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Friends forever

von

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Kapitel 1

Beta: Stricy (der ich dafür auch wahnsinnig dankbar bin)
 

Kapitel 1
 

Tage wie dieser waren Annabel schon immer am liebsten gewesen. Regen. Es war kalt und sie lag in ihrem warmen Bett, bis oben unter der warmen Decke vergraben. Sie war gerade mal siebzehn Jahre alt und wartete auf die Zusage einer Bibliothek, damit sie dort zu arbeiten anfangen konnte. Genau als der große Zeiger ihrer Wanduhr auf drei Uhr sprang, öffnete sich die Wohnungstür und das leise Klackern hoher Absätze war zu hören. Annabel wusste, dass ihre Mutter nach Hause gekommen war. Noch leicht dösend und mit völlig wirrem Haar stand sie auf und ging in die Küche der kleinen Wohnung. Meredith räumte die Einkäufe weg. Annabels Blick fiel sofort auf den Brief, der auf dem Tisch lag. Es stand ihr Name darauf, aber sie wollte ihn nicht öffnen, nicht vor Merediths Augen. Ihre Mutter gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging sich umziehen. Annabel trug eine lange Jeans, sowie ihren schwarzen Schlabberpulli. Die kurzen schwarzen Haare standen in alle Richtungen davon, doch die brauen Augen wirkten wach und leuchteten im schwachen Licht der Glühbirne. Als ihre Mutter den Raum verlassen hatte, schob sie die Ärmel des Pullovers ein wenig nach oben und betrachtete die Wunden an ihren Unterarmen. Sie verheilten langsam und wenn sie weg waren, würde sie erneut ritzen. Annabel hatte große Probleme mit ihrer Mutter, da diese unbedingt wollte, dass sie bei einem großen Konzern als Sekretärin begann. Aber das wollte Annabel nicht. Gegen den Willen ihrer Mutter hatte sie sich nun bei einer Bibliothek in der Stadt beworben und der Brief war offensichtlich die Antwort. Als Meredith den Raum wieder betrat, zog das Mädchen schnell die Ärmel nach unten, denn ihre Mutter sollte schließlich nichts davon erfahren.

„Willst du nicht in den Brief sehen, Liebes?“ fragte sie.

„Doch, natürlich.“

Annabel hob das Kuvert hoch und öffnete es. Vorsichtig zog sie das Papier heraus, entfaltete es und begann zu lesen.

Sehr geehrte Miss Glennon!

Es ist uns eine Freude, Ihnen mitzuteilen, dass wir Sie als unsere neue Auszubildende zur Bibliothekarin begrüßen dürfen.

Wir möchten Sie bitten uns so schnell wie möglich Ihre Antwort wissen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Martin O'Donnel

„Was will die Bibliothek von dir Annabel?“

„Das ist eine Zusage für die Ausbildung zur Bibliothekarin.“

„Annabel, wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass man mit diesem Beruf seine Kosten nicht decken kann.“

„Und trotzdem werde ich zusagen, Mum. Meinst du etwa, ich will so verbittert enden wie du? Ich will einen Beruf der Spaß macht und keinen, bei dem man für seine Beförderung mit jedem ins Bett steigen muss. Deswegen hat dich Dad doch sitzen lassen oder etwa nicht?“

Für diese Antwort erhielt sie eine saftige Ohrfeige von ihrer Mutter. Das hatte Annabel nicht erwartet. Erschrocken sah sie ihre Mutter an und hielt sich die schmerzende Wange. Annabel ließ den Brief fallen und lief aus dem Zimmer.

Die Tür der Wohnung öffnete sich und die Schwarzhaarige drückte sich an Seth vorbei, ihrem großen Bruder, nach draußen.

Ihre Mutter war ihr gefolgt, blieb aber in der Tür stehen und rief

„Bleib sofort stehn! Hast du gehört, Annabel!“

Doch Annabel hörte das alles nicht. Sie rannte die Treppe nach unten und nach draußen in den kalten Regen, der ihr jetzt in der Dämmerung plötzlich so trostlos vorkam.

Die Siebzehnjährige achtete nicht auf ihren Weg. Warum hatte ihre Mutter sie geohrfeigt? Nur deswegen? Nur wegen dieses einen Satzes? Aber sie hatte doch Recht gehabt. Ihr Vater war nur gegangen, weil ihre Mutter so viele Verhältnisse gehabt hatte. Vielleicht wäre es vor fünf Jahren doch besser gewesen, wenn sie mit ihm gegangen wäre. Weg von all den Problemen. Weg von ihrer Mutter. Doch Seth war es gewesen, der sie hier gehalten hatte, denn sie hing sehr an ihm.

Als es plötzlich blitzte, blieb Annabel erschrocken stehen und sah sich um. Sie kannte diese Gegend der Stadt nicht. Die Häuser waren heruntergekommen und die Lampen in der Straße brannten nicht, obwohl es bereits ziemlich finster war. Annabel ließ sich an einem trockeneren Plätzchen nieder und legte den Kopf auf die Knie.

„Daddy, wo bist du nur? Warum bist du weggegangen und hast mich einfach so meinem Schicksal überlassen? Warum hast du mich bei dieser Frau gelassen, die mich nicht versteht, die mich hasst? Ich will weg von hier, ganz, ganz weit weg“ dachte sie.

Die Regentropfen prasselten weiter unaufhörlich auf sie herab. Hin und wieder donnerte es oder ein Blitz erhellte das Dunkel. Annabel war bis auf die Knochen durchnässt, fror und hatte Angst. Aber das Mädchen wollte nicht aufstehen und nach Hause gehen. Sie starrte unentwegt auf die Steine unter sich, so das sie erstaunt auf sah, als der Regen plötzlich nicht mehr weiter auf sie herabfiel. Das Erste, was sie bemerkte, als sie aufsah, waren die freundlichen Augen in die sie blickte. Grün mit einem leichten blauen Stich.

„Hey, du erkältest dich noch, wenn du weiter hier sitzen bleibst.“

Der junge Mann hielt einen Regenschirm über Annabels Kopf. Mit dem nassen Ärmel wischte sie die Tränen aus ihrem Gesicht und ließ sich von dem Blonden aufhelfen.

„Was machst du denn so alleine hier?“ fragte er freundlich.

„Ich hatte Streit zu Hause und bin weggelaufen.“

„Aha, - auch egal. Du brauchst auf alle Fälle mal was Trockenes zum Anziehen und etwas warmes zu essen. Komm ich nehm dich fürs Erste mal mit zu mir. Wie heißt du eigentlich?“

„ Annabel Glennon.“

Der junge Mann zog seine Jacke aus und hängte sie Annabel um die Schultern. Danach nahm er sie an der Hand und gemeinsam gingen sie durch die Straßen. Erst jetzt fiel Annabel auf, dass er ein Japaner war. Er war etwa so groß wie Seth, vielleicht ein bisschen größer, doch seine dunklen Haare, die typisch für dieses Volk waren, hatte er blond gefärbt. Er war also ein Yankee, ein Gangmitglied. Die junge Frau hatte großen Respekt vor diesen Menschen. Vor einem großen Haus blieb der Blonde stehen und kramte die Schlüssel aus der Hosentasche. Er sperrte die Türe auf und die Beiden betraten eine große Eingangshalle. Der junge Mann klappte den Schirm zusammen und stellte ihn in den Schirmständer. Dann nahm er die Jacke von Annabels Schultern und hängte sie an Garderobe. Er deutete dem jungen Mädchen ihm zu folgen und so gingen sie schließlich in den ersten Stock. Das Zimmer, welches sie betraten war riesig. So etwas hatte Annabel noch nie gesehen oder sie kannte es nur aus Filmen. Der Japaner ging zu einem Kleiderschrank und suchte ein T-Shirt und eine Hose für Annabel heraus. Mit einem Lächeln reichte er ihr die trockenen Sachen.

„Du kannst dich im Bad in Ruhe umziehen. Dort sind auch Handtücher, mit denen du deine Haare trocknen kannst. Deine nassen Klamotten hängst du einfach über die Heizung. Ich mach uns nur schnell was zu essen.“

Der junge Mann verließ das Zimmer und Annabel ging in das Bad, dass ihr gezeigt wurde. Dort zog sie sich erst mal um und trocknete ihr Haare ab. Die Sachen waren ihr um einiges zu groß, doch das T-Shirt mochte sie trotz allem nicht. Die Ärmel waren viel zu kurz und man konnte die verheilenden Wunden, sowie die Narben sehen. Aus diesem Grund trug Annabel immer Jacken, egal wie warm es war. Keine ihrer Freundinnen, wenn man diese pubertären Mädchen so nennen konnte, wussten davon. Annabel kämmte noch ihre Haare und ging dann wieder in das Schlafzimmer zurück. Der freundliche Mann war noch nicht zurück, also setzte sich Annabel auf das Bett, da keine Couch in der Nähe war. Sie dachte gerade darüber nach, ob sich ihre Mutter wohl Sorgen um sie machte, als die Tür aufging und eine junge Frau eintrat.

„Hi, wer bist denn du?“ fragte diese erstaunt.

„Mein Name ist Annabel.“

„Tach, ich bin Ray, Yues ältere Schwester. Ist er nicht hier?“

„Er ...“

Als Annabel gerade ihren Satz beginnen wollte, kam Yue, wie anscheinend sein Name war, mit zwei großen Tellern voll Suppe zurück. Ray begrüßte ihn freundlich. Er entschuldigte sich kurz und folgte seiner Schwester nach draußen. Die beiden ähnelten sich kein bisschen. Ray hatte schwarze Haare, war klein und zierlich und ihre Augen waren so dunkel wie die Nacht. Yue hingegen war groß, hatte blonde Haare, grün-blaue Augen und sah verdammt gut aus. Es dauerte auch nicht lange, bis er zurückkam. Er nahm die Teller und reichte einen davon Annabel. Dabei fielen ihm die Narben auf ihren Armen auf. Er kannte so was nur zu gut. Er hatte früher selbst oft genug geritzt, aber an den Beinen, deshalb trug er nie kurze Hosen. Annabel schien die Suppe ziemlich gut zu schmecken.

„Hast wohl heute noch nichts zu essen gehabt was?“ fragte er.

„Nö, normal esse ich wenn meine Mutter nach Hause kommt, aber heute haben wir uns wieder einmal gestritten und dann bin ich weggelaufen.“

„Darum auch die vielen Narben?“ Er bemerkte Annabels entsetzten Blick. „Keine Angst, ich hab das früher selbst gemacht. Aber als Sänger hat man so seine Vorbildfunktionen, deshalb hab ich aufgehört.“

„Du bist Sänger? Bei welcher Band spielst du denn?“

„Meine Band heißt Black.“

Annabel blieb die Spucke weg. Black war ihre absolute Lieblingsband und jetzt saß sie bei Yue Ukai im Zimmer und aß mit ihm Suppe. Der Musiker musste bei ihrem Anblick lächeln. Normal wäre sie wahrscheinlich an diesem erbärmlichen Ort erfroren, wo er sie gefunden hatte, aber sein Studio war genau in dieser Gegend. Beide aßen auf und Yue stellte die Teller auf einen Tisch. Als er sich neben Annabel ins Bett fallen ließ, fiel im erst auf, wie blass sie eigentlich war.

„Annabel, wie alt bist du eigentlich?“

„Ähm, na ja, siebzehn.“

„Und da wohnst du noch zu Hause? In deinem Alter hatte ich schon meine eigene Wohnung.“

„Schön wär’s. Aber wie soll ich die bezahlen? Ich geh doch noch zur Schule und meine Mutter kannst du da voll vergessen. Die ist ja schon dagegen, dass ich Bibliothekarin werden will.“

„Du willst Bibliothekarin werden? Find ich gut. Auch das du dir nichts von deiner Mutter vorschreiben lässt. Das zeigt, dass du einen starken Willen hast. Willst du mir nicht erzählen warum ihr euch gestritten habt?“

„Wie gesagt, ich habe eben die Zusage einer Bibliothek erhalten. Meine Mutter sagte mir wie immer ihre Meinung dazu, aber dieses mal hab ich mich gewehrt und gesagt, dass ich nicht so verbittert enden wolle wie sie - und das Vater sie wegen ihrer vielen Affären verlassen hatte. Na ja, dafür hab ich dann 'ne Ohrfeige bekommen und bin weggelaufen. Letztendlich hast du mich ja dann gefunden.“

„O je, das klingt nicht gerade gut. So wie ich dich jetzt verstanden habe, hast du auch nicht vor, nach Hause zurückzugehen. Wo willst du den bleiben?“

„Keine Ahnung. Aber meine Mutter wird mich eh nicht vermissen.“

„Für heute kannst du auf alle Fälle mal bei mir bleiben. Da das Gästezimmer belegt ist, kannst du in meinem Bett schlafen, ich quartier mich der weilen auf dem Sofa ein.“

„N ... nein, dass brauchst du nicht! Wegen mir kannst du auch mit in deinem Bett schlafen. Mir macht das echt nichts aus, ich bin’s gewohnt.“

Annabel sah peinlich berührt zur Seite.

„Von deinem Freund, was?“

„Nö, von meinem Bruder. Wir haben oft zusammen in einem Bett geschlafen, als sich unsere Eltern vor fünf Jahren scheiden ließen.“

Die Schwarzhaarige merkte, wie sie rot wurde.

„Das ist schade. Aber ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Aber warum willst du unbedingt Bibliothekarin werden? Was fasziniert dich so an diesem Beruf?“

„Ich liebe Bücher über alles“ antwortete Annabel. „Mit ihnen kann ich der Realität entfliehen, wenn ich keinen Ausweg mehr sehe. Es ist so wundervoll, sich in fremde Welten zu flüchte, sich in einen Helden oder eine Prinzessin zu versetzen und mit ihr all ihre Leiden, Lieben und Qualen durchzustehen.“

Annabel erklärte das mit Feuereifer und bemerkte dabei nicht einmal den faszinierten Blick von Yue.

„Du scheinst sie ja wirklich zu lieben.“

„Ja, ein klein wenig. Hast du ein Lieblingsbuch?“

Fragend blickte Annabel zu Yue hinunter.

„Naja, als ich noch zu Hause gelebt habe, las ich recht gern die Bücher von J.R.R. Tolkien und Steven King. Die beiden sind geniale Autoren. Aber ich kenn mich da nicht so gut aus. Ist wohl eher dein Fachbereich.“ Yue lachte verlegen.

Er stand auf und ging nun zum Fernseher, welchen er einschaltete. Über den Bildschirm flimmerten gerade die Nachrichten und Annabels Foto prangte hinter dem Sprecher.

„Wir bitten die Bevölkerung, bei der Suche nach der siebzehn Jahre alten Annabel Glennon zu helfen. Sie trägt eine blaue Jeans, einen schwarzen Pullover und dunkle Turnschuhe. Das Mädchen verschwand heute Nachmittag gegen halb vier aus der Wohnung ihrer Mutter und ist aufgrund ihres schwachen Kreislaufs vermutlich nicht weit gekommen. Ihr Vater, der Schauspieler Abraham Glennon, ist sofort hierher gereist, als er vom verschwinden seiner Tochter hörte. Hier einige Ausschnitte aus einem Interview.“

Das Bild wechselte und Annabels Vater erschien, zusammen mit Seth.

„Wir möchten sie bitten, uns bei der Suche nach meiner Tochter zu helfen. Annabel, auch dich möchte ich bitten, wenn du das hier siehst, oder hörst, dich bei uns zu melden. Wir vermissen dich doch so schrecklich, komm wieder nach Hause zu uns.“

Es erschien wieder der Nachrichtensprecher.

„Hinweise bitte an die Polizei ...“

Yue drehte dem Gerät wieder den Saft ab und blickte Annabel prüfend an. Sie hatte den Blick auf den Boden gerichtet und die Hände zu Fäusten geballt. Das war nicht fair. Warum hatten sie ihren Vater geholt? Alle wussten, dass sie sehr an ihm hing und alles dafür gegeben hätte, bei ihm zu sein. Annabel wusste, dass die Worte ihres Vaters der Wahrheit entsprachen, doch die Gedanken ihrer Mutter hatten sich nicht geändert.

„Immer noch nicht überzeugt, nach Hause zu gehen?“

„Was? Nein, bin ich nicht. Mag sein, dass mein Dad mich vermisst, Seth vielleicht auch, aber Mutter sicher nicht. Ich bleibe hier, zumindest bis morgen, dann gehe ich wieder nach Hause und mit meinem Vater weg von hier.“

Es klopfte an der Tür und eine ältere Frau trat ein. Sie hielt eine frische Bettgarnitur in den Händen und reichte sie Yue, der auf die Teller deutete. Die Dame nickte verstehend, nahm die Teller an sich, ehe die Beiden noch ein paar Worte auf Japanisch wechselten. Anschließend ging sie wieder. Yue schmiss die Decke und das Kissen auf sein Bett und verschwand dann im Bad.

Während der Sänger im Bad war, sah sich die junge Frau ein wenig in dem großen Zimmer um. Es hatte ein großes Fenster, mit gemütlich viel Platz, um sich dort (was genau bezeichnest du mit dort???) hinzusetzen. Wie traumhaft musste es hier im Herbst oder Winter sein, wenn die warme Sonne in den Raum schien und draußen Schnee lag. Außerdem stand ein großer Baum davor, der sicherlich im Sommer genügend Schatten spendete. Auch wenn es schon extrem finster draußen war, den Garten, den die Siebzehnjährige erkennen konnte, war dem Anschein nach riesig. Aber das war ja im Grunde genommen das ganze Haus, zum Gegensatz zu der Mietwohnung ihrer Mutter. Diese war ja für drei Menschen schon fast zu klein.

Als Yue wieder herauskam, trug er ein T-Shirt und ein Boxershorts. Annabel fielen sofort die Narben an seinen Beinen auf. Der Sänger schlug die Decke zurück und stieg in sein Bett. Auch Annabel folgte ihm, zog die Hose aus und legte sich auf die freie Seite des Bettes. Sie kuschelte sich in die weichen Daunen und legte ihren Kopf in das weiche Kissen. Yue war bereits in einen tiefen Schlaf gefallen. Wieso sorgte er sich eigentlich so um sie? Sie kannten sich doch gar nicht und trotzdem kümmerte sich der junge Musiker sehr um sie. Annabel konnte ihren Gedanken nicht mehr folgen, da sie langsam einschlief.
 

Mitten in der Nacht fuhr Annabel aus ihrem Schlaf und schrie laut auf. Sie weckte Yue unsanft damit. Die junge Frau war schweißgebadet und hielt sich krampfhaft an ihrer Decke fest. Yue schaltete seine Nachttischlampe ein und sah Annabel besorgt an. Ihre Augen starrten auf einen Fleck, ganz weit weg, jeglicher Ausdruck war daraus verschwunden. Vorsichtig löste er ihre Hände von der Decke. Annabels Blick wurde langsam wieder normal, doch jetzt stiegen ihr die Tränen in die Augen.

„Hey, was ist denn los? Hast du schlecht geträumt?“

Sie nickte nur und vergrub ihr Gesicht jetzt in der Decke, da sie nicht wollte, dass Yue sie weinen sah. Er kniete sich neben Annabel und strich ihr beruhigend über den Rücken. Hin und wieder schluchzte sie und als Yue es nicht mehr ertragen konnte, hob er ihr Gesicht von der Decke weg und nahm Annabel in den Arm. Das Mädchen hielt sich an seinem T-Shirt fest und weinte unaufhörlich weiter.

„Annabel, willst du mir nicht erzählen was du geträumt hast?“

Sie schluckte heftig und sah ihn mit glasigen Augen an.

„Ich hab von meiner Mutter geträumt. Sie hat mich so weit gebracht, dass ich als Sekretärin in einem großen Konzern angefangen habe. Ich schlug denselben Weg ein wie sie und hab mit vielen Männern geschlafen, um meine Beförderung zu erreichen. Daddy hat mich nicht mehr beachtet und Seth nannte mich ... eine ... Hure. Dann bin ich aufgewacht.“

Yue drückte Annabel fest an sich. Unaufhörlich strich er über Annabels Rücken, deren Augen schließlich wieder kleiner wurden und sie schlussendlich wieder einschlief. Yue legte sich mit ihr im Arm wieder ins Bett zurück und deckte beide zu. Er überlegte die ganze Zeit, wie er ihr helfen konnte, bis ihm ein wirklich guter Gedanke kam. So würde er es machen und nicht anders. Dann schlief auch er wieder ein.
 

Als Annabel am nächsten Morgen aufwachte, sah sie nur eine weiße Mauer vor sich. Sie hob ihren Kopf etwas an und blickte in Yues entspanntes Gesicht. Er hatte sie also die ganze Nacht nicht losgelassen. Yue war so lieb zu ihr, aber vermutlich würde sie ihn nie wieder sehen, wenn sie heute nach Hause ging. Annabel schloss ihre Augen und griff nach Yues T-Shirt. Sachte drückte er sie an sich. Annabel öffnete ihre Augen wieder und sah direkt in seine. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie ewig dort liegen bleiben können. Annabel fühlte sich so wohl und geborgen, wie schon lange nicht mehr. Vorsichtig lehnte sie ihren Kopf an seine Brust. Jetzt wusste sie auch was es hieß, Schmetterlinge im Bauch zu haben.

„Komm gehen wir frühstücken. Ich hab fürchterlichen Hunger“ sagte Yue.

Annabel wurde aus ihren Gedanken gerissen und widersprach nicht. Sie setzte sich auf und streckte sich genüsslich. Das Mädchen hatte verdammt gut geschlafen und auch Yue sah erholt aus. Mit den Fingern fuhr sie sich durch die kurzen Haare, doch erzielte genau das Gegenteil von dem was sie beabsichtigt hatte. Sie standen noch schlimmer ab, als zuvor. Der Sänger stand auf und ging zur Tür. Annabel folgte ihm, nachdem sie in ihre Jeans geschlüpft war. Jetzt wo es hell war, kam ihr das Haus noch größer und beeindruckender vor, als gestern Abend. Die lange breite Treppe, der schöne Marmor, der überall verarbeitet war. Himmlisch.

Die Beiden gingen ins Erdgeschoss und dann in die Küche. Dort trafen sie auf Ray und den Drummer von Black, Alexander Mc'Censey.

„Morgen ihr Beiden.“

„Morgen Yue. Hey, wer ist den die Süße?“ antwortet Alexander prompt.

Annabel sah verlegen zu Boden. Zwar bekam sie nicht selten Komplimente von Jungs, doch bei Berühmtheiten war es doch etwas anderes. Es schmeichelte sie zutiefst.

„Pfoten weg Alex! Sie ist nur zu Gast hier“ fuhr Yue sie an.

„Keine Panik, ich bin eh schon wieder weg. Ich muss ja heute ins Studio, im Gegensatz zu dir.“

„Selbst schuld, wenn du nicht zu den vereinbarten Terminen kommst. Mein Part ist eingespielt. Kaffee oder Tee?“

„Ähm Tee“ antwortete Annabel.

Alexander brummte etwas Unverständliches und verschwand dann mit einem Toast in der einen und mit einer Tasse Kaffee in der anderen Hand. Annabel nahm nun am Tisch platz. Ray war ebenfalls anwesend doch schien sehr vertieft, denn sie laß in die Zeitung. Auf der Titelseite prangte ein Foto von Annabel, mit der Überschrift `Verschwunden´. Auch Yues Blick fiel darauf. Er runzelte die Stirn und sah dann zu Annabel. Diese zuckte einfach nur mit den Schultern. Es störte sie nicht sonderlich, dass vermutlich die ganze Stadt auf der Suche nach ihr war. Es war schließlich nicht ihre Schuld gewesen, dass sie von zu Hause weggelaufen war. Yue stellte Ann eine Tasse mit Tee hin und einen Teller. Ray reichte ihr ohne aufzusehen den Korb mit Brötchen und die junge Frau nahm sich eines. Yue ließ sich neben seine Schwester sinken, schnappte sich eine Semmel und butterte sie ordentlich. Annabel hingegen strich nur etwas Marmelade drauf, sie frühstückte normalerweise nicht, wollte aber nicht als unhöflich gelten. Eher verhalten trank sie ihren Tee und beobachtete dabei die beiden Geschwister, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Allein schon deren Auftreten war wie Tag und Nacht. Die Japanerin hatte eher ein autoritäres Erscheinen, das keinen Widerspruch zuließ. Ihr Bruder hingegen war ruhig, schon fast etwas zu verschwiegen. Seth und sie hingegen hätten Zwillinge sein können. Aufbrausend, mit Temperament und ihrem ähnlichen Aussehen. Doch es bestand immerhin ein Altersunterschied von knapp einem Jahr. Gemütlich aß Annabel zu Ende. Yue stand nach einer Weile auf und verstaute seinen Teller sowie die Tasse im Geschirrspüler. Die Schwarzhaarige folgte ihm, stellte ihre Sachen einfach dazu. Yue schenkte ihr ein freundliches Lächeln und nahm sie bei der Hand. Gemeinsam wollten sie die Küche verlassen, als Ray von der Zeitung auf sah.

„Yue, wo gehst du denn hin?“ wollte sie wissen.

Er schob Annabel weiter aus dem Zimmer und antwortete

„Ähm ... na ja ... ich bring Annabel jetzt nach Hause.

„Okay, egal. Aber bleib nicht zu lange weg.“

„Ist gut Ray, bis später dann.“

Die Beiden gingen wieder in Yues Zimmer. Annabel ging ins Bad und zog sich ihre Klamotten an. In dem Pulli wirkte sie noch unförmiger, als in dem T-Shirt von Yue. Anscheinend war Seth doch etwas durchtrainierter als der Japaner. Als sie wieder in den großen Raum zurückkam, zog Yue gerade einen Motorradhelm unter dem Bett hervor. Ein Zweiter lag bereits auf dem Bett.

„Was machst du da?“ fragte Annabel.

„Na, dich nach Hause bringen.“

„Mit dem Motorrad?!“

„Sollen wir vielleicht zu Fuß gehen? Mein Haus liegt am Ende der Stadt, bis zu eurer Wohnung bräuchten wir mindestens zwei Stunden. Da fahr ich doch lieber. Hier, der müsst dir eigentlich passen.“

Er gab ihr den Helm und sie verließen das Zimmer wieder. Die Schwarzhaarige hatte eigentlich nichts gegen einen Spaziergang. Dieser machte ihr mit Sicherheit weniger aus, als die Fahrt mit einem Motorrad, da sie vor diesen Dingern wirklich Angst hatte. Es passierten immer so schreckliche Unfälle damit. Annabel warf noch einmal einen letzten Blick auf den Helm und folgte Yue in den Keller. Dort stand ein prächtiges Motorrad. Und ein Auto! Warum konnten sie nicht einfach mit dem Auto fahren? Mit einem Druck, auf einen der vielen Knöpfe, die an der Wand befestigt waren, öffnete Yue das Garagentor. Anschließend setzte er den Helm auf und stieg auf das Bike. Annabel tat es ihm gleich und setzte sich hinter ihm auf den Sitz. Yue startete den Motor des Fahrzeugs. Er fuhr langsam aus der Garage, umrundete das Haus und fuhr dann auf die Straße hinaus. Zitternd vor Angst klammerte sich Annabel an ihren Fahrer.

Sie brauchten trotz allem etwa eine dreiviertel Stunde, bis sie endlich vor Annabels Wohnung standen. Der Verkehr war die Hölle gewesen, als ob man plötzlich alle Autofahrer mit einem Satz auf die Straße schickte. Die ganze Fahrt über hatte sich das Mädchen an Yue festgehalten. Vor der Wohnung der Familie Glennon standen reihenweise Reporter. Anscheinend wollte ihr Vater erneut eine Fernsehansprache halten, doch alle Blicke richteten sich auf das stehen gebliebene Motorrad. Annabel stieg langsam ab und hob den Helm von ihrem Kopf. Yue nahm gleich den Helm ab und stellte dann erst den Motor ab. Annabel legte ihren auf den freien Platz hinter Yue und sah erst jetzt vom Boden hoch. Ihr Vater sah sie mit großen Augen an, bevor er sich durch die Reporter kämpfte und seine Tochter glücklich in die Arme nahm. Seth war ihm gefolgt und drückte seine kleine Schwester nach seinem Vater an sich. Nur ihre Mutter blieb dort wo sie war und bewegte sich nicht. Annabel war von der rasanten Fahrt ganz blass um die Nase und hatte ein scheues Lächeln auf den Lippen. Sie erwiderte sowohl Seths Umarmung als auch die von ihrem Vater. Niemand beachtete Yue, der schon drauf und dran war, wieder zu fahren. Doch Annabel nahm ihn nun an der Hand und zu fünft gingen sie in die Wohnung. Annabel wich nicht von der Seite des Sängers, als ob sie vor etwas Angst hätte. Ihr Vater schien ziemlich erleichtert zu sein, dass seine Tochter wieder da war. Er deutete den Beiden, sich zu setzten.

„Ich danke Ihnen, dass Sie meine Tochter wieder hier her gebracht haben. Wie kann ich mich bei Ihnen erkenntlich zeigen?“ sagte Abraham.

„Indem Sie ihre Tochter mit sich nehmen oder ihr eine eigene Wohnung kaufen.“

„Wie darf ich das verstehen?“

„Sie haben wohl keine Ahnung, wie ihre Exfrau Annabel behandelt oder?“ erwiderte Yue. „Wenn es nach Ihrer Frau ginge, würde Annabel denselben Weg einschlagen wie sie es selbst getan hat. Aus Verzweiflung ritzt sie sich und gestern nach einer satten Ohrfeige ist Annabel eben weggelaufen.“

„Du hast Annabel geohrfeigt, Meredith? Bist du noch bei Sinnen? Was hat sie den getan?“

„Sie hat mir die Schuld gegeben, dass du uns verlassen hast. Mir ist dann eben die Hand ausgerutscht. Das wollte ich doch nicht!“

Der junge Japaner meldete sich nun auch zu Wort.

„Annabel möchte Bibliothekarin werden. Wenn sie darf, werde ich schweigen und nichts von dem was in den letzten Tagen passiert ist, wird ans Licht gelangen. Dies wäre meine erste Bedingung. Meine zweite ist ihre eigene Wohnung. Haben Sie mich verstanden?“

„Wer sind Sie eigentlich?“ fragte Meredith aufgebracht.

„Mein Name ist Yue Ukai, ich bin achtzehn Jahre alt und von Beruf Sänger. Ich habe Annabel gestern gefunden. Von wegen `schwacher Kreislauf´. Von hier bis zum Westend sind es ganze fünfzehn Kilometer.“

Der Schauspieler diskutierte noch eine Weile mit dem jungen Japaner. Sowohl Meredith, als auch Annabel verhielten sich ruhig, sie wollten schließlich keinen weiteren Ärger auf sich ziehen.

„Haben Sie, was die Wohnung angeht, auch einen anderen Vorschlag Mr. Ukai. Ich lasse meine Tochter nur ungern alleine wohnen“ fragte Abraham nach einer Weile ruhig.

„Ja doch, in der Tat. Morgen muss ich für drei Wochen auf eine Promo-Tour für unser neues Album. Danach kann sie zu mir ziehen.“

„Gut, damit bin ich einverstanden.“

„Dad!“ Annabel sah schockiert zwischen ihrem Vater und Yue hin und her. „Ihr könnt doch nicht einfach so über meine Zukunft bestimmen. Es ist zwar schön, dass ihr euch um mich sorgt, aber ich will im Grunde gar nicht hier ausziehen.“

Komischerweise erntete sie von ihrer Mutter einen dankbaren Blick. Annabel hatte vielleicht nicht das beste Verhältnis zu ihr, aber sie war doch noch immer ihre Mum. Diese Frau hatte ihr schließlich das Leben geschenkt und tief in ihrem Herzen wusste die Schwarzhaarige, dass sie Meredith über alles liebte.

„Aber ...“ kam es von Yue und ihrem Vater.

„Hört zu, ich bin schon zufrieden wenn ich den Job erlernen darf, den ich möchte und nicht einen, der mir aufgezwungen wird. Das mit dem ausziehen ist so eine Sache, die ich mir sowieso nicht leisten kann. Zumindest jetzt nicht. Später würde ich gern noch einmal darüber reden. Außerdem bin ich doch noch viel zu jung.“

„Du kannst doch zu Mr. Ukai ziehen, Annabel. Mir wäre es persönlich auch lieber, wenn du zu ihm ziehst, als wenn du hier bleibst.“

Abraham schien seine Exfrau einfach zu ignorieren, deren verletzter Blick ihn nun traf.

„Ma, was möchtest du? Ist es dir recht, wenn ich bei dir bleibe, oder soll ich ausziehen?“ fragte Annabel nun Meredith.

Diese wandte sich vom Schauspieler ab und blickte in die dunklen Augen ihrer Tochter. Annabel konnte den Schmerz darin erkennen, doch im Grunde brauchte sie keine gesprochenen Worte, denn sie wusste die Antwort auch so.

„Es geht dir sicherlich besser, wenn du hier ausziehst Bella. Nicht, dass ich nicht wollen würde, dass du weiterhin hier bleibst, aber gegen meine Gefühle steht noch immer das Wort deines Vaters und er hat auch einen Teil des Sorgerechts für dich. Geh, aber du weißt, dass ich immer für dich da bin.“

Meredith ging nun zu Annabel und schloss sie in ihre Arme. Nur mit Mühe konnte die Mutter ihre Tränen unterdrücken. Liebevoll gab sie der Schwarzhaarigen einen Kuss auf die Stirn.

„Es tut mir Leid, was gestern passiert ist“ flüsterte sie. „Das wollte ich nicht.“

Die Siebzehnjährige erwiderte die Umarmung ihrer Mutter fest und wollte sie gar nicht mehr loslassen.

„Ich weiß Mama, ich weiß doch!“

Yue und Annabels Vater unterhielten sich noch, während sich die beiden Frauen wieder aussöhnten.

„Okay, dann hole ich sie in drei Wochen ab. Bis dann. Auf wiedersehen!“

Yue stand auf und ging zur Wohnungstür. Annabel ließ nun ihre Mutter wieder los und folgte ihm. Verlegen sah die junge Frau auf den Boden. Sie wusste nicht, wie sie sich am besten bei ihm bedanken sollte. In der Tür blieb Yue noch einmal stehen und zog Annabel zu sich. Vorsichtig fuhr er durch ihre Haare und küsste sie dann leidenschaftlich. Als er sie wieder los ließ, meinte er

„Warte auf mich okay?“

Schon war er auch verschwunden und ließ die verdatterte Annabel in der offenen Tür stehen. Als sie endlich wieder zu sich kam, war er bereits weg und sie hatte sich nicht einmal bei ihm bedankt. Sie war ja so unhöflich!



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