Ohne meinen Schatten
Harry Potter – Mein Schatten bist du
Jubelschreie, laute Musik, Gelächter und das klirrende Geräusch, wenn Gläser nach einem Tost aufeinander treffen...
Sie alle sind erleichtert und glücklich.
Wer könnte es ihnen verübeln?
Der Krieg ist endlich vorbei, Voldemort ist tot und die Todesser werden gejagt und einer nach dem anderen verurteilt.
Keiner von ihnen denkt an die Zukunft. Denn jeder glaubt, dass es nur noch besser werden wird und jeder glücklich sein kann.
Ein schattenhaftes Lächeln legt sich auf meine Züge.
Für sie hatte alles ein Happy End.
Niemand denkt mehr an das, was noch vor Kurzem war. Die Angst, der Schrecken und die verzerrende Anspannung, jeden Moment einem Todesser gegenüber stehen zu können und um sein Leben zu bangen... Kennen sie dieses Gefühl? Wissen sie überhaupt noch, wie es war? Es ist noch nicht so lange her... Nein, die Erinnerung ist noch so nah...
Dennoch feiern sie jedes Wochenende so ausgelassen dort unten. Das Leben nahm wieder seine eintönige Normalität an – Doch es würde nie wieder so sein wie früher.
Haben sie alles vergessen? Keiner von ihnen verschwendet einen Gedanken an die Zukunft. Wozu auch? Jeder ist doch voller Harmonie und Glücksgefühl. Ich verübel es ihnen nicht. Für die Zukunft ist noch viel Zeit.
Doch widmen sie ebenfalls keinen Gedanken der Vergangenheit. Es zählt nur der Gedanke, dass der Krieg gewonnen ist. Das Erlebte wird in Vergessenheit geraten. Niemand wird sich später mehr an den Schrecken erinnern. Niemand wird an die zahlreichen Opfer als Tribut des Sieges denken. Sie denken jetzt schon nicht mal mehr daran. Sie verschwenden keine Gedanken an die Toten.
Menschen, Freunde und Geliebte, die für sie gefallen sind. Denen sie es verdanken jetzt so ein ausgelassenes Leben führen zu können. Keinen einzigen Gedanken verschwenden sie an jene.
Meine Fingernägel graben sich tief in meine Handfläche. Mit nüchterner Gleichgültigkeit betrachte ich das rote Rinnsal, welches sich den Weg über meine Hand bahnt.
Heuchler, Verräter...
Ich hasse ihr glückliches Getue. Nie lassen sie trübe Gedanken zu. Niemals sehe ich einen traurigen Ausdruck auf ihren Gesichtern, wenn sie den Erinnerungen nachhängen.
Sie denken nicht mehr daran. Die Vergangenheit kümmert sie nicht mehr. Wenn sie über Vergangenes sprechen, dann über die tollkühnen Taten von Harry Potter. Ihr großer Held... Er ist kein Held. Er gewann durch Glück statt Können. Aber das will niemand von ihnen sehen.
Die wahren Held vergessen sie. Tote sind es ihnen nicht wert Anerkennung zu zollen. Nicht mal Gedenken oder gar Tränen waren sie ihnen wert...
Es ist, als hätten sie jene vergessen... Wie machen sie das? Wie schaffen sie es zu vergessen, dass geliebte Menschen in ihrem trauten Kreis dort unten fehlen?
Ich hasse sie dafür.
Aber ebenso beneide ich sie.
Ich sehne mich auch nach Vergessen und Glückseeligkeit.
Doch alles was ich in meinem Inneren finde ist Schmerz. Schmerz über den Verlust. Der Verlust der wichtigsten Person in meinem Leben.
Wieder einmal bahnt sich eine glitzernde Träne aus meinen leeren Augen. Ich lasse es zu.
Ich schäme mich nicht dafür. Ich genieße diesen Schmerz mehr als die Fröhlichkeit dort unten.
Meine Gedanken drehen sich immer nur um dich, wenn ich wache und selbst wenn ich schlafe.
Dein Lachen, deine Grimassen, deine Zornesausbrüche, deine Tränen...
Wir teilten alles miteinander.
Niemand kannte uns besser als der andere.
Doch jetzt bist du fort.
Mein Herz ist in unzählige kleine Splitter zerbrochen. Du hast mich verlassen. Mein Herz zu heilen ist nicht mehr möglich. Zu viel Schmerz und Pein liegt in jedem einzelnen Splitter. Jeden Augenblick bohren sich die Splitter tief in meine Brust. Ich drohe zu zerreißen.
Immer wieder denke ich an dich. Ich kann nicht anders. Ohne dich fehlt mir ein Stück. Du nahmst einen Teil meiner Seele mit in den Tod.
Jetzt lebe ich allein. Nur noch ein Schatten meiner selbst.
Natürlich versuchten sie mich aufzuheitern. Für eine kurze Zeit. Ron und Harry bedienten sich all der Streiche und Scherze, die sie von uns gelernt hatten. Doch ihr Erfolg blieb aus. Ich registrierte ihre Bemühungen zwar, aber nichts verhalf mir dich aus meinen Gedanken zu verbannen... Dich und deinen Tod.
Ein klägliches Schluchzen verlässt meine Kehle. Ich wische mir die Tränen mit der Handfläche weg. Blut vermischt sich mit Tränen.
Niemand kann nachvollziehen wie es mir geht. Niemand wird es je verstehen. Einen Zwilling und besten Freund zu verlieren ist schlimm. Doch gerade dich zu verlieren... Das konnte ich nicht verkraften.
Alle schoben sie es darauf, dass wir Zwillinge waren und immer aufeinander hockten. Sie meinten, ich brauche etwas Zeit und müsse mich erst daran gewöhnen jetzt allein zu sein. Diese Narren... Sie verstanden nicht meinen Schmerz. Es war ihnen unbegreiflich meinen Verlust zu verstehen. Sie ahnten nicht, wie sehr Herz und Seele zerstört waren.
Aber wie sollten sie es auch verstehen? Nichts deutete daraufhin.
Wir klebten schon von klein auf immer aneinander. Es war nie aufgefallen, wenn ich meinen Arm um deine Schulter legte oder du auf meinem Schoß Platz nahmst, wenn kein Stuhl mehr frei war. Diesen ganzen kleinen Zärtlichkeiten zwischen uns wurde keine Beachtung geschenkt. Es müsse wohl zwischen Zwillingen wie uns normal sein.
Keiner ahnte je etwas. Das kam uns sehr gelegen. In diesem Haus legten wir es allein in unserem Zimmer ab Zwillinge zu sein. Nur hier kamen wir uns nah...
Ich strich mit meiner nassen Hand über das Laken unter mir. Jede Faser schrie mir dein Stöhnen und den lustverhangenen Blick entgegen.
Nein, wir waren nicht nur Zwillinge... Wir waren Geliebte.
Uns verband eine bedingungslose Liebe. Eine Liebe, die stärker war als der Tod.
Wie sollte es mir möglich sein dich zu vergessen? Deinen Tod zu verdrängen? Du warst mein Schatten, sowie ich deiner war. Nichts unternahmen wir einzeln.
Wir gehörten zusammen.
Wir gehören zusammen.
Ich kann dich nicht vergessen. Mein Herz schreit nach dir. Meine Seele klagt. Mein Körper fleht.
Immer mehr Tränen verlassen meine Augen. Mein Blick ist trüb als ich beobachte, wie die Tränen das Blut langsam wegspülen.
Langsam ziehe ich die Phiole aus meinem Umhang und betrachtete sie im Mondlicht.
Das Gift glitztert so schön.
Du bist nicht mehr fern, warst es niemals wirklich.
Vielleicht ist es schwach. Wahrscheinlich wird es niemand von dort unten verstehen in ihrem Glück. Aber das ist nicht wichtig.
Es scheint mir alles so unbedeutend.
Ich bezweifle nicht, dass es ein Schock für sie sein wird... Doch der Schock wird nicht von langer Dauer sein. Sie werden mich vergessen, wie dich. Wie sie jeden Toten in ihrem Glück letztendlich vergessen.
Doch auch das ist mir gleichgültig.
Ich setze die Phiole an meine Lippen.
Heile mein zerstörtes Herz
Fred