Silver City
„Und dann erst dieser komische Altar! Ich sag´s euch, der ist plötzlich rauf gefahren!“ Umständlich
wedelte Néko mit den Armen in der Luft herum, wobei sie beinahe Tamas Kopf getroffen hätte.
„He, pass doch auf!“ Fast wäre sie vom Sofa gefallen. Hana stand am Fenster und beobachtete
die Szene eifrig. „Und dann? Was ist dann passiert?“ „Sie hat es geschafft und ist mit dem
Artefakt entkommen. Ist doch klar, oder? Los, erzähl lieber mal was Taro- san gemacht hat!
War er wieder so niedlich?“ Tama sprang begeistert auf und ab. Néko schüttelte verständnislos
den Kopf. „Himmel aber auch! Der Typ ist doch jetzt wirklich egal.“ Hana begann zu kichern
und blickte neugierig aus dem Fenster. Néko fuhr mit ihrer Erzählung fort. Die Drei hatten sich
mal wieder in Hanas Wohnung getroffen und einen Kuchen gebacken. Dieser war allerdings
schon aufgefuttert und einige Reste lagen noch, auf ein paar Tellern, in der Küche herum. Die
kleine Wohnung war ein beliebter Treffpunkt der drei Mädchen. Vor allem weil Hana alleine hier
lebte. Im Hause der Tanakas hatten sie meistens nicht so viel Ruhe, weil Kioko sie gerne mit ihrer
Führsorge nervte und die alte Hausdame sie immer aus der Küche jagte. Natürlich war es auch in
Néko´s kleinem Häuschen ziemlich ruhig, aber auch ziemlich unaufgeräumt und mit viel Krimskrams
vollgestopft. Hanas Wohnung dagegen war immer ordentlich und lag auch noch ziemlich günstig.
Neben einem Einkaufscenter auf dem Minami no Yagura. Hana stand immer noch am Fenster
und behielt den Sportplatz der SCU immer im Blickfeld. Néko war aufgestanden und wanderte
gelangweilt im Zimmer herum. „Ich finde es nicht nett, dass ihr meine Geschichte nicht hören wollt.“
Sie war zu Hana getreten und folgte deren Blick nach unten. „Aha. Verstehe.“ „Du verstehst gar
nichts. Ich sehe nur gerne auf das Meer hinaus.“ Verlegen hatte sich Hana umgedreht und stapfte
in die Küche. „Mhm, seit wann ist der Trainingsplatz der Volleyballspieler denn im Meer?“ Néko
kicherte. Natürlich hatte Hana nach Hirano Ausschau gehalten. „Spar´ dir deine Kommentare! Das
stimmt gar nicht!“ Hana klang richtig bedrohlich, was Néko nicht am weiter kichern hinderte.
Schließlich fasste sie einen Entschluss. „Mir ist langweilig. Lasst uns auf die Kita no Yagura
gehen... Eis essen.“ Tama war sofort begeistert und folgte Hana in die Küche. Auch Néko gefiel
der Vorschlag, obwohl sie gerne ihre Story weiter erzählt hätte. Die drei Mädchen verließen das
Wohnhaus und machten sich auf den Weg zur nächsten Tatéana Station. Diese sogenannten
Schacht- Stationen verbanden die einzelnen Teile von Silver City miteinander. In den Schächten
wurden, neben den Personen, auch sämtliche anderen Güter der Stadt, von einem Kuiki zum
nächsten transportiert. Dies hatte den Vorteil, dass die Straßen der Stadt fast völlig leer blieben
und die Rate der Autounfälle ziemlich weit unter den Raten vieler anderen Städten der Welt lag.
Während sie in der Tatéana Bahn durch den Zweiten Turm nach unten zum Hauptschacht fuhren,
beschloss Hana das es kürzer wäre über die Chiisa na Shima Inseln zum Ersten Turm zu fahren.
„Der Weg über die Daitokai ist etwas länger. Es ist zu blöd, dass wir nicht mit der Bahn direkt
über das Meer fahren dürfen.“ „Die würde wohl im Meer untergehen.“ Néko stand an der
Tür der Bahn und starrte nach draußen in die Dunkelheit des Tunnels. Ab und zu fuhr an der
gegenüberliegenden Schiene eine andere Tatéana Bahn nach oben. Tama und Hana saßen
neben ihr auf einer der vielen Sitzbänke und verfolgten die Wege der Schacht-, Straßen- und
Untergrundbahnen auf dem Fahrplan über der Tür. Nach knapp 3 Minuten erreichten sie das
Ende des Turmes und mussten umsteigen. Der weg von einer Yagura zur Anderen war zwar
nicht gerade sehr weit, aber doch etwas umständlich. Bei der Planung der Stadt war man ziemlich
Freigiebig gewesen, was den Platz anging. Letztendlich bestand die Anlage aus neun einzelnen
Teilen, welche in Sachen Energieversorgung völlig autark waren. Silver City galt zu Recht als
Stolz der Architekten und seiner Bewohner. Nach insgesamt 10 Minuten erreichten die Drei den
Kita no Yagura im Nordosten der Stadt und besuchten ihr Lieblingslokal, das Mayonaka Teehaus.
Diese Lokalität lag am Dach eines Hochhauses, inmitten eines alten japanischen Gartens, etwas
vom Trubel der Wohnsiedlungen entfernt und öffnete seine Pforten erst um 18 Uhr. Da es ein
ziemlich gehobenes Etablissement war, erfreute es sich vor allem bei den älteren Leuten einer
ziemlich großen Beliebtheit. Jugendliche waren eher selten und deshalb waren Néko, Tama und
Hana auch schon ziemlich bekannt. Gleich nachdem sie das Teehaus betreten hatten, wurden sie
auch schon von Káma Aói- san, der Herrin des Hauses begrüßt. „Konnichiwa, meine Lieben.
Sieht man euch auch einmal wieder? Ichigo- san, ich hörte du warst wieder auf einer sehr gefährlichen
Reise?“ Aói trug einen ziemlich schönen Seiden- Kimono mit vielen aufwendigen Stickereien, welche
rötliche Wolken und einen großen, chinesischen Drachen darstellten. Außerdem war ihr Obi zu
einer Rose gebunden. „Ach, so gefährlich war es gar nicht.“ Aói führte die Drei in das große
Chashitsu. „Wow, dieser Kimono ist ja ein Traum! Dieses Drachenmotiv erst...“ Hana blickte
Aói hinterher und bewunderte das Gewand. Schließlich ließen sie sich auf ihren Stammplatz
fallen und musterten die Karte. „Und? Habt ihr euch schon entschieden? Wieder alle das
gleiche?“ Hinter ihnen war Bèi Ryoko, ihre blauhaarige Stamm- Kellnerin aufgetaucht und
lächelte freundlich. Sie trug einen blaugrünen Kimono mit einem Wellenmuster und einem
grünen Schmetterlingsobi. „Ich möchte Ohagi!“ Tama hatte die Nase noch immer in der
Karte und laß diese aufmerksamst durch. „Dachte ich mir.“ „Für mich Mizu Yokan mit
Erdbeeren.“ Néko hatte mal wieder ihre Sonderwünsche. „Dachte ich mir auch.“ „Und
für mich Ogura aisu kurimu, und wenn du ´dachte ich mir` sagst, gehe ich mich beschweren.“
Natürlich meinte Hana es nicht ernst, aber sie konnte Ryokos Sarkasmus nicht leiden.
Diese zog lächelnd ein beleidigtes Gesicht und verschwand im hinteren Teil des Chashitsu.
„So, jetzt ist es halb Acht. Wir könnten nachher noch zum Kita no Jinja gehen.“ Hana
sah sich, betont gelangweilt, im Lokal um. „Hab ich´ s nicht gleich gesagt.“ „Hast du. Und
mich ärgert sie wegen Taro- san, dabei ist sie noch viel schlimmer.“ Tama und Néko hatten
ihre Köpfe zusammengesteckt und musterten Hana wissend. „Das ist nur ein Vorschlag gewesen.
Oder wollt ihr lieber nach Hause? Schlafen gehen, wie alle braven Kinder?“ Etwas gekränkt
hatte sie sich zur Seite gedreht und ihre Arme verschränkt. „Och, wir können ruhig noch hingehen.
Willst du einen Glücksbringer für die Liebe kaufen?“ „Das ist ja dann wohl meine Sache.“ Noch
bevor Néko wieder antworten konnte, war auch schon Ryoko mit ihren Bestellungen erschienen.
„Böse Mädchen! Hört auf euch zu streiten. So was gehört sich nicht.“ Damit ließ sie sich neben
Néko auf eines der Zabúton fallen und schnappte sich eine der Erdbeeren. „Hey, das sind meine!
Geh lieber wieder arbeiten!“ Energisch verteidigte Néko die kleine, rotlackierte Schale mit den
Erdbeeren gegen Ryokos lange Finger. „Hab´ grad nix zu tun und wollte wissen, ob es was
Neues gibt.“ Da sie bei Néko´s Früchten keine Chance mehr hatte, angelte sie sich ein Ohagi
von Tama, was bei dieser zu einem leisen Protestmurren führte. „Bei uns gibt es eigentlich
nichts Neues. Hana hat ein Einkaufsverbot bekommen, weil sie wieder zu viel ausgegeben hat
und Tama hat sich verknallt.“ Néko grinste und wurde von zwei wütenden Gesichtern angestarrt.
„Ich habe nicht zu viel gekauft.“ Hana war beleidigt, doch das kümmerte niemanden. „Soso,
die Kleine hat sich verliebt? Los erzähl mal...“ Ryoko war neugierig geworden und angelte
sich noch ein Ohagi. „Du solltest ihn mal sehen, Taro- san ist ja so niedlich, und hat schöne,
schwarze Haare und...“ Mit einem fiesen Lachen wurde sie von Hana unterbrochen.
„Hehe, du solltest mal Néko fragen, die hat immerhin schon eine Nacht mit ihm verbracht.“
„Bitte, WAS habe ich?“ Vor lauter Entsetzen hatte sie sich an einer Erdbeere verschluckt und
bekam einen kleinen Hustenanfall. „Ist nicht wahr! Wir habe nur zusammen im Bett gelegen!“
keuchte Néko hervor und Hana musste lachen. Tama gefiel das Ganz und Gar nicht, vor allem
weil Ryoko sie ganz mitleidvoll angrinste. „Jaja, die Konkurrenz schläft nicht.“ „Stimmt gar nicht,
den Fiesling kann sie gerne haben, ich verzichte dankend!“ Néko hatte sich schon wieder erholt
und stach mit ihren Stäbchen umständlich in ihrem Mizu Yokan herum. „Na, wie auch immer.
Langsam sollte ich mal wieder arbeiten gehen. Wir sehen uns noch.“ Aus ihren Augenwinkeln
hatte Ryoko Aói entdeckt, welche schon ärgerlich in ihre Richtung geblickt hatte. Mit einem
Winken erhob sie sich und verließ den Tisch der Drei.
Es war bereits halb Zehn als sie schließlich das Teehaus verließen und sich auf den Weg zum
Kita no Jinja machten. Da es langsam Herbst wurde hatte sich eine tiefe Dunkelheit über dem
Meer ausgebreitet. Trotz der späten Stunde waren immer noch recht viele Leute unterwegs.
Hier auf dem Kita no Yagura war es nicht so hektisch wie auf der Atamashima oder den anderen
Stadtinseln. Die beiden Türme waren die Ruhepole der Anlage und verfügten über zahlreiche,
künstlich angelegte kleine Wälder und Parkanlagen. Vor allem die Natsu Matsuri waren auf
den Türmen immer eine Sensation. Zu diesen Sommerfesten strömten die Leute von den anderen
Inseln allzeit in Scharen heran. Doch auch jetzt im Herbst gab es noch viele kleine Dinge, welche
die Türme so besonders machten. Die zahlreichen Verkaufsbuden zum Beispiel. Diese hatten
auch spät abends noch geöffnet und verkauften die verschiedensten Leckereien, Süßigkeiten,
Nudeln, Kuchen und Eis und so weiter. Es war eben einfach für jeden Geschmack etwas dabei.
Néko und Tama betrachteten bewundernd den Vollmond über der Stadt, welcher die Schönheit
der zahlreichen Lichter von Silver City beinahe noch übertraf. „Jetzt kommt doch endlich! Ich
habe nicht ewig Zeit, morgen ist Schule.“ Eilig wanderte Hana den kleinen Kiesweg, der auf
den Hügel zum Schrein führte, auf und ab. Die anderen Zwei waren stehen geblieben und
bewunderten noch immer die Nacht. „Jaja, schon gut.“ Schließlich folgten sie Hana zum Kita
no Jinja. Der kleine Schrein lag auf einer Anhöhe, etwas über den Wohnsiedlungen und war
von einem Zen- Garten umschlossen. Leise rauschte der Wind durch die Blätter der Bäume,
was der ganzen Schreinanlage einen unheimlichen Klang spendete.
Plötzlich unterbrach Tama die Stille, indem sie über einen der Trittsteine stolperte. „Himmel,
du Tollpatsch! Musst du mich so erschrecken?“ Hana atmete erleichtert auf und folgte Néko,
die schon am Eingang des Jinja stand. Wegen der späten Stunde war der Schrein natürlich
geschlossen, was die drei Mädchen allerdings nicht störte, da sie ja ein anderes Ziel hatten.
Langsam wanderten die Drei um den Schrein herum. Dahinter lag ein traditionell gebautes,
Ryokan- mäßiges, kleines Haus. Néko war die Erste an der Tür und spähte durch das am
nächsten liegende Fenster. Drinnen brannte ein kleines Licht. „Willst du nicht endlich mal
anklopfen?“ Hana war ungeduldig an die Tür getreten und zog Néko vom Fenster weg.
„Wieso machst du es nicht selbst?“ Umständlich fuchtelten beide an der Tür herum, weil
sich keine anzuklopfen getraute. „Du kennst die Beiden viel besser als ich! Mach schon!“
Hana wurde ungeduldig. „Wessen Idee war es denn überhaupt hierher zu kommen?“ Néko
und Hana rangelten um den Türknopf. Ein plötzliches Klopfen ließ die Beiden aufhorchen.
Tama war lange genug vor der geschlossenen Tür gestanden und hatte schließlich angeklopft.
„Bevor ihr noch anfangt euch zu prügeln.“ Hana und Néko blickten beleidigt aneinander
vorbei. Endlich wurde die Tür geöffnet. „Na, hallo! Was führt euch denn so spät noch
hierher?“ Ein junger Student im Yukata hatte die Tür geöffnet und bat die Drei herein. „Hi
Natsukawa. Eigentlich will ´Die` da zu Hirano... Aua!“ Hana hatte Néko einen Schlag auf
den Rücken verpasst. „Is´ ja gar nicht wahr!“ Tama kicherte. „Nun, da muß ich dich enttäuschen.
Hirano- chan ist leider nicht da.“ Natsukawa lächelte und tätschelte ihr mitleidsvoll den Kopf.
„Und... wo ist... er dann?“ Hana war ziemlich verlegen. „Keine Ahnung. Irgendwo in der Stadt.“
Néko und Tama hatten sich schon auf die Zabúton um den Tisch niedergelassen und blickten
gelangweilt durch das Zimmer. „Wollt ihr einen Tee? Oder lieber was anderes?“ Er war schon
auf dem Weg zur Küche und deutete auf eine kleine Schale auf dem Tisch. „Da ist Schokolade
drin, wenn ihr wollt.“ Tama war natürlich sofort begeistert und schnappte sich die Schüssel.
„Einen Tee bitte!“ Néko und Hana waren ja nicht wählerisch.
Tama hatte die Schokolade vertilgt und wurde langsam ungeduldig. „Mir ist langweilig, außerdem
wird Mama wütend werden, wenn ich solange mit euch in der Gegend herumziehe.“ Inzwischen
war es immerhin schon halb Elf. Hana und Néko war es egal. Hana wohnte eh alleine und
hatte deshalb keine wütende Mutter und Néko ging ja nicht in die Schule. „Ist ja schon gut.
Wir gehen ja schon.“ Hana war leicht enttäuscht. Eigentlich hatte sie ja gehofft das Hirano
vielleicht doch noch auftauchen würde. „Na dann, kommt mal tagsüber her, dann ist der
Schrein auch geöffnet.“ Natsukawa, Hana und Tama hatten sich erhoben und blickten
auf Néko, die immer noch am Tisch saß. „Ach, ich bleib´ da. Ich habe Zeit...“ Natsukawa
nickte. „Gut, du kannst mir dann noch von deiner letzten Expedition erzählen.“ Während er
Hana und Tama hinaus begleitete wanderte Néko in die Küche.
„Hey Néko, wo bist du denn?“ Natsukawa kam in die Küche, während Néko schon mit
dem Kopf im Kühlschrank steckte. „Ach da.“ „Himmel! Ihr habt nicht mal Erdbeeren da...“
Néko war enttäuscht. „Man kann nicht alles haben.“ „Mhm.“ Néko hatte sich für einen
Apfel entschieden und suchte nun nach einem Messer. Kichernd überreichte ihr
Natsukawa eines und schüttelte den Kopf. „Sonst noch irgendwelche Wünsche?“
Nun musste auch Néko kichern. „Nein, und eigentlich interessiert es mich nur wo
Hirano ist.“ „Ich hab Hikishio schon gesagt, dass ich es nicht weiß.“ Néko grinste
wissend und schälte den Apfel. „Wie lange kennen wir uns jetzt schon? 1 Jahr oder
schon 2?“ Natsukawa nickte. „Ja ungefähr, wieso?“ „Ich kenne dich lange genug um
zu wissen, dass du weißt wo Hirano ist. Hab´ ich recht?“ Ertappt schüttelte er den Kopf.
„Jaja, er ist mit irgendeiner Studienkollegin auf der Chiisa na Shima #2. In irgendeinem
Lokal. Hab´ mir den Namen allerdings nicht gemerkt.“ „Sag´ ich doch.“ Néko war zufrieden
und knabberte an ihrem Apfel. „Tama und Hana kennen dich nicht gut genug, um zu wissen,
wann du lügst. Ich dagegen schon.“ „Ist ja schon gut, du hast deine gute Menschenkenntnis
bewiesen. Bist du jetzt zufrieden?“ Natsukawa musste lachen. „Das ist nicht nett, dass du
mich auslachst. Ich bin beleidigt...“ Schmollend drehte sich Néko zur Tür um. „So war das
nicht gemeint, tut mir leid...“ Natsukawa war hinter Néko getreten und umarmte sie. „Ich
bin ja auch nicht beleidigt. Nur etwas müde.“ Néko musste gähnen. „Und? Wo schläfst
du heute? Wenn du willst kannst du hier übernachten.“ „Nein, nein, nur keine Umstände,
ich werde heute mal daheim schlafen. War schon lange nicht mehr da.“ Nachdem sie sich
noch einen Apfel gekrallt hatte machte sie sich auf den Weg zur Tür. „Gruß´ an Hirano,
wenn du ihn siehst, ja?“ „Natürlich.“ Lächelnd beobachtete Natsukawa, wie Néko über
die Trittsteine davon hüpfte.
„Und warum kann ich nicht mit?“ „Weil es einfach viel zu gefährlich ist!“ „Néko darf aber auch!“
„Sie ist ja auch ein Treasure Hunter, und außerdem auch viel älter als du.“ Kioko fuchtelte vor
Néko´s Gesicht herum, was diese ziemlich störte. „So gefährlich ist das doch nicht. Wir gehen
ja nur nach Südvietnam zu...“ „Das ist egal. Tama bleibt hier. Es ist viel zu gefährlich.“ Kioko
stand auf und verließ den Raum. „Mensch, ist das gemein.“ Tama hatte ihren Kopf auf den
Händen auf gestützt und ärgerte sich, wieder einmal. Néko nickte verständnisvoll und sammelte
die Papiere ihres neuen Auftrages ein. Die Beiden saßen im Wohnzimmer der Tanakas und
hatten gerade eine Reisebesprechung hinter sich. Wie immer wollte Tama mit Néko mitfahren
und wie üblich war Kioko dagegen gewesen. „Langsam ärgert mich das. So jung bin ich nun
auch wieder nicht. Als ob du so viel älter bist.“ Tama war aufgestanden und wanderte an das
Fenster. Vom Wohnzimmer aus war das Museum zu sehen. „Na, was soll´ s. Mama wird
mich auch nicht ewig davon abhalten können. Gehen wir ins Museum rüber?“ Tama war die
Enttäuschung satt und hatte nun Lust auf eine kleine Wasserjagd. „Gut, warte nur mal kurz...“
Umständlich stopfte Néko die Dokumente in ihre Mappe und sah sich dabei die Bilder an.
Ihr neues Ziel war ein heiliger Turm des Champa- Reiches aus dem frühen 6. Jahrhundert.
Die Luftaufnahmen des Turmes waren nicht gerade das, was man gut nannte, doch man
erkannte das meiste des Gebietes und die Lage des Turmes. So gefährlich sah das Ganze
gar nicht aus. Sie verstaute die Mappe in ihrem Rucksack, welcher unter dem Tisch gelegen
hatte und folgte Tama anschließend in den Keller. Dort gab es einige Gänge und Lagerräume,
welche das Museum unterirdisch mit dem Haus der Tanakas verband. Die ganze Anlage mit
dem Museum war schon recht kompliziert aufgebaut. Es gab, vor allem in den unterirdischen
Stockwerken, reichlich Gänge, Lagerhallen und ungenützte Räume. Man konnte sich ziemlich
gut verirren, wenn man sich nicht dort unten auskannte. Das hatte auch Néko schon einige
Male zu spüren bekommen, vor allem als sie die Tanakas gerade erst kennen gelernt hatte
und mit Tama oft im Keller verstecken spielte. Am liebsten verirrte sie sich ja im zweiten
Kellergeschoss, dort wo die Lagerhallen mit den alten Ausstellungsstücken waren. Nach
dem dritten oder vierten Mal hatte sie dann von Arashi einen genauen Plan des Kellers
bekommen. Seitdem fand sie sich eigentlich ganz gut im Untergrund des Museums zurecht.
Die Wasserjagd war so ziemlich das Lieblingsspiel von Tama und Néko. Verbotenerweise
auch oft in den Ausstellungsräumen des Museums. Tama und Néko hatten den ersten Keller
unter dem Museum erreicht und begaben sich zielstrebig zu einer der vielen verschlossenen
Kisten. Tama hob die ersten Vier herunter und Néko fischte unter diesen nach einem
Schlüssel. Sie hatten in einer der Kisten ihre Wasserspritzpistolen versteckt und suchten
jetzt danach. Endlich fanden sie die Spielzeuge in der letzten Kiste und prüften den
Wasserstand. Dann trennten sie sich. Néko schlich sich nach oben in die Eingangshalle.
Durch das hintere Büro erreichte sie die Halle mit der großen Marmortreppe und hielt sich
hinter einigen Statuen versteckt. Da es Sonntag war fanden keine Führungen statt und das
Museum war geschlossen. In der Ferne hörte sie Kioko in ihrem Büro auf dem Laptop
schreiben. Das Klappern der Tasten war in der Halle besonders laut zu hören. Langsam
schlich sie sich über die Treppe hinauf in den ersten Stock. Sie musste höllisch aufpassen,
es konnte leicht sein das Tama irgendwo auftauchte und sie naß spritzte. Und das wollte
Néko natürlich nicht. Über die Treppe erreichte sie die griechische Abteilung. Hinter all
den Statuen der griechischen Mythologie konnte man sich gut verstecken. Vorsorglich
ging sie hinter einer Rekonstruktion der Akropolis in Deckung und blickte durch die Säulen
des Parthenon- Tempels in Richtung Eingang. Plötzlich hörte sie draußen näherkommende
Schritte. Wissend nickte Néko mit dem Kopf. Tama war allzu leicht zu durchschauen.
Langsam erhob sie sich und behielt die Tür im Auge. Da schlich sie auch schon an dem
Eingang vorbei. Mit einem lauten Schrei stürzte sie Néko zu Tama und diese erhob reflexartig
die Wasserpistole. „Ihhhh! Ist das kalt!“ Tama schüttelte sich, machte kehrt und stürzte Richtung
Treppe. Laut lachend war Néko ihr auf den Fersen und versuchte sie noch mal mit dem Wasser
zu treffen. Inzwischen hatten sie die Dinosaurierabteilung erreicht und umkreisten das Skelett
eines Allosaurus. Ziemlich flink brachte sich Tama hinter einem riesigen Schaukasten mit einigen
Coelophysis Modellen in Sicherheit. Néko zog sich in eine Fensterecke zurück und verbarg
sich hinter dem roten Vorhang. Bei dem Schaukasten blieb alles ruhig. Nach einem kurzen
Augenblick fasste sich Néko ein Herz und stürzte auf die Vitrine los. Tama hatte ihren
Angriff gehört und war in die entgegengesetzte Richtung gesprungen. Beinahe gleichzeitig
erreichten sie die Ecken des Glaskastens und ließen eine kleine Wasserfontäne los. Im
selben Moment wurden die Beiden fast zu Tode erschreckt. Zwischen ihnen stand, etwas
nass und leicht verärgert, Arashi und erwischte Beide ziemlich unsanft am Kragen. „Ich
wusste doch das ich euch hier gesehen hatte! Was fällt euch eigentlich ein? Hier, bei den
unbezahlbaren Artefakten der Urzeit? Nicht auszudenken wenn etwas beschädigt wird...
Fürchterlich! Los jetzt bewegt euch!“ Tama und Néko versuchten vergebens sich aus Arashis
Griff zu befreien. „Was für eine Strafe wollt ihr dieses Mal? Wieder mal Hausarrest? Oder
nein... Da fällt mir was besseres ein.“ Arashi zog die beiden Unruhestifter durch den Keller
in das Haus zurück. Tama und Néko ahnten fürchterliches als er sie schließlich in den ersten
Stock schleppte. Vor der Badezimmertüre blieb er dann endlich stehen. „So, meine Liebsten.
Ihr werdet jetzt das Bad gründlichst schrubben. Und zwar mit einem dieser kleinen
Küchenschwämmchen.“ „Ja aber... da brauchen wir ja ewig...“ „Das hättet ihr euch früher
überlegen sollen.“ Mit einem fiesen Grinsen schob er die Zwei in das Bad und schloss die
Tür. „Schon wieder...“ Routine mäßig kramte Tama in einem der Schränke nach den
Schwämmen und reicht einen an Néko. Inzwischen waren sie solche Strafen schon gewöhnt.
Nur hatten sie, bis jetzt, meistens nur die Küche putzen müssen. Das Bad war was neues.
Doch trotz aller Routine hatte es die Strafe in sich. Das Badezimmer war nämlich alles
andere als klein. „Himmel... das sind sicherlich 20qm. Wofür braucht man so ein riesiges
Gemeinschaftsbad... da ist ja ein Onsén noch klein dagegen.“ Néko war nicht gerade begeistert
und auch Tama schüttelte den Kopf. „Na ja, wenigstens unseren Gästen gefällt es.“ „Vielleicht
sollten wir mal brav werden.“ „Es macht aber so viel Spaß. Draußen ist die Jagd nicht so lustig.
Hier kann man sich besser verstecken.“ Seufzend betrachtete Néko erst ihr kleines
Schwämmchen und dann den Raum. Neben dem Boden war vor allem die Badewanne ein
riesiges Stück Arbeit. Diese war nämlich eine Sonderanfertigung und hatte zwei `Stockwerke´.
Die Wanne ähnelte eigentlich mehr einem Springbrunnen. Der obere Zuber war für Frauen,
der untere für Männer. Ein sehr interessantes Werk. Schweigend machten sich die Beiden
an die Arbeit.
Tama war ziemlich verärgert und lief in ihrem Zimmer auf und ab. Sie und Néko waren vor
knapp 2 Stunden mit ihrer Strafarbeit fertig geworden und hatten dann nochmals mit Kioko
gesprochen. Leider war diese wieder mal unerbittlich gewesen und hatte ihr die Reise verboten.
Dabei würde diese Expedition sicherlich nicht sehr gefährlich werden. Néko´s Auftrag war es
lediglich das Gebiet um den Turm abzusuchen und einige Gesteinsproben für Kiíchigo zu
sammeln. Klang doch ganz simpel. Und eine Nacht in einem Zeltlager würde doch auch kein
Problem darstellen. „Einfach nichts zu machen.“ Tama schüttelte ihren Kopf und ließ sich auf
ihr Himmelbett fallen. Das große Zimmer war ziemlich kitschig eingerichtet. Tama sammelte
alle möglichen Stofftiere und hatte einen Faible für bunte Schleifchen und Maschen. Hana drehte
sich bei dem Anblick immer der Magen um. Sie hatte für solche kindischen Sachen nicht viel
übrig. Auch Néko´s Stil war nichts für Hana und Tama. Sie hatte ihr kleines Häuschen in einer
Art Jugendstil eingerichtet. Mit vielen eisernen Gegenständen, Kerzen und schregem Zeugs.
Typisch Néko eben. Jedenfalls hatte Tama ihr Zimmer am liebsten. Tama hatte sich inzwischen
wieder erhoben und wanderte zur Balkontüre, öffnete sie und schaute hinaus in die Nacht. Ein
plötzliches Rascheln ließ sie zurückschrecken. Hinter der Balkonbrüstung bewegten sich die
obersten Zweige der Kirschbäume und eine Gestalt sprang zu Tama auf den Balkon. „Ihhh!
Hilfe!“ Tama war zurück gesprungen, stolperte und landete ziemlich unsanft in der Tür. Die
Gestalt war ungeschickt auf dem Geländer gelandet und hing nun an einem der Pfosten. „Sei
endlich still! Hilf´ mir lieber- ich falle gleich!“ Tama erhob sich und trat an das Geländer. Es
war wirklich Néko, die da am Balkon hing. Bei dem Anblick musste Tama lachen. „Hehe, wir
haben unten auch eine Tür. Was willst du denn da?“ Sie half Néko auf den sicheren Boden zu
kommen und kicherte immer noch. „Das ist nicht komisch. Wie sollte ich sonst ungesehen zu
dir kommen?“ Néko schüttelte skeptisch den Kopf. „Wieso ungesehen? Was machst du da
eigentlich?“ Néko war in Tamas Zimmer und an ihren Schrank getreten und zog einige Sachen
heraus. „Na was wohl. Du kommst dieses Mal mit. Los schreib eine Nachricht für Kioko. Wir
treffen uns morgen früh um Sieben am Flughafen mit Taro.“ „Mit Taro- san? Klar komme ich mit,
warte...“ Tama war zu ihrem Schreibtisch gesprungen und fischte nach einem Blatt Papier in ihrer
Tasche. „Dachte ich mir. Und wenn wir in Bin Dinh sind rufen wir auch an und beichten alles.“
„Mhm und als Strafe dürfen wir sicherlich das ganze Museum mit unseren Zahnbürsten schrubben.“
Tama kicherte wieder. „Ach was soll´s.“ Néko hatte Tamas Rucksack fertig gepackt und warf ihn
zu ihr. „Schon zu Ende geschrieben? Sag einfach es war meine Idee.“ „War es ja auch.“ Die
Beiden hetzten zum Balkon und starrten hinunter. „Und da willst du runter? Ohne mich. So einen
Fall überleben wir nicht.“ „Hach, du bist unmöglich.“ Eilig hastete sie in das Zimmer zurück und
zog schnell Tamas buntes Bettlaken ab. „Hey, das ist frisch gewaschen! Mama wird toben wenn
sie das sieht.“ „Willst du also doch runterspringen, oder über den Baum klettern?“ „Nein, ist ja
schließlich auch der 2. Stock! Ich meine ja nur... das frische Bettuch.“ Néko hatte das Laken
um eine der Balkonsäulen gebunden und sprang daran hinunter. Tama zuckte mit den Schultern,
warf sich ihren Rucksack um und ergriff die Bettwäsche. „Na dann mal los. Das Abenteuer ruft!“