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Schattenträume

von

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Adrenalin

Es war dunkel. Die engen Gassen der Nebenstraßen waren wie ein Labyrinth, wenn man die eigene Hand vor Augen kaum sehen konnte. Zwischen den hohen Mauern hallten ihre schnellen Schritte lange wieder im Rhythmus zum schwer gehenden Atem. Hastig sah sie über die Schulter, doch da war nichts. Sie rannte weiter, versuchte auf Verfolger zu lauschen, konnte aber auch nichts hören. Sie rannte weiter. Vor wem rannte sie davon, oder vor was? Da, ein dunkler Fleck, noch schwärzer als die Gassen. Etwas packte sie an den Beinen und riss sie von den Füßen. Ihr Herz pochte rasend. Adrenalin pullsierte in den Adern und vernebelte die Sinne. Durch die Trübheit drang ein deutliches Flüstern aus den Schatten.
 

Mit einem unterdrückten Schrei schoss Elivandra aus dem Schlaf hoch. Es war nur ein Traum, dachte sie sich, nur ein Traum. Doch so oft sie sich das auch sagte, es brauchte eine ganze Zeit, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, saß sie erst einmal so da und lauschte den angenehmen Geräuschen des Morgens. Vor ihrem geistigen Auge malte sie sich die Welt nach dem aus, was sie hörte. Der Wind in den Blättern vor dem Fenster neben ihrem Bett, wärmendes Sonnenlicht zwischen den Ästen, in denen Vögel spielen. Ein schöner und ruhiger Gedanke. Leider war es an der Zeit, sich wieder der Realität zuzuwenden. Trotz des schlimmen Traumes hatte sie wieder einmal verschlafen. „Ich komme zu spät,“ sagte sie sich, strich sich den kalten Schweiß aus dem Gesicht in die dunkelblonden Haare und zwang sich dann, ins Bad zu gehen.

Vor dem Spiegel besah sie sich ihr Gesicht. Einige rote Strimen zeichneten sich da ab, wo sie sich ins Kissen gedrückt hatte. Sie sah immer etwas zerknautscht aus, trotz ihrer relativ reinen Haut. Hier und da ein paar Sommersprossen, aber darauf standen Männer. Zumindest richtige Männer. Genau wie ihre hellgrünen Augen. Eigentlich war es ja nur ein normales Grün, aber irgendwie reflektierten sie Licht besonders gut, fast, als würden sie selbst strahlen. Elivandra war schon immer stolz auf diese Augen gewesen, sie waren einzigartig. Darüber hinaus hatte sie auch nie eine Brille gebraucht. Insgeheim dankte sie dabei ihrer Mutter, dass sie früher immer so viele Karotten hatte essen müssen. Kurz blickte Elivandra zur Waage, entschied sich aber dann doch dagegen. Einen Tag zuvor hatte sie erst etwas zuviel für Elivandras Geschmack angezeigt. Man sah es zwar nicht, trotzdem wusste sie, dass es da war, dieses Stückchen Erdbeerkuchen. Eigentlich hatte sie ja gar keinen Hunger mehr gehabt, aber es wäre auch zu schade gewesen, es liegen zu lassen. Mit der Hoffnung, es würde sich geeignete Stellen an ihrem Körper aussuchen, um zu bleiben. Zum Beispeil oben rum. Es war zwar nicht zu wenig, sondern schon ganz ordentlich, wie sie selbst fand, aber ein wenig mehr wäre doch sicher auch nicht verkehrt. Die morgendliche Inspektion vor dem Spiegel letzten Endes doch zufrieden abschließend, stieg Elivandra in die Dusche.
 

Die erste Stunde war schon halb rum, als Elivandra endlich den Hörsaal erreichte. Vorsichtig öffnete sie die Tür, ihr Frühstückstoast noch im Mund. Damals in der Schulzeit gab es immer Ärger, aber in der Uni sah man das etwas entspannter, solange man die Vorlesung nicht störte. Mit leisen Schritten huschte sie auf den nächsten freien Platz. Der Dozent, ein Herr, dessen Haare schon sehr früh zu ergrauen schienen, hatte offenbar nichts bemerkt. „Na, hast du mal wieder verschlafen, Elli?“ Elivandra drehte sich um. Hinter ihr saß ihre Freundin, Pulvini und grinste sie frech an. Sich die blonden, kurzen Haare aus dem Gesicht streichend und kurz mit den blauen Augen nach dem Dozenten schauend fragte sie: „Liegt es an nem Kerl?“ „Schön wäre es,“ seufzte Elli. Sie vermied es, sich umzudrehen. Pulvini war eigentlich einen ganzen Kopf kleiner als sie und auch bedeutend schmächtiger. In dieser Position war sie jedoch höher und Elivandra kam sich vor, als wäre sie vor Gericht. Dabei hatte sie schon lange keinen Mann mehr, ganz im Gegenteil zu ihrer Freundin. „Hätte ich endlich wieder nen Kerl, würde ich ne ganze Woche nicht mehr aus dem Haus gehen,“ stichelte sie zurück. „Das dachte ich mir schon. Wird mal wieder Zeit, oder?“ Schmollend sank Elivandra tiefer in ihren Stuhl. „Du hast ja keine Ahnung.“

„Ach Elli,“ sagte Pulvini, als sie von Hinten ihre Arme um sie schloss, „hast du Lust heute Abend bei uns zu essen?“ Allein bei dem Gedanken an die Kochkünste ihrer Freundin lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Beinahe hätte sie angefangen zu Sabbern, als sie den Mund öffnete, um „Jaahaa“ zu sagen. Im gleichen Moment fragte der Dozent nach einem Frewilligen für das Stundenprotokoll und freute sich über die sonst eher seltene Beteiligung Elivandras an den Protokollen.
 

Nachdem der Unitag sich scheinbar unendlich zog, gingen Elivandra und Pulvini gleich danach zusammen einkaufen. Spaghetti mit Pulvinis selbst gemachter Bolognese sollte es geben, das war für Elli fast genauso gut wie ein Mann. Das und die Tatsache, dass Pulvini wieder etwas kleiner war als sie, stimmten sie reglich zufrieden. So konnte Elivandra kaum das Abendessen abwarten.

In Pulvinis Wohnung wartete schon ihr Freund. Er und Pulvini hatten vor Kurzem erst ihr Dreijähriges Jubiläum gefeiert. Für Ellis Geschmack hatte er zu trübe Augen. Sie achtete sehr auf so etwas und war davon überzeugt, dass unter anderem die Augen Rückschlüsse auf den tief im Urhirn verwurzelten Charakter zuließen. Ihrer Freundin gefiel dieser Typ aber, also musste sie das akzeptieren. Zumindest für den Augenblick. Elivandra half bei der Zubereitung immer mit, auch wenn sie nur kleinere Aufgaben übernahm, wie zum Beispiel das Schnippeln der Gewürze, die in die Soße kamen. Mal wieder vor sich hinträumend schnitt sie sich dabei in den Finger. „Auuh!“ „Was ist denn?“ „Ich hab mich geschnitten,“ presste sie zwischen den Lippen heraus, während sie den Finger im Mund hatte. Es brannte höllisch. Mit einem Blinzeln verdrängte sie eine kleine Träne, die sich in ihre Augen geschlichen hatte. „Ach Elli, schon wieder.“ Seufzend griff Pulvini nach dem Verbandskasten im Eckregal der Küche. Das war bei weitem nicht das erste Mal, dass sie den brauchte, wenn Elli ihr beim Kochen half. „Ich mach das ja nicht mit Absicht,“ gab sie etwas eingeschnappt zurück. „Es sieht aber so aus,“ mischte sich Pulvinis Freund ein. „Arsch,“ dachte Elivandra. Bei anderen vertrug sie solche Näckereien, aber er hatte eindeutig nicht das Recht dazu.

„Schaust du mal bitte nach dem Wasser. Ich glaube es kocht gleich.“ Für einen kleinen Moment dachte Elivandra, dass Pulvini irgendwie auf sie anspielte. „Klar Schatz.“ „Sie ist nicht dein Schatz, sondern meiner,“ dachte sich Elivandra und hätte fast gelacht, als sie das an ein Filmzitat erinnerte. „So und du zeigst mir mal deinen Finger.“ Fast im gleichen Moment baute sich ein freches Grinsen in ihrem Gesicht auf. „Es sei denn, du machst dir damit ein paar schöne Gedanken,“ fügte sie hinzu. Manchmal war sie einfach ein Biest, auch wenn man ihr das sonst nicht zutraute. Elivandra nahm langsam den Finger aus dem Mund und versuchte dabei eine erotische Geste zu imitieren. Pulvini musste laut Lachen. Damit hatte sie nun wiederum nicht gerechnet. Als sie sich wieder gefangen hatte, griff sie nach dem Finger. „Zeig schon her.“ Mit dem fachmännischen Blick einer Biologiestudentin begutachtete sie die Wunde. „Da ist doch gar nichts.“ „Haha, wie witzig.“ „Nein, wirklich, da ist nichts.“ „Ich merk doch wie es puchert.“ „Tut es denn noch weh?“ Jetzt, wo sie es sagte, es tat nicht mehr weh. Nicht mal ein bisschen. Elli besah sich ihren Finger. Es war nichts zu sehen, nicht mal eine kleine Schramme. „Mensch,“ sagte Pulvini, „du machst mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten,“ und sah wieder nach dem Essen. Elivandra sah ungläubig auf das Schneidbrett. Dort zeichnete sich ganz deutlich ein dunkler roter Fleck ab. Sie schüttelte den Kopf. Vielleicht gab es ja sowas, sie war immerhin kein Arzt. Eher sollte sie froh sein, dass sie sich wohl nicht wirklich geschnitten hatte.

Viel wichtiger war jetzt: sie hatte großen Hunger. Noch mehr, als vorher.
 

Das Essen war wie erwartet ein Traum. Elivandra konnte gar nicht genug davon bekommen und erntete dafür schon seltsame Blicke. Ihr Appetit war sonst auch nicht von schlechten Eltern, ihr Tischverhalten unter Freunden auf der anderen Seite war heute besonders auffällig. Sie kam sich auf einmal fast wie ein Tier vor. Der Abend nahm weiter seinen Lauf und bald war es Zeit zu gehen.

„Aber er kann dich doch eben nach Hause bringen. Das ist doch kein Problem.“ „Nein.“ Elivandra blieb hart. „Der Weg ist doch wirklich nicht weit und hier in der Gegend ist doch eh nichts los. Was soll mir da schon passieren?“ „Du könntest...“ „Pulvi, das war eine rethorische Frage,“ unterbrach Elivandra sie. „Hör zu, wir haben diese Diskussion jedes mal und immer gehe ich allein nach Hause. Gewöhn dich langsam an den Gedanken. Es passiert nichts.“ Auf der einen Seite glaubte Elli, dass wirklich nichts passierte und selbst wenn, würde sie dem Typen schon das Fürchten lehren. Auf der anderen Seite wollte sie auf gar keinen Fall, dass sie dieser Fischaugen-Typ begleitete. Schließlich bekam sie doch ihren Willen und Pulvini ließ sie gehen.
 

Auf dem Weg nach Hause nahm Elivandra ein paar Nebenstraßen, um den Weg abzukürzen. Die Zeit der lauen Sommernächte war endgültig vorbei und durch den klaren Nachthimmel huschte ein kühler Wind. Vielleicht lag es genau an diesem, dass sie sich unsicher fühlte. Angstgefühle konnten durch Trockeneis simuliert werden, das hatte sie im Studium gelernt. Natürliche Kälte hatte dann sicher den gleichen Effekt. Doch ihre rationalen Überlegungen halfen nichts. Ihr Körper empfand eine gewisse Form von Unbehagen. Automatisch wurden ihre Schritte schneller. War es nur Einbildung, oder wurde es dunkler um sie herum? Elivandra hörte ihr Herz pochen und sie hielt für einen kurzen Moment den Atem an, als sie merkte, dass dies genau wie in ihrem Albtraum letzte Nacht war. Normalerweise glaubte sie nicht im Geringsten an solche Phänomene, aber irgendwie wollte sie es in diesem Moment auch nicht darauf ankommen lassen. Schließlich begann sie zu laufen. Schneller und immer schneller werdend um die Ecken und durch die dunklen Gassen. Aus den Augenwinkeln glaubte sie zu sehen, wie sich die Dunkelheit wie ein Vorhang aus Schatten langsam zuzog. „Nurnoch um die nächste Ecke,“ dachte Elivandra, „dann bin ich wieder auf der beleuchteten Straße.“ Schwer atmend hechtete sie um die Ecke und stieß mit etwas Hartem zusammen. Sie schrie schrill auf und ging zu Boden.

Das Dunkel begann sich zu lichten und sie konnte einen Mann erkennen, der sich pausenlos den Hinterkopf rieb. Langsam konnte Elli wieder klar denken. Offenbar war sie mit ihm zusammen gestoßen und hatte ihn hinten über geworfen. Langes dunkles Haar hing ihm ins Gesicht. Durch die Strähnen konnte Elivandra ein markantes und mit einem Dreitagebart versehenes Kinn erahnen. Die Haare waren so lang, dass sie erst auf Höhe der Brusttaschen des knitterigen Hemdes endeten. Dieses war nicht einmal in die Hose gesteckt und die obersten Knöpfe standen auf. Im ersten Moment dachte sie, er sei ein Obdachloser, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder, da er ansonsten recht gepflegt wirkte. „Tut.. tut mir leid,“ brachte Elivandra hervor. „Ich habe Sie nicht gesehen.“ Der Mann stöhnte leicht und kämmte sich mit der Hand die Haare aus dem Gesicht nach hinten. „Ein paar schöne klare Augen,“ dachte Elli, „tief Grün. Aber genau so leuchtend wie meine.“ „Ist nicht weiter schlimm, mir ist nichts passiert. Bei dir alles in Ordnung?“ Die Stimme klang ein klein wenig knarzig, als hätte er Grippe, passte aber so gut zu seiner Erscheinung. Elivandra hatte sich wieder gefasst und das ungute Gefühl war wie verflogen. „Ja, alles in Ordnung. Ich habe mich nur erschrocken.“ „Na dann ists ja gut.“ Er schaute sich um. „Du hast nicht irgendwo meine Brille gesehen?“ „Oh,“ Elli schaute sich um. Im Dunkel der Nacht konnte sie nicht viel erkennen. „Nein, ich sehe sie nicht.“ „Auch nicht weiter schlimm. Ich wollte mir eh eine neue zulegen,“ sagte der Mann, als er sich aufrichtete und Elivandra eine Hand reichte. Sie nahm sie. „Danke und tut mir wirklich leid. Ich..“ „Kein Problem,“ unterbrach er sie. Erst jetzt bemerkte Elli, dass sich sein Schatten komisch bewegte. Leicht versetzt zu seinen Bewegungen. Aber das konnte auch daher kommen, dass sie sich gerade den Kopf an ihm gestoßen hatte. Sie war ihm direkt gegen das Brustbein gelaufen, so etwas tat weh. Elivandra rieb sich die Augen. Als sie sie wieder öffnete hatte sich der Mann bereits zum Gehen gewand. „Ich wünsche noch eine schöne Nacht.“ Mit diesen Worten verschwand er im Dunkel auf der anderen Straßenseite. „Äh, danke. Ich Ihnen auch.“

Irgendwie hatte sich der Kerl seltsam benommen. Nicht nur sein schnelles Verschwinden, sondern auch, dass er ohne seine Brille gegangen war. Wer machte so etwas schon? Es gab schon sehr seltsame Leute auf dieser Erde.
 

Müde und von ihrem Spurt durchgeschwitzt kam sie zu Hause an. Ihre Zähne klapperten, als eine neue Böe durch ihre nasse Kleidung fuhr. Sie wollte ins Bett, aber nicht so verschwitzt. Wenig motiviert schwankte Elli ins Bad und stellte die Dusche an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-11-19T21:47:19+00:00 19.11.2009 22:47
Ich weiß es zu schätzen... denke ich :P
Aber irgendwie hab ich das glaube ich nciht richtig verstanden ^^
"Außerdem meine ich, dass die Ehrlichkeit und die eher brachiale Ausdrucksweise an manchen Stellen durchscheint, aber ruhig auch in den Vordergrund treten darf. Deswegen soll sich werter Herr Autor mal was trauen - denn nicht nur mit dem Plot macht man Punkte. ^^ "

Das der Stil auch wichtig ist, soweit komm ich mit, aber das mit dem "sich trauen" und die "brachiale Ausdrucksweise"... wie genau meinst du das ? ^^
Von:  Asketenherz
2009-11-09T16:25:04+00:00 09.11.2009 17:25
Die Erste. Ich hoffe ihr wisst das zu würdigen. =) Ich ging nun also einem Link via ENS nach, obwohl ich sowas ja nie mache. Heute war eine Ausnahme und siehe da: es hat sich auch noch gelohnt. Nun ja, im ersten Kapitel erfährt man ja nie sehr viel, aber ich kann schon erahnen (meine ich zumindest) in welche Richtung das läuft. =) Zwei Fehler sind mit noch aufgefallen, werte Beta-Leserin. Zum einen der "kalte Scheiß", was mich sehr zum Lachen gebracht hat und einmal irgendwo weiter hinten der Buchstabendreher mit "haben", was zu "ahben" geworden ist.
Ansonsten finde ich es ziemlich gut und bin gespannt, wie es weiter geht. Außerdem meine ich, dass die Ehrlichkeit und die eher brachiale Ausdrucksweise an manchen Stellen durchscheint, aber ruhig auch in den Vordergrund treten darf. Deswegen soll sich werter Herr Autor mal was trauen - denn nicht nur mit dem Plot macht man Punkte. ^^

Die besten Empfehlungen des ersten Lesers

Darki

p.s. weiter so !


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