Am Marterpfahl
Kapitel 12
Am Marterpfahl
Hudson hat mir fünfhundert Riesen in bar überreicht, damit ich dich ihm ausliefere.
Murdocs schrecklich gleichgültige Stimme hallte dumpf in seinem Kopf wieder und machte Stu-Pot ungeheuer wütend.
Er wurde von einer heißen Welle bestehend aus den verschiedensten Gefühlen und Emotionen erfasst und Stu-Pot biss die Zähne fest zusammen, wie er es immer tat, wenn er versuchte die Tränen zurückzuhalten.
Geld, Geld und nochmals Geld! Gab es denn nichts Wichtigeres auf dieser Welt, als diese blöden Scheine aus Papier?! Musik zum Beispiel?
Sie müssen lernen, die Finanzen der Firma zu regeln, Stuart!
Geld regiert die Welt, vergessen Sie das bloß nicht!
Geld, mein Sohn, Geld!
Die Welle verebbte wieder und endlich stiegen warme Tränen Stu-Pot in die dunklen Augen. Ob es Tränen der Wut oder der Trauer waren, wusste er nicht zu beurteilen.
Seine dürren Finger hatten sich in den weichen Bezug des Autositzes gekrallt und konnten nicht die Flüssigkeit wegwischen, die dort über seine Wangen rann.
Murdoc hatte ihn verraten… Für ein bisschen Bares. Einfach so, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Wie konnte man nur so gewissenlos seinen Freund hintergehen?
Doch war er überhaupt jemals Murdocs Freund gewesen?
Stu-Pot überlegte ein paar Sekunden, doch sein Schädel begann wieder eklig zu pochen und kurz darauf brach er die verworrenen Gedanken, die sich zusammengesetzt hatten, wieder auseinander.
Er konnte den salzigen Geschmack einer Träne auf seiner Zunge schmecken und mit einem Mal fühlte er sich unendlich leer. Da war keine Wut mehr, auch keine Trauer oder sonst irgendetwas. In ihm war nur noch diese Leere, welche die schlimmste Erinnerung seines Lebens wieder zum Vorschein brachte:
“Bring ihn um! Bring ihn um! Bring ihn um!“
Der eisige Nachtwind trug die Rufe seiner Mitschüler in Stus Richtung. Sie wurden immer lauter; mit jeder Sekunde, die quälend langsam verstrich, schien ihr Enthusiasmus zuzunehmen. Er wollte sie nicht hören, doch er konnte nichts dagegen unternehmen: Mit festen Stricken hatte man ihn an eine alte Buche gebunden. Er war nicht imstande sich zu bewegen oder sich auch nur die -inzwischen ganz tauben- Ohren zuhalten.
„Bring ihn um! Bring ihn um!“ Noch immer konnte er sie hören und Stu begann sich unweigerlich zu fragen, wann Alexander der Bitte seiner Fans endlich nachkommen würde. Allzu lange konnte es nicht mehr sein. Denn es war schon viel zu viel Zeit vergangen, in der er seinen schweißnassen Körper gegen den harten Marterpfahl gepresst hatte; es konnte nicht mehr lange dauern.
Stu fürchtete sich vor Alexanders Rache. Niemals zuvor in seinem Leben hatte er solch eine bohrende Angst gefühlt. Wie harter Zement hing sie ihm in der Brust und schnürte ihm die Lungen zu. Das Atmen viel ihm immer schwerer und seine Gliedmaßen wurden taub. Ohne ersichtlichen Grund schoss ihm auf einmal der Gedanke durch den Kopf, dass diese Angst nicht einmal mit damals vergleichbar war, als er sich aus der Villa seiner Eltern schlich, um für alle Zeit ihren geldgierigen Fängen zu entkommen. Es war doch ironisch: Raus aus der Pfanne, rein ins Feuer. Das Leben, das er sich erhofft hatte, war niemals Wirklichkeit geworden. Eher… war es noch viel schlimmer geworden, richtig?
„Bring ihn um! Bring ihn um! Bring ihn um! Bring ihn um! BRING IHN UM! Jaaaaah!“
Stu machte Schritte aus, die sich ihm ungewöhnlich langsam näherten. Nach einer Weile hörte das unheilvolle Geräusch wieder auf und Alexander Grey stand nun so dicht vor ihm, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Sein Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzerrt und in seinen Augen glomm kalter Hass. Wie ein Schlag im Gesicht wurde Stu plötzlich klar, dass Alexander nicht vorhatte, ihn nur ein bisschen zu verprügeln und zu bespucken.
„Bring ihn um! Bring ihn um! Bring ihn um!“
Alexander rief einen Namen, der Stu nicht bekannt vorkam. Ein Junge mit kurz geschorenen Haaren und Springerstiefeln tauchte sofort an seiner Seite auf und Stu erinnerte sich nun vage daran, ihn auf der Party gesehen zu haben. Alexander und der Junge tauschten Worte, die Stu hörte und doch nicht verstand. Schließlich nickte der fremde Junge und fischte etwas Glänzendes aus seiner Jackentasche heraus, was sich als Taschenmesser entpuppte. Die beiden hatten Stus ängstlichen Blick bemerkt und grinsten sich gegenseitig in stummem Einverständnis an. Alexander nahm das Messer an sich und wedelte damit einige Male böse lächelnd vor Stus Gesicht herum.
Stu fragte sich, was Alexander mit ihm vorhatte. Wollte er erst mit ein paar Messerkunststückchen seine Angst noch weiter schüren und ihm dann die Kehle durchschneiden? Stu schluckte und bemerkte erst jetzt, wie trocken sein Hals war.
„Hast du etwa Angst, Loser?“ Alexanders Stimme triefte vor Hohn und die Jugendlichen, die sich in einem Halbkreis um Stu aufgestellt hatten, grölten begeistert Beifall. Ob Paula auch dabei war? Bisher hatte er sie nicht entdecken können.
Ein unerwarteter Schmerz in seiner linken Schulter ließ Stu unfreiwillig aufschreien. „Hier spielt die Musik, Arschgeige!“ Alexander griff unsanft unter sein Kinn und drehte seinen Kopf, sodass er auf die Wunde schauen musste. Das Messer steckte tief in seinem hellen Fleisch und Blut quoll hervor.
Der beißende Schmerz ging durch seinen ganzen Arm und Stu biss die Zähne zusammen, um Tränen zu verhindern. „Uhhh, da ist aber jemand tapfer!“ Alexander verspottet ihn. „Woll’n wir mal sehen, wie lange noch!“ Das blutbeschmierte Messer wurde aus seiner Schulter entfernt und Stu verzog angewidert den Mund. Dieser Anblick war aus irgendeinem Grund schlimmer als der seiner Verletzung selbst.
Das Messer landete im feuchten Gras. Alexander nannte wieder einen Namen. Dustin oder so etwas; Stu hatte nicht wirklich hingehört, sondern weiterhin mit einer ungleichen Mischung aus Ekel und Faszination das am Boden liegende Messer betrachtet. Das dunkle Blut glänzte im Mondlicht. Es war Halbmond.
Einen Faustschlag später war Stus Aufmerksamkeit wieder bei Alexander und die Angst war zurückgekehrt, wenn sie denn überhaupt verschwunden war. Denn Alexander hielt eine Pistole in der Hand. Eine kleine, handliche Pistole in leuchtendem Schwarz, deren Lauf genau auf ihn gerichtet war. War das jetzt das Ende? Sollte auf diese Weise sein Leben zu Ende gehen? Weil er auf einer Party mit Paula gesprochen hatte?
Stu kniff die Augen zusammen und wartete auf den Tod. Knall!
Die Kugel hatte nicht sein Herz durchbohrt. Stattdessen aber seinen Fuß. Warmes Blut überflutete seine Zehen. Noch immer biss Stu fest die Zähne zusammen, doch die Tränen konnte er nicht mehr verhindern.
„Seht mal, jetzt heult der Loser auch noch“, machte Alexander die Menge auf seine Schwäche aufmerksam. Seine Mitschüler lachten und klatschten und sangen.
„Bring ihn um! Bring ihn um! Bring ihn um!“
„Spar’ dir noch ein paar süße Tränchen auf, Arschloch. Das Schlimmste kommt noch!“ Alexanders Stimme war fast schon ein Flüstern, doch jeder hatte seine Worte ganz genau gehört.
„Bring ihn um! Bring ihn um! Bring ihn um!“
Schritte waren zu hören. Diesmal entfernten sie sich jedoch von ihm und Stu schlug überrascht die Augen auf. Alexanders Gestalt wurde mit jeder Sekunde kleiner, weshalb Stu der kleine Hoffnungsschimmer überkam, die Marter hätte ihr Ende gefunden.
Nur wenige Augenblicke später verstand er, dass er sich geirrt hatte. Die Marter hatte noch nicht ihr Ende gefunden. Sie fing gerade erst an!
Stu hörte den Motor eines Autos aufheulen. Was hatte das nun zu bedeuten?
Er wünschte sich plötzlich, seine Migräne würde ihn ohnmächtig werden lassen. Doch das Monster tat ihm den Gefallen nicht. Die Migräne konnte Zuneigung nicht ausstehen und verkroch sich besonders weit in seinem Kopf, wenn er sich nur einmal wünschte, sie würde bitte auftauchen.
Die Angst hielt Stus Augen offen und mit wachsendem Unmut fixierte er die Umgebung. Die Lichtung war groß und die Nacht war dunkel. Stu konnte kein Auto ausmachen. Gehörte das auch zur Rache? Verschwanden seine Peiniger nun und ließen ihn an einem Baum gefesselt allein zurück, damit er erfror oder verhungerte? Nein, das würde doch nicht einmal Alexander tun, oder? Schluck.
„Bring ihn um! Bring ihn um! Bring ihn um! BRING IHN UM! BRING IHN UM! BRING IHN UM! BRING IHN UM! BRING IHN UM!“
Seine Mitschüler sangen sein Totenlied lauter als je zuvor und Stu ahnte, dass dies den Höhepunkt von Alexanders Rache einleitete. Unbehaglich und ängstlich glitten seine Pupillen von rechts nach links und wieder zurück. Wo war dieses Auto? Und was hatte das zu bedeuten?! Die Schmerzen in seiner Schulter und seinem Fuß waren vergessen.
Der Gesang der Meute brach abrupt ab. Die Nacht wurde ganz still, sodass sich Stu den Bruchteil eines Augenblicks sicher war, Taubheit wäre die Rache Alexanders; doch dann konnte er das Brummen des Motors wieder wahrnehmen.
Und dann sah er das Auto endlich! Stu wollte schon fast einen erleichterten Seufzer ausstoßen, bis ihm klar wurde, dass der silberne Wagen genau auf ihn zuraste.
„Was-?! AHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!“
Stu –Pot spürte ein unangenehmes Brennen an seinen Wangen. Wie wahnsinnig ohrfeigte Murdoc ihn, um ihn wieder zur Besinnung zu bringen.
Achja… der Verrat… Mr. Hudson… Geld…
Das alles erschien ihm auf einmal wie ein ferner Traum. Unwillig schüttelte Stu-Pot den Kopf und gab Murdoc ein Zeichen, dass dieser mit seiner Prügelei aufhören konnte.
„Alter, sorry, Mann!“, stieß Murdoc außer Puste hervor und Stu-Pot fragte sich, wie lange er wohl versucht hatte ihn mittels Gewalt aus seiner Trance zu reißen. Stu-Pot war wieder bei Bewusstsein, doch er saß ganz still da und sah Murdoc aus müden Augen an.
„Du hast mich falsch verstanden!“, japste Murdoc und lehnte sich im Sitz zurück. Erst jetzt fiel Stu-Pot auf, dass sie wohl angehalten hatten. „Ich hab’ dir doch gesagt, Alter, dass ich dich an ’nen Ort bringen werde, an dem dieser Hurensohn Hudson dich nich’ in die Finger kriegt! Oder has’ du mir nich’ zugehört?“
Falsch verstanden… Er hatte Murdoc einfach nur falsch verstanden?
Stu-Pot entspannte sich. Wie dumm von ihm: Murdoc würde ihn doch nie im Leben verraten und schon gar nicht für ein bisschen Kohle! Er seufzte und schloss für einen Moment die Augen. Sein Wachtraum hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht, er war ausgelaugt und wollte nur noch schlafen. Hoffentlich waren sie bald an dem sicheren Ort, von dem Murdoc die ganze Zeit sprach…
Murdoc drehte den Schlüssel herum. Der Motor des Mercedes heulte auf und Stu-Pot entwich reflexartig ein kurzer Angstschrei. Der verwirrte Blick seitens Murdoc, der daraufhin folgte, ließ ihn jedoch schnell wieder zur Ruhe kommen. Alexanders Rache war Vergangenheit…
Sie fuhren los.
„Was has’ du gesehen, als du so weggetreten warst, Stu-Pot?“, kam es nach einer Weile von Murdoc. Seine Stimme klang nicht aufdringlich oder erregt, aber Stu-Pot konnte spüren, dass der Bassist nach einer befriedigenden Antwort lechzte. Er schien es sich tatsächlich in den Kopf gesetzt zu haben, Stu-Pots Vergangenheit zu lüften…
„Nichts Wichtiges.“
„Da sind wir.“
Stu-Pot betrachtete neugierig und ausgeruht (er hatte während der restlichen Fahrt seelenruhig geschlafen) das große Gebäude vor dem Murdoc geparkt hatte. Es war ein graues Hochhaus wie es hier viele gab. Gut.
„Hier wohnt ’n Kumpel von mir“, fuhr Murdoc gelassen fort und setzte sich in Bewegung, um zur Haustüre zu gelangen. Stu-Pot nickte und folgte ihm eilig. „Der Typ hat ziemlich Knete und ’ne viel zu große Bude. Die Weiber stehen Schlange bei dem und ich kann ein- und ausgehen wie ich will. Wir fallen also nich’ sonderlich auf.“ Ein weiteres Nicken ließ verstehen, dass Stu-Pot verstanden hatte. Doch Murdoc beachtete ihn gar nicht mehr, sondern studierte die riesige Menge an Klingelknöpfen und dazugehörigen Namenschilder.
„Tommson, Summer, Carrow, Jones… Ah, hier is’ es ja: Grey!“
Ja, ich weiß: Das Kapitel ist total unzumutbar und ich hätte mich mehr anstrengen sollen. Sorry!
Aber mein Wochenende hat Stress ohne Ende bedeutet und ich bin kaputt wie sonst noch was! Aber ich wollte euch, meine lieben Leser, nicht länger warten lassen!!!
*euch anbet und um Kommis bitt*
bye
sb
PS: Falls ihr schön aufmerksam gelesen habt (wahrscheinlich nicht, oder?^^), dann werdet ihr am Ende das Kapitel einen Schock fürs Leben bekommen haben! Hehe! Muhahahah!