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Schall und Rauch

Which path will you choose?
von

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Kapitel 47
 

Leise summend stand Glinda vor dem Kühlfach in der dunklen Küche. Elphaba war nach oben gegangen, um ihrer Tarnung den letzten Schliff zu geben, schließlich musste sie auch die Kette noch anziehen. Es waren gerade mal acht Uhr und darum wurde es draußen erst langsam hell. Als sie zwei Äpfel und etwas Quadlingbrot aus dem Schrank herausnahm, dachte sie an ihren allerersten Besuch in die Smaragdstadt und an den Moment, in welchem Elphaba Elea Thropp sie das erste Mal verlassen hatte.

‚Wie anders jetzt alles ist…’, dachte Glinda lächelnd, ‚Ich wusste es schon damals, aber sie… sie nicht. Oder sie wollte es nicht wahrhaben. Dieses Mal wird alles anders… Nichts und niemand kann uns jetzt noch auseinander bringen…’

In diesen Gedanken verloren öffnete Glinda die Küchentür und wollte den Wohnsaal durchqueren, als plötzlich jemand vor ihr stand.

Vor Schreck zuckte sie zusammen und ließ dabei einen Apfel fallen, der bis an den Strohfuß kullerte.

„Fi-Fi-yero…“, stotterte Glinda, nur knapp über einem Flüstern.

Lächelnd hob der Scheuch den Apfel auf und hielt ihn der Brünette hin. „Glinda? Du siehst so anders aus.“, sagte er ebenso leise. Er wollte noch eine ungestörte Minute mit seiner alten Bekannten haben.

„Ich… wir… die Haare… Oz noch mal! Was machst du hier?“, stammelte Glinda ganz verwirrt.

„Ich wohne hier?“, gab Fiyero noch immer lächelnd zurück.

Glinda fand dieses Lächeln abscheulich. Sie wusste zwar nicht warum, aber dieses wissende Grinsen auf seinem Gesicht machte ihr Angst. Bevor sie weitersprach, atmete Glinda einmal tief durch und nahm den Apfel wieder an sich.

„Danke. Nein, so war das nicht gemeint. Wir haben dich auch schon vermisst! Es freut mich, dass wir uns noch sehen, bevor wir…“, Glinda stockte. Sie wusste, sie hatte schon zu viel verraten.

‚Wenn doch nur Elphie hier wäre…’, dachte sie verzweifelt.

„Bevor ihr… was?“, fragte der Scheuch neugierig und ließ seinen Blick zur Wendeltreppe schweifen. Er konnte die Hexe noch nicht sehen.

„Wir… wollten in die Smaragdstadt gehen.“

„Und warum?“

Glinda wusste, dass Fiyero irgendetwas vorhatte. Er war ganz verändert und außerdem hätte sie erwartet, dass er ganz anders reagieren würde, wenn er Glinda die Gute bei Elphaba der Bösen wiederfinden würde.

„Warte mal eben, ich hole Elphie..ba!“ Glinda wartete gar nicht mehr auf eine Antwort und rannte die Wendeltreppe hoch.

Fiyero hatte sie zurückhalten wollen, doch er wusste, dass dann möglicherweise seine Tarnung aufgeflogen wäre. Also setzte er sich gemütlich an den Tisch und wartete.
 

„Elphie!“, zischte Glinda durch den Raum, „Wo bist du?“

„Im Bad!“, rief Elphaba mit lauter Stimme. Sie stand vor dem Spiegel und band sich ihr langes, schwarzes Haar zu einem Zopf. Als Glinda den Raum betrat, erblickte Elphaba ein blasses Gesicht im Spiegel und drehte sich panisch um.

Die hübsche Brünette stand mit zwei Äpfeln und etwas Brot in den Armen zitternd vor ihr.

„Glin, was ist passiert?“, fragte Elphaba entsetzt und war sofort neben ihrer Freundin.

„Fiyero ist da…“, flüsterte Glinda mit gebrochener Stimme und sah Elphaba mit angsterfülltem Blick an.

„Fiyero?!“ Elphaba klang perplex und Glinda konnte nur nicken.

„Was macht der denn jetzt hier? Wo war er?“

„Ich weiß es nicht, Elphie. Er hat nichts gesagt, aber er ist … komisch…“

„Was meinst du mit komisch?“, fragte Elphaba verdutzt und drückte Glinda ein Stück von sich weg, sodass sie der Freundin in die blauen Augen gucken konnte.

„Er… Ach, ich weiß es nicht… Überzeuge dich selbst.“

„Ja, aber was soll ich denn jetzt bitte machen?!“, fragte Elphaba etwas lauter. Glinda wusste, dass das ein Anzeichen dafür war, dass die Freundin gestresst war.

„Zieh erstmal wieder deine Kette aus. Fiyero bekommt einen Herzinfarkt, wenn er dich entgrünifiziert sieht!“

„Herzinfarkt wohl kaum…“, murmelte Elphaba sarkastisch, als sie nach dem Kettenverschluss tastete. Glinda rollte mit den Augen und seufzte: „Fräulein Goldwaage, nun machen Sie schon, die Zeit drängt.“

„Glinda, das hilft mir nicht weiter!“, zischte Elphaba ihr zu, als sie endlich den Verschluss gelöst und die Kette abgenommen hatte. „Was meinst du, was ich jetzt mit ihm machen soll? Soll ich ihn vielleicht auch in unser Picknickkörbchen stecken und mitnehmen?“, bellte Elphaba weiter.

Glinda hob beschwichtigend die Hände: „Ich warte draußen auf Sie, Fräulein Elrik!“

Elphaba stöhnte auf und drehte sich wieder zum Spiegel um. Sie steckte ihre Kette in die Rocktasche und starrte sich an.

‚Wieso kann nicht einmal alles so klappen, wie ich es gerne hätte? Was will er denn jetzt hier? Wieso ist er nicht gestern gekommen? Wieso muss er dann kommen, wenn wir gerade gehen wollen? Was mache ich jetzt mit ihm… Oh, großer Oz…’

Diese Gedanken schossen durch Elphabas Kopf und wirbelten sie nur noch mehr auf. Als die Hexe das merkte, schob sie sich gedanklich einen Riegel vor diesen Fragen-Wasserfall.

„Schluss jetzt, Elphaba Elea Thropp. Geh hin und sieh was er will!“, sagte sie leise, aber deutlich zu sich selber, „Du reagierst über, beruhige dich…“
 

Glinda saß im Schlafzimmer auf dem Bett, in welchem sie die letzten Tage unvergessliches erlebt hatte. Gedankenabwesend rieb sie sich ihre Narbe an der Hand, welche sie immer wieder an Emely erinnerte.

„Glin?“, riss sie eine zärtliche Stimme wieder aus den Gedanken. Neugierig sah die Brünette auf und sah die Hexe vor sich stehen.

„Alles wieder in Ordnung?“, fragte Glinda lächelnd und nahm die dargebotene Hand an.

„Im Moment ist noch alles im Lot…“, brummte Elphaba, musste jedoch grinsen, als sie ihrer Freundin beim Aufstehen half.

Ohne ein Wort küsste Glinda die grüne Wange und streichelte sie danach einmal kurz. Sie hätte ihrer Elphie gerne noch gesagt, was sie fühlt, aber sie wusste, das wäre zu viel für ihre Freundin gewesen.

„Danke…“, flüsterte Elphaba mit geschlossenen Augen und ließ Glindas Hand los.
 

„Ah, da seid ihr ja!“, nickte Fiyero freundlich, als er sah, wie die beiden Damen die Wendeltreppe hinunterstiegen. Am liebsten hätte er ihnen irgendetwas an den Kopf geschmissen und das sogar wortwörtlich, jedoch konnte er sich beherrschen und fragte stattdessen: „Was habt ihr denn noch so lange gemacht?“

Elphaba merkte, dass Glinda in sicherem Abstand hinter ihr stehen blieb, als die Hexe auf den Scheuch zuging.

„Letzte Reisevorbereitungen!“, sagte sie lächelnd und deutet auf ihre Umhängetasche, in welche sie gerade noch den Proviant eingepackt hatte.

„Fiyero!“, sagte sie dann erfreut und öffnete ihre Arme. Der Scheuch stand etwas verdutzt auf und umarmte die grüne Hexe. „Ich bin froh, dass du wieder da bist. Wo warst du?“

Während der Umarmung blickte Fiyero Glinda grinsend an, was der Brünette einen Schauer über den Rücken jagte.

Als Elphaba die Umarmung wieder löste, sah die Vogelscheuche der Hexe in die Augen: „Ich war spazieren, das habe ich dir doch geschrieben.“

„Ja, aber drei Tage lang? Oder wie viele waren es nun?“

„Ich war in der Smaragdstadt…“, fügte er leise hinzu, sodass nur Elphaba es hören konnte.

„Du warst WO?“, rief Elphaba entgeistert aus. Sie konnte sich aus der ganzen Situation keinen Reim machen.

„Können wir mal kurz nach draußen gehen?“, fragte Fiyero nun wieder laut genug und Glindas Augenbrauen schossen vor Neugierde in die Höhe.

„Ich wüsste nicht, warum.“, sagte Elphaba kalt. Sie bekam auch langsam den Eindruck, als würde an dieser ganzen Sache etwas faul sein. Vor ein paar Tagen hatte ihr Fiyero noch allesamt Sachen unterstellt und nun schien er dafür viel zu ruhig und ausgeglichen. Sie hatte ein Donnerwetter erwartet, aber es passierte nichts dergleichen.

„Ich will dir etwas zeigen…“, verriet Fiyero geheimnisvoll und hoffte, Elphaba würde darauf anspringen.

„Wir sollten erstmal…“, begann Elphaba, doch Glinda unterbrach sie.

„Geh nur, Elphaba. Ich hole uns noch etwas Glikkenmilch und komme dann sofort.“

Etwas verwirrt drehte sich Elphaba um, doch als sie Glindas zärtlichen Blick und ihr leichtes Nicken sah, wusste sie, dass es kein Problem für die Freundin war.

„Na gut…“, stimmte Elphaba gedehnt zu, als sie sich wieder umgedreht hatte.

Auch Fiyero nickte noch einmal der brünetten Dame zu und ging dann in Richtung Tür. Als er merkte, dass Elphaba ihm nicht folgte, drehte er sich verwirrt um.

„Kommst du nun?“, fragte er freundlich und hielt die Tür offen.

Endlich setzte Elphaba sich in Gang und rauschte an dem Scheuch vorbei mit den Worten: „Wir müssen uns mal dringend unterhalten!“

Nach zwei schnellen Schritten hatte Fiyero die grüne Frau eingeholt.

„Worüber?“, fragte er neugierig und wusste schon, worauf diese Andeutung hinauslaufen würde.

„Über uns.“, antwortete Elphaba leise und verlangsamte ihren Schritt.

‚Lass dich jetzt nicht einwickeln!’, mahnte sich Fiyero in Gedanken, ‚Erst heuchelt sie dir etwas von Liebe vor und dann musst du erfahren, dass sie eigentlich deine Ex-Verlobte liebt und auch noch hinter deinem Rücken vöge…’

„Fiyero?!“, riss Elphabas Stimme ihn unsanft aus seinen Gedanken.

Verwirrt blickte der Scheuch sich um. Er hatte gar nicht wahrgenommen, dass die Hexe stehen geblieben war und drehte sich um.

„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

„Ja doch, Elphaba. Und ich finde auch, dass wir uns darüber unterhalten sollten. Aber erst musst du dir das ansehen…“, sagte er und deutete auf das große Eingangstor.

Die Hexe seufzte: „Na gut, wenn es denn sein muss.“

Erneut setzte sie sich in Bewegung und ging durch die Eingangstür, welche von dem Scheuch aufgehalten wurde. In diesem Moment fiel ihr wieder ein, dass sie Fiyero hatte fragen wollen, ob er wüsste, wo Chistery sei. Natürlich wusste sie das selber, aber sie wollte wissen, warum ihr Affe so weit über die Grenzen des Landes geflogen war.

Als Elphaba den Kies unter ihren Füßen spürte, wurde sie von der Morgensonne geblendet. Verwirrt drehte sie sich um und sah, dass der Scheuch noch immer am Eingangstor stand und dieses gerade schloss.

„Und was soll hier nun sein?“, fragte Elphaba genervt, als sie sich umdrehte und sich eine Hand über die Augen hielt.

„Warte es ab…“, grinste Fiyero und plötzlich überkam Elphaba das dringende Bedürfnis, sich aus dem Staub zu machen.

Langsam drehte sie sich wieder um und blickte in die Bäume und Büsche, die um Kiamo Ko herum verteilt standen. Die Sonne stand jedoch in einer so unglücklichen Position, dass ihre Augen sich erst an die Helligkeit gewöhnen mussten.

„Fiyero…“, sagte Elphaba ganz langsam, aber sehr deutlich, „Da gibt es noch etwas, was ich dich fragen wollte…“

„Und das wäre?“, rief Fiyero vom Eingangstor aus und hob beide Hände in die Luft.

„Weißt du, wo Chis-uh…“ Elphabas Stimme brach und sie sank erschrocken zu Boden.

Ihr rechter Unterschenkel brannte wie Feuer und sie merkte, wie sie sehr schnell die Kontrolle über ihren Körper verlor.

Als sie mit letzter Kraft auf ihr Bein blickte, sah sie den feuerroten Pfeil in ihrer Wade. Auf dem hinteren Teil des Stiels war ein „MA“ eingraviert.

„Akaber….“, hauchte Elphaba und sah noch, wie ein lächelnder Fiyero sich nickend zu ihr hinunterbeugte.
 

Zufrieden ließ sich der Scheuch neben der Hexe nieder und rief: „Volltreffer!“

Er legte seine Strohhand auf Elphabas Wange und schüttelte die grüne Frau: „Elphaba! Elphaba! … Sehr gut, wie versprochen!“

Dann lehnte er sich ein Stück nach rechts, sodass er besser an den Pfeil kam und zog diesen vorsichtig aus dem grünen Unterschenkel hervor. Die Einstichwunde war so groß wie bei einer Nadel und Fiyero erinnerte sich an Madame Akabers Worte: „Der rote Pfeil ist ausschließlich für Elphaba. Der erste Schuss muss treffen. Er enthält ein bestimmtes Sekret, dass sie nicht nur ohnmächtig, sondern auch wehrlos macht. Sie wird ihre Zauberkraft für die nächsten 24 Stunden nicht abrufen können, aber der Haken bei der ganzen Sache ist: Es funktioniert nur ein einziges Mal. Der Pfeil wird auch automatisch gebremst, sobald die Spitze ein Körperteil berührt, also nehmt keine Rücksicht auf Verletzungsgefahr. Elphaba wird nur minimal verletzt werden. Das gleiche gilt auch für Glinda – hier, für sie ist der grüne Pfeil bestimmt. Er enthält nur Betäubungsmittel, aber ich denke, dass sie keine Bedrohung…“

„ELPHABA!“, schrie Glinda erschrocken auf und Fiyero zuckte zusammen. Als Glinda ihre Freundin dort auf dem Boden liegen sah, ließ sie die Milchflasche fallen, welche mit lautem Geklirre am Boden zersplitterte. Glinda jedoch kümmerte sich nicht darum und lief panisch auf Elphaba und Fiyero zu.

„Großer Oz, was hast du mit ihr gemacht?!“, keuchte die Brünette, als sie sich neben Fiyero niederließ und das grüne Gesicht in ihre Hände nahm.

Der Scheuch war schnell genug gewesen und hatte ohne Glindas Bemerken den Pfeil unter dem Bein der Hexe versteckt.

„Elphie… Elphie, wach auf…“, flüsterte Glinda und merkte nicht, wie Fiyero sich langsam erhob und drei Schritte zurückging.

„Oh Oz, Elphie, bitte…“, Glinda weinte fast und konnte nur mit letztem Willen ihre Tränen zurückhalten.

Wutentbrannt wollte sie sich zu Fiyero wenden: „WAS HAST DU…“, doch plötzlich merkte sie, dass der Scheuch nicht mehr neben ihr saß, sondern hinter ihr stand.

Mit einem Satz war sie auf den Beinen und schubste Fiyero an den Schultern ein Stück zurück.

„Was hast du mit ihr gemacht?!“, schrie sie aus voller Kehle und Fiyero hob beide Arme in die Luft. Für Glinda sah es so aus, als würde er damit seine Unschuld ausdrücken wollen.

„Nichts…“, sagte er. Im gleichen Moment fühlte er, wie etwas seine Strohbeine durchfuhr.

Auch Glinda hörte das Rascheln des Strohs und blickte verwirrt hinab. In Fiyero Strohbein steckte ein Giftgrüner Pfeil, dessen Spitze an der anderen Seite wieder herausguckte.

„Was zum…“, wollte Glinda gerade fragen, als Fiyero sie unterbrach.

„DANEBEN!“, schrie er laut und augenblicklich wusste Glinda, was hier für ein Spiel gespielt wurde.

Augenblicklich wandte sie ihren Kopf in die Richtung, aus welcher der Pfeil gekommen sein musste, doch sie konnte nichts erkennen.

Fiyero wusste, dass es nur diesen einen Pfeil gegeben hatte und nutzte die Chance, dass Glinda in eine andere Richtung guckte.

Grob packte er sie an beiden Handgelenken und drückte fest zu.

„Lass mich los!“, schrie Glinda und trat dem Scheuch mit voller Wucht in die Gegend, wo bei einem Menschen der Magen gewesen wäre.

Fiyero wurde ein Stück zurückgeschleudert und musste von Glinda ablassen, die dann mit gehetztem Blick zurück zu der am Boden liegenden Elphaba rannte.

„Na los! Macht schon!“, hörte sie Fiyero schreien und ließ sich neben Elphaba auf die Knie fallen.

„Elphaba! Mach schon! Wach auf!“, sagte sie panisch und schlug der Freundin ein paar Mal vorsichtig auf die Wange. Diese jedoch rührte sich nicht.

„Elphaba Elea Thropp, wenn du glaubst, ich gehe ohne dich, dann hast du dich getäuscht!“, sagte Glinda fest entschlossen und versuchte, die grüne Frau aufzusetzen.

In diesem Moment fühlte sie, wie jemand sie unsanft von der Freundin wegzog. Sie schrie und strampelte, doch die Hände verdoppelten und verdreifachten sich, bis sie am Boden lag, sodass sie keine Bewegungsfreiheit mehr hatte.

„Lasst mich los! Elphaba! Lasst mich los, ihr Schweine!“, schrie sie und warf ihren Kopf hin und her.

„Jetzt!“, hörte sie Fiyero sagen und fühlte, wie etwas spitzes ihre linke Wade durchbohrte.

„Ihr kriegt … uns … nicht…“, hauchte sie mit ihrem letzten Atemzug, bevor Glinda das Bewusstsein verlor.
 

„Halt jetzt den Mund, Stella!“, fuhr Accursia die blonde Frau von der Seite an.

Madame Akaber stand in ihrem großen Konferenzsaal vor der Versammlung, die sie gerade ohne Vorwarnung einberufen hatte.

Zu ihrer linken saßen die vier Frauen: Stella, die ungeschminkt ganz anders aussah. Große Augenringe zierten ihr sonst so zartes Gesicht.

Penelope, die anscheinend keine Zeit mehr hatte, sich vernünftige Kleidung zu suchen, genau wie Ramón.

Adlerauge, die nun mit größerer Neugierde, als man es ihr sonst ansehen konnte, auf das nächste Wort von Akaber wartete.

Aylin, die als einzige in den letzten Tagen hart gearbeitete hatte und auch an diesem Morgen schon früh auf den Beinen war.

Zu Akabers rechten saßen die Männer, Ramón, Domingus, und der Bote, der ihr den Grund für diese spontane Versammlung überliefert hatte.

Accursia konnte die Neugierde, die Spannung und die Überraschung beinahe physisch spüren und sie genoss die angespannte Stille für einen kurzen Moment.

Auch sie hatte an diesem Morgen nicht besonders viel Zeit gehabt, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden, aber mit den Jahren, so wusste sie, lernt man, wie man als Dame aus der kürzesten Zeit den größten Gewinn macht.

‚Und genau das werde ich jetzt tun…’, dachte sie sich und schmunzelte, was zu einer noch größeren Neugierde der anderen führte.

Beschwichtigend hob Accursia ihre Arme und begann, mit leiser Stimme zu sprechen: „Der Grund für diese frühmorgendliche und äußerst spontanitäre Versammlung, hält dieser junge Mann gerade in seinen Händen.“

Bei diesen Worten deutete Akaber auf den jungen Boten, der rechts neben ihr saß.

‚Spontanitär?’, dachte Ramón verwundert. Er wusste, was es bedeutete, wenn seine Mutter wieder in ihr altes Wort-Abänderungsmuster verfiel.

Es bedeutete, dass irgendetwas passiert war.

Irgendetwas… sehr, sehr positives. Zumindest für sie. Für Accursia.

Die Menge schwieg. An Stellas Beispiel hatte Madame Akaber eben sehr deutlich gemacht, dass ihr diese Situation sehr ernst war. Äußerst ernst. Und darum traute sich nun niemand mehr, seine Stimme zu erheben.

„Lies vor, Junge.“, befahl Madame Akaber dem jungen Burschen mit einer Stimme, die keine Widerworte zuließ.

Der Bote erhob sich und faltete den Zettel wieder auf, den er in seinen zittrigen Händen hielt.

„Auria…“, begann er, doch seine Stimme klang sehr dünn. Er räusperte sich und begann erneut, diesmal war seine Stimme etwas fester: „Auria, wir haben sie. Beide. Glinda hat uns mehr Widerstand geleistet, als die Hexe. Wir werden spätestens morgen früh ankommen. Wir beeilen uns, da der Pfeil nur 24 Stunden hält. Wir bitten darum, dass ihr den Bann früh genug legt, falls die Hexe früher als erwartet aufwacht. Außerdem stimmen die Gerüchte: Die Hexe und Glinda sind ein Sappho-Pärchen. Danke, Londaro.“

Bevor das laute Gemurmel einsetzen konnte, hob Accursia wieder ihre Hand.

„Wie ihr also hört…“, begann sie und wies dem jungen Mann an, sich wieder hinzusetzen, „…ist es dem Trupp gelungen, Glinda und die Hexe für 24 Stunden außer Gefecht zu setzen und sie werden sie nun endlich hierher bringen. Ich habe diese Versammlung einberufen, um nun genaustens zu planen, wie es weitergeht.“

„Aber haben wir das nicht schon besprochen?“, fragte Stella genervt. Accursia hatte sie noch vor dem morgendlichen Kaffee geweckt und das schlug ihr mächtig auf die Laune.

Penelope, die neben Stella saß, stupste sie warnend mit dem Ellbogen an.

„Was?“, fauchte die Blondine und wurde mit einem bösen Blick von Accursia bedacht.

„Mein liebes Kind…“, knurrte Akaber schon fast, „Wir sind alle müde. Wir alle stehen unter Stress und niemand hat gesagt, es würde einfach werden, eine Legende einzufangen und in die Fußstapfen einer anderen Legende zu treten, um das Volk zu regieren. Hüte deine Zunge, mein liebes Fräulein.“

Nun war es für jeden offensichtlich: Accursia stand unter Strom und das noch viel schlimmer, als man es hätte ahnen können.

„Oz sei Dank…“, flüsterte Stella kleinlaut, als Jytte, leise wie eine Kirchenmaus, in den Raum trat. In der Hand hielt sie ein Tablett mit einer Kanne Kaffee und sechs Tassen.

Accursia schenkte ihrem Hausmädchen keine Beachtung. Lautlos sank sie in den Stuhl und überblickte die Runde. Sie saß am Kopfende des Tisches, sodass sie jeden im Blick hatte.

„Also…“, begann sie, „Wenn die beiden ankommen, was wird mit ihnen gemacht?“

„Sie werden in den Kerker gesperrt, aber einzeln!“, antwortete Penelope und unterdrückte ein Gähnen.

„Und ich übernehme die erste Bann-Runde.“, fügte Domingus hinzu.

„Sehr gut.“, nickte Auria Domingus zu und an die anderen gewandt sagte sie: „Domingus und ich werden uns im 23 Stunden-Takt abwechseln mit den Bann-Zaubersprüchen, damit wir auch kein Risiko eingehen. Es wäre für jeden von uns unmöglich, diesen Bann für länger als 48 Stunden zu halten, darum sparen wir unsere Energie. Wir werden die Stadt mit dem gleichen Bann belegen, wie damals, als Glinda sterben sollte. Das macht es der Hexe und auch Glinda unmöglich, ihre Magie anzuwenden.“

„Das Problem ist nur…“, griff Domingus ein, „…, dass dieser Spruch jede magische Person betrifft, außer diejenige, die den Bann gelegt hat.“

„Moment mal…“, Penelope setzte sich aufrecht hin und starrte Accursia fragend an, „Bedeutete das etwas, dass wenn Domingus den Bann legt, dass du dann auch keine Magie anwenden kannst?“

„Das ist korrekt…“, nickte Accursia, „Und genau das ist das Manko. Ich wäre theoretisch dazu in der Lage, Domingus’ Bann zu durchbrechen, da ich mächtiger bin als er. Wir wissen nicht, wie mächtig El… die Hexe ist, demnach werden wir sie auch durchgehend mit Beruhigungsmitteln versorgen. Nur am Tag der Hinrichtung wird sie bei klarem Verstand und bei vollen Kräften sein. An diesem Tag nämlich, werden Domingus und ich gemeinsam den Bann legen… und den wird dann auch keine Hexe durchbrechen können.“

„Also, wir sperren die beiden in getrennte Zellen und pumpen die Grüne mit irgendwelchem Zeugs voll… Und dann?“, fragte Ramón, der verärgert feststellte, dass er kaum informiert worden war.

„Dann kümmere ich mich erstmal um die Presse…“, begann Aylin, „Und wenn ganz Oz heiß auf die Hinrichtung der Hexe ist… und das wird nicht länger als drei tage dauern, werden wir sie …“

„Verbrennen!“, sagten die vier Frauen wie aus einem Mund und Accursia nickte zufrieden.

Ach, was hatte sie ihre Mädchen doch gut erzogen.

„Ah… Moment mal… Ich dachte, sie stirbt von Wasser?“, fragte Ramón verwirrt.

„Na klar, das hat ja auch beim ersten Mal schon so toll funktioniert, du Held!“, zischte Stella und nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Kaffee.

Jytte verteilte gerade die Löffel.

Ramón machte ein verachtendes Geräusch und sah seine Mutter fragend an.

„Wir verbrennen sie nicht ohne Grund. Würde jemand bitte unseren Plan, der hinter der ganzen Sache steckt, erklären? Stella? Du vielleicht? Du hast ja auch den Löwenanteil dazu beigetragen…“

„Gern…“, nickte Stella, nun etwas freundlicher als zuvor.

„Also…“, begann sie mit gedehnter Stimme, als wäre Ramón ein Volltrottel, „Wir trennen die beiden erst einmal voneinander und lassen sie in der Unwissenheit, was mit der anderen ist. Es ist wichtig für uns, dass die beiden keine Gelegenheit mehr bekommen, miteinander zu sprechen.

Wir werden die Hexe dann an ihrem Hinrichtungstag zuerst vorführen – die Menge wird toben. Dann werden wir Glinda ebenfalls vorführen. Und wir rechnen damit, dass die beiden sich vor dem Tod noch etwas zu sagen haben… Und nach dem Brief hier zu urteilen… wird es genau das richtige sein, um die Menge aufzuwirbeln. Es wird ein riesen Tumult entstehen und es wird so aussehen, als würde jemand Glinda zur Hilfe eilen. Sie bekommt ihren Zauberstab durch einen Boten, der aber von UNS aus gesandt wurde. Sie wird also versuchen, Elphaba frei zu zaubern. Aufgrund des Banns jedoch wird sie dazu nicht in der Lage sein.

Domingus wird diesen Moment abpassen und dann wendet sich das Blatt: Glinda will die Hexe befreien durch einen Zauberspruch, aber anstelle ihre Fesseln zu lösen, wird sie das Feuer entfachen.

Zumindest sieht es für das Publikum so aus, wenn Domingus den Scheiterhaufen aufbrennen lässt.

Auch deine glorreiche Idee haben wir eingebracht, lieber Ramón: Glinda wird die Asche ihrer Freundin einatmen.

Nachdem der Scheiterhaufen brennt, wird Glinda wieder gefasst und Accursia wird den Wind passend drehen. Dann muss sie mit ansehen, mitfühlen und mitleiden, wie die Hexe lichterloh verbrennt.

Ich fand… Wir fanden, dass es ganz nett ist, das gegenteilige Element von Wasser zu nehmen…

Mitten in diesem Tumult, wenn die Hexe brennt, werden wir Glinda wegschaffen in die Zelle. Dort wird der Hexenhut auf sie warten und das Foto von den beiden, welches wir gefunden haben…“

Stella machte eine dramatische Pause und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Die Anspannung im Raum war greifbar, sie lag in der Luft wie der Duft von frisch gekochtem Essen. Ein jeder konnte sich denken, was nun kam. Die Wahrheit war nämlich, dass der Plan niemals komplett unter allen Frauen besprochen wurde. Es hatte schon seinen Grund, warum Stella Accursias Liebling war…

„Und dann…“, Stella flüsterte fast, „… DANN wird unsere arme Glinda dort allein in ihrer Zelle sitzen. Mit den Andenken an ihre Liebste – dem Hut, dem Bild… und… einem Zaubertrank. Ein Gifttrank. Sie wird dort allein in der Zelle weinen… Die Schuldgefühle werden sich in ihr breit machen… ‚Was habe ich getan?’… wird sie sich fragen… sie wird dort in der dunklen Ecke kauern, in ihrem prächtigen Kleid, in welches wir sie stecken werden… Sie wird ihre eigenen Hände betrachten und sich fragen, wie sie der Liebe ihres Lebens das Leben nehmen konnte… Wie kann nur ein Zauberspruch so daneben gehen… wird sie sich fragen…“

Stella brach in hysterisches Lachen aus. Ihre Augen funkelten, ihre Hände verkrampften sich an der Tischkante. Sie befand sich gerade in höchster Ekstase und jeder, der Stella kannte, wusste das.

Ramón lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er sah Glinda vor sich, wie sie in der Ecke kauerte. Die Detailliertheit, wie Stella diese Szenerie beschrieb, fand er gruselig. Es machte ihm Angst.

‚Was ist bei dieser Frau im Leben schief gelaufen…?’, fragte er sich.

Dem jungen Boten ging es nicht anders. Er war ganz weiss um die Nase geworden und er schnappte nach Luft. Wo war er da nur hineingeraten?

Die anderen Damen im Raum schienen eher ungerührt von Stellas Ausbruch zu sein. Sie kannten die Freundin schließlich schon seit Jahren.

‚Und wenn man sich mal vor Augen hält, was Stella damals in der Schule mit dieser Mentorin abgezogen hat…’, dachte Penelope und musterte Stella von der Seite.

Adlerauge verfolgten denselben Gedankengang: ‚Wie war noch der Name gewesen…?’, dachte sie nachdenklich, ‚… Irgendwas mit M… Miriam… Margot… Margo! Das war’s. Margo Blair… unsere Politikmentorin!’

‚Ich habe genug gehört…’, dachte sich Jytte, der speiübel war. Sie nutzte die Gelegenheit, als Stella wieder ansetzte und huschte aus dem Raum.

„Und dann… Dann wird da dieses Fläschchen stehen. Das Gift. Das Gift, das verspricht, ohne Schmerzen zu sterben. Ohne physisches Leid, denn seelisches Leiden wird sie genug plagen.“

Die blonde Frau atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus, bevor sie etwas ruhiger weiter erklärte: „Sie wird Suizid begehen. Da bin ich mir sicher. Für Glinda wird es so aussehen, als hätte sie die Liebe ihres Lebens getötet. Wir werden ihr auch vorlügen, dass nach Elphaba ihre Eltern sterben werden, doch dass sie das nicht miterleben darf. Sie wird denken, dass sie niemanden und nichts mehr hat. Es gibt dann nichts mehr auf der Welt, für was es sich lohnt, zu leben. Und da wird ein solches Fläschchen sehr verführerisch….“

Das Lächeln, was nun auf Stellas Züge trat und welches jeder als unpassend bewerten würde, außer natürlich Domingus, war das Zeichen dafür, das Stella mit ihrer Erklärung am Ende war.

„Und, mein Sohn, was sagst du? Haben wir deine Idee nicht würdevoll berücksichtigt?“, fragte Accursia munter. Etwas zu munter.

Ramón schluckte und ließ die Hand des jungen Burschen los, die seine Hand unter dem Tisch gesucht hatte. Ja, er musste zugeben, er hatte Rache gewollt und er hatte solche Gedanken gehabt, aber ein solches Szenario? Wer konnte sich eine solche Grausamkeit ausdenken?

‚Nur eine Frau… Nur eine Frau….’, dachte er resigniert und blickte Penelope an. Sie wusste, wie er sich gerade fühlte.

‚Nein! Ich werde hier jetzt keine Schwache zeigen!’, befahl er sich, als er durch die Frauenrunde blickte.

„Ja, Mutter, ich denke, der Plan ist sehr ausgeklügelt!“, nickte er und wollte das Thema damit beenden.

„In der Tat. Ausgeklügelt! Und absolut grauifiziert! Aber damit ist es noch nicht getan!“, sprach Madame Akaber etwas zu euphorisch und Ramón sah seine Mutter plötzlich in einem ganz anderen Licht.

Was um Oz’s Willen war mit den Frauen in diesem Raum los?

Ramón hoffte nur, dass diese Greulichkeit, diese Abscheulichkeit, nicht auf seine Nele abfärben würde. Für ihn war sie die heimliche Rose der Nacht… Ihre Zartheit eingehüllt in den schwarzen Mantel der Tarnung und Verschleierung.

„Was hältst du davon?“

„Was?“, schreckte Ramón aus seinen Gedanken auf.

„Was du davon hältst?“, fragte Accursia erneut.

„Wo..von…?“

„Ramón!“, zischte Akaber wütend. Wie sie es hasste, Dinge zu wiederholen. Und dann auch noch in einer solch wichtigen Versammlung!

„Es tut mir leid Mutter, wovon habt ihr gesprochen?“

„Davon, wie es danach weitergeht. Durch Glindas scheinbaren Mord an ihrer Freundin wird die Menge absolut verwirrt sein. Wir können uns daraus auch wieder die passende Geschichte drehen. Glinda wäre wahnsinnig geworden… Nach einem öffentlichen Gefühlsbekenntnis dann die Liebe ihres Lebens töten… Wer macht so was schon? Und das Volk von Oz wird sich nach einer starken Hand, nun, nach starken Händen sehnen, die klare und logische Strukturen angeben… und vorgeben… Das wird ein Kinderspiel!“

„Allerdings…“, brachte Ramón noch hervor, mit dem letzten bisschen Würde, die er noch hatte. Er musste raus.

„Ich werde mich jetzt mal um die Gefangenen kümmern. Ich nehme an, ihr wollt noch die Details besprechen?“

Accursias Augenbrauen schossen in die Höhe. Ramón wusste nicht, ob es aus Überraschung oder Verachtung war, aber es war ihm auch ganz egal. Diese Frauen waren Monster. Monster….

„Ja, wir besprechen noch die Details… Wem welche Aufgabe zugeteilt wird…“

„Gut…“, nickte der blonde Mann, „Dann wird Nele mich nachher aufklären.“

Mit einem schnellen Kuss auf Penelopes Wange verabschiedete er sich von der eher weiblichen Runde – der junge Bote folgte ihm hinaus.

Noch bevor sie den Ausgang erreichten, setzte schon eine neue Diskussion darüber an, wie man sicher stellen kann, dass Glinda die Gute wirklich Suizid begeht.
 

„Großer Oz…“, stöhnte der junge Mann, als er sich schwer atmend gegen die große Eichentür lehnte, die die beiden Männer gerade hinter sich geschlossen hatten. Ramón tat es ihm gleich.

„Sind die immer so?“, keuchte der Bursche.

„Meistens…“, nickte Ramón. Er hatte keine große Lust, weiter auf dem Thema herumzureiten.

„Du siehst nicht gerade gesund aus..“, murmelt er, als er sich von der Tür abdrückte und den jungen Mann musterte. Er schwitzte. Der Schweiß stand ihm auf der blassen Stirn und sein vorderes Haar klebte nass an seiner Kopfhaut.

„Moment mal…“, stutzte Ramón, „Du bist doch mit dem Trupp losgezogen! Wieso bist du schon hier?“

„Ich wurde an einem Bauernhof hier in der Nähe stationiert. Ich musste auf den ADLER warten und als ich seine Nachricht bekam, sollte ich sie nur überbringen.“

„Ein Adler? Was für ein Adler?“, fragte Ramón verwirrt.

„Nein, ein ADLER! Der Kommandant verfügt doch über einen TIER-Trupp. Auf diese Mission hat er seinen ADLER mitgenommen.“

„TIER-Trupp…“, murmelte Ramón nachdenklich und schlug den Weg ein, der zu den Zimmern der Gefangenen führte. Er hatte schon beinahe vergessen, dass es in Oz Tiere gab, die sprechen können. TIERE. Wie lange hatte man in Oz schon nicht mehr über TIERE gesprochen? Glinda die Gute hatte schon sehr gute Arbeit geleistet, den TIEREN ihre rechte wiederzugeben… Aber was würde nun aus ihnen werden?

Die Leute, die unter seiner Mutter arbeiteten, hielten TIERE wie Tiere. Als Werkzeuge. Als Fußvolk, nein, noch nicht einmal das. Der ADLER hätte die Botschaft auch überbringen können – verbal. Aber ihm wurde das Sprechen abgenommen… Von einem Menschen.
 

„Hat sie eine Kette an? … uff…“, fragte Londaro durch aufeinandergepresste Zähne. Er war gerade dabei, mit zwei anderen Männern, die grüne Hexe auf einen Wagen zu hieven, den die Soldaten in der Gartenscheune aufgetrieben hatten. Fiyero hatte sie dorthin verwiesen.

„Was?“, fragte dieser verdutzt. Er stand vor Glinda und hielt noch immer ihre Handgelenke fest. Sein Blick wanderte auf Glindas Dekolleté und… ja, da war sie.

„Ja…“, rief der Scheuch zurück. Beim Anblick der Kette war es ihm, als pfiffen im tausend Winde durch die Ohren. Wie offensichtlich sollte die ganze Geschichte noch werden?

„Ist es DIE… Kette?“ Londaro schob Elphaba in eine Ecke des Wagens, sodass noch Platz für die zweite Frau war.

„Was.. wie…“, Fiyero war verwirrt.

Londaro wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte nicht gedacht, dass es so anstrengend werden würde, die beiden unfähig zu machen. Mit eilenden Schritten kam er auf Fiyero zu: „Na die Träne!“

Erst da fiel der Groschen beim Scheuch: „Achso, nein… sie trägt eine andere Kette. Aber die ist auch nicht von schlechten Eltern…“

Neugierig kniete sich der hübsche Sekretär neben die ohnmächtige Blondine und zog ihr den Pfeil aus der Wade.

„Das gibt ne hübsche Narbe… Aber: wen kümmerts? Oh… na sieh mal einer an!“, rief er beinahe aus und nahm die beiden Herzen in seine Hand.

„Pink und grün – wenn das nicht ein Zeichen ist!“

„Ja, wenn das nicht ein Zeichen ist…“, knurrte Fiyero und ließ Glindas Handgelenke los. Ihr Körper lag schlaff und regungslos in der Morgensonne. Das einzige, was sich von Zeit zu Zeit noch bewegte, war ihr Brustkorb, der sich bei jedem flachen Atemzug leicht auf- und abwölbte.

‚Sie ist eigentlich eine Schönheit…’, dachte Fiyero, als er dem Schauspiel der Sonnenstrahlen auf Glindas braunem Haar zusah.

‚EIGENTLICH! Wenn da nicht… Ja, wenn da nicht…’ Er konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen. Diese Vorstellung ekelte ihn an.

„Wir brauchen diese Kette!“, unterbrach Londaro die Gedanken des Scheuchs, „Die Hexe trägt sie auch nicht. Entweder ist sie drinnen…“

„Oder?“

„Oder.. ich weiß es nicht. Ich würde vorschlagen, du und ich, wir gehen rein und durchsuchen das Haus… Schloss… Was auch immer es ist. Und die Männer sollen hier draußen alles regeln?“

„Einverstanden!“, nickte Fiyero und stand auf. Er drehte sich um, ohne noch einmal auf Glinda herabzusehen. Londaro gab den Männern die entsprechenden Anweisungen und dann folgte er dem Scheuch, der schon am Eingangstor auf ihn wartete.
 

„Sag mal, läufst du mir hinterher?“, fragte Ramón verdutzt, als er feststellte, dass der junge Bursche ihm auf jeden Schritt und Tritt verfolgte.

„Ja… Ich weiß nicht, was ich machen soll… Ich meine, der Kommandant..“

„Schon gut, dann komm mit mir. Du darfst mich gerne begleiten. In so einer Frauenwelt ist das Überleben nicht leicht!“

„Da sagst du was… Das war ja wohl mal schärfer als das Gruselkabinett…“, sagte der junge Mann und schüttelte sich.

„Meinst du unsere Mächtigen Fünf? Die SIND das Gruselkabinett! … Sag mal, wie heißt du eigentlich?“

„Florin und … du bist Ramón?“

„Richtig…“, nickte Ramón und betrachtete den dunkelhaarigen Jungen. Wie alt mochte er sein? Mindestens fünf Jahre jünger, wenn nicht noch mehr…

Schweigend setzten die beiden Männer ihren Weg fort. Florin sah neben Ramón schmal und schwach aus. Er war groß, aber dünn und gegen Ramóns Muskeln sahen seine Arme eher aus wie schlappe Nudeln.

Florin ging einen halben Schritt hinter dem blonden, hübschen Mann und beäugte ihn von der Seite.

‚Was für starke Arme…’, seufzte er innerlich und wäre beinahe in seinen neuen Mentor hineingelaufen, als dieser stehen blieb und auf eine Tür deutete.

„Mach dich bereit, wir treffen jetzt auf Meredith Schiforsan und Anhang.“
 

Fiyero wusste nicht, was er von diesem Anblick halten sollte: Auf dem Boden, vor Elphabas Bett, lagen die Neuigkeitenblätter mit der Skandalnachricht. Das Bett war nicht gemacht und es war deutlich zu erkennen, dass beide Frauen darin geschlafen hatten… und zwar sehr nah beieinander. Die Kissen lagen schon fast aufeinander und die Bettdecken lagen auch in einer eindeutigen Position. Die Tür zum Badezimmer stand offen.

Glindas alte Kleider hingen über einem Stuhl und waren anscheinend nicht weiter beachtet worden.

Fiyero war froh, dass er seine Sinne verloren hatte. Der Raum stank wahrscheinlich nur so nach dem gemischten Duft von den beiden weiblichen Körpern, ihren Küssen und ihren … Experimenten!

Wenn sein Körper noch menschliche Funktionen besessen hätte, dann hätte sein Frühstück wahrscheinlich den Boden verziert.

Ohne einen weiteren Blick ging er ins Bad. Er kannte Elphabas Räumlichkeiten gut genug um zu wissen, dass nichts umgeräumt worden war. Auch im Bad fand er nichts außergewöhnliches.

Langsam ging er wieder zurück in das Schlafzimmer und kniete sich vor die Standuhr. Der Schlüssel drehte sich mit einem leisen Geknirsche um und die Tür sprang auf. Nichts.

„Also den hier sollten wir vielleicht mit ihr verbrennen!“

Erschrocken setzte Fiyero sich auf seinen Hintern. „Londaro! Ich habe dich gar nicht gehört!“, sagte Fiyero etwas erschrocken, als er sich wieder auf die Beine stellte.

„Entschuldige!“, lachte der Sekretär und wedelte mit dem Besen in seiner Hand rum, „Meinst du nicht auch?“

„Naja, könnte nicht schaden!“, nickte Fiyero, „Aber hier ist nichts, weder eine Kette, noch irgendetwas anderes…“

„Mist! Aber wir können auch nicht länger warten…“
 

Als der Mann und die Vogelscheuche in den sonnenbedeckten Hof traten, waren die Männer gerade dabei, Glinda wieder von der Karre zu ziehen.

„Was macht ihr da?“, rief Londaro und Fiyero sah, wie ein andere Soldat über Elphaba kniete, die bewusstlos auf dem Wagen lag.



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