Erlösung [8059]
Lachen ist die beste Medizin
Deine dämliche Visage
Die ersten Frühlingstage verliefen nie nach Kalenderplan. Wind und Kälte und Niederschläge waren Hauptbestandteil des Frühjahresbeginns. Vor allem der Regen meinte, nie ein Ende nehmen zu wollen, und das ging ganz besonders einem deutlich gegen den Strich.
Regen war kühl. Nass. Und alles andere als gesund.
Dein gottverdammtes Grinsen
Regen roch nach Zeit. Zeit bedeutete Ewigkeit. Doch auch Ewigkeit implizierte Vergänglichkeit. Vergänglichkeit konnte ewig sein. Und das langsame, aber feststehende Vergehen an guter Laune in ihm würde so lange andauern, wie er sich in seiner Nähe befand.
Und ganz besonders dieses Lachen
Nähe, die nicht geduldet werden sollte. Nähe, um deren Duldung er nicht drum herum kam. Vom Schulschwänzen war er zwar nicht gänzlich abgeneigt, doch dass er dafür verantwortlich wäre, ginge deutlich zu weit - als ob man ihm so viel Wichtigkeit zuschreiben könnte. Also akzeptierte er seine tägliche Anwesenheit, die ihn in Form eines stupiden Lächelns penetrierte. Würde er sagen, er mochte es nicht, wäre es nicht untertrieben, sondern schlicht und ergreifend gelogen.
Einfach alles an dir...
Ich hasse dich!
(Meinst du?)
_.-:-:-:-:-:-._
»Du musst erst die Wurzel ziehen, sonst ergibt die ganze Aufgabe doch gar keinen Sinn, Baseballfreak!«
»Ach, echt? Wusste ich gar nicht…«
»Was weißt du auch schon?!«
Takeshi war nach vorne gerufen worden, um irgendeine endlos banale Gleichung zu lösen. Die gesamte 1A starrte auf die kreideweiße Misere, die ihr Mitschüler an der Tafel fabrizierte. Darunter Hayato, der das Spektakel von der ersten Reihe aus bewundern durfte und sich trotz diverser Verwarnungen seines Paukers nicht verkneifen konnte, seinen Senf dazuzugeben - so viel Dummheit konnte einfach nicht unkommentiert bleiben!
»Wie wär’s, wenn du endlich mal anfangen würdest, die Rechengesetze zu beach-«
»Gokudera! Noch einmal und ich suspendiere Sie!«
Hayato rollte die Augen und beließ es bei einem deutlich hörbaren »Tch!«, gegen das der Lehrer keine Einsprüche erhob, so sehr es ihm auch missfiel, sich von einem arroganten Mittelschüler auf der Nase herumtanzen zu lassen. Zumindest hatte Gokuderas Einwand bewirkt, dass der Baseballfreak den nächsten Rechenschritt noch einmal überdachte und auf andere Art und Weise falsch bewerkstelligte, als zuvor geplant gewesen war. Hayato ignorierte seine Zunge, die sich wie in Brand gesetzt anfühlte, und überschwieg alle weiteren Fehler, die Takeshi mit einem schockierend selbstbewussten Lächeln unterliefen. Noch bevor er das falsche Ergebnis unter die falsche Rechnung krakeln konnte, klingelte es und der Wahnsinn schien endlich ein Ende zu nehmen.
»Danke für deine Hilfe, Gokudera.«
»Idiot, du hast die Aufgabe trotzdem falsch gerechnet!«
»Aber ohne dich hätte ich es noch falscher gemacht.«
»…Man kann ‚falsch‘ nicht steigern, Baka!«
Yamamoto lachte. Der Schein einer erhofften Wahnsinnsbeendigung trog. Und irgendwie war alles so wie sonst auch. Gokudera hasste Alltäglichkeiten. Vor allem die, die mit Yamamoto gekoppelt waren. Mitunter verfluchte Hayato die Tatsache, dass über achtzig Prozent seines Heimweges auch der Heimweg des Baseballfreaks waren. Besäße er die Notwendigkeiten, wäre er schon längst ans andere Ende von Namimori gezogen, nur um diesen Idioten nicht mehr als seinen ‚Nach-Hause-Begleiter‘ bezeichnen zu müssen. Hätte er Juudaime nicht Treue und Untergeben bis in den Tod geschworen, hätte er wahrscheinlich sogar Wohnort und Schule gewechselt; Yamamotos Anwesenheit zu meiden, hatte neben seinen Pflichten als rechte Hand des Zehnten höchste Priorität! Die Umsetzung hingegen war eine andere Geschichte…
Es begann zu regnen - schon wieder. Als ob die letzten paar Tage nicht schon genug gewesen wären. Der aufkommende Wind blies silberne Haarsträhnen in Gokuderas Gesicht. Wieder lachte Yamamoto und meinte, dass das ganz schön lustig aussehe. Er mit seinem Kurzschnitt hatte natürlich die eindeutigen Vorteile. Nach dem vorhersehbaren »Halt‘s Maul!« wurde der Regen stärker; die Nerven lagen blanker. Hayato hasste Regen. Kombiniert mit einem heftigen Sturm ergab er das ultimative Frühjahrswetter und somit die Jahreszeit, mit der Gokudera noch mit am wenigsten anfangen konnte. Regen und Sturm sollten einfach keinen gemeinsamen Auftritt haben; das schickte sich nicht. Der Frühling schickte sich nicht. Und außerdem bekam man von solch einem miesen Wetter eine-
»Hast du dir ‘ne Erkältung eingefangen, Gokudera?«
Nachdem er schon dreimal hintereinander hatte niesen müssen, kam diese Frage gar nicht mal so unerwartet. Hayato hasste Erkältungen. Männerklischeehafter Weise behauptete er sogar, sie seien lästiger als eine starke Grippe oder gar die Bauchschmerzen, die seine Schwester ihm bereitete.
»Natürlich nicht, ich werde nie krank!«, behauptete er felsenfest, obwohl er selbst nicht überzeugt von seinen Worten war. Er konnte von Glück sprechen, dass er die Kreuzung erblickte, an der sich die Wege seines Begleiters und ihm trennten. Die achtzigprozentige Krise war überstanden. Zwanzig Prozent übriggebliebener Hoffnung standen noch bevor. Ohne wertvolle Worte an den Baseballfreak zu verlieren, stampfte Gokudera mit großen Schritten in die Seitenstraße. Bevor Takeshi in die entgegengesetzte Richtung lief, blieb er stehen und rief seinem Kumpel ein herzallerliebstes »Gute Besseruuung~, Gokudera!« nach. Hayato seufzte entnervt und antwortete mit der üblichen Ignoranz. Er war froh, diesen Idioten endlich losgeworden zu sein.
Und wie ich das meine!
(Wir werden ja sehen...)
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Am nächsten Morgen wurde Gokudera nicht von seinem Wecker, sondern einem heftigen Hustenanfall aus dem Schlaf gerissen. Als er sich unmittelbar darauf dabei ertappte, wie er sich schwerfällig aufsetzte und seinen Nachttisch nach einer Packung Taschentücher abtastete, um gegen die verstopfte Nase vorzugehen, wurde ihm klar, dass er erkältet war. Er seufzte, soweit es seine Halsschmerzen zuließen. Hayato hasste es, wenn Takeshi Recht hatte. Ja, verdammt, er war erkältet, spätestens jetzt, wenn nicht sogar schon gestern, als es ihm noch möglich gewesen war, diese Tatsache unter den Tisch zu kehren. Ungeschickt fummelte er eines der Tempos aus der Packung und putzte sich die Nase. Der zum Wecken vorgesehene Klingelton dröhnte aus dem Handy und gab Gokudera die Auskunft über die Uhrzeit - 06:30Uhr. Er griff nach dem Mobiltelefon und schaltete es aus. Es war kein langer Gedankengang notwendig, um sich mit dessen Resultat, heute zu Hause zu bleiben, anzufreunden, den Kopf zurück aufs Kissen sinken zu lassen und die Augen zu schließen. Er hörte Regentropfen gegen die Fensterscheibe prasseln, laut und asynchron, und empfand das Ganze als äußerst aufdringlich.
Heute war ein beschissener Tag.
…und daran änderte sich die darauffolgenden Tage nichts. Hayato sah es gar nicht ein, in diesem Zustand zur Schule zu gehen. Der Nächstenliebende hätte diese Meinung damit begründet, dass er niemanden seiner Mitschüler anstecken wollte. Gokudera Hayato gehörte nicht zu dieser Spezies. Seines Erachtens nach waren die Aussagen »Schule ist Zeitvergeudung, ich weiß doch sowieso schon alles« und »Dann muss ich wenigstens nicht Yamamoto Takeshis dämliche Fresse sehen« ohnehin um einiges schlüssiger und ausgereifter, als jede andere es auch nur hätte sein können. Nichtsdestotrotz ging ihm das Kranksein deutlich auf den Nerv, und als der vierte Tag anbrach, stellte er sich vor, wie er im Klassenraum vorne in der ersten Reihe saß und Yamamotos Tafelbilder nach Strich und Faden kritisierte. Er stellte sich auch vor, dass der Baseballfreak nichts weiter als ein Lächeln für sich sprechen ließ, sich Gokuderas harschen, aber gutgemeinten Ratschläge nicht zu Herzen nahm oder - um es korrekt auszudrücken - mangels Kompetenz nicht zu Herzen nehmen konnte und freudig weiterkritzelte, besonnen und grinsend und erbärmlich und bescheuert und liebenswert und-
Deine dämliche Visage
(Was ist damit?)
Es klopfte. Hayato vermisste Takeshi. Und das wurde ihm bewusst, bevor er aufsprang, schnellen Schrittes ans Ende des Flurs lief und die Haustür aufriss. Hoffnung machte sich bezahlt. Es klopfte. Yamamoto stand einem verblüfften Gokudera gegenüber.
»Oi, Gokudera.«
Das Haar war durch den Regen nass geworden; kurze Strähnen klebten auf der Stirn. Auf der dünnen Jacke perlten einzelne Tropfen, die entlang der Falten rannen. Yamamoto gab ein ungemein jämmerliches Bild ab - in etwa das eines streunenden Hundes auf der Suche nach Unterschlupf.
- passt einfach zu dir -
»…Was machst du hier, Baseballfreak?«
Der Frage schloss sich kein zynischer Unterton an. Yamamoto hatte eine Hand in der Hosentasche vergraben. In der anderen hielt er eine weiße Tüte. Er grinste sein übliches Grinsen. Es klopfte weiter. Yamamoto hob die Tüte in Schulterhöhe. Sein Grinsen wurde breiter.
Dein gottverdammtes Grinsen
»Du bist die letzten Tage nicht in die Schule gekommen, da dachte ich, ich schau‘ mal vorbei, um zu sehen, wie’s dir geht. Ich hab‘ dir Sushi mitgebracht. Mein Vater ist momentan nicht zu Hause, deshalb musst‘ ich es selbst machen… Ich hoffe, dass es genießbar ist.«
(Und was sagst du nun?)
Gokudera starrte in Yamamotos Augen. Er überlegte kurz, senkte den Kopf und verbarg so ein mattes Lächeln.
»Du hast aber auch nichts Besseres zu tun.«
- macht dich zu dem, der du bist -
Indem er zur Seite trat, bedeutete er Takeshi, reinzukommen. Dieser war deutlich verwundert über die Gleichgültigkeit - man wagte fast zu sagen ‚Freundlichkeit‘ - seines Kumpels, ging der wortlosen Bitte ebenso schweigend nach und stellte die Tüte auf dem kleinen Esstisch ab. Er fischte eine Packung voll Sushi heraus, die sich wie angekündigt darin befand. Hayato hätte die Arme verschränkt, wenn er sich nicht die Nase hätte putzen müssen. Beinahe nichts war ihm unangenehmer, als von jemandem wie Takeshi in diesem Zustand gesehen zu werden, doch hatte er seinen Stolz für ein paar Augenblicke verdrängen können, um Platz für anderes zu schaffen. Es wollte nicht aufhören zu klopfen.
»Wow, du bist aber schon ganz schön lange erkältet, Gokudera.«
»Gut beobachtet.«
Ein Hauch Ironie; noch immer nicht der altbekannte Zynismus. Hayato setzte sich und Takeshi tat es ihm gleich. Regen prasselte gegen die Fensterscheibe. Hayato hatte den Regen gehasst. Kombiniert mit einem heftigen Sturm ergab er das ultimative Frühjahrswetter und somit die Jahreszeit, mit der Gokudera noch mit am wenigsten hatte anfangen können.
Yamamoto öffnete die Packung. Das Sushi, das er zubereitet hatte, sah alles in allem essbar aus, wie Hayato sich eingestehen musste. Die Makis hatten unterschiedliche Größen und waren vielmehr oval als rund, doch optische Mäkel machten eine Sache nicht gleich schlechter. Er packte mit den Essstäbchen eine der Rollen und ließ sie im Mund verschwinden. Yamamoto sah ihn gespannt an. Mit einem Mal riss Gokudera die Augen auf. Nur unter längerem Würgen bekam er das Maki runter. Er starrte sein Gegenüber schwerfällig an.
»…Boah, Yamamoto, willst du mich vergiften?! Was zum Teufel hast du da reingetan?!«
Hayatos Mund brannte wie Feuer. Entsetzte Züge untermauerten die Fragen. Takeshi zog eine Augenbraue hoch und dachte nach.
»…Naja, ich wollte Wasabi mitbringen, hab‘ ihn aber nicht gefunden… also dachte ich, ich würz‘ es mit ein bisschen Chili.«
»Ein ‚bisschen‘? Das schmeckt, als hättest du da ‘ne ganze Flasche reingeschüttet!«
Und ganz besonders dieses Lachen
Yamamoto kratzte sich am Hinterkopf und lachte unsicher, aber herzhaft. Der Regen prasselte weiter. Regen roch nach Zeit. Zeit bedeutete Ewigkeit. Doch auch Ewigkeit implizierte Vergänglichkeit. Aber diesmal nicht.
Es klopfte weiter.
(Was meinst du jetzt?)
- steht dir besser als alles andere -
Hayato konnte nicht anders, als in das Lachen einzustimmen. Es klang sicher und fest und ehrlich, und obwohl sein entzündeter Hals schmerzte, vergaß er für einen Moment, dass er erkältet war.
Einfach alles an dir...
Gokudera rang nach Luft und kämpfte um Worte.
»…Jetzt musst du das Zeug auch essen, sonst begreifst du Idiot wohl kaum, was für einen Mist du da zusammengebraut hast!«
Yamamoto gab ihm mit einem zweifelnden Nicken recht. Er führte eines der Makis zu Mund und begriff Gokuderas vorherige Reaktion sofort. Wenigstens teilten sie ihr Leid. Gerade Regen und Sturm sollten einen gemeinsamen Auftritt haben - Freundschaft und Frühling lieferten den Beweis dafür.
Abertausend prasselnde Tropfen. Zwei klopfende Herzen.
Hayato mochte den Regen.
(Hasst du noch?)
»Das ist wirklich abscheulich…«
»Fällt dir aber früh auf, du Leuchte!«
- Ich brauche dich -
_.-:-:-:-:-:-._
[ T H E. E N D. B E G I N N I N G. ]
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Hallo :D
Dieser OS nimmt mit dem Sprichwort „Lachen ist die beste Medizin“ an einem WB teil… Vielleicht schreibe ich noch einen, weil ich die ein oder andere WB-Anforderung gekonnt ignoriert habe, glaube ich. xD Das mit dem Zitat habe ich jetzt auch mehr verschlüsselt als komplett offensichtlich eingebracht, aber so ist es mir lieber. Ich mag den OS übrigens - simpler Plot, weniger simpel vermittelt. Viel zu interpretieren gibt's nicht, das meiste erklärt sich ja von selbst... aber Stilmittel stecken hierin haufenweise. Glaube ich. Nyo, hoffe, er gefällt dem ein oder anderen.
Liebe Grüße
Fujouri