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Dir Mutter

von

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Dir Mutter

Grauschwarze Wolkenberge, regengeschwängert, haben sich über meinem Kopf zusammengezogen und hängen bedrohlich tief über unserer schönen Stadt, Mutter.

Du hättest es geliebt.

Du liebtest den strahlenden Sonnenschein beinahe abgöttisch, doch nicht minder hast du Regentage geliebt. Seit Vaters Tod hattest du sie noch lieber gewonnen.

Sie entsprachen dem, was du in dir warst…
 

So oft habe ich dich an Regennachmittagen gesehen, wie du in eurem Bett lagst. Das Gesicht dabei in Vaters Kissen gedrückt, leise schluchzend und seinen noch leicht vorhanden Duft aufnehmend.

Du hast nicht bemerkt, dass ich dich gesehen hatte. Ganz leise habe ich die Tür geschlossen und gewartet bis du mit einem strahlenden Lächeln wieder herausgekommen bist, gekleidet in Vaters Lieblingshemd. Liebevoll hast du nach mir gerufen, mich genommen und auf die Küchenanrichte gesetzt. Acht Jahre war ich damals alt und erinnere mich dennoch genau, wie du dich wirbelnd umdrehtest und lachend gefragt hast, ob auch ich so große Lust auf Pudding hätte.

Ich habe immer ja gesagt.

Ich erinnere mich gerne daran, wie wir danach in eine Decke gekuschelt, gemütlich naschend meine liebsten Disneyfilme gesehen haben. Oft während wir so dasaßen brach auch irgendwann die Sonne herraus – und mit Gummistiefeln bekleidet rannten wir Hand in Hand durch die Pfützen.
 

Du warst - nein du bist noch immer – meine Mutter und du warst meine beste Freundin. Ich war so stolz auf meine Mutter, die den Mut hatte mit neunzehn Jahren ein Kind zu bekommen und nach vielen Auseinandersetzungen mit ihren Schwiegereltern meinen Vater heiraten durfte.

Ich hätte dir immer die Welt zu Füßen gelegt, so oft du es gewollt hättest. Nur deinen innigsten Wunsch konnte ich dir nicht erfüllen.
 

Ein schwaches Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, während ich in die Hocke gehe und sanft etwas vom letzten Laub dieses Herbstes fortwische.
 

Die Jahre vergingen und ich wuchs heran. Was war ich doch für eine Rotznase.

Deine süße kleine Rotznase.

Den Spitznamen hast du mir mit zehn gegeben, mit elf Jahren wollte ich deine große Rotznase sein. Du hast gelacht und mich fortan damit aufgezogen. Ich erinnere mich so gerne an diese Zeit. Morgens gingen wir gemeinsam ein Stück des Weges. Ich zur Schule und du zu deiner Arbeit. Du wolltest immer so viel Zeit wie möglich mit mir verbringen, darum hast du nur dann gearbeitet, wenn ich Schule hatte. Wir hatten das Haus, welches Vater vor seinem Tode noch abbezahlt hatte, und wir hatten uns.

Mehr brauchten wir nicht.

Wir haben alles zusammen gemacht. Lachend, weinend, wütend und glücklich sind wir durchs Leben gezogen. Gemeinsame Kinobesuche, Urlaub, Fahrten ins Grüne, einfach alles.

Wieder vergingen die Jahre und als ich in die Pubertät kam stritten wir sehr oft, vertrugen uns aber auch genauso schnell wieder.
 

Ich vermisse dich sehr, Mutter…

Ein erster Regentropfen fällt auf die Erde, eine kalte Perle trifft meine Wange und läuft an ihr herab.

Es regnet… genau wie damals.
 

Weinend war ich vollkommen durchnässt zu Hause angekommen. Ich war fünfzehn Jahre alt gewesen und hatte schluchzend und verzweifelt schreiend gegen die Tür gehämmert.

Mitten in der Nacht.

Du brauchtest nur einen Blick und wusstest sofort, was mit mir los war. Obwohl ich triefnass gewesen war, hast du mich in den Arm genommen und gewartet, bis ich aufgehört hatte zu weinen. Geduldig hast du mich ins Badezimmer gezogen und sanft meine Haare trocken gerubbelt. Du hast mir trockene Sachen geholt und gewartet, bis ich mein nasses Partyoutfit gegen Jeans und Pulli getauscht hatte. Es war dein geliebter weißer Rollkragenpullover. Ich konnte nicht mehr anders und bin wieder in Tränen ausgebrochen.

Langsam bin ich zu dir zurückgegangen, wo du mich mit einer heißen Schokolade erwartet hast.

Du hast meinen Liebeskummer weggetröstet, obwohl du noch so sehr unter dem Tod von Vater littst.

Du warst eine Wucht, Mutter!

Irgendwann habe ich versucht dich zu verkuppeln und bin sehr oft mit dir ausgegangen. Du hast mitgemacht, doch mehr als Freundschaften sind nie daraus entstanden.

Vater war der einzige für dich gewesen und er würde es bleiben.
 

Mein Blick wandert zur Seite. Vaters Grabstein glänzt schon im Regen.

Vereint im Leben und im Tode.

Nach deinem Tode, Mutter, wusste ich, wie du dich gefühlt haben musste, als die Person, die du über alles geliebt hast plötzlich nicht mehr da war.

Ich lag so oft in eurem Bett, Mutter…
 

Ein Hupen reißt mich aus meinen Gedanken.

Verzeih, Mutter. Mein Mann ist besorgt und möchte nicht, dass ich krank werde. Du hattest Recht, als ich ihn dir damals vorgestellt habe. Eine gute Partie und deine ganz große Liebe.

Ich war siebzehn Jahre alt gewesen.

Ein halbes Jahr später bist du gestorben. Ganz plötzlich, ohne Vorwarnung.

Der Gang zu deinem offenen Grab ist mir so schwer gefallen…

Ich konnte den Blick in den dunklen Schacht beinahe nicht ertragen, während tausend kleine Schneeflocken auf die Erde niederfielen

Wie ein Vorhang aus winzigen Engelsfedern…
 

Ich richte mich wieder auf. Es wird Zeit zu gehen, Mutter.

Der Regen hat meinen Mantel schwer gemacht und wenn ich nicht bald zu meinem Mann zurückgehe, holt er mich.

Ich mustere deinen Grabstein und der Wunsch mich in euer Bett zu legen überkommt mich. Ich habe Euer Zimmer nicht ausräumen können…

Ich bin nun einundzwanzig Jahre alt, Mutter und selbst wenn ich achtzig wäre ich werde immer und immer wieder kommen. Eine Träne rinnt nun meine Wange hinab. Ich kann nicht mehr anders, aber ich lächle und streiche über meinen Bauch, dann wende ich mich ab.

Mutter, ich bin dir dankbar. Für alles und eines schwöre ich dir, denke ich, als ich den Weg zu meinem Mann entlanggehe, ich werde meiner Tochter deine Werte beibringen.

Wir fahren los – es scheint die Sonne.

Ich bin sicher: Du bist glücklich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sel-chan
2011-06-13T19:30:18+00:00 13.06.2011 21:30
OH mein Gott!
Ich hab angefangen zu heulen!
Ist dir das selbst passiert?
Jedes Mal, wenn ich am Grab meines Vaters bin, denke ich ziemlich ähnliche Sachen...
Sehr schön geschrieben, hat mir richtig Gänsehaut beschert...
Mach weiter so
LG Sel


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