Neko Ichigo
Es war ein schöner, heller Tag und der Ozean glitzerte azurblau in der Sonne. Die Stille
wurde jäh durch ein lauter werdendes Schwirren unterbrochen und aus der Ferne näherte sich
ein Helikopter. Schon von weitem erkannte man die roten Buchstaben „SCAP“ an der Seite
des Fluggerätes. Es handelte sich um einen kleinen Reisehelikopter der Firma „Silver City Air
Project“. An Bord befand sich eine kleine Reisegruppe aus Okinawa.
„Und wenn sie nun bitte geradeaus blicken, können sie jetzt jeden Moment Silver City am
Horizont erkennen.“ Die Reiseleiterin deutete nach draußen und die Gäste folgten brav ihren
Anweisungen. Schon erkannte man deutlich die beiden hohen Türme der Anlage. „Silver
City- der ganze Stolz unserer besten Architekten. Eine völlig autarke Stadt, welche schon
nach nur 15 Jahren Bauzeit völlig fertiggestellt wurde.“ Die Reisegruppe starrte gebannt aus
den Fenstern des Helikopters und einige kleine Kinder deuteten mit den Händen auf die
näherkommende Stadt. „Wir werden in 10 Minuten auf dem SC- Kuko landen und
anschließend haben sie die Möglichkeit sich die neun Kuiki alleine anzusehen. Zu Empfehlen
ist vor allem ein Besuch in einem der 3 Museen der Atamashima. Das berühmte Silver City
Museum dürfte ihnen wohl allen ein Begriff sein.“
Die zwei Türme der Stadt erhoben sich majestätisch in den blauen Himmel und die Gebäude
glitzerten in der Sonne. Wenn man auf die Anlage blickte, wurde einem sofort klar woher der
Name wohl sein musste. Die Stadt sah aus, als würde sie wirklich aus Silber bestehen.
Die Atamashima war die Hauptinsel der Stadt und, sozusagen, das Herz der Anlage. Auf ihr
gab es, wie schon erwähnt, 3 Museen. Das Berühmteste war das Silver City Museum, welches
auch unter dem Namen „Tanaka Museum“ bekannt war. Dieses lag im westlichen Teil der
Atamashima und stand im Privatbesitz der Familie Tanaka.
Die Haupthalle des Museums war weitgehend leer. Zur Zeit fanden nämlich einige Führungen
statt und die Leute liefen in kleinen Gruppen umher. Die Besitzerin, Kioko Tanaka, stand mit
Bara und Zákuro Hikishio am Fuß der großen Marmortreppe und unterhielt sich mit ihnen.
Deren Tochter Hana saß derweilen gelangweilt auf der Treppe, hatte die Hände auf den Knien
abgestützt und lauschte. „Kioko, du weißt das diese Ruinenanlage erst vor kurzem entdeckt
wurde. Es wird nicht mehr lange dauern und die Öffentlichkeit wird es erfahren. Es ist wichtig
das mögliche Artefakte von uns gefunden werden, bevor die privaten Sammler ihre Leute
losschicken.“ Kioko nickte wissend und kramte in ihren Unterlagen. „Ich bin mir darüber im
klaren. Es sind auch schon einige Informationen zu den Treasure Hunters durchgedrungen.
Das weiß ich aus sicherer Quelle. Aber das ist kein Grund zur Sorge. Unsere beste
Mitarbeiterin befindet sich bereits in den brasilianischen Hochebenen.“ Zákuro nickte. „Wir
haben natürlich vollstes Vertrauen in deine Mitarbeiter. Das weißt du doch, wir wollen nur
sicher gehen.“ Bara deutete auf das neueste Museumsplakat, welches sich an der
Informationswand befand und bald eine neue Ausstellung versprach. „Es ist wichtig, dass
dieses Museum seinen Standpunkt behält, wir haben zwar bis jetzt noch nie eine
Enttäuschung erlebt, aber wir müssen trotzdem vorsichtig sein.“
„He, mir ist fad. Ist Tama heute da?“ Hana hatte sich von der Treppe erhoben und spähte
durch eines der großen Museumsfenster zum Haus der Tanakas hinüber. Natürlich konnte sie
rein gar nichts erkennen, das Anwesen lag einfach zu weit weg. Hoffnungslos ließ sie sich
wieder auf die Stufen sinken. Verneinend schüttelte Tamas Mutter den Kopf. „Bedaure, sie ist
mit ihren Freundinnen Kinomi und Mikan irgendwo auf der Daitokai #2, soviel ich weiß. Am
besten du suchst Arashi und fragst ihn mal, er weiß wo sie hingegangen sind.“ Gelangweilt
verzog Hana das Gesicht. „Ich kann Mikan nicht leiden. Falls ihr mich sucht, ich bin oben in
der Photographie Abteilung.“ Damit erhob sie sich wieder und hastete schnell die Treppe
nach oben. Kioko wandte sich wieder an Hanas Eltern. „Wo waren wir? Jedenfalls kann ich
meinen Mitarbeitern vollstes Vertrauen schenken.“ Aus ihren Unterlagen zog sie einige
Luftaufnahmen des besagten Gebietes. „Es ist schwer, von unten etwas zu erkennen. Es war
reiner Zufall, dass dieses Ruinenfeld überhaupt entdeckt wurde, dass war nur aus der Luft
möglich... Hier ist ein Eingang zu sehen...“ Kioko deutete auf eine, mit einem rotem Kreis
markierte, Stelle auf der Karte. „Das ist auch von oben kaum zu erkennen. Die kleine Ichigo
weiß doch was sie tut, oder?“ Bará hatte die Karte an sich genommen und hielt sie Zákuro vor
die Nase. Kioko nickte mit dem Kopf. „Natürlich! Sie ist doch ein Profi.“
„So, ich bin gerade von rechts durch diesen Durchgang gekrochen... das war dann hier
irgendwo...“ Eifrigst studierte Néko ihre Satellitenkarte und versuchte mit der kleinen
Taschenlampe, welche sie in ihrem Mund hielt, die dunkle Höhle auszuleuchten. Sie schien
ziemlich groß zu sein, die Seitenwände waren nicht zu erkennen. „Gut, ich gebe es zu, ich
habe mich verirrt! So was...“ verzweifelt ließ Néko ihre Hände über ihren Kopf hängen und
folgte ihnen mit ihrem Blick. Leider war es ihr nicht möglich den Boden auszumachen. Nach
einigen Momenten des Zögerns raffte sie sich endlich hoch und versuchte ihre Füße zu
erreichen. Dabei fiel ihr die Karte aus den Händen. „Mist!“ Natürlich war auch die Karte nicht
mehr zu sehen. „Ich sollte mich auf einen harten Fall einstellen...“ Néko hatte inzwischen
ihren rechten Fuß von den Schlingpflanzen, in denen sie sich verfangen hatte, befreit und
konnte nun endlich ihr kleines Messer aus dem Schuh holen.
Rumms... mit einem lauten knirschenden Geräusch landete Néko polternd auf einem
Knochenhaufen. „Ha- chou!“ Sie hatte eine Menge Staub aufgewirbelt und versuchte sich
wieder auf zu rappeln. Die Taschenlampe war neben den Knochen gelandet und rollte nun
durch die Höhle. Auch die Satellitenkarte war wieder griffbereit und Néko stopfte sie
unachtsam in ihren kleinen Rucksack. Die Karte zeigte ja nur den ersten Keller des Tempels,
dass es hier noch eine weitere Ebene gab, war noch nicht bekannt. Doch dank ihrer
„Geschicklichkeit“ war sie durch ein Loch im Boden gefallen und an der Decke der Höhle, in
einigen Pflanzen, hängen geblieben. Vorsichtig näherte sie sich der Lampe. Man konnte ja nie
wissen und noch so einen tiefen Einsturz wollte sie nicht mehr riskieren. Der Boden schien
ziemlich stabil zu sein und die Lampe war inzwischen an der Höhlenwand angekommen.
„Ist ja interessant... das gehört noch zu dem Tempel dazu...“ An der Wand waren einige
Schriftzeichen zu erkennen. Aus ihrem Rucksack zog sie ihren Universal- Übersetzer. Mit der
Taschenlampe wieder im Mund beleuchtete sie die Zeichen der Wand und fuhr mit dem
Scanner des Übersetzers darüber. Das Gerät blinkte und Néko schüttelte ihren Kopf. „Hätte
ich mir gleich denken können. Unübersetzbar. Jedenfalls für das Ding da.“ Hastig verpackte
sie den Übersetzer wieder in ihrem Rucksack und leuchtete anschließend die Höhlenwände
ab. An der rechten Seite war ein kleiner Gang zu erkennen. Neugierig wie sie nun mal war,
folgte Néko dem Weg. Einige der Spinnweben glitzerten im Schein der Lampe und gaben
dem Ganzen den Schein eines alten Horrorfilmes. Vorsichtig tastete sie sich voran, was sie
nämlich am allermeisten hasste waren diese ekeligen, 8- beinigen Spinnen. Natürlich
krabbelten diese Monster hier wieder massenweise herum. Néko lief ein eisiger Schauder über
den Rücken und sie musste sich schütteln. „Buääääh!“ Zu allem Überfluss wurde auch der
finstere Gang immer enger, so dass sie inzwischen auf allen Vieren am Boden herum kroch.
Zum Glück war der Gang gleich zu Ende, ein leichter Lichtstrahl drang aus der Ferne in den
Pfad. Bedauerlicherweise endete der Gang in einem Anderen. Zwar etwas höher, aber gerade
Stehen konnte Néko immer noch nicht. „Was für ein Volk hat denn das hier gebaut? Wenn es
nicht gerade Zwerge oder Wichtel waren ist das hier vielleicht ein Lüftungsschacht...?“ Der
niedrige Weg erleichterte ihr vorankommen nicht gerade und natürlich hatte sie, bis jetzt,
immer noch nichts gefunden. Außerdem fragte sie sich von woher das Licht kam. Endlich
wurde die Höhle wieder größer. Das Licht war inzwischen schon so stark, dass Néko die
Taschenlampe wegstecken konnte. Auf der linken Seite war eine Steintüre zu erkennen.
Forschend tippte Néko mit ihrem Taschenmesser gegen den porösen Stein. Nichts rührte sich.
Nach einigen heftigen Fußtritten gab er dann aber doch nach und Néko schlüpfte durch die
Öffnung. „IIIIh!“ Prompt war sie in ein riesiges Spinnennetz geraten. Mit einer besonders
hässlichen Spinne in ihrem Gesicht. „WEG!!! WEG!!! IIIIH!!!“ Heftig wedelte Néko mit
ihren Händen vor der Spinne herum, bis diese endlich davon huschte. Einem Herzinfarkt nahe
schnappte Néko nach Luft und versuchte das Netz aus ihrem Gesicht zu bekommen, wobei sie
sich ziemlich geschickt umdrehte und in die Höhlenwand krachte. „Aua...“ Vorsichtig
wischte sie sich den Staub von der Nase und zupfte die restlichen Spinnweben von ihren
Ohren und aus ihren Haaren. „Das hat weh getan...“
Langsam vergaß Néko ihren Schmerz und begann sich in der neuen Höhle umzusehen. Der
Raum war ein wenig größer als der vorige und enthielt einige Tongefäße. „Hässliche Dinger
und nichts drin... Kioko kann sich ja eine davon holen und ausstellen.“ Néko steckte
inzwischen bis zu den Hüften in einer der Vasen und musste wieder niesen.
Nachdem sie von den Gefäßen genug hatte wurde ihre Aufmerksamkeit von einem großen
Wandrelief erregt. Teilweise war es schon ziemlich zerbröckelt und ein Teil lag auf dem
Boden. Das Relief zeigte 9 Figuren, die in einem Kreis um eine 10. Figur angeordnet waren.
Die zentrale Figur stach besonders ins Auge. Sie war vermutlich mal mit Gold überzogen
worden und glitzerte immer noch ziemlich. Achtsam strich Néko mit ihren Fingern über die
Figur. Mit einem leichten Fingerdruck ließ sie sich in die Wand schieben. Mit einem lauten
Knarren öffnete sich ein versteckter Durchgang und einige Felsbrocken stürzten von der
Decke. Schnell flüchtete Néko durch den neuen Durchgang, der gleich hinter ihr wieder zu
fiel. „Himmel...“ Nach einem kurzen Aufatmen überblickte Néko den Raum. „WOW!“
Der „Raum“ war eher eine Halle und ganz in goldenes Licht getaucht. Das Licht kam von der
Decke, genauer von einer Fensterreihe unter der Decke. Es hatte den Anschein, dass sich
hinter den gläsernen Fenstern Wasser befand. An den Wänden waren Statuen und Säulen in
den Stein gemeißelt worden, welche nun, genau wie die Fenster, über und über mit
Schlingpflanzen bedeckt waren. „Das muß man doch von draußen entdecken können... Schon
alleine diese Fenster.“ Néko´s Blick traf auf einen Altar in der Mitte der Halle. Eine breite
Steintreppe führte zu seiner Spitze und an allen vier Seiten standen kleine Statuen von
zyklopenähnlichen Zwergen mit jeweils einem Auge und einem Horn auf dem Kopf.
Irgendetwas glitzerte oben unter einigem Grünzeugs. Beschwingt stürzte Néko darauf zu
und ergriff... eine Hand.
„Iiiah! Wa..?“ Néko starrte in ein ebenso erschrockenes Männergesicht.
„He du, weg da.“ Der Typ versuchte unter Néko´s Händen an die kleine, goldene Statue zu
kommen. „Nix da, das ist meins!“ Energisch klopfte Néko auf seine Hände und klammerte
sich an die Statue. Natürlich störte das den Fremdling nicht und er zog die Skulptur, inklusive
Néko, über den Altar, so das diese unsanft auf den Boden krachte. „Lass das los! Das ist
nichts für kleine Kinder!“ Mit einem lauten Knacken löste sich der obere Teil der Figur von
dem Unteren und der Typ fiel vor Néko´s Füße, die ja noch vor dem Altar am Boden lag und
die Statue umklammerte. „Ich bin kein kleines Kind! Ich bin ein Treasure Hunter! Und dieses
Relikt ist meines!“ Energisch verteidigte sie ihren Teil der Statue gegen seine Hände. „Du, ein
Treasure Hunter? Das ich nicht lache! Lass´ das los!“ Die Beiden hatten sich inzwischen
erhoben und versuchten einander die Statuenteile abzunehmen. Ziemlich ungeschickt
stolperten sie über die letzte Steinstufe das Altares und landeten, ziemlich unsanft, vor einer
der Steinskulpturen. Plötzlich ließ sie ein leises Knirschen aufhorchen. „Was...?“ Langsam
drehten sich die 4 Steinstatuen zu ihnen um. „Das bedeutet gar nichts Gutes.“ Noch bevor
Néko reagieren konnte, hatte der Typ schon ihre Hand erwischt und sie mit sich gezogen. Und
das keinen Moment zu spät. Eine gigantische Feuersbrunst raste aus den Steingolems auf die
Flüchtenden zu. „Verflucht! Kannst du nicht schneller rennen?“ Energisch hatte er Néko
gepackt und sich über die Schulter geworfen. „He!!! Spinnst du? Das tat weh!!!“ Zur Strafe
zog sie heftig an dem langen Zopf ihres Rivalen. „Aua! He laß´ das, oder soll ich dich wieder
runterwerfen?“ Unterwürfig ließ Néko den Zopf los. Er hatte ja recht, auch wenn sie es nicht
gerne zugab. Im hinteren Teil der Halle erreichten sie schließlich eine weitere Türe. Das
Feuer hatte sie, bis jetzt, noch nicht erwischt, doch hatten die Golems noch nicht mit dem
Angriff aufgehört. Polternd krachten einige Felsbrocken von der Decke und mit einem Mal
war alles still. Unsanft ließ der Typ Néko auf den Boden fallen und blickte sich um. „Das ist
seltsam...“ „Psssscht! Sei mal still... Hörst du das?“ Sie hatte den Zeigefinger drohend
erhoben und blickte zur Decke. Ein leises Knacken unterbrach die Stille. Blitzartig erkannten
die Beiden die Ursache dafür. Ein kleiner Riss in einem Fenster verbreitete sich ziemlich
schnell über die ganze Fensterreihe. „Die ganze Höhle wird überflutet!!!“ „Los Raus hier!!!“
So schnell sie konnten rannten die Beiden den kleinen Gang entlang. Plötzlich war ein lautes
Splittern zu hören und eine gigantische Wassermasse überflutete die Halle. Der kleine Gang
war voll mit heruntergestürztem Gestein und verhinderte ein rasches Laufen. „Verflucht! Hier
kommen wir nie heraus!“ Néko überlegte eifrigst, doch ihr Kopf war wie leer gefegt. „Los, da
ist der Ausgang, hier bin ich herein gekommen!“ Ihr Rivale deutete auf einen großen Felsen
inmitten des Ganges. Über Diesem baumelte ein Seil. Mit einem heftigen Ruck hatte der Typ
Néko wieder an der Hand gepackt, zog sie auf seinen Rücken und ergriff das Seil. Keine
Sekunde zu spät, denn das Wasser hatte inzwischen schon den Gang erreicht und schwemmte
einige größere Felsen mit sich.
Keuchend und halb durchnässt stiegen die Beiden durch ein Loch im Boden und ließen sich
erschöpft in das hohe Graß fallen. Unter ihnen hörte man noch das Dröhnen des Wassers.
Gierig blickte der Typ auf Néko´s Hände, mit denen sie immer noch ihren Teil des Artefaktes
umklammerte. „Wie wäre es? Gib mir doch das da als Dank für dein Leben!“ „Das glaubst du
wohl selbst nicht! Ich riskiere doch nicht mein Leben für nichts und wieder nichts!“
Energisch griffelten wieder Beide an dem Relikt herum. „Ich habe einen Auftrag! Das ist
wichtig für mich! Laß das!“ Néko klopfte dem Typ heftig auf die Finger. „Aua... Das ist gar
nicht nett von dir. Du solltest auf die Erwachsenen hören. Von wegen Auftrag. Du bist doch
viel zu jung für so einen harten Job.“ Kichernd rieb er sich die Finger, auf denen auch schon
einige Kratzspuren von Néko zu sehen waren. Beleidigt drehte sich diese um, murmelte
gehässige Worte und schmollte. Auch ihr Gegenspieler hielt es jetzt für besser zu schweigen
und schüttelte seinen Kopf. Diese Kleine konnte doch wirklich kein Treasure Hunter sein.
Vielleicht war sie ja mit einer Gruppe unterwegs gewesen? Man konnte ja nie wissen.
Leise raschelten die Blätter der Bäume im Wind. Die Hochebenen am Rande des Amazonas
Regenwaldes lagen unter dem Licht der untergehenden Sonne und färbten den Himmel über
dem Wald in ein geheimnisvolles Orange.
Das Artefakt in Néko´s Händen glitzerte in sämtlichen Regenbogenfarben. Genauer betrachtet
sah die kleine Statue schon ziemlich merkwürdig aus. Sie bestand aus mehreren Teilen, die
alle in unterschiedlichen Goldsorten gearbeitet waren. Das Blattgold glitzerte am meisten,
während das Weißgold nur matt schimmerte. Trotzdem, einen Ring in einem solchen
Weißgold... das wäre ein wirklich schönes Schmuckstück gewesen. Von der Form her, glich
die kleine Skulptur den großen, feuerspuckenden Steingolems aus der Höhle, wirkte aber
etwas unfertig, weil der Kopf fehlte. Dieser war vermutlich auch in einem anderen
Goldgemisch gestaltet worden. Ärgerlich schielte Néko zu ihrem Rivalen, der ja immer noch
den fehlenden Teil besaß. Vorahnungsvoll ergriff sie ihren, leicht durchnässten, Rucksack und
versteckte das Relikt darin. Kioko würde es eben so nehmen müssen und wenn sie noch etwas
aus der Höhle haben wollte, würde sie ihr wohl eine Taucherausrüstung besorgen müssen.
Kopfschüttelnd schwang sie den Rucksack über ihre Schulter und erhob sich.
„Wo willst du denn hin? Bis zum nächsten Dorf brauchst du mindestens 4 Stunden, in der
Nacht ist das ziemlich gefährlich.“ Der Typ musterte Néko neugierig. „Ich traue dir nicht zu,
dass du das Dorf lebend erreichst, du solltest lieber hier bleiben.“ Kichernd drehte er seine
nasse Jacke zusammen, damit das Wasser herauslief. Leicht genervt erhob sich Néko und
machte sich auf den Weg. „Glaub´ mir, ich kann auf mich aufpassen.“ „Ich meine das ernst,
es ist gefährlich, morgen in der Früh bringe ich dich in das nächste Dorf und...“ „Ja klar, und
in der Nacht verschwindest du mit meinem Artefakt!“ Néko hatte sich drohend zu ihm
umgedreht und umklammerte den Rucksack. „Ähm...“ vermutlich hatte sie mit ihrer Aussage
genau ins Schwarze getroffen. „Aha! Wusste ich´ s doch!“ Schnaubend begann sie damit
ihren Weg fortzusetzen. „Hey! Ich werde es dir nicht wegnehmen! Jetzt sei nicht so
engstirnig!“ Kopfschüttelnd erhob er sich und begann ihr zu folgen. Die Kleine war ziemlich
schnell und er hatte einige Schwierigkeiten ihr zu folgen. Gerade hüpfte sie, ihren Rucksack
wie eine Fahne schwenkend, über einen umgestürzten, mit Schlingpflanzen überwucherten
Baumstumpf. Vorsichtig kletterte auch er darüber und hielt nach der Kleinen Ausschau. Sie
war, wie vom Erdboden verschluckt, verschwunden.
„Hey! Wo bist du? Sag was!“ Suchend beobachtete er die Umgebung. Das war doch nicht
möglich, sie war doch keine 15m weit vor ihm gewesen! Auch am Boden war nichts zu sehen.
Keine Fußspuren, aber auch keine Löcher, durch die sie vielleicht hätte fallen können.
Kopfschüttelnd zuckte er mit den Schultern. „Na gut! Wenn du es so willst, das kannst du
haben!“ Damit lief er den Weg wieder zurück.
Néko blickte ihm zwielichtig hinterher. Mit ihrem Rucksack in den Händen saß sie, mit den
Beinen schaukelnd, hoch oben in einem der grünen Baumwipfel. Der Typ war hatte schon
recht sinister gewirkt, obwohl er eigentlich gar nicht mal so schlecht ausgesehen hatte. Solche
langen, schwarzen Haare hatten was.
Neben ihr hingen einige grell rote Blüten mit etwas dunkleren Beeren. Ärgerlich dachte sie an
ihren Proviant der, dank des Wassers, ziemlich durchnässt war und ließ den Kopf hängen. Sie
kannte diese Beeren nicht und hatte keine Lust an einer Vergiftung im Dschungel zu
krepieren. Also hieß es hungern. Morgen früh würde sie dann zum Dorf wandern. Die Sonne
hatte sich inzwischen hinter den Hügeln der Hochebene versteckt und der Himmel hatte sich
in ein leuchtend schönes dunkelrot verwandelt.
„Und wann bist du wieder da? Es ist ziemlich langweilig hier!“ Tama klang etwas verärgert.
Vermutlich weil sie wieder mal in Silver City versauerte, anstatt einer actiongeladenen und
interessanten Schatzsuche beizuwohnen. „Ich komme noch heute gegen Abend an. Der Flug
kommt später, wegen einem kleinen Regenausbruch, hier im Dschungel ja nichts Neues. Ich
hab´ auch was schönes gefunden, eine kleine goldene Sta...“ „ Jaja, Mama wird sich freuen.
Aber gestern war ich mit Kinomi und Mikan drüben auf der #2, und der Film den wir sehen
wollten ist endlich angelaufen. Gehen wir morgen?“ Tama liebte es Néko zu unterbrechen,
vor allem wenn sie viel zu erzählen hatte. Es war zwar meistens recht unwichtiges Zeugs, aber
immerhin genug um wieder los labern zu können. Sie interessierte sich auch nicht so sehr für
Relikte aus alten Kulturen. „Mal sehen, wenn ich wieder ausgeschlafen bin. Ich komme heute
Abend eh noch ins Museum, sag das Kioko, Okay?“ Mit einem Auge schielte Néko zur
Anzeigetafel des kleinen Flughafens. Ihr Flug nach Silver City hatte jetzt schon 2 Stunden
Verspätung, würde aber in der nächsten halben Stunde starten können. „Mache ich gleich und
bring mir was Schönes mit!“ Tama klang wieder etwas fröhlicher. „Sonst noch irgendwelche
Wünsche? Ich muß jetzt langsam los, also bis dann!“
Der Flughafen war nicht gerade groß und Geschäfte gab es hier auch keine die sich lohnen
würden. Sie könnte Tama ein kleines Strohkörbchen oder einen Hut mit Früchten drauf
kaufen. Dann hätte sie wenigstens während des Fluges was zum Essen. Flugzeugessen war
nämlich nicht gerade ihr Geschmack. Suchend schlenderte sie durch einen der kleinen Läden
und bestaunte die hiesigen Kunstwerke. Schnitzereien waren bei den Touristen anscheinend
ziemlich beliebt und auch Seidenstoffe. Davon gab es hier reichlich. Endlich hörte sie ihren
Flug durch den Lautsprecher und verließ den Laden. Ihr Rucksack war inzwischen schon
wieder getrocknet, was wegen der hohen Luftfeuchtigkeit sehr langsam von statten ging und
ihr Rücken schmerzte etwas. Eine weitere Nacht auf einem Baum würde sie sich so schnell
nicht wieder einreden lassen.
Inmitten einer Schar von Touristen drängelte sich Néko zu ihrem Flugsteig. Der Flug nach
Silver City schien relativ ausgebucht zu sein. „2. Klasse. Pah, Arashi ist mal wieder ziemlich
geizig gewesen.“ Sie war mit ihrem Flugticket nicht so ganz zufrieden. Aber es war besser als
3. oder, nicht auszudenken, 4. Klasse. Seufzend ließ sie sich in ihren Sitz fallen und rieb sich
die linke Schulter. Sie hatte sehr unbequem auf einem kleinen Ast gelegen.
„Hey! Du hast die Nacht im Dschungel überlebt! Freut mich, wäre schade um die Statue
gewesen.“ Verduzt blickte Néko auf ihren Nebenplatz und ihren schwarzhaarigen Rivalen.
„Was willst du den hier?“ „So freundlich? Dabei habe ich mir echt Sorgen um dich gemacht.
Du hättest die Nacht ruhig bei mir verbringen können, so kleine Kinder wie dich rühre ich
schon nicht an. “ Kichernd klopfte er ihr auf den Kopf und brachte ihre Haare durcheinander.
„Pah, hättest du wohl gerne. Und du hast dir Sorgen um das Artefakt gemacht, aber das
kriegst du nicht.“ Schmollend drehte sie sich zur Seite und ignorierte den lästigen Kerl.
„Du bist wirklich schlecht erzogen, weißt du das?“ Schweigen von Néko. „Na das wird aber ein
stiller Flug.“ Leise kichernd angelte er nach einem Buch aus seiner Reisetasche und begann
darin zu lesen. Néko starrte auf ihre Uhr. Die Zeit würde wieder mal extrem langsam
vergehen, aber sie hatte keine Lust mit ihrem Rivalen auch noch zu reden.
Müde und verspannt schlängelte sich Néko aus der überfüllten Untergrundbahn und trat
erleichtert auf die Straße. Die Gebäude der beiden Yagura- Türme ragten hoheitsvoll in den
abendlichen Himmel und spiegelten dessen rötlichen Ton wieder. Auf der Atamashima
herrschte die übliche Unruhe. Die meisten Menschen waren auf dem Heimweg und demnach
war auf den Hauptstraßen ziemlich viel los. Beim Museum dagegen war es ziemlich ruhig.
Einige Jugendliche hatten sich bei den Bänken im Park vor dem Museum versammelt und
schmiedeten vermutlich Pläne für den Rest des Tages. Gerade als Néko auf die erste Stufe der
steinernen Treppe des Museums trat, hörte sie hinter sich ein leises Kichern. „Ich habe das
Gefühl, dass du mich verfolgst. Kannst du das nicht unterlassen?“ Néko hatte sich ziemlich
ungeschickt umgedreht und stolperte über ihre eigen Füße- direkt in die Arme ihres
Gegenspielers. Dieser kicherte nur noch lauter, erwischte sie unsanft und hob sie hoch. „Du
bist ein Tollpatsch Kleine und keine Angst, ich verfolge dich nicht. Ich hab hier was zu
erledigen.“ „Lass mich runter, ich kann alleine gehen!“ Heftig zog sie an seinen Ohren. „Aua,
lass das, und das du selber gehen kannst habe ich ja gerade gesehen.“ Weil er sie ja doch nicht
runter ließ gab Néko genervt auf und ließ sich von ihm in das Museum tragen.
Arashi und Kioko kamen gerade mit Zákuro und Bará aus dem Hauptbüro in die große Halle
und blickten etwas erstaunt auf Néko und ihren Begleiter. „Na, ihr Beiden werdet noch gut
zusammen arbeiten. Ihr habt euch wohl schon kennen gelernt.“ Kioko kicherte. „Das war
nicht meine Idee. Was heißt hier zusammen arbeiten?“ Néko hatte sich inzwischen wieder am
Boden eingefunden und ahnte fürchterliches. Zákuro trat vor sie und deutete auf ihren
grinsenden Rivalen. „Darf ich vorstellen: Raion Taro, ein Treasure Hunter und dein neuer
Partner.“ „Bäh.“ Reflexartig hatte Néko ihm die Zunge heraus gestreckt und erntete dafür
einen unsanften Klaps auf den Kopf. „Aua...“ Arashi lächelte. „Jaja, die Beiden verstehen
sich wirklich gut. Das wird schon noch werden.“