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Werbepause

Das seichte Plätschern der elektronischen Klaviermusik, die das Fallen runder, großer, „makelloser“ Kaffeebohnen begleitet, leitet im selben Moment auch die Werbepause ein. Schon wieder?

Mirko will nach der Fernbedienung greifen, das erkenne ich, doch der Gedanke, die folgenden acht Minuten mit sinnlosem Herumgezappe zu verbringen, lässt mich schaudern und ich bemühe mich, ihm zuvor zu kommen. Und ich schaffe es auch; mühsam unterdrücke ich ein hämisches Lachen. Mirko lehnt sich zurück, und obwohl er versucht, sich selbst den Anschein absoluter Ruhe zu geben, erkenne ich am Muskelspiel seines Kiefers, dass er wütend ist. Genüsslich schalte ich den Ton ab und starre auf die sich nun lautlos entfaltenden Bilder; inzwischen flackert ein Baby auf dunkelblauer Decke über den Bildschirm. Mirko schnaubt verächtlich und greift nach der Chipstüte.

Sein lautes Knuspern begleitet den Auftritt von Schafen, die gegen einen Bindenrand laufen; was von beidem nun stupider ist, kann ich nicht sagen. In der Stille klingt so oder so alles merkwürdig laut, vor allem sein Snack, deswegen muss ich mich eigentlich für ihn entscheiden. Fast bin ich froh über das Klavierspiel Frau Borowskis, unsere Nachbarin, einer Ärztin, die scheinbar jede freie Minute am Instrument verbringt und mich damit regelmäßig in den Wahnsinn treibt.

Wie gesagt: Fast.

Und wieder muss ich mich fragen, ob die alte Frau denn keinen anderen Lebensinhalt hat; soweit ich weiß ist sie mit einem Griechen verheiratet und hat drei oder vier Kinder, von denen mindestens zwei noch in ihrem Haus wohnen. Und trotzdem spielt sie gefühlte siebzig Stunden in der Woche, immer spät, immer nach Feierabend; das muss ihr doch irgendwann langweilig werden?

Mirko langt noch einmal geräuschvoll in die Tüte, bevor er sie auf den Tisch wirft und nach seinem Bier greift. Ein bisschen wie ein Assi, fällt mir nicht zum ersten Mal auf, und wieder bin ich froh, dass niemand außer mir ihn so sieht. Kleine Bratzen werben unterdessen für Kinderschokolade, und ich habe Lust, mir selbst etwas aus dem Schrank zu holen. Aber dafür muss ich die Treppe hinuntersteigen, und ich habe heute endlich mal die große Couch für mich – das zu riskieren ist mir ein Schokoriegel nicht wert. Wie lang kann so eine Werbeunterbrechung eigentlich dauern? Das müssen doch mindestens acht Minuten gewesen sein, oder? Aber über den Bildschirm läuft ein verboten gut aussehender Mann, der dem Zuschauer tonlos irgendetwas erzählt; wenn ich mich richtig erinnere, geht es in dem Spot um eine Versicherung. Erotisch…

Mirko kratzt sich an der Nase. Das kann ich zwar nicht sehen, weil mein Blick noch immer auf den Bildschirm gerichtet ist, aber hören; außerdem kenne ich ihn inzwischen gut genug. Das ist irgendwie ekelig. Gleich wird er sich bestimmt wieder Reste aus den Zähnen puhlen – immer wenn er das macht, habe ich das Gefühl, gleich kotzen gehen zu müssen. Die Frau im Fernsehen hat das Problem offensichtlich nicht, so debil grinsend wie sie das Waschmittel in die Kamera hält… Aber vermutlich sollte ich froh darüber sein, das Mirko nicht über irgendwelchen Mist redet, das macht er nämlich gerne in den Werbepausen, wenn er nicht gerade zappt. Das Fernsehen bekommt ihm gar nicht gut, und zwar nicht nur seinem Charakter, sondern auch seiner Physis; gerade jetzt fällt mir der Ansatz eines Bäuchleins auf, den er vor einigen Wochen mit Sicherheit noch nicht gehabt hat.

Frau Borowski spielt noch immer, und der Fernseher zeigt kleine Bakterien, die sich vor dem heldenhaften Toilettenreiniger fürchten.

Meine Güte, klüger wird die Werbung aber auch nicht! Es folgen drei Spots für diverse Verdauungsprobleme und ich muss mich schon darüber wundern, wie besessen meine Gesellschaft davon ist…

Mirko krault inzwischen selbstverliebt die Haare auf seinem Bein, die er durchaus mal wachsen könnte. Aber nein, das würde dem allabendlichen Bild ja den Eindruck totalen Verfalls nehmen.
 

Die Werbung für einen Fertigkaffee, die ich ziemlich gut gemacht finde, beginnt, und ich bin fast versucht, den Ton wieder einzuschalten, denn der gehört irgendwie dazu. Aber dann stelle ich mir vor, was Mirko dazu sagen wird, und lasse es sein. Endlich beginnt danach aber die senderinterne Vorschau, und ich schalte den Ton wieder an. Na endlich, wurde aber auch Zeit! Das waren mit absoluter Sicherheit mehr als acht Minuten, die Sender werden auch immer dreister…

Dann, nach all der Werbung, Vorschau und Eventlobpreisung läuft einer Wiederholung der letzten Szene. Ich lehne mich zurück und strecke die Beine aus, während Mirko sich die Chipstüte wieder schnappt.

Und weiter geht's.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Veroko
2010-11-04T23:00:39+00:00 05.11.2010 00:00
Das ist mal was anderes. Ich find die Geschichte inhaltlich nicht so überragend, das liegt aber wohl daran, dass ich jeden Punkt schon selbst erleben durfte und wie die Protagonistin nicht genossen habe.

Abe dafür kannst du ja nichts.

Von der Idee her ist die Story mal was neues, was ich persönlich noch nicht in dieser Weise gelesen habe. Du hast das Talent, Sachen niederzuschreiben, über die andere nicht mal reden wollen. Und das nicht langweilig oder möchtegernkritisch, sondern zum Schmunzeln und Nachdenken.
So auch diese Geschichte, find ich gut... bis auf meine persönliche Abneigung =)

Liebe Schreibziehergrüße
Laurel
Von: abgemeldet
2010-09-20T15:25:56+00:00 20.09.2010 17:25
Hallo,
Oho, du bist ja fast fertig mit den zehn Kapitel, gratuliere!
Übrigens, bei der Vorstellung des Kapitels "Werbepause" fehlt dir die Acht.

Wie SakuraEclipse13 schon schrieb, ist dieses Kapitel eine sehr schöne Momentaufnahme, die jeder in diesen Breitengraden wohl so oder so ähnlich schon erlebt haben dürfte.
Besonders amüsant finde ich es ja, dass mir zu jeder deiner beschriebenden Werbungen gleich eine einfiel, die du vielleicht meinen könntest, und die mir allesamt auf den Sender gehen.

Außerdem mag ich es, wie du diese Pause darstellst. Man sieht einen Film, eine Serie, was auch immer, und mit ein wenig Glück ist es spannend. Man konzentriert sich eventuell voll und ganz auf den Fernseher, doch kaum beginnt die Werbung ist der Bann gebrochen und einem gehen dutzende Dinge durch den Kopf, oft vollkommen banale Dinge, oder plötzliche Erkenntnisse die vorbei rasen und zwischendurch nett winken.

Nein, spannend ist dein Kapitel nicht. Aber dafür wahr.

Liebe Schreibziehergrüße
Polaris
Von:  SakuraEclipse13
2010-07-28T14:24:36+00:00 28.07.2010 16:24
Hey^^

Schon der erste Satz hat mich zum Schmunzeln verleitet.
Schließlich kenn ich dieses Gefühl zugenüge; Was, schon wieder eine Werbepause?
Und auch der Kampf um die Fernbedienung, eine Szene, die sich wohl tausendfach in Wohnzimmern abspielt xD
Sehr schön finde ich auch die Verknüpfung der verschiedenen Gedankengänge (sei es die Klavierspielende Nachbarin, oder der Drang nach Schokolade, der mit dem Verlust der Couch geendet hätte) mit den laufenden Werbespots. Sowie auch die Geräusche des knuspernden-Nasekratzenden-Freundes nebenbei ;-)

Eine schöne Momentaufnahme, die glatt selbst eine Werbepause füllen kann (allerdings um ein vielfaches inspirierender als ein Werbespot ^-^)

Herzlichste Grüße
SakuraEclipse13

[KFF]


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