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Persona 4: Adachi

von

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Rachsucht und Vergeltung

Am Abend wurden weitere Ermittlungen am Fundort der Leiche Konishis gemacht. Während die Polizisten rätselten und nach Beweisen suchten, dachte Adachi ununterbrochen an das Telefonat mit Namatame von vergangener Nacht. Namatame hatte von einem Mädchen in rosa Kimono gesprochen. Laut ihm war sie im Mayonaka TV erschienen. Demnach müsste sie bereits in der Fernsehwelt sein. An jenem Morgen wurde jedoch keine Leiche gefunden. Womöglich lebte sie noch. Adachi beschloss auch diesmal um Mitternacht auf den Fernseher zu achten, denn es würde erneut regnen.

»So eine verdammte Scheiße!«, riss Dojima Adachi aus seinen Gedanken. Seit dem Fund der ersten Leiche hatte sich Dojima auf den Fall gestürzt und ermittelte beinah wie ein Besessener. Er war es auch, der die Polizisten dort im Regen versammelt hatte. Dojimas Handeln war wahrscheinlich ein Versuch, sich selbst und seinen Kollegen sein Können zu beweisen.

»Sieht so aus, als gäbe es hier nichts mehr zu finden. Und wir haben noch immer nichts, was auf einen Verdächtigen hinweisen könnte«, Adachi hoffte, dass sein Vorgesetzter langsam seine lächerliche Operation abbrechen würde. Schließlich wollte er das Kimono-Mädchen nicht verpassen.

»Hmph. Wir wissen doch nicht einmal, ob es sich um einen Mord handelt.«

»Wie bitte?«, antwortete Adachi auf Dojimas Worte perplex. Was außer Mord käme schon in Frage? War Dojima denn so dämlich?

»Dojima-san. Ein Unfall kann es wohl schlecht gewesen. Zufälligerweise zweimal hintereinander. Und Suizid kommt logischerweise auch nicht in Frage. Außerdem… «

»Ja, ja, ich weiß schon. Aber wir kennen nicht einmal die Todesursache der ersten und haben schon eine zweite solche Leiche!«

»Könnte es nicht irgendetwas mit dieser Dreiecksbeziehung zu tun haben?«

»Dachten alle zunächst. Aber sowohl Hiiragi als auch Namatame haben ein sicheres Alibi. Außerdem hat Hiiragi selbst die Affäre ihres Mannes mit dieser Nachrichtensprecherin an die Öffentlichkeit gebracht. Damit hätte sie sich selbst, ihr Grab geschaufelt, wäre sie die Mörderin.«

»Schon… Haben sie schon davon gehört, dass Namatame gleich gefeuert wurde? Sein Schicksal war beinah genauso miserabel, wie das Yamanos«, mit geheucheltem Mitleid blickte Adachi zur Seite. Dojima hatte nicht die leiseste Ahnung, dass er mit dem Initiator der Morde sprach. Dass sein, ach so unnützer Partner, in Wahrheit Yamano vergewaltigen wollte und sich stattdessen an ihrem Tod erfreute. Nie käme jemand auf die Idee, dass sich hinter der Fassade des heiteren, verplanten Adachi, eine ganz andere Person befand. Keiner ahnte was wirklich in ihm vorging. Wie er sich jedes Mal vorstellte, wenn er beispielsweise in einen Supermarkt ging, dass die Köpfe seiner Mitmenschen einfach explodierten; wie er stets daran dachte, dass er sich eines Tages an allen rächen würde, die ihn seit jeher nie ernst genommen haben.

Alleine schon das Bild, dass die beiden im Regen Stehenden boten. Dojima mit seinem schwarzen Schirm, ernst und finster dreinblickend, als trüge er eine schwere Bürde. Daneben Adachi, mit dem weißen Schirm, ganz in Unschuld gehüllt, eine Allegorie seines Schauspiels.

»Ich verstehe einfach die Zusammenhänge der Morde nicht. Was hat Konishi mit Yamano zu tun, außer dass sie die Leiche fand? Ich bezweifle, dass ihr Tod dazu diente, sie zum Schweigen zu bringen. Ansonsten wäre die einzige Verbindung, dass sie auf dieselbe Schule ging, wie die Tochter des Gasthauses, in dem Yamano wohnte.«

»Und was ist, wenn es tatsächlich etwas gab, was nur Konishi wissen konnte? Und deshalb musste sie von der Bildfläche verschwinden, bevor es tatsächlich ans Tageslicht käme!«

»Was faselst du da? …Wie dem auch sei. Uns bleibt nichts anderes übrig, als weiterhin zu ermitteln. Der Täter, er muss aus Inaba sein!«

»Oh, nennt man das etwa detektivische Intuition?«, Adachi konnte sich diesen sarkastischen Kommentar schließlich nicht verkneifen. Dojimas Schlussfolgerungen waren einfach zu naiv. Wütend begann Dojima ihn zu beschimpfen, woraufhin Adachi lachte und den Wehmütigen spielte. Es war zu einfach. Adachi wusste, dass er bereits jeden mit seiner Täuschung eingewickelt hatte.

Kaum war Mitternacht angebrochen, erschien tatsächlich jemand im Mayonaka TV. Ein Mädchen in einer Art rosa Ballkleid, mit langen schwarzen Haaren. Sie hielt ein Mikrophon in der Hand und es wirkte, als ob sie eine Low Budget-Show moderierte. Bei näherem Betrachten erkannte Adachi schließlich das Mädchen. Es war die hübsche Schülerin, die damals beim Fund Yamanos Leiche mit Dojimas Neffen, wie sich später herausgestellt hatte, zugegen war. Sie befand sich in der Fernsehwelt, aber Adachi hatte sie nicht hineingeworfen. Hatte Namatame sie wider aller Erwartungen tatsächlich in einen Fernseher gestoßen? Adachi brach in ein beinah hysterisches Lachen aus. Sein kleiner, subtiler Hinweis hatte Namatame allen Ernstes dazu bewegt, Personen dem Tod auszuliefern. Aber warum besaß Namatame ebenfalls diese Gabe, von der Adachi dachte, sie sei nur ihm bestimmt? Er verspürte einen kleinen Stich Eifersucht, doch im selben Augenblick erkannte er den Vorteil darin. Der junge Detektiv würde weiterhin diesen Spaß genießen können, ohne selbst in irgendwelche Schwierigkeiten zu kommen. Namatame erledigte für ihn die Drecksarbeit. Somit hatte Adachi zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er konnte sich von nun an zurücklehnen und buchstäblich die Show genießen.

Das Mädchen lehnte sich vor, die Kamera zeigte ein Closeup ihres Dekolletés, sie spielte mit ihren Reizen und sprach von ihrem Traumprinzen. So eine kleine Schlampe, dachte sich Adachi. Was für eine verrückte Show war das eigentlich und wer filmte sie? Wer gab diesem Mädchen die Anweisungen, wie sie sie zu moderieren hatte? In großen Lettern erschien ihr Name: Amagi Yukiko. Etwa diese Tochter des Amagi Gasthauses, von dem Dojima gesprochen hatte? Da die Tochter der Amagis ungefähr dem Alter dieses Mädchens entsprach, waren dies sicher dieselben Personen! Namatame hatte erwähnt, dass wer auch immer in den lokalen Nachrichten auftauchte, das nächste Opfer sein würde. Suchte denn der Fernseher die Opfer aus? Aber es war doch Adachi selbst gewesen, der Yamano und Konishi in den Fernseher gestoßen hatte, unabhängig davon, dass sie im Fernsehen zu sehen waren. Bestand wahrhaftig ein Zusammenhang? Vielleicht hatte Adachi rein zufällig jene beiden Personen hineingestoßen, die vom Mayonaka TV ausgewählt worden waren. So viele unbeantwortete Fragen. Wie dem auch sei. Tatsache war, dass Namatame dachte, er würde Menschen retten, indem er sie in die Fernsehwelt hineinstieß. Wenn Adachi also Glück hatte, würde Namatame weiterhin unwillkürlich Menschen dem Unheil aussetzen und er selber seinen Spaß haben.

Das Mädchen machte kehrt und rannte in ein Schloss. Damit endete die Fernsehsendung und der Bildschirm wurde wieder dunkel. Adachi kicherte und war von Vorfreude erfüllt. Er beneidete Natame ein wenig, dass diesmal er dieses junge, hübsche Mädchen anfassen durfte, und nicht Adachi selbst. Der junge Detektiv überlegte sich Orte, wo diese Schönheit schon bald kopfüber hängen würde. Auf dem Dach ihrer Schule vielleicht, oder vielleicht einem Baum. Er musste sich überraschen lassen.
 

Seltsamerweise war Amagi Yukiko auch am nächsten Morgen nicht tot. Sie war jedoch verschwunden und ihre Angehörigen hatten mittlerweile eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Auf dem Polizeirevier machte sich erneut Panik breit und obwohl es Sonntag war, dachten alle an die Arbeit. Der Verdacht, es handele sich um einen Serienkiller, war verstärkt worden. Und auch Adachi runzelte sorgenvoll die Stirn. Doch galten seine Sorgen anderer Natur. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, grübelte er darüber nach, warum noch keine weitere Leiche aufgetaucht war und was Namatame wohl falsch gemacht haben konnte. Da es die kommende Nacht nicht regnen würde, gab es auch keine Sendung zu sehen. Die Polizisten auf dem Revier, suchten verzweifelt nach einem Schema des Mörders und auch Adachi begann über Zusammenhänge der Fernseh- und der seinen Welt nachzudenken. Er versuchte zu verstehen, warum Amagis Leiche noch nicht aufgetaucht war, warum sie vielleicht sogar noch lebte, Konishi und Yamano jedoch noch in derselben Woche gestorben sind. Schließlich verband Adachi die Ereignisse mit dem nächtlichen Regen. Es hatte weniger geregnet, als in den vergangenen Wochen als der Tod der beiden Frauen eintraf.

Adachi erinnerte sich an einen Film von letzter Nacht, welchen er nach der verrückten Sendung mit Amagi eingeschaltet und halbherzig verfolgt hatte. Es handelte sich um einen düsteren Film über einen Mörder im viktorianischen England. Die schrillen Schreie eines Opfers hatten den jungen Mann schließlich aufmerksam gemacht. Eine weibliche Leiche schwamm in der Themse. Ihre totenbleiche Haut bildete einen Kontrast zu der allgegenwärtigen Finsternis, die das Szenario zu verschlucken drohte. Alle Orte wirkten nass und kalt und waren in einen angsteinflößenden Nebel gehüllt. Es war ein Film ganz nach seinem Geschmack gewesen. Adachi fragte sich, ob es in Großbritannien wirklich stets so neblig war. Nebel. Schlagartig kam ihm der Gedanke, den Nebel mit den Mordfällen in Verbindung zu bringen. War es nicht auch an jenen beiden Morgen neblig gewesen? Er erinnerte sich, wie in der Wettervorhersage von einem ungewöhnlich dichtem Nebel gesprochen wurde, der nur in jener Woche aufgetaucht und mittlerweile verschwunden war.

Adachi fuhr eilig den Rechner in seinem Büro hoch, um im Internet die Wettervorhersage für Inaba zu lesen. Am 29. April würde es wieder neblig werden. Also war, wenn Adachi mit seinem heiklen Verdacht richtig lag, in zwei Wochen die Leiche zu erwarten. Lebte das Mädchen Yukiko noch in der Anderswelt, oder war sie gar schon tot? Als er Mittagspause hatte und sich einige Kollegen, darunter Dojima, in den dafür vorgesehenen Raum zum Rauchen versammelten, gesellte Adachi sich zu ihnen und erwähnte aus heiterem Himmel den Nebel: »Also, es ist zwar nur eine Idee, aber hat jemand schon einmal daran gedacht, dass gerade an den beiden Morgen, die ungewöhnlich neblig waren, die zwei Leichen aufgetaucht waren?«

Dojima verschluckte sich beinah an seinem Kaffee und blickte seinen jüngeren Partner mit aufgerissenen Augen an. »Ist das wahr? Oh, Adachi, das ist gut! Hey, ihr da! Los, protokolliert das!«

Verschmitzt grinste Adachi und zündete sich triumphierend ebenfalls eine Zigarette an.

Es waren schon einige Stunden vergangen und Adachis Vermutung wurde nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern ernsthaft in Erwägung gezogen. Dojima hatte jedoch offenbar völlig vergessen, von wem diese Vermutung stammte und behandelte Adachi weiter als assistierenden Sklaven. Es war schon die dritte Tasse Kaffee an dem Tag, die Adachi für Dojima kochen und bringen musste. Seufzend hatte er resigniert und sich eilig ans Werk gemacht. Als Adachi den Kaffee in Dojimas Büro bringen wollte, sah er ihn zwei männliche Schüler tadeln. Er hatte abrupt angehalten, um die drei aus der Ferne zu beobachten und dabei heißen Kaffee auf seine Hand verschüttet. Stoisch ließ er sich jedoch nichts von dem Schmerz anmerken und ging auf die Schüler zu, sobald Dojima mit ihnen fertig war. Er hatte den einen als Dojimas Neffen Souji erkannt.

»Oh, verzeiht! He, bist du nicht Dojimas Neffe?«

»Könnten wir sie etwas fragen?«, antwortete ihm stattdessen der andere von den beiden. Er hatte hellbraunes Haar – was fanden diese Jugendlichen nur am Haare bleichen? – und trug große, rote Kopfhörer um seinen Hals. Dojimas Neffe hatte, genau wie Dojima, ebenfalls gräulich wirkende Haare. Vielleicht alterten ja die Männer in ihrer Familie vorzeitig. Auf jeden Fall hatte es etwas Seltsames.

»Also, es geht um Amagi-san. Ist ihr etwas zugestoßen? Wissen sie, naja, wir sind ihre Freunde und sorgen uns.«

»Ob ich mich dazu äußern darf?«, Adachi wägte Pro und Contra ab. Im Prinzip war es ihm egal, ob die Details an Zivilisten kämen und er seine Schweigepflicht bräche. Etwas in ihm reizte ihn jedoch, gerade weil es sich um den Neffen seines älteren Partners handelte, diesen beiden mehr zu erzählen, als erlaubt war.

»Sagt das keinem weiter, aber wir erhielten gestern einen Anruf von Amagis Eltern, dass ihre Tochter nicht mehr auffindbar sei. Bedingt durch das Wochenende, gab es wohl im Gasthaus so viel zu tun, dass ihnen nichts aufgefallen war. Das hat aber selbstverständlich nicht zu bedeuten, dass das Mädchen etwas mit den Morden zu tun hat. Die Sache ist die, dass eben Tote an nebligen Tagen aufgefunden werden und wir Gesetzeshüter empfindlich reagieren. Im Übrigen hat sie nicht erwähnt, dass sie schwere Zeiten durchmacht? Diese Nachrichtensprecherin Yamano übernachtete ja auch im Amagi Gasthaus. Auf jeden Fall, hatte sie sich aus irgendwelchen Gründen furchtbar bei der Managerin, Fräulein Yukikos Mutter, beschwert. Diese ist dann kollabiert und vielleicht hat das Fräulein Yukiko so sehr mitgenommen… Uns Polizisten kam so ein Verdacht… Oh, nein! Ich bin zu weit gegangen! Wenn es um die Arbeit geht, kann ich mich selbst nicht stoppen…«

»Adachi! Was zum Teufel tratscht du da mit Zivilisten? Und wo ist mein Kaffee!?«, Dojimas Stimme ertönte wütend von seinem Arbeitsplatz.

»Tut mir leid, Dojima-san! Ich bringe ihn schon!«, Adachi schauspielerte leichtes Entsetzen und blickte die zwei Jugendlichen flehend an. »Bitte, vergesst was ich gesagt habe, okay?«, er ließ die beiden zurück und eilte beinah panisch zu Dojima.

Am Morgen des 22. Aprils ging ein Anruf der Amagis auf dem Revier ein, dass Amagi Yukiko am vorherigen Abend unversehrt aufgetaucht war. Adachi war entsetzt. Wie war das möglich? Er hatte sie doch im Fernsehen gesehen. Das war zweifelsohne dieselbe Person gewesen, denn zusammen mit der Vermisstenanzeige, war auch ein Foto von Yukiko abgegeben worden. Namatame konnte doch nicht wirklich einen Weg gefunden haben, das Mädchen zu retten. Das wäre grauenhaft! Letzten Endes dachte Namatame noch tatsächlich, er sei der Messias. Aber etwas an dem Verschwinden dieses Mädchens war anderes gewesen, als bei den ersten beiden. Abgesehen davon, dass der Nebel unmittelbar am darauffolgenden Morgen aufgetreten war, bei Yukiko aber erst nach einem Abstand von drei Wochen, gab es bei ihr diese seltsame Show, die die ersten zwei nicht hatten. Konnte die Sendung etwas damit zu tun haben? Vielleicht musste Adachi die Sache wieder selbst in die Hand nehmen, oder vielleicht sollte er Namatame kontaktieren, um durch unterschwellige Fragen an Informationen zu kommen. Nein. Er beschloss sich erst einmal zu gedulden und abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Der Mayonaka TV fände sicherlich ein neues Opfer. Nächstes Mal, wenn es wieder regnen würde.

Nervös und unruhig wie er war, hatte Adachi nicht bemerkt, wie er begonnen hatte, an seinen Fingernägeln zu kauen. Um sich davon abzulenken, nahm er einen Kugelschreiber und begann auf einem Papier zu skizzieren. Irgendwelche geometrische Figuren zunächst, dann einen nackten Frauenkörper. Aber er war unzufrieden und strich die Zeichnung wütend durch. Immer und immer wieder, bis nichts mehr zu erkennen war und das Papier zu reißen begann.

»Hey, Adachi! Was treibst du da?«, Dojima riss den jungen Detektiv aus seiner Trance und erschreckte ihn dabei so sehr, dass dieser einige Aktenordner von seinem Schreibtisch stieß.

»Man, was hat dich denn gestochen?«

»Ohje, Dojima-san. Verzeihen sie. Ich war so in Gedanken versunken…«

»Du kannst mich ruhig duzen, hab‘ ich dir gesagt. Wir arbeiten schließlich gemeinsam tagein, tagaus an diesem gottverdammten Fall. Worüber hast du nachgedacht? Daran, dass dem Amagi-Mädchen seltsamerweise gar nichts zugestoßen ist? Die Sache mit dem Nebel war übrigens echt gut. Aber steiger dich nicht zu sehr in die Sache rein.«

Oh, Gott. Er weiß es. Dojima verdächtigt mich. Adachi versuchte so gut wie möglich, sich von seiner aufkeimenden Panik nichts anmerken zu lassen. Sollte dieser Narr Dojima tatsächlich etwas ahnen, würde sein ganzes Vorhaben den Bach runtergehen. Es dürfte keinesfalls etwas schief laufen. Er durfte nicht auch diese Position verlieren, sonst käme er nie zurück in die Stadt. Und er wollte auch nicht seinen schwachsinnigen Job verlieren, denn es war die einzige Möglichkeit, seine Fantasien zumindest annähernd auszuleben.

»Amagi Yukiko ist zur Befragung da. Worauf wartest du? Los!«

»Was? Sie ist hier? Ja, einen Moment. Ich komme sofort«, hastig sammelte er die verstreuten Dokumente auf, zupfte seinen Kragen halbwegs zurecht und ging Dojima nach.
 

Amagi Yukiko saß in demselben Raum, in dem Adachi damals Konishi Saki befragt hatte. Unbewusst wanderte sein Blick immer wieder von dem erschöpft wirkendem Mädchen, zu dem Fernseher in einer Ecke hinter ihr.

Unsicher saß das schwarzhaarige Mädchen auf ihrem Stuhl, die Hände in den Schoß gelegt, auf ihrer Unterlippe kauend. Das satte rot ihrer Jacke umschmeichelte wunderbar ihre blasse Haut und war wie geschaffen, für ihre roten Lippen. Selbst ihr Name war perfekt. Yukiko. Schneekind. Und tatsächlich wirkte sie ein wenig wie Schneewittchen. Mit unschuldigem Ausdruck blickte sie zur Seite, aber Adachi hatte sie gesehen. Er hatte gesehen, was sie wirklich wollte. Mit größtem Vergnügen, hätte er ihr dies gegeben. Und wie gern, hätte er sie tot gesehen. Seine Gedanken erregten ihn.

»Geht es dir nicht gut, Amagi-san?«

»Doch, es ist in Ordnung. Vielen Dank. Ich fühle mich nur etwas matt… «

»Kein Wunder. Nach tagelanger Abwesenheit und zusätzlichem Gedächtnisverlust. Und erinnerst du dich wirklich an gar nichts? Nicht an irgendwen, der dich entführt haben könnte? Oder an den Ort, an den du gebracht wurdest? Vielleicht irgendwelche Kleinigkeiten, die uns weiterbringen könnten.«

»Nein. Wie ich bereits erzählt habe, erinnere ich mich nur daran, dass ich abends im Gasthaus war und von da an wird alles schwarz.«

Es war hoffnungslos. Sie erwähnte nichts von einer Fernsehwelt, dem Ballkleid, ihrem Traumprinzen oder Namatame Taro. Adachi konnte sie auch nicht darauf ansprechen, denn das wäre zu verdächtig. Dem Anschein nach, erinnerte sie sich aber tatsächlich an nichts. Diese Anderswelt war wirklich seltsam.

»Ach, lassen wir das für heute«, Dojima zog kopfschüttelnd an seiner Zigarette. »Du bist entlassen. Deine Eltern warten in der Eingangshalle. Falls wir noch Fragen haben sollten, werden wir uns melden.«

»Vielen Dank, die Herren«, Yukiko verbeugte sich. Welch heuchlerische Höflichkeit. Oder war das einfach die Art wie sie erzogen wurde? Eine stille, traditionelle Schönheit, mit geheimen, unzüchtigen Gedanken. »Es tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen konnte,« zaghaft bedankte sie sich nochmals bei Adachi, der ihr die Tür aufhielt und ging.

»Du bist ohne Auto da, stimmt’s? Ich kann dich gern mitnehmen. Lass uns noch bei mir vorbei gehen, darauf anstoßen, dass Amagi sicher ist und vorerst keine weitere Leiche augfgetaucht ist.«

»Huh? Äh… Natürlich. Liebend gern, Dojima-san. Ich würde gern ihre Tochter kennen lernen und ihr Neffe schien mir auch sympathisch.«

»Was? Finger weg von meiner Tochter! Im Übrigen kannst du mich duzen, verdammt!«, Adachi grinste verlegen und unbeschwert lachend, gingen die beiden zu Dojimas Auto. Anscheinend hatte Adachi voreilige Schlüsse gezogen und es stand doch nicht allzu übel um ihn. Er wurde schon paranoid. Dennoch musste er auf der Hut sein und war nun entschlossen weiterhin zu beobachten und Namatame agieren zu lassen. Stattdessen würde er die Beziehung zu seinen Kollegen, allem voran seinem älteren Partner Dojima, pflegen, denn wie es schien, hatte dieser ihn zu mögen begonnen. Trotz allem frustrierte es Adachi, wie vorsichtig er doch sein musste. Er hasste diese Stadt, in der jeder seiner Schritte bekannt war. In der Großstadt, aus der er eigentlich war, gab es zwar Millionen von Menschen um ihn herum, jedoch war es dort anders. Obwohl man von so vielen umgeben war, war man am Ende doch alleine, da sie alle fremd waren. Aber in einer Kleinstadt wie Inaba war sich jeder untereinander vertraut. Adachi musste stets seine Fassade bewahren und seine Rolle mit Sorgfalt spielen. Im Gegensatz zu einer sozial sterilen Großstadt, konnte er hier nie er selbst sein. Was war das eigentlich? Das sogenannte Selbst? Das Ich? Adachi konnte nie sein wahres Ich leben, schließlich waren Menschen wie er in dieser Gesellschaft verpönt. Wollte er wirklich sein armseliges Leben weiterführen, musste er stets darauf bedacht sein, sich zu verstecken. Es war zum verrückt werden. Einfach sinnlos. Aber jetzt gab es diese Mordfälle und es war, als würde er zum ersten Mal wirklich leben. Der Mayonaka TV gab ihm plötzlich einen Sinn zu existieren. Und deshalb sah er diese Vorfälle als seine Vergeltung. Als würde eine höhere Instanz ihm die Möglichkeit geben, sich endlich für all die Jahre der Pein zu rächen. Aber auf einmal wird diese Yukiko lebend gefunden und erneut begann sich die Wut in ihm zu sammeln.

»Hier wären wir,« da Adachi so intensiv nachgedacht hatte, hatte er gar nicht bemerkt, wie sie den Weg bereits zurückgelegt hatten und nur desinteressiert zugehört, wie Dojima von seiner Tochter schwärmte, oder jegliche Radiosender verfluchte.

Ryotaro Dojima lebte in einem im eher japanischen Stil gehaltenem Einfamilienhaus mit Garten und niedlicher Tochter. Er war eben einer dieser Menschen, die Adachi für Abschaum halten würden. Wobei Adachi gehört hatte, dass Dojima verwitwet war. Und diese Tatsache, die diesem einen Riss in sein perfektes Leben machte, gönnte er ihm. Adachi wusste nicht wirklich warum, aber er hasste und beneidete Dojima.

»Ah, Mist! Wir hätten noch unterwegs etwas zu Essen kaufen sollen. Naja, vielleicht hat Nanako etwas gekocht…«

»Ihre Tochter kocht? Wie alt war sie nochmal? Sieben?«

»Papa ist zurück! «, das kleine Mädchen mit den dunklen Zöpfen kam den beiden entgegen gestürmt und blieb, sobald sie Adachi entdeckt hatte, abrupt stehen. Die Entgeisterung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Adachi war entnervt.

»Hallo, Kleine!«, begrüßte er sie so gutmütig wie möglich. »Ich bin Adachi Toru. Dojima-sans Arbeitssklave seit letztem Monat.«

»Ich kann dir auch gern mehr Arbeit auftragen, wenn du das so siehst.«

»Haha! Guter Witz! Haha… Ah! Beinah vergaß ich es!«, Adachi blickte Souji, Dojimas Neffen an. »Du hattest doch erwähnt, dass du mit Amagi Yukiko befreundet bist. Sie wurde gestern sicher gefunden! Gute Neuigkeiten, was?«

»Ja. Welch eine Erleichterung,« antwortete der Junge trocken. Verwirrt runzelte Adachi die Stirn. Der Schüler drückte solch eine Selbstsicherheit aus, dass es Adachi irritierte. Er tat gerade so, als wären diese Informationen eine Selbstverständlichkeit.

»Ja, und für uns erst. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Fall abgeschlossen ist. Vorhin hatten wir Fräulein Amagi befragt, aber angeblich erinnert sie sich an nichts, was die Zeit ihrer Abwesenheit betrifft. Wo sie sich bisher befand, wissen wir auch nicht. Als ob sie völlig verschwunden gewesen wäre! Ziemlich seltsam meiner Meinung nach… Irgendetwas… Ouch!«, Dojima hatte Adachis Monolog mit einer Kopfnuss unterbrochen.

»Hör auf zu quatschen, Schwachkopf!«

»Tut mir leid!«

»Ignoriert ihn einfach. Er fantasiert nur rum.«

»Verdächtigen sie, Yukiko?«, meldete sich Souji wieder zu Wort. Adachis Hinweise hatten also gefruchtet. Es konnte ohnehin nicht schaden, wenn Außenstehende anstatt ihm verdächtigt wurden.

»Keiner Sorge«, antwortete ihm Dojima. »Polizisten sind nicht irgendwelche Idioten, die jedes Gerücht für bare Münze nehmen. Er führt lediglich Selbstgespräche. Nicht ernstzunehmend.«

Von wegen. Und ob ihr alles Idioten seid.

»Ich hab‘ Hunger!«, warf schließlich Nanako ein.

»Entschuldige. Natürlich. Mein Magen knurrt auch schon.«

»Aha! Gegenüber Nanako-chan haben sie also eine angenehmere Seite.«

»Ach, Klappe und setzen!«

Letztendlich wurde es ein interessanter und lustiger Abend. Mittlerweile hatte Adachi begonnen, sich an die Person die er mimte, zu gewöhnen und es machte ihm sogar fast Spaß. Jedenfalls war diese Persönlichkeit optimal, um fremde Gunst zu gewinnen. Alles versprach zu einem lustigem Spiel zu werden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  WhiteBlood
2009-12-23T13:00:58+00:00 23.12.2009 14:00
Ich finde das zweite kapitel noch gelungener als das erste.
Am meisten die eigenen gedanken von adachi und wie er diese Rolle spielt! ♥
"Er hatte hellbraunes Haar – was fanden diese Jugendlichen nur am Haare bleichen? – und trug große, rote Kopfhörer um seinen Hals. Dojimas Neffe hatte, genau wie Dojima, ebenfalls gräulich wirkende Haare. Vielleicht alterten ja die Männer in ihrer Familie vorzeitig. Auf jeden Fall hatte es etwas Seltsames." Die stelle fand ich ganz ehrlich am besten <3!
Super gemacht <3!
Ich hoffe es geht bald weiter~♥

Von:  XV-Atelier
2009-12-23T11:05:57+00:00 23.12.2009 12:05
so hab jetzt auch kapi 2 gelesen^^
im ersten kapi ist es mir noch nicht so deutlich geworden aber im 2. kann ich es sehen...
ich mag deinen stil voll
weiter so


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