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Der Lauf Der Dinge

- Mensch, Shaolan! (RPG-Titel)
von

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Durst

Kapitel 7: Durst

***

Am nächsten Morgen kam er dadurch zu sich, dass ihn jemand in einem Fort mit dem Fuß unsanft gegen den Rücken stieß.

"W-...wawawawas ist denn...?",nuschelte der Magier verschlafen, aber äußerst höflich und brauchte einige Minuten, um seinen Kopf vom Boden hochzukriegen.

"Aufwachen", verlangte Meister Yamm-Salamm und knuffte ihn noch mal mit dem Fuß.

"Die anderen sind schon alle weg!"

Tatsächlich war die Hütte leer, bis auf die beiden.

"W-...waaaaaaas?"

Mit einem Ruck war er auf den Beinen, sodass er sich mal wieder den Kopf anstieß.

"Waaahhh--"

Ohne weiter darauf zu achten, schob der Eierkopf den Magier aus dem Haus. Eindeutig nicht mehr gewillt, dass die Truppe länger da blieb. Sie hatten bisher nur Ärger gebracht...

"Ich muss euch bitten, nicht mehr hierher zu kommen", sagte er zu dem Magier. "Die Anderen sind wohl wieder zum See rübergegangen."

Fragend sah der Magier ihn an, dann seufzte er jedoch.

"Na schön. Wir können euren Standpunkt verstehen. Dann mache ich mich wohl lieber auf die Suche nach meinen Gefährten..."

Gesagt, getan.

Wenigstens war es kein weiter Weg bis zum See.
 

Kurogane hatte mittlerweile das Blut so gut wie möglich aus den Klamotten bekommen und auch die Schwertklinge gesäubert. Der Tote von gestern war verschwunden.

Sakura und Shaolan hatten sich trotzdem kaum ans Wasser getraut.

Er war nur reingegangen, weil er das Blut einfach nicht mehr ertragen konnte.

"Hallooooh! Da bin ich!", zwang Fye sich zu einem fröhlichen Juchzen, untermalt von umfangreichem Armgefuchtel, als er bei ihnen ankam. Er war so müde, dass seine Beine beinahe unter ihm wegsackten, doch Lust zum Schlafen verspürte er genauso wenig.

Der Krieger nahm ihm die fröhliche Masche nun wirklich nicht ab, denn es war offensichtlich. Aber sonst beachtete er den Magier nicht weiter.

Er hoffte ja, dass es schnell warm wurde, damit seine Kleidung trocknete.

"Fye-san! Gott sei Dank, wir haben uns schon Sorgen gemacht!"

"Ist alles in Ordnung?"

"Ja ja, es ist alles okay bei mir", versicherte er sofort wohlgemut und sah sich nach allen Seiten um, "Obwohl ich es ja doch etwas unfein von unseren Gastgebern finde, dass sie uns einfach rauswerfen! Aber na ja, ansatzweise kann man ihren Standpunkt ja doch verstehen, was?"

"Ich halte es ja eher für Selbstmord...", brummte er, als er wieder ans Ufer kam. Aber bitte, sollten die Goggels eben machen, was sie wollten.

"Wir haben versucht, uns zu entschuldigen, aber sie wollten es nicht hören", meinte Sakura ein wenig bedrückt.

"Wieso geht ihr nicht und versucht, etwas zum Frühstück aufzutreiben?", fragte Kurogane die Kinder plötzlich. Die sahen zwar ein wenig überrascht aus, nickten dann aber. "Das ist eine gute Idee!", sagte Shaolan. "Komm, Sakura-hime."

"Mokona will mit!", rief das Wesen und sprang zu Sakura auf den Arm, als die Beiden sich aufmachten.

Kurogane fuhr sich kurz über die Augen - er hatte wirklich kein Auge zugekriegt heute Nacht.

Und die, jetzt schon etwas höher stehenene, Sonne blendetete ziemlich. Und immer noch war er so verdammt unruhig und angespannt.

Fye hingegen fühlte sich, als müsse er jeden Augenblick vor Müdigkeit in Ohnmacht fallen, doch er verkrampfte sich mit aller Kraft, die noch in seinen Knochen verblieben war, um sich wach zu halten und gleichzeitig nicht den Eindruck zu erwecken, kurz vor dem absoluten Aus zu stehen. Er sah den Ninja ein wenig fragend an, nachdem er die Kinder mitsamt dem weißen Pelzknäuel weggeschickt hatte und der Dreiertrupp zwischen den Palmen verschwunden war.

Es geschah so gut wie nie, dass Kurogane so etwas tat - es sei denn, irgendetwas ließ ihm keine Ruhe.

Ruhig wartete er auf eine Reaktion seines Reisegefährten.

Der Magier wirkte müde, das sah er erst jetzt. Aber jetzt waren die Kinder nun mal weg.

Und außerdem hielt er es einfach nicht mehr aus.

"Ich denke, es ist Zeit", meinte er, immer noch etwas widerwillig, weil ihm der Gedanke nun wirklich nicht behagte.
 

Er verstand und schluckte schwer.

Die Vorstellung, von Kurogane gebissen zu werden, wollte ihm nicht so recht gefallen.

Wieso eigentlich nicht? Herrgott ,es war nun mal nötig, wenn er am Leben bleiben sollte! Ohne Blut würde er sterben!

Aber...

"Also schön", hörte er sich sagen. Seine Stimme klang rau und sehr fremd, er erkannte sie fast nicht wieder. Er spürte den Blick des Ninjas unverwandt auf sich ruhen, und bemerkte irritiert, dass ihm der Schweiß ausbrach, während er sich seines schweren Pelzmantels entledigte und die Stulpe seines rechten Handschuhs umbog ,um ihn auszuziehen.

"Gib mir dein Schwert."

Kurogane reichte es ihm wortlos. Er wusste, was der Magier vorhatte, aber so war es vielleicht doch ein Bisschen angenehmer.

Verrückt. So etwas verrücktes. Fye konnte seine Gedanken kaum beisammen halten, als er das Schwert des Kriegers weiter vorne an seiner breiten, glänzenden Klinge nahm und sein Handgelenk nach oben richtete, um nach einer Stelle zu suchen, die zwar verletzlich war, aber bei der er keine Gefahr laufen würde, gleichzeitig eine Sehne oder weitere Blutgefäße zu verletzen. Sein Herz pochte zuckend auf und ab und nahm ihm den Atem, als er diese Stelle nach mehreren Minuten gefunden zu haben glaubte und mit der scharfen Schwertspitze einen schnellen, gezielten Schnitt anbrachte. Ein brennender Schmerz breitete sich in seiner Hand aus, und es kribbelte wie von tausend Ameisen auf seiner Haut, als das Blut hellrot und süß aus der Wunde strömte und seinen Arm hinablief.

"Los, komm her", sagte er mit leiser bebender Stimme, um den Schmerz zu überspielen und bot ihm seinen blutpulsierenden Arm an.

Erst war der Ninja kurz davor, es sich anders zu überlegen, doch als er das Blut sah, konnte er gar nicht anders, als die restliche Entfernung zu überbrücken. Es war, als würde sein Körper von ganz allein handeln, als er den Arm zu sich heranzog und anfing, das Blut zu trinken. Innerlich erschauderte er. Doch gleichzeitig merkte er, wie die Anspannung langsam von ihm abfiel.

Fye hielt den Blick indessen abgewendet, denn irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen, Kurogane als Vampir in die Augen zu sehen.

Er hielt die Augen fest geschlossen und schottete sein Gehör völlig gegen die Außenwelt ab.

Alles, was er noch spürte, waren die Zähne und die Lippen des Ninjas, die sich auf der Suche nach mehr Blut an seiner Haut entlang tasteten, sich gierig anpressten und fest sogen, als wollten sie ihm das Leben mit einem Zug austrinken.

Ein irres Gefühl. Sein Herz raste, und er konnte nichts anderes tun, als sich der tiefen Schwäche und der benommenen Wärme zu fügen, die mit jedem verlorenem Blutstropfen stärker in ihm aufstieg.
 

Eine Weile bekam er gar nichts mehr mit, außer dem leicht metallischen Geschmack des Blutes, welcher aber nicht unangenehm war, wie er erwartet hatte. Und die Müdigkeit und die Kopfschmerzen verschwanden langsam und er wurde ruhiger, während Fye es immer schwerer fiel, wach zu bleiben.

In seinen Beinen breitete sich indessen eine bohrende Schwäche aus, als würde jemand Luft aus einem Gummireifen pumpen. Vor seinen Augen begann sich alles allmählich zu drehen, sein Arm kribbelte immer stärker und sein Herzschlag ging nur noch schwach und stockend, dennoch zwang er sich, ruhig zu bleiben.

Kurogane sollte so viel Blut bekommen, wie nötig war. Er hatte es ihm zugesichert. Doch Kurogane spürte, dass der Magier kurz davor war, umzukippen. Er löste seine Lippen von dem Arm und leckte sich das restliche Blut von den Lippen. Er merkte, wie es auf seinen Kreislauf einzuwirken bekann. Er ließ Fye nicht los, weil er fürchtete, dass der noch umfiel und sah ihn ein wenig fragend an.

"Geht’s?“

Nur mit Mühe riss er seinen Blick vom Boden weg und starrte den Ninja an. Diese gelben, glimmenden Augen mit der starren, schmalen Pupille war ebenso hypnotisierend als auch beunruhigend. Und faszinierend.

Sein Herz flatterte wie eine verwundete Libelle.

"Ich-...", flüsterte er heiser und hielt sofort beschämt inne, als ihm nur ein schwaches, kaum hörbares Ächzen entwich. Kaum zu glauben, wegen den paar Tropfen Blut kippte er hier gleich um! Die Schamesröte explodierte förmlich auf seinen Wangen.

Er konnte Kuroganes Blick nicht standhalten.

"Setz dich hin", meinte dieser und zog ihn zu einem Baum. Er hatte keine Lust, dass der Magier hier noch kollabierte. Das konnte er nun wirklich nicht gebrauchen.

Er selbst ließ sich gleich neben den Magier ins Gras fallen. So langsam hörte sogar das Stechen in seinen Augen auf, das wohl von der Sonne herrührte.

Fye verdrehte innerlich die Augen.

Was erwartete der Ninja denn von ihm? Dass er gleich wieder aufsprang und einen Stepptanz abzog, nur um ihm zu zeigen, dass er immer noch topfit war? So wie aussah, würde er sich noch gehörig daran gewöhnen müssen. Ein wenig unbeholfen ließ sich der Magier im Gras nieder und presste seine freie Hand auf die Wunde, damit es aufhörte zu bluten.

Kurogane konnte das nicht mit ansehen. So wurde das ja nichts.

"Gib mir mal einen deiner Handschuhe...", brummte er und nachdem er den in die Hand gedrückt bekommen hatte, nutzte er ihn einfach als provisorischen Verband.

Vorsichtig wickelte er ihn um den Arm des Magiers. Es sollte zwar aufhören zu bluten, aber so fest, dass es ihm die Blutzufuhr in die Hand abschnürte sollte es natürlich auch nicht sein... Ein wenig irritiert sah er seinem Reisegefährten bei seiner Aktion zu.

Was sollte denn das werden?

Seit wann sorgte sich der Ninja denn darum, wenn er verletzt war? Vielleicht, weil...?

Ach, mach dir doch nichts vor, höhnte er sich in Gedanken sofort selbst an, Glaubst du, er gibt auch nur einen roten Heller auf dich? Er ist nicht um dich besorgt, er ist um seine Blutquelle besorgt.

Ja, wie sollte es auch anders sein? Der Ninja kümmerte sich nicht um ihn - er kümmerte sich ausschließlich darum, dass ihm sein Blutlieferant erhalten blieb, denn sein Tod bedeutete auch gleichzeitig seinen.

So einfach war das.

Während des Verbindens hielt er seinen Blick auf seine Hände gesenkt.

"Besser?", fragte er, als er fertig war und sah den Magier an. Der schien ein wenig irritiert.

Anscheinend hatte er es ihm nicht zugetraut... hätte er sich ja denken können.

Der Blonde vollführte eine Kopfbewegung, die man mit etwas Fantasie als Kopfnicken deuten konnte, und streckte sich in dem angenehm kühlen Gras aus.

Was für eine blöde Frage. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand das Hirn durch den Hintern ausgesogen.

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich wieder zwischen ihnen aus. Das konnte doch nicht wahr sein.... aber vielleicht sollte er den Magier erst mal in Ruhe lassen. Es war zwar nicht so schlimm gewesen, wie erwartet, aber angenehm war es auch nicht.... Aber zumindest fühlte er sich besser.

Fyes Knie kribbelten immer penetranter.

Ein Beben lief durch seinen Körper, und er spürte auch schon, wie ihm das Bewusstsein schwinden wollte. Schlafen. Träumen...

Bereitwillig ließ er sich von der Schwärze verschlingen, in der Hoffnung, wenigstens hier seine Träume erfüllt anzutreffen.
 

Nach einer ganzen Weile kamen die Kinder zurück. Er hatte sie schon bemerkt, als sie ein ganzes Stückchen wegwaren. Allerdings hatten sie sich unterhalten, da war es auch keine Schwierigkeit. Es irritierte ihn immer noch, so gut hören zu können, aber wenigstens schien er es jetzt beeinflussen zu können, und nicht wie gestern, als alles ein völliges Durcheinander gewesen war...

Auch Fye wurde vom Stimmengewirr der anderen wieder wach.

Er setzte sich mühsam auf und rieb sich den schmerzenden Kopf.

"Na, habt ihr denn was leckeres gefunden?", zwang er sich schließlich unwillig zur Heiterkeit und strahlte die Kinder an. Kurogane seufzte innerlich. Immer diese Schauspielerei...

Doch es schien die anderen zumindest zu beruhigen. Anscheinend dachten sie, dass der Magier bloß ein wenig müde war.

"Oh ja!", ereiferte sich Mokona aber auch schon. "Gaaaanz viel!"

Sakura und Shaolan hatten einige Früchte gefunden. Sahen ziemlich essbar aus. Allerdings ganz viele waren es nicht.

"Maaahhh! Das sieht ja vielleicht lecker aus!"

Ächzend stemmte der Magier eine gewaltige braune Frucht hoch, die ein wenig an einen breitbäuchigen Kontrabass erinnerte.

"Das scheint mir eine Brotfrucht zu sein! Wisst ihr noch? So eine wie gestern Abend bei Yamm-Salamm!"

"Stimmt!", meinte Shaolan eifrig und sah sich um, "Wir müssen sie grillen, dann schmeckt sie noch besser!"

"Ich bin schon auf dem Sprung für Feuerholz!", meldete er sich sofort freiwillig und sprang auf. Im Moment fiel ihm die Märchenonkel-Masche ziemlich schwer, lieber gewann er noch einige Minuten, um sich wieder einzukriegen, bevor er sich wieder in seine Rolle hineinarbeiten konnte.

Erst wollte er Fye darauf hinweisen, dass es vielleicht doch nicht so gut wäre, wenn er jetzt schon so herumturnte - aber er wollte dem Magier nicht schon wieder Vorschriften machen. Gestern hatte er sich auch nicht dran gehalten. Also ließ er es bleiben.

"Oh, gute Idee!", meinte Shaolan. "Ich helfe dir, Fye-san!"

Na toll, das war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte.

Aber widersprechen wollte er dann doch lieber nicht, das hätte womöglich nur unnötig das Misstrauen des Jungen erregt.

"Alles klar! Auf geht's! Bis später, ihr zwei Haseeeen~!", trällerte er noch über die Schulter der Prinzessin und dem Ninja zu. Es würde sicher nicht lange dauern, hier im Wald Holz zu finden.

"Ich geh dort hin und du kannst ja da vorne suchen!, schlug der Junge dem Blonden vor.

"Okay, mach ich. Wenn was ist, einfach bescheid sagen!" Mit diesen Worten stiefelte er ein Stück weiter in den Wald hinein und bückte sich, um einige abgebrochene Zweige aufzuheben, die zwischen den Sträuchern und auf dem Boden verteilt lagen. Tagsüber schienen diese Marder tatsächlich nicht antreffbar zu sein.

"Ja", meinte Shaolan und machte sich auch ans Holz sammeln. Sakura war ja in guter Obhut und auch ihn beruhigte es, dass diese Viecher wohl nicht auftauchten. Eine Weile später konnte er kaum noch Stöcker tragen und brachte diese zu den anderen zurück. Fye war noch nicht zurück, aber der kam sicher gleich nach.

Und fürs erste reichte das Holz auch aus, um ein Feuer zu entfachen.

Sakura und Shaolan kümmerten sich derweil um die Früchte.

Als der Magier nach zehn Minuten immer noch nicht aufgetaucht war, machten sie sich ja schon ein wenig Sorgen.

"Ob ihm was zugestoßen ist?", fragte Sakura besorgt.

"Der hat sich sicher nur verlaufen", grummelte Kurogane. Typisch.

"Sollten wir ihn nicht suchen?", fragte Shaolan, doch Kurogane schüttelte den Kopf. "Der findet uns schon."

Wahrscheinlich wollte der Magier bloß eine Weile allein sein.

Außerdem war er müde.
 

Mit einem Seufzen begab Fye sich bei seiner Suchaktion immer tiefer in den Wald hinein.

Unter diesem Vorwand konnte er wenigstens ein paar Minuten zum Nachdenken gewinnen. Der Stapel unter seinem Arm war bereits mehr als schwer, doch irgendein unterschwelliger Instinkt trieb ihn immer zielstrebiger ins Waldinnere.

Wie ruhig es hier war.

Außer dem mannigfaltigen Quaken, Zirpen, Pfeifen und Gacksen der wilden Tiere, die hier lebten, war alles still. Seine Füße trugen ihn, wie von einem geheimnisvollen Trieb geleitet, immer weiter.

An einer Stelle, an der sich die Palmenkronen ein wenig nach oben auftaten und warmes Sonnenlicht auf den Waldboden durchließen, blieb er stehen und atmete ein wenig durch.

Die feuchte, angenehm nach Erde und feuchten Blütenkelchen riechende Luft legte sich in Form von kleinen Tautropfen über seine Haut. Der Boden fühlte sich glatt und lehmig unter seinen bloßen Füßen an.

So fühlte es sich also an, allein im Dschungel zu sein.

Gar nicht mal so übel.

Vor allem, weil man sich nicht verstellen musste.

Er wusste nach einer Weile gar nicht mehr, wie lange er hier eigentlich rumgestanden war, doch es musste bereits eine gute Stunde vergangen sein.

Die anderen machten sich wahrscheinlich schon wieder Sorgen.

Seufzend löste er sich aus seiner andächtigen Starre und machte sich wieder auf den Rückweg.
 

Sakura und Shaolan waren schon fertig mit Essen und hatten Fye etwas übriggelassen. Ein wenig waren sie darüber erstaunt gewesen, dass Kurogane nichts wollte, obwohl er es doch vorgeschlagen hatte. Aber sie fragten nicht weiter nach.

"Da bin ich wiiiedeeeer!", zwitscherte Fye übermütig, kaum, dass er die Lichtung betreten hatte. Die Ruhe hatte ihm wirklich geholfen, das Maskeradenspiel fiel ihm nun um einiges leichter.

Glück gehabt.

"Fye-san! Wo warst du denn so lange?", erkundigte sich die Prinzessin erstaunt und reichte ihm ein großes Stück Brotfrucht, als er sich zu ihnen setzte.

"Ach,hab mich nur ein wenig verlaufen", beruhigte er Sakura und knabberte an seiner Brotfrucht herum.

"Hab ich’s doch gewusst....", meinte Kurogane.

"Aber jetzt bist du ja wieder da~", meinte Mokona glücklich.

"Schmeckt’s?", wollte Sakura wissen.

Er wuschelte ihr wohlgemut durch das Haar.

"Ja, das habt ihr wirklich toll gemacht! Mein Kompliment! Willst du denn nichts probieren, Schwärzli?"

"Nein. Ich habe keinen Hunger", meinte dieser knapp. Er fragte sich, ob das bloß heute so war, oder ob er nun wirklich nichts mehr essen brauchte... vielleicht sollte er es in diesem Fall trotzdem tun. Sonst würden die Kinder ja sicher misstrauisch machen oder sie wären besorgt. "Na dann..."

Ohne Hast widmete der Blonde sich noch dem Rest seiner Brotfrucht, bevor er sich auf dem Boden zurücklehnte und nachdenklich gen Himmel starrte.

"Was meint ihr, ob es sich lohnt, heute noch nach der Feder zu suchen?"

"Ich weiß nicht wo sie ist", meinte Mokona. "Aber gestern Nacht, da hab ich was gespürt!"

Wohl der Grund, warum das Manjuu verschwunden war.

"Du hast was gespürt? War die Schwingung der Feder denn stark?", erkundigte sich der Magier und nahm das weiße Pelzknäuel auf die Hand. Eifrig nickte das kleine Tier.

"Ja. Ich war mir ganz sicher! Aber sie hat sich bewegt!"

Gegen seinen Willen musste der Magier lächeln.

Die drei waren immer so von Hoffnung angetrieben. Ganz anders als er.

Es war fast schon wieder rührend.

"Okay. Aber versprich mir, dass du nie wieder heimlich verschwindest, hmn?"

"Jaaa~!" Das Manjuu nickte. Es fing zu erzählen, wie grauenvoll und ängstigend dieser Ausflug gewesen war, was natürlich bei Sakura wieder Mitleid hervorrief und somit die gewünschte Aufmerksamkeit.

Fye lehnte sich indessen entspannt an den nächstbesten Baumstamm und hörte den dramatischen Ausschweifungen des kleinen Langohrs zu.

Wenigstens waren sie alle wieder beisammen.

Doch jetzt, wo die Nacht hereinbrach...

Kurogane hielt es auch nicht für die ideale Lösung, draußen zu übernachten, aber etwas anderes würden sie wohl auf die Schnelle nicht finden. Und außerdem würde er es merken, wenn diese Marder versuchten, sich an sie heranzuschleichen.

"Heute nacht sollten immer zwei von uns aufbleiben", schlug Shaolan vor, als Mokona in seiner Erzählung geendet hatte, "Wenn diese Marder wirklich so gefährlich sind, wie ihr sie beschreibt, sollten wir mit aller Vorsicht vorgehen."

Shaolan bot an, wach zu bleiben, damit Kurogane schlafen konnte, da der die letzte Nacht wach gewesen war, doch der Krieger schüttelte den Kopf. Sollte der Junge ruhig schlafen. Sakura würde nicht Wache halten und Mokona eben so wenig, also war ihm schon klar, dass nur noch der Magier übrig blieb.

Wieso hatte er das nur wieder kommen sehen?

Manchmal hatte er schon fast das Gefühl, als befände sich eine Art Zweier-Spalt zwischen ihnen und den Kindern.

Nun ja, wie sollte es auch anders sein.

Die Kinderchen bekamen immer brav vorgelogen, dass alles in bester Ordnung war, und kaum dass die Äuglein zu waren, kamen auch schon die finsteren Erwachsenengeschäfte zum Tragen. Angenervt von sich selbst schüttelte der Magier den Kopf.

Herrje, was er nur wieder für Gedanken ausbrütete in letzter Zeit...

Kurogane traute Shaolan schon zu, dass dieser Wache halten konnte, aber er war merkwürdigerweise nicht mehr müde, seit die Sonne am Untergehen war.

Dabei war er jetzt fast 48 Stunden auf. Musste wohl auch am Vampir-Sein liegen...

"Also schön. Legt euch in aller Ruhe hin, Kuro-pyon und ich passen schon auf, dass euch kein Marder in die Zehen beißt", meinte er wohlgemut und wuschelte beiden kurz übers Haar, bevor er sie unter gestenreichem Armgefuchtel zu ihrer aus Moospolstern und Palmenwedeln zusammengeschusterten provisorischen Schlafstätte lotste.

"Wenn irgendein Mangel besteht, lasst es uns wissen!"

Kurogane legte etwas Holz nach, bevor das Feuer ganz herunterbrannte und sah dem Magier zu, wie er die Kinder ins Bett brachte. Ansonsten rührte er sich wenig.

Es dauerte nicht lange, bis die beiden Schlaf gefunden hatten.

Wenigstens die hatten ihn.

Nachdenklich richtete Fye sich wieder auf und entfernte sich lautlos einige Schritte von dem Lager der Kinder, bevor er seinen Blick auf den zunehmenden Mond richtete.

Es war eine ruhige Nacht.

Man hörte nur den Sang und die Geräusche der Nachttiere und das Murmeln des Seewindes in den Palmen.

Seltsamerweise fühlte er sich hier im Wald sicherer vor einem Marderangriff als in der Siedlung der Goggelmoggels.

Diese Kinder waren wirklich ein bisschen naiv, dachte er - oder sie konnten sich ebenso gut verstellen wie sie beide es taten. Und jetzt gab es noch einen Grund mehr. Na großartig.

Wenigstens schmerzte die Wunde an seinem Arm nicht mehr.

Vorsichtig entfernte er den provisorischen Verband von seinem Handgelenk und besah sich den Schnitt.

Die blutverkrustete Wunde hob sich mehr als deutlich von seiner weißen Haut ab, doch immerhin hatte sie sich bereits verschlossen, auch wenn sein Handschuh jetzt gehörig zugesaut war. Na ja. Seufzend warf er sich den Handschuh über die Schulter, um ein wenig frische Luft an die Wunde zu lassen.
 

Geistesabwesend starrte Kurogane währenddessen ins Feuer.

Wie sollte das bloß weitergehen...?

Vor allem, wenn sie wirklich in Japan landeten.

Das würde sicher noch Diskussionen geben. Er stieß einen lautlosen Seufzer aus. Nachdenklich löste Fye seinen Blick vom Mond und kam neben dem Ninja zum Stehen.

Ein kurzer Seitenblick genügte, um sich sicher sein zu können, dass dieser mal wieder gehörig am Gedankenwälzen war, doch er hatte ja schon öfter von seinem grimmigen Reisegefährten gehörig eins auf den Deckel bekommen, wenn er zu viele Fragen bezüglich seiner Nachdenkereien zu stellen gewagt hatte.

Lieber gleich die Klappe halten.

Als der Magier neben ihn trat, sah er nur kurz zu ihm hin.

Ein wenig wunderte es ihn, dass der nicht gleich anfing, irgendwelche Fragen zu stellen, aber andererseits hatte er es irgendwie erwartet.

"Wir finden eine Lösung", meinte dieser nach einer Weile dann doch ruhig, ohne ihn anzusehen, "So wie ich das sehe, werden wir alle noch einen langen Weg zu gehen haben. Wenn der Baum noch nicht einmal in Sicht ist, sollte man sich nicht unnötig den Kopf darüber zerbrechen, wie man seine Früchte runter bekommt."

Na toll, seit wann gab er hier geistreiche Metaphern zum Besten?

Wahrscheinlich würde der Ninja ihn nur wieder für völlig plemplem erklären und die Unterhaltung damit wieder beenden, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte.

"Aa, da wirst du wohl recht haben", meinte der. Es würde bestimmt nicht leicht werden, aber wenn sie noch weniger als sowieso schon miteinander redeten, würde das sogar den Kindern auffallen.

Das überraschte Fye nun wirklich. Wenn der Krieger ihm ohne weiteres recht gab, musste da doch irgendwas faul sein...na ja, vielleicht hing es damit zusammen, dass er jetzt schon seit über 48 Stunden nicht mehr geschlafen hatte.

"Bist du sicher, dass du nicht müde bist?"

"Ja", meinte er. Zumindest fiel es ihm nicht schwer, die Augen offen zu halten. Ein wenig matt fühlte er sich schon, aber müde nicht unbedingt.

Der Blonde zuckte die Achseln, da ihm keine Erwiderung einfiel.

Das Schweigen dehnte und dehnte und dehnte sich, sodass es ihn nach einer gewissen Weile zu nerven begann. Offenbar war ihre 'Beziehung', falls man das überhaupt so nennen konnte, keine Plauderbeziehung. Aus irgendeinem Grund spürte er, wie sich seine Kehle als Antwort auf diesen Gedanken verengte.

Dass er dieses Gefühl einfach nicht los wurde...

Unwillkürlich lächelte er leicht.

"Ich glaube, Sakura-chan und Shaolan-kun werden sehr traurig sein, wenn du gehst."

"Sie wussten es von Anfang an", meinte Kurogane. Schließlich war dies sein Ziel dieser Reise.

Ein wenig machte es ihm auch etwas aus, die Gruppe zu verlassen, weil irgendwie waren sie ein ziemlich gutes Team - bis auf einige Schwierigkeiten.

"Mag schon sein, aber ist das ein Grund?", fragte er lächelnd zurück und streckte seinen Rücken durch, dass alle Wirbel knackten. Wenn der Ninja etwas beherrschte, dann war es, von seinem Standpunkt abzulenken.

"Und wenn es so ist, ich werde meine Meinung deshalb nicht ändern", erwiderte der Schwarzhaarige. Er hoffte nur, dass das kein großes Theater mit Rumgeheule und so weiter werden würde...

"Wenn du meinst", erwiderte er kleinlaut und spürte, dass er das Lächeln beim besten Willen nicht mehr halten konnte.

Der Ninja schien wohl wirklich kein Bedürfnis zu verspüren,bei ihnen zu bleiben und weiter mit ihnen zu reisen, selbst wenn sie nach Japan kommen sollten.

Na, warum sollte er auch?

Kurogane war nun mal der geborene Einzelgänger, und wenn er etwas nicht einmal ums Verrecken riskieren wollte, dann war es, eine emotionale Bindung zu irgendetwas oder irgendjemandem einzugehen. Tod und Teufel, Blut, halbe und ganze Weltkriege - für den Krieger offenbar alles ein Klacks, solange er dabei keiner tiefer gehenden Gefühlsregung folgen musste. Dinge wie ein Schutzinstinkt, Sorgen, Schuldgefühle - Trauer?

Nein. Nicht er.

Kurogane wollte sein Ziel nicht aufgeben, denn sonst wäre die Reise ja auch irgendwo sinnlos. Natürlich nicht ganz, aber irgendwie...unvollständig.

"Was ist mit dir?", wollte er wissen.

Milde verwundert wandte er seinen Blick vom Mond ab und starrte ihn an.

"Was soll mit mir sein?", erkundigte der Magier sich freundlich, "Ich habe mein Ziel doch bereits erreicht."

"Nein, das meine ich nicht", sagte er. Und bisher war es nicht klar, ob sie nicht doch in der Heimatwelt des Magiers landeten.

"Was meinst du dann?", fragte er ruhig zurück, "Ich bin sehr zufrieden, Kurogane. Ich bin nur ein einfacher Mann, der die schlichten Dinge schätzt. Zum Beispiel eure Gesellschaft und die Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen. Und solange es uns nicht nach Ceres, meinem Heimatland, verschlägt, fürchte ich weder Tod noch Teufel!"

Das Lachen rutschte ihm nicht so leicht aus der Kehle, wie er es gehofft hatte, doch es war besser als nichts.

Das sah Kurogane allerdings ein wenig anders. Aber ihm war klar, dass der Magier das sicher wusste.

"Wenn du ebenfalls bleibst, werden sie dich auch vermissen, meinst du nicht?"

Fye hob die Augenbrauen. Was war bloß mit dem Krieger los, dass er sich in so ungewöhnlich philosophischer Gemütslage befand? Vielleicht hing es ja mit seinem neuen Vampir-Ich zusammen.

"Vermissen...? Du stellst vielleicht lustige Fragen ,Kuro-rin", erwiderte er fröhlich und wippte wohlgemut auf den Fußballen auf und ab, "Vermutlich haben sich die Kinder genau wie du darauf eingestellt, dass es eben nur eine Partnerschaft auf Zeit ist. Ich denke, die Beiden und du werdet keine allzu großen Probleme haben, mich zu verabschieden, falls es eines Tages so weit kommt."

"Falls...", meinte er. Also wollte der Magier wahrscheinlich nicht in Japan bleiben. Sie mussten irgendeine andere Lösung finden... Ob man die Verwandlung rückgängig machen konnte? Wahrscheinlich eher nicht...

"Ja, falls", stimmte er zu, "Ich wäre offen gesagt allerdings glücklicher, wenn es nie so weit kommt. Es gefällt mir gut, mit euch herum zu reisen. Es ist zwar nicht immer lustig, aber ich denke, das ist nur gut so."

"Die Reise wird sicher nicht ewig dauern", brummte er. Das hoffte er zumindest... Darauf hatte er nun wirklich keine Lust.

"Ja, leider", gab er lächelnd zurück.

Im Gegensatz zu dem Ninja hätte er es ja doch ganz spaßig gefunden, weiter an der Seite der Kinder und des weißen Langohrs zu bleiben. Vielleicht auch nur, weil er sich in genau einer Hinsicht von Kurogane, Sakura und Shaolan unterschied- sie alle drei hatten einen Platz, an den sie zurückkehren wollten, sobald die Prinzessin wieder im vollen Besitz ihrer Federn war.

Kurogane würde nach Japan zurückgehen. Shaolan und Sakura würden nach Clow Country zurückgehen. Und Mokona würde wahrscheinlich wieder zum Haus der Hexe der Dimension zurückkehren.

Sie alle drei hatten eine Heimat.

Er hatte keinen Platz, zu dem er gehen konnte, und es gab kein lebendes Wesen, zu dem er zurückkehren würde, sobald diese Reise beendet sein würde.

Er war wie ein Baum ohne Wurzeln.

Und Bäume ohne Wurzeln starben entweder, oder sie verkümmerten.

Er hatte schon öfter mit dem Gedanken gespielt, sich nachts heimlich fortzuschleichen und sich an irgendeinem einsamen kleinen Plätzchen den Tod zu geben.

Dann hätte er sie alle zu gern gesehen, die kleine Reisegemeinschaft im Angesicht seines Todes. Es wäre ja leicht, sich irgendwo eine Waffe oder einen starken Strick zu besorgen.

Und am anbrechenden Morgen würde statt seinem Pelzmantel dann eben Fye de Flourite da am Ast baumeln. Fast schon wieder lustig, der Gedanke.

"Man kann nicht ewig vor irgendwas davon laufen", meinte Kurogane nach einer Weile und unterbrach seinen Gedankengang. "Irgendwann muss man sich damit auseinander setzen..." "Das ist deine Auffassung, mein lieber Ninja", erwiderte er lediglich mit einem müden, kleinen Lächeln und verschränkte die Arme vor der Brust, "Ich bin kein Haudegen wie du." "Darum geht es nicht. Es geht darum, dass man niemals seine Ruhe finden wird, weil man immer davon verfolgt werden wird, auch wenn es vielleicht nicht mehr so ist", antwortete er. Er sah ihn ein wenig hilflos an und seufzte innerlich, als er spürte, dass sein Herz wie ein Presslufthammer in seiner Brust auf- und abdonnerte.

Jedes Mal nahm er sich vor, ruhig zu bleiben, und jedes Mal brachte ihn Kurogane aus der Fassung, ohne nur einen Finger krumm zu machen.

Was tat dieser Mensch nur mit ihm?

"Ruhe", wiederholte er leise, "Was ist für dich Ruhe?"

"Die Entschlossenheit und die Kraft, an sich selbst und seine Ziele zu glauben und sich davon auch nicht abbringen zu lassen. Egal was passiert", meinte er. "Sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und seine Ziele irgendwann zu erreichen."

Der Blonde fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, bis es ihm in wirren Strähnen kreuz und quer vom Kopf abstand.

"Nett formuliert, muss ich zugeben." Er schluckte schwer, da ihm seine Stimme nicht gehorchen wollte. "Aber du vergisst, dass ich kein Ziel habe. Ich habe mein Ziel schon erreicht, Kurogane. Ich brauche nichts und ich werde nicht gebraucht. Ich BIN einfach. Ich bin die Ruhe selbst. Ich stehe hier jetzt vor dir, völlig angstfrei und völlig ruhig."

Wie zur Unterstreichung seiner Worte breitete er die Arme ein wenig aus und sah dem Krieger ins Gesicht.

Dass er immer so lügen musste...

Kurogane schüttelte den Kopf.

"Das glaube ich dir nicht. Von einer Welt in die nächste zu reisen ist kein Ziel, sondern ein Weg. Du hast keinen Grund, dich irgendwie auf irgendeiner Welt aufzuhalten. Am liebsten würdest du nirgendwo landen wollen, was?"

Ein kleiner, bohrender Schmerz machte sich in seiner Kehle breit. "Ja. Vielleicht will ich das ja. Im Nirgendwo muss es prächtig sein, nicht wahr? Keiner weiß ,wer du bist, keiner will dich und keiner braucht dich. Man ist einfach nur da. Und sonst nichts. So muss der Tod sein." Er realisierte kaum mehr, was er da eigentlich rausredete, aber mittlerweile kümmerte es ihn auch nicht mehr.

"Dann verstehe ich nicht, warum das dein Ziel ist", sagte er und verschränkte die Arme. "Und so ist der Tod nicht. Wenn man stirbt, ist man nicht mehr da."

"Reisen ist das gleiche. Man kommt und geht. Ich bin nicht in Ceres, und das reicht mir. Und manchmal muss man nicht immer alles verstehen."

"Und was, wenn wir dort landen? Irgendwann? Die Hexe hat selbst gesagt, dass das Manjuu das Ziel nicht bestimmen kann. Was wirst du dann tun?", fragte er.

Das Lächeln fiel ihm aus dem Gesicht. "... Was ich dann tun werde?" Seine Stimme klang so kleinlaut und heiser, dass er sich selbst fast kaum hören konnte. "Vielleicht sterbe ich ja."

"Vielleicht. Und du würdest es einfach hinnehmen, stimmt’s? Dann hast du kein Ziel. Denn wenn du stirbst, dann kannst du nicht mehr weiterreisen. Und wenn du nicht mehr weiterreisen kannst, findest du auch keine Ruhe, da du dein Ziel verloren hast."

Es würgte ihn immer erbarmungsloser in der Kehle. Fye fiel einfach nichts mehr ein. Er war vollkommen hilflos. Er fühlte sich seltsam nackt, und plötzlich wurde ihm entsetzt bewusst, dass er weinte. Das hieß, er wurde nicht von einem Heulkrampf durchgeschüttelt oder vergaß sich in einem Tobsuchtsanfall- er stand ganz einfach da und weinte.

Keine Grimasse, kein Schluchzen, kein einziger Klagelaut kam ihm über die Lippen.

"Das muss wohl so sein. Denn dann werde ich verschwunden sein. Dann bin ich weg."

Kaum zu fassen, jetzt stand er hier wie ein fehlgeleiteter Stalaktit und heulte.

Er schämte sich vor Kurogane, dazu brauchte er erst gar nicht die brennende Röte auf seinen Wangen oder das Schlottern seiner Knie zu spüren.

Und doch konnte er einfach nichts gegen seine Tränen tun.

Wie aus einem undichten Wasserhahn rannen sie langsam seine Wangen hinab. Umrundeten seine Nase. Netzten seine Lippen.

Kurogane war ein Schwertkämpfer, aber ihn entwaffnete er, ohne auch nur einmal die Hand an sein Schwert zu legen.

Er war so ein feiges Elend.

Ein Schwächling. Ein verheulter Schöngeist.

Wenn er sich jetzt noch einen Moment der Blöße erlaubte, würde er diese Schmach vermutlich nicht überleben.
 

Dass der Magier losheulte überraschte den Ninja schon.

Er war nicht wirklich gut darin, jemanden zu trösten... Etwas überfordert sah er den Blonden an.

"...aber du willst nicht sterben", stellte er fest. "Sonst bräuchtest du dir nicht die Mühe machen, davon zulaufen, oder?", fügte er leise hinzu.

"Nicht schlecht, Kuro-wan", meinte Fye nach einem langen Schweigen mit einem schiefen Lächeln, obwohl seine Tränen immer noch am Fließen waren, "Wirklich nicht schlecht. Das nenne ich mal eine gelungene Debatte. Sollten wir öfter machen."

Anscheinend hatte der Ninja mal wieder ins Schwarze getroffen - obwohl es ihn doch verwunderte, den Magier so schnell aus der Reserve hatte locken können. Bisher war der ja immer ausgewichen.

"Wenn du meinst", antwortete er. "Übernimmst du die erste oder die zweite Wache?", fragte er dann. Er fühlte sich zwar nicht müde, aber vielleicht wäre es doch besser, ein wenig zu schlafen, bevor er morgen im Gehen einschlief...

"Das ist mir egal."

Im Moment war es das wirklich. Die Tränen liefen immer noch über sein Gesicht, und ihm wollte immer noch keine Idee kommen, wie er sie stoppen konnte.

Der Magier konnte jetzt sicher nicht schlafen.

"Dann weck mich, wenn was ist", meinte Kurogane nur und machte es sich einigermaßen bequem. Er schloss die Augen und versuchte, zumindest zu dösen. Wirklich müde war er wirklich nicht. Aber er kam mit wenig Schlaf aus, das wusste er.

Dass der Magier in Tränen ausgebrochen war, irritierte ihn immer noch.

Er hätte nicht erwartet, dass er das je tun würde. Und schon gar nicht in seiner Gegenwart.

Nach einer Weile schaffte er es sogar, alles auszublenden und zumindest in einen schlafähnlichen zustand zu gelangen. Jedoch würde er bei dem allerkleinsten Anzeichen von Gefahr wieder wach werden. Oder wenn der Magier ihn weckte.
 

"Ja." Seine Stimme klang kleinlaut und heiser, vermutlich kam es vom Weinen.

Wortlos setzte sich der Magier an das schwach nachglühende Feuer und verharrte ruhig in seiner Position. Alles, was er tat, bestand darin, die Hand ab und zu heben und sich die immer noch fließenden Tränen abzuwischen.

Mann. Offenbar hatte der Ninja mal wieder ziemlich ins Schwarze getroffen, was seinen Gefühlzustand anbelangte. Dass ihn das immer so aus der Fassung bringen musste...

Geistesabwesend starrte der Magier in die behaglich prasselnde und knackende Glut.

Er rechnete nicht damit, dass es heute Nacht noch zu einem Marderangriff kommen würde. Erstens scheuten wilde Tiere das Feuer ,und zweitens war ihr toter Kontrahent von seinen Artgenossen sicher nicht unbemerkt geblieben.

Und drittens...

Drittens wollte er es nicht.

Er hatte doch schon genug damit zu tun, seine Gedanken zu ordnen, verdammt noch mal. Wieso brachte ihn dieser rabiate Haudegen immer nur so aus dem Konzept?

Wieso war immer ER es, der ihn so zu Gesicht bekam, wie er sich niemandem auf der Welt zeigen wollte - elend und schwach, und ohne irgendein verdammtes Ziel?

Anscheinend sollte es wohl einfach so sein.

Es gab nur Fügungen, das waren die Worte der Hexe der Dimension selbst gewesen.

Und wenn es jetzt Fügung war, dass nur Kurogane ihn wirklich verstand?

Oder dass Kurogane zum Vampir geworden war.

War das auch Fügung?

Was entsprang überhaupt noch ihrem eigenen Willen?

Der Magier seufzte lautlos und rieb sich die Tränen aus den Augen, bis diese ganz verschwollen und hochrot waren.

Eigentlich wusste er es doch.

Irgendetwas in ihm wünschte sich in diesem Augenblick, dass Kurogane wieder aufstand.

Dass er zu ihm ans Feuer kam und sich neben ihn setzte.

Er musste nichts sagen. Er musste einfach da sein.

Vielleicht hätten sie ein neues Gespräch angefangen. Sich wieder versöhnt. Zukunftspläne geschmiedet.

Ekelhaft utopisch, der Gedanke.

Aber schön.

Natürlich tat er es nicht. Erstens schlief er mehr oder weniger, zweitens konnte er keine Gedanken lesen und wenn doch, hätte er es sicherlich auch eher nicht getan. Dafür war er nicht unbedingt der Typ.

Vielleicht wäre es ja wirklich besser, sich umzubringen.

Mit einem lautlosen Seufzer sah sich der Magier um.

Kein Strick da.

Schade.
 

Nach einigen Stunden wachte er auf.

Das Feuer war fast aus. Nach einem Blick auf den Magier, wusste er auch warum. Der Blonde hatte die Arme auf die Knie gelegt und den Kopf darauf und schlief.

Eigentlich hätte er ihn ja wecken sollen...

Aber es war ja nichts passiert. Glücklicherweise.

Er ließ den Magier schlafen, weil er sich erstens das Gequatsche ersparen wollte - oder was dem Magier sonst einfiel - und außerdem sah der Andere wirklich müde aus.

Kurogane legte wieder etwas Holz nach, es war kühl geworden, stellte er fest, und lauschte dann kurz, ob sich irgendwas verdächtiges tat. Tat es nicht.

Der Magier wurde von den Geräuschen über den Boden schleifender Holzscheite wach und zwang mühsam die Augen auf.

Offenbar war Kurogane wieder wach.

Ohne jede unnötige Showeinlage richtete er sich auf und rieb sich über seine Augen, die immer noch deutlich rot waren.

Er sah zu dem Blonden hin.

"Du kannst ruhig weiterschlafen", meinte er. In ein paar Stunden würde die Sonne aufgehen.

So langsam sollten sie sich auf die Suche der Feder machen... aber das Manjuu hatte gesagt, dass die Kraft Nachts sehr stark war... Bisher hatte es aber auch keine Anstalten gemacht, auf die Feder zu reagieren.

Fye nickte nur.

"Okay." Er zog es vor, ihm lieber nicht zu widersprechen.

Erstens wollte er nicht schon wieder Streit, und zweitens war er wirklich verdammt müde. Um das zu vertuschen reichten seine Schauspielkünste beim besten Willen nicht aus, also beließ er es bei einem schläfrigen Nicken, rollte sich im warmen Gras in der Nähe des Feuers zusammen und ließ den Kopf in seine Armbeuge sinken.

Unbequem, aber ausreichend.

"Gut", meinte er. Bisher war ja alles ruhig. Das schaffte er ja wohl auch allein.

Eine Weile später lauschte er nur den ruhigen Atemzügen der anderen, das Knistern und Knacken des Feuers und das Rauschen und Rascheln im Wald.

Nach einer Weile wurde es jedoch stärker.

Ein leises, in regelmäßigen Intervallen wiederkehrendes Knacken schien sich aus mehreren Richtungen des stockdunklen Walds zu nähern.

Ein kaum hörbares Schleifen und Knistern begleitete das Geraschel, als schöbe sich etwas mit langem, drahtigem Pelz zwischen den Gräsern und Sträuchern langsam vorwärts. Anscheinend zu früh gefreut.

Er lauschte angestrengt, doch die Marder hielten einen gewissen Abstand ein, zumindest schien es ihm so. In der Tat verhielten sich die bepelzten Nachträuber vorerst vorsichtig.

Sie verursachten gerade mal so viele Geräusche, um ihre Gegenwart auf das Bescheidenste zu rechtfertigen, aber sie gleichzeitig nur angedeutet zu lassen.

Der Schein hatte jedoch ein Ende, als in dem düsteren Areal am Teich mehrere gelbe Augenpaare in der Finsternis aufglommen und bewegungslos zu ihm herüberstarrten.
 

***



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Schneeblume
2009-09-13T16:29:57+00:00 13.09.2009 18:29
Wie heißt es so schön: Besser spät als nie~ ^^' Dann will ich mal kommentieren:

Kapi 6
Hui, ein spannender Kampf. War klar, dass das Vieh keine Chance hat :3 Ziemlich bildlich dargestellt, dadurch konnte man sich das Gemetzel gut vorstellen ~___~ *etwas leidend das Gesicht verzieht* Stilistisch gut, aber schon etwas eklig xD"
Aber Moko-chan gehts gut <3 Das ist die Hauptsache~
Und zum Schluss... *zu Kuro schiel* Los, fall über ihn her, halte dich nicht zurück! *muahahaha* ...ähm *hüstel* Was denn, das hätte doch was! *schmoll*

Kapi 7
Das kleine Gnubbeltier tritt Fye, um ihn zu wecken... oô Wie charmant.
Hm... die gewöhnen sich schon noch dran, an das Bluttrinken. Und wenn Fye beim nächsten Mal fit ist, machts auch mehr Spaß für alle Beteiligten *unschuldig smile* xD"
> und kaum dass die Äuglein zu waren, kamen auch schon die finsteren Erwachsenengeschäfte zum Tragen.
Irgendwie fand ich den Satz witzig. Ist er zwar nicht, aber irgendwie... ich weiß auch nicht ^^''
Ach Mensch... so schwermütig. Die sollen nicht so viel grübeln, davon gibts Falten :(
Und als Fye geweint hat... irgendwie war das in dem Moment ein schönes, wenn auch sehr trauriges Bild. Schade, dass ihn niemand getröstet hat, mir tat er leid. ;_;
Woah grusel! Diese Viecher... bin ja mal gespannt, wie es weitergeht...

LG Franzi *winks*
~Schneeblume~
Von:  BabyTunNinjaDrac
2009-09-06T19:53:48+00:00 06.09.2009 21:53
Es geht weiter mit meiner Kommi-Aufholjagd! ;D
Wieder ein sehr schönes Kapitel - besonders toll ist das Gespräch zwischen Fai und Kuro hervorzuheben. Das hast du echt sehr gut beschrieben, die Antworten und Fragen haben echt super gepasst und alles! Wirklich sehr prägnant.... *war ganz gebannt*
Auch schön waren wieder Fais Gedankengänge - der arme Junge kann einem wirklich sehr leid tun - und Kuros Trinkszene. Die Wirkung des Blutes hast du hier sehr gut dargestellt.
Sehr niedlich finde ich persönlich immer Syao, Sakura und Mokona in dieser FF. Sie sind so die absolute Positivpower und alles >,< So süß!
Bezüglich der Perspektive muss ich Faypier aber recht geben - teilweise, vor allem am Anfang, war es sehr schwer, die beiden auseinander zu halten. Am Ende war es dann aber wieder gut.
Weiter so! :D
Von:  Schreiberling
2009-07-27T11:44:02+00:00 27.07.2009 13:44
Oh mann wie fies, wenn es spannend wird, ist immer gleich Ende. Schnüff.
Aber ich find es schon seltsam, was die zwei für Gespräche führen. Aber auch irgendwie wieder passend. Schwer zu beschreiben.
Freu mich schon auf den nächsten Teil
Von: abgemeldet
2009-07-24T19:32:18+00:00 24.07.2009 21:32
Na Fye hatte ja mal wieder ne absolute Tiefphase^^"
Sich einfach anstatt seines Mantels an den Ast hängen zu wollen, also ehrlich...*kopfschüttel*
Aber ich fand es richtig schön, wie ihr die Atmosphäre zwischen Kurogane und Fye beschrieben hat; man konnte sie richtig greifen^-^

Meeeoooow~
Von:  Eiichi
2009-07-24T18:51:45+00:00 24.07.2009 20:51
Also^^

Zu erst Kritik
*hinter nem Baum versteck*
Ich fand es diesmal wirklich schwer die Perspektiven von Kurogane und Fye auseinander zu halten.
Bei den Anderen Kapiteln is mir das 'Durcheinander' nicht so aufgefallen wir hier.
Und ich weiß nicht, ob es Absicht war, aber ihr habt mindestens 10 Mal in dem Kapitel die Aufzählungen Erstens, Zweitens, Drittens gemacht...
Is auch irgendwie komisch zu lesen.

Ansonsten muss ich sagen, dass die Story wirklich gelungen ist.
Auch dass es so schnell ging is schön^^
Ich finde, dass ihr gut beschrieben habt, wie urogane trikt und Fye immer schwächer wird.'
Komisch finde ich nur, dass sie plötzlich so extrem auf Abstand sind...
waren sie sich nicht mal viel näher?
Auf anhieb fällt mir gleich die Szene aus dem letzten Kapi ein, wo Fye an Kuro gekuschelt einschläft.


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