Wahrheit oder Pflicht
„Okay, Wahrheit oder Pflicht?“
„Ähm...ich nehm’ Wahrheit.“
„Okay, was würdest du tun, wenn du nur noch einen Tag zu leben hättest?“
„Dir sagen wie oft du okay verwendest?“, Er lachte. Das Mädchen zog eine Schnute und boxte ihn in die Seite. „Auu.“
„Weichei. Aber das ist ein ernstes Thema, also sag an: was würdest du tun?“
„Jaja...lass mich überlegen....Keine Ahnung, ehrlich nicht, mir fällt nichts ein. Vermutlich wäre ich ein bisschen geschockt, aber dann würde ich mich verabschieden und noch mal ordentlich durchzechen.“
Die Anderen lachten, aber Emma verdrehte die Augen. „Du bist so ein Macho, schlimm ey!“
„Jetzt lass ihn doch halt mal! Du kennst den Kleinen doch.“, meinte Nick und klopfte seinem Freund lachend auf die Schulter.
„So, Mike, du bist dran.“
„Auf geht’s. Helen, Wahrheit oder Pflicht?“
Das Mädchen überlegte kurz entschied sich dann aber für Pflicht.
„Helen, du sprichst jetzt endlich den Typ an der Bar an, den du schon die ganze Zeit anstarrst als wäre er irgendwas besonderes.“
„Neee...och Mike, neee. Bitte nicht.”, flehte die Braunhaarige, wurde dabei hochrot. Sie war das Gegenteil von allen Anwesenden, denn sie war schüchtern, bedacht und eher unauffällig.
„Doch! Du hast Pflicht gewählt, also musst du die auch erfüllen.“, er grinste und schubste sie dann in Richtung Bar. Unsicher machte sie sich auf den Weg, sah noch einmal zurück. Dann straffte sie die Schultern und stolzierte auf den Mann zu. Händeringend setzte sie sich neben ihn. Und was keiner gedacht hätte, sie sprach ihn wirklich an.
„Boah...Das hätte ich ja jetzt echt nicht gedacht, sie macht’s. Wie geil. Vielleicht sollte ich mit meiner kleinen Schwester öfters mal Wahrheit oder Pflicht spielen.“, meinte Jo und pfiff anerkennend.
„So Mädels, wer von euch will alles noch was trinken?“, fragte Nick und stand auf.
„Bring mir mal ein Bier mit.“, bat Mike, widmete sich dann aber wieder dem Spiel.
Es war ein lustiger Abend. Die Freunde tranken, spielte und lachten viel. Mike sah immer wieder zu Helen hinüber die sich angeregt mit dem Fremden unterhielt.
„Wollen wir dann mal gehen?“, fragte Emma in die Runde, als sie ein Gähnen unterdrückte.
„Ja, wäre ich auch dafür. Ich bin langsam echt müde. Wer geht zu Helen?“, fragte Mike.
„Das mach ich.“, meinte ihr Bruder und stand auf.
Mike beobachtete ihr Gespräch. Jo kam zurück und grinste.
„Sie sagt, sie will noch bleiben.“
Nick pfiff anerkennend durch die Zähne. Mike grinste.
„Na dann lass uns aber mal gehen. Ich bin echt müde.“
Erst als er wieder zu Hause war, dachte er wieder über Emmas Frage nach.
Zugegeben seine Antwort war wirklich kindisch gewesen, aber ihm fiel nun mal nichts ein, was nicht noch bescheuerter klang. Und warum sollte er sich jetzt Gedanken ums sterben machen, schließlich hatte er noch ein paar Jahre.
Jetzt musste er erst mal ein gutes Abitur machen und dann konnte man weiter sehen.
Licht weckte ihn. Seine Mutter hatte die Fensterläden geöffnet.
Als er auf die Uhr sah war er augenblicklich wach. „Scheiße! Verdammt, verdammt, verdammt, fuck!“, fluchte er. Dann machte er sich so schnell es ging auf die Suche nach seinen Klamotten. Er hatte Helen versprochen sich um zehn mit ihr zu Treffen und jetzt war es schon halb eins. Endlich fand er seine Röhrenjeans mit dem Handy.
Es klingelte. Helen nahm ab. „Mike! Beweg sofort deinen faulen Hintern. Wo zur Hölle bist du? Ich hab inzwischen meinen dritten Kaffee getrunken. Nick ist auch schon hier, also beeil dich!“,
„Ja...Ja verdammt, es tut mir echt sau leid, aber mein bescheuerter Wecker hat nicht geklingelt und Frau Mutter hielt es auch nicht für nötig mich zu wecken.“, entschuldigte er sich, während er sich ein T-shirt überzog.
Sie war immer noch ziemlich sauer auf ihn. „Dann beweg jetzt deinen verdammten Hintern hier her! Los!“, sie legte auf.
Er schlüpfte in seine Vans, und rannte die Treppen hinunter. Im Laufen zog er seine Jacke über und setzte Sich den Helm auf. Er war wirklich froh, dass auf dem Weg von seinem Haus bis zum Café kein Blitzgerät gestanden hatte, denn das hätte ihn wahrscheinlich seinen Führerschein gekostet.
Der Junge stellte sein Motorrad am Straßenrand ab, zog seinen Helm ab und sah ins Café. Helen hatte ihn inzwischen entdeckt und winkte. Nick sah auch zu ihm herüber. Sie wirkte komisch, seine kleine Helen. Ihr Haar war unordentlich, die Kleidung zerkrumpelt und sah aus als hätte sie sie im Laufen angezogen. Doch ihr Blick war das was ihm Angst einjagte. Ihre Augen waren geschwollen, die Schminke verschmiert und sie sah unglaublich verweint aus.
Was war denn mit ihr geschehen? War das der Typ von gestern?
Er rannte über die Straße, sah das Auto nicht kommen.
Er prallte auf den Boden, alles wurde schwarz.
„Na endlich, da ist der Penner ja.“, meinte Nick als er Mike bemerkte. Er verfluchte ihn dafür, dass er erst jetzt kam. Schließlich war er hier der einfühlsamere von beiden und Helen hatte jetzt jemanden nötig der ihr half. Sie war ziemlich aufgelöst und er hatte keine Ahnung, was er mit dem Mädchen anstellen sollte. In Gefühlsdingen war er eher nun wie sollte man es sagen, unerfahren oder schroff? Ja so konnte man es nennen. Er war völlig verzweifelt, als das Mädchen auf einmal angefangen hatte zu weinen und er wusste einfach nicht, was er mit ihr anstellen sollte. Nichts half. Er konnte sie nicht aufmuntern, aber auch nicht dazu überreden, ihm alles zu erzählen. Sie wollte warten, bis Mike da war, doch der kam und kam nicht. Auf jeden Fall hatte es etwas mit letzter Nacht zu tun, das war klar.
Er war nachdem sie die Bar verlassen hatten noch mit zu Emma gegangen, hatte ein bisschen gekuschelt, geknutscht, das was man eben als Paar alles so macht. Er war ziemlich verschlafen gewesen, als Helen ihn angerufen hatte. Sie klang weinerlich und aufgelöst, deshalb hatte er sich so schnell es ging auf den Weg zu ihr gemacht. Als er im Café ankam, sah er das Übel. Auch wenn er nicht wusste, was passiert war, es musste etwas passiert sein, was sie ziemlich fertig machte. Sonst steckte Helen so ziemlich alles weg. Sogar auf der Beerdigung ihrer eigenen Mutter hatte sie keine Träne vergossen. Sie stand da mit aufrechtem Kopf und nahm die Beileidsbekundigungen der Anderen aphatisch entgegen. Eine Woche später war sie schon wieder so wie vorher. Als er sie fragte, wie sie das geschafft hatte, sich so schnell zu fangen, meinte sie nur, man müsste Vergangenes vergessen und ruhen lassen. Ihre Mutter war jetzt nun mal tot und daran konnte sie auch nichts mehr ändern. Außerdem war es ein offenes Geheimnis, dass sie mit ihrer Mutter nicht auskam.
Doch jetzt...Jetzt starrte sie vor sich hin und klammerte sich in den Lederbezug des Sessels. Den Blick starr aus dem Fenster gerichtet. Es zeigte sich erst eine Gefühlsregung, als sie Mike sah. Er war schon seit dem Kindergarten ihr bester Freund gewesen und ihm vertraute sie alles an. Er wusste alles über sie. Ein Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, als sie den Jungen über die Straße eilen sah. Doch dann verzog sie schockiert ihr Gesicht.
„Oh Gott...“, flüsterte sie, als ein Auto auf Mike zuraste. Sie sprang auf und wedelte mit den Armen, doch das Auto fuhr in den Jungen hinein.
„Nick...Nick, schnell ruf sofort einen Krankenwagen.“, schrie sie und rannte nach draußen.
Nick wählte ohne zu warten den Notruf und bestellte einen Notarzt. Dann folgte er seiner Freundin so schnell er konnte. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Es durfte nicht wahr sein!