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Vom Schreiben und Träumen

Eine Sammlung von Kurzgeschichten
von

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Todesmarsch

14:43Uhr, Sonnenschein - Eine Fahrt ins Unbekannte
 

Der große Wagen tuckert über die Schlaglöcher. Sonnenstrahlen prasseln auf die Pritsche. Es ist warm. Die Stille drückt. Ich höre keine Vögel zwitschern, keine Brise durch das Laub wehen. Die uniformierten Männer sitzen zusammen mit mir und meinen Freunden auf der Ladefläche. Sie schweigen.

Ich bin beunruhigt. Ich schaue nach oben und versuche die Fahrt zu genießen. Ich weiß nicht, wo es hingeht. Die uniformierten Männer haben nichts gesagt. Aber es ist egal. Der Duft der Feldwiese, die Sonnenstrahlen und der blaue Himmel tun gut. Die Lagerhalle war so staubig.
 

Wir fahren wieder über eines der nervigen Schlaglöcher. Der Wagen wankt hin und her. Plötzlich sagt einer der Uniformierten etwas.

»I-Ich kann das nicht... bitte...«

Ich frage mich, von was er redet. Scheint ja etwas sehr Schreckliches zu sein, so, wie der stottert. Ich schaue in die Gesichter der anderen Männer. Ihre Augen sind ganz groß. Manche glänzen.

»Jetzt reiß dich zusammen! Wir sitzen alle im selben Boot, wir können jetzt nicht mehr zurück!«, brüllt der eine mit den vielen bunten Abzeichen auf der Uniform. Seine Augen glänzen auch.

»Wir möchten alle zurück. Aber es geht nicht... und das weißt du. Das wisst ihr alle.«

Er starrt in die Gesichter der anderen. Er sieht verbittert aus. Dann senkt er den Kopf. Wieder wird es still. Der Wagen tuckert. Menschen sind wirklich seltsam.
 

Die Wolken werden dichter. Sie sehen aus wie ein riesiger grauer Wattebausch. Sie drängen sich vor die Sonne. Der Himmel verdunkelt sich. Ich glaube, dass ein Unwetter bevorsteht.

Plötzlich hält der Wagen an.

Die Männer steigen nacheinander aus. Manche stürmisch, manche zögernd. Ihre Gesichter sind ganz blass. Sie laufen mitten ins Feld hinein. Auf einmal, wie aus dem Nichts, ertönt aus der Ferne ein lautes Rumoren. Und nochmal. Ich ahne nichts Gutes. Als ich nach oben schaue, sehe ich eine Rauchwolke, die sich am Himmel ausgebreitet hat. Eine Explosion?

Der Mann, bei dem ich bin, zuckt zusammen. Dann läuft er mit seinen Kameraden weiter, hält sich geduckt und wird immer langsamer. Jetzt schleicht er nur noch. Ich kann hören, wie etwas in seiner Brust hämmert. Das alles beunruhigt mich.
 

Ich höre schon wieder einen lauten Knall. Die Uniformierten laufen darauf zu. Ich verstehe nicht, warum. Bedeutet eine Explosion nicht Gefahr? Warum rennen sie dann nicht weg?

Jetzt kann ich die Rauchwolken direkt vor mir sehen. Der Krach durch das, was sie erzeugt, ist auch immer lauter geworden. Die Uniformierten bahnen sich einen Weg durch das wuchernde Gras. Das Hämmern will nicht aufhören. Ich höre, wie der Mann, bei dem ich bin, nach Luft japst. Auf einmal sehe ich andere Männer auf uns zulaufen. Ihre Uniform sieht genauso aus. Sie sprechen miteinander:

»Da seid ihr ja endlich!«, sagt ein Fremder. Sein Gesicht ist schweißgebadet.

»Wie ist die Lage?«, fragt der Mann, zu dem ich gehöre. Die anderen bleiben stumm. Dann antwortet einer:

»Nicht gut... wir sind nur noch zu acht.«

»Aber der Feind hat auch einstecken müssen«, sagt plötzlich ein anderer, »wir wissen nicht, wie viele Verluste sie genau gemacht haben. Aber wir haben noch eine Chance. Wir dürfen jetzt nicht schlappmachen!«

Was die Uniformierten sprechen, bringt mich ganz durcheinander. Anscheinend geht es um einen Kampf. Aber was ist mit ›Verlusten‹ gemeint? Ich denke an die Explosionen. Es schaudert mich.

Einer der Uniformierten beantwortet auf einmal alle meine Fragen:

»Es ist Krieg. Das müsst ihr begreifen. Entweder wir sterben oder wir überleben.«

Ich habe mal zwei Männer über dieses Wort sprechen hören, als ich noch in der Lagerhalle war. Ich kenne die Bedeutung. Ich wünschte, ich würde sie nicht kennen.

»Trödelt nicht rum. Wir pirschen uns langsam heran und machen uns das hohe Gras zunutze. Haltet euch immer geduckt, verstanden?«

Die Männer zögern, dann nicken sie. Ihre Augen sind ganz groß. Manche glänzen. Ich weiß jetzt, warum.
 

Die Uniformierten schwärmen aus. Ich frage mich, was jetzt passieren wird. Werden sie gegen andere Uniformierte kämpfen? Dabei haben sie doch solche Angst. Es gibt keinen Grund.

Der Mann, bei dem ich bin, schleicht durchs Gras. Das Hämmern ist lauter geworden. Ich schaue zu ihm auf. Sein Gesicht ist angespannt und blass. Er hat Angst. Ich auch.

Ein Rascheln. Ganz in der Nähe. Der Uniformierte bleibt stehen und horcht auf. Auf einmal legt er die Hand um mich. Sie ist feucht und klebrig. Er rührt sich nicht.

Wieder raschelt es im Gras. Das Geräusch kommt von rechts. Der Mann dreht sich um. Jetzt kann ich einen anderen Mann sehen, der einen Freund von mir umklammert. Nun zieht er meinen Freund aus dem Koppel und legt den Stiel um. Er holt aus und wirft meinen Freund einfach weg. Mitten ins Feld. Ich frage mich, was das soll. Meine Antwort bekomme ich sofort.

Dort, wo mein Freund gelandet ist, macht es einen lauten Knall. Eine graue Wolke steigt auf. Eine dieser, die ich vorhin schon gesehen habe.

Mein Freund hat die Explosion verursacht. Mein Freund... ist explodiert! Und der Mann, der ihn geworfen hat, hat davor diesen Hebel umgelegt. Er hat ihn umgebracht! Aber warum? Hat der Mann, bei dem ich bin, vorhin seine Hand auf mich gelegt, um das Gleiche mit mir zu machen?

Ich werde hier auch sterben. Ich weiß es.
 

Ich höre Schüsse aus der Ferne. Als der Uniformierte weiter durchs Feld schleicht, kann ich einen seiner Kameraden sehen, der ein Gewehr in der Hand hält. Die kenne ich aus der Lagerhalle. Aus ihnen kommen Kugeln geschossen, wenn man ihren Hebel umlegt. Der Mann, bei dem ich bin, trägt auch ein Gewehr bei sich. Er hält es ins Feld gerichtet vor sich. Betätigt hat er es noch nicht.

Gewehre sterben nicht, wenn man ihren Hebel umlegt.

In den Gräsern tut sich etwas. Der Mann fährt um sich und klammert sich an das Gewehr. Ein paar Meter weiter erspähe ich drei Männer, die beieinander stehen. Ihre Uniform sieht anders aus als die der Männer, mit denen ich hergefahren bin.

Der Mann, bei dem ich bin, scheint die drei auch entdeckt zu haben. Er setzt einen Fuß nach vorn. Sind es auch Kameraden? Es hämmert stark.

Der Mann nimmt das Gewehr in die linke Hand. Als er es berührt, zuckt er. Plötzlich umschlingen mich seine verschwitzten Finger. Sie zittern und sind kalt. Das ist ekelig. Dann zieht mich der Mann von dem Gürtel ab. Jetzt liege ich ganz lose in dieser klebrigen Hand. Ich gucke schnell von einer Richtung in die andere. Zwischen den Fingern erkenne ich, wie die drei Männer mich anstarren. Ich weiß, was jetzt passieren wird. Ich-

Der Mann holt aus. Die verschwitzten Finger lösen sich von mir. Ich gleite aus der Handfläche und höre ein Klacken. Ich fliege. Ich sehe die drei Männer näher auf mich zukommen, ich erkenne, dass eigentlich ich auf sie zukomme, ich sehe, wie sich ihr Gesicht verzerrt, ich sehe Angst, ich spüre einen Tropfen, der auf mir zerplatzt, ich sehe auf einmal alles an mir vorbeiziehen, das Fließband, die Kiste, die Lagerhalle, meine Freunde, die Uniformierten, der Weg hierher, einfach alles, und ich weiß, dass es hier endet, dass es für mich und die drei Männer hier endet, ich falle zu Boden und dann-
 

14:58Uhr, schwarzer Regen - das Schicksal einer Handgranate
 

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Die Geschichte entstand für einen Wettbewerb, den der Spiegel veranstaltet hat. Das Thema lautete "15 Minuten". Man sollte nur eine kleine Geschichte schreiben, die beschreibt, was für ausschlaggebende Ereignisse binnen 15 Minuten geschehen können. Dies ist meine Idee dazu.

Dangö für’s Lesen. ^^
 

Liebe Grüße,

Fujouri



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