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Spiegelgeschichte

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Spiegelgeschichte- Dr.Jekyll & Mr. Hyde
 

Die Stille hatte sich über Dr. Henry Jekylls Labor gelegt, gesellte sich zur Dunkelheit, die nur schwach von einigen tropfenden Kerzen und flimmernden Öllampen durchbrochen wurde.

Ein schwacher Lufthauch fand seinen Weg durch das hoch gelegene Fenster und ließ die spärlichen Flammen der Lichtspender seltsame Fratzen an die Wände malen, die dem, auf einem Hocker kauernden, Wissenschaftler gehässige Blicke zuwarfen.

Noch immer klebte das Blut an seinem Hemd, hatte hässliche, dunkle Flecke hinterlassen und diese nicht nur auf dem Stoff des Kleidungsstückes.

Jekyll verdeckte das Gesicht und noch immer roch er das längst abgewaschene Blut an seinen Händen, spürte noch immer, wie es verkrustet an ihm haftete. Zittrig wandte er den Kopf, blickte auf das Leinentuch, welches den mannshohen Spiegel verdeckte.

Auch dort hatten die Schattenfratzen ihren Platz gefunden und die Gehässigkeit ihrer Blicke schien durchdringender geworden zu sein.
 

Der Doktor richtete sich auf, die Dielen unter seinen Füßen begannen zu klagen, doch dem schenkte er keinerlei Beachtung. Stattdessen schleppte er sich schwerfällig vor den verdeckten Spiegel, nahm den Fratzen ihre Lebensquelle und gab der Dunkelheit einen Teil zurück. Den Kopf gesenkt stand er vor dem verdeckten Gegenstand und krallte seine kalten Finger in den robusten Stoff.

"Es darf niemand erfahren...niemand.", leise nuschelnd packte er fester zu, sodass bereits das Weiß seiner Knöchel hervortrat und er einen dumpfen Schmerz in seinen Fingerspitzen spürte.

Wieder sprach er leise gegen das Leinentuch vor ihm:

"Der Schleier des Verderbens, er liegt auf allem was mir leuchtete als Licht. Niemals darf es jemand erfahren. Nie darf dieses Trauerspiel ans Tageslicht gelangen und Edward Hydes Name nie mehr erklingen!"

So legte Dr. Jekyll seinerseits nun einen hauchdünnen Schleier des Vergessens über sein Spiegelbild, strich ihn glatt und kehrte seinem zweiten versteckten Ich den Rücken zu.

Er machte einen Schritt zur Seite, ermöglichte so den Fratzen die Rückkehr und ließ das Jammern der Dielen erneut erklingen.

Schwerfällig ließ er sich wieder auf den knarrenden Schemel nieder.

Er bemerkte nicht, wie sich das Leinentuch verselbständigte, wie es an der glatten Oberfläche hinunter rutschte. Er sah nicht, wie ihm sein anderes ich bitterböse entgegen lächelte und sah auch nicht, wie es die Hand hob nur um sie ihm entgegen zu strecken.

"Glaubst du denn wirklich, Jekyll, dass du mich so einfach wieder los wirst?", der Spott in Edward Hydes Stimme ließ die Glasscheibe vibrieren.

Jekyll indes wandte sich um und ermöglichte Hyde einen Blick auf sein vor Schrecken verzerrtes Gesicht. Er erkannte das Böse seines anderen Ichs, sah die Wut, die in seinem Lächeln steckte und erkannte die Gefahr, die aus seinen Augen sprach.

"Sprich, Henry Jekyll! Denkst du, du kannst mir jemals entkommen, denkst du, du kannst mich einfach zurück lassen?! Ha! Niemals werde ich das zulassen, mein liebster, mein teuerster Freund!"
 

Die Selbstgefälligkeit Hydes schaffte es Henry aus seinem Schockzustand zu befreien, jedoch löste es auch eine unglaubliche Wut in ihm aus.

Erneut richtete er sich auf, doch dieses mal war es kein Jammern, welches die Dielen unter ihm von sich gaben, es war ein Knarren, welches ihm Beistand leistete.

Seinen ganzen Körper angespannt stand Jekyll nun vor dem Spiegel und betrachtete den Mann, der ihm entgegen blickte.

Seine Erscheinung war furchteinflössend. Jedoch lag es nicht etwa an einer überragenden Körpergröße oder etwa an irgendeiner Abartigkeit seines Äußeren, im Gegenteil, äußerlich war Edward Hyde durch und durch ein Gentleman, wie es auch Dr. Jekyll war. Doch die Haltung dieses Mannes, der Ausdruck in seinem Gesicht, das Blitzen in seinen Augen verrat die Abgründe die sich in seinem Innersten auftaten. Sie verraten das Böse, welches in jeder seiner Poren lauerte und weckten in jedem halbwegs intelligenten Wesen den Überlebensinstinkt, der ihm riet: "Lauf!".

Und wieder einmal wurde Jekyll bewusst, wie tief Hydes Abgründe waren, wie verdorben er war, wie misslungen alles war, insbesondere sein Experiment.

Sein Lebensinhalt war an dem Felsen der Wahnsinns zerschellt und aus den Scherben der Trauer und der Enttäuschung hatte sich etwas zusammengesetzt, das niemals hätte sein dürfen.

Jedoch wusste Dr Jekyll auch, dass er es aufhalten konnte. Jedenfalls hoffte er es.
 

"Du...! Du bist nichts ohne mich! Dich gibt es nur, weil ich es zugelassen habe. Und weil ich es will, wird es dich nicht mehr geben! Denn du, werter Edward, bist nichts weiter als ein verzerrtes Bildnis in einem verdreckten Spiegel!"

Mit bebender Hand deutete er auf den Mann hinter dem Spiegel, der immer noch selbstgefällig dreinschaute und verächtlich auflachte als er Jekylls Worte vernahm.

"Ich bin viel mehr als das, denkst du nicht auch?", er lachte leise auf und blickte vielsagend auf das dunkle Rot, dass auf Jekylls Hemd haftete.

"Weißt du, was ich bin, Henry? Weißt du es?"

Langsam bewegte sich Hyde auf Jekyll zu, durchschritt das dünne Glas des Wahnsinns um in das Hier und Jetzt zu gelangen.

"Sag mir, Henry, ahnst du, wieso ich hier bin? Ahnst du, wie ich hier sein kann?"

Jekyll schwankte in seiner Standfestigkeit, trat einige Schritte zurück und stützte sich haltsuchend an dem Labortisch hinter sich ab. Die gläsernen Gerätschaften erzitterten leise, als sich in ihnen das Bildnis zweier Männer schwach wiederspiegelte.

"Du bist das Ende eines Albtraums, eine sterbende Illusion, das missglückte Ende eines vielversprechenden Experiments!"

Das dunkle Lachen Hydes schallte von allen Wänden wieder, forderte die Schattefratzen zu einem grausamen Tanz auf.

"Oh, mein Lieber Doktor, dieser Albtraum ist unendlich lang. Du wirst dich winden, wirst versuchen deine verschwitzte, blutige Decke von dir zu strampeln, doch ich werde dich in der Hand haben. Ich werde da sein, wie die bösen Monster unter dem Bett vieler kleiner Kinder, ich werde für dich zur Realität. Du wirst sehen, denn egal wo du sein wirst, ich bleibe bei dir. Ich werde dich einzäunen, dir jede Fluchtmöglichkeit nehmen bis...", er war immer näher gekommen, so nah, dass Jekyll Hydes Atem auf seiner Haut spüren konnte,"...bis du einsieht, dass dein Schmerz mich nährt, dass jede deiner Niederlagen mich stärkt, dass jede kleine Enttäuschung mir ermöglicht mich zu befreien."

Hyde schnalzte auf, schuf mit einigen kleinen Schritten wieder Abstand zuwischen sich und Jekyll und blickte ihn durchdringend an, sah in ihn hinein und erkannte das Zittern, dass er tief in sich versteckte. Dennoch blieb Henry stark und erhielt die Fassade aus Standfestigkeit und Überlegenheit.

"Jedoch übersiehst du eine Kleinigkeit, Hyde. Ich kann ohne dich leben, doch du, du schwimmst ohne mich im Nichts."

"Du unterschätzt mich Jekyll.", wieder setzte sich Hyde in Bewegung und umrundete Jekyll wie ein Beutetier.

"Ich werde immer in dir weiterleben, mit Satan an meiner Seite."

"Niemals! Denn bin ich tot, bist du es auch!"

"Ich weißt, niemand wird uns trennen, niemand wird Jekyll von Hyde trennen."

"Du, du wirst gehen!"

"Nein, du wirst gehen, Jekyll."

"Nein, niemals!"

"Oh, mein dummer, kleiner Jekyll, siehst du es denn immer noch nicht ein? Dein Schmerz ist auch meiner und alles was ich tue ist im Grunde das, was du in deinem Innersten stets ersehnt hast, es ist genau das, was du tun willst. Jekyll, sieh es ein endlich ein! DU BIST HYDE!"

"NEIN, NIEMALS! Gott soll dich verdammen, du Monster!"

"Gott!", verächtlich spie Hyde dieses Wort aus seinem Mund und wischte sich mit dem Handrücken über seine Lippen, so, als ob er sich von etwas Schmutzigem säubern müsste.

"Und wenn es doch so sei, so werde ich auf dich warten Jekyll, ich werde auf dich warte -in der HÖLLE!", Hyde blieb vor dem Spiegel stehen und lachte auf, noch dunkler, noch bösartiger und noch verächtlicher als zuvor.

Jekyll, in seiner Wut, stürzte sich auf sein böses Ich, wollte es davon stoßen, zurück in den Spiegel, jedoch glitt er durch Hyde hindurch, konnte seinen Körper nicht mehr kontrollieren und fiel in das Dunkel des Spiegels, abgefangen von den Armen des Wahnsinns und fand sich in seinem Labor wieder.

Aufgebracht blickte er durch das Glas zurück in die Wirklichkeit, hämmerte mit Fäusten gegen die durchsichtige Tür, die ihm den Zutritt zur Realität verweigerte und erblickte den noch immer grinsenden Hyde, der vor ihm stand, auf der anderen Seite des Spiegels.



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