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Carpe Noctem

Wichtel für Das_Anni
von

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Carpe Noctem

Lautlos gleitet das Auto über die leere Landstraße, vorbei an Schatten kahler Bäume und namenloser Meilensteine, die nur vom grellen Licht der Scheinwerfer ein Gesicht bekommen. Regen peitscht gegen die Windschutzscheibe, verklärt jede Sicht auf den Weg, der da noch kommt. Alle Vorsicht, die eigentlich geboten wäre, lässt der Fahrer hinter dem Steuer vermissen, rast geradezu über den nassen Asphalt, die Kurven halsbrecherisch, aber doch irgendwie elegant nehmend.
 

Ungeduldig tippt Bela immer wieder mit den Fingern gegen das Lenkrad, eine Melodie im Kopf, die es noch gar nicht gibt.
 

Mit nahezu klischeehaft quietschenden Reifen hält das Fahrzeug vor einem unscheinbaren Vorstadthaus. Bela steigt aus und genießt das harsche Geräusch seiner Sohlen auf dem Kies, als er eilig auf die Haustür zusteuert, wie er es immer genießt, im Schatten der Nacht seiner Natur nachgehend die Rolle des Schurken zu übernehmen.
 

Bela lächelt den Schlüssel, den er aus der Hosentasche zieht, zufrieden an. Das sind Dinge, die in Horrorfilmen nie vorkommen und doch so viel eigene Dramatik haben: Wozu einbrechen, wenn das Lamm dir den Schlüssel aushändigt mit den Worten „In dem Vertrauen, dass du ihn nicht missbrauchst…“?
 

Es ist kein Missbrauch. Es ist ein Notfall.
 

Bela dreht den Schlüssel so leise wie möglich im Schloss, um das Lamm nicht zu warnen.
 

Das Mondlicht malt helle Streifen auf den Boden des Flures, alles ist ruhig.
 

Bela zieht, einer alten Angewohnheit folgend, die Schuhe aus und stellt sie sorgfältig nebeneinander. Schließlich ist das hier immer noch Farins Haus.
 

Die leisen, wehklagenden Töne dringen nur ganz schwach an sein Ohr, aber sie reichen aus, um ein Lächeln über sein Gesicht geistern zu lassen, während er langsam zur Treppe geht.
 

Er labt sich an dem Schluchzen, er braucht es wie andere die Luft zum Atmen, jede Nacht wieder.
 

Mit jeder Stufe nimmt die Lautstärke zu, verbreitert sich Belas Lächeln zum Grinsen, das beinahe schon grausam wirkt.
 

Die Tür ist erreicht, aber noch zögert Bela den Moment, in dem er Farins Gesicht sehen kann, hinaus, um ihn später umso mehr genießen zu können. Der Klang des Weinens, der so viel unterdrückten Schmerz zeigt, ist eine viel zu köstliche Vorspeise, um sie vorzeitig abzubrechen, und so verharrt er sekundenlang, das Ohr an die Tür gepresst.
 

Schließlich richtet er sich auf und drückt langsam die Klinke.
 

Die aufschwingende Tür scheint das genießende Lächeln von seinem Gesicht zu wischen, denn als Bela in der Türöffnung steht, zeigt er nur Anteilnahme, Mitleid, den Ansatz eines traurigen Lächelns.
 

Ein guter Freund.
 

Farin sitzt zusammengesunken vor dem Fenster, die Stirn gegen das Glas gepresst. Als Bela sich leise raschelnd bewegt, fährt er herum und starrt ihn eine Sekunde lang aus zu Tode erschrockenen Augen an, ehe er ihn erkennt und den Kopf wieder an die Fensterscheibe fallen lässt.
 

Bela kniet neben ihm nieder und fährt ihm durch die Haare. Er braucht ihn, jetzt, wo er leidet, ganz nah bei sich.
 

„Wieder so schlimm?“ fragt er leise, nicht wirklich eine Antwort erwartend. Es ist jede Nacht so schlimm.
 

Farin ist ein Sonnenmensch. Mit der Nacht kommt er nicht zurecht.
 

„Wenn du dich nur zusammenreißen könntest, würdest du sehen, wie schön die Nacht ist… Wie herrlich die dunklen Gassen, die Sterne, die Leute, die Nachts unterwegs sind, die Ruhe, durchbrochen von leisem Gelächter…“ Es ist nicht nur ein feiner Stich, es ist fast schon eine Tätowierung, ein Tattoo von Bela B, jede Nacht an einer anderen Stelle.
 

Irgendwann, wenn Farin ganz tätowiert ist, wird er ihm komplett gehören.

Bela lächelt und legt einen Arm um Farins Schulter.
 

Farin lehnt sich an ihn, sucht die Nähe in der Hoffnung auf Trost und Linderung, die Bela ihm nicht geben wird.
 

Bela wird nur stochern, es schlimmer machen, Farin in dem Glauben lassend, er sei eben ein Gefühlstrampel.
 

Es gibt nichts, was er mehr braucht als diesen Farin.
 

Es gibt nichts, was er mehr braucht als den strahlenden Farin am nächsten Morgen.
 

Bela kann es nicht lassen, Farins Gesicht ist zu schön, wenn er leidet, Farin ist zu anhänglich, wenn er leidet, Farin öffnet sich viel zu sehr, wenn er leidet, als dass man die Gelegenheit, ihn leiden zu sehen, verstreichen lassen könnte.
 

„Vielleicht sollte ich…“ Farins Stimme klingt dünn, sein Selbstbewusstsein ist bei Nacht ein löchriges, fadenscheiniges Tuch.
 

„Nichts solltest du. Bleib einfach bei mir, bleib bei mir, ich helf dir, ich bin für dich da.“ Der Gedanke, Farin in die Obhut eines Anderen zu geben – Farin nicht mehr jede Nacht sehen zu können – eventuell sogar nie mehr so wie jetzt – ist zu grausam, um ihn zuzulassen.
 

Bela drückt Farin an sich, der gegen seine Brust schmilzt wie heißes Wachs, hält ihn fest, gewährt ihm einen Moment lang Trost, ehe er, kaum dass der Blonde sich ein wenig beruhigt hat, sich bestimmt losmacht und aufsteht.
 

„Jan…“ Farin sieht nicht zu ihm auf, er weiß, was jetzt kommt, deshalb hält er den Blick auf den Boden gerichtet. Bela sieht trotzdem, wie er innerlich zusammensackt, vollständig zerstört für diese Nacht. „Jan, ich kann so viel Trauer nicht ertragen, das weißt du… Wenn du dir etwas antun willst, bin ich immer für dich da, aber jetzt kann ich nicht mehr…“
 

Bela streicht Farin kurz durch die Haare und verlässt rasch das Zimmer.
 

Nichts wäre undenkbarer, als Farin aus seiner Kontrolle zu entlassen, ihn nicht mehr jede Nacht zu zerschlagen, bis nur noch ein glitzernder Scherbenhaufen übrig ist, um sich am nächsten Morgen an seinem glücklichen Gesicht zu erfreuen.
 

Nichts wäre undenkbarer, als Farin in seiner Kontrolle zu lassen, ihn jede Nacht weiter zu zerstören und damit immer weiter dem endgültigen Abgrund entgegenzuschieben.
 

Bela verlässt das Haus mit dem Gefühl der Endgültigkeit, das ihn jedes Mal befällt, wenn er die Schwelle übertritt.
 

Das hier war das letzte Mal. Ganz sicher.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2010-02-06T01:01:36+00:00 06.02.2010 02:01
Die Geschichte ist einfach nur großartig.
Erinnert mich an eine meiner früheren Beziehungen.
Ich war das Lamm, aber ich konnte mich zum Glück von dem Schurken losreißen~ ^^
Sonst wäre jetzt wohl nicht mehr viel übrig - außer ein glitzernder Scherbenhaufen.

Dein Schreibstil ist einfach überwältigend und ich muss ehrlich zugeben, dass mir das hier total runterzieht...
Gut, jetzt ist das wieder so ein Thema, wo die meisten sagen:
Das wollte ich damit aber nicht bezwecken, aber ich kann Entwarnung geben! ^^
Es zieht mich wirklich total runter, aber auf eine echt unheimlich schöne Art und Weise...
Beinahe könnte ich sagen, dass es mir gefällt, mal wieder an sowas zu denken und so zu fühlen...
Aber egal jetzt~
Ich kann nur noch sagen: Echt wundervoll geschrieben!
Genau solche Sachen treffen immer genau meinen Geschmack~ x3

LG~
Von:  YouKnowNothing
2009-11-04T18:47:53+00:00 04.11.2009 19:47
ich... verstehe die geschichte nicht XD
aber, wen wundert es...

Ich wartete die ganze Zeit darauf, dass da eine Auflösung kommt, warum Farin so traurig ist und warum genau Bela ihn immer zerstört und vorallem, warum Farin am nächsten Morgen dann offenbar imemr so fröhlich ist, aber so richtig... na ja oO

egal, ich mag es trotzdem, auch wenn ich sie nicht verstehe XD (vllt bin ich einfach nicht sadistisch genug... ich hätte an belas aktionen keinen spaß oO'')
Aber, lassen wir das XD
es ist trotzdem sehr interessant und natürlich mal wieder (wie immer) einsame klasse vom stil her *-*

LG S-M
Von:  aerith_rikku
2009-11-04T07:07:47+00:00 04.11.2009 08:07
soooo mein versprochener kommi muahaha ;)

die geshcichte war....toll..ö.ö
aber versuch nie wieder mir bela unsympatisch zu machen.e.s klappt sowieso nicht ätsch xD
*zunge rausstreck*
farin tut mir leid...und och hab einfach nur das bedürfnis das arme kleine(Kleine??) kleine würmchen zu knuddeln und zu trösten.. ._.
p.s. Ich liebe deinen schreibstil. ;)

LG
Caro
Von:  Anurtle
2009-11-01T21:11:24+00:00 01.11.2009 22:11
Sorry dass ich erst jetzt schreibe, ich fand es irgendwie unfair wenn ich meine Story lese bevor die Story die ich schreiben muss überhaupt fertig ist >___<
Aber jetzt bin ich fertig, also: KOMMI! ^^
Als erstes muss ich sagen dass ich deinen Stil mag ^^ An einigen Stellen sehr detailliert, aber andersrum lässt du dort wieder genug Platz um die eigene Fantasie mit einzubringen ^^ Und er ist auch sehr flüssig zu lesen, wirklich schön ^^
Sie ist zwar etwas verwirrend aufgrund einer fehlenden Vorgeschichte aber sowas mag ich hin und wieder ganz gerne ^^ Sozusagen ins kalte Wasser geworfen zu werden! (ich sollte beim Kommi tippeln nicht nebenbei Titanic gucken -.-)
Und Farin tut mir richtig Leid ;.; Ich könnt Bela dafür prügeln dass er sich daran fast schon aufgeilt >.< Aber andererseits liebe ich ihn dafür ja auch irgendwie xD
Ja, ich bin bei sowas krank xD Und nicht nur dabei *hust*

Jedenfalls danke ich dir für diese tolle Wichtelstory und hoffe dass du beim nächsten Mal wieder dabei bist! Damit dein Stil häufiger zum Einsatz kommt sozusagen xDD
*knufftz*
Von:  Mebell
2009-11-01T19:55:45+00:00 01.11.2009 20:55
Es verwirrt mich, es ist seltsam, aber ich mags genau deshalb. Einfach weils so ist. Ein Gutes Seltsam.
"Farin ist ein Sonnenmensch. Mit der Nacht kommt er nicht zurecht."
Herrlich. Ich mag den Stil, die Grundidee.. die ganze Machart.
Kleiner Insider:
"Joa, übernehm du nochmal die Gitarre, der muss sich ausheulen."
Ich hör ja schon auf :D

Ich mags wirklich :)


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