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Höllenbrut

Jeder findet seinen eigenen Weg
von

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Kapitel 1
 

„Das wird so geil!“, stellt Mag fest.

Ich sitze neben Mag im Bus und betrachte die verschwommenen Farben, der an uns vorbeiziehenden Landschaft. Ich heiße Jill Weber, habe lange, schwarze Haare und grüne Augen. Ich bin 16 Jahre alt. In der Schule bin ich relativ beliebt. Meine besten Freundinnen sind Maggie, die kurze, gestylte, braune Haare und schwarze Augen hat, und Melanie, die schulterlange, schwarze Haare und blaue Augen hat. Beide sind wie ich 16 Jahre und beide sind nicht gerade beliebt, ganz im Gegensatz zu mir. In unserer Klasse ist es so, dass sich manche als die >Besseren< bezeichnen. Das sind diejenigen, die beliebt oder reich oder einflussreich sind. Ich gehöre zwar auch dazu, aber ich halte nichts von alledem. Ich habe einen Freund: Giovanni. Van hat schwarze, kurze, hochgestylte Haare und graue Augen. Er wiederholt die 10. und ist so schon 17. Eben habe ich noch geschlafen und hatte wieder diesen Albtraum.

„Was ist?“, frage ich Mag.

„Na was wohl?“, sagt Mel vorwurfsvoll und dreht sich um.

Ich grinse verlegen. Wir sind auf dem Weg in eine alte Jugendherberge. Und das coolste wird, dass wir, weil wir ja nun in der 10. Klasse sind, ohne Lehreraufsicht dort sein werden. Natürlich werden die Lehrer mal Streife gehen, doch das zählt für uns nicht. Auf einmal nimmt sich Frau Klemme das Mikrofon. Ein lautes Pfeifen dröhnt aus dem Lautsprecher. Alle halten sich stöhnend die Ohren zu. >Also<, kommt es nun endlich aus den Lautsprechern, >Wir werden in ungefähr zehn Minuten da sein!<

Alle jubeln laut.

„Endlich kommen wir aus diesem doofen und engen Bus raus!“, flüstert mir Mel zu.

>Ruhe bitte! Also, ich und Herr Gustav werden in einer Pension etwa eine Stunde von hier wohnen. Verboten sind, während eures Aufenthaltes: Rauchen, Alkohol und vor allem: Sex! Und jetzt noch eine schlechte Nachricht: Ihr werdet nicht mit den anderen Zehnern in die geplante Jugendherberge kommen. Dadurch werden Herr Gustav und ich euch auch überhaupt nicht beaufsichtigen können. Also seid ihr auf euch ganz alleine gestellt. Wir hoffen, dass wir uns auf euch verlassen können!<

„Natürlich!“, antworten wir alle im Chor.

Frau Klemme legt das Mikro wieder weg und unterhält sich mit Herrn Gustav.

„Wir sind noch nicht einmal da und doch ist alles schon super!“, stellt Mag grinsend und frohen Mutes fest.

Auf einmal bekomme ich von hinten einen Kuss auf den Hals. Als ich mich umdrehe, auch noch einen auf den Mund.

„Hi, mein Schatz!“, sagt Van und küsst mich wieder.

„Was willst du?“, frage ich und drücke ihn spielerisch von mir weg.

„Ich will dich bloß sehen!“

Van zieht mich um den Sitz zu sich auf seinen Schoß und küsst mich.

„Miss Weber und Mr. Wulf, sie wissen, was ich eben gesagt und verboten habe?“ Ich lasse von Van ab und streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht.

„Natürlich, Frau Klemme!“, antworten Van und ich grinsend im Chor.

„Gut!“

Frau Klemme setzt sich wieder ganz nach vorne neben Herrn Gustav und nimmt sich ein Buch zur Hand. Van und ich bekommen einen schrecklichen Lachanfall. Als wir uns wieder eingekriegt haben, küsst Van mich wieder.

„Nehmt ihr eigentlich auch mal Rücksicht auf Singles?“, fragt Steve. Steve hat schulterlange, braune Haare und smaragdgrüne Augen. Er ist der beste Freund von Leo. Leo ist 16 ½ Jahre alt, hat kurze, immer hochgestylte, braune Haare mit blondem Pony und blaue Augen. Manchmal erwische ich ihn dabei, wie er mich beobachtet.

„Wenn du so fragst… Nein!“, antwortet Van und küsst mich wieder.

„Danke für dein Mitgefühl!“, erwidert Jack, der ebenso alt wie Leo ist, kurze, weißblonde Haare und blau- graue Augen hat.

„Nichts zu danken!!“ Unsere Klassenkameraden lachen auf.

„Ruhe!“, donnert Herr Gustav. Alle sind sofort still, da Herr Gustav als streng gilt und niemand von uns will diese “grandiose“ Klassenfahrt verpassen.
 

„Alle aussteigen!“, befielt der Busfahrer. Alle stürmen nach draußen. Als wir draußen sind, fährt der Bus mitsamt unseren Lehrern davon. Steve schreit laut auf:

„Endlich frei!“ Die Bücher, die wir bekommen haben, um sie zu lesen, schmeißen wir auf einen Haufen und Leo verbrennt sie. Alle jubeln.

„Und was machen wir jetzt?“, fragt Mel.

„Ich habe Hunger!“, klagt Karl, ein dicker Streber aus meiner Klasse.

„Dann mach dir was!“, faucht Mag.

„Ich kann aber nicht kochen!“

„Jill kann ganz toll kochen!“, sagt Van und schiebt mich vor. Leo mustert mich.

„Dürfen wir uns was wünschen?“, fragt er dann.

„Klar!“

„Pizza!“, ruft Steve sofort.

„Nein, etwas Einfallsreiches!“

„Schnitzel und Pommes!“, schlägt Jack vor.

„Wie einfallsreich!“, flüstere ich.

„Hast du was gesagt?“, fragt Van mich.

„Nein!“, lüge ich.

„Okay!“

„Schnitzel und Pommes?“, frage ich unsicher.

„Ja, das isst schließlich jeder!“ Bevor ich widersprechen kann, sind alle im Haus verschwunden. Auch ich nehme meine Sachen und suche mein Zimmer. Ich gehe alle Räume durch, doch jeder ist schon besetzt. Endlich finde ich meinen. Ich räume meinen Schrank ein und richte mein Zimmer etwas gemütlicher ein. Ein Bild von Van und mir in einem Herzchenrahmen kommt auf meinen Nachtspinnt. Poster von berühmten Sängern und Schauspielern hänge ich an die Wand und beziehe mein Bett mit roter Bettwäsche. Einige Bücher und Zeitschriften lege ich in mein Nachtspinnt. Auf einmal klopft es. Van kommt herein.

„Was ist?“

„Kannst du mir helfen?“

„Wobei?“

„Ich kann mein Bett einfach nicht beziehen!“, sagt Van schüchtern. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, gehe in Vans Zimmer und räume es etwas auf. Als ich auch noch Steve, Jack und Leo den Schrank etwas eingeräumt und das Bett gemacht habe, gehe ich wieder in mein Zimmer. Auf einmal geht die Tür auf. Mel kommt herein.

„Wie ich sehe, hast du es dir schon gemütlich gemacht!“

„Ja!“

„Kommst du?“

„Wohin?“

„Nun ja, du wolltest kochen!“

„Stimmt ja!“ Genervt verdrehe ich die Augen. Mit Mel gehe ich in die Küche. Schnell habe ich die Schnitzel gebraten und die Pommes in den Ofen geschoben. Für die Vitamine habe ich auch noch einen Salatteller gemacht. Mel ist mir bei allem eine große Hilfe. Alle setzen sich an den großen Esstisch.

„Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst!“, singen alle und hauen mit der Unterseite ihrer Bestecke auf den Tisch. Mag, Mel und ich tischen auf und alle sind begeistert. Als sie gegessen haben, räume ich den Tisch wieder ab.

„Willst du nichts?“, fragt Van mich.

„Nein! Ich habe keinen Hunger!“, erwidere ich.

„Hat aber gut geschmeckt!“, meint Leo.

„Das sagt der, dessen Teller nicht mal benutzt ist?“ Ich sehe Leo grinsend an. Dieser kratzt sich verlegen am Kopf. Mel und Mag helfen mir wieder den Tisch abzuräumen und abzuwaschen.

„Warum hast du nichts gegessen?“, fragt Mag mich und räumt den letzten Teller in den Schrank.

„Hab ich doch schon gesagt, ich hatte keinen Hunger!“

„Glaub ich dir nicht! Schnitzel und Pommes sind doch dein Lieblingsessen!“

„Und wenn schon!“ Ich lege den Spüllappen in die Spüle und laufe nach oben in mein Zimmer. Ich habe keine Lust mehr auf irgendetwas. Ich weiß auch nicht, wieso. Ich schmeiße mich aufs Bett und krame einen alten Comic aus meinem Nachtspinnt und fange an zu lesen. Als ich auf die Uhr schaue, merke ich, dass es schon neun ist. Auf einmal geht die Tür auf. Mel kommt herein.

„Was willst du?“, knurre ich.

„Ich will nichts!“

„Dann kannst du ja gehen!“

„Nein, denn die anderen wollen etwas!“

„Was denn?!“, frage ich genervt.

„Die wollen, dass wir spielen!“

„Wissen die von unserer Band?“

„Nein! Kommst du, sonst erzähle ich ihnen davon!“

„Erpresserin!“ Spielerisch piekse ich Mel in die Seite. Dann gehen wir nach unten.

„Und was singen wir?“

„Du singst! Also lass dir etwas einfallen!“ Schnell geht Mel vor und ich gehe langsam hinter ihr her.
 

Die Andern jubeln. Vor ihnen stehen jede Menge alkoholische Getränke und bei näherem Hinsehen, merke ich, dass diese Flaschen alle leer sind. Doch es werden immer mehr Flaschen herangeschafft. Nun fange ich an zu singen:
 

Lasst uns singen, feiern, lachen

Und einfach nur Scheiße machen.

Die Lehrer sind endlich weg,

die kümmern uns doch nen Dreck.
 

Verboten ist verboten,

doch unsere lieben Quoten,

steigen immer und immer weiter,

langsam werden wir heiter.
 

Lasst uns singen, feiern, lachen

Und einfach nur Scheiße machen.

Die Lehrer sind endlich weg,

die kümmern uns doch nen Dreck.
 

Verbote sind uns doch scheißegal,

auch wenn es nicht ist legal,

traust du dich etwa doch nicht?

Mann, was bist du für ’nen Wicht?
 

Ich höre auf zu singen und streiche mir verlegen eine Strähne aus dem Gesicht.

„Zugabe, Zugabe!“, schreien die Anderen. Ich schüttele nur den Kopf, denn ich will nur noch nach oben. Doch die Anderen sind so betrunken, dass sie mich nicht von der Bühne lassen, bis ich endlich etwas singe.

„Einen Lovesong!“, ruft Steve.

„Über uns, Süße!“, meint Van. Ich sehe Leo an, der der Einzige zu sein scheint, der nicht betrunken ist.

„Wenn es sein muss!“, seufze ich. Ich setze mich wieder auf den Stuhl und fange wieder an zu singen:
 

Deine Worte betäuben mich,

für mich gibt es nur dich!

Ohne dich kann ich nicht leben,

denn unsere Liebe

braucht keine Hiebe,

kann es so etwas geben?
 

Unsere Liebe ist wahr,

für uns ist alles klar!

Ich liebe dich so, wie du bist,

Denn einzeln sind wir allein,

wir können nur zusammen sein,

ohne dich wäre doch alles total trist.
 

Ich träume nur noch von dir,

sag mal, glaubst du mir?

Ich liebe nur dich allein,

sei immer für mich da,

solche wie du sind doch rar,

ohne dich kann ich nicht sein.
 

„Darf ich jetzt gehen?“, frage ich vorsichtig.

Van hebt mich von der Bühne und küsst mich. Die anderen klatschen. Van küsst mich weiter und leidenschaftlich. Er schiebt mich in eine Ecke. Mit seiner Hand fährt er sanft unter mein T-Shirt. Ich löse mich von ihm.

„Van, nicht…“, flüstere ich.

Doch Van zeigt keine Reaktion und macht einfach weiter. Diesmal schiebe ich ihn weg. Doch Van lässt sich nicht beirren. Bevor er mich wieder küssen kann, gebe ich ihm eine Backpfeife. Die Musik stoppt und alle sehen mich an. Es herrscht Totenstille. Ich renne nach oben. Van folgt mir. Er hält mich fest und schreit mich an: „Was sollte denn das?“

„Anders ging es ja nicht!“

„Was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht?“

„Wenn du das nicht weißt…“

Ich stürme in mein Zimmer, schmeiße die Tür zu und schließe ab, bevor Van mir folgen kann. Van klopft an meine Tür.

„Mach auf!“, schreit er, doch ich ziehe meine Kopfhörer auf und höre so fast gar nichts mehr. Bald merke ich, dass Van weg ist. Ich schalte die Musik ab, schließe die Tür auf und sehe kurz hinaus. Der Gang ist leer und dunkel. Erleichtert schließe ich die Tür. Langsam und seufzend setze ich mich aufs Bett. Auf einmal reißt Mel die Tür auf. Ihre Haare sind zerwuschelt, ihr Lippenstift verschmiert, ihr Oberteil sitzt schief und ihre Hose ist offen. Schnell schließt sie die Tür und schließt ab. Ich begutachte sie von oben bis unten.

„Ich muss dir was sagen!“, meint sie.

„Das … glaube ich auch!“, sage ich langsam.

„Ich habe mit Van geschlafen!“

„Du hast was?!“

„Oder eher, er mit mir!“

„Er hat was?“

„Na ja, er war vorhin völlig verstört und ich wollte ihn trösten, dann hat er mich geschnappt, mit auf sein Zimmer genommen und dann…“

„Bitte nicht weiter!“, flehe ich und mir treten Tränen in die Augen.

Ich stürme aus dem Zimmer. Leo kommt mir entgegen. Ich renne ihn fast um. „Pass doch auch!“, fährt er mich an.

Ich reagiere nicht. Ich stürme in Vans Zimmer. Dieser liegt nackt in seinem Bett. Er steht auf.

„Hi Süße!“

Ich verpasse Van eine Ohrfeige.

„Du verdammte Sau, es ist aus! Für immer aus! Ich hasse dich!“, schreie ich ihn an und bevor Van etwas erwidern kann, verschwinde ich aus seinem Zimmer. „Was ist denn?“, fragt Leo mich.

Nun fange ich endgültig an zu weinen.

„Hey…“, versucht Leo mich zu beruhigen.

Ich sehe ihn an und merke, dass er mich mit sorgenvollen, schönen Augen ansieht. Van kommt aus seinem Zimmer. Er hat wieder seine alte Jeans und sein rotes T-Shirt an.

„Jill…“, fängt er an und kommt langsam auf mich zu.

Ich entreiße mich Leos Griff und renne nach unten.

„Jill, warte doch!“, ruft Van mir nach.

Doch ich bleibe nicht stehen. Ich laufe nach draußen, obwohl ich nur meine Hausschlappen anhabe. Es ist dunkel und es regnet in Strömen. Ich merke gar nicht, dass ich nass werde. Meine Strümpfe sind total durchnässt und meine Füße sind eiskalt.

„Jill, bleib hier!“, schreit Van, der in der Haustür steht und keine Anstalten macht, mir zu folgen.

„Lass mich in Ruhe!“, flüstere ich, während ich immer weiter in den nahe gelegenen Wald renne.

„Verdammter Mist!“, flucht Van.

Ich renne immer weiter und weiter. Mein Gesicht ist nicht nur vom Regen, sondern auch von Tränen benetzt. Ich merke nicht einmal, dass ich mir meine Klamotten durch hervorstehende Äste zerreißen und teilweise sogar meine Haut einreißt. Mir ist alles egal. Ich hatte Van vertraut, ihn geliebt und er… er hatte mich einfach betrogen.
 

Ich hasse ihn! Wie konnte er nur? Ich habe ihn doch so geliebt! Wie konnte er mir das antun? Ich habe gedacht, dass er mich auch so liebt, wie ich ihn geliebt habe!!
 

An mehr kann ich nicht denken. Ich fühle nur noch eins: den unendlichen Schmerz.

Endlich halte ich an. Immer noch regnet es und langsam bekomme ich wieder klare Gedanken, doch trotzdem will ich nicht zurück zu den anderen. Noch nicht. Ich setze mich neben einer Linde, die auf einer Anhöhe in einem Feld steht, ins nasse Gras. Endlich hat es aufgehört zu regnen.
 

Eigentlich hätte ich es wissen müssen! Er war schon immer ein Aufreißer! Wie konnte ich nur denken, dass er sich für mich geändert hat? Dass er mich geliebt hat?
 

Meine Gedanken spielen verrückt. In meinem Kopf dreht sich alles. Ich lehne mich an die Linde und lege meinen Kopf in den Nacken. Plötzlich merke ich auch, dass meine Klamotten an einigen Stellen zerrissen sind und ich an einigen Stellen blute. Ich schaue mir die Verletzungen an und merke, dass es nur kleine Schürfwunden sind. Auf einmal streicht mir jemand sanft über meine nassen Haare. Ich drehe mich um und sehe, dass es Leo ist.

„Was machst du denn hier?“, frage ich ihn und wische mir jegliche Anzeigen von Tränen aus meinen Augen.

„Ich bin dir gefolgt! Ich habe geglaubt, dass du jemanden zum Reden und zum Trösten brauchst!“, erklärt er.

Leo setzt sich neben mich und ich lehne mich an ihn. Weinen muss ich nicht mehr. Leo streicht mir wieder durch das Haar und dann fängt er an, mich zu massieren.

„Das tut gut!“, murmele ich.

„Kommst du wieder mit zurück?“, fragt Leo mich.

„Ich weiß nicht…“

„Komm schon!“

„Ich will aber nicht mit ihm reden!“

„Das wirst du aber sowieso irgendwann müssen!“, meint Leo.

„Du hast ja Recht!“, sage ich und seufze.

Leo hängt mir seine Jacke um und ich lächle ihn an. Während wir zurückgehen, unterhalte ich mich mit Leo.

„Wie bist du eigentlich mit Van zusammengekommen?“, fragt Leo mich.

„Er war ein guter Freund meines Bruders. Ich habe mich in ihn verliebt und er sich in mich. Irgendwann hat er mir das gesagt und wir sind zusammen gekommen!“, erzähle ich.

„Aha!“

Ich springe auf einen umgefallenen Baumstamm und balanciere auf ihm entlang.

„Und du?“, frage ich Leo.

„Was ist mit mir?“

„Warum hast du keine Freundin?“

Verwundert sieht mich Leo an.

„Kannst du dir das nicht denken?“

Ich kann Leo nicht in die Augen sehen. Schnell wechsle ich das Thema:

„Weißt du eigentlich wo wir sind?“

Leo sieht mich überrascht an, da er wahrscheinlich eine Antwort erwartet hatte.

„Ja, weiß ich! Ich weiß es ganz genau!“, sagt Leo und zeigt auf die Jugendherberge, die hinter den Bäumen auftaucht. Ich grinse und auch Leo lächelt mich an. Vor der Tür spielen Jack, Steve, Karl, Joseph, Michel, Timo, Tom und Henrik Fussball.

„Hi Leo, willst du mitspielen?“, ruft Steve, als er uns kommen sieht.

Leo läuft zu ihm.

„Dann sind wir aber einer zu viel!“, beschwert sich Joseph.

„Jill ist noch bei euch!“, ruft Jack.

Ich gehe zu Timos Mannschaft. Wir sind viel zu schlecht für Steves Mannschaft, dennoch schießen wir ein paar Tore. Joseph passt zu Karl, dieser trifft zufällig den Ball, der zufällig dann auch noch zu mir fliegt. Ich spiele Jack aus und schieße ein Tor. Ich springe vor Freunde in die Luft. Doch auf einmal spüre ich, dass an meinem rechten Bein eine tiefe Schnittwunde ist. Ich habe plötzlich keine Kraft mehr in den Beinen und falle so hart wieder zu Boden. Ich kremple meine Hose bis zu den Knien hoch und merke, dass die Wunde unheimlich blutet. Leo kniet sich neben mich.

„Das sieht irgendwie eklig aus!“, bemerkt Karl.

„Memme!“, raunt Steve ihm so zu, dass alle ihn verstehen können.

„Das müssen wir verarzten!“, meint Leo.

Ich stehe unter Schmerzen auf. Leo will mich stützen, doch ich humple allein in das Haus. Als ich die Tür öffne, steht Van davor.

„Jill, ich… was ist denn mit dir passiert?“

Van mustert mich von oben bis unten. Ich beachte ihn nicht weiter und setze mich im Gemeinschaftsraum auf einen Stuhl.

„Kann ich dir helfen?“, fragt Mag mich.

„Ja, bring mir bitte Verbandszeug!“, sage ich.

Mag verschwindet in der Küche und kommt ein paar Minuten später wieder. Van und Leo haben sich neben mich gesetzt, während ich mein Bein verbinde.

„Es tut mir Leid, Jill!“, sagt Van und kniet sich vor mich.

„Kann ich mir davon etwas kaufen?“, fahre ich ihn an.

„Was kann ich sonst tun, außer mich zu entschuldigen?“, fragt Van.

Ich stehe auf.

„Du kannst mich in Ruhe lassen!“, schlage ich vor.

Ich humple aus dem Zimmer, die Treppe hinauf in mein Zimmer.

„Ich liebe dich doch!“, ruft mir Van hinterher.

„Das hättest du dir früher überlegen sollen!“, rufe ich zurück, schließe mich in meinem Zimmer ein und lege mich auf mein Bett. Doch ich kann mich nicht entspannen, da ich immer wieder an das gestrige Geschehen denken muss. Ich sehe auf meinen Wecker und merke, dass es schon sieben Uhr morgens ist. Plötzlich merke ich auch, dass ich ungeheuer müde bin und schlafe ein.

Ich wache auf, als ich einen Schmerz an meiner Kehle spüre. Ruckartig drehe ich mich um. Im Dunkeln des Zimmers kann ich nur die Umrisse einer Person erkennen. Ich will schreien, doch der Fremde hält mir den Mund zu. Ich springe aus meinem Bett.

„Wer sind Sie?“, frage ich und halte mir meine schmerzende Kehle.

Der Fremde gibt keine Antwort. Langsam kommt er auf mich zu. Mich fröstelt es. Ich weiß nicht, ob das vor Angst kommt oder dadurch, dass das Fenster auf ist und ich nur ein knielanges, weißes Nachtkleid anhabe. Ruckartig drehe ich mich um und versuche die Tür zu öffnen, doch sie lässt sich nicht öffnen. Da fällt mir wieder ein, dass ich die Tür ja gestern Abend abgeschlossen hatte. Der Schlüssel steckt. Verzweifelt versuche ich die Tür zu öffnen. Doch der Fremde bleibt nicht tatenlos. Blitzschnell springt er vor, doch ich bin auch schnell und laufe aus meinem Zimmer. Der Fremde folgt mir durch den Gang. Ich schreie, doch das scheint dem Fremden nichts auszumachen. Er drückt mich gegen die Wand. Meinen Kopf dreht er zur Seite. Ich schließe ängstlich meine Augen.

„Hör sofort auf!“, höre ich jemanden schreien.

Ich öffne meine Augen wieder. Van und Leo kommen aus ihren Zimmern. Ich erkenne sie nur an ihren Stimmen, da es immer noch zu dunkel ist, um irgendetwas genau zu erkennen. Die Kreatur lässt von mir ab.

„Es ist noch zu früh!“, sagt Leo ernst.

„Es wird nie genau der richtige Zeitpunkt sein!“, meint Van.

Durch ein Fenster bescheint der Mond die drei Streitenden. Nun kann ich auch die dritte Person erkennen.

„Steve?!“, frage ich.

Überrascht sehen mich die drei Jungen an. Ich setze ein gezwungenes Lächeln auf. Dann laufe ich davon.

„Bleib hier!“, schreit mir Leo hinterher.

Doch wie von Sinnen laufe ich davon. Ich höre, dass die Jungen mir folgen.
 

Im Wald werden sie mich nicht finden! Ich muss nur noch aus der Tür und dann…
 

Meine Gedanken brechen ab, denn ich spüre einen dumpfen Schlag auf meinen Kopf und werde ohnmächtig.
 

Stöhnend wache ich auf und reibe mir meinen Kopf. Dieser fühlt sich an, als ob er gleich platzt. Dafür spüre ich keinen Schmerz mehr an meiner Kehle. Ich liege auf einem Bett in einem Zimmer, das wie das eines Gefängnisses aussieht. Es gibt nur das Bett, einen Holztisch mit zwei Stühlen und ein Waschbecken. Die Wände sind blassgrau.
 

Mein armer Kopf! Wo bin ich hier eigentlich? Was ist gestern Nacht eigentlich passiert?
 

Um mich abzulenken fange ich an zu singen:
 

Die Wand ist kahl,

mein Herz ist leer,

alles ist auf einmal so fahl,

Schmerz verspür ich schon lang nicht mehr.
 

Ich bin hier in Ketten,

ich fühl mich so schändlich,

keiner kann mich retten,

mein Schmerz ist unendlich.
 

Ich halt’s nicht mehr aus,

nichts geht mehr,

will unbedingt hier raus,

bin nicht mehr mein eigner Herr.
 

Ich denk nur noch an Flucht,

ich will gar nichts mehr,

steh an einer dunklen Schlucht

das Ende kommt immer näher.
 

Ich verstumme. Einige Zeit sitze ich nur da und sehe mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Plötzlich geht die Tür knarrend auf und Leo kommt in den Raum. Erst sehe ich ihn verständnislos an, doch dann vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen. Leo setzt sich an den Tisch.

„Setz dich zu mir“, bittet er mich.

Ich stehe auf und setze mich ihm gegenüber.

„Ich weiß, dass du viele Fragen hast, doch …“

„Ja, das hab ich! Was hat Steve mit mir gemacht und warum hat er das gemacht? Warum hat er auf euch gehört? …“, sprudelt es aus mir heraus.

„Ich habe es dir gesagt, sie kann und wird es nicht vergessen!“

Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Van eben in den Raum gekommen ist.

„Lass mich die Angelegenheit klären!“, meint Leo.

„Seit wann können denn Vampire irgendetwas klären?!“, fängt Van an zu streiten. „Und Werwölfe sind da besser, oder was?“

„Vampire,…Werwölfe…“, murmele ich.

Plötzlich fällt mir auf, dass die Tür offen steht. Die beiden streitenden Jungs achten auch nicht auf mich. Langsam und leise stehe ich auf und schleiche zur Tür. Von außen schließe ich ab.

„Hey, aufmachen!“, schreien die Jungs und trommeln wütend gegen die Tür. „Nein! Ich habe Fragen und da ihr sie mir nicht beantwortet, frage ich eben jemand anderen! Ich will weder angegriffen noch eingesperrt werden!“, schreie ich.

„Jill, bleib hier! Mach keinen Mist!“

Ich laufe eine Treppe nach oben. So wie es aussieht, hatten mich die Jungs im Keller der Jugendherberge eingesperrt. Erst einmal möchte ich nur noch hier weg. Ich laufe nach draußen. Wieder zu dem Feld und der Linde. Ich setze mich ins Gras und fange an zu singen:
 

Es ist viel passiert,

Bin innerlich tot,

Es ist viel passiert,

bin in großer Not.
 

Die Zeit war so verrückt,

voll von gemeinen,

dreht sie doch zurück,

so kann das doch nicht sein.
 

Niemand gibt mir ’ne Antwort,

alle schweigen,

schicken mich fort,

die wollen’s mir wohl zeigen.
 

Ich lass es mir gefallen,

was soll ich sonst tun?

Meine Erinnerungen schallen,

ich kann nicht ruhn.
 

Ich höre auf zu singen und starre einfach in die Umgebung. Die Sonne geht am Horizont langsam unter. Der Himmel färbt sich rot, orange und teilweise auch gelb. Dunkle Wolkenschleier ziehen auch über den Himmel. Langsam wird es kälter und mich fröstelt es. Jemand legt mir von hinten seine Jacke über. Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, dass dieser Jemand Leo ist. „Was willst du?“, murmele ich.

Leo setzt sich neben mich. Er drückt mich sanft so gegen sich, dass ich mich an ihn lehne.

„Willst du das alles wieder vergessen?“

„Ich weiß doch gar nichts!“, fahre ich Leo an und springe auf.

Ich gehe ein paar Schritte nach vorne und verschränke meine Arme vor meiner Brust. Leo legt seinen Arm um mich.

„Ich kann dafür sorgen, dass du die ganze Klassenfahrt wieder vergisst!“

„Ich habe aber noch so viele Fragen!“

„Die werden dir noch später beantwortet werden!“

„Ich will aber nicht vergessen, was Van getan hat!“, sage ich.

„Das kannst du nicht vergessen, es ist zu tief in deinem Herzen!“, sagt Leo.

Er dreht mich zu sich und ich schaue ihm tief in die Augen. Leo sagt etwas in einer anderen Sprache und mir wird schwarz vor Augen.



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