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Ta Sho

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neue Freunde - alte Angewohnheiten

April und Colt waren schon lange zu Bett gegangen, da saß der Schotte immer noch im Gemeinschaftsraum. Sie waren von Commander Jenkins sofort wieder nachhause geschickt worden, nachdem ihre Versetzungspapiere von General Whitehawk noch nicht angekommen waren. Der gute Commander konnte ja nicht wissen, dass da nie welche kommen würden. Aber sie waren nur zu dritt nachhause gegangen. Fireball war auf dem Gelände nicht mehr zu finden gewesen. Saber hätte am ersten Tag beinahe die Panik ausgepackt. Oh, wie er es gewusst hatte! Der Hitzkopf geriet schneller in Schwierigkeiten, als Colt seinen Bronco starten konnte. Ja, auch Saber war beeindruckt von der kleinen Einlage am Himmel gewesen, aber gleichzeitig hatte sich in ihm alles zusammengezogen. Es hatte keine halbe Stunde gedauert, da war Fireball dem anderen Hikari schon in die Arme gelaufen. Hoffentlich wusste sich sein Pilot zu benehmen, sonst flog ihre ohnehin nicht ganz narrensichere Tarnung auf.

Es war ein seltsamer Abend gewesen, das war klar. Fireball hatte sich den Weg zurück zum Oberkommando gespart, seinen Wagen konnte er auch noch am nächsten Tag holen. Mit den Gedanken in der Wohnung seiner Eltern spazierte er durch die leergefegten Straßen Yumas. Sie hatten Ramrod außerhalb der Stadt versteckt, der große Cowboy stand auf einer kleinen Lichtung, die man schwer von allen Seiten einsehen konnte. Für den Friedenswächter war sie gerade groß genug gewesen. Er schlenderte unaufmerksam durch die leeren Straßen und Gassen. Fireball hatte seine Mutter beinahe nicht wieder erkannt. Sie war an der Seite seines Vaters ein ganz anderer Mensch gewesen. Offen und aufgeschlossen. In seiner Zeit war das Gegenteil der Fall. Ai war fremden Menschen gegenüber skeptisch und verschlossen. Sogar Fireball gegenüber war sie voreingenommen, sprach niemals mit ihm über ihren Kummer, den sie ganz offensichtlich mit sich herumtrug. Aber der Rennfahrer gestand sich im selben Atemzug ein, dass er das auch gar nicht wollte. Er wollte von seiner Mutter nicht noch weiter in die Gestalt seines Vaters gezwängt werden. Von daher war es gar nicht so schlecht, dass Ai ihn mitunter zum Teufel jagte.

Er war schneller auf Ramrod angekommen, als er gedacht hatte, oder aber er hatte wieder mal kein Zeitgefühl gehabt. Fireball öffnete die Rampe und hoffte, dass er niemanden an Bord damit aus dem Bett beförderte. Dass noch jemand wach sein könnte, und auf ihn wartete, konnte er sich nicht vorstellen.

„Gesund und munter bist du noch, wie ich sehe.“, Saber stand mit verschränkten Armen im Gang und begrüßte seinen abgängigen Kollegen und Freund. Ein wenig unterkühlt fügte er hinzu: „Nur ein wenig spät, findest du nicht?“

Fireball ging lächelnd an Saber vorbei und klopfte ihm dabei leicht auf die Schulter. Er sollte ihm folgen. Im Flur wollte er gerade nicht reden, die anderen beiden schliefen bestimmt schon. Deswegen setzte er sich mit Saber noch mal in die Küche, eine Tasse Tee konnte nicht schaden um schläfriger zu werden. Denn der Rennfahrer war aufgekratzt, verständlicherweise.

Er brachte eine Kanne Tee an den Tisch, schenkte sich und dem Säbelschwinger jeweils eine Tasse ein und setzte sich dann. Der Rennfahrer wusste sehr wohl, dass er eigentlich was angestellt hatte, deswegen schoss er vorsorglich die Entschuldigung vorne weg: „Hör mal, ich weiß, dass ich etwas spät an bin.“

Saber biss sich auf die Lippen um nicht zu schmunzeln. Wenigstens sah der Wuschelkopf ein, dass er die Zeit übersehen hatte. Die Gedanken ließen den Schotten allerdings nicht in Ruhe. Er hatte sich schon die schlimmsten Dinge ausgemalt. Ohne Umschweife wollte er deswegen wissen, wo es Fireball hin verschlagen hatte.

Auch darüber gab der junge Spund bereitwillig Auskunft, Saber anzulügen hätte ohnehin nicht viel Sinn gehabt. Sein Kunststück am Himmel und die Tatsache, dass er nicht mehr im Oberkommando gewesen war, hätte Saber sowieso auf die Idee gebracht, dass der junge und der ältere Pilot etwas gemeinsam unternommen hatten. In groben Zügen gab er Saber wider, was geschehen war und wie es gewesen war.

Dem Captain der Einheit Ramrod stellten sich dabei mit jedem Wort die Haare zu Berge. Dachte Fireball nicht an die Konsequenzen, die das alles nach sich ziehen konnte? Hin und wieder riss Saber während Fireballs Erzählung entsetzt die Augen auf. Das war doch nicht wirklich sein Ernst! Der Schotte merkte, dass er sofort Schritte setzen musste, damit sich das nicht bei Fireball einbürgerte. Es war schon schlimm genug, in dieser Zeit gelandet zu sein, es war ebenso schlimm genug, dass sie sich ins Oberkommando hatten schmuggeln müssen, aber das von Fireball überholte die anderen beiden Tatsachen locker. Sie saßen auf einer tickenden Zeitbombe und ihr Pulverfass hielt sich in der Nähe eines Funkens auf. Hikari war ein Captain einer Eliteeinheit hier gewesen, dass der gute Mann alles riechen konnte, was nach Verschwörung roch, war doch klar! Saber sah schon jegliche Rettung zu spät kommen.

Etwas unfreundlicher als sonst unterbrach er den Redefluss des Japaners: „Du warst bei deinen Eltern zuhause essen? Sag mal, Fireball, hast du einen Moment lang darüber nachgedacht, welche Auswirkungen das auf unsere Zukunft haben kann?“, ungläubig schüttelte der Blonde den Kopf, als er Fireballs Reaktion abgewartet hatte, und fuhr fort: „Augenscheinlich nicht.“, mit einem Schulterzucken und einem seltsam väterlichen Ton erklärte der Schotte ihm dann: „Ach, Fireball… Jede Interaktion hier, die mit uns zusammenhängt und alles, was nicht so verläuft, wie es eigentlich sollte, wird unsere Gegenwart verändern. Keiner von uns weiß, wie sie sich dann verändert, aber klar ist, dass sie Auswirkungen auf uns haben wird. Insbesondere auf uns vier hier. Sei nicht so leichtsinnig, das können wir uns nicht leisten. Wir dürfen nichts verändern, Fire.“

Die Ansage war eindeutig gewesen. Schuldbewusst zog der Hitzkopf den Kopf ein und nickte. Da hatte er sich ja was eingebrockt. Zumindest aber war Saber nicht sauer auf ihn. Der Ausflug hätte auch ganz andere Töne beim Schotten zur Folge haben können, dessen war sich Fireball bewusst. Der Highlander blieb allerdings die ganze Zeit über in diesem ruhigen, verlässlichen und freundlichen Tonfall.

Nachdem der Schrecken von beiden verpufft war, ließen sie sich den Tee doch noch gemeinsam schmecken. Saber und sein Pilot gingen alle möglichen Aspekte durch. Vor allem der blonde Schotte hatte die Befürchtung, dass sie schon irgendetwas verändert hatten. Nachdem Fireball ihm aber mehrmals hoch und heilig versprochen hatte, nichts verraten zu haben und keinen Hinweis gestreut zu haben, wich auch die Anspannung bei ihm etwas. Ihre Situation war keine besonders gute. Dessen waren sich beide einig. Sie saßen hier fest, hatten keine Ahnung, wie das passiert war und erst recht keine, wie sie wieder nachhause kommen sollten. Nachdem sich Fireball bei Saber darüber informiert hatte, was bei ihnen tagsüber rausgekommen war, entschieden sich die zwei für die einzig richtige Sache. Sie ließen für heute gut sein und verkrümelten sich endlich ins Bett.
 

Wochen vergingen, in denen quasi Stillstand herrschte. Fireball verbrachte die meiste Zeit im Oberkommando, bei der Flugstaffel seines Vaters. Colt und April hatten von Saber strikten Befehl bekommen, sich nicht von Ramrod zu entfernen und vor allem, nicht in die Stadt zu gehen. Das stieß besonders dem Kuhhirten schwer auf, der Kleine durfte spielen gehen und sich amüsieren, und er musste Ramrod hüten. Was war das denn für eine Welt? Aber Saber war hart geblieben. Sie hatten wichtigeres zu tun, als eine ihnen fremde Stadt unsicher zu machen. Immer wieder versuchte er, Colt klar zu machen, dass sehr wohl System hinter seinem Tun und seinen Entscheidungen stand. Fireball hielt für sie im Oberkommando Augen und Ohren offen, vielleicht bekam er doch etwas mit. Und sie drei blieben an Bord, damit sie endlich dieser Anomalie auf die Schliche kommen konnten. Immer warfen sie dabei auch einen Blick auf die Geschichtsdaten, Aufzeichnungen von Tageszeitungen, die ihr Computer im Archivordner gespeichert hatte und natürlich auch auf ihre Sensoren. Irgendwann musste Jesse Blue auftauchen, wenn er mit ihnen in dieser Zeit gelandet war.
 

Alles andere als ruhig ging es an diesem Tag im Hangar der Flugstaffel im Oberkommando zu. Alle paar Minuten wurde ein Pilot in den Himmel hinaufgeschickt, ständig starteten und landeten die Jets und hielten so die Einweiser und das Bodenpersonal auf Trab. Aber es herrschte keine Anspannung. Einmal im Monat hieß es zum Manöver auszurücken. Es war alles nur eine Übung, die wurde allerdings von allen ernst genommen.

Der letzte, der einen Blitzstart vollführen musste und später in der Luft versuchen durfte, ihrem Captain eins vor den Latz zu knallen, war Fireball. Er war noch nicht lange dabei, es war seine erste Übung in dem Sinn. Aber das war nicht der einzige Grund gewesen, weshalb Captain Hikari ihn als letzten hatte starten lassen. Das Beste hob man sich bekanntlich bis zum Schluss auf und der erfahrene Pilot hoffte insgeheim auf eine Fortsetzung ihres Duells, das sie am ersten Tag ausgefochten hatten.

Shinji hatte in den ersten beiden Wochen besonderes Augenmerk auf den jungen Piloten gelegt, hatte unter Argusaugen beobachtet, wie er sich eingewöhnte und wie er seine Arbeit verrichtete. Bisher hatte er nichts finden können, das er beruflich an Fireball kritisieren konnte. Der Junge leistete hervorragende Arbeit, schien den Militäralltag bereits in und auswendig zu kennen. Das war beinahe schon unheimlich, aber noch lange nicht so bedenklich, wie die Art und Weise, wie sich der Frischfang verhielt. Nach wie vor war Fireball schreckhaft, komischerweise aber nur, wenn der Captain mit ihm sprach. Mit anderen Offizieren oder auch Kollegen hatte der Japaner keine Probleme. Das machte den Captain schon etwas nachdenklich. Und zwar, weil er sich zu fragen begann, wie furchteinflößend er offenbar war. Dabei mochte er den Wildfang unheimlich gerne. Zumindest in der Luft aber hielt sich die Angst des jungen Piloten in den Grenzen. Mit einem freudigen Grinsen erwartete er die Neuauflage ihres Spielchens.

Nun kam endlich der Höhepunkt des Tages. Shinji teilte dem Rennfahrer über Funk mit, dass sie die Mindesthöhe erreicht hatten: „So, Kleiner. Auf los geht’s los.“

„Dieses Mal lande ich einen Treffer, Captain.“, fröhlich lachte Fireball in den Funkverkehr. Er freute sich über die Herausforderung. Die Aufklärungsflüge in den letzten Tagen waren zwar abwechslungsreich, aber nachdem es nie einen Feind gab, der einem den Hintern auf Grundeis laufen lassen könnte, war es für Fireball absolut keine Herausforderung. Das konnte schlicht und ergreifend daran liegen, dass Fireball in der Regel gegen eine Horde Outrider kämpfte, wenn er ausrücken musste. Nach dem ersten Übungsflug mit dem Captain hatte sich der Rennfahrer eine Strategie zurechtgelegt, wie er seinen Vater eiskalt erwischen konnte.

Wieder versammelte sich eine Schar Neugieriger auf dem Boden und beobachtete das Treiben in der Luft. Die erfahrenen Piloten waren genauso verblüfft und hegten ordentlich viel Bewunderung für den neu zu ihnen Gestoßenen wie die jüngeren. Manche wagten sogar einige Vergleiche, als sie dem ungleichen Paar wenige Minuten zugesehen hatten. Ein Offizier stieß seinen Freund an: „Lass den Jungen noch ein oder zwei Jahre in der Staffel fliegen und er macht unseren Shinji alle. Er hat fast so viel Talent wie sein Captain.“

Bestimmt eine halbe Stunde bekriegten sich Vater und Sohn in der Luft, ohne Ergebnis. Wieder beendete die Bodenkontrolle das Treiben, das war genug Training für einen Nachmittag. Im Sturzflug kam Fireball auf die Landebahn zugeschossen. Im letzten Moment bremste er seinen rasanten Fall und landete seinen Vogel sanft und zielgenau wie Ramrod vor dem Hangar. Sein Vater kam ihm hinterher. Einmal mehr hatte ihm die Übung das Können seiner Truppe bewiesen. Es könnte ruhig mehr solcher junger Himmelhunde geben.
 

Fireball stieg grinsend aus und zog sich den Helm vom Kopf. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet den herannahenden Feierabend. Das ließ die Laune gleich noch ein bisschen weiter nach oben steigen. Gleich hinter ihm parkte auch Captain Hikari seinen Jet und stieg aus.

Mit einem breiten Lächeln trat er auf Fireball zu und klopfte ihm auf die Schulter: „Du fliegst wie der letzte Henker, Kleiner.“

Ohne zu denken, schoss es aus dem Rennfahrer heraus: „Alles vom Besten geerbt.“, zwinkernd drehte er sich herum. Als er seinem Vater ins Gesicht blickte, musste er sich unweigerlich korrigieren: „Äh, gelernt natürlich.“

Der Captain schmunzelte: „Na, deinem Genpool scheint es nicht geschadet zu haben. Aber deiner Akte wird’s irgendwann schaden, wenn du so weiter machst.“

Es war ihm wieder aufgefallen. Nie kam der kleine Pilot auf die Idee, ihn angemessen anzusprechen. Eigentlich war es Shinji egal, doch im Augenblick standen alle anderen Staffelmitglieder um die beiden herum, da konnte er es ihm nicht durchgehen lassen. Unweigerlich versteinerte sich seine Miene und er versteifte seine Haltung. So gern er den Japaner mochte, in den letzten beiden Wochen hatte er ihn immer besser kennen gelernt, mochte Fireball und glaubte, ihn schon ewig zu kennen, er musste ihn maßregeln. Sonst kamen am Ende auch noch die restlichen Piloten auf den Trichter, ihn einfach zu duzen und zurück zu blaffen. Shinji funkelte Fireball an: „Noch eine Respektlosigkeit von dir, Shinichi, und du siehst dir das Büro von Major Eagle an!“

Auch Fireballs Körperhaltung straffte sich. Er zog die Schultern nach hinten und salutierte, dabei blieb seine Miene ernst: „Ja, Sir! Ich bitte um Entschuldigung, Sir.“

„Geht doch. Wozu du immer eine Sondereinladung brauchst, versteh ich nicht.“, kopfschüttelnd drehte er sich von Fireball weg. Er warf einen kurzen Blick auf seine Truppe. Alle hatten sich an diesem Nachmittag gut geschlagen. Der junge Pilot hatte frischen Wind in die Truppe gebracht und alle angespornt, noch einen Ticken besser zu werden. Diese Vermutung hatte der Captain an diesem Nachmittag bestätigt bekommen. Streng wies er an: „Alle angewachsen? Los, wartet eure Gleiter und dann ab mit euch, durch die Mitte.“

Gehorsam salutierte die Einheit vor Captain Hikari und machte sich sofort an die Arbeit. Shinji nickte noch einmal bestätigend und verließ den Hangar. Er musste noch zu Charles, sie hatten sich noch auf einen kurzen Abstecher verabredet, bevor es Richtung Heimat ging.
 

Shinji schlenderte bei Sonnenuntergang aus dem Oberkommando. Charles hatte seine Frau und ihre bezaubernde kleine Tochter zu Besuch gehabt. Der erfahrene Pilot hatte sich auf einen schnellen Kaffee zu ihnen gesetzt. Seine gute Laune vom Nachmittag war mit jeder Minute in Eagles Büro allerdings vergangen. Er hatte das kleine blonde Mädchen auf dem Schoß sitzen gehabt und mit ihr rumgealbert. Charles und May hatten einen kleinen Goldschatz als Tochter. April kannte die Familie Hikari seit ihrer Geburt, hatte keine Angst vor Shinji. Immer wieder zauberte sie dem Captain ein trauriges und wehmütiges Lächeln auf die Lippen. Er würde alles für ein Kind geben, doch Ai und ihm blieb dieses Glück verwehrt. Es sollte nicht sein.

Mit diesen trübsinnigen Gedanken verließ er das Gelände. Mit etwas Abstand bemerkte der Captain, dass hinter ihm noch jemand den Nachhauseweg antrat. Shinji blieb stehen und richtete sein Augenmerk auf seinen Verfolger. Es war der junge Pilot. Fireball war regelmäßig der letzte in ihrer Einheit, der sich vom Dienst abmeldete, das war Shinji aufgefallen. Entweder reinigte der Japaner seinen Jet extrem gründlich, oder aber er hatte keinen Grund nachhause zu gehen. Shinji hatte noch das Abendessen mit ihm im Hinterkopf und deswegen glaubte er auch zu wissen, dass Fireball nicht nachhause gehen wollte. Kurzerhand entschloss sich der ältere Hikari am Eingang auf den jüngeren zu warten. Er begrüßte Fireball mit einem Augenzwinkern: „Wie sieht’s aus, Kurzer? Machen wir noch einen Abstecher ins Diablo Pablo?“

Verdattert hielt Fireball in seiner Bewegung inne. Er war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache gewesen. Als er seinen Vater plötzlich neben sich stehen sah, wurde Fireball kreidebleich. Ihm wurde nämlich in diesem Moment bewusst, dass sein Vater ihm überall hin hätte folgen können, weil er mit dem Kopf in den Wolken hing. Er hätte ihn zu Ramrod führen können. Das war das absolute Horrorszenario. Deshalb sah er seinen Vater nun auch mit untertassengroßen Augen an: „Hä? Wie bitte was?“

Amüsiert schüttelte Shinji den Kopf. Er zog den jungen Piloten auf: „Wo hast du bloß immer deinen Kopf, Shinichi?“, er legte Fireball einen Arm um die Schultern und entschied rigoros, dass sie beide jetzt noch auf ein Bierchen gingen. Er schob Fireball die ersten Schritte vor sich her, bis dieser selbstständig folgte. Beide befanden sich im Feierabend, deswegen legte Shinji absolut keinen Wert mehr auf das ‚Sir‘. Außerdem waren sie beide unter sich. Fireballs Vater hatte sich vom ersten Moment an mit seinem neuen Piloten verbunden gefühlt. Wie gesagt, er mochte den jungen Spund und wollte ihm den Start ins Oberkommando erleichtern. Er hatte bald bemerkt, dass Fireball nicht viel Freizeit mit den Kollegen in seiner Staffel verbrachte. Nachdem er Shinji beim Abendessen schon darauf hingewiesen hatte, wie schwer er sich in einer fremden Umgebung zurecht fand, hatte der Captain darin eine Lebensaufgabe gefunden, Fireball ein Freund zu sein. Deshalb erklärte er noch einmal: „Wir zwei gehen jetzt noch auf einen Drink ins Diablo Pablo.“

Fireball ließ sich verdattert mit schieben, aber ganz geheuer war ihm das Spektakel nicht. Er sollte doch eigentlich ohne Umschweife zu Ramrod zurück. Im Gedanken malte er sich schon das Desaster aus, wenn er nachhause kam. Saber schwitzte so schon genug Blut und Wasser, dass Fireball sie alle verraten könnte, wenn er dann auch noch erfuhr, dass der Rennfahrer mit seinem Vater in der Freizeit zusammensaß, fiel er tot um. Aber garantiert. Fireball begann zu schmunzeln, als er sich das bildlich vorstellte. Saber lief kalkweiß an, wurde steif und fiel wie ein Brett zu Boden. Gut, ganz so würde es sicherlich nicht sein, aber die Vorstellung an sich war irgendwie erheiternd. Endlich brachte es Fireball fertig, zustimmend zu nicken. Nein sagen sah auch blöd aus, wie er fand.
 

In der Bar angekommen bestellten beide etwas zu trinken und lehnten sich gegen die Theke. Der Captain überkreuzte die Beine und lehnte mehr mit dem Ellbogen auf der Theke, als sonst etwas. Aufmerksam beäugte er den jungen Piloten, während sie auf ihr Getränke warteten. Schließlich nickte er zufrieden: „Wenn du dich anstrengst, wird noch mal was aus dir, Kurzer.“

Fireball nahm sein Bier entgegen und schmunzelte: „Nichts bin ich ja schon.“

Sie prosteten einander zu und nippten von ihrem Getränk. Captain Hikari stellte sein Glas auf die Theke und schüttelte den Kopf. Er wollte mit Shinichi mal nicht nur über Berufliches reden, er wusste auch so, dass sich der Junge in der Staffel pudel wohl fühlte. Deswegen schnitt er gleich ein anderes Thema an. Dieses Mal jedoch würde er nicht so forsch sein und Fireball gleich wieder verschrecken. Er ging es dieses Mal ruhiger an: „Und? Hast du dich schon eingelebt in Yuma?“

Fireball nickte, da konnte er getrost die Wahrheit sagen: „Ja, geht schon. Hab nicht unbedingt viel Zeit, mir die Stadt anzuschauen, aber zumindest finde ich jeden Tag ohne Navi in die Arbeit.“, ganz so ernst sollte die Unterhaltung nicht werden. Fireball hatte nämlich Bedenken, er könnte sich sonst bei seinem Vater verraten. Irgendwie war es seltsam mit ihm in einer Kneipe zu stehen und gemeinsam ein Bier nach Feierabend zu trinken. Aber, und daran wollte sich Fireball nicht gewöhnen, es hatte was.

Auch der Captain nickte: „Ja, zumindest bist du pünktlich.“

„Ich schaff’s unter zwanzig Minuten zum Oberkommando. Das hilft beim Pünktlichsein enorm.“, er nahm einen Schluck von seinem Bier und sah sich in der Kneipe um. Colt hätte es hier gefallen. Sie war ein wenig mexikanisch angehaucht und überall hingen Gegenstände aus dem wilden Westen an der Wand. Sogar ein Bild von Billy The Kid war darunter.

Shinji stellte sein Bier auf die Theke und schmunzelte unverhohlen. Fireball hatte ihm gesagt, dass er außerhalb der Stadt wohnte und von daher einen eher weiten Weg zur Arbeit hatte. Unter zwanzig Minuten von dort zum Oberkommando zu kommen, war eine reife Leistung, vor allem bei dem Verkehr, der morgens stadteinwärts herrschte. Kopfschüttelnd lachte er: „Du machst ja bald Mario Firenza Konkurrenz, Kurzer. Der ist wahrscheinlich nicht viel schneller als du.“

Erstaunt setzte Fireball das Glas wieder ab. Sein Vater interessierte sich fürs Rennfahren? Oha, das hatte Ai niemals erwähnt. Schnell rechnete der Pilot von Ramrod zurück, seit wann Mario in dem Geschäft war, um nicht auf die Idee zu kommen, einen Sieg oder dessen Karriereverlauf vorwegzunehmen. Er erinnerte sich mittlerweile gerne an seinen früheren Konkurrenten. Mario war ein ehrlicher und guter Fahrer, ging nicht über Leichen, wie manch andere in der Branche. In ihrer Zeit ging er es ruhiger an, hatte sich wegen seiner schweren Krankheit völlig aus dem Renngeschäft zurückgezogen. In der Zeit seines Vaters dürfte er gerade ein aufgehender Stern sein. Lächelnd entschied sich Fireball, auf dieses Thema einzugehen, da konnte er sich nicht übertrieben verplappern: „Ja, der gute Firenza. Fahren kann er.“

Na bitte, der junge Pilot brachte doch glatt mehr als zwei Sätze am Stück raus, wenn er wollte. Shinji nickte noch einmal, diese Meinung über Mario Firenza teilte er: „Hart, aber fair. Ich hab noch keines seiner Rennen verpasst.“

Anerkennend wiegte Fireball den Kopf. Nie im Leben wär er auf die Idee gekommen, dass sich ausgerechnet sein Vater für Rennfahren und schnelle Autos interessiert. Bis eben hätte er alles verwettet, dass dessen Herz nur für Jets, das Oberkommando und selbstverständlich Ai schlug. Ehrlich gestand er: „Sie interessieren sich also für die Formel eins. Mann, das hätt ich Ihnen niemals zugetraut.“

„Was soll das heißen?“, irritiert zog Shinji die Augenbrauen in die Höhe. Wie kam es, dass sich der junge Hüpfer nach einem knappen Monat schon ein derartiges Bild über ihn machen konnte? Der Captain hatte hin und wieder bemerkt, dass Fireball manche Reaktionen nicht überraschten, es schien fast so, als würde er sie sogar voraussehen. Das war äußerst seltsam, wie er fand.

Gelassen lehnte sich Fireball mit dem Ellbogen auf die Theke. Er stellte ein Bein auf die Fußstütze an der Bar und beugte seinen Oberkörper leicht über die Bar. So stand er am liebsten an einer Bar, weil es einfach gemütlicher war. Und Fireball empfand es gerade als gemütlich. Vorhin war er doch noch etwas angespannt gewesen, weil er mit seinem Vater hier stand. Seit die Sprache auf Firenza und Autos gefallen war, war von der Anspannung nichts mehr vorhanden. Es war für Fireball beinahe so, als würde er mit Colt und Saber den Tag ausklingen lassen. Leichthin erklärte er: „Sie sehen nicht unbedingt aus, wie jemand, der sich für Rennwagen interessiert.“

Postwendend fuhr sich der Captain mit beiden Händen in die Haare und brachte seine Frisur durcheinander. Mit den halbkurzen Haaren ging das sehr gut und nach Feierabend war es ihm egal. Wild und störrisch standen seine Haare nun kreuz und quer, so wie bei seinem jungen Pendant. Nun sahen sich Vater und Sohn noch ähnlicher, als ohnehin schon. Frech grinste Captain Hikari: „Seh ich nun eher so aus?“

Unbedacht lachte Fireball: „Nicht alle Rennfahrer sehen so aus, Captain. Aber lassen Sie mal, ich glaub es Ihnen auch so.“

Shinji nahm einen weiteren Schluck vom Bier. Es war nett, sich mit Fireball zu unterhalten, der Junge taute langsam aber sicher auf. Und er hatte ihm grade was verraten. Er stellte das halbvolle Glas wieder ab und sah Fireball interessiert an: „Wie kommt es, dass du dich so sehr dafür interessierst und auch begeisterst, Kurzer?“

Schmunzelnd erklärte der Rennfahrer aus Leidenschaft: „Irgendwas muss ich mit meiner spärlichen Freizeit doch anfangen.“

Sein schelmisches Zwinkern verriet deutlich, dass es mehr als eine Freizeitaktivität war. Viel gab der junge Pilot nicht von sich Preis, da musste man auf jedes Detail achten, das hatte er schon erkannt. Shinji machte keinen Hehl daraus, Informationen beschaffte man sich, wenn man sie nicht vom betreffenden selbst bekam, eben von anderen Quellen und nichts anderes machte er. Ein bisschen spöttisch setzte er einen drauf: „Tja, und für den Fall, dass ich dich mal etwas zu unsanft aus den Wolken hole, kannst du immer noch im Kreis fahren.“

Lachend öffnete Fireball die Arme und guckte demonstrativ nach oben: „Dafür müssen Sie mich erst mal vom Himmel runterholen.“

Er war sich verdammt sicher, dass ihn so schnell niemand aus den Wolken befördern konnte. Sein Vater zählte auch zwanzig Jahre nach dessen Tod noch zu den besten Piloten des Oberkommandos und hatte es dennoch nicht geschafft, Fireball abzuschießen. Entweder hatte der es nicht wirklich versucht, was er sich bei dem Ehrgeiz, den sie beide hatten, nicht vorstellen konnte, oder aber er war seinem Vater hier doch ebenbürtig.

„Ich erwisch dich schon noch.“, überzeugt davon, den Neuen früher oder später mal eiskalt zu erwischen, antwortete Captain Hikari.

Fireball grinste frech. Er war gerade in seinem Element und irgendwie fühlte sich das ganze für ihn eher an, als würde er mit Colt wetteifern. Unbeeindruckt von den Worten seines Vaters gab er von sich: „Dafür müssen Sie sich mehr anstrengen, Captain. Es gibt Dinge, von denen verstehe ich eine ganze Menge.“

Der Vater hob skeptisch die Augenbrauen an. Also, das Selbstbewusstsein des jungen Piloten war ordentlich ausgeprägt, es kam nur auf das Thema an, wie er gerade bemerkt hatte. Shinji schüttelte leicht den Kopf, vielleicht war dem Jungen das Lob vorhin zu Kopf gestiegen. Der Grünschnabel war gut, ja, aber übermütig sollte er deswegen nicht werden, sonst wurde ihm das noch zum Verhängnis. Deswegen versuchte er nun, Fireball wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen: „Man könnte es auch als lebensmüde bezeichnen, Kurzer.“

Irritiert richtete sich Fireball auf. Das Wort ‚lebensmüde‘ war in der Familie Hikari leider ordentlich negativ behaftet und fiel vor allem in Verbindung mit dem Job des Star Sheriffs sehr häufig. Wie oft hatte er dieses Wort in Verbindung mit seinem Namen von Ai gehört? Seine braunen Augen sahen den Captain, seinen Vater, verwundert an: „Lebensmüde? Ich? Wie kommen Sie darauf?“

„Dein Landemanöver vorhin war total lebensmüde.“, Shinji griff nach seinem Bier und erklärte energisch: „Kann ja sein, dass du von manchen Dingen was verstehst, aber nur, weil man dich ein oder zwei Mal lobt, musst du noch lange nicht übermütig werden.“

Shinji hegte heimlich allerdings Bewunderung für den jungen Spund, mit dem er gerade ein Bier trank. Er hatte selten ein solches Manöver gesehen. Fireball hatte es perfekt ausgeführt. Aber was mehr noch als die Landung verwunderte, war die Flugweise an sich. Der Captain konnte nicht glauben, dass der Junge frisch von der Akademie war. Der Kleine verstand nämlich wirklich was von seinem Job. Er flog, als wäre er schon hunderte Mal in einem Manöver gewesen, ja, als hätte er schon unzählige Kampfeinsätze hinter sich. Aber das konnte nicht sein. Erstens war Fireball noch halb grün hinter den Ohren und zweitens herrschte Frieden. Es gab im Neuen Grenzland keinen Krieg.

Mit einem milderen Tonfall fügte er hinzu, als er den unsicheren Blick von Fireball auffing: „Du wirst nicht alt, wenn du dir solche Manöver nicht verkneifen anfängst.“

„Wer sagt, dass ich überhaupt alt werden will?“, Fireball parierte sofort. Sein Vater durfte so nicht reden, der war selbst nicht besser als er. Patzig sah er zu ihm auf, alt werden war relativ in der Familie Hikari.

Egal, wie er es angestellt hatte, aber Fakt war, dass er es getan hatte. Der Captain sah Fireball einen Augenblick lang verdattert an. Sofort verband er diesen Kommentar mit der Familie des jungen Piloten. Denn anders konnte sich Shinji den kleinen Ausbruch gerade nicht erklären. Irgendwo lag da der Hund begraben, dessen war sich der erfahrene Pilot mittlerweile sicher. Umgehend nahm er das explosive Treibmittel aus der Unterhaltung und schwenkte auf ein Thema um, das dem jungen Japaner weniger ausmachte. Shinji riss das Ruder also noch einmal herum: „Du kannst dich mit Mario Firenza zusammentun. Der ist auch so umtriebig und wird niemals sesshaft.“

Fireball schwenkte den Kopf von seinem Vater wieder zum Bier und die Theke hinunter. Der hatte keine Ahnung, wie zahm und brav Mario in den nächsten Jahren noch werden würde. Fireball wusste, nachdem Firenza seine Frau kennen gelernt hatte und ihre Tochter bekommen hatte, war der bei weitem nicht mehr so riskant gefahren. Er war nicht mehr so viel Risiko eingegangen, um ein Rennen zu gewinnen, wie früher. Aber das konnte sein Vater nicht wissen, es passierte doch erst in einigen Jahren. Allerdings kam er nicht umhin, seinem Vater zu widersprechen: „Zwischen Mario und mir liegen Welten.“

Das war mal Fakt für den Rennfahrer. Mario hatte im Rennsport immer die alten Werte hoch gehalten, hatte nie viel von jungen Fahrern gehalten. Die konnten doch alle nicht Autofahren, hatte er oft auch über Fireball geschimpft. Und Mario legte Wert auf seine Gesundheit, war vorsichtig und umsichtig. Das war Fireball nicht. Er nahm Risiken durchaus in Kauf, denn er hatte nichts zu verlieren.

Beide Augenbrauen von Shinji waren merkwürdig zusammen gezogen. Das musste er nicht verstehen, oder etwa doch? So lustig es vor einigen Augenblicken auch noch gewesen war, die Wand war noch schneller gewesen. Der junge Pilot hatte in Windeseile eine Wand aufgezogen, und zwar, weil es um ihn ging. Nichts drang nach außen, fast so, als sollte niemand wissen, wer und wie er war. Shinji verstand das alles ganz und gar nicht. Der Junge blieb ein Rätsel auf zwei Beinen. Stark und eigenständig, aber gleichzeitig einsam und auch unbeholfen wirkte er auf Shinji. Er erinnerte ihn irgendwie auch immer wieder an sich in dem Alter. Gott, was war er für ein verbohrter Dummkopf manchmal gewesen! Und was hatte Ai alles mit ihm mitmachen müssen, bis er sich endlich selbst gefunden hatte? Shinji dachte an seine eigene Wand, die nur eine Person zum Einsturz hatte bringen können. Ob es bei dem Kleinen auch mal jemand schaffte? Resignierend schüttelte Shinji den Kopf und trank den letzten Schluck von seinem Bier, ehe er einen Hinweis aussprach: „Welten sind nicht mehr ganz so unerreichbar wie vor Jahren noch. Merk dir eines, Kurzer, wenn du sonst schon nichts lernen willst.“, er legte Geld auf den Tisch und trat einige Schritte von Fireball weg: „Talent und Können allein machen nicht glücklich, wenn man seine Erfolge mit niemanden teilen kann. Das wird Firenza noch lernen und du bestimmt auch irgendwann.“

Nun ließ Fireball den Kopf hängen. Unbestimmt gab er zurück: „Das nicht. Aber man stürzt niemanden ins Unglück, wenn einem Talent und Können nicht mehr helfen und es zu spät ist.“

Der Rennfahrer wandte sich von seinem Vater ab und bestellte noch ein Bier beim Kellner. Die gute Laune war ihm nun ordentlich vergangen. Während Shinji die Bar mit einem merkwürdigen Gefühl verließ, spülte Fireball den aufkeimenden Frust und auch die Einsamkeit hinunter. Für sich selbst hatte er entschieden, keiner Frau jemals das anzutun, was sein Vater Ai angetan hatte. Keine Frau hatte das verdient. April hatte es nicht verdient. Fireball schloss die Augen und leerte das Bier in einem Zug.
 

Aus zwei Bier waren drei und noch ein paar mehr geworden, die Uhr hatte sich stetig gegen Mitternacht bewegt, bis Fireball endlich aus der Bar gefunden hatte. Die Worte seines Vaters waren ihm an die Nieren gegangen, mehr als andere Ratschläge es jemals hätten tun können. Fireball war regelrecht versumpft und über dem Gerstensaft in dumpfes Brüten verfallen. Wie spät es tatsächlich war, als er Ramrods Rampe hinaufgetorkelt kam, konnte er nicht mehr sagen. Auf alle Fälle hatte er ordentlich mit dem Gleichgewicht zu kämpfen und statt Schuss ins Bett zu gehen, hatte sich der Rennfahrer noch für einen Umweg über die Küche entschieden. Fireball streifte den Türrahmen beim Eintreten mit der Schulter, hatte das Ding doch tatsächlich nicht den Weg freigemacht. Er rieb sich über die Schulter und murmelte: „Hoppla.“

Sabers Augen verengten sich und die abwehrende Haltung wurde noch schlimmer, als Fireball zur Küchentür rein gestolpert kam. Es war nicht zu übersehen, dass der junge Pilot einen leichten Zacken in der Krone hatte und das ließ den Blutdruck des Schotten ordentlich in die Höhe schnellen. Verdammt, sie hatten sich Sorgen gemacht, hatten ihn nicht erreichen können und deswegen auch kein Auge zugetan, und er kam angeheitert weiß Gott wann in der Nacht nachhause! Saber schnaubte verächtlich. Das war indiskutabel und nicht akzeptierbar.

„Na, wie viele von uns siehst du?“, Colt hatte April im Arm und hob nun seine linke Hand in die Höhe. Er deutete mit den Fingern eine Zahl an, schwankte dabei aber. Auch der Cowboy war wenig begeistert von den Starallüren des Rennfahrers. April hatte an diesem Abend nicht nur eine Träne vergossen und das nur wegen Fireball. Colt zog kurz eine Augenbraue nach oben, das waren ganz neue Töne, die hier gespuckt wurden.

April wischte sich über die Augen, sie war gerade eingeschlafen. Sie gähnte verstohlen und rückte noch ein Stückchen näher zu Colt auf. Ihren Blick senkte sie, nachdem sie Fireball nur kurz ausdruckslos angesehen hatte. Sie war enttäuscht, schwer enttäuscht.

Der Rennfahrer hatte nicht damit gerechnet, dass überhaupt noch jemand wach war. So aber war er sich ziemlich sicher, dass es noch nicht allzu spät sein konnte. Obwohl er mit Sicherheit ein Bier zuviel getrunken hatte, hatte er sich noch ganz gut im Griff. Er musste seinen Freunden nicht gestehen, weshalb er sich betrunken hatte. Deshalb setzte der Japaner ein schiefes Lächeln auf: „Wow, was für ein Empfangskomitee. Ich sollte mich öfters verspäten.“

„Wo kommst du jetzt erst eigentlich her?“, Saber bemühte sich, nicht gleich ungehalten zu werden, auch, wenn es ihm schwer fiel. Sie alle hatten sich unendliche Sorgen gemacht. Die Tage, die sie hier auf Ramrod zurückblieben und darauf hoffen mussten, dass Fireball nichts geschah und er auch nichts anstellen konnte, waren eine Zerreißprobe für die Nerven. Und sie hatten alle nicht mehr die besten Nerven. Saber machte es wahnsinnig, wenn sich jemand nicht an Abmachungen hielt, egal ob berechtigt oder unberechtigt.

Fireball steuerte unterdessen direkt auf den Kühlschrank zu. Mann, er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und die flüssige Nahrung brauchte auch noch eine Unterlage, damit sich die Decke später im Bett nicht drehte. Er steckte den Kopf hinein und antwortete auf Sabers Frage: „Aus irgendeinem Diablo. Aber ja, es war nett.“

Saber fuhr beinahe aus der Haut. Dennoch brachte er ruhig hervor: „Nett wäre gewesen, wenn du angerufen hättest, wo du so lange steckst.“

Colt hatte währenddessen seinen Arm enger um April gelegt und schlackerte beinahe mit den Ohren. Der freche Zwerg gab Saber ungehobelte Antworten und dachte sich nichts dabei. Was war denn da kaputt? Er blinzelte zu Saber hinüber, oh Mann. Unweigerlich schluckte der Amerikaner. Wenn der Japaner schlau war, und das konnte er nur sein, wenn er Saber endlich mal ansah, würde er gleich zu Kreuze kriechen. Denn jedem Blinden wäre aufgefallen, dass Saber richtig sauer war. Und er war zu recht sauer.

Fireball kam indes wieder aus dem Kühlschrank hervor. Er hatte ein Blatt Käse und ein Blatt Wurst in der Hand und biss mit einem leichten Lächeln hinein. Ein bisschen wankend kam er an den Tisch und setzte sich neben Saber. Er sah ihn kurz an und kaute auf seinem Essen herum. Wenig diplomatisch ließ er sich zu einer Antwort hinreißen: „Ich weiß gar nicht, was du hast. Ich konnte nicht ablehnen.“

Saber beobachtete den ungehobelten Klotz neben sich, dessen Fahne ihm nun direkt in die Nase stieg. Fireball roch nach Zigarettenqualm und Alkohol. Unmöglich, dass er so aus dem Oberkommando kam. Saber hakte skeptisch und nun auch offen mürrisch nach: „Wobei konntest du nicht ablehnen? Herrgott, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Fireball!“

Der Rennfahrer schluckte und antwortete patzig, wie er manchmal sein konnte: „Mein Vater hat mich in eine Bar entführt. Es hat länger als geplant gedauert, aber“

Saber unterbrach ihn aufgebracht: „Du hast was?! Fireball, ich glaub, ich hab mich verhört. Du warst mit deinem Vater außer Dienst einen trinken? Bist du komplett wahnsinnig geworden?“

Der Schotte konnte sich kaum auf seinen vier Buchstaben halten, so erregt war er im Augenblick. Ihm stieg die Hitze ins Gesicht und er musste höllisch aufpassen, um nicht noch ungehaltener zu werden. Das war doch hoffentlich nur ein blöder Scherz!

Auch Colt spannte sich, das konnte April deutlich spüren. Aus den Sorgen, die sie alle vor wenigen Minuten noch gehabt hatten, waren Spannungen entstanden. Geladen richtete sich Colt ein Stückchen auf. Er hoffte für den Zwergenrebell, dass er bald wieder zur Vernunft kam, sonst konnte er für nichts mehr garantieren. Was zur Hölle war in Fireball gefahren?

„Du hast dich nicht verhört.“, unbeeindruckt von Sabers scharfen Tonfall kaute er weiterhin auf seiner spärlichen Mahlzeit herum. Fireball stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und linste auf das Essen in seiner Hand. Er hatte keine Lust, sich von seinen Freunden zum Heinz machen zu lassen, das merkte man auch deutlich an seiner Stimmlage. Gereizt brummte er: „Ohnehin ist es nicht dein Bier, also was juckt’s dich?“
 

„Colt!“, erschrocken wich April vom Kuhhirten ab, als dieser aufgesprungen war und über den Tisch gelangt hatte. Er hatte Fireball eine runtergehauen, dabei sowohl eine Kaffeetasse, wie auch Essen vom Tisch befördert, aber sein Ziel hatte er nicht verfehlt. Die unerwartete Reaktion des Cowboys hatte April enorm erschrocken und sie war zusammengefahren. Mit ängstlichen Augen sah sie zu Fireball hinüber, der ebenso wenig damit gerechnet hätte.

Saber hätte nun eigentlich etwas unternehmen sollen, aber tief in sich war er Colt unendlich dankbar für die Backpfeife. So hatte er sich nicht noch mehr zusammen nehmen müssen. Saber hätte nie im Leben ausholen können, aber getan hätte er es dennoch zu gerne. Zum ersten Mal überhaupt hielt Saber eine von Colts übertriebenen und hitzköpfigen Reaktionen für völlig gerechtfertigt. Fireball war damit viel zu weit gegangen.

Colt drehte sich nach seinem Hut um, der ihm in der Eile nicht hatte folgen können und dabei auf der Sitzfläche gelandet war. Jetzt fühlte er sich definitiv besser. Manchmal verstand so jemand wie Fireball eben nur diese eine Sprache, wie sich Colt seinen Ausraster schönreden versuchte. Natürlich, es hätte gar nicht erst dazu kommen müssen, aber verdient hatte sie der kleine Rennfahrer auf alle Fälle. Er warf Fireball einen verächtlichen Blick zu, hoffentlich tat’s ordentlich weh und brachte ihn wieder zur Vernunft.

Ziel- und treffsicher, wie eh und je, der alte Kuhtreiber. Fireball öffnete den Mund und hielt sich den Unterkiefer mit der rechten Hand. Er hatte einen harten Schlag drauf. Mit einem funkelnden Blick quittierte Fireball diese Zärtlichkeiten zu später Stunde. Er würde den Teufel tun und das auch noch kommentieren. Damit er vielleicht gleich noch eine einkassierte! Zittrig atmete der Rennfahrer tief durch. Warum hätte es zuhause besser laufen sollen, als in der Bar? Fireball warf einen Blick zu seinem Rettungsseil.

Nach dem ersten Schrecken war April aufgesprungen und hatte gleich die kaputte Tasse vom Boden aufgehoben. Nun stand sie an der Spüle und holte einen Lappen, damit sie das Malheur wegwischen konnte. Sie vermied es tunlichst, sich bei dem Zwist einzumischen, es ging ihr auch so schlecht genug. April schluckte alles hinunter, was ihr auf der Zunge lag und was ihr die Tränen in die Augen trieb. Es hätte ohnehin keinen Sinn gemacht. Wer hörte in einer solchen Situation schon auf eine Frau? Die drei Jungs sollten das unter sich ausmachen, April konnte an diesem Abend nicht mehr.

Colt verlieh seinen Taten indes mit seinen Worten noch einmal Nachdruck. Er drohte Fireball: „Und wehe ich hör sowas noch mal, dann kriegst du Flugstunden, Kurzer! Bah! Ich könnte durch die Decke schießen, ehrlich!“

Kurzer. Sein neuer Kosename und dessen Namensgeber waren der Grund dafür gewesen, dass Fireball an diesem Abend die Weisheit in einem Bierglas gesucht hatte. Und nun kam Colt auch noch mit dem Spitznamen an. Der Rennfahrer spürte, wie ihm trotz seines Schwips wieder in den Sinn kam, was sein Vater gesagt hatte. ‚Du wirst nicht alt…‘ Nein, verflucht, woher sollte sein Vater, ausgerechnet sein Vater, das wissen? Fireball wehrte sich gegen diesen Gedanken, er wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen. Deswegen stand er nun auch auf und ging wieder zum Kühlschrank. Er nahm sich aus dem Gefrierfach eines der vielen Kühlkissen, die sie für alle möglichen Verletzungen ein gekühlt hatten. Jedes Mal wieder unterschätzte er die Kälte dieser Pads, wenn er sie auf eine Schwellung drückte. Sofort zog er seine Hand mit dem kalten Ding wieder vom Gesicht zurück. Er zog die Augenbrauen verärgert zusammen. Beim zweiten Anlauf drückte er das Gelkissen nicht mehr mit aller Gewalt an die Stelle. Trotzdem spürte er, wie eisig es gerade im Gesicht war. Wieder warf er April einen Blick zu. Sie half ihm nicht. Mit hängenden Schultern strich er für heute die Segel. Es war unnütz, jetzt irgendwas erklären zu wollen, keiner seiner Freunde würde es hören wollen. Deshalb wandte er sich nun zum Gehen. Fireball wünschte seinen Freunden noch eine gute Nacht und verschwand aus der Küche.
 

Sie wischte über den Küchentisch, alles, was vom Kaffee darauf gelandet war, floss durch ihre Bewegung über die Tischkante nach unten auf den Boden. April kniete sich auf den Boden hinunter. Alles lag in Scherben. Zumindest fühlte es sich für die einzige Frau an Bord so an. Sie wischte nicht nur die zerbrochenen Teile der Tasse zur Seite, sondern auch ihre zersprungene Freundschaft. Die drei Männer waren aneinander geraten und sie war plötzlich mitten drin gestanden. Tränen stiegen ihr wieder in die Augen und sie musste sich auf ihren Händen abstützen. April biss sich auf die Lippen, sie wollte nicht weinen. Das kleine Ekel hatte es nicht verdient, dass sie um ihn weinte. Und dennoch. Beim nächsten Wimpernschlag vermischten sich ihre salzigen Tränen mit dem kalten Kaffe vom Boden. Sie spürte, wie ihre Arme zu beben begannen. Das Zittern wurde immer stärker, je verbissener sie versuchte, sich zusammen zu nehmen. April verteufelte sich. Obwohl ihr Verstand eindeutig Fireball die Schuld für diese nächtliche Ruhestörung gab, so plädierte ihr Herz für Verständnis. Es hatte ihr in der Seele wehgetan, als sie seinen Blick beim Verlassen der Küche aufgefangen hatte. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte nicht mit Fireball. April schloss die Augen und sog verzweifelt die Luft ein. Ihre Stärke verschwand mit einem herzzerreißenden Schluchzen.

Saber warf Colt einen sorgenvollen Blick zu, ehe er sich aus der Bank schob und sich zu April hinab kniete. Während er ihr den Lappen abnahm und selbst zu putzen begann, schloss der Cowboy April in seine Arme und stand mit ihr auf.

Der blonde Highlander hob die restlichen Scherben auf und warf sie in den Müll. Gedanklich schüttelte er den Kopf. Dieser Abend, nein, diese Nacht war eine ganz neue Erfahrung für den Schotten gewesen. Alles, was bisher in der Vergangenheit passiert war, musste zwangsläufig auch Auswirkungen auf ihre Gegenwart gehabt haben. Sabers Bedenken wuchsen ins Unermessliche. Welche Gegenwart hatten sie zu erwarten, sollten sie es doch noch einmal nachhause schaffen? Er wandte den Kopf von der Spüle, wo er den Lappen hineinfallen ließ, zur Tür und biss sich auf die Lippen. Seinen Piloten schien er nicht wieder zu erkennen. Und auch April war nicht mehr sie selbst. Da konnte die junge Frau behaupten, was sie wollte. Saber sah zu ihr und Colt hinüber. Sie stand da, vergrub ihr Gesicht in Colts Hemd und weinte bittere Tränen. Der Cowboy strich über ihre blonde Mähne, versuchte sie zu beruhigen, schaffte es aber lediglich, sich selbst schläfrig zu reden. Immer wieder gähnte er verstohlen. Saber schoss plötzlich durch den Kopf, dass April im Urlaub in Tokio bereits bedrückt gewesen war, seither hatte sich die hübsche Blondine verändert. Sie war ernster geworden, als ob sie einen Teil ihrer Träume und Hoffnungen verloren hätte. Saber ging auf seine beiden Freunde wieder zu, strich April über die Wange und flüsterte schließlich leise: „Hör bitte auf zu weinen, April.“

Colt nickte Saber leicht zu. Er hatte April an diesem Tag bereits trösten müssen, für die Tochter von Commander Eagle passierte in letzter Zeit mehr, als sie verkraften konnte. Sie war eben doch noch ein junges Ding. Das musste es sein. Colt fiel es wie Schuppen von den Augen. Warum war er da nicht gleich drauf gekommen? Er stupste Saber leicht an und neigte den Kopf Richtung Tür, damit er wusste, dass es um Fireball ging. Verschwörerisch meinte er: „Ob der Höhenflug vielleicht nervlich bedingt ist, Boss?“

„Hm…“, Saber runzelte skeptisch die Stirn. Hatte Colt vielleicht Recht? War das etwa Fireballs Reaktion, wenn er mit einer Situation nicht fertig wurde? Es war von Anfang an eine Schnapsidee gewesen, Fireball weiterhin ins Oberkommando arbeiten gehen zu lassen. Aber Saber waren diesbezüglich die Hände gebunden gewesen. Der Captain hatte entschieden, dass der Japaner auch ohne Versetzungsschreiben bei ihnen bleiben sollte. Saber fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Es musste schrecklich sein, jeden Tag seinem Vater gegenüber zu stehen. Anschließend fuhr sich Saber durch die Haare. Es bestand Handlungsbedarf. Aber nicht mehr heute. Sanft entschied er: „Lasst uns in die Federn gehen. Wir müssen morgen ohnehin wieder raus.“

Die Blondine wischte sich mit dem Handrücken über die verweinten Augen und trocknete ihre Tränen. Sie musste stark sein. Deshalb nickte sie Saber zu und schälte sich aus Colts tröstender Umarmung. Leise schlich sie in ihr Zimmer um dort im Schutz, aber auch in der Einsamkeit der Dunkelheit nachzudenken und zu verarbeiten, was sie heute erlebt und gesehen hatte.

Auch Colt und Saber schlossen sich April an und gingen in ihre Zimmer. Keiner von ihnen war aus diesem Abend schlau geworden. Ob das an ihnen oder an dem Umstand an sich lag?
 

Als er nachhause gekommen war, hatte seine Frau schon geschlafen. Shinji war ewig lange unschlüssig vor dem Lokal gestanden und hatte nicht gewusst, was er machen sollte. Auf der einen Seite hatte er sich gedacht, dass der junge Pilot gleich nach ihm den Nachhauseweg antreten würde, insgeheim hatte er sogar darauf gehofft, denn dann hätte er noch einmal mit ihm reden können. Auf der anderen Seite jedoch wäre er auch gern wieder hinein gegangen. Er hatte weder das eine noch das andere getan. Der erfahrene Pilot hatte ein Gespür für zwischenmenschliche Feinheiten entwickelt. Eine solche Feinheit war mitunter genau zu wissen, wen man vor sich hatte. Bei Fireball allerdings konnte man sich nicht sicher sein. Man wusste nie genau, was er gerade dachte, oder was er wirklich meinte. Das gefiel dem Captain nicht.

Das gefiel ihm auch noch nicht, als er spät nachts noch am Wohnzimmertisch saß und versuchte, seine Beurteilungen fertig zu schreiben. Ein Pilot wie Fireball war ihm noch nie zuvor begegnet. Er wusste haargenau, was er mit den Jets in der Luft machen konnte und wie man seine Gegner in Schach hielt. Der kleine Krümel war verdammt flink in der Luft, er war ein richtiges Ass. Aber das alles konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass mit dem Japaner etwas nicht in Ordnung war. Er wusste für sein Alter einfach zu viel von Jets, war ein zu guter Pilot und hatte Kampferfahrung. Shinji verwettete alles, was er besaß, dass Fireball bereits in einem Krieg gewesen war, auch wenn er Gegenteiliges behauptet hatte. Aber er verstand es nicht, denn nirgends im Neuen Grenzland herrschte Krieg. Das hätte er als Mitglied des Oberkommandos mitbekommen.

„Worüber grübelst du noch, mein Schatz?“, Ai setzte sich verschlafen zu Shinji an den Tisch im Wohnzimmer. Sie war wach geworden, wie so oft, wenn er noch nicht zuhause war, wenn sie ins Bett ging. Als sie ihn nicht neben sich im Bett gespürt hatte, war sie aufgestanden um nachzusehen. Sie machte sich Sorgen, wenn er spät nachts noch nicht zuhause war. Aber sie hatte ihn doch im Wohnzimmer gefunden. Er saß über einem Stoß Personalakten und kaute auf seinem Kugelschreiber herum. Er dachte angestrengt nach, suchte nach Antworten, das konnte ihm die zierliche Japanerin ansehen. Was nur trug er mit sich herum?

Verblüfft sah Shinji von seinen Papieren auf. Er musterte seine Frau. Dabei wurde ihm klar, dass er eigentlich ganz wo anders sein sollte, als hier oder mit dem Kopf bei einem vorlauten Bengel, der doch nichts über sich erzählte. Sie sah umwerfend in ihrem Nachthemd aus. Ein Träger war ihr über die Schulter gerutscht und gab mehr elfenbeinweiße Haut frei, als gewöhnlich. Auch, wenn Ai gerade aus dem Bett gekommen war, so schürte es dennoch das Feuer des Piloten. Er liebte es, wenn sie verschlafen neben ihm saß, sich die strähnigen schwarzen Haare ohne Scheitel nach hinten strich. Dann liebte er sie mehr noch, als er es ohnehin bereits tat. Shinji liebte Ai, wie sie war. Sie war sein Ein und Alles. Seine Süße war unkompliziert, zärtlich, sexy, aber gleichzeitig auch seine beste Freundin. Mit ihr konnte er über alles reden. Nur darüber nicht. Shinji schlug frustriert die Akte zu und blinzelte seine Frau liebevoll an: „Ich suche lediglich nach den richtigen Worten, Süße.“

Natürlich war Shinji bewusst, dass er Ai angeflunkert hatte, aber er wollte sie nicht beunruhigen. Wüsste sie, dass er sich den Kopf wegen des Jungen zerbrach, würde auch Ai anfangen, sich Sorgen zu machen. Sie hatte den kleinen Frechdachs von Anfang an in ihr Herz geschlossen und erkundigte sich beinahe jeden Tag nach ihm. Shinji konnte ihr nicht beichten, dass ihm Fireball Sorgen machte. Er gähnte und streckte sich ausgiebig, ehe er aufstand und Ai in den Arm nahm. Shinji hauchte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze: „Die Worte können auch bis morgen warten.“

Shinji legte einen Arm um seine Frau und ging mit ihr ins Schlafzimmer. Für heute hatte er sich wirklich genug Gedanken gemacht. Spätestens morgen in der Arbeit würden sie ihn wieder einholen. Spätestens dann, wenn er den Jungen wieder sah, der ihm so ähnlich war und dessen Lebenserfahrung ihn verunsicherte.
 

Während Shinji Hikari Senior über seinen Beurteilungen gebrütet hatte, war der Junior nach dem Fiasko in der Küche in den Kontrollraum davongeschlichen. Er saß in seiner Satteleinheit und überflog grob die Daten, die der Computer zum Ausbruch des Krieges gespeichert hatte. Das Königreich Jarr hatte laut den Aufzeichnungen noch Glück im Unglück gehabt, denn die Flugstaffel der Air Strike Base 1 war zum damaligen Zeitpunkt für ein Manöver im Königreich stationiert gewesen. Fireball ließ das Gelkissen achtlos neben seiner Satteleinheit auf den Boden fallen. Es war inzwischen warm geworden und brachte für seinen Kiefer keine Erleichterung mehr. Unterdrückt seufzte er. Sie hatten beschlossen, nicht in die Vergangenheit einzugreifen, ihre Gegenwart nicht zu verändern. Auch Fireball musste sich daran halten, sie hatten diese Entscheidung gemeinsam getroffen. Aber es fiel ihm schwer. Die Helden von damals hatten für ihn ein Gesicht bekommen. Sein Vater war nicht nur sein Captain, sondern auch ein Freund. Zumindest empfand es Fireball so, denn der erfahrene Pilot half ihm in nahezu jeder Lage, ebnete ihm den Weg und begleitete ihn oft wie ein Schatten, der ihn beschützte. Aber gerade das war es, was Fireball innerlich zerfraß. Er lernte seinen Vater hier endlich kennen und er verstand sich gut mit ihm. Hier hatte er das kennengelernt, was ihm nie widerfahren würde. Es tat höllisch weh und egal wie oft sich der junge Pilot selbst vor Augen hielt, dass alles hier so niemals hätte passieren dürfen, machte es das Leben nicht leichter. Er konnte nichts dagegen unternehmen, er mochte seinen Vater, hegte tiefe Bewunderung für ihn, denn Shinji war ein guter und gerechter Captain. Ein richtiges Vorbild. Fireball schloss die Aufzeichnungen und stand auf. Alkohol war keine Lösung gewesen, denn im Endeffekt hatte es seine Gefühle lediglich verstärkt. Betrübt lehnte er sich gegen seine Satteleinheit und sah in die Nacht hinaus. Sie verschluckte alles in seiner Umgebung, warum nicht auch seine Krise? Er raufte sich die Haare und beschloss, noch einmal in die Küche zu gehen. Sein Magen vermeldete nämlich nach wie vor, dass er tagsüber zu wenig zu sich genommen hatte.
 

Wie oft sie sich schon im Bett hin und her gewälzt hatte, wusste April nicht mehr, als sie wieder aufstand. Sie konnte nicht schlafen. Zuerst hatte sie stumm in sich hinein geweint, hatte ihre Gefühle und ihr Herz verflucht. Wieder hatte sie an die Worte von Ai denken müssen. Wieso nur tat es so schrecklich weh, einen Hikari zu lieben? April sah in Ai ein bisschen ihre Zukunft. Davor hatte sie aber auch Angst. Denn Ai war alleine. Fireballs Mutter hatte ihren Mann verloren und hatte sein Ebenbild aufziehen müssen. Ganz alleine. April wollte Fireball niemals verlieren, doch dazu musste sie ihn erst einmal haben. Manchmal dachte sie, sie würde einen ganz besonderen Platz in seinem Herzen einnehmen. Immer dann, wenn seine dunklen, warmen Augen sie anleuchteten und sein schelmisches Lächeln nur ihr galt. Ihr Herz an ihn zu verlieren war ganz bestimmt keine gute Idee, aber welche Wahl hatte sie gehabt? Gefühle ließen sich nicht beeinflussen und steuern. Das Schlimme war, dass sie automatisch den Weg einschlugen, der am schwersten zu gehen war.

April schlich in die Küche hinüber, etwas zu trinken konnte nicht schaden. Mit kleinen Augen füllte sie den Wasserkocher mit Wasser an und schaltete ihn ein. Sie lehnte sich gegen die Anrichte, nachdem sie eine Tasse und einen Teebeutel vorbereitet hatte. Einen Augenblick erstarrte die Blondine, als sie zum Tisch hinüber gesehen hatte. Er war ihr gar nicht aufgefallen. April sog die Luft ein und zwang sich zur Ruhe. Aber ihr Herz pochte wie wild. Die Blondine hatte ihn nur einen Augenblick lang angesehen, dieser hatte jedoch ausgereicht, um ihre Ruhe zu vergessen. Fireball starrte auf die Tischplatte, auf der ein leerer Teller stand. April schluckte.

Sollte sie etwas sagen? Unsicher senkte sie den Blick kurz auf ihre Füße. Dann hob sie den Kopf, straffte ihre Schultern und ging auf den Tisch zu. Leise setzte sie sich neben ihn. Er registrierte sie nicht einmal. April sah ihn an. Seine warmen Augen starrten sorgenvoll vor sich hin. Dann bewegte er sich. Fireball stützte den Kopf auf der rechten Hand ab und seufzte. April rang mit sich selbst. Eigentlich hatte sie nur eine Tasse Tee trinken wollen, nun aber saß sie hier, ihre Sorgen nahmen mit einem Schlag wieder überhand und der Rennfahrer bemerkte sie nicht einmal. Was war nur mit ihm los?

April konnte fühlen, dass ihn etwas bedrückte. Und sie glaubte nicht, dass es der Schlag ins Gesicht von Colt war, der ihn nicht schlafen ließ. Er war nicht betrunken, das konnte April erkennen, dann hätte er sich anders verhalten. Aber verhielt sich Fireball nicht schon lange nicht so, wie sie es von ihm gewöhnt war? April saß hier neben ihm und sah an dem Rennfahrer hinab. Er wirkte traurig. Wieder drängten sich der Blondine die Bilder von ihrem letzten Urlaub ins Gedächtnis. Seine Vorliebe, Frauen schlecht zu behandeln, sein Schlüsselbund und sein Widerstreben, die Wiedergeburt seines Vaters sein zu sollen, kamen April wieder in den Sinn. Was hatte es mit dem dritten Schlüssel auf sich? Lange wollte sie ihn schon darauf ansprechen. War nun der richtige Zeitpunkt?

„Du solltest schon längst im Bett sein, Matchbox.“, ihre Stimme war sanft, aber kaum mehr als ein besorgtes Flüstern. Sie strich Fireball eine Strähne seiner störrischen Mähne hinter die Ohren. Er wirkte viel reifer und erwachsener, auch nachdenklicher. Nie war der blonden Navigatorin aufgefallen, dass der junge Pilot nachdenklich gewesen wäre.

Fireball sah von seinem Teller auf. Er hatte April gar nicht bemerkt. Fireball spürte ihre Fingerspitzen auf seiner Haut, ihre Fingernägel kitzelten über die empfindliche Stelle hinter dem Ohr. Sie jagte ihm hunderte Schauer über den Rücken. Fireball blickte geradewegs in ihre wunderbaren blauen Augen. Er war nicht bei der Sache, wusste nicht, wie lange sie schon bei ihm war. War sie noch böse auf ihn? Angestrengt versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Aber alles, woran er denken konnte, war April. Sie saß neben ihm, musterte ihn mit ihren wunderbaren blauen Augen und schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. Sie verwirrte ihn nur noch mehr. Denn April hatte das rote Negligee an, das sie in Tokio gekauft hatte. Sie raubte ihm den Atem. Sein Blick wanderte von ihren Augen, an ihrem Hals hinab. Der Spitzensaum bewegte sich mit ihren regelmäßigen Atemzügen. Fireball wandte durcheinander den Blick ab, er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss, als ihm bewusst wurde, wo er hingesehen hatte. Er hatte April angestiert.

April folgte Fireballs Blicken. Als sie bemerkte, wo er hinsah, blickte sie ebenfalls dort hin. Oh, mein Gott! April rückte sofort ihre Träger zurecht. Ihr Gesicht brannte wie Feuer. Ein tiefes Rot färbte ihre Wangen ein. Warum nur sagte er nichts mehr und sah lieber wieder die Tischplatte an? April spürte, wie sie immer nervöser wurde. In Momenten wie diesen fühlte sie sich wie ein naives Schulmädchen. Sie hatte keine Idee, wohin das alles führen würde, aber sie konnte die Wärme, die seine Haut ausstrahlte, auf ihrer deutlich spüren. Ihre Fingerspitzen wanderten am Haaransatz seinen Nacken entlang. Dabei spürte sie die Schauer, die sie ihm offenbar damit über die Haut jagte. April spürte deutlicher als jemals zuvor die Zuneigung, die sie für Fireball empfand. Sie sah zu ihrer Hand, die sich verselbständigt hatte und Fireball gegen die Wuchsrichtung der Haare den Nacken wieder hinauf strich. Ihre eigenen Gedanken gehorchten ihr nicht mehr, denn sie konnte nur noch daran denken, wie es wohl mit Fireball wäre. Sie schien jedes einzelne Haar zwischen ihren Fingern zu spüren. Noch ein Stück näher rückte die Blondine an den jungen Rennfahrer heran. April hauchte Fireball ins Ohr: „Rede mit mir, Turbo. Bitte…“

Dass ihr Teewasser längst fertig war, hatte April nicht mehr mitbekommen. Sie musste sich auf etwas anderes konzentrieren. Die braunen Augen ihres Gegenübers fesselten sie. Alles andere war im Augenblick unwichtig für April.

Die Hand in seinem Nacken schenkte ihm Liebkosungen. Fireball legte den Kopf leicht zurück und seufzte. Aprils Anwesenheit entspannte ihn. Der Wuschelkopf schloss einen Augenblick die Augen. Er musste träumen, ganz eindeutig. Als er seine Augen wieder öffnete, spürte er immer noch Aprils Hand in seinem Nacken, spürte ihre kreisenden Bewegungen auf seiner Kopfhaut und wie sie immer wieder gegen die Wuchsrichtung seiner Haare seinen Nacken entlang fuhr. Er bildete es sich nicht ein. April war da. Widerstrebend richtete er sich auf und musterte die Blondine. Der Rennfahrer verfing sich in Aprils Augen. Seine Hand berührte ihre Wange. Wie zart ihre Haut war. Durcheinander brachte sich der Japaner in eine andere Position. Er drehte ihr den Oberkörper entgegen. Fireball sah der Navigatorin tief in die Augen. Seine Finger strichen über ihre weiche Haut, zwischen ihre blonden Haare, die er ihr aus dem Gesicht zurück hielt. Wie hypnotisiert starrte er in ihr Gesicht. Dann flüsterte er: „Was willst du hören, Süße?“

Er würde ihr alles erzählen, ihr alles versprechen. Fireball hatte einen dicken Kloß im Hals sitzen. Sein Herz machte einen Sprung. April sah umwerfend aus. Ihre porzellanfärbige Haut, ihr Duft, der ihm unaufhaltsam die Sinne vernebelte. Fireball neigte den Kopf und hielt Aprils im Nacken fest. Seine freie Hand glitt über den roten Satinstoff über ihren Rücken.

Erhörte er ihre Gebete? Anspannung machte sich in April breit, das hier war alles völlig neu und fremd für die Blondine. Aber auch erwartungsvoll schloss sie die Augen. Sie hauchte: „Ich will wissen, was mit dir los ist, Fire. Ich mache mir Sorgen. Große Sorgen.“

Sie spürte seinen warmen Atem, der ihr über die Wange strich. Er konnte nicht weit von ihr weg sein. Sie legte den Kopf in seine schützende Hand und vertraute ihm. Fireball schob sich an April heran, ihre Nähe machte süchtig. Er tastete sich nach ihren Lippen, knabberte leicht an ihrer Unterlippe. Sie schmeckte so gut. Fireball hauchte ehrlich: „Ich…“, wieder berührte er ihre Lippen: „bin gerade dabei, mich mit meinem Vater anzufreunden, Süße. Aber das darf ich nicht. Ich bin verwirrt.“, und wieder gab er April einen Kuss. Er berührte ihre Lippen kaum, dennoch konnte sie das Feuer und die Leidenschaft darin spüren. Leise fügte er noch hinzu: „Und ich weiß nicht, ob ich das kann.“

April verschloss ihm nun die Lippen mit einem Kuss. Es fühlte sich richtig an. Alles, was sie wollte, war ihn bei sich zu haben. Ihre Zunge bat ungeduldig um Einlass und ihre Hände hielten sich an Fireball fest. April zog ihn zu sich heran, er war immer noch zu weit weg für ihren Geschmack. War das die viel zitierte Liebe, die Colts und auch Sabers Augen strahlen ließ, wenn sie davon sprachen? April würde es sicherlich bald herausfinden. Sie wollte Fireball bei sich haben, so nahe es nur ging. Deswegen lehnte sich April zurück und zog den Japaner dabei mit sich. April legte sich auf den Rücken.

Wie hätte er diese Einladung ausschlagen können? Fireball beugte sich über April. Seine Küsse wurden immer fordernder und leidenschaftlicher. Die Hände des jungen Rennfahrers erforschten ihren Körper, zogen an ihrer Kleidung, denn er wollte ihre Haut spüren. Fireball hatte zu denken aufgehört, alles, was er jetzt noch wollte, hielt er in seinen Händen. April. Das und nichts anderes wollte er im Augenblick. Seine Lippen glitten über ihre Wangen, verweilten kurz an ihrem Ohrläppchen und suchten sich anschließend einen Weg über ihren Hals und ihre nackte Schulter.

Sie genoss seine Berührungen, jede einzelne davon. Davon wurde April ganz anders. Sie öffnete einen Moment lang ihre Augen und sah an Fireball und sich hinab. ‚Eine von vielen‘ schoss es April durch den Kopf. Erschrocken weiteten sich ihre Augen und die Blondine versteifte sich. Sie wollte nicht eine von vielen für Fireball sein. Sie wollte sich nicht in dieser fragwürdigen Liste eines Rennfahrers wie Fireball finden. April griff um seine Hände und schob sie von sich. Sie zog ihr Nachthemd wieder nach unten, konnte nicht mehr dort weitermachen. Sie durfte ihm ganz einfach nicht mehr geben, denn ansonsten hätte er ihr wirklich das Herz gebrochen. Schneller und einfacher, als sie es wollte.

Irritiert hielt Fireball inne. Was hatte sie plötzlich? Ihr Ausdruck verriet ihm nur zu deutlich, dass sie nicht mehr wollte. Er war zu weit gegangen und hatte April eher verschreckt als ihr Entspannung gegönnt. Fireball richtete sich wieder auf. Was war nur in ihn gefahren? Hatte er wirklich gedacht, dass ein Mädchen wie April sich auf ihn einlassen würde? Fireball schüttelte den Kopf. Auch das nun reihte sich nahtlos in die Geschehnisse des Tages ein, die allesamt gleich bescheiden verlaufen waren. Fireball reichte ihr ohne hinzusehen eine Hand, damit sie sich wieder aufsetzen konnte.

Zögerlich nahm sie die Hand an und setzte sich vernünftig auf die Bank. Sie fuhr sich durch die Haare, atmete schwer, denn ohne Zweifel hätte April gerne mehr gehabt, wenn er nicht ein Rennfahrer gewesen wäre. Und er war ein typischer Rennfahrer, das wusste April doch von den anderen. Er würde sich nicht ändern, nicht für sie. Bei diesem Gedanken stiegen April die Tränen in die Augen. Die Erkenntnis tat weh, ihr zersprang das Herz in der Brust. Noch dazu, weil Fireball sie nun nicht einmal mehr ansah oder nach dem Grund für ihre Zurückweisung fragte. Es schien ihm egal zu sein. Er hatte nicht bekommen, was er wollte und das war’s für ihn. April wischte sich über die Augen. Liebe war alles, nur nicht das, was Colt und Saber immer erzählten. So etwas schien es für April nicht zu geben.

„Entschuldige, Süße.“, Fireball erhob sich und brachte seinen Teller zur Spüle. Er hatte sehr wohl aus den Augenwinkeln gesehen, dass er April mehr als nur verschreckt hatte, das tat ihm leid. Aber ihre Lippen waren so einladend gewesen, ihre Gesten hatten ihn aufgefordert. Es war wirklich nicht seine Absicht gewesen, eigentlich hatte der Rennfahrer immer gedacht, April hätte bereits Erfahrung, doch da hatte er sich wohl von ihrem Auftreten zu einem Trugschluss hinreißen lassen.

April zog den Träger, den ihr Fireball vorhin von der Schulter geschoben hatte, wieder in seine ursprüngliche Position. Sie starrte auf den Tisch und hätte am liebsten sofort losgeheult. Sie war nichts besonderes für Fireball, er hatte sie einfach nur haben wollen, so wie alle anderen vor ihr. Sie hatte keinen besonderen Platz in seinem Herzen. Sonst hätte er ihr gesagt und gezeigt, dass er sie liebte. Es war gemein. Frauen verliebten sich wirklich immer in den falschen Typen.

Während dem Piloten in der Küche allerhand Gründe einfielen, weshalb das kompletter Blödsinn gewesen wäre, wenn er und April miteinander geschlafen hätten, stand nun auch die Blondine vom Tisch auf. Sie verabschiedete sich mit einem schmerzlichen: „Träum schön, Matchbox.“

Na toll, jetzt konnte er erst recht nicht mehr schlafen. Nachdem April die Küche verlassen hatte, warf er einen Blick auf die Wanduhr. Wegen zwei Stunden brauchte er jetzt auch nicht mehr sein Kissen belasten. Fireball verzog das Gesicht. Es gefiel ihm überhaupt nicht, wie das gerade gelaufen war. Das war zu seltsam gewesen. Nachdenklich setzte er sich auf die Anrichte. Er musste gerade die Fakten zusammenzählen und auswerten. Was war da eben gelaufen? Was war das zwischen April und ihm gewesen?
 

Die Offiziersmesse war morgens nie gut besucht, das war Fireball an diesem Morgen auch ganz recht. Er hatte kein Auge in der Nacht zugetan, zu viel war ihm im Kopf herum gespukt. Von der blöden Geschichte im Diabo Pablo, über Colts Ausraster bis hin zu dem Versehen zwischen April und ihm war alles dabei gewesen. Nun saß er bei seinem vierten Kaffee und weigerte sich immer noch, etwas dazu zu essen. So richtig blau und verkatert zu sein war grauenhaft.

Vertieft darin, sich einen Schlachtplan für diesen Tag zurecht zu legen, bemerkte der Rennfahrer nicht, wie sich jemand zu ihm an den Tisch setzte. Irgendwie musste er den Tag möglichst unauffällig rumkriegen und dabei hoffen, dass er seinem Vater nicht zu oft unter die Augen treten musste, der würde sonst spielend merken, dass er nicht ausgeschlafen war. Captain Hikari hatte ein gutes Auge für solche tagesbedingten Schwächen, vor allem bei seinen Schützlingen. Letzte Woche erst hatte er einen Kollegen nach dem gemeinsamen Mittagessen wieder nachhause geschickt, weil dieser die ganze Nacht über seiner kleinen, kranken Tochter gewacht hatte und dementsprechend übermüdet gewesen war. Fireball konnte sich den Luxus nicht leisten, denn er hatte ohne plausiblen Grund durchgemacht.

„Hey, Kurzer! Was ist mit einem guten Morgen für deinen Captain?“, Shinji lehnte sich zu Fireball hinüber und hielt ihm die offene Hand vor Augen. Er saß schon geraume Zeit direkt vor dem jungen Spund, bisher hatte der aber noch keine Reaktion auf ihn gezeigt. Aufmerksam musterte er den kurzgeratenen Japaner. Puh, der war wohl wirklich spät erst aus dem Diablo rausgekommen. Der Captain konnte nicht anders, irgendwie fand er das zum Schießen komisch. Als Fireball endlich zu ihm aufsah, lachte er: „Du hast die Nacht zum Tag gemacht, Kurzer.“

Der Rennfahrer gähnte verstohlen und brummte lediglich: „Hm…“, bevor er wieder nach der Kaffeetasse langte. Es ging ihm nicht wirklich schlecht, womit er eigentlich nach dem dritten Bier schon gerechnet hatte, aber er war hundemüde und von einem klaren Gedanken war er an diesem Tag noch meilenweit entfernt. Für ihn galt es immer noch die Nachwehen seines gestrigen Ausflugs mit seinem Vater zu verdauen.

Shinji grinste vor sich hin. Ihr Neuzugang war total blau. Wann er selbst das letzte Mal so aus der Wäsche geschaut hatte, wusste er zwar nicht mehr so genau, aber so wortkarg wie der Kurze war er dann auch gewesen. Dem hatte das Feierabendbierchen am Vorabend wohl zu gut geschmeckt. Shinji angelte nach einer ungebrauchten Tasse, die neben der Kaffeekanne auf dem Tisch stand und schenkte sich Kaffee ein. Dienstbeginn war erst in einer guten halben Stunde, niemand würde ihm böse sein, wenn er die restliche dienstfreie Zeit mit ihrem Neuzugang verbrachte. Lächelnd fragte er nach: „Hat gestern wohl länger gedauert, wie ich sehe, Kurzer. Wie viele Bier hattest du denn?“

„Eins, oder zwei. Irgend sowas in der Größenordnung.“, versuchte Fireball sich nicht gleich in die Karten schauen zu lassen. Sein Vater würde ihn eigenhändig durch den Fleischwolf drehen, wenn er sich sofort geständig zeigte. Der Japaner hatte darauf allerdings nicht wirklich Lust. Bisher hatte er seinen Vater noch nicht einmal angesehen. Es fiel ihm an diesem Morgen schwer. Aber nicht etwa, weil ihm so übel war, sondern nur, weil er vermeiden wollte, dass der Captain in seinen Augen die ganze bittere Geschichte lesen konnte.

Shinji schluckte das braune Getränk hinunter und musste sich zusammenreißen, damit er nicht in schallendes Gelächter ausbrach. Meine Güte, das Lügen hatte der Naseweis auch nicht erfunden. Aber gerade das fand er an diesem Morgen zum Schießen komisch. Shinji hatte ewig lange wach neben seiner Frau im Bett gelegen und sich den Kopf zerbrochen. Nur hatte das, wie immer eigentlich, genau gar nichts geholfen. Irgendwie befreite es ihn zu sehen, dass der Kleine da nicht besser dran gewesen war. Nur im Vergleich zu ihrem Neuzugang sah Shinji taufrisch aus. Er lachte: „Plusminus zwei.“

Fireball verzog das Gesicht und antwortete: „Daumen mal pi halt.“

Er fuhr sich über die Augen, die an diesem Morgen noch kleiner waren als sonst. Fireball war nicht übertrieben gesprächig, das lag zum einen an der letzten Nacht und zum anderen an der Tatsache, dass er nicht reden wollte. Nicht mit seinem Vater. Der Rennfahrer wollte um jeden Preis verhindern, sich mit seinem Vater anzufreunden.

„Ja, klar!“, der Captain amüsierte sich köstlich. Sein Grinsen wurde mit jeder Antwort von Fireball breiter. Der Kleine hatte sich zugeschüttet und jetzt war er total verkatert. Shinji hätte ihn niemals schimpfen können, auch, wenn er das unbedingt hätte machen müssen. Ganz eindeutig hatte er den jungen Hüpfer vor sich am letzten Abend vor eine Denkaufgabe gestellt, der er sich nicht hatte stellen wollen. Bei ihm endete es ebenfalls mit einem Bier zuviel. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass er dann noch mit seiner Frau darüber redete. Naja, meistens jedenfalls. Letzeres hatte Shinji ja am Vorabend ausgelassen, weil er Ai nicht beunruhigen wollte. Er horchte Fireball weiter aus: „Und wie spät ist es geworden, Kurzer? Oder weißt du das gar nicht mehr?“

Fireball stützte den Kopf auf die rechte Hand. Wär er doch bloß gar nicht nachhause gegangen. Sein Blick haftete an seiner Tasse, die schon ordentlich Gebrauchsspuren aufwies. Weißes Porzellan war undankbar in einer Kantine. Der ansonsten quirlige Pilot brummte: „Irgendwann nach eins bin ich dann heim.“

Wow. Shinji musterte den kleinen Japaner wieder. War der etwa so zerknirscht, weil es bei ihm zuhause dann noch richtig rundgegangen war? Der Captain bemerkte, dass er eigentlich gar nichts über dessen Wohnsituation wusste. Klar war lediglich, dass er nicht bei seinen Eltern wohnte, denn die lebten in Tokio, von wo der Kurze ursprünglich herkam. Er traute es Fireball nicht zu, dass er alleine lebte, dazu war der Zwerg nicht der Typ. Das Grinsen wurde wieder ein Stückchen breiter, als er zu einer durchaus plausiblen Alternative gelangte. Das hatte zuhause noch Zoff gegeben. Oh Mann, da dürfte der Kleine von seiner Freundin ordentlich was zu hören bekommen haben, so betreten, wie er guckte. Shinji brachte kaum unverfänglich hervor: „Was hat sie gesagt?“

„Wer hat was gesagt?“, Fireball kam gerade überhaupt nicht mit. Worauf wollte sein Vater hinaus? Jeder andere hätte schon vier Mal ein Donnerwetter zu hören bekommen, das sich gewaschen hatte und er wurde von seinem Vater immer noch angelacht. Fireball sah endlich zu ihm auf. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände.

Shinji erheiterte das alles ungemein. Da hing der Haussegen extrem schief. Während er seine Kaffeetasse verrutschte, kicherte der Befehlshaber der Air Strike Base 1: „Na, wer wohl? Deine Herzallerliebste! Hat sie dich auf die Couch ausquartiert?“

„Was?“, Fireball zog die Augenbrauen bedenklich zusammen. Im nächsten Moment allerdings fragte er sich, ob er die Geschehnisse vom Vorabend wirklich so sehr zur Schau trug. Fireball war, nachdem April in ihr Zimmer gegangen war, wieder in den Kontrollraum geschlichen. Statt sich in seine Satteleinheit zu setzen und die aufgehende Sonne zu beobachten, war er neben Aprils stehen geblieben und hatte gedankenverloren auf den leeren Platz geschaut. Hatte sie ihn zuerst so nahe an sich rangelassen, damit sie ihm mit ihrer Zurückweisung dann eins auswischen konnte? Fireball waren allerhand solche Ideen gekommen, aber keine schien ihm annähernd erklären zu können, was in der Küche passiert war. Jedes Mal, wenn er seine Augen geschlossen hatte, hatte er ihre Navigatorin vor sich gesehen, ihre Lippen geschmeckt. Sie war seine Traumfrau, das war sie vom ersten Augenblick an gewesen, aber erstens waren sie Kollegen und zweitens sollte er momentan andere Sorgen haben, als sein verrücktspielendes Herz.

Fireball sah den Captain lange an. Wenn er nicht aufpasste, hatte diese Unterhaltung nur ein einziges Ziel verfolgt und das auch noch erreicht. Der Rennfahrer schluckte hart und wandte den Blick von seinem Vater ab. Er vertraute seiner älteren Ausgabe, fühlte sich im Großen und Ganzen gut bei seinem Vater aufgehoben. Und genau das war es, was er nicht hatte zulassen dürfen. Wenn er nun auch noch mit ihm über ein so heikles Thema wie Frauen sprach, hatte Fireball verloren.

Shinji hielt seine Tasse fest und lachte gerade heraus: „Sie hat dich auf die Couch verbannt, aber hallo!“

Das gefiel ihm. Fireball war von seiner Freundin hundertprozentig aus dem gemeinsamen Schlafzimmer verwiesen worden. Der Frechdachs hatte bei ihr nicht so viel zu melden, wie anderswo. Shinji lachte fröhlich auf. Oh wow, da hatte der Blitz gewaltig eingeschlagen und ein Feuer entzündet, das sich so schnell nicht löschen ließ. Das sah er dem Jungen an. Der war Hals über Kopf in seine Freundin verliebt, er konnte es in den dunklen Augen deutlich ablesen. Shinji erkannte darin das Feuer und die Leidenschaft, aber auch die Liebe, die der Hitzkopf empfand. Es erinnerte ihn sehr an ihn. Shinji war selbst in dem Alter gewesen, als er sich in Ai verliebt hatte. Shinji hatte sich selbst noch nicht gefunden, als ihm Ai über den Weg gelaufen war. Sie hatte Seiten von ihm nach außen gekehrt, von denen er nie für möglich gehalten hätte, dass er sie besaß. Ai hatte seine Mauer zum Einsturz gebracht, die er, wie sein Gegenüber, ständig um sich aufgebaut hatte, nur damit ihm niemand etwas an haben konnte. Er hatte damals ewig gebraucht um ihr zu sagen, was er für sie fühlte. Aber seit dem waren sie unzertrennlich. Niemand hatte es mehr geschafft, sie auseinander zu reißen. Keine Arbeit, keine Freunde und schon gar keine fremden Menschen.

„Welche Couch zum Teufel?“, der junge Hikari brauste ungehalten auf. Er funkelte seinen Vater an. Doch gleich darauf schlug er seine Augen wieder nieder. Mit dieser Reaktion hatte er Captain Hikari das bestätigt, was er sich selbst nicht glauben wollte. Kleinlaut fügte er deswegen hinzu: „Ich habe mein eigenes Zimmer.“

Eigentlich hätte er jetzt auf den Tisch hauen müssen und den Jungen zurechtweisen, aber erstens unterhielten sie sich hier privat und zweitens hätte das sowieso nicht die gewünschte Reaktion hervorgerufen. Es wäre nicht glaubwürdig gewesen. Denn Captain Hikari hätte sich vor Lachen fast an seinem Kaffee verschluckt. Er hustete ein paar Mal, immer wieder lachte er dazwischen heiter auf. Als er sich endlich wieder soweit im Griff hatte um halbwegs ernst mit dem Kurzen reden zu können, hakte er interessiert nach: „Wieso getrennte Betten?“

Augenrollend antwortete Fireball: „Wieso nicht?“, da hatte er sich ordentlich was angefangen. Der Rennfahrer hatte seinem Vater an diesem Tag doch nicht einmal richtig unter die Augen treten wollen und nun saß er im wahrsten Sinne des Wortes beim Kaffeeklatsch mit ihm. Das konnte nur schief gehen.

Schelmisch grinste der Vater zu seinem Spross hinüber: „Lässt sie dich nicht unter ihre Bettdecke, oder traust du dich nicht, Kurzer?“

Der Captain blühte neben Fireball auf. Hatte er am Vorabend noch gedacht, aus dem Bengel war gar nichts rauszubekommen, so wurde er beim richtigen Thema eines Besseren belehrt. Der Kleine war zwar nach wie vor nicht gesprächig, dennoch konnte man gerade sehr viel von ihm in Erfahrung bringen. Ging es um dieses bestimmte Mädchen, das Fireball den Kopf verdreht hatte, sprach er nämlich eher mit dem Herzen als mit dem Verstand. Er verplapperte sich dauernd. Shinji zwinkerte zweideutig. Wie sehr er sich in Fireball gerade wieder erkennen konnte. Das war unglaublich. Und da behauptete Ai immer, es gäbe nur einen solchen Sturkopf im Universum wie ihn. Da sollte er sie bei Gelegenheit einfach mal berichtigen, wie er festhielt. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt nun allerdings wieder dem Naturtalent, den er mit seiner frechen Aussage gereizt hatte.

Fireball brummte. Langsam kam er sich wie ein großer Teddy vor. Seine braunen Augen huschten über den Raum und blieben kurz an seinem Vater hängen. Der hatte doch keine Ahnung! Aber wie sollte er auch? Shinji konnte nicht wissen, dass Fireball die Gefühle für April völlig fremd waren und er sie nicht aussprechen konnte. Er hatte ihr zeigen wollen, was er für sie empfand, doch das war ihr zu weit gegangen. Also so gesehen ließ April ihn nicht unter die Bettdecke, getraut hätte er sich schon.

Dem erfahrenen Piloten saß an diesem Vormittag der Schalk im Nacken und sprang ihm bei jeder Gelegenheit über die Schulter. Shinji schoss gut gelaunt hervor: „Wozu denn auch? Geht doch auf dem Küchentisch genauso.“

Kaum hatte Shinji das mit einem schelmischen und durchtriebenen Grinsen ausgesprochen, hatte es auch schon gescheppert. Jetzt konnte sich Shinji erst recht nicht mehr zusammenreißen. Er hielt sich mit einer Hand an der Tischkante fest und beugte sich mit dem gesamten Oberkörper unter selbigen. Der junge Pilot hatte es nämlich vorgezogen, vor Schrecken unter den Tisch zu purzeln und dort erst mal Glühwürmchen zu spielen. Au Backe, da hatte er aber voll ins Schwarze getroffen. Lachend beobachtete der Japaner, wie sich Fireball wieder aufrappelte und sich um Fassung bemüht wieder an den Tisch setzte. Dem kleinen Piloten schien das alles höchst unangenehm zu sein, der leuchtete schlimmer als der Tower in der Nacht. Shinji biss sich auf die Lippen und zwang sich, an irgendwas Ernstes zu denken, sonst hätte er die ganze Offiziersmesse vor Lachen zusammengetrommelt. Das war gemein gewesen, aber trotzdem amüsierte sich Shinji köstlich. Dass er das noch erleben durfte. Der kleine Hüpfer war total verknallt und gleichzeitig ein Unschuldslämmchen, wie es im Buche stand.

Nach einigen tiefen Atemzügen rang sich Shinji zu einem weiteren Statement durch. Allerdings vergewisserte er sich erst, dass sein Gegenüber auch wieder fest im Sattel saß. Nicht, dass er beim nächsten Mal noch den Tisch mit abräumte. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck versuchte er zu erklären: „Dir hat wohl niemand gesagt, dass es Dinge zwischen Mann und Frau gibt, für die man sich nicht schämen muss.“

Innerlich lachte der Captain bereits Tränen über das Gespräch. So ein Frühstück ließ er sich eingehen. Hätte er allerdings geahnt, was er mit seinem losen Mundwerk und seiner sagenhaften Trefferquote beim Raten anrichtete, er hätte sich den Mund zugeklebt.

Fireball hätte fast den Tisch mit abgeräumt, als sein Vater den Spruch mit dem Küchentisch abgelassen hatte. Also, entweder hatte er das in Druckbuchstaben auf die Stirn tätowiert, oder es war in der morgendlichen Yuma Post gestanden. Woher sonst hätte der Captain das wissen können? Der Rennfahrer machte seinem roten Shirt, das er momentan nur noch in der Freizeit trug, alle Ehre. Die Ohren glühten und Fireball hatte das Gefühl, wenn er nun einen Schluck Wasser trank, würde der auf seiner Zunge verdampfen, so heiß war ihm gerade geworden. Ohne die Hilfe seines Vaters hatte er sich wieder an seinen Platz gesetzt und kaum hatte er sich wieder halbwegs gefangen, kam schon der nächste Querschläger auf ihn zugeschossen. Sein Dad hatte es faustdick hinter den Ohren. Resultat nun war allerdings, dass der quirlige Pilot, der ohnehin nicht zum Quatschen aufgelegt gewesen war, auch noch seine Frohnatur verlor. Verstimmt funkelte er seinen Vater an: „Das übernimmt normalerweise der Vater.“

Verwundert, vor allem aber wieder mit dem nötigen Ernst, hakte der Captain nach. Das hatte nicht weltbewegend geklungen. War das das mit sieben Siegeln verschlossene Buch, das Shinji öffnen musste, um mit dem Jungen Blutsbande zu schließen? Shinji sah in diesem Moment nicht nur seine Chance gekommen, Fireball besser kennen zu lernen, sondern auch, ihm ein Freund zu sein. Bisher hatte der Kurze davon nicht allzu viel gehalten. Aber alle brauchten Freunde, auch ein selbständiger Krümel wie der Japaner vor ihm. Vorsichtig fragte Shinji nach: „Hat er nicht?“

„Nein, weil abwesend.“, kam die knappe Antwort von Fireball. Dabei schloss er seine Hände um die Kaffeetasse, die sich schon zum wiederholten Male an diesem Vormittag geleert hatte. Fireball kam es so vor, als müsste er es noch genauer erklären, er hörte die nachbohrende Frage im Raum, auch wenn sein Vater ihn nur verständnisvoll ansah. So murmelte der junge Japaner deprimiert: „Und abwesend, weil tot.“

Da hatte er einen ordentlichen Fettnapf erwischt. Shinjis Lächeln war nun endgültig verschwunden. War das etwa der Grund weshalb der junge Spund am Vorabend deprimiert jeden weiteren Kommentar verweigert hatte? Der erfahrene Pilot konzentrierte sich auf seine nächsten Worte. Das Thema war auch ohne gemeine Sticheleien heikel und so verschlossen, wie der Japaner ohnehin schon war, wollte er nicht riskieren, dass der sich im Schneckenhaus verkroch und gar nicht mehr aus sich heraus ging. Shinji kratzte sich verlegen am Hinterkopf, als er versuchte, die richtigen Worte zu finden: „Das...“, es fiel sehr schwer, denn er konnte niemals das richtige sagen: „Tut mir leid für dich, Kurzer.“

Der Rennfahrer drehte und wendete seine Tasse auf dem Tisch, mit einer Hand hatte er den Kopf abgestützt und linste betreten auf den Tisch hinunter. Er war vorhin schon nicht gesprächig und übertrieben gut gelaunt gewesen. Mit jedem Wort von seinem Vater wurde es grade nur noch schlimmer. Wieder hörte er seinen alten Herren sagen ‚Du wirst nicht alt‘. Für einen kurzen Moment hob er den Kopf und musterte seinen Vater. So alt wie er wurde er alle mal noch! Trotzig flammte dieser Gedanke in Fireball auf. Aber was würde es helfen? Nichts würde es helfen, weil sich sein Vater nichts sagen ließ und weil er nichts sagen durfte. Fireball krallte seine Finger in die Wange. Er hatte hier und jetzt die Chance, das Leben seines Vaters und vieler anderer zu retten, aber er durfte einfach nicht! Langsam aber sicher begann sich Ramrods Pilot mitschuldig am Tod dieser Helden zu fühlen. So ein Schwachsinn aber auch. Er war erst nach dem Ausbruch des Krieges geboren worden, rein praktisch gesehen konnte er schon nicht schuld daran sein. Aber das seinem Gewissen zu erklären, würde länger dauern, als seinem Vater eine Spitzfindigkeit unter die Nase zu reiben: „Das soll vorkommen, wenn Väter nicht nachdenken, bevor sie losstürmen.“

Oh, Mann, da war der Zynismus zuhause. Shinji erkannte den Hüpfer beinahe nicht wieder. Der war doch sonst nie um einen Spruch verlegen und eigentlich immer nur am Lachen. Das hier war ihm gerade ganz fremd und ehrlich gestanden schürte es die Sorgen. Sorgen, von denen er bis vor zwei Minuten noch gedacht hatte, sie wären bloße Einbildung. Shinji rückte auf seinem Stuhl umher. Irgendwie musste er den Kurzen wieder aufmuntern können. Das konnte doch nicht so übertrieben schwer sein, zumindest hoffte der erfahrene Pilot das. Er wagte einen Vergleich: „Wenn du nur ein bisschen was von deinem Vater hast, dann bin ich mir sicher, dass er keine unüberlegten Sachen macht. Nicht, wenn es um etwas geht.“

Fireball schluckte schwer. Keine unüberlegten Sachen machen. Da war der Beweis. Der Captain kannte Fireball nicht. Denn wäre er nur annähernd in einer Position gewesen, wie Colt, Saber oder auch April, dann hätte er sich den Spruch eben verkniffen. Sogar er selbst wusste, dass er in brenzligen Momenten lieber losstürmte als über die Konsequenzen nachzudenken. Sein Vater, der ihm gegenüber saß, war da nicht so, zumindest nicht so extrem. Er war Captain einer Flugstaffel, konnte es sich nicht leisten, ohne nachzudenken Befehle zu geben. Shinji war ruhig und überlegt, zumindest was die Arbeit betraf. Da hatte der ältere Hikari die Ruhe weg. Gut, er konnte auch laut werden, aber niemals zu Unrecht. In der Hinsicht hatten sie nichts gemein. Fireball sah zu Shinji auf, als er murmelte: „Dann hab ich da wohl nichts von ihm abbekommen.“, kaum hatte er den Satz zu Ende gebracht, schlug er die Augen wieder nieder. Schade eigentlich. Ein bisschen mehr Disziplin würde ihm nicht schaden, das sah der Wirbelwind selbst ein.

„Glaub ich nicht. Das kann ich mir nicht vorstellen, Kurzer.“, garantiert hatte der junge Spund mehr von seinem Vater als von seiner Mutter. Shinji schmunzelte bei dem Gedanken daran, wie stolz sein Vater auf den Knirps da wäre, wenn er nur sehen könnte, was aus ihm geworden war. Shinji war nämlich heimlich auch stolz auf Fireball. Er hatte sich schnell hier zurechtgefunden, kannte die Regeln im Oberkommando bereits jetzt und brachte frischen Wind in die eingestaubte Staffel. Shinji sah an Fireball hinab. Der Junge hatte alles, was es brauchte, um seine Eltern stolz sein zu lassen. Ein wehmütiges Lächeln verdrängte das Schmunzeln. Ai und er hätten einem Kind wie Fireball sofort ein Zuhause gegeben. Er kam nicht umhin tiefes Mitgefühl für Fireball zu empfinden. Und da war noch etwas. Das Gefühl war Shinji völlig fremd, denn woher hätte er auch wissen sollen, wie sich Elternliebe zeigte. Wieder versuchte er, den Bengel aufzuheitern: „Deine Eltern können stolz auf dich sein. Egal, wie viel du von ihnen hast.“

„Sowas wird mein Vater nie erleben.“, dabei linste er zum Captain hinüber, nur um gleich darauf den Blick wieder betreten zu senken. Es war ganz einfach nicht fair, was gerade passierte. Fireball saß hier mit seinem Vater, der gestorben war noch bevor er erfahren hatte, dass Ai schwanger war. Er würde nie etwas von seinem Spross zu sehen bekommen. Fireball krallte seine Finger in seinen Wuschelkopf und kniff die Augen zusammen. Konnte das alles nicht bald ein Ende nehmen? Es setzte ihm zu. Die Worte seines Vaters machten es nur noch schlimmer, gerade weil er die Fürsorge heraushören konnte. Fürsorge, die Fireball nie von ihm erfahren würde.

Es war höchst beunruhigend, wie sich das Gespräch gerade entwickelt hatte. Von Katerstimmung beim Nachwuchstalent und Schadenfreude bei ihm, war nicht mehr viel geblieben. Genau genommen, gar nichts mehr. Shinji hatte, ohne es zu wissen, ein hochsensibles Thema angeschnitten. Die Auswirkungen waren gewaltig gewesen. Aber der Captain hatte auch noch etwas anderes bemerkt. Er hatte einen Zusammenhang zwischen dem Vorabend und den Worten, die bisher gefallen waren, herstellen können. Der Hund lag wirklich in der Familie des Kurzen begraben. Wenn er Fireball so betrachtete, bildete sich ein Knoten in seiner Fliegerbrust. Der Junge war ohne Vater aufgewachsen. Es machte ihm schwer zu schaffen. All das konnte man an Fireball sehen, das was man allerdings von ihm hören konnte, ergab nicht viel Sinn. Irritiert hakte er nach: „Wird?“, da musste er sich versprochen haben. Aufbauend versuchte er, die Unterhaltung vom Tisch zu bekommen, bevor da noch mehr verging, als nur das Lachen: „Ach, Kurzer, jetzt mach dir keinen Kopf wegen sowas. Wenn du mich fragst, sind andere Sachen grad wichtiger.“

„Väter sind wichtig.“, widersprach Fireball mutlos. Eine Mischung aus allen möglichen Gefühlen stieg in ihm auf. Sein Vater, der Captain, der vor ihm saß, hatte nicht nur sein Leben leichtsinnig in einem Kampf, der nicht zu gewinnen gewesen war, aufs Spiel gesetzt, sondern auch Ai zurückgelassen. Shinji hatte seine Frau einfach im Stich gelassen, als sie ihn gebraucht hätte. Gut, das gestand Fireball ihm im gleichen Atemzug zu, er hatte nicht gewusst, dass Ai ein Kind erwartete, aber es war dennoch kein Grund für dieses Kamikazemanöver gegen Nemesis. Ai hatte sich nach dem Tod seines Vaters um hundertachtzig Grad gedreht. Aus einer lebensfrohen Frau war ein Mensch geworden, der zurückgezogen lebte und niemanden mehr zu nahe an sich heran ließ. Das stieß Fireball bitter auf. Er schluckt hart: „Und dass sie sich um ihre Frauen kümmern, anstatt Risiken einzugehen.“ An dieser Stelle musste Fireball die Unterhaltung abbrechen. Er konnte seinem Vater nicht mehr in die Augen sehen, er konnte ihn überhaupt nicht mehr ansehen, oder ihn in seiner Nähe spüren. Deshalb stand er auf und ging an ihm vorbei: „Entschuldigen Sie mich.“

Shinji schob seinen Stuhl zurück und stand ebenfalls auf. Der Schmerz in der Stimme des Jungen war zu deutlich gewesen, seine Reaktion darauf nur zu verständlich. Aber Shinji konnte ihn so nicht einfach gehen lassen. Er legte ihm seine Hand auf die Schulter und sah ihm dabei ins Gesicht: „Hey…“

Seine Stimme war sanft und warm. Sie war die eines Vaters. Als Shinji das bemerkte, erschrak er einen Augenblick. Weshalb fühlte es sich plötzlich so seltsam an? Weshalb hatte er das Gefühl, dem Jungen nicht nur ein Freund, sondern ein Vater sein zu müssen? Es zu wollen? Shinji schluckte kurz. Er strich ihm über die Schulter und versuchte, Fireball zu beschwichtigen: „Es war bestimmt wichtig, Kurzer. Sonst hätte er dich und deine Mutter nicht allein gelassen. Wer würde denn so ein Unikat wie dich nicht aufwachsen sehen wollen?“

Shinji war sich ganz sicher. Fireballs Vater musste einen guten Grund gehabt haben, um seine Familie im Stich zu lassen. Vielleicht hatte er es sogar getan, um seine Familie zu beschützen. Ganz eindeutig aber war das der falsche Weg gewesen. Shinji selbst würde so etwas niemals tun. Nein, ein kleines Kind und seine Mutter war nichts auf dieser Welt wert, dass man sie zurücklassen würde.“

‚Du‘, es nicht aussprechen zu können, erstickte Fireball beinahe. Das war viel zu viel für ihn. Angriff und Verteidigung waren gerade nicht das, was Fireball konnte, deshalb zog er den Rückzug vor. Egal, was sein Vater noch sagen konnte, er würde ihm damit weder etwas Gutes tun noch ihn wieder aufheitern oder ihn trösten. Der Captain würde es nur noch schlimmer machen. Fireball war nie zuvor so mit seiner Familiengeschichte konfrontiert worden. Jarred und Charles hatten wenn, dann überhaupt nur Positives erzählt und seine Mutter hatte ihm ohnehin immer nur einen Spiegel vors Gesicht gehalten. Mittlerweile war der Spiegel gar nicht mehr nötig. Ohne zu seinem Vater aufzusehen, streifte er dessen Hand von seiner Schulter und setzte sich in Bewegung. Er musste raus, er musste weg von seinem Vater. Ging er bis zum Ausgang noch, so wurde er hinter der Tür schon schneller, bis er schließlich lief. Fireball lief so weit weg er nur konnte.

Mit der Reaktion hatte er nun absolut nichts anfangen können. Shinji stand vollkommen verdattert neben dem Frühstückstisch und sah dem Landsmann nach. Was hatte er da nur angerichtet. Besorgt rief er hinter dem Bengel her: „Shinichi?“

Keine Reaktion. Shinji kam nicht einmal mehr einen Blick von Fireball zugeworfen. Ehrlich unschlüssig blieb der Captain am Tisch zurück. Das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Was hatte er nur getan? Shinji ging einen Schritt nach vor. Sollte er hinter dem Jungen her? Sein Kopf riet ihm dazu, ihn in Ruhe zu lassen, denn offenbar war alles, was er im Bezug auf dessen Vater gesagt hatte, falsch gewesen. Aber sein Herz zwang ihn förmlich dazu, gerade jetzt für den blutjungen Piloten da zu sein. Noch ein Schritt. Der Knirps brauchte ganz dringend jemanden, der nun für ihn da war, denn dessen Familiengeschichte schien ihn enorm zu belasten. Ehe es sich Shinji versah, eilte er auch schon hinter dem Spross hinterher ins Freie. Wo war er hin? Shinji entdeckte Fireball im Freien nicht sofort, er fiel ihm nur auf, weil er der einzige war, der lief. Und der Kurze war verdammt flink auf den Beinen. Shinji klemmte sich sofort dahinter und hoffte, den Jungen noch einholen zu können. Wo lief Shinichi überhaupt hin? Er verfolgte den kleinen Japaner quer über den Innenhof, vorbei an verdatterten und verwirrten Kollegen, bis in den hintersten Winkel der Anlage. Jetzt oder nie! Shinji musste ihn hier noch erwischen, sonst wäre Fireball über alle Berge davon.

„Hey!“, Shinji bekam Fireball an der Schulter zu fassen. Er stoppte den Rennfahrer und sich. Völlig außer Atem, aber verdammt besorgt sprach er ihn wieder an: „Hey... Wart, bleib stehen, Kurzer. Das…“, er wusste wieder nicht, was er sagen sollte. Shinji sah in die braunen Augen seines Gegenübers. Was hatte er mit seinen Worten bloß für einen Schaden angerichtet? „Es ist bestimmt nicht leicht, das weiß ich. Und deswegen... Lass uns jetzt darüber reden.“

Warum nur durfte er im Moment nicht mit seinem Kummer alleine sein? Fireball war quer über den Hof gelaufen, hatte dabei weder auf Offiziere noch sonst jemanden geachtet, weil er ohnehin nicht viel gesehen hatte. Mit Tränen in den Augen hatte er von dieser Situation Reißaus genommen und versucht, nur noch weg von seinem Vater zu kommen. Als dieser ihn zum Stehenbleiben gebracht hatte, hatte sich Fireball sofort mit beiden Händen übers Gesicht gewischt. Niemand musste sehen, wie er sich im Moment fühlte. Ganz besonders seinen Vater ging es nichts an! Der junge Shinji schüttelte heftig den Kopf. Er wollte nicht reden. Er konnte nicht! Wieder riss er sich von seinem Captain, von seinem Paten, von seinem Dad los. Fireball wollte nur noch weg von ihm.

Shinji ließ sich nicht so einfach abschütteln. Hier ging es um zu viel. Der Pilot hatte ein ganz ungutes Gefühl. Seine Besorgnis spiegelte sich eins zu eins in seiner Stimme wider. Wieder nahm er Fireball an der Schulter, dieses Mal mit beiden Händen und zwang ihn, zumindest stehen zu bleiben. Dass dieser den Kopf hängen ließ und dabei wirkte, wie ein todunglückliches Kind, schnürte dem Captain beinahe die Luft ab. Fireballs Haltung machte es ihm schier unmöglich, nicht gleich mit in diese Stimmung zu verfallen. Er versuchte offen, ihm zu helfen: „Wir hier sind Freunde, wir sind eine Familie. Rede dir von der Seele, was dich mürbe macht. Es ist nicht gut, es ist einfach nicht gut, wenn du dich so durchs Leben schlagen versuchst“

„Genau das ist das Problem!“, mit funkelnden Augen blitzte Fireball seinen Vater an. Mit aller Kraft riss er sich von seinem älteren Pendant los, stieß ihn dabei beinahe um. Fireball konnte keine Sekunde länger die Nähe seines Vaters ertragen. Er starb dabei beinahe, sah dieser Sturkopf das nicht ein?! Er ging an ihm vorbei und feindete ihn an: „Lass mich in Ruhe!“

Dass weder der Ton noch die Anrede die passende waren, fiel weder Vater noch Sohn auf. Während Fireball an Shinji vorbei ging, musste der Vater mit ansehen, wie Wut, Zorn und Kummer eine Mischung heraufbeschworen, die es einem unmöglich machten, zu helfen. Fireball ließ sich nicht helfen, wollte nicht reden. Der sture Bock war schlimmer als alles bisher Dagewesene! Shinji wollte ihn ziehen lassen, aber das konnte er nicht. Leise und sorgenvoll, sprach er ihn wieder an: „Kurzer...“, der Captain klang beinahe flehentlich. Seine Sorgen nahmen noch eine Spur zu, weil der Junge nicht mehr auf ihn hören wollte. Er murmelte: „Bleib bitte da.“

Shinji sah Fireball nach. Nein, das konnte einfach nicht gut sein, was der Kurze da machte. Es schlug sich doch auf alle Lebensbereiche nieder. Fireball lebte mit einer großen Lücke in seinem Leben, war aber nicht fähig, diese Lücke selbständig zu schließen. Wie denn auch? Er konnte sich den Vater schlecht ersetzen. Aber Shinji konnte das. Zumindest konnte er es versuchen. Der Captain schloss einen Moment die Augen. Wie brachte er ihn nur dazu, mit ihm zu reden? Als er die Augen wieder öffnete, hatte er nur eine brauchbare Idee zur Hand. Und die war ihm eingefallen, weil er es nicht besser wusste. Er bezog den risikoreichen Flugstil seines Schützlings mit ein: „Willst du deswegen frühzeitig unter die Erde?“

Fireball wehrte sich mit Händen und Füßen gegen das, was gerade ablief. Aber es half ihm nichts. Die Worte seiner Mutter kamen ihm in den Sinn, nun dieser unsinnige und böse Kommentar seines Vaters. Er mochte ihm ähnlich sehen, ja, aber er war nicht sein Vater! Kraftlos versuchte Fireball auch den Captain davon zu überzeugen: „Nein, ich bin nicht wie du.“

Ohne sich umzusehen hatte er ihm das gesagt. Fireball spürte die Tränen in den Augen. Dass er sich mit diesem Gespräch bei seinem Vater mehr als nur verraten haben könnte, spielte gerade keine Rolle. Ihm blutete das Herz und er fühlte sich, als würde er mit jedem Atemzug ein bisschen mehr sterben müssen. Da war ihm gerade herzlich egal, wie er seine Zukunft verändern konnte. Seine Vergangenheit änderte sich jedenfalls nicht! Er würde ohne Vater aufwachsen, nie in den Genuss kommen, mit seinem Vater zusammen zu arbeiten oder einfach nur rumzualbern. Er verschwand in Richtung Hangar.

Der Captain sackte indes in den Staub und sah seinem Spross mit aufgerissenen Augen nach. Er verstand gar nichts, wusste nur, dass etwas entsetzlich schief gelaufen sein musste.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Misano
2009-04-22T15:15:56+00:00 22.04.2009 17:15
Also meine Liebe,
Du bist Schuld, dass ich heute Morgen beinah zu spät zur Arbeit gekommen wäre!!!
Was meine Vorgänger(innen) alles geschrieben haben, dem kann ich mich voll und ganz anschließen. Ich hab dieses Kapitel gestern ausgedruckt und heute beim Frühstück gelesen. Und mich so darin versunken, dass ich erst auf den allerletzten Drücker gemerkt hab, dass schon halb war.

Ganz großes Kino!!!
Von:  Miss
2009-04-20T02:47:09+00:00 20.04.2009 04:47
Ich bin schwer beeindruckt von diesem Kapitel. Mir fehlen echt die Worte. So viel Gefühl... Drama pur... Mir standen auch die Tränen in den Augen!

Schreib weiter... Du hast Talent!

LG
Von: abgemeldet
2009-04-19T21:53:06+00:00 19.04.2009 23:53
Hi Süße!

Da ich den neues Kapitel auch gelesen habe, muss ich sagen, ich bin baff!
Ganz besonders die letzten Seiten.
So viel Drama und Gefühl, dass mir die Tränen in den Augen standen *schwör*
Es war einfach herzzereisend.
Fire kann einem nur leid tun.
Ich hoffe, es geht bald bergauf, denn wenn noch mehr davon kommt, brechen bei mir alle Dämme^^

*knuddels*

Turbo
Von:  Sannyerd
2009-04-19T20:34:16+00:00 19.04.2009 22:34
wow, was für ein Kapitel,ich bin voll fertig...*puh* die letzte Szene hatte ich vor Augen NEIN ich war dabei, Hilfe ein Drama, ich habe geheult...

Wahnsinn was du schreibst wie du es schreibst...so lebendig
Ich bin so gespannt wie es weiter geht..das ist ja besser als Fernsehn..nee HAMMER


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