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Der Regen

Stille Freundschaft
von

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Josch

Josch
 

Es regnete. Eigentlich regnet es immer. Auf jeden Fall empfinde ich das so. Denn diese Geschichte handelt vom Regen. Genau genommen ist Regen eine Ansammlung aus Wassertropfen, die vom Himmel fallen. Weiße flauschige Wolken, die sich zusammenschließen und das verdampfende Wasser aufnehmen und dabei immer dunkler werden. Es gibt viele Arten von Regen. Platzregen, Flächenregen und noch viele andere Formen. Aber ich schweife vom eigentlichen Thema ab.
 

Denn es beginnt mit einem stummen Jungen. Zum ersten Mal sah ich Josch auf der Straße. Er war siebzehn Jahre alt und hatte schwarze Haare. An diesem Tag regnete es. Josch wirkte seltsam verloren auf der leeren Straße. Als der Regen eingesetzt hatte, waren alle Leute in ihre Häuser gegangen. Nur Josch lief an den Häusern entlang. Aber da es regnete, ging ich auch schnell nach Hause.
 

Ich habe nichts gegen Regen. Er tut nicht weh und schließlich ist es nichts anderes als Wasser. Das einzige, was mich daran stört, ist wohl, dass meine Brille immer nass wird. Aber ich war erkältet und wollte nicht noch mehr krank werden.
 

Zum zweiten Mal begegnete ich Josch dann im Klassenzimmer der elften Klasse, der hiesigen Realschule. Unser Lehrer betrat den Raum und stellte uns Josch vor. Der Lehrer suchte mit den Augen das Klassenzimmer nach einem freien Platz ab und hielt inne, als er in meine Richtung sah. Der Platz neben mir war leer. Dort hatte noch nie jemand gesessen. Freunde hatte ich in der Schule ja nicht.
 

Der Lehrer schickte Josch mit den Worten: „ Setz dich zu Emely“, an meinen Tisch und erwähnte schon fast beiläufig: „Josch redet nicht, also lasst ihn in Ruhe.“
 

Okay. Bis zu diesem Moment wusste ich ja nichts von seinem Makel. Alle Mädchen aus der Klasse hatten sehnsüchtig geseufzt, als Josch hereingekommen war. Jetzt jedoch blickten sie ihn gar nicht mehr so verliebt an. Aber ich musste gestehen, dass Josch doch recht gut aussah. Er setzte sich neben mich und ich beobachtete ihn dabei. Seine schwarzen halblangen Haare fielen ihm offen ins Gesicht. Dass er größer war als ich, bemerkte ich, als er sich neben mich setzte.Wäre er nicht so groß gewesen, hätte ich ihn im ersten Moment auf etwa fünfzehn geschätzt. Doch da man ihn in meine Klasse steckte, musste er mein Alter sein.
 

Dann begann die erste Stunde und ich konzentrierte mich auf den Spanisch-Unterricht. Als es zur Pause klingelte, schaute ich erschrocken auf. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war.
 

In der Pause registrierte ich, dass Josch allein am Fenster stand. Er starrte auf den Pausenhof, wo dicke Regentropfen auf den Asphalt aufschlugen. Schon am Morgen hatte es angefangen zu regnen. Doch dann, als hätte er meinen Blick gespürt, drehte Josch sich um und schaute mich an. Seine Miene war ausdruckslos. Aber in seinen Augen erkannte ich ein Funkeln. Und plötzlich lächelte er. Nur kurz. So kurz, dass ich schon fast wieder daran zweifelte, was ich gesehen hatte.
 

Wieder klingelte es und rief uns in den Unterricht. Während der Mathestunde schaute ich immer wieder mal zu Josch. Er schien sehr auf den Unterricht konzentriert zu sein. Den restlichen Tag begnügte ich mich damit, immer mal kurz zu ihm rüber zu schielen.
 

Nach den acht Stunden Schule begegnete ich ihm noch einmal auf dem Heimweg. Er lief hinter mir und hatte mich schon bald eingeholt. Dann ging er neben mir. Ich schielte kurz in seine Richtung. Josch bemerkte das und sah auch mich an. Ich blickte schnell wieder geradeaus. Wie peinlich! Es gab nichts, was ich hätte sagen können. Er hätte doch sowieso nichts erwidert. So liefen wir eine Weile schweigend zusammen und schließlich bog er ab und ging in eine enge Straße. Ich blieb stehen und blickte ihm hinterher. Er drehte sich kurz noch einmal um, hob zögernd seine Hand und winkte, ehe er das Haus betrat, vor dem er gerade stand. Ich blieb einfach stehen, winkte nicht zurück, sondern sah ihm einfach nur zu. Jetzt wusste ich auch, wo er wohnt.
 

******
 

Am nächsten Morgen begegnete ich Josch schon auf dem Weg zur Schule. Er ging wieder hinter mir und ich bemerkte ihn erst, als er neben mir herlief.
 

„Guten Morgen“, begrüßte ich ihn.
 

Er lächelte nur. Und schaute dann wieder geradeaus. Es fühlte sich etwas eigenartig an, keine Antwort zu bekommen. Obwohl es eigentlich ganz in Ordnung war. Doch das Wissen, dass Josch mir nie antworten würde, milderte dieses Gefühl und schließlich bemerkte ich kaum noch etwas davon. Und so liefen wir beide stumm zur Schule.
 

Karin, eine Mitschülerin, bemerkte uns, wie wir stumm und einträchtig den Weg entlang kamen. Sie stand alleine auf dem Lehrerparkplatz und hatte ihre Tasche durchsucht.
 

Sie kicherte leise, woraufhin ich meine Augen verdrehte. Josch bemerkte es und grinste fröhlich. „Na, hast du endlich auch mal einen Freund?“, fragte sie, als wir an ihr vorbei gingen.
 

Mein Ruf war relativ geschädigt, weil ich mit meinen siebzehn Jahren noch nie einen Freund gehabt hatte. Meine Mitschüler tuscheln hinter meinem Rücken, dass ich lesbisch sei. Wie sie darauf kamen, war mir ein Rätsel. Bisher hatte ich nämlich an niemanden mein Interesse verschwendet. Weder Jungen noch Mädchen hatten meine besondere Aufmerksamkeit. Aber vielleicht lag es auch nur an der Tatsache, dass ich mich auch nicht so wie die anderen Mädchen verhielt. Diese dachten doch nur an Jungs, tolle Kleider, Schmuck und Schminke. Da ich mich allerdings nicht im Geringsten damit auseinander setze, passe ich auch nicht zu ihnen. Ich war anders und das machte mich wahrscheinlich zu dem Objekt ihres Spottes.

Oberflächlich war das ja mal gar nicht…
 

Dabei ist es mir jedoch egal, was sie über mich redeten. Auch diese Zeit würde vorübergehen und dann würde ich niemanden von ihnen wieder sehen müssen.
 

Aber bis dahin musste ich sie halt ertragen. Am Anfang, als der Spott für mich noch neu war, tat es weh. Mehr als ich heute je zugeben würde. Damals hatte ich mich oft gefragt, warum. Aber als ich keine auszureichende Antwort darauf fand, gab ich es auf, mich selbst zu quälen. Das übernahmen die Anderen gerne für mich…

Jetzt hielt mich der Gedanke, dass ich, mit der Beendung der Schule auch den Spott hinter mir lassen könnte, aufrecht.
 

„Nein, Karin“, entgegnete ich ruhig. „Stell dir vor, es gibt tatsächlich Menschen, die in einem Typen nicht gleich einen potentiellen Freund sehen, sondern einen Kumpel. Aber mir ist vollkommen klar, dass du das mit deinem eingeschränkten Horizont nicht verstehen wirst.“
 

Das hatte wohl gesessen, nach ihrem Gesichtsausdruck zu schließen. Josch sah von mir zu ihr und ich entdeckte wieder dieses Funkeln in seinen Augen. Er schien sich köstlich zu amüsieren. Nur gut, dass wenigstens einer seinen Spaß hatte.
 

Währenddessen machte Karin ein wütend klingendes Geräusch und stolzierte an uns vorbei.
 

Jetzt erst musste ich lachen. Seltsam war das schon. Denn Josch stand da und sah mich mit seinen grauen Augen an. Erst jetzt stellte ich fest, dass er eine sehr seltene Augenfarbe hatte. Aber sie passte zu ihm. Als er mich so anschaute, wurde ich unsicher. Leicht erschrocken wurde mir bewusst, dass ich schon ewig nicht mehr so befreit gelacht hatte.
 

„Los jetzt. Sonst kommen wir doch noch zu spät“, sagte ich leise.
 

Wir setzten uns beide fast gleichzeitig in Bewegung.
 

Als wir im Flur standen, sahen wir durch die offen stehende Tür, dass das Klassenzimmer voll war. Nicht nur Karin, auch die anderen aus meiner Klasse waren schon da, und mehr als ein neugieriger oder belustigter Blick traf uns, als wir zu unserem Tisch gingen. Ärger stieg in mir hoch, weil ich wusste, dass Karin nicht gezögert hatte, sofort herum zu erzählen, was sie geglaubt hatte zu sehen. Sollten sie sich doch den Mund darüber zerfetzen…
 

Glücklicherweise kam auch gleich danach der Lehrer, so dass keiner etwas sagen konnte.
 

Der Unterricht verlief wie immer. Ich konzentrierte mich wieder voll auf die Worte des Lehrers. Diese Eigenschaft hatte mir auch den Ruf als Streberin eingebracht, was mich allerdings nicht störte. Weiß ich doch, dass gute Noten sich immer auszahlen.
 

Mich interessierte einfach nicht, was die anderen über mich dachten. Wozu auch? Wir würden nie Freunde werden. Wir sind zu unterschiedlich. Nicht, dass mich ihr Gerede interessieren würde...
 

Es war einfach die Tatsache, dass es mir schlichtweg egal war, was gerade angesagte war. Ich weiß, wer ich bin, und wie ich aussehe. Und ich weiß auch, wie ich auf andere wirke und es macht mir nichts aus. Ich bin nun mal kein Modepüppchen. Mit meinen hellbraunen langen Haaren sehe ich vielleicht nicht schlecht aus – behauptet jedenfalls meine Mutter, und sie sagt auch, dass meine zierliche Figur und die großen grünen Augen den Beschützerinstinkt in jedem Jungen wecken würden. Zudem fand sie meine Sommersprossen niedlich. Aber, da das die anderen das gar nicht fanden, wusste ich, dass es pure Übertreibung von ihr war. Mütter finden ihre Kinder immer hübsch.
 

Außerdem nervt es mich, in eine Schublade gesteckt zu werden. Ich muss nicht die neuesten Klamotten tragen, nur weil sie mir vielleicht stehen würden. Ich muss nicht mein Gesicht mit Schminke zukleistern, nur weil es alle tun und es doch so toll aussehen würde. Und ich muss mir nicht unbedingt Kontaktlinsen kaufen, damit ich besser aussah.
 

Abgesehen davon gab es auch wichtigeres. Gute Noten, gute Freunde (wenn man Mal welche hat) , um einiges davon aufzuführen.
 

Doch sobald ich davon spreche, werde ich unterbrochen. Es scheint sich keiner für die Sachen zu interessieren, die ich als interessant empfinde. Und so habe ich schnell gelernt, dass es einfacher ist, den Mund zu halten.
 

Als es zur Pause klingelte, stellte ich mich mit Josch an das große Fenster, das auf den Schulhof hinaus führte. Es regnete. Und ich musste grinsen. Josch bemerkte es und lächelte ebenfalls. Dass es in der letzten Zeit immer regnete, störte keinen von uns beiden. Nur unsere Mitschüler beschwerten sich des Öfteren.
 

*****
 

Die Tage vergingen und es blieb jeden Tag dasselbe. Schweigend trafen wir uns auf dem Weg zur Schule und verließen sie gemeinsam. In der Pause standen wir am Fenster, blickten hinaus auf den Schulhof und wenn es regnete, erinnerte ich mich an den Tag, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Ihm schien es genauso zu ergehen, da auch er leicht verträumt in den Regen starrte.
 

Obwohl wir nicht redeten und ich außer einem kurzen: „Hallo“, wenn ich ihn traf, und einem: „Mach’s gut“, wenn wir uns verabschiedeten, nichts sagte, verstanden wir uns wortlos. Manchmal, wenn wir nebeneinander standen und den Regen beobachteten, stieg ein eigenartiges Gefühl in mir hoch, das ich bisher nicht gekannt hatte. Vielleicht war es aber auch nur das Gefühl nun nicht mehr ganz so einsam zu sein…
 

Irgendwann ging ich dazu über, doch zu sprechen. Wenn es anfangs auch etwas eigenartig war, da ich mir auch äußerst unsicher war, ob ihn interessierte, was ich ihm erzählte. Aber da ich von ihm nur ein Lächeln oder ein Nicken erntete, gewöhnte ich mich daran und es wurde mir zu einer schönen Gewohnheit, ein paar der Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, loszuwerden. Josch hörte zu und was mir am besten gefiel war, dass er mich nicht komisch oder entsetzt anschaute, sondern so, als würde er mich verstehen. Manchmal lächelte er. Und ich war jedes Mal glücklich, das zu sehen.
 

Auch ohne seine Antworten fühlte ich mich in seiner Gegenwart nicht einsam und irgendwann, nach ein paar Wochen, als wir wieder einmal durch das Fenster auf den belebten Schulhof schauten, stellte ich verwundert fest, dass ich ihm vertraute.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Miru-lin
2008-03-15T21:42:10+00:00 15.03.2008 22:42
ein toller anfang.
ich mag beide.

die anderen sind idioten. XD

und der regen, passt ja XD


miru


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