte Trinity oder Sam davon erzählen können und die hätten jemanden geschickt, der es unauffälliger als sie selbst hätte holen können. Aber es war ihr nicht richtig vorgekommen.

Isaac hatte ihr klar machen wollen, dass sie allein für dieses Schriftstück bestimmt war. Also konnte sie es nicht einfach weggeben und dann so tun, als würde es sie nichts angehen. Ebenso war es keine Option, das Manuskript einfach zu zerstören. Dafür hätte sie es auch nicht hier her bringen müssen. Also blieb ihr nur eine Möglichkeit und die würde Lily ganz und gar nicht passen. Aber wie konnte sie sich für etwas entscheiden, wenn das bedeuten würde, dass sie jemandem, den sie liebte so wehtun würde?

Ashley schlug die Augen auf und sog wütend die Luft ein. Sie war an einem Punkt, an dem sie keine Lust mehr hatte, Rücksicht oder Angst den Vortritt zu machen. Leise und vorsichtig schälte sie sich aus dem Bett und befreite sich von Lily und der Bettdecke. Ein leichtes Frösteln trieb ihr die Gänsehaut auf Arme, Beine und Rücken. Da Ashley nur ein Shirt trug, griff sie nach ihrer Jeans, die am Boden lag und schlüpfte hinein. Dann trat sie an die Couch heran und fixierte ihre Tasche.

Doch sie zögerte. Wenn sie sich jetzt dafür entschied, dann gab es kein Zurück mehr. Sie konnte dann nicht einfach so tun, als wäre es nie geschehen. Ratlos fuhr sie sich mit beiden Händen durch die Haare. "Für alles gibt es den richtigen Zeitpunkt." murmelte sie fast geräuschlos. Es war Isaacs Botschaft an sie gewesen. Instinktiv griff ihre rechte Hand nun nach dem Rucksack. Doch bevor sie ihn öffnen konnte, schreckte sie auf.

Die Nachttischlampe war aufgeflammt. Ashley hatte sich umgedreht und Lily sitzend im Bett gesehen. Die rieb sich kurz die Augen und lehnte sich an die Wand zurück. Ashley sah sie traurig an. Sie wusste, dass Lily genau erkannt hatte, was sie gerade im Begriff gewesen war zu tun. Doch Lily ging darauf erstmal nicht ein. Stattdessen fragte sie: "Wer hat dir das gesagt?" Ashley blinzelte verständnislos und fragte: "Wer hat mir was gesagt?"

Lily zog die Decke hoch - auch sie fror, denn im Gegensatz zu Ashley hatte sie darunter nichts mehr an. Sie erwiderte: "Dass es für alles den richtigen Zeitpunkt gibt. Das meinte ich. Wer hat dir das gesagt?" Ashley legte die Stirn in Falten: "Wie kommst du darauf, dass mir das jemand gesagt hat?" Lily zuckte die Schultern und meinte: "Sam erzählte mir, dass du in deinem Brief angedeutet hast, dass es jemanden gibt, der dir gut zugeredet hat, der dich dazu gebracht hat, den Versuch zu starten mich zu retten. Und dich wahrscheinlich auch überzeugt hat, das Manuskript zu holen. Also?"

Ashley war sprachlos. Nicht nur, dass Sam da völlig richtig lag, sondern auch weil er seinen Verdacht mit Lily geteilt hatte und obendrein war es das erste Mal, dass Lily so ruhig und gelassen über das Manuskript geredet hatte. Hätte ich das gewusst, dachte sie, hätte ich sie zuerst flachgelegt und ihr dann davon erzählt. Vielleicht wäre das dann besser angekommen.

Schließlich beschloss sie, Lily in ihr letztes Geheimnis einzuweihen. Sie setzte sich zu ihr an den Rand des Bettes und begann zu erzählen: "Nachdem ich... auf mich geschossen hatte und bewusstlos war, habe ich geträumt. Zumindest dachte ich bis vor kurzem, dass es das war." Sie machte eine Pause und versuchte in Lily zu lesen. Die nahm ihre Hand in ihre und drückte sie sanft, um ihr Mut zu machen. Also fuhr Ashley fort.

"Ein Mann ist mir erschienen, nachdem ich..." sie tippte nur mit einem Finger gegen ihre Narbe, genug um Lily begreiflich zu machen, was sie meinte und fuhr dann fort: "Er hat mich vor die Wahl gestellt, leben oder sterben. Er meinte, wenn ich von meiner eigenen Entscheidung überzeugt bin, dann würde das auch eintreffen und - das ist es auch." Lily legte den Kopf schief: "Und er hat dich davon überzeugt diese halsbrecherische Aktion zu bringen?" fragte sie.

Ashley schüttelte den Kopf. "Nicht sofort. Ich habe ihn danach noch ein paar Mal gesehen. Er hat mir geholfen, mir Mut gemacht, und er hat mir gesagt, dass es für alle Dinge den richtigen Zeitpunkt gibt."

Lily ließ diese Erklärung auf sich wirken, schien darüber nach zu denken. Dann setzte sie sich auf und flüsterte: "Hat er dir seinen Namen verraten?" Ashley schien im ersten Moment darüber nachdenken zu müssen, doch sein Namen war ihr genauso schnell in den Sinn gekommen, wie ihre eigene Telefonnummer. "Er sagte, sein Name sei Isaac."

Einen Augenblick lang hatte Lily einen seltsam erschrocken Ausdruck in den Augen. Doch es ging so schnell vorüber, dass Ashley sich nicht sicher war, ob es Einbildung bedingt durch ihren Schlafmangel war. Lily schluckte und zog Ashley sanft aufs Bett in eine Umarmung. Zuerst dachte Ashley, sie hätte es getan, um ihr Trost zu spenden, doch die Art und Weise, wie Lily sie im Arm hielt, ließ eher vermuten, dass Lily den Trost in dem Moment mehr brauchte, als Ashley.

Schließlich löste Lily die Umarmung und gab Ashley einen Kuss auf die Stirn: "Und du denkst, dass er Recht hat, dass du das Manuskript öffnen und lesen sollst?" Ashley dachte einen Moment darüber nach und antwortete dann: "Ich denke, wenn es nicht so wäre, dann hätte ich mich damals dafür entschieden zu sterben. Dann wäre es auch nie gefunden worden. Und wofür sonst sollte es gefunden werden, wenn nicht um es auch zu nutzen?"

Lily lächelte gequält, Ashley sah deutlich, dass etwas in ihr mit ihr zu kämpfen schien. "Dann solltest du es tun." röchelte sie mit tränenerstickter Stimmen. Ashley sah ihre Tränen, die in ihren Augenwinkeln standen. "Ich will es nicht tun, wenn es dir so großen Kummer bereitet!" antwortete sie und gab ihr einen Kuss. Lily umamte sie wieder und erwiderte den Kuss. Einen Augenblick lang verloren sich beide ineinander. Ashley ließ los - vertagte innerlich ihre Entscheidung erneut - aber Lily stoppte sie abrupt.

"Würdest du es wegwerfen und nie wieder aufheben, wenn ich dich darum bitte?" fragte Lily mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme. Ashley schloss die Augen. Sie hatte erkannt, was Lily mit dieser Frage bezwecken wollte. Lily hatte Ashleys Entscheidung bereits akzeptiert. "Ich würde es tun," antwortete Ashley langsam, "aber die Frage ist, ob du mich wirklich darum bitten würdest?"

Lily schüttelte den Kopf, Tränen liefen über ihre Wangen, als sie flüsterte: "Dann hol deine Tasche, nimm es raus, öffne es und lies es." Ashley gelang es nur eine Frage zu stellen, auch ihr standen nun Tränen in den Augen, sie wusste wie schwer es für Lily war: "Wieso?" Lily zog sie an sie und schmiegte ihre Stirn an Ashleys'. "Weil du deine Entscheidung getroffen hast. Ich will nicht der Grund dafür sein, dass du ihr nicht folgen kannst. Ich liebe dich und ich denke zum ersten Mal in meinem Leben kann ich etwas tun, was nicht im Mindesten meinem eigenen Vorteil dient und selbstsüchtig ist. Und ich kann es für dich tun, für den einzigen Menschen, den ich je geliebt habe und jemals lieben werde."

Ashley unterdrückte ein tränenersticktes Schluchzen. Es war eine einzigartige Erklärung seitens Lily. Sie hatte ihr gerade mehr gegeben, als nur ihr Einverständnis. Sie hatte ihr ihr Herz gegeben und Ashley, deren größte Angst, dass sie es wegen ihr brechen könnte, gewesen war, nahm dieses Geschenk an. Doch im Moment wollte sie nichts mehr, als Lily im Arm zu halten und von ihr gehalten zu werden.

Lily lachte spöttisch unter ihren Tränen auf und stand plötzlich auf. Ashley war so erschrocken, dass sie zusammenzuckte. "Na los, du kleiner Feigling!" sagte sie und griff - nachdem sie sich in die Decke gehüllt hatte - nach dem Rucksack und reichte ihn Ashley. "Wir lesen es gemeinsam." Ashley konnte sie nur ansehen und zum ersten Mal in ihrem ganzen Leben sah sie Lily bewusst - ein Erzdämon mit einem einzigartigen Herzen.

"Ich liebe dich." flüsterte sie und setzte sich dann neben Lily und packte das Manuskript vorsichtig auf. Sie öffnete vorsichtig die jahrhundertealte Schriftrolle und begann dann laut vor zu lesen, während Lily ihren Arm um ihre Schulter legte, ihren Kopf an Ashleys Schulter schmiegte und leise mitlas.



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