You drained my heart
Kapitel 3 - You drained my heart
Den restlichen Tag verbrachte ich im Bett, nicht willig aufzustehen. Für nichts und niemanden. Als Yuriy den Namen ausgesprochen hatte, da war ich losgestürmt. Weg, einfach nur weg. Ich hätte keine weitere Sekunde mehr ausgehalten. Es tat zu sehr weh! Viel zu sehr! Ich wusste, dass ich ihn verloren hatte. An meinen größten Konkurrenten.
Boris hatte sich schon immer für Yuriy interessiert. Der Rothaarige hatte dies gar nicht so mitbekommen, ich aber schon. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum ich mit Boris nie warm geworden bin – nein falsch. Es war zu einhundert Prozent der Grund gewesen!
Und jetzt hatte ich Yuriy ihm förmlich in die Arme getrieben. Ich hatte das Feld geräumt und Boris hatte zugeschlagen.
Verübeln konnte ich ihm das eigentlich nicht, hätte ich doch genauso reagiert. Aber nur weil ich ihn verstand, hieß das nicht, dass ich ihn nicht mehr denn je verabscheute!
„Kai!“, ertönte es von draußen und es klopfte an meine Zimmertür. Takao. Ich antwortete nicht. Ich hörte, wie er zu Max sagte, ich sei wohl nicht da. Dann war es wieder ruhig.
Was sollte ich nur tun? Sollte ich aufgeben? War es das jetzt schon gewesen? War das alles gewesen? Das Ende einer langen, qualvollen Zeit? Das Ende, dass mich in mein Verderben stürzen sollte? Das konnte es doch nicht gewesen sein! Das konnte doch nicht alles gewesen sein! Waren wir wirklich am Ende unseres Weges angelangt? Und hatten wir uns wirklich auf halber Strecke verloren?
Ich seufzte und blickte aus dem Fenster. Am Himmel hatten sich Wolken ineinander verfangen, tanzten einen Reigen im Wind und der Sturm, den dieser mit sich brachte, ließ den Regen gegen die Fensterscheibe peitschen.
Ich hörte dem Prasseln eine zeitlang zu. Sanft und beruhigend schien es mir. Nur unterbrochen vom Heulen des Windes.
Eine Anklage an das Leben? An mein Leben?
All die Jahre über bin ich in einem nicht enden wollenden Kampf immer mehr in den Sog der Verzweiflung geraten. Ich habe aufgehört meinem Leben nach zu gehen, habe aufgehört für den Moment zu leben. Ich bin in der Vergangenheit verweilt, die Gegenwart habe ich ausgeblendet. Und so langsam aber sicher bin ich darin untergegangen.
Vielleicht war es jetzt an der Zeit, das zu ändern. Vielleicht war Yuriys neue Liebe der anstoßen, endlich aufzuhören zu sterben, kläglich und verkümmert, in einer einsamen Ecke. Vielleicht sollte ich endlich anfangen zu leben! Immerhin habe ich noch mein ganzes Leben vor mir, Zeit genug, um irgendwann später zu sterben.
Ich könnte mir einfach einen neuen Freund zu suchen, jemanden, mit dem ich so glücklich werden konnte, wie Yuriy mit Boris glücklich geworden ist.
Aber es würde nicht gehen, das wusste ich auch, ohne es zu probieren. Ich würde alleine hier sterben, weil ich Yuriy niemals loslassen kann.
Mein Blick wanderte wieder nach draußen. Der Wind war abgeschwächt, aber es regnete noch immer.
Ich war noch nicht bereit. Nein, das war ich wahrlich nicht. Ich konnte noch nicht loslassen. Ich habe so lange gekämpft, meine gesamte Energie hinein gesteckt, es war mir nicht möglich, Yuriy gehen zu lassen.
Ich konnte ihm nicht kampflos Boris überlassen. Es wäre, als würde ich ihn somit aus meinem Leben verbannen und das konnte ich nicht.
Ich würde ihn nie ziehen lassen können. Ich würde ihn noch im Tod verfolgen. Ich würde mich nicht losreißen können. Nicht jetzt, nicht später, niemals…
Die gesamte WM über lebte ich in einer Art Vakuum, dass mich von der Außenwelt abschottete. Ich trat zu meinen Kämpfen an, aber ich gewann, ohne mich wirklich anzustrengen, sondern nur, in dem ich automatisch die gelernten Moves vollführte.
Eigentlich hätte ich verlieren müssen. Aber ich tat es nicht. Nach außen hin war es mir egal. Aber in meinem tiefsten Inneren wollte ich nicht noch einen weiteren Kampf verlieren!
Nicht, nachdem ich den größten aller Kämpfe verloren hatte!
Und dann war die WM zu Ende. Unser Team war wieder Weltmeister geworden und im Finale hatten wir gegen Yuriys Team antreten müssen.
Ich hatte verloren. Ohne Gegenwehr. War mein Gegner doch die Person gewesen, für dich sterben würde.
Nun standen wir hier. Aufbruchbereit, die Koffer schon in der Hand.
Wir warten nur noch auf Rei, welcher die Schlüssel an der Rezeption abgab. Ich hielt es für angemessen, nicht auf Takaos erneute Vorwürfe einzugehen, mich beim Finalkampf nicht angestrengt zu haben. Er sollte sich nicht so aufregen, wir hatten ja trotzdem gewonnen!
Und ich hatte auch andere, schwerwiegendere Probleme, um die ich mir Gedanken machen musste.
Wir würden heute gehen, Yuriy würde heute gehen. Und dann würde ich ihn eine ganze, lange Zeit lang nicht wiedersehen.
Es war zum Verzweifeln!
Ich konnte ihn doch jetzt nicht einfach abreisen lassen! Ich hatte mich so lange auf unser Wiedersehen vorbereitet, dem entgegen gefiebert… ich konnte doch jetzt nicht zulassen, dass er ging!
Wieder starrte ich den Boden an. Rei kam zurück, ich hörte seine Schritte näher kommen. Und dann setzte sich unsere Gruppe in Bewegung und ich lief mit. Gerade noch mit dem Gedanken nicht abzureisen, zu Yuriy zu rennen und ihn zu bitten, nicht zu gehen, hier zu bleiben, in New York, mit mir. Aber ich ging doch nur mit zum Flughafen. Ich hätte ihn bitten können, mit mir nach Tokio zu kommen, aber auch das tat ich nicht.
Und als ich dann im Flugzeug saß und unter mir die Wolken vorüber schwebten, da wusste ich, dass ich aufgegeben hatte.
Ich hatte es nicht gewollt, aber ich hatte aufgegeben. Und ich hasste mich selbst dafür.
Wieder in Tokio war mein Leben farblos und hässlich – viel schlimmer als davor.
Ich hatte schon einmal geglaubt, ich könnte ihn vergessen, wenn ich nur von ihm getrennt war und es hatte nicht geklappt. Mit dem gleichen naiven Denken hatte ich versucht, hier in Tokio einen Neustart zu versuchen, aber wie erwartet hatte es auch diesmal nicht geklappt.
Ich lebte mein altes Leben, leitete das Training, ging spazieren und hing meinen Gedanken um Yuriy nach.
Vielleicht hatte er Recht gehabt. Vielleicht war ich krank. Vielleicht war ich zu sehr auf ihn fixiert, vielleicht war ich bereits verrückt geworden.
Aber vielleicht hatte er mich auch krank gemacht. Krank gemacht, in dem er mich abgehakt hatte und sich einen Anderen genommen hatte…
Zu Hause saß ich auf der Couch und hörte laute Rockmusik. So laut, dass irgendwann ein Nachbar gegen meine Tür hämmerte. Aber ich ignorierte ihn. Ich brauchte das jetzt. Ich wusste, dass ich sonst verloren gehen würde, in mir selbst. In meinem verkorksten Ich.
Es gab nur eine einzige Möglichkeit, Yuriy doch noch für mich zu gewinnen. Ich musste ihm zeigen, wie ernst es mir immer noch war.
Und das ging nur, wenn ich in seiner Nähe war.
Diese Idee war der Anstoß gewesen. Der Anstoß für den Plan, der in mir reifte.
Ich wusste, was ich zu tun hatte. Zum ersten Mal seit Wochen war ich wieder motiviert, sprang auf und stürmte los.
Es ging um Alles oder Nichts…
Drei Tage später landete mein Flugzeug in Moskau. Einen frühren Flug hatte ich leider nicht mehr bekommen.
Es war schon ziemlich kalt hier, der Herbst hatte eingesetzt und kalte Luft mit sich gebracht. Die ersten Herbststürme waren bereits über das Land gezogen und hatten die ersten abgestorbenen Blätter von den Bäumen geweht. Ich fühlte mich wie eines davon. Verkümmert und tot.
Es war nicht schwer, die Wohnung von Yuriy und Boris zu finden. Wenn gleich es schwer war, zu akzeptieren, dass sie bereits zusammen wohnten.
Aber ich arrangierte mich weit aus eher mit dieser Tatsache, als der Tatsache, ihn tatsächlich an Boris verloren zu haben.
Als ich das erste Mal bei ihnen klingelte, war niemand zu Hause. Vielleicht ein Zeichen, es zu lassen, welches mich aber dennoch nicht daran hinderte, es nicht noch einige Male zu versuchen. Nie öffnete mir jemand die Tür und ich glaubte, dass lag nicht nur daran, dass keiner zu Hause war. Ich glaubte, sie wussten längst, dass ich in der Stadt war.
Und wohin mich mein erster Weg führen würde!
Wie es der Zufall so wollte, bekam ich meine Chance doch noch.
Ich war auf den Weg in den Park. Und auf dem Weg traf ich ihn. Er sah mich an. Ich sah ihn an. Dann seufzte er.
Ich wusste, es passte ihm nicht, mich zu sehen. Aber an seinem Seufzen erkannte ich, dass er nicht davon laufen würde.
Das ich ihn unverhofft getroffen hatte, machte die Sache komplizierter. So konnte ich mich nämlich nicht auf das Gespräch vorbereiten.
„Yuriy… Lass uns noch einmal reden,“ bat ich ihn und er nickte nur zustimmend.
„Ich will, dass wir wieder Freunde werden, Kai!“, begann er das Gespräch und ich schüttelte den Kopf.
Ein verzweifeltes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
„Ich kann nicht mit dir befreundet sein, Yuriy! Ich liebe dich!“, meinte ich, meine Stimme ein einziges Jammern.
„Aber ich liebe dich nicht mehr, Kai, nicht so,“ sagte der Russe leise und ich wandte sich zum gehen.
„Bitte lass mich jetzt nicht einfach so hier stehen, Yura!“, flehte ich und er sah betrübt über seine Schulter zurück.
„Es gibt nichts mehr zu reden, Kai!“, meinte er und seine Schritte trugen ihn von mir fort.
Ich streckte die Hand nach ihm aus, während ich zu sah, wie er in der Masse der Menschen verschwand.
Und als ich mich umsah, da wunderte ich mich, wo ich war.
Ich fühlte, wie heiße Tränen an mir herunter liefen, während ich an diesem namenlosen Ort stand und Yuriy nachblickte, seinen Namen murmelte, und den Schmerz meine Seele zerfressen ließ.
Ich wollte ihn aus meinem Kopf verdrängen, aber je mehr ich ihn vergessen wollte, desto tiefer hat er seine Krallen in mein Herz geschlagen.
Und er hatte es bluten lassen, bis kein Funken Leben mehr in ihm war!
Ich lag in meinem Hotelzimmer und blickte an die weiße Decke über mir.
Zu spät. Es war zu spät.
Das sagte ich mir immer wieder. Und so war es auch. Es war vorbei. Das war das Ende.
Das Ende von mir selbst.
Ich hatte schon längst mit dem Leben abgeschlossen. Und nun, wo Yuriy mich nicht mehr wollte, war es an der Zeit, endlich zu gehen.
Es gab auf dieser grausamen Welt keinen Platz mehr für mich.
Vielleicht würde ich ihn irgendwann einmal woanders wiedertreffen. Vielleicht würden unsere Seelen sich dann finden und endlich zusammen sein können, so wie es auch hier auf dieser Welt hätte sein können.
Traurig schloss ich die Augen.
Doch mit einem Mal stahl sich ein freudloses Lächeln auf mein Gesicht. Ich wusste jetzt, wie ich es schaffen konnte, für immer und ewig mit ihm zusammen sein zu können…