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Once upon a time

Eine Sammlung von märchenhaften Kurzgeschichten
von

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Immer wenn es regnet...

Der Regen strömt aus den grauen Wolken und legt einen feuchten Schleier über die Welt. Die Menschen eilen in ihre Häuser, um Schutz vor dem Unwetter zu suchen. Doch ich halte mein Gesicht in den kalten Regen und lache, denn die Regentropfen kitzeln meine Haut. Ich bin so glücklich, dass ich anfange zu tanzen, und die Regentropfen tanzen mit mir und hüpfen vor lauter Freude in die Pfützen und Seen. Sie trommeln gegen die Blätter der Bäume und schlagen den Takt zu meinem Tanz. Nur wenn man ganz genau hinhört, erkennt man im Rauschen die Musik des Regens, aber die Sterblichen finden in ihrem kurzen Leben nicht die Zeit dazu dem Regen zu lauschen.

Meine langen, schwarzen Haare sind schon ganz nass und kräuseln sich noch mehr, als sie es so schon tun und meine Gewänder kleben an mir wie eine zweite Haut. Allerdings stört mich das alles nicht, denn ich liebe den Regen. Ausgelassen tanze ich weiter und feiere meine Freiheit, solange bis die Regentropfen kleiner und weniger werden.

„Eudora! Wir müssen gehen, komm, beeile dich.“ Der Ruf meiner Schwestern holt mich wieder zurück. Langsam drehe ich mich zu ihnen um und schaue sie traurig an. „Müssen wir denn wirklich schon gehen? Es ist gerade so schön...“ Kleeia, meine älteste Schwester, nickt leicht: „Ja, wir müssen wirklich schon. Du siehst doch, es hört gleich auf zu regnen. Wir müssen uns beeilen und zurückkehren.“ Lächelnd streckt sie ihre Hand nach mir aus, die ich nach kurzem Zögern ergreife. Nur widerwillig kehre ich mit ihnen zurück, schließlich war der Ausflug einfach zu schön gewesen.

Aber sie haben Recht, wir müssen zurück, so wie immer wenn es aufhört zu regnen. Denn nur bei Regen dürfen meine Schwestern und ich zur Erde, weil wir die sieben Hyaden sind.

Leise seufzend blicke ich noch einmal zurück zu dieser wundervollen Welt, in der rauschende Flüsse durch die grünen Wiesen und Wälder fließen, die majestätischen Berge stolz ihre Gipfel in den Himmel recken und das tiefe Meer seine Wellen am weiten Strand bricht. Bevor ich auch nur blinzeln kann, ist diese traumhafte Welt verschwunden und wir sind wieder dort, wo wir hingehören.
 

Seit einer Ewigkeit, wie es mir vorkommt, sind wir hier zu Hause und können nur aus der Ferne einen Blick auf die Erde werfen. Ach, waren das noch Zeiten, als wir alle gemeinsam durch die Gärten der Welt getollt sind und jeden Tag getanzt und gespielt haben. Unsere Mutter Pleione hat uns dabei immer Gesellschaft geleistet. Manchmal hat sie mit uns getanzt und ihr sanftes Lachen, das wie das Meeresrauschen klingt, war überall zu hören. Und über uns alle wachte unser großer Bruder Hyas, der unser liebevoller Beschützer und ständiger Begleiter war.

Aber das hatte bald ein Ende, als Hyas zur Jagd aufbrach und nicht mehr zurückkehrte, weil er von einem wilden Löwen angefallen wurde. Die Seele von Hyas stieg in den Himmel auf und wurde in das Sternbild des Wassermanns aufgenommen. Es war ein trauriger Tag in unserem sonst so glücklichen Leben und unsere Tränen um unseren geliebten Bruder wollten einfach nicht versiegen. So hatte der große Göttervater Zeus Mitleid mit uns und verteilte uns über den Himmel und wir alle wurden ebenfalls zu Sternen. Auf diese Weise können wir für immer in der Nähe unseres Bruders bleiben und wenn man genau zum Sternenhimmel aufsieht, kann man uns im Sternenbild des Stiers entdecken.

Auch wenn ich so meinen Bruder jeden Tag sehen kann, vermisse ich die Erde und ihre Natur. Hier oben gibt es nichts außer Sterne. Etwas wehmütig schaue ich zur Erde hinab und wünsche mir, dass es bald wieder regnet, damit ich wieder tanzen kann. Der Regen heute war einfach viel zu kurz nach der langen Dürrezeit, in der wir hier verweilen mussten.
 

„...ora. Hörst du mich, Eudora?“ Langsam wende ich den Blick von der wundervollen Welt ab und drehe mich zu meinem Bruder um, der mich besorgt anschaut. „Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut? Du siehst so traurig aus.“ Die sonst so lächelnden Augen von Hyas sind nachdenklich auf mich gerichtet.

Ich schüttele meinen Kopf, so dass meine noch vom Regen nassen Locken hin und herschwingen, und lächele: „Keine Sorge, mir geht es gut.“ Wenn ich es oft genug sage, glaube ich irgendwann selbst daran und vergesse vielleicht meine Sehnsucht nach der Erde.

„Sie ist nur traurig, weil der Regen wieder aufgehört hat,“ mischt sich nun meine Schwester Phaola ein. „Du hättest sie tanzen sehen sollen, Hyas. Sie hat alles um sich herum vergessen.“

Langsam versammeln sich auch meine anderen Schwestern um uns. Coronis meint lächelnd: „Eudora hat schon immer ihren Kopf in den Wolken gehabt, wenn sie tanzt.“

„Stimmt, unsere kleine Schwester ist eine Träumerin,“ versucht Polyxo mich zu necken.

Ich merke, wie mir die Röte ins Gesicht steigt, und ich lache verlegen: „Hört doch auf, wir sind Nymphen, wir sollen doch tanzen.“

„Ja, ihr sollt tanzen,“ sagt Hyas sanft. „Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass du die Regentage herbeisehnst und am liebsten vor immer auf der Erde tanzen würdest.“ Sein Blick wird dabei wieder so unendlich traurig, als wenn er Angst hat, mich zu verlieren.

„Sie wird aber nicht für immer auf der Erde bleiben können,“ schaltet sich nun Cardia ein. „Das weißt du doch, Eudora. Wir sind Regennymphen, deshalb dürfen wir nur zurück, wenn es regnet.“ Tröstend streicht sie mir über die Wange und in ihrem Blick kann ich lesen, dass sie manchmal genauso fühlt wie ich.
 

Es stimmt, der große Zeus hat uns auferlegt, dass wir unser Leben aufgeben, um unserem Bruder folgen zu können. Eine Rückkehr zur Erde ist nur möglich, wenn der Himmel an unserer Stelle weint und sobald dieses Weinen aufhört, müssen wir zu unserem Platz bei den Sternen zurückeilen. Meine Mutter, die eine Meeresnymphe ist, hat mir einmal erklärt, dass eine Nymphe nur ihren zugewiesenen Platz verlassen kann, wenn sie sich in einen Sterblichen verliebt und dieser sie küsst. Einen anderen Weg gibt es nicht.

Ich werde einfach weiterhin so tun, als würde ich nicht für immer auf der Erde bleiben wollen, um meinen Geschwistern keinen Kummer zu bereiten. Der nächste Regentag kommt bestimmt und dann kann ich über die Wiesen tanzen.
 

Tatsächlich, bereits der nächste Tag dämmert grau, als Eos mit ihrem Wagen über den Himmel fährt, um die Morgenröte zu verbreiten. Auch als Helios ihr mit seinem Wagen folgt, will die Sonne nicht scheinen. Es ziehen immer mehr graue Wolken auf und verdecken den Himmel. Ich kann spüren, wie es in meinen Füßen anfängt zu kribbeln, gleich wird es regnen. Vor lauter Vorfreude wirbele ich herum und lächle glücklich meine Schwestern an, die auch das Schauspiel am Himmel verfolgen.

Da, der erste Regentropfen fällt und zerspringt in winzige Wasserperlchen, als er auf dem Boden auftrifft. Jetzt kann mich nichts mehr zurückhalten und ich eile meinen Schwestern voraus zur Erde. „Eudora, geh nicht zu weit vor. Bleib doch in unserer Nähe!“ höre ich sie noch rufen, aber da berühren meine Füße schon das grüne Gras und ich beginne zu tanzen. Ich tanze noch fröhlicher, noch ausgelassener, noch wilder als gestern und springe anmutig in die Luft, um dann graziöse Pirouetten zu vollführen. Der Regen tropft auf mich herab und ich lächele glücklich, als müsste ich nie mehr zurückkehren.

Irritiert bleibe ich mitten im Tanz stehen. Was ist das? Vor mir im Regen steht ein Jüngling mit blondem Haar, das ihm triefend in der Stirn hängt. Er macht gar keine Anstalten Schutz vor dem Wetter zu suchen, wie es die Menschen doch sonst immer tun. Er bleibt einfach dort stehen, hält sein Gesicht in den Regen und lächelt dabei. Mein Herz setzt einen Sprung lang aus, denn das Lächeln kommt mir so vertraut vor. Es ist das selbe, das ich auf den Gesichtern meiner Schwestern sehe, wenn es regnet, und das ich selbst gerade habe.

Zögerlich gehe ich auf ihn zu, denn sein Lächeln zieht mich magisch an, aber ich habe bisher noch nie mit einem Sterblichen gesprochen. Als ich vor ihm stehe, blickt er mich mit seinen blaugrauen Augen an, welche die Farbe des Regens haben. „Du magst auch den Regen?“ Meine Stimme klingt brüchig, obwohl sie sonst so sanft und klar ist.

Er lacht: „Ja, ich liebe den Regen, er wäscht die Welt wieder rein.“ Sein Lachen perlt aus seiner Kehle wie die Regentropfen auf den Blättern der Pflanzen um uns. Es springt auf mich über und ich stimme in sein Lachen mit ein.

„Wenn der Himmel geweint hat, ist die Welt wieder wie neu. Alle Sorgen und Ärgernisse sind dann fortgewaschen und man kann wieder von vorne anfangen,“ sage ich lächelnd und blicke in seine strahlenden Augen.

Er nickt leicht: „Aber die meisten Menschen laufen in ihre Häuser, wenn es regnet, um nicht nass zu werden. Dabei würde der Regen auch sie von ihrem Kummer befreien. Aber ich habe noch nie jemanden gesehen, der im Regen tanzt so wie du.“ Dabei blickt er mich fragend an. „Wer bist du, kleine Regentänzerin?“

Unsicher schaue ich zum wolkenverhangenen Himmel hinauf. Soll ich ihm wirklich sagen, wer ich bin? Wird er es verstehen, wenn ich es ihm sage? Aber er steht nass bis auf die Haut vor mir und lächelt, weil es regnet. In meinem Herzen weiß ich, dass er alles verstehen wird, was ich ihm erzähle, denn er teilt meine Liebe zum Regen. Ich zögere noch kurz und antworte dann: „Ich heiße Eudora. Und ich tanze im Regen, weil ich eine Regennymphe bin.“ Mein Herz schlägt schneller, als ich in seinen Augen nach einer Reaktion suche.

Sein Lächeln wird sanfter und er macht einen Schritt auf mich zu, um mir eine meiner nassen Locken hinter das Ohr zu streichen. Dann sagt er leise: „Ich hatte mir schon gedacht, dass du nur eine Nymphe sein kannst, als ich dich beobachtet habe. So anmutig und schön kann kein sterbliches Wesen tanzen und ich habe schon viele Menschen tanzen sehen, denn ich bin Musiker. Mein Name ist Leandros.“

Bei dem Gedanken, dass er mich beim Tanzen beobachtet hat, erröten meine Wange und ich sehe ihn verlegen an. Nur andere Nymphen und mein Bruder haben meinen Tanz bisher gesehen, bei dem ich alles um mich herum vergesse. Doch Leandros habe ich wahrgenommen und bin stehengeblieben. Seine Hand streichelt sanft über meine Wange und er flüstert: „Wenn du tanzt, siehst du noch bezaubernder aus. Würdest du noch einmal nur für mich tanzen?“

Mein Herz rast erneut und ich schlucke schwer, bevor ich wieder etwas sagen kann. „Nur für dich? Warum?“ Sonst habe ich nur vor lauter Freude über das Leben und den Regen für mich selbst getanzt.

Leandros lächelt über meine Frage und blickt zärtlich mit seinen regenfarbenen Augen in meine. „Ja, nur für mich. Weil ich mich in dich verliebt habe.“ Vorsichtig beugt er sich zu mir und küsst mich. Als unsere Lippen aufeinander treffen, habe ich das Gefühl, als würde die Welt wenigstens für einen Moment stehen bleiben. Ein Kribbeln breitet sich über meinen Körper aus, das ich noch nie gefühlt habe, als würden winzige Regentropfen auf meine Haut prasseln.

Bedächtig löst er den Kuss und schaut mich fragend an: „Tanzt du für mich?“

Langsam nicke ich, gehe ein paar Schritte zurück und fange an zu tanzen. Schon bei dem ersten Schritt merke ich, dass sich mein Tanz verändert hat. Jeder Schritt, jede Drehung, jede Geste ist anmutiger geworden als vorher, denn eine Nymphe drückt ihre Gefühle im Tanz aus und meine Gefühle sind gerade erst erwacht. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Leandros mich lächelnd betrachtet und jede meiner Bewegungen verfolgt. Mein Herz klopft wie wild, nur weil er mich beobachtet, und ich beendige den Tanz zögerlich.

Bevor ich wieder zu ihm gehen kann, höre ich den Ruf meiner Schwestern: „Eudora, komm schnell, es hört gleich wieder auf zu regnen!“ Ich hatte gar nicht gemerkt, dass die Regentropfen spärlicher geworden sind. Unsicher drehe ich mich zu meinen sechs Schwestern, die auf mich warten.

„Na los, worauf wartest du?“ ruft Ambrosia.

Ein wenig traurig schüttele ich meinen Kopf: „Ich werde nicht mit euch zurückkommen, sondern hier bleiben.“ Meine Stimme schwankt etwas, aber mein Entschluss steht fest.

„Aber... warum?“ fragt Kleeia entsetzt.

Langsam gehe ich zu Leandros und ergreife seine Hand. Dann erkläre ich ihnen: „Ich habe mich verliebt. Es tut mir leid, ich werde nicht mit euch kommen, sondern bei ihm bleiben.“

Meine Schwestern nicken traurig, denn sie haben verstanden, was in mir vorgeht. Eine nach der anderen kommt zu mir, umarmt mich und küsst mich auf die Stirn. „Pass gut auf dich auf, Eudora. Wir werden es Hyas erklären,“ sagt Phaola wehmütig.

Mit den letzten Regentropfen verschwinden die sechs wunderschönen Nymphen, die meine Schwestern sind, und kehren zu den Sternen zurück. Die Sonne bricht langsam durch die Wolken und ein Regenbogen zieht sich über den Horizont. Leandros legt tröstend seinen Arm um mich, auch wenn ich nun von meinen Geschwistern getrennt bin, bin ich glücklich. „Ich liebe dich, meine kleine Nymphe,“ flüstert er in mein Ohr und ich blicke in seine Augen, die wie der Regen schimmern.

„Ich liebe dich auch, Leandros.“ Dann zieht er mich behutsam an sich und küsst mich sanft. Ich brauche nicht traurig zu sein, denn ich sehe meine Schwestern wieder, immer wenn es regnet...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Teilchenzoo
2010-11-11T15:12:57+00:00 11.11.2010 16:12
Hm? wieso gibt es zu gut geschriebenen Geschichten eigentlich oft keinen Kommentar? Das ist echt traurig ...

Die Geschichte ist wunderbar zart und verträumt, eben wie die Regennymphe.
Dein Schreibstil, die Wortwahl und die Handlung sind sehr gut gewählt, da gibt es nichts zu meckern^^.

Mir gefällt vor allem der Einstieg in den Oneshot.

Lg neko


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