Zum Inhalt der Seite

Höllenbrut

Jeder findet seinen eigenen Weg
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

3

Kapitel 3
 

„Wo bleibt denn Clara?“, frage ich Mel nervös.

„Wir haben noch eine halbe Stunde! Reg dich ab!“

„Ja, ja!“

Ich habe plötzlich Kopfschmerzen und muss mich setzen. Während ich am Schminktisch sitze, sehe ich in den Spiegel. Langsam fahre ich mit meinen Fingern über die Narbe quer durch mein Gesicht. Ich seufze.

„So schlimm ist es nicht!“, beruhigt Mel mich.

„Du kannst nicht lügen!“

„Ich habe mir aber so schön viel Mühe gegeben!“ Ich muss grinsen.

„Kannst du die Lieder auswendig?“, fragt Mel mich.

„Ja!“

„Wie viele sind es denn?“

„Vier!“

„Gut! Das reicht!“ Clara kommt angelaufen.

„Sorry Leute!“ Sie setzt sich ans Schlagzeug.

„Na endlich!“, sage ich.

„Wie siehst du denn aus? War das wirklich Mag? Die ganze Schule spricht davon!“ „Dann halt du die Klappe!“, meine ich und nehme meine E-Gitarre in die Hand. „Lass sie! Sie ist etwas gereizt!“, flüstert Mel Clara zu.

Nun stellt sich Mel auch an ihr Keyboard. Der Vorhang öffnet sich. Ich sehe Leo auf der einen Seite und auf der anderen Seite Van.

„Schade, dass unsere Stadt durch diese zwei Gruppen geprägt ist!“, denke ich. Die >Fear< und die >Blood< teilen unsere Stadt. Es ist ein Krieg zwischen ihnen. Doch nur zwischen den jetzigen Jugendlichen. Die Erwachsenen wissen es zwar, halten sich aber daraus. Die Kinder müssen sich, wenn sie älter werden, für eine Seite entscheiden. Ich muss mich auch bald entscheiden, habe aber überhaupt keine Lust dazu. Clara schlägt auf ihre Stöcke und bald spielen wir die Intro. Ich fange an den ersten Song zu singen:
 

Ich verstehe das nicht,

wie konnte so etwas passieren?

Wie konnte unser Band reißen,

wie konntest du so werden?
 

Bin ich wirklich daran schuld?

meinst du wirklich ich war es?

Such die Schuld bitte bei dir,

ich will nicht dein Hass sein!
 

Bist du sicher, dass du mich hasst?!

So sehr ich es auch will,

ich kann dich nicht hassen!

Ich werde immer für dich da sein.
 

Denk daran,

immer, ja wirklich immer,

werde ich für dich da sein!

Wenn du Sorgen hast, komm zu mir!
 

Wie…?
 

Alle klatschen, als ich das letzte Wort gesungen habe. Der Vorhang schließt sich. „Der nächste Auftritt ist erst in einer halben Stunde!“, sagt Mel und geht mit Clara und mir zur Bar. Auf einmal bekomme ich von hinten einen Kuss. Leo steht da und zeiht mich in einen Nebenraum.

„Was ist denn los?“, frage ich.

„Du musst dich jetzt entscheiden!“

„Was?“

„Er hat Recht!“, sagt Van, der in den Raum kommt.

„Ich…“, fange ich an, doch Clara unterbricht mich, weil sie mich zum nächsten Auftritt holt. Ich sehe noch einmal zu Van und Leo.

„Bleib hier!“, knurrt Van.

„Bye!“

Ich entreiße mich Vans Griff und renne auf die Bühne.

„Alles in Ordnung?“, fragt Mel. Ich erzähle ihr alles.

„Ich habe mich doch auch schon entschieden!“, sagt Clara, „ich bin eine >Fear<!“

„Und ich bin eine >Blood<!“, sagt Mel.

„Oh nein!“, denke ich. Doch da geht der Vorhang auf. Ich kann nicht mehr nachdenken, ich will nur noch singen:
 

I don’t know,

was it right?

Was it wrong?

Was I right?

Was I strong?
 

When I am older,

I’ll sit there

And I’ll think

About my past

And I’ll ask me:
 

But than I’ll see

In your wonderful blue eyes

And I’ll don’t think about that.

I’ll think about an other thing,

I‘ll think:
 

I’m sure,

It was right!

It wasn’t wrong!

I was right!
 

But was I weak…?
 

Mit dem letzten Wort verstirbt meine Stimme. Der Vorhang wird wieder zugezogen. Schnell springe ich auf, lege meine E-Gitarre weg und laufe von der Bühne, aus dem Gebäude. Ich gehe hinter das Gebäude und setze mich dort ins Gras und überlege:
 

Wieso ist es für mich so schwer, mich zu entscheiden? Ich liebe doch Leo, also ist es doch klar, dass ich eine >Blood< werde. Für Van empfinde ich doch gar nichts, oder?! Was war Phil eigentlich?
 

„Da bist du ja!“

Mel kommt um die Ecke. Hinter ihr kommen noch Clara, Van und Leo. Ich stehe auf.

„Warum bist du denn hier?“, fragt Leo mich.

„Ich musste nachdenken!“, erkläre ich.

„Hast du dich entschieden?“, fragt Van mich.

„Ich weiß nicht wieso, aber die Entscheidung fällt mir unheimlich schwer!“

„Liebst du mich etwa nicht?“, fährt Leo mich an.

„Doch, ich…“

„Entscheide dich endlich!“, schreit mich Van an.

„Wer soll dich denn beißen?“, fragt Mel hämisch.

„Beißen?“, frage ich verwirrt.

„Halt deine dumme Klappe!“, schreit Van sie an und wirft sie um.

„Spinnst du?“, fahre ich ihn an. Ich knie mich neben Mel und streiche mir noch einmal die Haare zur Seite, die mir ins Gesicht gefallen sind. Mel reißt auf einmal meinen Kopf um und hält mir ihre Zähne an die Kehle.

„Mel, hör auf!“, schreit Van.

„Dieses Privileg gebührt mir!“, ruft Leo. Mel zischt und lässt von mir ab.

„Was war das denn?“, frage ich. Doch anstatt eine Antwort zu bekommen, kommt eine Durchsage:

>Die Angels bitte auf die Bühne! Um ihre letzten zwei Songs zu singen!< Um dem allem hier zu entfliehen, renne ich schnell auf die Bühne. Als Clara und Mel endlich auch da sind, öffnet sich der Vorhang und voller Leidenschaft fange ich an zu singen:
 

Deine Vergangenheit bleibt unvergessen,

deine Schuld kann man nicht messen,

doch Nacht für Nacht musst du deswegen leiden,

doch den Schlaf kann man leider ja nicht meiden.
 

Niemand kann dich heilen,

und so musst du weiter eilen,

fliehen vor deinen Erinnerungen,

vor deiner Vergangenheit.
 

Einige wünschen dir den Tod,

sie ahnen nichts von deiner Not,

Sterben wäre für dich ein Glück,

doch du lässt zu viel zurück.
 

Einen Heiler gibt es nicht,

trotzdem hältst du dicht,

niemand weiß von deiner Plage,

niemand weiß von dieser Sage.
 

Dort sitze ich nun und höre mir an, wie die Zuschauer klatschen. Dann sehe ich Leo und Van mit jeweils einigen seiner Bande da stehen. Ich weiß, dass sie auf mich warten. Darauf warten, dass ich zu Ende gesungen habe.

Irgendwie habe ich Angst, das letzte Lied zu singen, doch ich habe schon den Hinterausgang im Visier. Mit diesem beruhigendem Gefühl, singe ich nun auch noch den letzten Song:
 

Ich gehöre mir,

niemals und nie dir,

denn ich bin ich

und ich bestimme selbst!
 

Es war schön mit dir,

doch es war.

Wir müssen mit der Zeit gehen

Und mein Gefühl sagt mir:
 

Finde dich doch endlich damit ab,

ich liebe dich nicht mehr.

Halte dich nicht an der Vergangenheit fest!

Lass mich endlich in Ruhe!
 

Ich lebe weiter,

du findest wieder jemanden! Aber:

denn die Zeit bleibt niemals stehen!

Folge endlich auch ihrem Lauf!
 

Der Vorhang schließt sich und ich packe blitzschnell meine E-Gitarre ein und mache mich auf den Weg nach Hause. Durch die Hintertür verschwinde ich unbemerkt. Ich merke erst, als ich außer Atem bin, dass ich den ganzen Weg gerannt bin. Ich schließe die Tür auf. Als ich oben in mein Zimmer komme, sitzt auf meinem Bett der Geist von Phil. Ich will schreien, doch mir bleibt die Luft weg.

„Hab keine Angst!“, sagt Phil.

„Du bist gut! Was würdest du denn machen, wenn auf einmal ein Geist auf deinem Bett sitzen würde?“

„Schreien?!“

„Was machst du eigentlich hier?“

„Ich bin hier, um dich endlich dazu zu bewegen, dass du deine Aufgabe erfüllst!“

„Was für eine Aufgabe?“

„Du weißt noch gar nichts!“, stellt Phil fest.

„Dann erzähl mir alles!“ Ich habe plötzlich keine Angst mehr und setze mich auf meinen Schreibtischstuhl.

„Leo und Van haben beide eine Gemeinsamkeit. Sie sind Geschöpfe der Nacht!“

„Der … Nacht?“

„Ja, Van ist ein Werwolf…“

„Ein Werwolf?!“

„… und Leo ein Vampir!“

„Was?!“

„Du musst Leo vergessen!“, fordert Phil mich auf.

„Aber ich liebe ihn!“

„Warum bist du dann nicht einfach eine >Blood< geworden?“

„Genau das weiß ich ja nicht!“

„Weil du gespürt hast, dass du zu mehr berufen bist!“

„Und zu was?“

„Du musst mich wieder zum Leben erwecken!“

„Und zu was soll das gut sein?“

„Ich war, als ich noch gelebt habe, ein Herrscher der Dunkelheit!“

„Und ich soll einen >Herrscher der Finsternis< wiedererwecken?“

„Ich war doch nicht böse! Oder hätte ich sonst mit dir verwandt sein können? Wo du doch das liebste Geschöpf der Welt bist!“

„Du machst dich über mich lustig!“

„Ich doch nicht!“

„Das kann aber nicht das Einzige sein, warum ich nicht einfach eine >Blood< geworden bin!“

„Versuch dich mal zu erinnern! Leo hat eine Klassenfahrt aus deinen Erinnerungen gestrichen, doch wenn du ganz fest daran denkst, kommt sie zurück!“

Ich konzentriere mich und tatsächlich fällt mir die Klassenfahrt in die Rhön wieder ein. Ich nicke. Phil grinst und verlässt durch die Wand mein Zimmer. Mit brummendem Schädel lege ich mich in mein Bett und schlafe ein.
 

Ein Schmerz an meiner Kehle. Mir wird kalt. Erschrocken wache ich auf. Mir ist so, als ob mir jemand meine Seele aus den zwei kleinen Löchern in meiner Kehle zieht. Ich versuche mich loszureißen, doch ich kann nicht. Ich bin zu schwach. Leo saugt mir das Blut aus.

„Das darf nicht passieren!“, denke ich und schiebe Leo weg. Dieser zischt und seine Eckzähne werden wieder kleiner. Er wischt sich den Mund ab.

„Man darf einen Vampir doch nicht beim Essen stören!“, sagt er ernst.

„Wenn ich doch das Essen bin!“, meine ich.

„Ich bin aber noch hungrig!“

„Gegenüber ist noch jemand! Leon ist noch ganz frisch!“

„Ich lechze aber nach dir und das nun schon so lange!“

„Warum hast du mich denn nicht schon früher ausgesaugt?“, frage ich interessiert. „Ich wollte, dass du dich freiwillig für mich entscheidest und dass du mich aus freien Stücken liebst. Ich wollte nicht, dass du bei mir als willenlose Sklavin lebst. Da ich dich liebe und du mich auch, werde ich dir einen freien Willen geben. Jeder Herrscher darf bei seinen Opfern selbst entscheiden, ob er ihnen einen freien Willen gibt oder nicht!“ Leo kommt nun noch näher. „Geh weg!“, schreie ich.

Doch Leo kommt blitzschnell näher und drückt mich gegen die Wand. Er drückt meinen Kopf beiseite und saugt mich ganz aus. Ich bin zu schwach um mich zu wehren. Langsam verliere ich das Bewusstsein.
 

Als ich wieder zu mir komme, ist alles dunkel um mich. Den Gruselfilmen nach müsste ich jetzt in einem Sarg liegen und gleich kommt Leo und öffnet ihn. Doch nichts passiert. Als ich versuche den Deckel zu öffnen, bewegt sich dieser ein kleines Stück und etwas Erde rieselt in meinen Sarg. Ich lasse den Deckel los.

„Der Schwachkopf hat mich eingebuddelt!“, denke ich wütend. Immer wenn ich nachdenke, mache ich nebenbei meine Nägel sauber, doch als ich nun einen Blick auf meine Nägel werfe, erst jetzt fällt mir auf, dass ich in der Dunkelheit sehen kann, merke ich, dass sie spitz wie Messer sind.

„Dann mal los!“ Mit meinen Nägeln ist es kein Problem ein Loch in den Sargdeckel zu hauen. Ich grabe mich nach oben. Da ich schon tot bin, kann ich unter der Erde ohne Sauerstoff auskommen.

„Da oben wartet bestimmt Leo!“, denke ich. Als ich endlich nach draußen komme, sehe ich dort Leo und Van, die sich streiten. Die beiden bemerken mich nicht und so klopfe ich mir die Erde von meinen Klamotten und setze mich auf ein Steingrab. Mel tritt hinter mich, gerade, als sie Leo rufen will, unterbreche ich sie flüsternd:

„Lass es! Ich will doch mal wissen, was sie sagen!“, befehle ich

„Aber…“

„Kein Aber! Ich haue auch nicht ab!“

Mel lässt es gut sein und doch ruhen ihre Augen auf mir. Ich höre Leo und Van nun zu.

„Du hast unseren Vertrag gebrochen!“, schreit Van Leo an.

„Ich bin ein Vampir, schon vergessen?“

„Noch eine solche Bemerkung und ich beiß dich!“

„Oh, was hab ich Angst!“

„Denk an Mag!“

„Ja, du Spinner! Sie hätte Jill beinahe getötet!“

„Ich habe sie doch bloß durch meinen Biss zu einem Werwolf gemacht!“

„Aber sie war doch schon ein Vampir! Du weißt genau, dass man nicht beides seien kann! Die Seele verkraftet das nicht! Man wird verrückt! Genau wie Mag!“

„Wo ist sie eigentlich?“

„Ich habe sie eingesperrt! Hätte ich sie frei rumlaufen lassen?“

„Dann wäre sie sicherlich ins Gefängnis gekommen!“

„Nein, sie hätte eher ein paar Bullen getötet! Doch nun verschwinde!“

„Was macht ihr eigentlich hier?“, fragt Van.

„Wir warten auf Jill! Sie müsste jeden Moment kommen! Und nun verschwinde!“ Erst bin ich geschockt, von dem, was ich da höre, doch dann fasse ich mich wieder und mache mir nebenbei meine Fingernägel sauber. Van sieht in meine Richtung und fängt an zu lachen.

„Hau ab!“, schreit Leo. Van verwandelt sich in einen Wolf und verschwindet. Leo dreht sich um und ich grinse ihn an.

„Hi!“, sage ich vorlaut.

„Wie lange… sitzt du schon da?“, fragt Leo.

„Lang genug!“

„Und, wie fühlst du dich?“

„Wie man sich eben fühlt, wenn man gerade gestorben ist!“

Leo kommt an mich heran und versucht, mich zu küssen, doch ich drehe meinen Kopf weg. Auch Leo zieht seinen Kopf weg.

„Du hast sicher Durst!“

„Äh,… nein!“ Leo sieht mich eindringlich an.

„Und ob!“ Steve kommt und er hat ein kleines Kind auf dem Arm.

„Trink!“, befiehlt mir Leo. Ich will das nicht und doch schlage ich meine Zähne in die Kehle des Kindes und sauge es aus.

„Ich werde mich dafür ewig hassen!“, denke ich angewidert.

„Gut gemacht!“, lobt mich Leo. Ich wische mir das restliche Blut von den Lippen.

„Komm jetzt, meine Liebe!“

Leo legt mir seinen Mantel um, legt seinen Arm um mich und führt mich weg. Weg von dem alten Friedhof, worüber ich sehr froh bin. Auf einmal bleibt Leo stehen.

„Was ist?“, frage ich.

„Wie möchtest du reisen?“

„Hä?!“

Ich verstehe nur Bahnhof. Mel verdreht die Augen.

„Was kann ich dafür, dass ich so doof bin und keine Vampirbücher lese?“, fahre ich sie an.

„Alles kannst du dafür!“, meint sie.

„Ich war als Mensch nun einmal nicht so ein Grufti wie du!“

„Ich war kein Grufti! Wie konntest du nur mal meine beste Freundin sein?“, fragt mich Mel.

„Gute Frage, nächste Frage!“

„Hey Mädels, hört auf zu streiten!“, fordert Leo uns auf. Mel knirscht mit den Zähnen.
 

Ich verstehe das nicht, wie kann es sein, dass sich Mel so verändert hat. Ich erkenne sie gar nicht mehr wieder.
 

„Also?“

„Was also?“, frage ich zurück.

„Na dann so: F oder W?“

„Was soll das denn nun schon wieder?“ Als Leo mich nun wütend ansieht, sage ich: „F!“

„Ok! Wir reisen als Fledermäuse!“

„Können wir nicht den Bus nehmen?“, frage ich vorsichtig.

„Nein!“ Leo und Mel verwandeln sich in eine Fledermaus und fliegen davon. Ich habe keine Ahnung wie das geht und habe so nur eine Idee: Davonlaufen.
 

Das ist eine einmalige Gelegenheit! Ich habe doch keine Lust, mein Leben lang bei Leo zu bleiben. Ich meine, ich liebe ihn ja, oder eher, ich habe ihn mal geliebt, aber ich will mein eigenes Leben.
 

Das denke ich, während ich davonrenne. Da ich ja nun ein Vampir bin, renne ich sehr schnell. Da ich noch Anziehsachen brauche, laufe ich nach Hause. Da ich nicht will, dass irgendjemand genau weiß, wann ich da war, springe ich nach oben auf meine Fensterbank.

„Ok!“, murmele ich. Mit meiner geballten Faust zerschlage ich das Fenster. Meine Hand verheilt gleich wieder. In meinem Zimmer packe ich meine Sachen. In einen Rucksack packe ich alles nötige. Einige Anziehsachen, Schmuck, Schminke, Essen und eine Flasche Wasser. Ich ziehe meinen Minirock und mein Top aus und ziehe mir ein bauchfreies T-Shirt und eine bequeme Jeanshose an.

„Was machst du denn hier?“, fragt mich Leon. Dieser hat einen viel zu langen Schlafanzug an und sieht ziemlich verschlafen aus. Gähnend reibt er sich die Augen.

„Ist das meiner?“ Ich erkenne meinen blauen Schlafanzug.

„Ja!“

„Wo sind Mum und Dad?“

„Weg!“

„Genau wie ich jetzt!“ Ich steige wieder aus dem Fenster auf die Fensterbank.

„Ich muss dir noch was sagen: Wenn irgendwer fragt, ob ich da war, auch wenn Leo fragt, sag einfach nein!“

„Ok! Ich sag dir auch noch was, cool, dass du deine Narbe so gut überschminkt hast. Man sieht sie gar nicht mehr!“

Überrascht springe ich wieder ins Zimmer. Ich sehe auf den Wandspiegel. Tatsächlich ist die Narbe quer durch mein Gesicht verschwunden.
 

Nun müsste ich Leo eigentlich danken. Trotzdem will ich weg! Ich muss mein Gefühlschaos beseitigen.
 

Ich nehme ein Blatt und schreibe Leo einen kurzen, knappen Brief:
 

Muss hier weg! Danke, dass meine Narbe weg ist. Ich muss erst einmal hier weg und alles verarbeiten. Ich verspreche dir aber, dass ich wiederkomme! Wenn endlich meine Gefühle wieder im Klaren sind! Kuss Jill
 

Ich gebe Leon den Brief mit dem Auftrag, ihn Leo zu geben.

„Erst soll ich niemandem etwas sagen und jetzt soll ich noch einen Brief ausgeben?! Und das soll ich mir alles merken?“, beschwert sich mein Bruder. Ich lächele und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.

„Lass das!“

Leon wischt sich den Kuss ab.

„Auf Wiedersehen!“ Ich verkneife mir meine Tränen.

„Wohin willst du denn jetzt schon wieder?“

„Weg!“, antworte ich knapp. Ich springe durch das Fenster. Draußen komme ich wie eine Feder auf.
 

Zu was das Vampirdasein alles nütze ist. Ich glaube, daran könnte ich mich gewöhnen.
 

Ich hänge mir meinen Rucksack auf die Schulter und renne los. Außerhalb der Stadt bleibe ich stehen.
 

Ich muss anders, schneller reisen. Als Fledermaus oder … was könnte W sein? Mal sehen. Mel hat doch immer von ihren Vampiren gelabert. Was hat sie gesagt? Irgendetwas mit W, was könnte das sein? Ach ja, Wolf. Vampire können sich auch in Wölfe verwandeln!!!
 

Ich überlege lange, wie das funktionieren kann. Dann habe ich eine Idee. Ich laufe schneller und schneller, so schnell ich kann. Dann verlagere ich mein Gewicht in meine Knie. Ich merke, wie ich langsam kleiner werde und an mir Haare wachsen. Mir wächst eine Schnauze und ich muss aufheulen.
 

Ich hab es geschafft! Ich bin ein Wolf. Und nun weg hier! Weit weg von hier. Dorthin, wo sie mich nicht finden.
 

Ich werde langsamer und langsam bleibe ich stehen. Mein Fell und meine Schnauze, vor allem aber das unangenehme Kratzen im Hals, verschwinden. Seit drei Tagen und Nächten bin ich nun unterwegs. Das Vampire sich nicht bei Sonnenlicht bewegen können, stimmt nicht. Angeekelt hatte ich während meiner Reise jede Nacht ein Kaninchen ausgesaugt. Das arme Ding hatte gegen mich keine Chance. Ich war viel zu schnell und konnte viel besser sehen und hören als es.
 

Vielleicht musste ich arme, kleine Kaninchen aussaugen um nicht zu sterben. Doch niemals wieder werde ich einen Menschen aussaugen! Lieber, viel lieber, sterbe ich.
 

Ich bin an einer kleinen Stadt angekommen. Ich habe vor, hier zu bleiben, da ich glaube, dass mich Leo hier nie suchen würde. Ich durchquere langsam und gemütlich die Stadt. Ich schaue mir jedes der Häuser genau an. Jedes einzelne scheint seine eigene Geschichte zu haben. Mich faszinieren diese Häuser. Meistens sind es Backsteinhäuser. Doch zwischendurch stehen dort auch ziemlich alte, wunderschöne Fachwerkhäuser. Eins finde ich besonders schön. Es ist ein Gästehaus mit dem Namen >Spinnenbein<. Ich trete ein. Gleich als ich hineinkomme ist dort ein alter Speisesaal. Die gleichen Holztische, um die die gleichen Holzstühle stehen, machen diesen Raum irgendwie faszinierend, aber auch gleichzeitig irgendwie unheimlich. Eine alte, ebenfalls aus Holz bestehende Bar ist an der linken Seite des Raumes. Ich gehe zu dem Wirt.

„Kann ich hier ein Zimmer haben?“, frage ich ihn.

„Für wie lange?“, fragt der Wirt mit brummiger, irgendwie unfreundlicher Stimme zurück.

„Weiß ich noch nicht, aber es könnte ziemlich lange werden!“

„Tage?!“

„Viel mehr!“

„Wochen?“

„Mehr!“

„Monate?“

„Wahrscheinlich!“

„Jahre?“

„Vielleicht!“ Der Wirt, der einen langen, braunen Kittel und Holzschuhe anhat und einen Buckel hat, schlürft zu der Wand und gibt mir den Schlüssel für das Zimmer 13. „Danke!“, sage ich, als er mir den Schlüssel in die Hand drückt. Bevor ich in mein Zimmer gehe, will ich aber noch etwas trinken. Ich nehme mir eine, der dort liegenden drei Speisekarten und schlage sie auf. Es ist nichts darauf. Ich nehme mir die zweite. Wieder nichts.

„Ist das ein dummer Scherz?“, frage ich den Wirt.

„Kein Scherz!“, brummt dieser. Er schlägt die dritte Karte auf. Darin kann ich endlich etwas erkennen:
 

Kaninchenblut: 1 Taler

Vogelblut: 1 Taler

Bärenblut: 2 Taler

Fuchsblut: 3Taler

(…)

Menschenblut: 15 Taler
 

„Andere Karten für Werwölfe und Menschen!“, erklärt der Wirt und putzt weiter seine Flaschen. Ich seufze.

„Einmal Kaninchenblut!“, sage ich und lege den einen Taler auf die Bar. Der Wirt schnappt sich diesen blitzschnell und gibt mir ein Glas frisches Kaninchenblut. Ich nehme es und setze mich an einen der Tische. Ein Mädchen und ein Junge betreten das Gasthaus und setzen sich an meinen Tisch.

„Hans, zweimal bitte Fuchsblut!“, ruft der Junge dem Wirt zu. Hans lächelt und bringt dem Jungen und dem Mädchen jeweils ein Glas Fuchsblut.

„Danke!“, sagt das Mädchen höflich.

„Hi!“, begrüßt der Junge mich, „Ich bin Niclas oder einfach Nick und das ist meine Schwester Nicole! Oder einfach Nico!“ Nick hat kurze, blonde Haare und blaue Augen. Nico hat lange, blonde Haare und blaue Augen. Anscheinend sind die beiden Zwillinge.

„Jill!“, sage ich knapp.

„Du bist auch ein Vampir, oder?!“, fragt Nico.

„Ja!“

„Du musst dich noch anmelden!“, sagt Nick.

„Anmelden?!“

„Ja, damit man weiß, wie viele Vampire es hier gibt. Falls mal ein Krieg ausbricht!“, erklärt mir Nico.

Wir drei unterhalten uns noch den ganzen Abend und ich habe das Gefühl, dass wir nun gute Freunde sind. Die beiden sind echt nett. Um fünf Uhr verabschieden sie sich und gehen nach Hause. Am nächsten Abend wollen sie mich aber hier abholen. Für eine Strandparty. Als ich widersprechen will, lassen mich die beiden nicht zu Wort kommen.

„Dann bis morgen!“, ruft Nick und die beiden Zwillinge laufen nach Hause. Ich schnappe mir meinen Rucksack und laufe die Treppen zu meinem Zimmer hoch. Es dauert eine Weile, bis ich mein Zimmer in dem Ganggewirr gefunden habe, doch bald stehe ich vor meinem Zimmer. Als ich die Tür öffne, kriege ich fast einen Herzschlag. Mein Zimmer ist voll von Staub, Spinnen, Spinnweben und einige Mäuse laufen durch das Geschehen.
 

Das wird noch ein langer Tag!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück