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Mind fucked

Geschichte eines Mädchens namens Kafka
von

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Ich beobachte lange mein Spiegelbild. Ich bin in einem Kaufhaus, in dem Raum der einzig und allein dazu da ist, den Wind einzufangen, im Windfang. Jedes Mal wenn von einer Seite die Tür aufgeht, zehrt ein Luftstoß an meiner Kleidung, fegt über mein Gesicht und umspielt meine Beine. Fasziniert von meinem Abbild im Spiegel stehe ich ganz nah vor der kühlen glatten Fläche und beobachte jede kleine Bewegung, ich kann mich nicht daran satt sehen. Das sind meine Bewegungen, die jede Böe aus mir hervor lockt, kleine, kaum wahrnehmbare Schwankungen, so wie ein langer, fetter Grashalm sich im Wind biegt und beugt.
 

Die meisten Leute hasten schnell durch den Windraum, nur schnell wieder raus sein, aus dieser unheimlichen Zwischenwelt, sie bemerken mich nicht mal.

Wenn sich länger keine Tür öffnet riecht man deutlich die kalte Asche, die aus den links und rechts stehenden Aschenbechern hochdampft. Öffnet sich die Tür von Innen, taucht man in einen Schwall trockener, heißer Parfum-Luft ein. Draußen ist es schwül und regnerisch.
 

Was keiner weiß, ich stehe schon seit über zwanzig Minuten hier und ich stehe fast jeden Tag hier. Nach der Arbeit komme ich her und lasse mich umwehen, das macht einen freien Kopf und danach fühle ich mich wie ein weißes Blatt das bereit dafür ist, neu beschrieben zu werden.
 

Wenn ich aus meinem Windraum komme sind meine Sinne geschärft. Langsam trete ich wie benommen zur Tür, als ein Herr mittleren Alters an mir vorbei zieht, mich mit der Schulter anrempelt und wortlos weiter hetzt. Mir hängt noch lange sein säuerlicher Schweißgeruch in der Nase, der sich in seinem Polyester-Pulli festgesetzt hat, darüber liegt ein billiges Duftwässerchen das beinahe verflogen ist. Ich trete hinaus in das Gewirr von Menschen, alle wollen schnell irgendwo Unterschlupf finden, denn es bezieht sich und der Wind frischt auf, es wird ein Gewitter geben. Nichts Besonderes an solch schwülen Sommerabenden. Das Sonnenlicht wird durch die aufgeladenen, regenschwangeren Wolken gebrochen und taucht die Stadt in ein matschiges gelb-gräuliches Licht. Eine junge Mutter mit einem sehr hübschen, rotgepunkteten Regenschirm unterm Arm treibt ihren kleinen Jungen zur Eile an und zieht das Kind hinter sich her. Es fällt zu Boden und schürft sich das linke Knie auf, ich rieche das Blut, es erinnert mich an das Eisengitter der kleinen Fahrradgarage hinter meinem Wohnhaus, an dem ich gern lecke wenn ich dort vorbei gehe. Hinschauen kann ich nicht, mir wird unwohl wenn ich Blut sehe.
 


 

Schnell, schnell, ich treibe mich zur Eile, ziehe das blaue Cap auf und setzte zum Spurt an. Durch Menschenmengen zu Rennen macht irre Spaß, der Wind zerrt an mir und leitet mich. Die paar Leute, an denen ich ohne Bodycheck nicht vorbei komme, sind empört und rufen mir Beleidigungen nach. Andere nehmen keinerlei Notiz, nicht etwa weil sie mich nicht sehen, sondern weil sie mich nicht spüren und mich gleich wieder vergessen – so fühlt es sich jedenfalls für mich an.
 

Ich haste über eine kleine Brücke, springe über einen Obdachlosen, der scheinbar bewusstlos auf dem Boden liegt. Da fängt es ganz plötzlich mit einem heftigen Donnergrollen an wie aus Kübeln zu regnen.

„Mist, zu langsam.“

Ich ziehe das Cap weiter ins Gesicht und lege einen Zahn zu, im selben Augenblick kreuzt sich mein Weg mit dem einer Schulklasse, die ebenfalls ihr Tempo erhöht hatte um schnell ins Trockene zu gelangen. Unter ihren Schirmen blind für entgegenkommende Hindernisse rennt der jugendliche Pulk von Menschen in mich rein. Die Pilzfamilie überschlägt sich und begräbt mich unter zappelnden Armen und Beinen.
 

Ganz unten liegend spüre ich, das ich mir das Kinn angeschlagen habe, mein Pulli ist vorne ganz durchnässt. Als mich der Menschenberg wieder freigegeben hat, wische mir vorsichtig den Straßendreck aus dem Gesicht und steh mit wackligen Beinen auf, ich bin ja wirklich nicht zart besaitet aber einer Mauer von geschätzten 26 brabbelnden, über mich kullernden Schülern kann auch ich nicht schadlos standhalten. Der Lehrer kommt angelaufen und entschuldigt sich bei mir, ob was Ernstliches passiert sei, ob ich gehen könne?

„Schaut dir die an!“ prustet ein Junge amüsiert heraus.

„Wie eine alte Frau, - Na Omi, da bist du wohl etwas zu schnell unterwegs gewesen, was?“ lachte ein Anderer.

„Unheimlich, sie muss was ganz Schreckliches gesehen haben oder so, ich glaub dann passiert sowas.“, flüstert ein großes dürres Mädchen verängstigt ihrer Klassenkameradin zu.

Ich glaube ich werde rot und setze mir schnell wieder das Cap auf, zusätzlich noch die Mütze vom Pullover. Ich koche innerlich und beiße auf der Unterlippe herum, ich beschließe mich schnell der Situation zu entziehen und habe die dummer Sprüche längst vergessen als ich um die Ecke gehe. Nur mein Pulli ist dreckig und nass, das macht mich innerlich wahnsinnig.
 

Ich krame den Schlüsselbund aus meiner Hosentasche, es ist nur ein Schlüssel dran, der zu meinem Einzimmer-Appartement in einem heruntergekommen Stadtviertel mit billigen Mieten, gerade gut genug für arme Studenten und Menschen die es nicht geschafft haben – und für mich.
 

Es schlägt mir abgestandener, kalter Muff entgegen, kalt im Gegensatz zur dicken, feuchten Luft draußen. Ich habe den Müll nicht raus gebracht, die Reste vom Essen von gestern Mittag haben erschreckend schnell Pelz angesetzt bei der Witterung. Ansonsten ist es ziemlich aufgeräumt, es liegen ein paar leere PET-Falschen vor meinem Futon, und auf der durchs Zimmer gespannten Leine, hängen noch ein paar Socken und Unterhosen. Wie immer schalte ich zu erst den Fernseher an, dann stell ich ihn auf Lautlos und drehe das Radio auf.
 

Nachdem ich meine regennassen Klamotten gegen ein XXL-Baumwollshirt gewechselt habe fühle ich mich schon mal gleich eine Ecke besser und kann meine Blessur am Kinn im Badezimmerspiegel begutachten. Die Haut ist etwas abgeschürft, es hat aber nicht geblutet, nichts Schlimmes also. Dennoch fühlt sich mein Kopf an als hätte ich einen mächtigen Kinnhaken einstecken müssen und es wird wohl Grün und Blau werden mit der Zeit. Ich könnte in einer Frakshow auftreten. Ich muss lachen, schneide mir selbst eine Grimasse und streife meine Ponyfransen aus dem Gesicht „Freak!“.
 

Ich bin 20 Jahre alt, und leide unter einer seltenen Art des Albinusmus. Das behaupten die Arzte. Aber ich für meinen Teil halte nichts davon. Dieser Stoffwechseldefekt ist immer genetisch begründet und man hat die Symptome von Geburt an, das war bei mir nicht der Fall, außerdem ist meine Sehkraft nicht vermindert.

Bis zu meinem vierten Lebensjahr war ich ganz normal, dann ist irgendwas passiert, ich weiß nicht was da war, aber mein Haar ist daraufhin nach und nach ergraut und die Farbpigmente sind aus meinen Augen und meiner Haut gewichen – einfach so. Während meine optische Veränderung immer weiter fortschritt, muss ich mich auch wohl psychisch verändert haben, ich war apathisch und konnte auf einmal gar nicht mehr mit Menschen. Heute weiß ich nicht mehr wer ich einmal war, meine Eltern haben mir den Namen Yue gegeben, nannten mich aber nach meiner Metamorphose nie mehr so. Ich war ausgestoßen und unverstanden zurückgelassen worden. Beide Elternteile konnten mit den autistischen Wesenszügen und den optischen Veränderung die ihr einziges Kind nach und nach annahm nicht umgehen.
 

Heute bin ich einfach Kafka und ich kann mir nicht vorstellen, das ich jemals jemand anderes gewesen sein soll.
 

Schon kurz vor acht! Ich muss etwas Ordnung schaffen und mich beeilen ein warmes Essen zustande zukriegen. An drei Abenden in der Woche besucht mich ein Freund, mein einziger Freund und die einzige Person, mit der ich außerhalb der Arbeit regelmäßig Kontakt pflege.

Spaghetti mit Tomaten sollten ausreichend sein, ich bin eine furchtbare Köchin. Gelangweilt stelle ich den großen Topf auf die Flamme des Gasherds, mit dem Wasserkocher bringe ich das Nudelwasser auf Temperatur, während die Pasta ihrem Garpunkt entgegen blubbert, brate ich die zerkleinerten Tomaten in reichlich Öl an.

Einige Minuten später klopft es an der Tür.

„Ja?“

„Es ist Lushin“

Ich öffne die mit Post-Its gepflasterte Apartmenttür und Lushin tappt hinein, eine fette, hässliche Katze folgt ihm. Für Tiere habe ich ebenso wenig über wie für das Kochen, angewidert und leicht verängstig wende ich mich von der Katze ab, nehme Lushins dünnen Regenmantel entgegen und werfe ihn in die Badewanne.

„Wieso bringst du das Tier mit? Es stinkt! Und du hast es gemästet, es kann kaum gehen.“

Lushin winkt ab und holt sich die Katze auf den Schoß, sie wirf einen gierigen Blick über die Tischkante auf die dampfenden Nudeln, die bereits auf dem Esstisch stehen.

„Sei nicht so zu uns.“

Er schaut vorwurfsvoll zu mir herüber, sein Gesicht ist glatt und glänzt vor Schweiß, der Blick ist wie immer etwas einfältig und abwesend. Er hat sein Haar ordentlich gekämmt und trägt saubere kurze Hosen und ein unmodisches buntes Hemd, an dem die ersten zwei Knöpfe fehlen. Lushin spricht nicht sehr viel, ich glaube, er ist etwas langsam im Kopf, wir haben viel gemeinsam. Wenn nur nicht seine Affinität zur Katzenrasse so ausgeprägt wäre. Er ist regelmäßig mit Katzen unterwegs und dreht seine Runden durch den Block, aber nur selten bringt er eine mit zum mir, ich kann schimpfen soviel wie ich will, zwei Tage später scheint er alle Rügen vergessen zu haben.
 

Aber wir kommen gut miteinander aus, ich koche sogar für ihn, damit er auch mal eine warme Mahlzeit bekommt. So wie heute.
 

Schweigend sitzen wir am Tisch und essen, das Radio trällert einen fröhlichen Popsong und in der Wohnung oben geht eine Klospülung. Ich höre Lushin schmatzen, die fette Katze hat sich zu seinen Füßen niedergelassen und lässt ihn nicht aus den Augen, ich fürchte sie ist auch schwach im Kopf.

„Du hast Durst, ja?“ fragt er sie.

„Sie bekommt in diesen vier Wänden nichts“ schieße ich heraus, als müsste ich der Antwort der Katze zuvorkommen, „Willst du was?“

Ich lehne mich zurück und öffne den Kühlschrank. „Hier ist noch eine Dose Bier, die können wir uns teilen, hier – schnapp!“

Lushin greift daneben und die Dose fällt zu Boden. Es ist mir egal. Ich esse weiter.

„Hast du mir was mitgebracht heute?“

„Ne. Am Donnerstag, da kommen die Neuen, dann. Wie immer.“

„Einverstanden.“



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