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Sieben Siegel

von

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Flederling

Das erste Kapitel
 

Wer denkt, dass es Nachts stockfinster ist, hat aber mal gewaltig geschnitten. Es ist erstaunlich, wie viel Licht ein kleiner Mond und ein paar armselige Sternlein geben können, doch für Miss Willets reichte es völlig aus.
 

Sie schlich die große Treppe in der Haupthalle hinunter. Sicher an ihre schmale Brust gedrückt hatte sie „Sprüche und Zauber für alle Lebenslagen – Band 1“. Auch wenn es gegen den Eid ging, den sie geschworen hatte, würde sie die Schwarte dem Verursacher des nächtlichen Geräusches um die Ohren hauen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie dieses rechthaberische Lehrbuch sowieso nie leiden können. Bibliothekarinenehre hin oder her.
 

Miss Willets horchte auf, als sich das Geräusch, dass sie aus dem Schlaf gerissen hatte, wiederholte. Eine Art Rascheln, nur bedeutend lauter. Als würde jemand versuchen ein verdammt dickes Buch zu zerreißen. Sie meinte es aus der Abteilung „Angewandte Gravitation“ gehört zu haben und tastete sich mit einer Hand an den Regalreihen in die entsprechende Richtung.
 

Jetzt hätte sie sich doch ein wenig mehr Licht gewünscht.

Das erledigte sich jedoch recht schnell von selbst, als Miss Willets den Gang H-L einbog und beinahe erblindete.

Das Rascheln hatte aufgehört und nun war ihr auch klar wo es hergekommen war. Im Mittelpunkt eines Strahlenkranzes schwebte ein Buch. Kein gewöhnliches. Noch nicht mal in dieser Bibliothek. Keins der Bücher die hier lebten schwoll für gewöhnlich auf beängstigende Größe an um dann zu explodieren, wie es dieses Buch tat.
 

Miss Willets wurde von der Druckwelle nach hinten geschleudert und verlor auf dem kurzen Flug ihren Waffenwälzer, da sie schützend die Arme vors Gesicht gerissen hatte. Sie prallte am Regal ab und blieb einen kurzen Moment benommen liegen. Doch dann nahm sie eine Bewegung aus den Augenwinkeln war und kam mit beachtlichem Tempo wieder auf die Beine.
 

Den Morgenmantel am Kragen zusammengerafft, die Augen zu schmalen Schlitzen gekniffen. Nicht gerade das Bild einer Rachegöttin.

„Besuchern ist Magie in diesem Gebäude nicht gestattet!“ zischte Miss Willets die Gestalt, die das Buch ausgespuckt hatte an. Diese wimmerte nur. Das plötzliche Leuchten hatte Nachtsicht der Bibliothekarin nicht gerade verbessert und so dauerte es ein wenig, bevor sie des Wesen erkennen konnte.

„Ach du Scheiße.“ murmelte sie tonlos, als es schließlich soweit war. und verstieß damit katastrophal gegen ihre eigene Regel nicht zu fluchen.
 

Das Wesen war grau. Nicht das Bei-Nacht-Sind-Alle-Katzen-Grau-Grau sondern ein leichiges Zombie-Grau. Mal ganz abgesehen von den Flügeln. Fledermausaritg, hauchdünn. Man konnte gegen das Mondlicht die Adern durchscheinen sehen.

Es rollte ein wenig auf dem Parkett herum und brummelte unwillig.

Miss Willets erkannte lange, schwarze Haare und Kriegerkleidung. Und eine Menge Ärger am Horizont. Sie seufzte und begann den Besucher vorsichtig zu entwaffnen. Sie hatte die Sprüche zurückgeholt und hielt sie im Anschlag während sie das Wesen um recht viel Metal erleichterte.
 

Der Eindringling erwachte als Miss Willets gerade den letzten Band von der Abenteuerromanreihe um Prinz Punning über dem Kopf des Geflügelten in Position brachte.

Stöhnend setzte das Wesen sich auf.

„Wer bist du?“ fragte Miss Willets leicht säuerlich. Sie hatte festgestellt, dass die Magie zwar keine größeren Schäden hinterlassen hatte, aber die Bücher in der Umgebung nun vor Angst zitterten.

So etwas machte sie immer wütend.
 

Sie stupste das Wesen mit dem Schuh an, als es nicht antwortete. Es fauchte und Miss Willets riss den Spruchband sofort in Angriffsstellung.

„Wer bist du?“ wiederholte Miss Willets hinter ihrem Buch.

„Gaya.“ murmelte es vom Boden.

„Was?“

„Mein Name. Mein Name ist Gaya.“ sagte Gaya und setzte sich auf.

„Bist du gefährlich?“

„Nein?“

„Gut, dann steht auf und kommt mit. Ich brauche jetzt eine schöne Tasse Tee.“
 

Miss Willets schickte die Bücher zurück in ihre Regal und schleifte den leicht benommenen Gaya in ihre Küche. Sie war sich fast sicher, dass er keine Ahnung hatte, was hier passierte und sie hatte beim besten Willen keine Lust auf dem kalten Boden herum zu sitzen, wenn sie das Verhör auch woanders führen konnte. Ihr spezieller Bibliothekarinenpragmatismus riet ihr außerdem zu einem Heißgetränk und so was fällt ja bekanntlich auch nicht vom Himmel.
 

Ist es dumm, einem völlig Fremden, der aus einem Buch gefallen ist, zu vertrauen? Vermutlich für jeden normalen Menschen schon. Miss Willets 6.Sinn sagte ihr aber, dass sie nichts zu befürchten hatte.
 

Gaya saß, als hätte er noch nie im Leben auf einem Stuhl gesessen. Die Beine dicht am Körper, den Kopf auf den Knie. Die Flügel waren um den Körper gewickelt. Das ganze wirkte wie ein Klumpen Fledermaus in Menschenform.
 

Miss Willets stellte eine Tasse Darjeling vor Gaya auf den Tisch. Verwundert starrte sie auf die Hand, die sich irgendwo zwischen Knie und Kinn hervor schlängelte.
 

„Sehr schön.“sagte sie dann: „Erzähl mir was du bist.“

„Ein Anakah.“ murmelte Gaya und tippte mit einer grauen Fingerspitze die Tasse an.

„Und...“ ungeduldig trommelte Miss Willets auf die Tischplatte.

Im Licht konnte sie erkennen, dass das Wesen an ihrem Küchentisch ein zweites Schlüsselbein hatte. Dann fiel es ihr wieder ein.

„Du bist ein Flederling!“ rief sie überrascht.

Gaya knurrte.

„Entschuldige. Aber es ist komisch, wenn eine Person aus meinem Lieblingsroman auf einmal in meine Welt kommt.“

„Was?“

Zum ersten Mal zeigte er wirkliches Interesse.

„Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber die Welt die du kennst existiert nicht wirklich.“ Miss Willets lächelte.

„Das kann aber nicht sein. Ich meine...“ er brach ab.
 

Es handelte sich bei dem Roman den Miss Willets meinte um „Die Revolution“ von Gomez Ramone. Es ist ein dünnes Büchlein, im Vergleich zu dem was sonst noch in den Regalen in diesen Hallen wohnt. Es handelt von Verrat und Freundschaft und großen Umbrüchen und gilt als überhaupt verdammt pathetisch.

Es ist vor allem bei Autonomen und solchen die sich dafür halten beliebt.
 

Miss Willets war zwar eine der letzten Personen, die man als autonom oder irgendwie radikal geartet hätte bezeichnen können, aber sie mochte die idealistischen Vorstellungen der Hauptpersonen. Sie erinnerten sie an eine Jugend die sie so nie gehabt hatte. Miss Willets zog es schon immer vor, in einer Welt aus Druckerschwärze und Papier zu leben.
 

„Nun, wir werden wohl das Gremium informieren müssen.“ sagte sie und blickte den traurigen Fledermausjungen an. Er konnte noch nicht sehr alt sein, aller höchstens 20 und Miss Willets glaubte, dass er heillos überfordert war. Was den Tatsachen entsprach.

Sie selbst hatte mittlerweile kaum mehr Probleme mit magischen Unfällen. Nach dem fünften Besucher aus einer anderen Welt wird auch das zur Routine. Sie würde sobald es möglich war den Jungen in kompetentere Hände übergeben und alles würde gut werden.

Schon früh in ihrer Berufslaufbahn hatte Miss Willets gelernt, dass an Orten wie der Bibliothek, wo großes Magiepotential ungenutzt vor sich hin existiert, nun mal niemand vor seltsamen Sachen sicher ist.
 

Auszug aus „Die Revolution“ von Gomez Ramone.

Seite 77, Absatz 5
 

„Natürlich wissen wir, dass wir niemals das Ungeheuer, dass diese Monarchie ist, ausrotten können. Was jetzt aber nicht heißen soll, dass wir es nicht trotzdem versuchen können. Deshalb sind unsere Aktionen politisch. Es ist politisch, wenn ich mich hier auf die Straße setzte und die mich wegtragen müssen. Es ist politisch, wenn ich auf den höchsten Turm dieser Stadt fliege und unser Plakat aufhänge. Ich kann schweigen und diesen König mitsamt seinen Grausamkeiten hinnehmen. Oder ich kann es lassen.“ Das waren die Worte der Frau mit den langen,braunen Haaren. Sie packte ihre Papiere zusammen und verließ das Podium. Im Saal brandete lautes Gemurmel auf.


 

Jarlie Ki war Seherin, Geistermedium und äußerst schlecht gelaunt. Es war bedeutend zu früh, zu hell und sie hatte nicht die geringste Lust ihr warmes Bett zu verlassen.

„Verpiss dich und lass mich pennen!“ brüllte sie deshalb.

„Ich bitte dich. Mach doch kein Drama daraus. Du wirfst nur einen kurzen Blick und schon bin ich wieder weg.“ sagte Miss Willets kühl.

„Nur einen kurzen Blick. Du spinnst! Und nachher hab ich wieder den ganzen Tag Kopfweh. Vergiss es!“

Jarlie verzog sich unter die Decke und hoffte. Lieder vergeblich.

„Na schön.“ sagte Miss Willets. „Daran bist du jetzt selbst Schuld.“
 

Sie legte ein kleines Notizbuch auf den Nachttisch und gab ihm recht klare Anweisungen. Dann verließ sie das Zimmer. Unter der Bettdecke kam ein gequältes Stöhnen hervor.
 

Miss Willets wartete im Wohnzimmer. Es war klein, bunt und der nicht besonders subtile Geruch von Räucherstäbchen hing in der Luft. Interessiert betrachtete die Bibliothekarin ein Gemälde. Es schien selbst gezeichnet zu sein und Miss Willets war sich recht sicher, dass es nicht ohne den Einsatz bewusstseinserweiternder Substanzen entstanden war. Ein Vogel war abgebildet. Seine Federn schienen aus Tannenzapfen zu bestehen und im Hintergrund wanderte eine Horde Elefanten auf langen, dünnen Beinen durch eine himbeerfarbene Wüste.

Bunte Federn klebten an der Wand und auf den Regalen. Dicke Teppiche bedeckten den Boden und Miss Willets selbst hatte sich auf dem Sofa niedergelassen.
 

Sie hatte Gaya, den jungen Anakah, in der Bibliothek gelassen. Er schlummerte friedlich, aufgrund ihres Spezialtees, und sie hoffte das die Wirkung noch ein Weilchen anhalten würde. Dies hier schien eine längere Angelegenheit zu werden.
 

Innerlich kochte Miss Willets. Die ganze Sache ging ihr gegen den Strich. Nicht nur, dass das Gremium ihr die Verantwortung übertragen hatten, sondern auch noch die Tatsache, dass die einzige Hilfe, die sie im Moment bekommen konnte, an chronischer, schlechten Laune litt.
 

Das Gremium ist die oberste Instanz der Stadt Kius. Die Erfahrung zeigt, dass die Mitglieder dieses Gremiums fürchterlich arbeitsscheu sind. Sämtliche Aufgaben, die delegiert werden können, werden auch delegiert. Keine Gnade vor der Beamtenmentalität ist in diesem Fall absolut zutreffend.

Und so kam es, das Miss Willets sich selbst um ihren Besucher kümmern durfte. Der Magiebeauftragte Inolf hatte sämtliche Einwände abgewiesen und war frühstücken gegangen.
 

Es dauerte länger als Miss Willets gedacht hätte. Dann stand Jalie am Treppenabsatz, um ihren Kopf schwirrte das Notizbuch. Es quietsche und schnappte in unregelmäßigen Abständen nach ihren Ohren. Miss Willets lächelte fast bei dem Anblick.
 

„Mach es weg. Sofort.“ sagte Jarlie und schlug nach dem Notizbuch. Es versuchte an ihren Haaren zu knabbern.

„Hilfst du mir?“

„Du weißt, dass das Erpressung ist, oder?“

„Natürlich.“

Miss Willets pfiff leise und das Büchlein rauschte zu ihr. Zutraulich setzte es sich auf ihre Hand und ließ sich brav in der Handtasche verstauen
 

Es ist ein weit verbreiterter Irrtum, dass Personen, die das zweite Gesicht besitzen, nur in die Zukunft sehen können. In Wahrheit ist es bedeutend einfacher für eine sehende Person, in die Vergangenheit, als in die Zukunft zu blicken. Die Zukunft ist fließend und verändert sich mit jeder Entscheidung, die wir treffen. Die Vergangenheit steht fest.
 

Miss Willets hatte festgestellt, dass es dieses Mal anders war, als bei den anderen Besuchern. Gaya war nicht im übertragenen, sondern im tatsächlichen Sinne durch ein Buch gekommen. Alle anderen hatten sich irgendwo aus der leeren Luft materialisiert. Der Flederling hatte ein Buch als Medium benutzt, auch wenn er keine Ahnung hatte wie es dazu gekommen war. Und Miss Willets brauchte alle Fakten die sie bekommen konnte um diesem Mysterium auf die Spur zu kommen. Sie brauchte den Buchtitel.



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