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Alles kehrt zurück

von

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Mit Abstand meine Lieblingsgeschichte, die ich für die Wochenaufgabe geschrieben hab, auch wenn sie nicht gewonnen hat ^^

Inspiriert ist die Story von meinen Arbeiten für eine Fachbereichsarbeit, die ich für die Schule schreibe.
 

Alles kehrt zurück
 

In der Dunkelheit hallten die Absätze ihrer Stöckelschuhe wieder. Sie lief schlendernd unter den Straßenlaternen, summte leise vor sich hin. Ihr sonst langer Rock schien kürzer, der Schwung ihrer Hüften stärker.

Er beschleunigte seinen Schritt, um sie einzuholen, was er auch tat, gerade als sie aus überschwänglicher Freude heraus eine Umdrehung um ihre eigene Achse machte. In der Hälfte zuckte sie heftig zusammen und man konnte ein erschrockenes Luftholen hören. Sie hatte ihn bemerkt. Als sie erkannte, wer vor ihr stand, entspannten sich ihre Schultern sichtlich und ein erleichtertes Lächeln lag auf ihren Lippen. Sie hatte einen zartroten Lippenstift getragen, der nun fast gänzlich abgewaschen war. Nur noch eine kaum sichtliche, verschmierte Spur am rechten Rand erinnerte noch an ihn.

Der Mann vor ihr lächelte sie entschuldigend an, machte dies durch Worte deutlicher.

„Entschuldige, hab ich dich erschreckt? Was machst du eigentlich noch so spät hier draußen?“

„Ach kein Problem. Ich musste noch mit… einem Kollegen etwas für ein Projekt, das wir aufhaben besprechen. Wir haben ganz die Zeit vergessen.“

Er bemerkte, wie ihre Augen die seinigen vermieden und ihre Hände über den Rock fuhren, wie um diesen hinunterzubewegen und ihn gleichzeitig zu glätten. Ein zweckloses Unterfangen. Der Rock machte den Anschein, als würde er selbst nach mehrmaligen Bügeln nicht mehr glatt werden.

„Du solltest aber nicht alleine durchs Dunkel laufen. Komm ich bring dich nach Hause.“

Sie lächelte und nickte. Fast wie immer. Wären da nicht die wirren Haare, die sie nun mit der Hand zu richten versuchte, die Bluse, der ein paar Knöpfe fehlte und über die sie ihre Jacke nun zumachte. Ihre Nägel waren manikürt und lackiert, doch waren zwei wohl abgebrochen.

Die Beiden gingen schweigen nebeneinander. Sie lief wieder normal, mit ihrem gewöhnlichen Hüftschwung, ihren gewöhnlichen versteckt sinnlichen Bewegungen. Nicht wie zuvor offen zur Schau getragen. Sie verstellte sich, das war ihm klar geworden.

Keinen Moment ließ er die Augen von ihr, wobei ihr eigener Blick geradeaus in die durch das Licht der Straßenlampen noch finster wirkende Nacht hinaus gerichtet war. Sie bemerkte nicht, wie er sie beobachtete. Nein, sie verstellte sich nur. Sie wusste es sehr wohl.

„Und was hast du und dein Kolleg gemacht? Was für ein Projekt?“

Sie erzählte ihm davon. Er hörte nicht wirklich zu. Sie log, sie hatten kein Projekt auf in dem Studium, das sie machte, das wusste er.

„Du bist wirklich ein hübsches Mädchen.“

Er flüsterte wie tief in Gedanken versunken. Sie wurde aus ihrem Redefluss geholt und errötete einnehmend, kicherte dann sogar. Er wusste, dass sie ihn aus den Augenwinkeln heraus beobachtete.

Er hob seine Hand und ließ seine Fingerspitzen durch eine Strähne ihres Haares fahren, brachte damit die noch immer wirre Stelle in Ordnung und streifte sie dann hinter ihr Ohr. Er hielt inne.

„Was hast du denn da?“, fragte er mit ehrlicher Neugierde und auch etwas Besorgnis lag in seiner Stimme. „Du hast dich doch nicht verletzt oder?“

Ihre Hand flog zu der Stelle an ihrem Hals, an dem die dunkle Verfärbung ihrer Haut zu sehen war. Verlegen lachte sie.

„Nein, nein, keineswegs… es ist nur ein blauer Fleck, nichts weiter.“

„Ach so, dann ist gut.“

Er ließ seinen Zeigefinger noch weiter hinunter gleiten, zu ihrem Nacken, in die Richtung, wo noch immer ihre Hand lag und er legte die sein auf diese. Er lächelte sie warm an. Sie waren stehen geblieben und verharrten nun dort.

„Vielen Dank. Hier ist es nicht mehr weit, ab hier kann ich alleine Laufen.“

Er lachte auf.

„Kaum können sie fliegen, schon wollen die kleinen Vögel allein aus dem Nest, nicht wahr kleine Jessica? Du möchtest fliegen.“

Sie stimmte in sein Gelächter mit ein. Diesen Effekt hatte er einfach auf andere Menschen. Er konnte jeden dazu bringen zu fühlen, was er wollte. Alleine durch seine Augen, die sie nun anstrahlten. Er hatte ihre Hand in seiner, die nun zwischen ihnen schwangen. Plötzlich trat auf sein Gesicht ein Ausdruck, als fiele ihm unverhofft wieder etwas ein.

„Ach, das habe ich fast vergessen. Ich wollte dir ja noch etwas zeigen. Komm schnell.“

Er wollte schon losgehen, sie an der Hand mit sich ziehen, als sie noch zögerte.

„So spät noch?“

„Um diese Zeit, mit diesem Mond wäre es so wunderschön“, er seufzte. „Aber natürlich, du hast Recht. Es ist schon viel zu spät und du solltest dich sputen nach Hause zu kommen.“

Er wollte ihre Hand los lassen und schob sie bereits in die Richtung, in die sie musste, doch wieder zögerte sie.

„Moment! Ist es wirklich so schön? Ich meine, wenn es nicht lange dauern wird, wäre es doch nicht so schlimm, oder?“

Sie lächelte ihn einnehmend und bittend an und jeglicher Widerstand seinerseits zerbröckelte sichtbar. Er nickte.

„Gut, wir halten uns kurz“, zwinkerte er ihr zu und führte sie dann an der Hand ein Stück den Weg zurück, bog dann in eine kleine Straße ein, wo das Licht noch spärlicher war.

Er beeilte sich, seinen Blick immer geradeaus gerichtet. Es war schwer etwas zu erkennen, dennoch war sein Schritt unbeirrt, als kenne er den Weg auch im Schlaf. Die Studentin stolperte leicht hinter ihm her, während sie versuchte mit ihm Schritt zu halten, was ihr zeitweise kaum gelang.

Er bog ab, führte sie einen Weg in den Wald entlang, immer tiefer in die Dunkelheit, nur durchdrungen vom Glanz der Sterne und Schein des Mondes, wenn die Wipfeln der Bäume diese durchließen. Nun wurde es wirklich schwer für sie mitzuhalten. Ihre Haare verfingen sich in den Ästen, ihre Absätze blieben bei jedem zweiten Schritt irgendwo hängen. Um sie herum raschelten die Laubbäume, konnte man Nachttiere hören. Der Weg war schmal und bot kaum Durchgang. Trotz allem verlangsamte er seinen Schritt nicht um das mindeste, egal ob Blätter ihm ins Gesicht fallen oder Äste sich ihm in den Weg langten.

Sie hatte schon lange die Orientierung verloren und wusste nicht, woher sie kamen, wohin sie gingen und wie sie wieder zurück kommen würde. Langsam schlich sich ein argwöhnischer Ausdruck auf ihr Gesicht, doch zugleich lächelte sie über seinen Übereifer.

„Wo… wohin ge... hen wir?“, stieß sie zwischen hastigen Atemzügen hervor.

„Wir sind gleich da.“

Kaum hatte er das gesagt, erreichten sie eine kleine Lichtung. Er blieb stehen und zog sie am Arm nach vorne, sodass sie vor ihm stand, inmitten des Mondscheines, das hier durchschien. Verwirrt sah sie sich um, wand dann einen fragenden Blick an ihn. Er lächelte sie verträumt an, musterte sie von Oben bis Unten.

„Du bist wirklich eine Schönheit. Ein Engel.“

Sein Atem klang gedrungen, doch vom Lauf hierher. Er streckte einen Arm aus, legte die Hand auf ihre Wange, streichelte darüber. Ihre Augen flatterten zu und ihr Kopf neigte sich in seine Berührung.

„Du bist perfekt. Klug, sportlich. Unschuldig…Die hilfsbereite Tochter, die fleißige Studentin. Unschuldig, unberührt, unbescholten. Du warst perfekt.“

Seine Stimme erhob sich nicht mehr über ein Flüstern. Seine Hand zeichnete die Linien ihrer Wange nach, weiter den Kiefer entlang zu ihrem Hals, gleichzeitig wurden ihre Haare dadurch auf die Seite geschoben. Der dunkle Fleck kam wieder zum Vorschein. Er berührte ihn vorsichtig mit den Fingerspitzen.

„Unberührt. Unschuldig und verführerisch. Verlogen.“

Ihre Lider flogen auf, ihr Blick überrascht. Überraschung vermischte sich mit Verwirrung und glitt zu Unglauben, übermannt von Entsetzen. Er konnte die Emotionen alle sehen, während er seine Hand um ihren Hals legte, zu drückte, doch nicht zu sehr. Sie konnte seinem Griff nicht entrinnen, dazu war er zu stark. Seine Fingerspitzen ruhten weiterhin auf diesem schändenden, grässlichen Fleck.

„Du spielst, verstellst dich. Verdreckt bist du.“

Seine Stimme kam einem Zischen gleich. Bei den letzten Worten spuckte er ihr angewidert in ihr flehendes, inzwischen panisches Gesicht.

„Verlogene.Kleine.HURE!“

Spie er aus, mit jedem Wort an Lautstärke gewinnend, während er sie näher an sich zog.

„Du warst perfekt. Rein. Engelsgleich.“

Wie eine Liebkosung fuhr er ihr mit der anderen Hand durch ihr Haar, hörte ihr Flehen gar nicht. Mit panischer Kraft wollte sie sich loszerren. Nur eine Armlänge kam sie von ihm weg, bevor er sie wieder zu sich zog, sie in ein abwertendes Gesicht starrte. Seine Finger fuhren erneut durch ihr dickes, blondes Haar, bis sie sich an ihrem Hinterkopf schmerzhaft in diese krallten. Ein spitzer Schrei entrang ihr, während sie mit einem Ruck nach hinten gebeugt wurde. Er stand über ihr, ihr weit überlegen.

„Doch du bist nur die Hure des Teufels! Dreckige Verführerin!“

Abrupt lief er los, sie an den Haaren hinter sich nachziehend, tiefer in den Wald. Nur ein paar Schritte, nicht weit. Er besah sich seiner Vorbereitungen. Die Bäume standen hier nicht dicht beieinander, boten gleichzeitig genug Schutz, aber auch Platz. Neben der Stelle, an der er angehalten hatte, lehnte die Schaufel an einen der Bäume. Die Schaufel, mit der er die Grube ausgehoben hatte, ein paar Meter vor ihnen. Er zog die inzwischen Weinende auf seine Höhe.

„Ich werde dich reinigen, den Schmutz aus deiner Haut brennen. Dich lynchen und dich dann zurück in die Hölle schicken, von der du kommst.“

Ruhig. Seine Stimme war ruhig. Er fühlte sich ruhig. Das war seine Aufgabe, er musste es tun, um ihretwillen. Um aller Willen. Sie schrie um Hilfe, flehte, weinte. Sie bat um Verzeihung, doch das war gelogen. Noch. Sie würde es ernst meinen, er würde sie reinigen, den Teufel aus ihr treibe. Er würde sie im Fegefeuer brennen lassen. Er musste es tun, selbst wenn es für sie kein Zurück mehr gab. Sie gehörte in die Hölle.

Er packte ihr Handgelenkt, langte mit der anderen nach dem dünnen Seil. Mit geübten Bewegungen wickelte er es um ihr Handgelenk, zog es fest, dass sie vor Schmerz schrie. Dann warf er sie, wie einen unnützen Sack zu Boden, hielt selbst noch das andere Ende des Seils in der Hand. Je mehr er daran zog, desto mehr schnitt es in ihre besudelte Haut, in ihr verdorbenes Fleisch. Ihm machte das schon lange nichts mehr aus. Er hatte früh begonnen die Drähte, Seile und Kabeln für Installationen anderweitig zu verwenden, seine Haut war abgehärtet.

Er riss einmal daran, sie blieb ausgebreitet vor ihm liegen, Blut tropfte um das Seil herum auf den Waldboden. Er entfernte sich ein paar Schritte, verschwand für eine Sekunde in der Dunkelheit. Wieder ein Ruck am Seil und er kam zurück, einen Benzinkanister in der Hand.

Das Mädchen war nur noch ein schluchzendes Bündel, aus jeder Faser ihres Körpers drangen Angst und Verzweiflung.

„Du wirst gereinigt. Ich werde den Dreck aus deiner Haut brennen.“

Pures Entsetzen ließ sie zurückweichen, trotz aller Schmerzen sich gegen das Seil stemmend um irgendwie weg zu kommen. Ein unmögliches Unterfangen.

Er schüttete das Benzin über die windende Gestallt, darauf bedacht, dass weit möglichst kein Tropfen das einst so engelsgleiche Gesicht – die Unschuldsmaske – berührte. Er würde die Maske später von ihr schälen, doch noch nicht.

„Du wirst mir danken. Vielleicht hast du Glück und Gott erbarmt sich der Teufels Hure, wenn du genug Reue zeigst, genug Busse tust. Noch ist es vielleicht nicht zu spät. Ich werde die Sünde aus dir brennen und dich in die Gewalt Gottes geben. Du bist das Leben auf Erden nicht wert, du sollst nicht mehr wandeln, dich verderben und beschmutzen.“

Er redete mit monotoner Stimme. Noch verstand sie die gesamte Bedeutung seiner Worte nicht, egal wie sehr sie flehte und zugestand sich zu ändern, sie verstand es nicht wirklich. Sie log. Sie konnte sich nicht ändern, die Sünde lastete schon zu schwer auf ihr. Alles was er noch für sie tun konnte, war sie zu reinigen.

Den Kanister hatte er von sich geworfen. Er war nur gedrungen zufrieden, einzelne Tropfen waren auf ihr Gesicht gelangt. Er hatte in den letzten Jahren, in dem man ihn von seiner Bestimmung abgehalten hatte, wohl an Übung verloren. Das Seil band er nun an einen starken Ast, ein unüberwindbarer Knoten, perfektioniert über Jahre. Er zog aus seinen Taschen eine Streichholzschachtel, näherte sich ihr mit schweren Schritten. Er holte ein Streichholz daraus, fuhr den Kopf über die Entzündungsspur, ohne auch nur einmal seinen Blick von ihrer weiblichen Gestalt zu nehmen. Er hielt sich die Flamme vor das Gesicht, beobachtete diese nun.

„Es ist gefährlich im Wald ein Feuer zu machen, doch ich kann es beherrschen. Nie ist es mir außer Kontrolle geraten. Es hat immer nur das getan, was ich wollte, von Gott geleitet. Von mir beherrscht. Du sollst Gott übergeben werden, dein Leben soll wieder zu ihm, dem es zusteht. Und vielleicht Erlösung finden. Alles kehrt zu dem zurück, was es ist.“

Er blickte wieder zu dem Mädchen hinunter, ließ den Arm näher zu ihr sinken.

„Asche zu Asche -“

„Staub zu Staub.“

Eine Stimme? Er konnte sich nicht mehr zu dieser fremden Stimme umdrehen, nachsehen, ein Schmerz durchfuhr sein Schläfe, seinen gesamten Kopf, schwer kam er zu Boden. Das Streichholz fiel nutzlos ins Gras, erloschen noch bevor es aufkam.

Er stemmte sich leicht auf die Knie und auf eine Hand, die andere an die schmerzende Stelle gepresst. Kein klares Bild kam ihm vor Augen, alles drehte sich. Was war geschehen? Er fühlte etwas über sein Gesicht fließen, seine Haare klebten. Blut?

„Hier. So, verschwinde.“

Wieder diese Stimme. Und dann Jessicas unverständliches Schluchzen.

„Ich sagte verschwinde!“

Die Stimme drängte das Mädchen fort und es waren nur noch die rennenden Schritte durch das Laub und die Äste zu hören.

Er presste die Lider mehrmals zusammen, blinzelte die Benommenheit soweit weg, dass er etwas erkennen konnte. Dann hob er den Kopf, sah die Person, der diese Stimme gehörte, ins Gesicht.

Er wusste nicht, was ihn mehr überrascht hatte, die Stimme plötzlich hinter sich zu hören oder jetzt zu sehen, wer dahinter steckte.

Vor ihm stand die alte Frau – wie sie von allen genannt wurde – die die nie ihr Haus verließ und aussah wie sechzig, wohl aber erst vierzig war. Vielleicht sogar jünger. Jünger als er selbst zumindest. Sie hielt die Schaufel, an der sein Blut klebte in der Hand, scheinbar bereit zu zuschlagen so oft wie nötig – und noch öfter.

„Wie kommst du hierher? Was willst du?“

Wut lag in seiner Stimme. Er wollte aufstehen, doch versuchte es noch nicht. Zum Einen würde sie dann zuschlagen, das wusste er, zum Anderen war er sich nicht sicher, ob er sich schon ohne zu taumeln erheben konnte. Es wäre nur eine gegebene Gelegenheit für sie, ihn zu überwältigen.

„Du erkennst mich nicht, nicht wahr?“

Sie klang rau, ihr Lachen hysterisch, fast wahnsinnig. Er blickte sie nur an, ohne jegliche Regung.

„Ich war die kleine, verdreckte Schlampe von vor zwanzig Jahren. Erinnerst du dich? Dein letztes Opfer in der Reihe von Morden, die du begangen hast, hier und im Umkreis dieses Ortes. Doch du kamst nicht dazu mich zu töten. Sie haben uns gefunden, bevor du weiter gehen konntest. Nein, nur bis zum Feuer bist du gekommen.“

Sie lachte wieder, diesmal trocken und sarkastisch. Ihre Hand schob sich zwischen ihr Sweatshirt und ihren Schal, zog ersteres hinunter. Verbrannte Haut kam zum Vorschein.

Er erinnerte sich wieder. Er hatte sie gehört, den Suchtrupp mit ihren Hunden, Gebell und wirres Geschreie, doch er war nicht geflohen. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass ihm etwas passieren würde. In dem Moment, als einer der Polizisten ihn gesichtet hatte, die anderen herrief, hatte das Streichholz den makellosen Körper berührt und in Brand gesetzt.

„Von allen Orten bist du gerade hierher zurück gekehrt. Von allen verdammten Orten, in die du hättest gehen können. Hierher zurück, zu mir. Hast du gewusst, dass ich hier nie heraus kommen würde. Hast du gewusst, dass mich dieser Ort immer festhalten würde, egal wie verzweifelt ich versuchen würde zu fliehen? Hast du es gewusst?“

Sie schrie, doch diesmal weinte sie nicht. Sie sah wahnsinnig aus.

„Ich konnte es nicht glauben, als ich dich sah. Durch das Fenster. Und die Leute sagten nichts. Sie akzeptierten dich. Sie haben vergessen, was du getan hast, wer du bist. Sie haben dich nicht wieder erkannt. Ich schon. Wie könnte ich dein Gesicht vergessen. Ich dachte schon, ich spinne. Es dort in der Straße zu sehen, wie DU dort liefst, als hättest du alles Recht dazu. Aber das hast du nicht. Du hast kein Recht hier zu sein. Du hast kein Recht wieder frei zu sein. Du hast kein Recht zu leben!“

Ihr Atem ging schnell, ihr ganzer Körper zitterte, ihre Hände hatten sich um den Stiel der Schaufel verkrampft.

„Ich wollte es nicht glauben, dass sie dich wirklich freigelassen hatten. Wegen guter Führung!“

Sie lachte gehässig.

„Oh ja, man kann sehen, wie kuriert du bist. Geheilt. Man sieht, wie viel Reue du zeigst. Du hast wahrlich verstanden, was du falsch gemacht hast. Nein, du hast kein Recht zu leben.“

Sie presste den letzten Satz durch zusammengebissene Zähne, während sie Schritt für Schritt näher kam, die Schaufel langsam hochhob.

Sein Blick war zum Erdboden gewandt. Er schüttelte sich. Als sie es sah, hielt sie inne, nicht wissend, was es bedeutete.

„Du hast Recht.“

Seine Stimme war unterdrückt, klang angestrengt und zitternd. Jedes Wort schien ihm Schmerzen zu bereiten. Langsam hob er wieder den Kopf zu ihr und sie schrak beinahe – nur beinahe – zurück. Seine Wangen waren nass und immer mehr dicke Tropfen aus Tränen fielen über den Rand seiner Augen, vermischten sich mit dem Blut.

„Ich kann es nicht… kann nicht aufhören. Ich dachte, hoffte, wünschte ich sei geheilt, aber… n… nichts hat sich verändert. Nichts, nichts.“

Verzweifelt schüttelte er den Kopf, flehend richteten sich seine Augen auf sie.

„Ich habe kein Recht zu leben. Bitte. Oh, bitte tu es.“

Auf Knien rückte er näher, hob die Hände im zusätzlichen, stummen Flehen.

„Ich kann nicht mehr. Bitte! Bitte! Tu es! Bitte!“

Mehr und mehr Verzweiflung mischte sich in seine Stimme, er bettelte. Er verlor das Gleichgewicht, fiel vorn über, konnte sich kaum mit den Händen auffangen. Schluchzen schüttelte seine Schultern, Tränen und Blut fielen in den Matsch.

Sie war zurückgewichen. Schritt um Schritt, wusste nicht, was tun. Wusste nicht, wo ihre Entschlossenheit hin war, wo ihr Hass war. Sie war mit dem Rücken an einen Baum gelangt, drückte sich an ihn.

„Tu es“, flehte die Form vor ihr, der kaltblütige Mörder. „Tu es! Schlag zu!“

Er wiederholte die Worte immer wieder, immer wieder. Mit letzter Kraft stemmte er sich hoch, stand gebeugt vor ihr, kam mühsam immer näher. Flehte und bettelte um Erlösung, um Gnade ihm den Tod zu schenken, sein Leiden, das Leiden anderer zu beenden.

„Tu es. Beende es. Schlag zu.“

Er flüsterte, er war nahe genug dazu. Seine Hände legten sich um das Holz der Schaufel. Sie schien plötzlich so schwer. Zu schwer für die alte, kraftlose Frau. Der Stiel entglitt ihren Finger, nur noch gehalten von ihm. Ihre Augen schlossen sich, eine Träne kullerte über ihre Wange.

„Na schön.“

Ihre Augen öffneten sich, als sie die ruhige Stimme vor sich hörte.

„Dann schlag ich eben zu.“



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