..wie du atmest.
Farin seufzte leise. Jetzt musste er wohl aus dem Auto aussteigen, oder?
Schon seit über 15 Minuten saß er in seinem Wagen, ein paar Straßen von seinem Ziel entfernt. Er wusste, dass näher kein Parkplatz frei sein würde.
Red keinen Quatsch! Bis jetzt hast du noch jedes Mal parken können, wenn du hier warst. Du bist doch nur ne feige Sau! RAUS AUS DEM WAGEN!, fiepste seine innere Stimme gnadenlos und Farin seufzte ein weiteres Mal.
Es hatte keinen Sinn. Er war doch nicht extra aus seinem kuschelig warmen Haus in sein deutlich kälteres Auto gestiegen, um jetzt stundenlang tatenlos in diesem zu verweilen.
Schließlich tat er doch, was seine innere Stimme ihm befahl, öffnete nach weiteren knapp 10 Minuten die Türe, stieg aus und kniff die Augen zusammen. Regen peitschte ihm ins Gesicht.
Regen.
Was denn sonst? Er befand sich in Deutschland, es war Ende September, und.. es regnete. Matsch, wohin das Auge reichte, beinahe schon knietief lag der Dreck neben den Straßen.
Er hätte einen Regenschirm mitnehmen sollen.
Farin schüttelte leicht den Kopf, vergrub die eine Hand tief in seiner Jackentasche, hielt mit der Anderen den Gegenstand in seiner Hand so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Er war auf dem Weg zu Bela, natürlich. Sonst würde er niemals freiwillig auch nur einen Schritt aus seinem Haus machen, bei diesem Scheißwetter.
Normalerweise würde er jetzt in Indien oder in der Karibik, oder sonst wo sitzen, einfach den ganzen Tag schlafen, oder irgendwelche Menschen oder Tierchen beobachten, aber nein. Er hatte sich was vorgenommen und musste das auch nun durchziehen.
Und wenn er jetzt einfach wieder umdrehen würde?
Feiges Schwein!
"Jaaha. Ich geh ja schon zu ihm.", murmelte er.
Farin seufzte und rieb sich kurz etwas ungeschickt die Schläfen. Das war doch nicht zu fassen. Mittlerweile wurde er schon von seiner inneren Stimme zur Schnecke gemacht!
Eigentlich wäre es ihm lieber gewesen, der Weg zu Belas Haus wäre noch weiter gewesen, doch nach einigen Minuten stand er, bis auf die Knochen durchnässt, vor dem schlichten, ziemlich modernem Haus.
Zitternd drückte er auf den Klingelknopf.
"Jan? Wie siehst du denn aus?", lachte Bela leise und öffnete die Türe ganz, ließ Farin eintreten.
Dieses Lachen...
"Was treibt dich denn zu mir? Aber jetzt setz dich doch erstmal. Ich mach dir nen-"
"Nein, ich muss eigentlich gleich wieder weiter. Ich...ich wollte dir nur das hier vorbeibringen."
Farin drückte Bela den Gegenstand, eine CD, in die Hand und lächelte schüchtern.
"Das is mein neues Album, zumindest ein Teil. Es ist... eigentlich ganz fertig, aber..."
"Aber ich hab doch gesagt, ich wills erst am Erscheinungstag hören. So wie alle anderen.."
"Nein, darum gehts mir gar nicht. Es ist nur ein Song auf dieser CD. Is... irgendwie für dich oder so..", murmelte Farin schwach grinsend. "Hör ihn dir an und melde dich irgendwann mal..", meinte er, lächelte Bela noch einmal beinahe entschuldigend an und verschwand dann wieder, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Bela war irritiert. Sehr irritiert sogar. Mit halboffenem Mund starrte er gegen die mittlerweile wieder geschlossene Türe, durch die Farin gerade wieder abgehauen war.
Langsam kam Bela wieder zu sich, schloss den Mund, blinzelte einige Male, ehe er sich die CD in seiner Hand besah.
Eigentlich hatte er, genauso wie Rod, gesagt, dass er das Album erst wenn es komplett fertig ist, hören wollte. Doch jetzt stand er hier, mit dieser myteriösen CD, mit dem mysteriösen Song darauf.
"Atem." Stand in Farins geschwungener Handschrift auf der Scheibe.
"Atem." Wiederholte Bela.
Seufzend schüttelte er den Kopf, ging wieder in sein Wohnzimmer, pfefferte die Platte auf den Couchtisch, trat in die Küche. Er holte sich ein Glas Rotwein, zog die schweren Vorhänge im Wohnzimmer zu, legte die CD in den Player.
Langsam ließ er sich auf sein Sofa sinken, griff nach der Fernbedienung und seinem Glas, welches er gerade auf dem Tisch abgestellt hatte.
Er saß gerne so hier, mit etwas Wein, im halbdunklen Wohnzimmer, neue Musik aus den Boxen.
Gespannt drückte er auf 'Play', lehnte sich zurück und nahm einen Schluck von seinem Wein.
...
Bela weitete die Augen und verschluckte sich promt an dem rotem Alkohol, richtete sich wieder auf und ließ das Glas fallen.
"Scheiße."
Ein Murmeln, er hob die Glasscheiben auf, Rotwein breitete sich auf dem hellen Teppich aus. Unachtsam wie er war, schnitt er sich natürlich auch noch in den Finger. Blut mischte sich mit dem Wein, es war die selbe Farbe.
Was wollte Farin ihm mit diesem Song sagen?
Wollte er ihm damit überhaupt was sagen?
Natürlich, sonst wäre der Blonde nicht einfach so abgehauen.
Seufzend registrierte Bela, dass der Song in Dauerschleife immer wieder abgespielt wurde.
Farin sah nicht gut aus. Tiefe, dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab, seine Haut war blass.
Seitdem er Bela den Song gebracht hatte, hatte er kaum noch geschlafen, wälzte sich unruhig im Bett herum, dachte an den Drummer. Mittlerweile waren fast fünf Tage vergangen, und Bela hatte sich immer noch nicht gemeldet. Hatte er den Song nicht gehört?
Hasste er Farin jetzt?
War es ein Fehler, ihm die CD zu bringen?
War es ein großer Fehler?
Aber sowas von.
Mit zittrigen Händen hob er die mittlerweile ausgekühlte Teetasse vom Tisch hoch, nahm einen tiefen Schluck davon, blickte gedankenverloren an die Wand gegenüber.
Und plötzlich vibrierte sein Handy.
Seufzend griff er danach, machte sich gar keine Hoffnung mehr auf Belas Antwort. Mittlerweile hatte er sich fast schon damit abgefunden, ihre Freundschaft zerstört zu haben.
Habe den Song gehört.
Dirk.
Farins Herz machte einen Sprung. Nervös tippte er eine Antwort ein.
Hast du dafür so lange gebraucht?
Keine Minute später kam eine Antwort.
Halt einfach deine verdammte Fresse und komm vorbei.
Farin konnte direkt das Schmunzeln auf Belas Lippen vor sich sehen, wie er die SMS getippt hatte.
Sofort stand Farin auf, entschlossen, schmiss dabei die Teetasse um, dass sich deren Inhalt auf den Boden verteilte, war ihm herzhaft egal.
Normalerweise brauchte er mit dem Auto knapp eine halbe Stunde zu Bela. Doch nun stand er nach knapp 15 Minuten vor dessen Haustüre, dass er auf den Weg hierher vielleicht zwei alte Frauen fast überfahren hätte und sich mindestens drei Strafzettel eingefangen hatte, war ihm herzlichst...wurscht.
Wozu war er reich?
Er hechtete die Treppen zur Haustüre hinauf, klingelte ungeduldig.
"Komm rein, du Idiot.", murmelte Bela und zog Farin am Arm herein, schob, schubste ihn beinahe Richtung Wohnzimmer.
"Was ist denn hier passiert?", fragte Farin, etwas erstaunt und deutete auf den blassroten Fleck unter seinen Füßen.
"Ähm. Rotwein. Und Blut. Wegen DEINEM scheiß Song du Dreckskerl.", fluchte Bela und baute sich vor Farin auf, ruderte wild mit seinen Armen.
"Er gefällt dir nicht?"
"Was hast du dir dabei gedacht?"
"Ich..an dich...an dich hab ich gedacht."
"Aber..."
Farin schüttelte nur den Kopf, trat an Belas Anlage, öffnete das CD-Fach. Schmunzelnd erblickte er die CD, sah, dass sie immer noch im Radio lag.
"Wie oft hast du ihn dir angehört?"
"Jede verdammte freie Minute."
"Wirklich?"
"Ja. Ich hab beim Autofahren zu heulen begonnen."
"Zu heulen?"
"Ja! Scheiße nochmal. Ich hätte fast ne alte Frau überfahren! Du..du machst mich wahnsinnig! Das...das...AAHH!!"
Bela raufte sich die Haare und blickte zu Farin auf, dieser hob eine Augenbraue und lächelte Bela leicht an.
"Grins nicht so bescheuert, ich bin gerade dabei, dich anzubrüllen!"
Doch Farin ließ sich nicht beirren und sein Lächeln wuchs zu einem kleinen Grinsen, weiße Zähne blitzten zwischen seinen Lippen hervor.
"Er gefällt dir..", grinste er leise und musterte Bela.
"ICH HASSE DICH DAFÜR!!", brüllte Bela hysterisch und ruderte mit den Armen, wusste aber, dass Farin recht hatte, wusste auch, dass dieser es wusste. Und unter Farins forschendem, amüsiertem Blick brach sein Widerstand. Der Song war einfach wunderschön und... die Tatsache, dass Farin ihn für ihn geschrieben hat, ließ sein Herz ungesund schnell schlagen.
"Er gefällt dir!", wiederholte Farin und lachte. "Oh man und ich hab schon gedacht, ich hab mir damit die Kugel gegeben." Farin legte den Kopf leicht schief und guckte Bela fragend an.
"Und.. was sagst du dazu?"
Bela seufzte, trat an den Blonden, drückte ihn in eine sitzende Position auf die weiße Couch, auf die mittlerweile fast verblassten, getrockneten Weinflecken, zögerte kurz ein wenig, ehe er sich breitbeinig auf Farins Schoß sinken ließ, seine Hände an dessen Wangen legte.
"Du bist so bekloppt, Jan..", grinste er leise und Farins Herz machte einen kleinen Sprung.
"Ich weiß.. ich... ich hoffe, du verstehst die Botschaft in dem Song?" Vorsichtig legte Farin seine Hände um den ihm bekannten, dennoch so aufregenden und neuen Körper vor, auf ihm, strich leicht über Belas Seiten. Er war so schön, so wunderschön, so, wie er hier bei, auf Farin saß.
Bela würde doch nicht..? So wie er..?
"Klar. Ich bin doch nicht vollkommen verblödet.", krächzte Bela heiser, glitt mit einer Hand in Farins Nacken, kraulte diesen leicht. Farin lachte leise und blickte in Belas stechend grüne Augen. Ein Rotschimmer legte sich über die blassen Wangen des Jüngeren. Sie sahen sich an, mehrere Sekunden, Minuten. Ihre Gesichter kamen sich langsam näher und Farin schmunzelte leicht.
"Ist das der Moment, wo wir uns küssen sollten?"
"Ich denk schon.."
Sie blickten sich noch eine Sekunde in die Augen, ehe sie sich, keiner wusste, wer angefangen hatte, küssten, zuerst zögerlich, schüchtern, scheu, doch mit der Zeit liebevoller, fordernder.
"Ich glaube... ich liebe dich..", nuschelte Farin gegen Belas Lippen. Endlich hatte er es ihm offiziell gesagt, und ein Stein, mit den Maßen der Rocky Mountains, fiel von seinem Herzen. Er strich durch die dunklen Haare des Älteren, schmiegte seine Nase leicht an Belas Wange, schloss die Augen. Er hörte, fühlte den gleichmäßigen, warmen Atem des Kleineren.
Bela schmunzelte leicht, strich Farin über die Brust und legte seinen Kopf an die breite Schulter des Blonden. Er hielt es für unnötig, darauf eine Antwort zu geben.
Du musst nicht deine Liebe schwörn,
ich würd nur gern für immer hörn,
wie du atmest.
