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Step Into My World

von

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Step One... Work

Arbeit lässt sich wie Gummi dehnen, um die Zeit auszufüllen, die für sie zur Verfügung steht.
 

Cyril Northcote Parkinson
 


 

Mamoru Chiba
 


 

„Du bist mir böse, oder?“

Ich drehte mich verdutzt um und sah Bunny an. Ich verstand ihren Gedankensprung zwar nicht, aber das hatte ich noch nie.

„Wovon redest du?“

Ihr Seufzen zeigte mir, dass das nicht die Antwort gewesen war, die sie erhofft hatte. Theatralisch wie sie sein konnte, legte sie ihren Kopf auf ihr Mathematikbuch und begann damit, Kreise auf ihr Blatt zu zeichnen.

„Jetzt fehlt nur noch die Regenwolke über deinem Kopf und das Bild ist perfekt.“ Lächelnd stellte ich eine Tasse Tee neben sie und setzte mich ihr wieder gegenüber.

Die Nachhilfestunden, die ich ihr seit einigen Wochen gab, nutzte sie meistens nicht zum lernen, sondern um zu reden.

In ihren Augen wurde das normale Leben, besonders was die Schule anging, mit jedem Tag komplizierter.

Meistens reagierte ich auf solcherlei Erzählungen mit einem Lächeln und versuchte ihr Mut zu machen.

„Also, bist du mir nun böse?“ Sie nahm die Tasse und nippte daran, ließ mich dabei aber nicht aus den Augen.

„Ich meine, wegen Seiya?“

Jetzt erst verstand ich, was sie bedrückte. Nachdenklich sah ich sie an, schüttelte dann aber den Kopf.

„Ganz sicher nicht. Wir haben doch lang und breit darüber geredet und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir beide eine Trennung für besser hielten.“ Sachte stellte ich die Tasse wieder ab und sah Bunny an.

„Ich meine – eine Zukunft aufzubauen, aufgrund einer Jahrtausende alten Vergangenheit, das ist schon etwas lachhaft. Du und ich sind nicht mehr die gleichen Menschen wie damals. Und wenn du ihn liebst und er dich... und das scheint ja der Fall zu sein, wenn er den langen Weg bis zur Erde aufnimmt, nur um bei dir zu sein.“

Mit einem Ruck zog ich den Zettel unter ihrem Buch hervor. Eigentlich sollten dort einige Rechenaufgaben stehen, doch derlei war nicht zu sehen. Stattdessen war der Zettel mit lauter kleinen Kritzeleien übersät, wie Sterne, Blumen und Kringel.

„So wirst du die nächste Arbeit sicherlich nicht bestehen“, tadelte ich sie kurz und wedelte mit dem Zettel vor ihrer Nase herum. Bunny schenkte mir daraufhin nur ein Augenrollen und nippte erneut an dem Tee.

In letzter Zeit war viel passiert. Irgendwie war das letzte Jahr sehr ruhig verlaufen, was Dämonen und den ganzen Kram anging. Es schien wirklich Frieden zu herrschen, den man schon fast beständig nennen konnte.

Doch insgeheim hatten wir in dieser Zeit alle mit unseren eigenen Dämonen zu kämpfen begonnen.

„Du solltest es den Anderen sagen.“ Wieder sah ich Bunny an. Dass sie auch nicht in ganzen Sätzen reden konnte. Jedoch wusste ich jetzt gerade schon, was sie meinte und vielleicht ärgerte mich das sogar mehr, als wenn ich sie nicht verstanden hätte.

„Dann, wenn ich es für relevant halte. Es geht ja schließlich keinen was an und außerdem will ich ja nicht für immer aufhören. Eine kleine Auszeit ist halt auch für mich mal wichtig.“

Meine Stimme klang genervt und es war mir sogar egal.

Dass sich Bunny Sorgen machte verstand ich, so war sie eben. Aber trotzdem wollte ich mich vor ihr nicht rechtfertigen.

Außerdem empfand ich es nicht als so dramatisch, dass ich das Studium unterbrochen habe. Die Gründe waren eigentlich andere, als jene, die ich Bunny genannt hatte, aber sie musste nicht alles wissen.

In letzter Zeit lief eben nicht alles so glatt und die Studiengebühren fielen leider nicht vom Himmel. Diese Zwangsauszeit musste ich wohl oder übel nehmen. Denn ohne Studiengebühren – kein Studium.

Es hieß also in einem Jahr einen so guten Job zu finden, dass ich das nötige Geld zusammensparen konnte.

Zwar hatte ich immer gewusst, dass das Geld meiner Eltern, egal wie gut es angelegt war, nicht ewig reichen würde, doch hatte ich schon gehofft, dass es wenigstens noch für dieses Jahr so wäre. Doch anscheinend hatte ich mich verkalkuliert.

Zur Zeit sah es alles andere als gut aus, was meine finanzielle Lage betraf.

Die Zeitungen mit den Jobanzeigen stapelten sich schon in meinem Schlafzimmer und nahmen irgendwie auch nicht ab.

Man konnte sich ja gar nicht vorstellen, wie schwer es war, einen Job zu finden, der zum Ersten moralisch vertretbar und zum Zweiten trotzdem gut bezahlt war.

Normalerweise machte es mir nichts aus zu arbeiten, egal was es war. Doch diese Jobs waren auch nicht so gut bezahlt und ich hatte eigentlich vor, im nächsten Jahr wieder in das neue Studienjahr mit einzusteigen. Doch wenn meine Pechsträhne weiterging, dann konnte ich mir das wohl abschminken.

Seufzend lehnte ich mich zurück und dachte nach.

„Mamoru – Mamoru!“

Ich zuckte zusammen und sah Bunny an, welche diesen altbekannten, besorgten Gesichtsausdruck aufgelegt hatte.

„Wenn – wenn du Probleme hast, dann kannst du mit mir reden. Ich bin doch eine gute Zuhörerin.“

Ich nickte nur und nahm ihr Mathebuch wieder zur Hand.

„Wenn du die nächste Arbeit nicht verhauen willst, dann solltest du mir mal zeigen, ob du wirklich verstanden hast, was die in diesen Aufgaben von dir wollen.“ Ich legte das Buch vor ihre Nase ab und tippte auf die Nummern, welche sie rechnen sollte.

„Ich hasse Lernen.“ Ihr nörgelnder Ton ließ mich kurz auflachen, doch dann schafften wir es endlich, uns wieder ihrer Nachhilfe zu widmen. Auch wenn ich teilweise gedanklich noch immer bei den Stellenanzeigen war.

Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, Bunny verschiedene Matheformeln einzubläuen. Währenddessen erzählte sie mir nur immer wieder, dass ich schon so klingen würde wie Rei.

Diese Vorwürfe musste ich mir neuerdings öfter anhören, auch wenn ich verstand, dass Bunny meine Predigten schon zum Hals heraushängen mussten.

Es war schon recht spät, als ich Bunny nach Hause fuhr und ich war ihr dankbar, dass sie mich nicht mehr über mein Studium ausfragte.

„Glaubst du, dass dieser Yosuke nett zu Minako ist?“ Ihr Blick war auf einige Teenager gerichtet, welche die Ampel überquerten, an der ich hielt.

Ein Schmunzeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab, als ich weiterfuhr.

„Du kannst mir glauben. Yosuke ist ein netter Mensch, auch wenn er manchmal etwas verrückt ist und viel dummes Zeug redet. Ich finde sogar, die beiden passen gut zu einander.“ Beruhigend lächelte ich sie an. Ich fand es immer schon beachtlich, wie viele Sorgen sie sich immer um Andere machte. Aber so war sie halt und das machte sie ja auch so liebenswert.

„Mach dir keine Sorgen. Für Yosuke verbürge ich mich.“ Ich hielt vor ihrem Haus. Noch einmal lächelte sie mich an, bevor sie ausstieg.

„Danke, dass du mir beim Lernen hilfst. Ich weiß ja, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin.“

„Ich mag Herausforderungen“, gab ich ihr nur als Antwort, bevor sie endgültig ausstieg und die Autotür schloss.
 

Es dauerte keine zwanzig Minuten und ich war wieder in meiner Wohnung, müde setzte ich mich auf mein Bett. Eigentlich fielen mir fast die Augen zu, doch ich entschloss mich, trotzdem noch einen Blick in die heutige Zeitung zu werfen. Irgendwie hatte ich den ganzen Tag noch keine Zeit dazu gefunden.

Mit einem Bleistift bewaffnet durchsuchte ich die Stellenanzeigen nach passenden Jobangeboten, doch eigentlich stand genau dasselbe wie gestern und den Tag davor drinnen.

Gerade als ich die Zeitung weglegen wollte, fiel mein Blick auf eine kleine Anzeige am unteren Ende der Zeitung.
 

‚Suchen Büroboten, Vollzeit, gute Bezahlung!

Bewerbungen z.H. Frau Midori’
 

Das klang nicht gerade schlecht, auch wenn die Angaben mehr als dürftig waren.

Da es nur eine Adresse war und keine Telefonnummer, beschloss ich, morgen früh selbst bei dieser Adresse vorbei zu fahren.

Vielleicht hatte ich ja doch Glück, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass dabei etwas Vernünftiges herauskommen sollte.

Ich kreiste mir diese Anzeige an und versuchte, positiv zu denken. Es konnte nur besser werden.

Nachdenklich warf ich noch einen Blick hinaus, zog dann die Vorhänge zu und legte mich schlafen.
 


 

Ayame Midori
 


 

Wie ich meinen Job doch manchmal hasste, oder besser den Mann, für den ich arbeitete.

Ich faltete die Zeitung zusammen und ließ sie in den Mülleimer fallen.

„Sind noch immer keine Bewerber da?“

Ich zog eine Augenbraue hoch und sah meinen Chef nur zickig an.

„Auf so eine Anzeige wird sich sicherlich keiner melden. ‚Bürobote’ gesucht! Sie suchen doch eine Vertretung für mich, weil ich nächste Woche aufhöre. Denken Sie etwa, auf so eine präzise Anzeige melden sich qualifizierte Fachkräfte?“ Seufzend fasste ich mir an die Stirn und schüttelte den Kopf.

„Sie können froh sein, dass ich Ihnen bei solchen Angelegenheiten nicht vertraue. Ich habe mir also die Freiheit genommen, selber eine Stellenanzeige aufzugeben.“ Mit einer gekonnten Handbewegung zog ich die passende Seite aus einer anderen Zeitung heraus und reichte sie meinem Chef. Oh Gott, ich war so froh, endlich in meinen wohlverdienten Erziehungsurlaub zu gehen. Ich wusste wirklich nicht, was anstrengender war, dieser Job oder die Schwangerschaft.

„Sie könnten ruhig weiterarbeiten, vom Krankenhaus geht das auch und außerdem bezahle ich Ihnen so viel, da können Sie sich auch ein Kindermädchen leisten.“

Ich ignorierte Herrn Lenjier einfach und öffnete die Briefe auf meinem Schreibtisch.

„Es ist eine Verschwendung von Geld, eine so ausführliche Anzeige aufzusetzen“, kam es scharf von ihm, als er die Anzeige laut zu lesen begann.
 

‚Für eine renommierte, international tätige Firma mit Sitz im Zentrum von Shinjuku suchen wir schnellstmöglich eine/n
 

SekretärIn/AssistentIn mit sehr guten Englischkenntnissen.
 

Aufgabenschwerpunkte:
 

· Erledigung der Korrespondenz in japanischer und englischer Sprache

· Reise- und Terminorganisation

· Unterstützung bei der Projektplanung

· Terminierung, Tagesplanung

· Serviceorientierte Kundenbetreuung

· Vielfältige Organisations- und Koordinationsaufgaben
 

Fachliche Anforderung:
 

· Kaufmännische Ausbildung oder Abschluss als Sekretär/in

· Möglichst mehrjährige Berufserfahrung

· Sehr gute Englischkenntnisse in Wort und Schrift

· Gute PC-Kenntnisse (Word f. Windows, Excel, Power Point)
 

Persönliche Fähigkeiten:
 

· Ergebnisorientierung

· Hohe Einsatzbereitschaft

· Selbstständige, strukturierte Arbeitsweise

· Teamfähigkeit und Belastbarkeit

· Zuverlässiges und systematisches Arbeiten
 

Unser Kunden bieten Ihnen eine abwechselungsreiche Tätigkeit, einen modernen Arbeitsplatz in einem international tätigen Unternehmensumfeld, sowie eine der Position angemessene attraktive Dotierung.

Wenn Sie sich angesprochen fühlen, dann bewerben Sie sich bitte persönlich mit Ihren aussagefähigen Bewerbungsunterlagen bei Fr. Ayame Midori.’
 

Er sah mich mit seinen grünen Augen skeptisch an.

„Platzverschwendung. Außerdem hätten Sie ruhig dazuschreiben können, dass auch Deutschkenntnisse von Vorteil wären – außerdem scheint mir die Wortwahl ‚Teamfähigkeit und Belastbarkeit’ übertrieben. Das Einzige, was Sie hier machen, ist Kaffee trinken und Termine organisieren.“ Er zerknüllte die Zeitungsseite und schmiss sie in den Papierkorb.

„Ich finde, wenn man für Sie arbeitet, sollte man sehr hoch belastbar sein. Außerdem widerstrebte es mir, in die Anzeige zu schreiben, dass der zukünftige Boss eine exzentrischer Egomane ist.“ Ein bissiges Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

Ich war wohl einige der wenigen in dieser Firma, die keine Angst vor diesem Mann hatten, aber ich hatte eben nie vorgehabt, mich von einem Mann fertig machen zu lassen, der fast zehn Jahre jünger war als ich.

„Wenn die ersten Bewerber kommen, sagen Sie mir Bescheid. Ich habe meine eigene Auswahlmethodik.“

Ich seufzte, nickte dann aber. Es hatte ja keinen Sinn, ihn zu belehren.

Innerlich stellte ich mich schon einmal darauf ein, am Ende der Woche keine Vertretung für mich gefunden zu haben.
 


 

Mamoru Chiba
 


 

<Vielleicht ist die Idee doch nicht so gut>, schoss es mir durch den Kopf, als ich vor diesem riesigen Gebäude stand.

Ich war schon oft in Shinjuku gewesen, alleine deswegen schon, weil meine Universität in diesem Stadtviertel lag. Doch es war etwas Anderes, diese riesigen Wolkenkratzer von fern zu sehen, oder direkt davor zu stehen.

Aber es nützte nichts, ich brauchte einen Job und wenn dieser wirklich so gut bezahlt wurde, dann musste ich den Kloß in meinem Hals wohl hinunter schlucken.

Im Inneren dieses Gebäudes sah es nicht minder atemberaubend aus. Die Leute, die hier herumliefen, hatten in meinen Augen sicherlich mehr Geld, als ich in meinem ganzen Leben verdienen würde.

Ich war wirklich dankbar dafür, mich heute morgen doch für das weiße Hemd und das schwarze Sakko entschieden zu haben. So fiel ich wenigstens nicht ganz so rapide auf.

Am Empfang saß eine Frau mittleren Alters, ihr blondes Haar hatte sie zurück gesteckt. In einer Hand hatte sie einen Telefonhörer in der anderen eine Liste, die sie einem Mann hinhielt, der vor mir stand.

Als mein Vordermann sich darin eingetragen hatte, eilte er ziemlich abgehetzt zu den Fahrstühlen.

Hier herrschte ein Treiben wie in einem Bienenstock.

Das Namensschild der Frau zeigte mir, dass ich es hier mit Frau Arakawa zu tun hatte. Diese jedoch bedachte mich nur mit einem kritischen Blick und führte ihr anscheinend wichtiges Telefonat weiter.

Innerlich verdrehte ich die Augen, doch was sollte man machen, wenn eine Unterhaltung über Nagellack und Schwangerschaft interessanter war, als der eigentliche Job? Dann von mir aus.

Nach etwa zehn Minuten höflichen Wartens und Stillschweigens, wandte sie sich dann doch endlich mir zu.

„Was kann ich für Sie tun?“ Ihre Stimme klang überraschend freundlich.

„Ich würde gerne zu Frau Midori.“

„Wegen dem Job?“ Ich konnte mich irren, aber sah sie mich wirklich mit einem gewissen Mitleidsblick an?

„Etage 39, dann gehen Sie nach links und kommen direkt zu Frau Midoris Büro. Sie können es nicht verfehlen.“ Sie deutete zu den Fahrstühlen. „Viel Glück und nehmen Sie es nicht persönlich!“

Ich sah sie überrascht an, doch sie lächelte nur und nickte.

Zwar hatte ich keine Ahnung, was sie meinte, aber irgendwie breitete sich dank dieser Aussage ein gewisses Unwohlsein in mir aus.

Doch ich verwarf dieses Gefühl schnell wieder, was sollte schon passieren?

Schlimmer als ein Kampf gegen Dämonen konnte es nicht werden.
 

Bei einem Gebäude mit fünfundvierzig Etagen kam einem eine Fahrstuhlfahrt fast schon unendlich lange vor. Die meisten Menschen waren schon in den ersten zwanzig Etagen ausgestiegen und so war ich der Einzige im Fahrstuhl, als sich seine Türen im neununddreißigsten Stock öffneten.

Ich hielt mich links und ging einen langen Flur entlang, links und rechts befanden sich einige Türen und der Boden war mit dunklem Laminat ausgelegt. Alles in allem wirkte es wirklich sehr edel.

Vor mir erschien eine Glastür, welche offen stand, dahinter befand sich ein relativ großer Raum, wo Stühle standen. Bis auf zwei oder drei Stühle waren alle besetzt. Dieser Raum wimmelte nur so von jungen, hübschen Frauen in kurzen Röcken. Ich musste zugeben, dies war kein schlechter Anblick.

Ich nickte, als mich einige der Frauen ansahen und bekam einige reizende Lächeln zurück geworfen.

<Für Yosuke wäre das hier wahrscheinlich der Himmel>, dachte ich mir und musste ein Lachen hinunter schlucken.

Eine weitere Tür führte in ein schönes, helles Büro mit einer großen Fensterfront. Ich klopfte an die nur halb angelehnte Tür.

„Ja, bitte?“ Ich trat in das Büro und sah zu einer Frau, welche gerade auf einer kleinen Leiter stand und einige Aktenordner aus einem Regal hievte. Erst beim zweiten Mal hinsehen sah ich, dass die Frau schwanger war. Ich ging zu ihr und nahm ihr die Aktenordner ab, sie schien etwas überrascht darüber, lächelte dann aber dankbar.

„Danke schön. Mein Mann würde mich umbringen, wenn er wüsste, dass ich das noch mache.“ Sie strich sich einige ihrer kinnlangen Haare aus dem Gesicht, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

„Da würde ich Ihrem Mann auch Recht geben.“ Ich legte die Aktenordner auf ihren Schreibtisch und schmunzelte.

Sie setzte sich und lachte erheitert auf.

„Wenn nur alle Männer so hilfsbereit wären wie Sie, dann hätte ich weniger Arbeit.“ Sichtlich erschöpft griff sie zu einer Flasche Wasser und schüttete sich etwas in ein Glas.

„Was kann ich also für Sie tun, Herr –?“

„Chiba Mamoru“, kam es schnell von mir, während ich aus meiner Umhängetasche meine Bewerbung heraus kramte. „Ich bin hier wegen der Zeitungsanzeige, genauer gesagt, wegen der Stelle als Bürobote.“

Ich hatte es nicht ganz ausgesprochen, da hustete Frau Midori auch schon. Anscheinend hatte sie sich bei dieser Aussage an einem Schluck Wasser verschluckt. Fast schon kreidebleich sah sie mich an.

„Oh mein Gott. Wenn er das erfährt, muss ich mir das ewig vorhalten lassen.“ Ihre Stimme klang nicht erfreut und sie sah etwas genervt zu der großen Tür, welche wohl in ein weiteres Büro führte.

„Sie müssen mir etwas versprechen, sagen Sie niemals, dass Sie wegen dieser kleinen Anzeige hier sind. Bitte!“ Sie sah mich mit einem fast schon bettelnden Blick an, ich nickte nur, auch, wenn ich ihre Aufregung überhaupt nicht nachvollziehen konnte.

„Und was diese Stelle als Bürobote angeht...“ Sie hatte es noch nicht ausgesprochen, da öffnete sich die andere Tür. Ein Mann, Anfang dreißig schätzte ich, trat heraus. Sein Blick glitt zuerst zu mir und dann zu Frau Midori.

„Vernahm ich gerade das Wort ‚Bürobote’?“ Seine Stimme klang unsympathisch und überheblich. So was nannte man im Volksmund auch Ekelpaket.

Es gab nur wenig Menschen, die ich nach einem einzigen kurzen Blick schon als ätzend einstufte, er gehörte jedoch definitiv dazu.

„Nein, haben Sie nicht.“ Die Frau war schnell aufgesprungen und sah ihren Chef mit einem nicht zu deutenden Blick an. Doch dieser schien sie einfach zu ignorieren. Er kam auf mich zu und nahm mir meine Unterlagen aus der Hand.

Er warf nur einen kurzen Blick drauf, als sich ein ekelhaftes, rechthaberisches Lächeln auf seinem Gesicht abbildete.

„Hier steht, Sie bewerben sich für eine Stelle als Bürobote. Dies ist Aufgrund einer kleinen Anzeige in der Zeitung entstanden!“

Mein Gegenüber erwartete keine Antwort auf diese Feststellung, sondern wandte sich sofort um und betrat das Vorzimmer mit den wartenden Damen.

„Sie sind alle unfähig und unqualifiziert. Deswegen dürfen Sie gehen!“

Das nun erfolgende Stimmengewirr wurde recht laut und ich verstand eigentlich die Welt auch nicht mehr.

Einige der Damen kamen dem Herrn, der sie gerade als unfähig bezeichnet hatte, hinterher und überhäuften ihn mit Fragen.

„Meine Damen, bitte...“ Frau Midori versuchte, die aufgebrachten Frauen zu beruhigen, doch sie wollten anscheinend einen besseren Grund, warum sie nicht eingestellt wurden.

Diesen bekamen sie sofort und mir wurde bewusst, dass das Wort Charakterschwein wohl genau auf diesen Mann zutreffen musste. Vielleicht war im Wörterbuch auch sein Bild neben diesem Wort abgebildet.

„Wenn Sie einen Grund brauchen, gut, Sie sollen ihn haben.“ Seine Stimme hatte einen scharfen Ton angenommen und es war sofort still. Er zeigte auf die blonde Frau.

„Ich hasse blondierte Frauen!“

Und so ging es Reih um, von ‚die Ohrringe seien Scheiße’ bis hin zu ‚die Bluse sei nicht weiß genug’ war jede haltlose Begründung vertreten, um diese Frauen nicht einzustellen.

Es dauerte keine fünf Minuten und das Büro war leer.

Noch immer hatte ich keine Ahnung, was hier gerade geschehen war. Ich wusste nur, dass es anscheinend mit mir zu tun hatte.

„Sie können doch nicht all diese Frauen wegschicken! Sie sind alle großartig qualifiziert, um hier als Sekretärin zu arbeiten.“ Die Stimme von Frau Midori überschlug sich fast, dann wandte sie sich an mich. „Bitte nicht persönlich nehmen.“ Sie sah erneut zu ihrem Chef. „Aber Sie können doch nicht alle Bewerber wegschicken, nur weil Ihr Ego es nicht verkraftet, dass sie auf meine Anzeige gekommen sind. Sie stellen diesen jungen Mann doch nur ein, weil er wegen Ihrer Anzeige hier ist. Das ist doch Wahnsinn. Er hat sich schließlich aufgrund einer nicht vorhanden Stellenbeschreibung beworben. Das ist – das ist – hirnrissig!“

„Sie sind doch noch eine Woche hier. Lernen Sie ihn an.“

Er musterte mich noch einmal und verschwand dann wieder in seinem Büro.

Sprachlos und verwirrt sah ich die Frau vor mir an.

„Entschuldigen Sie bitte. Aber ich brauche jetzt erst einmal einen starken Kaffee. Wollen Sie auch einen?“ Ich nickte nur und sah ihr nach, als sie zur Kaffeemaschine ging, welche in einer Ecke des Raumes stand.

„Ich werde sterben. Ich weiß es. Irgendwann werde ich wegen ihm einen Herzinfarkt bekommen oder mich aus dem Fenster stürzen.“

Ihr Gesicht hatte etwas an Farbe verloren und sie schüttelte immer wieder den Kopf. Als sie mir die Tasse mit dem Kaffee reichte, sah sie mich an und lächelte gequält.

„Sie wissen gar nicht, was da auf Sie zukommt.“ Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch und hielt mir einen Zeitungsabschnitt hin.

„Dies hier ist die Stelle, die Sie gerade bekommen haben. Und der Mann, den Sie gerade kennen gelernt haben, ist mein Chef, oder besser unser Chef.“

Ich nahm die Anzeige und las sie mir durch und bei jedem Wort wurde mir ganz anders zumute.

„Aber das – das...“ Ich fand keine passenden Worte, für so einen Job war ich nicht qualifiziert.

„Ich weiß, aber Herr Lenjier hat das entschieden.“

„Lenjier?“

„Ja! Der Mann gerade war – Massanorie Lenjier.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  SenseiSasuNaru
2018-06-18T07:39:09+00:00 18.06.2018 09:39
Welch Klasse Kapitel. Der arme kann einen leid tun.

Von:  Leviathena
2013-05-23T13:31:24+00:00 23.05.2013 15:31
Hum ein guter Auftakt! Bin gespannt auf mehr :D
Von:  Nadi
2008-10-10T10:31:12+00:00 10.10.2008 12:31
Gefällt mir richtig gut ;), auch weil dein Schreibstil flüssig und supi zu lesen ist. ;) Ich freue mich aufs nächste Kapitel.

Alg Nadi

Von:  theDraco
2008-10-08T21:25:36+00:00 08.10.2008 23:25
Absolut genial! XDDDDDD
Besonders geil fand ich, dass Mamoru es "bitte nicht persönlich nehmen" soll... Meeeeeeine Güte, was ein Chaos. X3

Schöner erster Eindruck von Massanorie... *Kopf schüttel*
Den Kerl sollte man mal "versehentlich" mit nem Mähdrescher überfahren. XD
Müsste seine Firma nicht ein einziger Hexenkessel sein, wenn er seine Mitarbeiter nicht nach Qualifikation sondern nur nach Laune auswählt? Das ganze Unternehmen sollte längst den Bach runter gegangen sein. X3
Er kann nur von Glück reden, dass er an Mamoru geraten ist statt an einen dahergelaufenen Deppen.

Super geschriebenes Kapitel! ^^ô *Daumen hoch*


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