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Shattered Memories

von

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Kapitel 1

Einhundertdreißig Jahre.. Das war eine lange Zeit. Lange genug um über seine eigene Vergangenheit nachzudenken und sich der damals gemachten Fehler klar zu werden. Lange genug um eine Trauer zu überwinden und lange genug um den Hass tief in sich zu verwurzeln.
 

War es Glück? Oder war es Schicksal? Sie wusste es nicht. Alles was sie wusste war, dass sie nicht da war als es passierte.
 

Normalerweise wäre sie mittags wieder zurück gewesen, bei ihrem Rudel. Ihrer Familie. Aber nicht an diesem Tag. Aus einer Laune heraus war Patricia an diesem morgen tiefer in den Wald gegangen. Abenteuerlust hatte sie überkommen und dazu gebracht den steinigen Hang zu beklettern, der ganz in der Nähe ihres Reviers lag.

Das Revier ihres Rudels befand sich in einem abgelegenem Gebiet, hoch oben auf einem Berg. Es umfasste mehrere Kilometer, und weit und breit war keine andere Siedlung in der Nähe.

Menschen hätten hier auch schwerlich überleben können. Die scharfen und kantigen Steinkrater zierten die Oberfläche hier oben gleich mehrere Male und stellten für Menschen ein unüberwindbares Hindernis dar. Auch Elfen und andere Rassen waren selten gesehene Gäste. Das Wetter war rau und unfreundlich. Regen und Stürme beherrschten den Alltag. Man mied diesen Berg - er hatte, für die meisten, nur den Tod zu bieten.
 

Ihre Eltern hatten ihr einmal erzählt dass man den Platz genau aus diesen Gründen ausgesucht hatte. Der frühere Rudelführer hatte alles genau überdacht. Denn er hatte sein menschliches Herz behalten, trotz dass er schon vor ein paar Jahrzehnten zum Wolf geworden war.

Ja, sie alle waren Wölfe. Werwölfe. Von den Menschen gefürchtet und verachtet. Und trotzdem hatte der alte Mann nie einen Groll gegen sie gehegt, versuchte sie sogar zu schützen.

Er jagte keine Menschen. Fragte man ihn nach dem Grund, schüttelte er nur traurig den Kopf und antwortete: “Menschen sind schwach. Sie jagen um zu überleben. Wir stellen eine Gefahr dar, darum bekämpfen sie uns. Hätten wir nie einen von ihnen getötet, müssten sie uns auch nicht als Feinde sehen.”

Diese Einstellung wurde von manchen als Schwäche ausgelegt, fand aber bei den Meisten bewunderten Anklang. Man befand ihn als sehr weise und vorausschauend und sah in ihm so etwas wie einen Lehrer.

Der Anführer nahm diese Rolle gern an und brachte seinen Schützlingen und Gefährten bei, Menschen nicht als Nahrung zu betrachten.

Aber ein paar Rudelmitglieder, die schon zu sehr ihren Instinkten verfallen waren, fügten sich nur widerwillig in diese Regel und wenn sich ein armer Wanderer oder Reisender in ihr Revier verirrte, machten sie keinen Hehl daraus, dass sie diesen aufspürten und töteten.

Der alte Wolf trauerte jedes Mal um das Opfer, wusste aber in seiner Weisheit, dass es keinen Sinn hatte, den Tätern das zu untersagen. “Beute“, oder Eindringlinge, die im Revier waren, wurden nun mal gejagt.

Ob es wohl Ironie war, dass der Rudelführer bei einem Streifzug ausgerechnet von einem verschreckten Menschen getötet wurde?
 

Es hiess, dass Rudel hätte viele Wochen lang um den alten Wolf getrauert. Und in ihrer Trauer hatten sie beschlossen seine Regeln und Lehren auch nach seinem Tod - ihm zu Ehren - zu befolgen.

So war es auch nicht verwunderlich, dass auch Patricia mit diesen Lehrsätzen aufgezogen worden war.
 

Man hatte dem einstigen Anführer sogar eine Art Denkmal gesetzt.
 

Als das Wolfsmädchen an diesem morgen daran vorbei kam, war nicht mehr viel davon zu erkennen. Die rauen Bedingungen und die Zeit hatten daran genagt und nicht viel übrig gelassen. Heutzutage wusste kaum einer mehr, was es darstellen sollte.

Als Patricia es genauer betrachtete konnte auch sie es nicht feststellen. Sie sah nur eine Ansammlung von Steinen und Ästen. Selbst mit viel Liebe und Fantasie konnte sie darin nichts ausmachen.

Was sich ihre Ahnen dabei nur gedacht hatten? War es wirklich einmal ein Kunstwerk gewesen, wie die Alten zu behaupten pflegten?
 

Eigentlich war es auch egal, fand Patricia und schritt weiter. Auch wenn es nach nichts aussah, es hatte eine tiefe Bedeutung und das gefiel ihr. Mehr war nicht wichtig. Und sich die ganze Zeit fragen zu stellen, auf die man keine befriedigende Antwort finden würde, war schlichtweg einfach nur Zeitvertreib. Ein sinnloser noch dazu.
 

Hätte sie zu dem Zeitpunkt nur ahnen können, dass ihre unbeschwerten Tage bald vorbei sein würden... Hätte sie nur ahnen können was an diesem Tag passieren würde... Sie wäre auf der Stelle umgekehrt und hätte ihrer Familie, ihrem Rudel beigestanden. Sie hätte ihr Bestes gegeben und gemeinsam mit ihnen kämpfen können.

Dann hätte sie heute vielleicht nicht diese Schuldgefühle. Dann würde sie sich heute vielleicht keine Vorwürfe machen.

Aber wie hätte sie es wissen sollen? Nichts hatte darauf hingedeutet. Nichts hätte sie vorwarnen können. Nichts hätte ihrem Rudel geholfen.
 

Die Felsbrocken erschwerten das Vorankommen, aber die Wölfin ließ sich nicht unterkriegen. Sie kannte diesen Weg. Vor einer Woche war sie schon einmal hier gewesen. Durch Zufall hatte sie es entdeckt. Die anderen kamen nur selten hier vorbei. Nichts verriet einem dass hier in der Nähe, wo alles doch besonders trist und trostlos erschien, etwas wunderbares zu finden war.

Die Wölfin freute sich, dass die Steine dieses Geheimnis so gut versteckten und war ihnen ein bisschen dankbar für ihre Grösse, denn so würde auch in nächster Zeit kein anderer auf die Idee kommen hier lang zu laufen.

Nur noch ein bisschen. Nur noch ein klein wenig, dann würde sie an ihrem Ziel angekommen sein.
 

Vorfreude breitete sich in ihr aus und sie fing unbewusst an zu lächeln. Patricia hievte sich den letzten grossen Felsbrocken hinauf und dann war sie da.

Sie stand auf einer länglichen, flachen Fläche, ein kleiner, von der Natur geschaffener, Vorsprung, gerade mal ein paar Meter breit.

Vor ihr erstreckte sich ein unglaublicher Ausblick. Dank des ausnahmsweise mal, guten Wetters konnte sie Meilenweit die Landschaft betrachten. Zu ihren Füßen konnte sie wage den Berganfang ausmachen und die angrenzenden Wälder und Hügel überblicken. Ein kleiner Fluss teilte das Tal in zwei ungleiche Hälften und bereicherte einen angrenzenden See mit immerzu frischen Wasser.
 

Das Wolfsmädchen war begeistert von dem Bild das sich ihr bot und genoss das Gefühl des Windes, der scharf durch ihre Haare wehte.

Sie nahm sich vor, so bald wie möglich, Andrej davon zu erzählen und zu zeigen. Es könnte ihr kleiner, geheimer Platz werden. Sie grinste bei dem Gedanken und während sie sich die daraus resultierenden Möglichkeiten vorzustellen versuchte, mischte sich eine Erinnerung dazu. Die gestrige Nacht kam ihr in den Sinn und sie ließ das Vergangene, vor ihrem inneren Auge, Revue passieren.
 

Patricia hatte nicht einschlafen können und sich draussen ins Mondlicht gesetzt. Mit angewinkelten Beinen betrachtete sie die dunklen Wolken, die vor dem Mond vorbei zogen. Sie war nicht überrascht, als sie hinter sich Schritte hörte, und ohne sich umzusehen wusste sie, dass es Andrej war. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen als er sich neben sie setzte und seine Hand durch ihr Haar glitt.

"Findest du die Sterne so schön, dass du lieber wach bleibst um sie zu betrachten?", fragte er sie neckend. Sie wusste dass er grinste- sie konnte es an seiner Stimme hören. Seine wunderbare, tiefe Stimme, die ihr einen wohligen Schauer über den Rücken jagte wenn sie zu nah an ihrem Ohr war.

"Nicht sie Sterne. Ich versuche die Wolken zu zählen, die den Mond bedecken." Als sie ihr Gesicht dem seinen zuwand, blickte sie in seine aufmerksamen Augen, die nach Anzeichen irgendwelcher Sorgen in ihrem Gesicht Ausschau hielten. Anscheinend fanden sie nichts, denn er hörte nach ein paar Atemzügen auf zu suchen. Noch einen Augenblick lang schaute er sie an, küsste sie dann auf die Stirn und drückte Patricia sanft an seine Brust.

Sie konnte seine Wärme durch ihre Kleidung spüren und rückte glücklich noch ein Stückchen näher.

Seine Finger streichelten zärtlich ihre Wange während Andrej sie im Arm hielt. Es war eine unbewusste Geste. Sie genoss den Moment, nahm dann seine Hand und legte sie ganz auf ihre Gesicht, so dass sie diese wunderbar daran schmiegen konnte.

Sie liebte Andrejs Hände. Sie waren gross und stark. Ein bisschen rau, aber immer zärtlich und behutsam ihr gegenüber.

Sie schwiegen eine Weile und die Wölfin fing an, ihren Gegenüber zu betrachtet. Andrej war ohne Zweifel schön. Er hatte schwarze Haare, die genau richtig sein kantiges Gesicht umspielten. Die leichte Bräune, die sein Gesicht zierte, überzog auch seinen ganzen restlichen Körper. Seine Arme waren von dem harten Leben zwar muskulös, wirkten aber nicht protzig. Patricia mochte es wie sich seine Muskeln bei jeder Bewegung unter der Haut abzeichneten. Er konnte sie ohne Mühe hochheben und herum tragen und das Mädchen konnte nicht leugnen dass sie davon mehr als angetan war.
 

Andrej wandte ihr sein Gesicht zu und schaute sie fragend an. "Ich weiss, ich habe eine wahnsinnige Anziehungskraft, aber musst du mich deswegen so anstarren?" Er machte ein gespielt ernstes Gesicht und die Wölfin konnte nicht anders als zu lachen. "Sei nicht so eingebildet!", schimpfte sie und stieß ihm spielerisch ihren Ellebogen in die Rippen.

"Aha, jetzt wird das Fräulein auch noch handgreiflich. Was hab ich mir da nur angelacht?", brachte er kopfschüttelnd hervor und seufzte. Empört über diese Aussage versuchte sie Andrej ein weiteres Mal mit ihrem Ellbogen zu treffen, doch dieser packte ihre Handgelenke und verhinderte so jeden weiteren Gebrauch ihrer Arme.

Patricia zog übertrieben einen Schmollmund und drehte ihr Gesicht von ihm weg.

"Nun spiel nicht die Beleidigte.", er ließ ihren einen Arm frei und drehte ihr Gesicht wieder sich zu. Das Mädchen ließ es geschehen, sah ihn aber dafür trotzig in die Augen.

Sein Daumen begann wieder ihre Wange zu streicheln, wieder diese unbewusste Geste, und während er sich ihr langsam näherte, sagte er: "Keine Andere. Keine Andere hätte ich haben wollen."

Wer konnte bei so einer Aussage noch stark bleiben? Patricia legte ihren gespielten Trotz ab und lehnte ihren Kopf an den seinen.

Sie lächelte als sie erst ihr Gesicht an seinem rieb und dann mit geschlossenen Augen innehielt um ihn kurz darauf zu küssen.

Auch sie.. Keinen Anderen. Keinen Anderen hätte sie haben wollen. Nur Andrej. Immer und für Ewig nur ihren Andrej.
 

Ein Geräusch riss Patricia aus ihren Gedanken. Irritiert blickte sie sich um. Natürlich konnte sie hier auf dem Vorsprung nicht viel sehen, lag er doch versteckt hinter riesigen Felsbrocken. Es war eine reflexartige Bewegung.

Hatte sie sich das gerade eingebildet? Angestrengt versuchte sie zu lauschen, aber nichts ungewöhnliches drang in ihr Gehör.

Gerade als sie beschließen wollte nicht weiter darüber nachzugrübeln, hörte sie es wieder. Jetzt war sie sich sicher! Wolfsgeheul wurde durch den Wind zu ihr herüber getragen!
 

Alarmiert trat sie die Rückkehr an. Irgendetwas stimmte nicht. Ihr Rudel war aufgebracht. Es herrschte Unruhe und die Wölfin glaubte sogar eine Spur von Angst zu wittern.

Ein ungutes Gefühl überkam sie und Patricia versuchte noch ein bisschen schneller voran zu kommen.

Sie ärgerte sich, so weit von ihrem Rudel weg gegangen zu sein. Innerlich verfluchte sie jeden Stein, dem sie vorhin noch dankbar war, der sie jetzt aber dazu zwang ihr Tempo zu verlangsamen.

Was war da los? Wovor mussten sich ihre Gefährten hier auf dem Berg fürchten?
 

Sorge beschleunigte ihre Schritte noch mehr und ließ sie unbedacht werden. Ein paar Mal war sie schon auf dem bröckeligen Boden ausgerutscht, konnte sich aber immer wieder fangen. Es war ihr egal. Sollte sie doch hinfallen! Was waren ein paar Schrammen, wenn es hier um ihr Rudel ging?
 

Ihr Puls beschleunigte sich als sie ihrem Ziel näher kam. Schlimm genug, dass Patricia die Angst ihrer Freunde wittern konnte, nein sie hörte sie jetzt auch. Verzweifelte Schreie, gequältes Jaulen und nur noch ab und an ein drohendes Knurren lagen in der Luft. Alles zog sich in ihr zusammen. Es fühlte sich an wie tausend Stiche, die ihr Innerstes auseinander nahmen. Es war als würde sie selbst die Schmerzen spüren. Sie litt mit ihrem Rudel.

Was passierte da nur? Wurden sie angegriffen?
 

Wieder gab ein Stein unter der Last nach und ihr Fuß schlitterte über den Fels. Überrascht versuchte die Wölfin noch irgendwo Halt zu finden, doch sie griff nur ins Leere. Ihre Augen weiteten sich einen Moment und sie zog scharf die Luft ein als sie den Hang hinunter fiel, und dann kam der harte, erbarmungslose Aufprall.

Er raubte ihr den Atmen und einen Augenblick lang spürte sie nichts. Dann aber breitete sich der Schmerz so rasend schnell aus, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Sie wollte noch dagegen ankämpfen, doch es war aussichtslos...
 

Benommen bemerkte die junge Frau dass ihre Sinne zurück kehrten. Ihr Kopf pochte und auch der restliche Körper fühlte sich alles andere als gut an. Patricia horchte in sich hinein. Nein, Knochen waren wohl keine gebrochen.

Erleichterung machte sich breit, doch dann fiel ihr alles wieder ein und Angst vertrieb alle anderen Gefühle. Ruckartig richtete sie sich auf und musste sich sofort wieder abstützen. Alles schwankte. Ihr Kopf hatte also etwas mehr abbekommen.

Ein paar Atemzüge wartete sie ab, dann versuchte sie es ein weiteres Mal, diesmal nur nicht ganz so schnell. Mit Erfolg. Die Wölfin stand.

Ihre Augen begutachteten die Umgebung und versuchten sich zu orientieren. All zu tief war sie nicht gefallen.

So schnell sie konnte kletterte sie wieder hinauf und lief den dünnen Pfad entlang. Wie lange war sie ohne Bewusstsein gewesen? Sehr lange durfte es nicht gewesen sein, die Sonne war nicht viel weiter gewandert. Aber warum war es dann so still?

Das Blut rauschte in ihren Ohren, die Angst lies ihr Herz so schnell schlagen, dass Patricia dachte, es müsste jeden Moment durch ihre Brust springen können.

Hastig setzte sie einen Fuss vor den anderen. Ein Kampf war doch nicht so schnell vorbei? Grade noch war er im vollen Gange gewesen!

Vielleicht... Ging es ihr durch den Kopf. Ja vielleicht war das alles nur ein übler Streich? Vielleicht wollte ihr Rudel sie lehren sich nicht so weit zu entfernen? Vielleicht...
 

Sie kam nicht dazu den Gedanken zu Ende zu formulieren.

Ihr Lager befand sich jetzt direkt vor ihr. Die Wölfin brauchte einen Moment um zu verstehen was sie da vor sich sah. Ihre Beine wollten ihr den Dienst versagen und Patricia musste sich zwingen weiter zu laufen.

Ihre Augen waren weit aufgerissen. Hektisch blickte sie sich um, sah mal da hin, mal dort hin, ohne einen Punkt genau zu fokussieren.

Ohne es zu merken blieb sie ein weiteres Mal stehen. Tausend Dinge gingen ihr durch den Kopf doch sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie nahm alles wahr, doch gleichzeitig nichts.
 

Das war unmöglich! Einfach unmöglich! So etwas konnte es nicht geben! Es ging einfach nicht! Unmöglich!

Einmal diesen Gedanken geformt, hallte er wie eine Endlosschleife in ihrem Kopf wieder.
 

Patricia stand da und konnte nicht fassen was sie da vor ihren Augen sah.

Kapitel 2

Unmöglich!
 

Sie konnte es einfach nicht begreifen. Sie sah es, aber glauben konnte sie es nicht. Unmöglich. Fast wie eine Beschwörung erklang das Wort immer und immer wieder in ihrem Kopf.
 

Sie sah den Lagerplatz. Den Platz, den sie seit ihrer Geburt kannte. Hier war sie aufgewachsen und hatte mit den anderen Kindern herumgetollt. Hier hatte man ihr alles beigebracht und sie alles gelehrt, was sie bis heute wusste.

Sie sah die einzelnen Hütten, die zwar nur spartanisch repariert waren, die aber seit Jahren ihr, ihrer Familie und all ihren Freunden verlässlichen Unterschlupf gewährten.

Sie sah sie große Feuerstelle, in der Mitte des Platzes errichtet war, so dass sie jedem Wärme spenden konnte. Wie oft hatten sie am Abend dort im Kreis gesessen und gelacht und gegessen und sich der Anwesenheit des jeweils anderen erfreut?
 

Sie sah es, aber etwas stimmte hier ganz und gar nicht! Etwas war hier ganz und gar falsch! Sie konnte nicht blinzeln, nicht ihre Augen schließen, sie konnte einfach nur vor sich hin starren und versuchte zu begreifen.
 

Unmöglich!
 

Ihr Lagerplatz... Die Hütten... Die Feuerstelle... Es war, als wäre seit Jahren niemand mehr hier gewesen. Als hätte ihr Rudel die letzten Jahrzehnte nicht hier oben verbracht. Als hätten die Wölfe nie einen Fuß auf diesen Berg gesetzt.
 

Unmöglich! Unmöglich!
 

Die Hütten waren eingefallen und die wenigen Pflanzen, die es gab, hatten sie für sich eingenommen.

Die Feuerstelle sah aus, als hätte sie noch nie eine heiße Flamme beherbergt und als wäre sie nie benutzt worden.
 

Aber das alles wäre nur halb so schlimm gewesen, wenn nicht auch ihr Rudel verschwunden wäre. Sie waren einfach weg, als hätten sie nie existiert. Patricia konnte noch nicht einmal eine Witterung ausmachen. Ihr Rudel, ein paar Dutzend Wölfe, sie waren wie vom Erdboden verschluckt.
 

Kälte machte sich in ihr breit. Lähmte sie und ließ ihren Körper taub werden. Wie konnte das sein? Am morgen waren doch alle hier gewesen. Sie hatte sie gesehen, mit ihnen geredet und gelacht. Sie hatte mit ihren Freunden herumgealbert. Andrej hatte mit ihr gesprochen. Hatte sie umarmt.

Eben hatte sie ihre Stimmen gehört, ihren Geruch im Wind wahrgenommen! Patricia hatte ihr Rudel schreien, jaulen und knurren gehört und ihr Leid in sich selbst gespürt!
 

Auch heute noch lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie an diesen Augenblick zurück dachte. Das war das erste Mal, dass etwas sie so sehr und so tief erschüttert hatte. Das erste Mal dass sie an ihrem Verstand gezweifelt hatte.
 

Patricias Gedanken überschlugen sich.

Selbst wenn ihr Rudel weggegangen wäre, sie hätte ihre Gerüche, ihre Spuren riechen müssen. In den wenigen Minuten, die Patricia bewusstlos gewesen war, hätten sie nie alle Spuren verwischen können!

Verdammt noch mal, selbst bei Regen konnte die Wölfin ihre Gefährten noch riechen! Dafür waren sie einfach schon zu lange hier gewesen. Ihr Geruch hatte sich mit dem der Felsen und der Umgebung vollständig vereint und war immer präsent.

Jahre hätten vergehen müssen bis es nachgelassen hätte und weitere Jahre bis nichts mehr auf die einstigen Bewohner hingedeutet hätte.

Und doch stand Patricia jetzt hier und fand genau das vor.
 

Eine kleine, innere Stimme meldete sich zu Wort. Eine verzerrte, hohe, fast schon hysterische Stimme. Patricia versuchte sie zu ignorieren, doch sie sprach einfach immer weiter, wurde lauter, ließ sich nicht abschütteln und fand schließlich Gehör.

Was, wenn sie verrückt geworden war? Was, wenn sie sich jahrelang alles nur eingebildet hatte? Wenn sie nie ein Rudel gehabt hätte?

Wenn sie tagein, tagaus nur mit sich selbst gesprochen hätte? Vielleicht hatte der Sturz vorhin den Fehler in ihrem Kopf korrigiert und nun sah Patricia zum ersten Mal alles so wie es wirklich war?
 

Alles in ihr zog sich zusammen. Dieser Gedanke war einfach unerträglich!

Ihr Magen rebellierte und sie spürte Übelkeit in sich aufkommen. Sie zitterte und bekam einen Schweißausbruch. Schwankend lies sich das Mädchen auf die Knie fallen. Sie atmete kurz und schnell, ihr Herz raste. Sie spürte, dass sie gleich hyperventilieren würde und zwang sich langsamer zu atmen.

Einatmen und ausatmen.
 

Nach ein paar Minuten hatte sie sich wieder einigermaßen beruhigt. Zumindest so weit, wie man sich in so einer Situation beruhigen konnte.

Konnte das wahr sein? Hatte sie sich das alles, in Folge einer Verrücktheit, nur ausgedacht? Dann gab es ihr Rudel gar nicht? Und Andrej?
 

Erinnerungsfetzen drangen in ihr Bewusstsein. Sie sah sich selbst, als kleines Kind, wie sie lachend auf dem Platz herum sprang und mit den anderen Kindern fangen spielte.

Sie sah ihre Eltern, wie sie mit anderen Erwachsenen in einer Ecke standen und vermutlich tratschten. Wie sich ihre Mutter dann zu ihr herum drehte und besorgt feststelle, dass sich ihre Tochter beim Spielen verletzt hatte. Wie sie auf sie zu kam und behutsam hochhob und zu ihrem Vater brachte.

Sie sah wieder sich selbst, wie sie ihren ersten großen Fang gemacht hatte und ihn freudig im Rudel herum zeigte, wie ihre Freunde kamen und ihr lobend auf die Schulter klopften und wie ihr Vater stolz den Arm um ihre Schulter legte.

Sie sah Andrej, wie er schwitzend in der Mittagssonne stand und einen umgefallenen Baum aus dem Weg räumte. Wie seine Muskeln sich unter seiner Haut abzeichneten. Sah wie er schnaufend sein braunes Halsband zurecht rückte und dann weiter arbeitete.

Andrej, der auf dem Boden saß und vor sich hin träumte.

Andrej, der glücklich auf sie zu kam und sie in den Arm nahm.

Andrej, der ihr tief in die Augen schaute, lächelte, sie an sich zog und ihr dann ihren ersten Kuss gab.
 

Sie spürte einen tiefen Stich in ihrem Herzen. Ihr Inneres schien sich zu verkrampfen und Patricia fasste sich mit Schmerz verzogenem Gesicht an die Brust.
 

Unmöglich! Absolut unmöglich!
 

Nein! Nein, nicht Andrej! Sie konnte ihn sich nicht ausgedacht haben! Tränen stiegen in ihr auf und Patricia kämpfte gegen ein tiefes Schluchzen an.

Seine Wärme, seine Worte, seine Berührungen.. Einfach ihn, das konnte sie sich nicht eingebildet haben! Andrej war echt!

Und wenn Andrej real war, dann waren auch ihre anderen Rudelmitglieder real! Es gab sie und sie wohnten und lebten hier! Etwas war geschehen und irgendwas hatte diesen Platz hier verändert! Hatte die Zeit vor oder zurück gedreht oder sonst irgendwas Merkwürdiges mit diesem Berg veranstaltet!
 

Patricia wusste nicht was es war und wie so etwas möglich war, aber sie beschloss dass sie herausfinden würde was hier los war! Und sie würde ihr Rudel finden! Und! Und sie würde wieder bei Andrej sein können.



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  Daemion
2015-08-06T16:12:11+00:00 06.08.2015 18:12
Dieser Kommentar enthält Spoiler! :)
Wer diesen Kommentar liest, sollte vorher die Geschichte lesen!


Das Entsetzen und die Schockierung des Hauptcharas bringst du gut rüber. Und ich muss gestehen, dass ich sehr überrascht war, dass ihr Rudel einfach so verschwunden ist, mehr noch, dass die Umgebung wirkt, als habe es niemals existiert. Das macht mich schon sehr neugierig, wie es weiter geht. :D
Ich, als Leser, frage mich, was wohl passiert sein mag und ob die hysterische Stimme in Patricias Kopf womöglich Recht hat?
Die Emotionen des Charas sind schlüssig und mitreißend, ich kann ihren inneren Sturm mitfühlen.
Hast du vor, die Geschichte irgendwann weiter zu schreiben? Mich würde der weitere Verlauf interessieren.
LG,
Daemion
Von:  Daemion
2015-08-06T15:59:53+00:00 06.08.2015 17:59
Deine Geschichte liest sich flüssig und ich mag, dass es ein Fanart von einigen deiner Charaktere aus dieser Geschichte gibt ;)
Die Übergänge zwischen den Ereignissen formulierst du gekonnt. Positiv finde ich außerdem, dass du zwar detailliert schreibst, aber nicht zu sehr vom Hauptthema abkommst. Geschickt hörst du mit einem Cliffhanger auf, das hast du spannend hinbekommen.
Während des Lesens ist mir aufgefallen, dass du dir Gedanken um deine Welt gemacht hast, genaue, "feste" Ideen verfolgst.
Das finde ich sehr löblich!
Zu den Figuren kann ich jetzt noch nicht viel sagen, vielleicht klappt das nach dem Lesen des zweiten Kapitels. :)
Gute Arbeit!
Liebe Grüße,
Daemion
Von:  DemonhounD
2010-08-18T15:28:44+00:00 18.08.2010 17:28
Süß! Vor Allem die Widerholung des Wortes "Unmöglich"" kommt hier besonders gut zur Geltung. Ah! Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Verspricht ja ne interessante Story zu werden. ^^
Von:  DemonhounD
2010-08-11T19:40:39+00:00 11.08.2010 21:40
Hehehe!^^ Irgendwie lustig! Du liest dir meine Fanfiction zu "Silent Hill" durch und die Geschichte von dir, die ich gegenkommentieren kann, da es die einzig vorhandene ist, nennt sich ausgerechnet "Shattered Memories" (Falls du es nicht weißt: So nennt sich ein bestimmter Teil dieser Videospielreihe.^^)

Schöne Geschichten über Werwölfe findet man sehr selten. ^^
Die Geschichte erinnert mich im übrigen sehr an eine eigene von mir, die nichts mit Werwölfen im klassischen Sinne zu tun hat (und einen Kerl als Hauptfigur hat).
Davon ist aber nur der Prolog unter dem Namen "Wolfsmond" auf Mexx hochgeladen.
Wenn du magst kannst du ja mal lesen und vergleichen, denn ich finde vor allem in den Naturbeschreibungen sieht sich unser Schreibstil recht ähnlich.

Nun aber genug von mir und mehr zu deiner Geschichte.^^
Ich finde man erkennt deutlich, dass dir die Romantikszenen beim Schreiben am meisten Spaß gemacht haben (würde ich mal so unterstellen) und das ist gut so. Zum Schreiben solcher Szenen hast du echt ein Händchen.
Was mir nicht ganz so extrem zugesagt hat, war das Ende, denn du benutzt ja einen "personalen Erzählstil" --- demnach sagst du dem Leser eigentlich immer was die Wölfin sieht und fühlt, in dem Moment, in dem sie es sieht und fühlt.
Meine Ansicht nach die beste Variante.
Am Ende hingegen sieht die Wölfin etwas und du lässt den Leser trotzdem vor dem Kapitelende im Dunkeln tappen. - Das ist sicherlich bewusst so gemacht, aber für mich liest es sich irgendwie komisch.
Ich bin sicher, da hätte es eine geschicktere Variante gegeben, als zu sagen "Sie konnte nicht fassen, was sie da sah."
- Vielleicht wenn du das Kapitel beendest, bevor die Wölfin etwas sieht. (???) --- nur ne Mutmaßung.

So... nun aber genug lamentiert und genug eigene Gedanken in den Ring geworfen. Es interessiert mich wirklich, wie diese FF weitergeht.^^
Von: abgemeldet
2010-05-19T12:38:47+00:00 19.05.2010 14:38
Mau O.o die Aaaaarmeeeee T_T *heult wie ein Wasserfall* das ist so was von traurig ... T_T ... Q_Q das Kapitel ist wirklich schön geschrieben und so ... *schnief* traurig. Trotzdem mag ich dieses Kapitel sehr :3 *gleich nochmal les* :D

lg Miki
Von: abgemeldet
2010-05-14T19:26:57+00:00 14.05.2010 21:26
Jetzt hast du bei deiner FF noch ein Kommi :D zum Dank dafür, dass du mich heute durch Kommischreiben 3 Mal glücklich gemacht hast :DDDD

Diese FF ist toll und ich bin echt gespannt darauf, wie es weitergeht :3 *total gespannt den Laptopbildschirm anstarr*

lg, Miki :D
Von: abgemeldet
2010-05-14T19:23:50+00:00 14.05.2010 21:23
Das ist richtig schön geschrieben :3 Man fühlt richtig mit der jungen Wölfin mit! Das ist so bewegend *sniff* D:


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