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Lust for Blood

One-Shots
von

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Break of Dawn [waiting for the rising sun]

Das leise Rauschen der Wellen, die sanft über den weichen Sand des Strandes rollten und sich gleich wieder zurück zogen, erklang in der Stille als das einzige Geräusch weit und breit. Die Nacht hatte auch das Meer in eine tiefschwarze Farbe gehüllt. Der Himmel hingegen war sternenklar und ein sachter Windhauch, der vom offenen Meer kam, wirbelte sein helles Haar auf. Der Ort, an den er sich in seiner Einsamkeit zurückgezogen hatte, strahlte Ruhe aus. Ruhe, nach der er sich jetzt mehr sehnte, als jemals zuvor. Jetzt, da man ihm das Liebste genommen hatte...

Von den einst so heißen Tränen, die ihm noch vor wenigen Augenblicken über die Wangen gelaufen waren, waren nur noch kalte, glänzende Streifen übrig geblieben. Es war kalt, doch er spürte es nicht mehr. Er spürte nichts weiter als die Leere in sich, die sich in Sekundenschnelle und ohne Erbarmen in ihm ausgebreitet hatte. Vor Jahren hatte sie ihn schon einmal heimgesucht, nur hatte sie ihn damals nicht so fest im Griff gehabt, wie es nun der Fall war. Darüber hinaus war sie komplett wieder verschwunden, als er in seinem Leben aufgetaucht war. Dieser Junge hatte seine Einsamkeit einfach vertrieben, mit einem einzigen, unschuldigen Lächeln, das er ihm in seiner Naivität geschenkt hatte.

Dieses Lächeln - Shô's Lächeln - war nun für immer verschwunden. Er würde es niemals wiedersehen, denn Shô hatte ihn und diese Welt für immer verlassen. Seine letzten Minuten, seine letzten Atemzüge hatte Shô in seinen Armen erlebt, hatte ihn um ihn weinen sehen, hatte sein Flehen gehört. Doch die Verletzungen waren zu stark gewesen, schnell war er ihnen erlegen und verblutet. Nun saß er am Strand, hatte den blutverschmierten Körper seines Freundes noch immer im Arm und hielt den Blick stur aufs scheinbar unendliche Meer gerichtet. Er saß am Strand und wartete auf den Sonnenaufgang. Die Sonne würde ihm die Erlösung schenken, die er sich so sehr wünschte.

Das Sonnenlicht, so wusste er, würde ihn letztendlich töten. So, wie sie jeden anderen Vampir auch töten würde. Nichts anderes war in diesem Moment sein Ziel. Er wollte sterben. Nur endlich sterben... Ob er Shô dabei irgendwann irgendwo wieder begegnen würde, wusste er nicht. Doch eines war ihm klar: Bliebe er weiter hier in dieser Welt, in diesem Leben, so würde er das auf gar keinen Fall. Im Laufe der Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, war Shô seine einzige Freude geworden, absolut alles, was er noch hatte und absolut alles, was er um jeden Preis beschützen wollte. Schon seit ein paar Jahren hatte er für sich entschieden, dass er nicht ohne ihn weiter leben wollte. Das hatte er sich versprochen und dieses Versprechen sich selbst gegenüber wollte er nun, da es soweit war, auch einhalten.

Mit der Zeit wurde am Horizont ein heller Streifen sichtbar. Wieder stahlen sich vereinzelte Tränen auf sein Gesicht und er drückte den leblosen Körper in seinen Armen fester an sich. Bald wäre es um ihn geschehen. Kurz strich er die braunen Haare aus dem Gesicht seines toten Freundes und hauchte ihm einen Kuss auf die kalt gewordene Stirn. Es würde nicht mehr allzu lange dauern, bis ihn das Sonnenlicht berührte. Es würde ihm die Haut verbrennen, ihm benah unerträgliche Schmerzen bereiten. Doch alles wäre besser als den Schmerz ertragen zu müssen, den das Ableben seines Schützlinges ihm verursacht hatte. Absolut alles wäre tausendmal besser.

Bald würde er komplett in Flammen aufgegangen sein. Jene Flammen würden auch auf Shô überspringen und ihn ebenfalls verbrennen. Sie würden zusammen verbrennen und zu Asche zerfallen. Ihre Asche würde sich miteinander vermischen und vom Wind über das Wasser getragen werden. Schon war ein kleiner Teil der rötlichen Himmelsscheibe zu erkennen. Wieder blickte er in das leblose Gesicht, strich vorsichtig über die erblassten Lippen und flüsterte einen letzten Satz, bestehend aus nur drei kleinen Worten. Einen Satz, den er zum ersten Mal aussprach, bevor er die Flammen spürte, die gierig nach ihm griffen...

Last Night [But you will never know...]

Letzte Nacht habe ich dich beim Schlafen beobachtet, als du allein in deinem Bett lagst. Der Anblick war einfach zu niedlich - dein zufriedenes Lächeln, wie du dich in die Decke gekuschelt hattest... Einfach alles sah so friedlich aus. Dabei ist unser Leben doch alles andere als friedlich. Wie oft habe ich dir in all den Jahren, die wir uns nun schon kennen, beim Schlafen zugesehen? Es müssen unzählige Male gewesen sein... Doch dieses Mal war es anders. Ganz anders. Ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll. Das Gefühl dabei, dieses Warme, das sich immer in meinem Herzen ausbreitete, wenn ich dich so sah, hat sich verändert. Es ist nicht mehr dasselbe. Mit einem Schlag war es nicht mehr wie vorher. Und ich glaube nicht, dass es jemals wieder so werden kann...

Letzte Nacht ließ ich mich vor deinem Bett auf die Knie sinken. Wäre ich jemals gläubig gewesen, hätte ich in diesem Augenblick wohl gebetet. Ich hätte für dich gebetet, für deine Gesundheit, für deine Sicherheit. Einfach für dein ganzes Wohl... Diese plötzliche Angst, dir könnte irgend etwas zustoßen... Sie war mit einem Mal da und ließ mich nicht mehr los. Sie wurde größer und größer und schnürte mir dabei fast die Luft ab. Am liebsten hätte ich wohl geweint. Ich komme mir schon fast paranoid vor, wenn ich so darüber nachdenke. Was ist nur aus unserer Vater-Sohn-Beziehung geworden? Wir waren doch einmal nicht mehr und nicht weniger als ein kleiner, unschuldiger Junge und ein erwachsener Mann. Ein Mann mit einem Geheimnis, doch wussten wir beide von Anfang an darüber Bescheid. Wir vertrauten einander vollkommen.

Letzte Nacht beugte ich mich über dich um dein wunderschönes Gesicht zu küssen. Doch ich tat es nicht. Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich, was genau ich da gerade tun wollte und hielt mich zurück. Ich stellte mir die Frage, was nur plötzlich mit mir los war. Doch fand ich keine rechte Antwort darauf. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht mit mir stimmte. Inzwischen weiß ich auch, was es ist. Nach all der Zeit, all den vielen Jahren, habe ich mich in dich verliebt. Immer wieder frage ich mich, wie mir das passieren konnte. Ich weiß doch ganz genau, dass wir niemals eine gemeinsame Zukunft haben könnten. Ein Mensch und ein Vampir - niemals könnte das gut gehen. Schon aus dem ganz einfachen Grund nicht, dass einer von beiden sterblich ist und der andere nicht. Ich wüsste keinen Grund, warum ausgerechnet wir beide eine Ausnahme darstellen sollten.

Letzte Nacht warf der Mond sein Licht direkt durchs Fenster auf deine schlafende Gestalt. Es war ein wunderbares Bild und ich bin sehr froh, dass dich das Licht nicht weckte. Ich sah dich die ganze Zeit über an und ich fürchte, allein mein Gesichtsausdruck hätte mich in diesem Moment verraten. Allein der Gedanke, dir könnte irgendwann einmal etwas passieren, zerriss mir beinahe das Herz. Du tust immer so stark und unangreifbar, doch ich kenne dich besser als jeder andere. In Wahrheit bist du so zerbrechlich wie dünnes Glas. Ein unachtsamer Moment, eine winzige Gedankenlosigkeit könnte dich zerstören, nicht wahr? Und auch, wenn du sicher sehr gut auf dich selbst aufpassen kannst, so habe ich mir doch vorgenommen, dich vor allem, was dir Leid und Schmerz zufügen könnte, zu beschützen.

Letzte Nacht schlug mein Herz seit langer Zeit einmal wieder höher. Es kam mir so vor, als hätte es sich dem Rhythmus deiner Atemzüge angepasst. Ein seltsamer Gedanke, oder? Doch irgendwie hatte es auch etwas Beruhigendes an sich. Aus dem kleinen Jungen von damals, der den Vampir in irgend einer Straßenecke fand und mitnahm, ist nun auch ein Mann geworden. Richtig erwachsen... Wir sind uns wohl ähnlicher geworden, was meinst du? Sollte ich dir vielleicht sogar von meiner Entdeckung erzählen? Würdest du das überhaupt verstehen? Empfindest du ebenso? Oder würdest du dich gar von mir abwenden? Es gibt so unendlich viele Möglichkeiten, wie du reagieren könntest... Am schlimmsten aber wäre es wohl, wenn du mich deshalb plötzlich hassen, wenn du mir den Rücken zukehren würdest. Denn auch ich bin zerbrechlich wie Glas. Nein, dieses Geheimnis darf ich dir nicht offenbaren.

Und nun stehe ich bei dir. Wir unterhalten uns über nichts wichtiges. Zum Beispiel herrscht draußen strahlender Sonnenschein. Ein Grund, warum wir nicht gemeinsam vor die Tür gehen können. Ich stehe bei dir, so nah, dass ich die Spannung zwischen uns förmlich spüren kann, und versuche so sehr, dir nicht zu sagen, dass ich dich liebe. Dabei bist du alles für mich. Alles, was zählt, alles, was mir wichtig ist und alles, was ich in dieser Welt will. Doch ich weiß, ich könnte mit nur einem Satz alles zerstören, was wir haben. Ich möchte dich auch weiterhin als guten Freund, als Partner und als Mitbewohner wissen. Mehr verlange ich nicht, auch wenn der Wunsch nach mehr immer noch irgendwo existiert. Doch ich weiß genau, was mir zusteht und was nicht. Ich will nur dich nicht komplett verlieren, auch wenn sich das irgendwann einmal nicht mehr vermeiden lassen wird. Zumindest würde ich dich dann aber nicht auf diese Weise verlieren.

Wärst du letzte Nacht aufgewacht, hättest du gewusst, wie es um mich steht - noch bevor ich es selbst erkannt hätte. Was wäre wohl gewesen, wenn du mich so gesehen hättest? Du hättest sicher nicht lange gebraucht, um zu verstehen, was los ist. Doch dann? Ich weiß nicht, was danach gewesen wäre. Ich kann mir einfach kein richtiges Bild davon machen. Es ist, als läge das alles komplett im Dunkeln... Aber wahrscheinlich ist es gut so, wie es ist. So bleibt mir nur, unsere gemeinsame Zeit, die wenige, die wir noch haben, weiterhin einfach zu genießen. Ich weiß, das werde ich auch tun. Unsere nächtlichen Streifzüge, selbst wenn ich dabei ständig um dich bangen muss; bei Übungskämpfen oder wenn wir allein in unserer Wohnung sind. Alles werde ich bis auf den letzten Tropfen auskosten.

'Ich liebe dich.' Dieser Satz ist für mich so schwer auszusprechen, dass ihn bisher noch nie jemand aus meinem Munde zu Ohren bekam. Nur sehr selten habe ich auch nur irgend etwas in dieser Richtung gedacht, und schon gar nicht auf eine so starke oder besondere Weise, wie bei dir. Ich hatte nie meine 'große Liebe'. Bis jetzt jedenfalls... Ich sehe dich an und ganz egal, was du tust oder sagst, mir kommt immer und immer wieder nur dieser eine Gedanke: Ich liebe dich. Ich liebe dich, ich liebe dich! Nun ziehst du dir Jacke und Schuhe an, gehst zur Tür und winkst mir noch einmal, bevor du das Haus verlässt. Und auch, wenn ich weiß, dass ich dir bei diesen schönen Wetter nicht folgen kann, tut es weh, dich gehen zu sehen. Fast wie von selbst streckt sich meine Hand nach dir aus, als ob du es wirklich noch sehen könntest... Doch du bist schon fort und das Alleinsein wird mir nur allzu bewusst.

Und da ist er wieder, dieser Gedanke. Shô, ich liebe dich...

Wie Feuer und Flamme

Sie saßen nebeneinander in ihrem Cabrio, das sie am Strand geparkt hatten, und warteten. Sie warteten auf den Sonnenaufgang. Sie wussten, dass die warmen Sonnenstrahlen sie, sobald sie sie berührten, verbrennen und damit vernichten würden. So, wie es jedem ergehen würde, der wie sie war. Jeder, der wie sie ein Geschöpf der Nacht, ein Vampir war. Doch sie waren über die Jahre hinweg müde geworden. Zu müde um noch weiterzumachen. Für eine sehr lange Zeit saßen sie einfach nur da, starrten in die Nacht und auf das dunkle Meer hinaus, ließen sich eine sanfte Brise um die Nase wehen und schwiegen.

Langsam aber sicher wurde der Himmel über ihnen heller. Sie wussten beide, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, dass es bald soweit sein würde. Mit einem leisen Seufzer lehnte Kei den Kopf an die Schulter seines Freundes und spürte sogleich dessen Arm, der sich um seine eigene legte. Mit einem kleinen Lächeln schloss er die Augen und genoss die Zweisamkeit in ihren letzten Minuten. Nie hatte er sich in all den Jahren einer anderen Person so nahe gefühlt wie ihm... Im selben Moment, wie ihm das klar wurde, durchzuckte ihn ein weiterer Gedanke, der sich schmerzlich in sein Herz bohrte. Etwas unschlüssig blickte er zu dem Anderen auf.

Wusste er davon? Wusste Shô, was er ihm schon seit so langer Zeit bedeutete? Diese Frage wurde immer lauter, bis sie in seinen Gedanken zu schreien schien. Wenn Kei ehrlich war, konnte er es nicht mit Sicherheit sagen, wenngleich er es hoffte. Vielleicht sah Shô das ja auch ganz anders als er? Immerhin hatte Kei bereits vor ihrer ersten Begegnung, ja sogar vor Shô's Geburt 'Freunde' gehabt und Shô wusste das. Vielleicht fragte er sich ja, warum ausgerechnet er etwas Besonderes sein sollte, gerade auch weil Kei ihn zwischenzeitlich wieder verlassen hatte. Heute tat es ihm leid, dass er das getan hatte. Doch er war nicht ohne Grund zurückgekehrt. Er hatte ihn nicht ohne Grund ebenfalls Vampir werden lassen, als Shô im Sterben gelegen hatte. Nicht ohne Grund hatte er an seiner Stelle Hana großgezogen.

Doch waren all diese Dinge ausreichend? Waren sie Anzeichen genug? Kei bezweifelte es ein wenig. Doch bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte, hatte sich der brennende Schmerz, der von mehreren Körperstellen ausging, erfolgreich in sein Bewusstsein gedrängt. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er den Sonnenaufgang nicht weiter mitbekommen hatte. Nun standen sie beide bereits fast vollständig in Flammen. Entschlossen setzte er sich also wieder auf und sah mit ernstem Blick zu Shô hinüber, welcher seinen Blick erwiderte und, obwohl auch er mit Sicherheit große Qualen durchlebte, keine Miene verzog und ihn ruhig anlächelte.

Kei konnte einfach nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. Vorichtig streckte er die Hand aus und strich ihm sanft über die Wange, wobei sein Blick spürbar weicher wurde. Er hatte sich in diesem Moment entschieden. Er wollte es ihm sagen, wollte ihn wissen lassen, was er dachte und wie er fühlte. "Shô...", sprach er ihn leise an und beobachtete, wie sich dessen Augenbrauen ein wenig anhoben. Noch einmal nahm er all seinen Mut zusammen und verdrängte die Nervosität. "Shô, ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe und immer geliebt habe.", sprach er ebenso leise weiter. Mehr brauchte es seiner Meinung nach nicht. Keine weiteren Erklärungen, nur dieser eine Satz.

Kei hatte das Gesicht abgewandt. Aus irgend einem Grund konnte er ihm nicht mehr in die Augen sehen. Nun, da er es gesagt hatte, verspürte er ein wenig Angst, am meisten vor der Reaktion des Anderen. Inzwischen hatte sich das Feuer weiter über ihre Körper verteilt und sich ihrer bemächtigt. Kei versuchte dennoch den Schmerz und die Hitze zu ignorieren. Er konzentrierte sich mehr auf die zärtliche Hand an seinem Kinn, die ihn vorsichtig dazu zwang, wieder aufzusehen. Er begegnete erneut einem Lächeln im Ausdruck seines Freundes und war erleichtert. Augenblicklich kuschelte er sich in Shô's offene Arme und setzte sich auf seinen Schoß.

Es verging nicht viel Zeit, da zwang Shô ihn zum wiederholten Male, ihn anzusehen. Kei bekam es gerade noch mit, wie der Andere sich ihm näherte und spürte im nächsten Moment schon fremde Lippen auf den seinen. Kurz schloss er die Augen und gab dich dem Gefühl hin, bis Shô sich wieder von ihm löste. "Ich dich auch...", flüsterte er ihm leise zur Antwort, als sich ihre Blicke trafen, und strich mit dem Daumen über die eben geküssten Lippen, "Schon immer irgendwie." Wieder lächelten sie sich gegenseitig an, während sie das Feuer immer weiter verschlang. Mehr brauchten sie nicht. Und obwohl es nun in Sekundenschnelle mit ihren Kräften bergab ging, waren sie noch nie so zufrieden gewesen wie in diesem Augenblick.

Empty Rooms

Es regnete. Ich weiß noch genau, wie wir uns deshalb unter einen der Bäume gestellt hatten. Und dabei hatte noch am Vormittag die Sonne geschienen. Seltsam, hatte ich mir noch gedacht, dieser plötzliche Wetterumschwung. Ein wenig hatte ich mich dennoch darüber gefreut. Doch so unerwartet, wie sich an jenem Tag das Wetter geändert hatte, hat sich auch unser aller Leben verändert. Ich weiß es noch, als wäre es gerade erst passiert. Es regnete an dem Tag, als Toshi starb...
 

Eigentlich sollte es ein schöner Tag sein. Eigentlich wollten wir alle ganz groß feiern. Yi-Che hatte ihr Kunstwerk vollendet. Ihre großes Wandgemälde im Park wurde bei einer kleinen Feierlichkeit enthüllt und es sollte eigentlich ihr Tag sein - ihr großer Tag. 'Eigentlich'... 'Sollte'... Doch all das war nicht. Zwar fing alles genau so an, doch schon bald lief alles komplett aus dem Ruder. Noch heute, nach all den Jahren, frage ich mich oft, wie es so weit hatte kommen können. Dabei kenne ich die Antwort doch schon längst. Es war, wenn man so will, ein Zusammenspiel vieler kleiner Dinge, vieler kleiner Zufälle. Und es waren unglückliche Zufälle, so viel steht fest.

Unsere nächtlichen Ausflüge, bei denen wir regelmäßig irgend welche Kleinkriminelle ausnahmen, waren nur ein Aspekt. Zwar wahrscheinlich der ausschlaggebende für Toshi's Tod, aber dennoch... Wir hatten uns irgendwann mit den Falschen angelegt. Sie waren uns nach einiger Zeit auf die Schliche gekommen. Es hatte mich zwar gewundert, dass Toshi zu spät war, doch ich hatte mir auch nichts weiter dabei gedacht. 'Wahrscheinlich verschlafen.', war meine Erklärung. Wie naiv zu glauben, wir könnten ewig so weiter machen und ständig nur Glück haben. Wie naiv zu glauben, es würde niemals etwas schief gehen... Es ging schief, viel zu schief. Und Toshi kostete es das Leben.

Als ich ihn mit diesen Typen sah - mit Handschellen gefesselt, zusammengeschlagen und voller Angst - wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass es kein großartiger Tag war. Über den Streit mit Kei hatte ich mich zwar auch nicht gerade gefreut, doch so etwas kam bei uns öfter vor. Vor allem wegen diesem einen Thema, von dem ich ja - so seiner Meinung nach - eh keine Ahnung hatte. Natürlich ist es für einen Menschen nicht einfach, einen Vampir zu verstehen, der kein Blut trinken will. Doch ich machte mir Sorgen um ihn, um einen meiner besten Freunde. Er sah von Tag zu Tag schlechter aus, wurde noch blasser als er ohnehin schon war, und immer schwächer. Es war zum Schreien. Du stehst daneben und musst zusehen, wie sich jemand, der dir alles bedeutet, unnötig kaputt macht.

Aber wie schon gesagt, diese Streitereien kamen bei uns öfter vor und ich hatte mich bereits irgendwie daran gewöhnt. Mehr als ihm immer und immer wieder zu sagen, er solle mit seiner scheiß Diät wieder aufhören, konnte ich nicht tun. Als er mich in seiner Wut anschrie und fragte, ob er mein Blut trinken solle, hätte ich ihm am liebsten ein dickes, fettes 'Ja!' entgegen geschmettert. Mit Freuden hätte ich ihm auch den letzten Tropfen gegeben. Ich hätte ihm alles gegeben. Absolut alles, ohne Ausnahme. Seit er mir damals als Kind das Leben gerettet hatte, gehörte es doch sowieso ihm. Alles gehörte ihm und er hätte damit machen können, was er wollte. Ich hätte mich nicht beklagt. Doch ich wusste, das war alles andere als das, was er von mir hätte hören wollen. Also schwieg ich. Der Gedanke daran, dass ich ihm alles gegeben hätte, er es aber nicht wollte, war auch der eigentliche Grund für meine Tränen gewesen. Das und die Tatsache, dass ich mir immer noch Sorgen machte. Doch auch darüber verlor ich kein Wort und ließ mich statt dessen von ihm trösten.

Natürlich hatte er in der Zwischenzeit auch nicht auf mich gehört und seine Diät weiter fortgesetzt. Er kam völlig ausgezert und schwach durch den Regen zu uns. Der einzige Vorteil, den er bei seinem ersten Angriff hatte, war der Überraschungsmoment. Irgendwie drehte er es noch so hin, dass einer der Typen auf den anderen schoß und wir damit nur noch einen Gegner hatten. Doch kurz darauf lag er auch schon am Boden, kam nicht mehr hoch und wurde ebenfalls mit einer Waffe bedroht. Und was macht Toshi? Er stellt sich vor Kei, um ihn zu beschützen. Die ganze Zeit schon wollte ich zu ihnen, wollte ihnen irgendwie helfen. Doch Son hielt mich zurück. Ich weiß, er hat es nur gut gemeint und wollte nicht, dass ich vielleicht selbst noch erschossen werde. Ich aber hätte ihn in dem Moment dafür verfluchen können. Ich verfluche ihn heute noch. Und mich selbst verfluche ich dafür, dass ich Toshi nicht wenigstens zurief, er solle aus dem Weg gehen. Er wusste nicht, dass Kei ein Vampir war und dass er durch eine einfache Kugel nicht sterben konnte. Nur Shinji und ich wussten das. Aber Toshi... Toshi wusste es nicht, auch wenn er sich vielleicht gefragt haben mag, warum Kei in all den Jahren nicht gealtert war. Er wusste es nicht und wollte einen Untoten vor dem Tod bewahren. Allein der Gedanke daran schmerzt unheimlich...

Dann kam der Schuss und Toshi brach zusammen. Irgendwie schaffte es Kei, den Schützen von dort wegzulocken und mit ihm im Gebüsch zu verschwinden, so dass wir drei zu Toshi konnten. Ich weiß nicht, wie es gekommen wäre. Vielleicht war es auch Toshi's Schicksal, an diesem Tag zu sterben? Doch um ehrlich zu sein, dieser Gedanke widerstrebt mir gewaltig. Ich wünschte, wir hätten ihn irgendwie retten können. Und wenn ich seine Kugel höchstpersönlich hätte abfangen müssen... Er hätte nicht sterben dürfen. Und ich hab ihm noch gesagt, als er da in meinen Armen lag und seine letzten Atemzüge tat, er solle es bloß nicht wagen jetzt zu sterben. Er hat mir noch erzählt, seine Mutter habe nach ihm gesucht und er würde sie am nächsten Tag in genau diesem Park hier treffen... Er hat nicht auf mich gehört. Ich konnte es einfach nicht fassen. Mein bester Freund war tot. Ich weiß nicht, wie ich das Gefühl, das in diesem Moment, da ich das begriff, in mir tobte. Einerseits war ich leer, absolut leer. Doch gleichzeitig war ich auch von Trauer, Schmerz, Wut und Zorn erfüllt. Richtig seltsam... Ich werde es wohl niemals vergessen. Yi-Che hat geweint, glaube ich. Ich bekam kaum noch etwas mit. Es war, als wäre ich in einen durchsichtigen Vorhang gehüllt. Ich sah und hörte alles, doch es kam kaum etwas in meinem Bewusstsein an.

Langsam ließ ich seinen leblosen Körper zu Boden gleiten und sah auf. Son stand ein paar Schritte von uns weg. Gleich nachdem wir zu Toshi gerannt waren, hatte er sich um Kei gesorgt und war in dessen Richtung verschwunden. Nun konnte ich sehen, dass er wie angewurzelt dastand und in die Gegend starrte. Ich ging auf ihn zu und Yi-Che folgte mir. Ich konnte mir schon denken, was Son sah. Kei hatte sich diesen Typen als seine nächste Mahlzeit ausgesucht. Das Bild, das sich uns bot, war auch für mich seltsam. Ich hatte Kei nie besonders oft beim Trinken zugesehen, aber so hatte ich ihn noch nie erlebt. So gierig... So ohne jede Kontrolle über sich selbst. Er hatte einen so wahnsinnigen Blick, dass mir ein weiterer eiskalter Schauer über den Rücken lief. Seine ach so tolle Diät hatte ihn die Beherrschung verlieren lassen. Ich sagte ihm, er solle aufhören, immer und immer wieder. Ich flehte schon. Ich erzählte ihm, dass Toshi gerade gestorben war, doch er reagierte nicht. Er sah nur einmal auf und grinste auf eine recht durchgeknallte Art... Er machte mir Angst. Und nicht nur mir, auch Son und Yi-Che waren sichtlich verstört. Wahrscheinlich wäre es mir an ihrer Stelle auch so gegangen. Als Kind mag ich anders reagiert haben, als ich ihn das erste Mal trinken sah, doch was wäre gewesen, wenn ich ihm erst später begegnet wäre? Und vor allem, wenn ich ihn so gesehen hätte, wie die beiden...

Ich brachte sie nach Hause. Dort erzählte ich ihnen, was sie da genau gesehen hatten, auch wenn sie sich das vielleicht schon denken konnten. Ich erzählte ihnen auch, wie sich Kei ständig mit seinem Schicksal herumquälte - immerhin hatten wir erst vor ein paar Stunden wieder darüber gestritten. Ich erzählte ihnen auch, wie ich ihn damals gefunden und er Toshi, meinen Bruder und mich gerettet hatte. Ich erzählte ihnen, wie menschlich er doch noch war... Son schien die Vampirgeschichte recht gefasst aufzunehmen. Es war zwar immer noch ein Schock für ihn, aber er hat nichts weiter dazu gesagt. Trotzdem konnte ich ihm genau ansehen, wie er Kei zu hassen und zu verabscheuen begann. Auch das machte mich traurig, denn an Kei selbst hatte sich schließlich nichts geändert. Sie hatten nur eine Sache bisher nicht gewusst, das war alles. Dadurch, dass sie es nun erfahren hatten, hatte sich Kei doch nicht verändert. Es war alles so unwirklich... Bei Yi-Che war es ähnlich, auch wenn sie ihn nicht hasste oder verabscheute. Ich konnte an ihren Gesichtszügen sehen, wie sich ihre Haltung ihm gegenüber verändert hatte. Es hatte mir zwar nie so wirklich gefallen, dass sie anscheinend Interesse an ihm gezeigt hatte, doch ich dachte, ich könnte sie auch nicht zwingen, sich statt in ihn in mich zu verlieben. Gefühle lassen sich nicht manipulieren und Liebe lässt sich nicht erzwingen. Oh ja, ich liebte sie. Doch das ist eine andere Geschichte und gehört nicht hierher...

Auf dem Rückweg zu unserer Wohnung ging ich wieder durch den Regen. Nass war ich so oder so schon, also was sollte es? Ich ging langsam und machte mir über dies und das meine Gedanken. Ich ließ die Ereignisse alle nochmal revu passieren, bis ich wieder an Toshi dachte und erneut zu weinen begann. Es war so grausam. Er war schon seit der Zeit im Waisenhaus ein Teil meines Lebens gewesen. Eine lange Zeit, eine sehr lange Zeit... Und nun fehlte dieser Teil. Er fehlte und würde niemals wieder kommen... Ich fragte mich, wie es nun weiter gehen sollte. Wie ich Son und Yi-Che noch unter die Augen treten sollte. Ob sie mich überhaupt noch sehen wollten? Dass sie Kei nicht noch einmal begegnen wollten, wusste ich auch ohne sie fragen zu müssen. Ich fand es unfair. Sehr unfair sogar... Kei hatte nie um ein solches Leben gebeten und er war damit alles andere als glücklich. Wie oft hatte er Albträume gehabt? Wie oft hatte er mich traurig angelächelt? Er hatte sowieso immer nur traurige Augen gehabt... Wie oft hatten wir uns schon in den Haaren gehabt, weil er es angeblich nicht mehr ertragen konnte, Blut zu trinken? Viel zu oft... Hätte ich die Möglichkeit gehabt, ihm auch nur ein kleines Stück seines Leids abzunehmen, ich hätte es getan. Er hielt mich immer für selbstsüchtig. Doch wenn es um ihn ging, hätte ich alles andere aufgegeben. Er bedeutete mir alles. Hätte er die Chance gehabt, wieder ein Mensch zu werden und ein ganz normales Leben zu führen, ich hätte ihm Yi-Che überlassen, wenn er das gewollt hätte. Ich weiß, glücklich zu werden ist schwer. Doch ich hätte ihm alles Glück der Welt gewünscht, selbst wenn das bedeutet hätte, dass ich für den Rest meines Leben unglücklich gewesen wäre. Wie schon gesagt, mein Leben gehörte sowieso bereits ihm...

Doch was mir am meisten Sorgen bereitete war Kei selbst. Ich wusste, er würde sich selbst für sein Verhalten verachten. Wenn es ganz schlimm wäre, würde er selbst mich nicht mehr an sich heran lassen. Es würde schwer werden, ihn zumindest ein bisschen zu trösten und ihn wieder zum Lächeln zu bringen, überlegte ich. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Und dann war da auch noch die Frage, ob ich so tun sollte, als wäre nichts gewesen, und mich wie immer verhalten sollte, oder nicht. Ich zerbrach mir den Kopf und zerbrach mir den Kopf... Als ich dann vor unserer Tür stand, hatte ich immer noch keine Antwort gefunden. Ich wusste ja nicht einmal, was ich sagen sollte, wenn ich ihn sehen würde. Wie ich ihn begrüßen sollte... Also holte ich einmal tief Luft und betrat die Wohnung. 'Ich sage einfach das, was mir als erstes einfällt.', nahm ich mir vor. Doch letztlich war es egal, denn die Wohnung war leer. Zunächst dachte ich mir nicht viel dabei und sah in allen Zimmern und Ecken nach, für den Fall, dass er sich irgendwo verkrochen hatte. Doch ich fand ihn nicht. Also musste er noch draußen irgendwo herumgeistern. Auch da dachte ich mir noch nicht viel dabei. Vielleicht ging er auch noch im Regen durch die Straßen und musste nachdenken. Es wäre nicht das erste Mal gewesen... Außerdem war viel passiert. Selbst als er auch mitten in der Nacht noch nicht da war, war ich davon überzeugt, dass er noch vor Sonnenaufgang wieder hier sein würde. Wo sollte er auch sonst hin? Dies hier war sein Zuhause. Ich war seine Familie. Es gab für ihn keinen anderen Platz...

Doch auch in dieser Sache sollte ich bald eines besseren belehrt werden. Nachdem ich ein paar Stunden geschlafen hatte, war er immer noch nicht wieder da. Deshalb ging ich in der Wohnung auf und ab. Ich war unruhig, warum konnte ich mir nicht erklären. Ich machte mir immer noch Sorgen um Kei. Dass er so lange fort blieb, war an sich nichts ungewöhnliches. Und doch sah ich jede neue Minute wieder auf die Uhr, während ich auf ihn wartete. Wenn man an die Situation dachte, in der er steckte, wäre es durchaus denkbar gewesen, dass er sich zu viele Vorwürfe machte. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, was er aus Kummer alles tun könnte... Und so wurde ich immer ungeduldiger. Ungeduldiger und unruhiger. Bis mir auffiel, dass etwas fehlte. Seine Bürste, seine Schuhe... Panik beschlich mich zusammen mit einer bösen Vorahnung. So schnell wie möglich stürmte ich ins Zimmer und riss die Schranktüren auf. Auch hier dasselbe Bild: Seine gesamten Sachen waren wie vom Erdboden verschluckt. Alles komplett weg, nicht eine Unterhose hatte er da gelassen. Wieder konnte ich es nicht fassen. Tränen stiegen mir in die Augen, auch wenn ich gegen sie ankämpfte. Ich brach vor dem Schrank zusammen und schrie. Ich schrie vor Wut, vor Verzweiflung, vor Enttäuschung, vor Schmerz und vor Einsamkeit. Ich rief nach ihm, rief seinen Namen. Ich schrie, er solle gefälligst zurück kommen, doch natürlich tat er das nicht. Es war nun schon zum zweiten Mal, dass ich an diesem Tag von einem meiner besten Freunde verlassen worden war. Das war zu viel. Ich fühlte mich verraten. Wie konnte er mich einfach so verlassen? Und das, ohne sich zu verabschieden, sondern heimlich hinter meinem Rücken!? Das war nicht fair... Das war einfach nicht fair.

Ich weiß nicht mehr, was ich dann tat. Oder was ich auch nur dachte. Zweifellos dachte ich an ihn, aber was genau dachte ich? Irgendwie stolperte ich auf die Straße. Ich suchte die halbe Stadt nach ihm ab, auch als es schon hell geworden war. Vor dem Sonnenlicht musste er sich immerhin irgendwo verstecken und konnte nicht weiter. Die Frage war nur, wie weit war er in der Zwischenzeit schon gekommen? Und in welche Richtung war er verschwunden? War er überhaupt noch hier in Malepa? Je mehr ich darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es mir, dass ich ihn wirklich würde finden können. Ich rechnete sowieso nicht damit, dass er mir antworten würde, wenn ich nach ihm rief. Wieder hätte ich einfach nur schreien können. Es war so unerträglich, dieses Gefühl, dass ich irgendwie alles verloren hatte. Doch ich rannte weiter durch den Regen. Weiter und weiter und immer weiter. Irgendwann fand ich mich an der Seitengasse wieder, die ich damals als kleiner Junge auch entlang gegangen war, kurz bevor ich ihn in dieser Ecke gefunden hatte. Instinktiv ging ich dort hin. Kaum eine Sekunde später sah ich ihn wie damals vor meinem geistigen Auge wieder auf dem Boden liegen. Mit den langen, blonden Haaren, verdreckt und völlig fertig. Die Erinnerungen überwältigten mich und wieder brach ich in Tränen aus. Ich zitterte. Ich wimmerte. Ich flüsterte seinen Namen, bat darum, ihn wieder zu sehen. Ich hätte wohl alles dafür gegeben, dass er nur wieder bei mir wäre. So stand ich da, inmitten der alten Trümmer, die so viele Erinnerungen verbargen. Und es regnete immer noch...
 

Ja, ich weiß es noch genau, als wäre es eben erst passiert. Es regnete an dem Tag, als Toshi starb...

Bei Sonnenaufgang war's

"Ich möchte die Sonne wiedersehen."

Das war es, was er zu mir sagte. Luka hatte genug. Genug von seinem Leben, das schon längst keines mehr war. Und obwohl ich ihn darum bat, es nicht zu tun, wusste ich doch ganz genau, wie es ihm ging. Ich konnte ihn gut verstehen. Auch ich kann diese Art, wie wir endlos unser Dasein fristen, oft nicht ertragen. Ich frage mich, warum so viele Menschen unsterblich sein wollen. Oder warum sie Vampire so mögen. Die haben doch alle keine Ahnung... Es gibt absolut nichts Tolles daran, sich vom Blut anderer zu ernähren oder immer und immer wieder dabei zuzusehen, wie alle um dich herum älter werden und einer nach dem anderen sterben. Im Gegenteil, es ist die Hölle. Genau deshalb hatte ich mich immer auf Luka gestützt. Er war wie ich, ein Vampir. Ein Monster... Und er war mein Freund. Jahrelang waren wir zusammen unterwegs. Noch heute wundere ich mich manchmal, welch ein Zufall unsere Begegnung doch war. Immerhin war keiner von uns des anderen Erschaffer.

Doch wie gesagt, wir waren Freunde, sehr gute sogar. Er bedeutete mir damals alles. Ich hätte sonst was für ihn getan. Dieses Mal war es eben sein Wunsch, noch einmal an den Strand zu gehen und die Sonne zu sehen. Ich brachte ihn hin und wir wussten beide, es würde seinen Tod bedeuten. Vielleicht auch den meinen, sollte ich zu lange bei ihm bleiben. Ich wartete zusammen mit ihm. Als ich die Sonne sah, bekam ich wieder Angst. Ich flehte ihn noch einmal an, wieder mit mir fort zu gehen, doch er blieb stur. Es hat mir das Herz gebrochen. Ich wollte ihn nicht verlieren. Was sollte ich denn bitte ohne ihn machen? Ich wäre nur wieder allein, ganz allein. 'Finde einen neuen 'Freund'.', hatte er mir gesagt. Idiot! Als ob das so einfach wäre. Als ob ich ihn einfach so ersetzen könnte. Was dachte er sich dabei? Wusste er denn wirklich nicht, was er mir bedeutete? Elender Ignorant...

Er war mein einziger Freund, meine Familie. Mein ein und alles. Das, worum sich meine kleine Welt drehte. Und nun sollte ich das für immer verlieren? Ich hielt es nicht mehr aus, als ich ihn da am Strand brennen sah. Dieser Entschluss von ihm, mich so zu verlassen, tat weh. So unerträglich weh... Ich rannte fort. Einfach nur weg. Ganz weit weg. Wohin ich rannte, wusste ich selbst nicht richtig. Ich achtete nicht weiter auf den Weg. Ein paar Mal wäre ich sogar fast noch über irgend etwas gestolpert. Ich weiß nicht, wie lange oder wie weit ich rannte. Doch es war mir egal. Es war mir auch egal, ob ich nun weiter durchs Sonnenlicht rannte oder nicht. Zu rauchen hatte ich sowieso schon angefangen.

Irgendwann blieb ich dann aber doch stehen. Keine Ahnung, wo ich war. Es interessierte mich auch nicht weiter. Plötzlich fühlte ich mich so schwach. Als könnte ich nicht einen Schritt mehr tun. Nicht einen einzigen... Ich sah zu Boden und ging schon im nächsten Moment zu Boden. Vor lauter Tränen konnte ich eh nicht mehr viel sehen. Ein Wunder, dass ich so dieses Loch in der Mauer gefunden habe. Ich kroch irgendwie hin und hinein. Dort blieb ich - ich weiß nicht, wie lange. Ich versteckte mich, weinte und fluchte. Am liebsten hätte ich mich für immer dort verkrochen. Das war mein erster Tag im neuen Jahrtausend.

Mit Luka hatte ich alles verloren, wofür ich noch weiter gelebt hatte. Alles, wofür ich all diese anderen Dinge immer ertragen hatte. Die ewige Dunkelheit, die Angst vor der Sonne, diese verdammte Bluttrinkerei... Alles nur für ihn, nur für ihn. Um weiter bei ihm sein zu können. Und nun war er weg, zu Asche verbrannt. Und auch, wenn ich nun keinen Sinn mehr in meinem eigenen Dasein sehen konnte, hatte ich nicht bei ihm bleiben und mit ihm sterben können. Ich hasste mich dafür. Ich hasste mich so abgrundtief. Wie hatte ich nur so feige sein können? Warum hatte ich so eine tiefe Furcht vor der Sonne oder vor dem endgültigen Sterben haben können?

Ich weiß es nicht. Aber seither hat sich nichts verändert. Noch immer schleppe ich mich in dieser versüfften Stadt umher. Noch immer habe ich kein Ziel, keinen Grund noch weiter zu machen. Noch immer fühle ich mich leer und ausgebrannt. Ein Vampir mit Burn-out-Syndrom. Es ist zum Kotzen. Oft frage ich mich, was mich eigentlich noch hier hält, warum ich nicht endlich einen Schlussstrich ziehe. Viel zu oft stelle ich mir diese Frage. Und ich finde doch keine Antwort. Manchmal habe ich so meine Zweifel, ob es sie denn überhaupt gibt.

Müde schließe ich die Augen und seufze. Das hat doch alles keinen Sinn mehr. Ich will nicht mehr. Ich will hier weg. Ich will dorthin, wo Luka jetzt ist, nur ohne erst noch Verbrennen zu müssen. Ohne Schmerzen. Doch andererseits möchte ich auch nicht so von hier fort - ohne meinen Frieden mit mir und der Welt gemacht zu haben. Schätze, genau das lässt mich so zögern. Scheiße, bin ich kompliziert...

Und so liege ich wieder irgendwo in einem Hinterhof auf dem Boden, genauso verdreckt, versüfft und heruntergekommen wie Mallepa, und starre in die Gegend. Ich kann mich zu gar nichts mehr aufraffen. Absolut gar nichts. Nicht einmal zum Trinken habe ich die Kraft. Ich bin so bescheuert. Nicht einmal den kleinen Jungen, der da so hilflos vor mir steht, falle ich an. Es wäre so einfach. Ein schneller Griff, mit dem ich ihn zu mir ziehe, ein Biss in den Hals und das wäre es gewesen. Aber ich habe keine Lust. Ich habe einfach keine Lust... Das muss man sich auch mal reinziehen: Ein Vampir, der keinen Bock aufs Bluttrinken hat. Ich bin nicht nur bescheuert, sondern auch krank. Total krank.



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  Saki-hime
2009-05-21T11:20:25+00:00 21.05.2009 13:20
So schön... Q///Q
So schön traurig... Q_Q
...in der Kürze liegt die Würze, ne? Q___q

Saki-hime *flausch*
Von:  Earu
2009-03-16T20:20:15+00:00 16.03.2009 21:20
Wirklich ein sehr schöner OneShot. Die Stimmung und die Gedanken sind wirklich sehr nachvollziehbar. Sieht man selten, dass ne MoonChild FF ohne Pairing auskommt, aber diese hier tut es und alles, was in Richtung Pairing gehen würde, würde nur störend wirken.

Und ich hab auch drauf geachtet, wo du da nen fehler gemacht haben willst, ich hab keinen gefunden ^^ Siehste mal, so schlimm scheint er dann gar nich zu sein. Außerdem isses ja alles aus der Ich-perspektive, wo schonmal Fehler entstehen können, wenn man sich erinnert x3
Von:  Earu
2009-02-21T18:41:59+00:00 21.02.2009 19:41
Joha, also dein Vorhaben is dir wirklich geglückt, ich hab bis zum Ende nicht gemerkt, wer spricht ^^ ich hab immer hin und her überlegt, wer es sein könnte und gedacht, dass du dich vielleicht verräst, weil Vampire ja weder Atem und Herzschlag haben, aber das is ja auch nich immer so. Muss echt schwierig gewesen sein, die Sätze immer so zu formulieren, dass es neutral klingt. Aber hut ab, is dir gelungen.

Über deinen Stil brauch ich glaubich nix sagen, ich mag ihnm sowieso. und die Story is süß ... und traurig ;_; ... ich mags also :3
Von:  Ai_Mikaze
2009-02-19T10:55:33+00:00 19.02.2009 11:55
Oh Gott. .__. Mal was anderes, dass er es ihm nicht sagt. Gefällt mir. <3
Aber vielleicht hättest du noch nen Absatz rein machen sollen zwischen dem 'Wechsel'. Also, Kei beobachtet ihn ja erst und dann ist ja nächster Morgen, ne? :/
Aber seine Gedanken sind wirklich nachzuvollziehen. Vorallem, weil es der Realität entspricht.
Von:  Ai_Mikaze
2009-02-19T10:48:21+00:00 19.02.2009 11:48
;___;
Aww~ toll! >_<
Am Anfang hatte mich ein Wort gestört, weil das irgendwie so ein Wiederholungsfehler war. XD Keine Ahnung - ist wahrscheinlich nicht so wichtig, aber ich wollte es anmerken. ._.

"Schon immer irgendwie." -> Was soll das 'irgendwie'? .__.~~~
Von: abgemeldet
2009-01-31T00:19:20+00:00 31.01.2009 01:19
Q_______________________________Q
schön
so toll und so traurig!
ich find die toll!!!
*knuffz*
Von:  Ai_Mikaze
2008-11-03T13:20:05+00:00 03.11.2008 14:20
Oh Gott! ;_____; Das ist so ergreifend. Und der Schluss.. ;_; So schön. >__< Zwar kurz, aber ich mag sie. <3


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