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Kurzgeschichten

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Im Sommer sahen wir noch glücklich aus

Hallo, ich bin Sophie. Ich bin zehn Jahre alt und heute ist ein ausgesprochen schöner Herbsttag. Die Sonne scheint in unsere Wohnküche und ich sitze mit meinen Eltern am Küchentisch. Es gibt Kuchen.

Ich bin eben von der Schule nach Hause gekommen und erzähle meinen Eltern davon, wie mein Tag dort war. Wir reden immer viel. In unserer Familie verstehen sich alle sehr gut und deswegen reden wir vermutlich auch alle viel miteinander. Lügen ist bei uns tabu. Ich habe es einmal getan - danach habe ich mich furchtbar gefühlt.
 

Mein Vater regt sich oft darüber auf, was Politiker von sich geben - auch wenn ich das alles noch nicht verstehe, aber ich denke er hat Recht mit dem was er sagt. Er regt sich auch immer wieder über meine Lehrer und die Schule auf.

Heute hatten wir jemanden von der Feuerwehr da und der hat uns erzählt wie man zu handeln hat, falls es anfangen sollte zu brennen. Mein Vater sagt immer »Hauptsache man verliert in einer schwierigen Situation nicht den Kopf. Den Fehler machen die meisten Menschen. Sie geraten in Panik und machen alles nur viel schlimmer.« Doch das sagt sich vermutlich leichter als es letztendlich ist.
 

Das Telefon klingelt. Mein Vater schaut über den Rand der Zeitung meine Mutter an und das bedeutet wohl, dass er gerade keine Lust hat ans Telefon zu gehen. Sie steht auf. Er liest weiter. Ich schiebe mir noch einen Bissen in den Mund, da ich mich nach dem Essen gleich an meine Hausaufgaben setzen muss. Mathe.

Plötzlich gibt meine Mutter einen seltsamen Laut von sich und ich sehe gerade noch wie sie zu Boden geht. Mein Vater senkt die Zeitung und schaut zu ihr. Tränen strömen ihr aus den Augen. Sie lässt den Telefonhörer fallen und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. Mein Vater steht auf und geht zu ihr. Nein. Er geht zum Telefon und nimmt den Hörer in die Hand. Ich springe auf und renne zu Mutti. Warum geht er ans Telefon - sieht er nicht, dass Mutti ihn jetzt braucht? Irgendetwas Schlimmes ist passiert. Ich lege meinen Arm um ihren Hals und versuche für sie da zu sein. Vermutlich handelt Papa richtig. Er bewahrt einen kühlen Kopf um die Situation nicht noch schlimmer zu machen. Meine Mutter schluchzt und es wirkt so als will sie etwas zu sagen. Ich versuche es zu verstehen.

»Dein Bruder… ist tot…«

Tot. Das bedeutete ich werde ihn nie wieder sehen.
 

***
 

Ich bin gerade aufgewacht. Ich fühle mich schrecklich und mag meine Augen nicht öffnen. Was ist passiert?

Vermutlich liege ich in meinem Bett. Ich kann mein Lieblingskuscheltier spüren. Mein Bruder hat es mir geschenkt… Mein Bruder!

Er ist weg.
 

Ich steige aus dem Bett und gehe in unsere Wohnküche. Mutti sitzt wie ein Häufchen Elend am Tisch und weint noch immer. Papa sieht sehr traurig aus. Seine Hand liegt auf ihren Schultern.

Ich stehe hier und weiß nicht was ich tun soll. Immer wenn ich Kummer hatte waren meine Mutter oder mein Bruder für mich da. Nun weiß ich nicht wohin mit meinem Kummer. Also stehe ich einfach nur hier - und kann mich nicht rühren.
 

***
 

Heute ist ein Mann bei uns. Ich glaube er ist von der Polizei - auch wenn er gar nicht aussieht wie ein Polizist.

Ich sitze bei Mama auf dem Schoß. Er sitzt uns gegenüber. Papa schenkt ihm gerade etwas Kaffee ein. Er hatte vorher gesagt, dass es dem Mann auch nicht leicht fällt uns darüber zu erzählen und wir sollen es ihm deswegen nicht unnötig schwieriger machen und unsere Gastfreundlichkeit bewahren.

Der Mann sieht immer wieder kurz zu mir, als ob es ihm nicht lieb ist, dass ich anwesend bin. Vermutlich weil ich noch ein Kind bin. Er denkt bestimmt, dass ich noch zu jung bin. Er hatte auch kurz mit meinem Vater getuschelt und dabei zu mir gesehen.
 

»Wir schliessen einen Unfall aus. Wir sind uns ziemlich sicher, dass es sich um Selbstmord handelt. Er hatte es vermutlich längerfristig schon geplant. Seine ganzen Dinge waren in Umzugskartons gepackt - es sah aus als würde er ausziehen. Er hatte das ganze Zimmer mit Tüten und Folien ausgelegt, bevor er sich…«, er sieht mich an. Danach wendet er seinen Blick zu meinem Vater: »Sind Sie sich sicher?« Mein Vater nickte. »Bevor er sich selbst… erstochen hat.«

Er ist einen Moment ruhig. Nach einem kurzem Räuspern fährt er fort: »Eine gefundene Nachricht bestätigte unsere Vermutung, dass er seinem Vermieter keine größeren Umstände machen wollte. Beim Durchsuchen seiner Sachen haben wir auch weitere Hinweise gefunden. Briefe - und an seinen Besitztümern klebten Zettel mit Namen und kleinen Notizen. Eine ungewöhnliche Art für ein Testament aber der Notar hat die Gültigkeit bereits bestätigt. Die Sachen werden Ihnen dann ausgehändigt, sobald wir unsere Untersuchungen fertiggestellt haben…«
 

Was fällt dem Kerl eigentlich ein!? Durchsucht der einfach so die Sachen von meinem Bruder. Ich kann ihn nicht ausstehen.
 

»Eine Sache wäre noch ungeklärt. Wir haben versucht auf seinem Laptop nach möglichen Hintergründen seiner Tat zu suchen. Doch die Daten sind alle verschlüsselt und wir waren nicht in der Lage diese zu entschlüsseln und naja… Auf dem Laptop war auch ein Zettel angeheftet. Er hinterließ diesen Ihrer Tochter mit einer Notiz, welche darauf schliessen lässt, dass Ihre Tochter das Passwort kennt…«
 

Ich springe von dem Schoß meiner Mutter, renne in mein Zimmer und vergrabe mich im Bett. Ich will dem Mistkerl nicht weiter zuhören. Von mir kriegt er das Passwort nicht. An den Laptop von meinem Bruder kommt er nicht - aber das sieht meinem Bruder ähnlich. Er kannte sich mit Computern sehr gut aus - wenn er es verschlüsselt hat, dann hat das sicher seinen guten Grund. Mein Bruder hat nie etwas grundlos getan - auch wenn ich viele Dinge, die er getan hat, nicht verstehe. Aber ich bin mir sicher, dass ich das eines Tages werde. Ich bin ein schlaues Mädchen. Das hat mein Bruder auch immer zu mir gesagt.
 

***
 

Nun ist es schon eine Weile her, seit der Mann von der Polizei hier war. Heute sind die Sachen von meinem Bruder angekommen. Sein Laptop liegt auf meinem Schreibtisch. Seine Notiz darauf.
 

»Für Sophie. Du weißt, wie der Kerl heißt, der dich in der Schule geärgert hat.«
 

Als der Mann da war, hatte er sie mir bereits vorgelesen und mich gefragt, ob ich etwas damit anfangen kann. Ich sagte ihm, dass ich nicht weiß, was mein Bruder mir mit dieser Notiz sagen wollte - und ich fühlte mich nicht schlecht, dass ich gelogen hatte.
 

Jetzt muss ich daran denken, wie ich damals in der Schule immer wieder geärgert wurde und ich habe mit meinem Bruder darüber gesprochen. Er hat ihn als »schleimscheissende Bambusschildkröte« bezeichnet, was mich zum lachen brachte. Danach wischte er die Tränen aus meinem Gesicht und sagte, dass ich so bleiben soll wie ich bin, dass er mich lieb hat und das der andere Kerl einfach doof ist, wenn er »eine Dame« so behandelt.
 

Ich klappe den Laptop auf und schalte ihn ein. Der Benutzername lautet »Sophie«. Ich gebe das Passwort ein. Als Hintergrundbild ist ein Foto von uns beiden, was wir geschossen haben, als ich ihn in den Sommerferien besuchen war. Auf dem Bild sehen wir beide sehr glücklich aus.



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