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A Heart Of Darkness

Chroniken einer Jüngerin des Set
von

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I Nacht: Neue Spieler betreten das Feld

Und dies Geschöpf der Finsternis erkenn ich

Für meines an.
 

Prospero, Shakespeare, Der Sturm
 


 

I Nacht: Neue Spieler betreten das Feld
 

Naomie Fontaine erwachte nur langsam, als käme sie aus tiefer Schwärze hinauf ans Licht. Die Lethargie fiel von ihr ab, und sie spürte, wie sich das letzte Licht des Tages zurückzog. Sie fragte sie nur kurz, ob sich das Gesicht der Sonne in dem Jahrhundert, seit sie mit dem Fluch belegt worden war, wohl verändert haben mochte. Sie fragte sich, ob Set vor Ras Glanz floh, während er in die Unterwelt reiste, oder ob der tote Gott durch den Fluch dazu verdammt war, Nacht für Nacht die Barke seines Großvaters anzugreifen. Vielleicht schlief Set aber so, wie Naomie es auch tat, und kämpfte im Land der Lebenden gegen den Fluch.

Naomie, Kind neunten Grades von Set, Sohn von Geb, Sohn von Ra, regte sich in ihrer Kammer. In der Decke verborgene Lampen leuchteten bei ihrer ersten Bewegung schwach auf und auf den verzierten Wänden warfen sie tiefe Schatten, flache Reliefs traten Skulpturen gleich hervor. Nur kurz glitten die grünen Augen der Nachfahrin Sets über die myraden von Hieroglyphen die sich über den glatten Stein zogen und sie strich mit den kühlen Fingerspitzen über die eingemeißelten Tiefen, dann wandte sie sich zu den schmalen Umrissen einer Tür. “Johanson”, rief Naomie in die relative Dunkelheit. Ein Jahrzehnte eingeübter Rhythmus lies einen Mann mittleren Alters als dunkle Silhouette im Rahmen auftauchen. “Guten Abend, Miss Fontaine. Geoffrey Chrysler von Lost Translations hat ihnen neue Dokumente gefaxt. Er meinte es eilt.” Die schlanke, hochgewachsene Frau trat an Johanson vorbei die Stufen hinauf, die sie in den tatsächlichen Wohnbereich der eleganten, aber schlicht eingerichteten Wohnung führten. Brauner Sandstein wurde zu dunklem Marmor, aber die Beleuchtung blieb spärlich. “Ich kümmere mich darum. Vermutlich werde ich Sie später noch einmal brauchen.. Ich gedenke dem Blue Haven einen kurzen Besuch abzustatten.” informierte sie den Mann, der weder ihr Ghul noch ihr Diener war und ihr doch jeden Wunsch von den Lippen ablas. Naomie verlies ihr Schlafgemach und ging auf direktem Weg durch das Wohnzimmer zum Bad, wo ihr in einem großen Spiegel eine schlicht schöne Frau mit haselnussbrauner Haut und kupferrotem Haar ernst entgegensah. Sie legte nicht wirklich viel Wert auf ein überdurchschnittliches Aussehen, solange es nur korrekt war, denn korrekt war sie durch und durch. Johanson deutete ein dezentes Nicken an und verbarg seine Verwunderung gekonnt - er erinnerte sich nur noch schwach daran, wann Naomie ihr Haus das letzte mal verlassen hatte, um eine Einrichtung wie das Haven zu besuchen. Dort hielten sich weder die Leute auf, die die Setitin schätzte, noch spielten sie die Musik, die sie bevorzugte und am allerwenigsten gab man ihr dort die Ruhe, die sie voraussetzte. Er betrat die Küche und öffnete den linken der zwei Kühlschränke, um sich eine kalte Cola gegen seine Müdigkeit zu gönnen. An wenig Schlaf, gepaart mit einem überaus ungesunden Rhythmus, hatte er sich in den vielen Jahren, die er nun schon mit Naomie verbrachte nur widerwillig gewöhnt. Halb leergetrunken stellte er die Dose auf den Tisch und griff nach den Autoschlüsseln, die er in einer Schublade aufbewahrte und machte sich zur Hintertüre auf, die direkt in die Garage führte, aber schon halb durch die Türe hielt er inne, ging zurück und entsorgte das Metall und die braune Flüssigkeit darin fachgerecht. Nachdem alles wieder stand, wo es sollte, trat er in die Garage zu der eleganten Limousine und dem Sportwagen, entschied sich für erstere und lies sich hinter das Steuer sinken. Naomie lies nicht lange auf sich warten, wie gewohnt allein in weiß gekleidet und nur abgerundet durch dezente dunkle Accessoires. Sie nahm auf den Rücksitzen aus weichem Leder platz, bettete einen schwarzen Aktenkoffer neben sich und überschlug die Beine, während hinter ihr nahezu lautlos das schwere Garagentor hochfuhr.

Johansons Fahrstil war gemäßigt, aber sicher, während er sich durch die modernisierteren Straßen Atlantas aus dem Univiertel gen Stadtmitte schlängelte, wo das ‘hippere’ der beiden Elysien jede Nacht die Kainiten anlockte. Keine Viertelstunde später spiegelten sich die blauen Lichter aus den Neonröhren auf dem glatten Schwarz der Limousine. Vor dem Eingang tummelten sich partybereite Menschen, lachten und stritten mit Türstehern. “Scheint heute recht voll zu sein.” bemerkte Johanson, aber Naomie hob nichteinmal die Augen von den vergilbten Papieren, die in dem geöffneten Koffer vor ihr lagen, als sie mit dunkler Stimme nur ruhig erwiderte “Nur im oberen Bereich.. Selbst unter der Woche scheinen die Sterblichen keine Ruhe zu geben.” Sie ordnete Papiere, hielt dann inne und blickte in den Rückspiegel. “Ich bin dankbar, dass es auch Ausnahmen gibt.” meinte sie leiser, ehe sie kühl die Wimpern senkte und ihre Aufmerksamkeit wieder den Schriftstücken widmete. Johanson kommentierte es nur mit einem wissenden Lächeln, dass sie sicher nicht mehr sehen konnte. Vermutlich kannte er sie besser, als sie sich selber. Er fuhr ein Stück die Straße hinab und parkte den Wagen in der Garage der Diskothek, wo Naomie ihn verlies und sich die Stufen hinauf begab, die sie ins Innere führten. Die Tanzfläche, auf der sich hunderte Leiber tummelten die ekstatisch zu New Wave Musik bewegten, lies sie achtlos links liegen und trat an eine Treppensteige, die eine Etage tiefer führte und von einem weitern Securityman bewacht wurde, der sie aber kommentarlos hinab lies. Sie betrat eine Welt unter der Welt und wurde dabei sehr genau beobachtet..
 


 

Das Licht war gedämpfter und die Musik einen Hauch leiser, so dass man das Auftreten ihrer hohen Hacken beinahe hören konnte. Die eine Hand am Geländer hielt sie am Absatz und lies ihren Blick über das dämmrige Etablissement und die noch wenigen Anwesenden schweifen. Das Gefühl hier war ein anderes, als das was man oben bekam. Hier wurde jeder gesehen, ob er wollte oder nicht, er stand immer unter der Observation derer, die auf einer Erhöhung den V.I.P. Bereich genossen - die Ahnen und Führer der Stadt. An den Tischen für die weniger wichtigen sah sie nur wenige, aber die Nacht war auch noch zu jung, als das es hier unten voll sein konnte. Ein blauhaariger Punk unterhielt sich wenig angeregt mit einem Mann jüngeren Alters, dessen schwarzes Haar leicht grau meliert war und über seine Jungend hinwegtäuschte, hinter der Theke stand -schon seid Jahrzehnten- der kaum auffällige Kainit Jackson und in diversen Ecken saßen Fremde, deren Gesicht man schon mal gesehen hatte, aber immer noch nicht wusste, wer sie eigentlich waren. Naomie trat die Stufen hinab, erwählte einen leeren Tisch in der hinteren Ecke und lies sich dort in einen der doch komfortablen Stühle sinken. In den letzten Tagen hatte sie sich seltsam beobachtet und unruhig gefühlt, was überhaupt der Grund dafür war, dass sie heute nach langer Zeit mal wieder ihr sicheres Heim verlassen hatte. Sie begann, sich wieder mit ihren Unterlagen zu beschäftigen, nachdem Jackson ihr ein Glas, gefüllt mit kostbarer Vitae auf die Tischmitte gestellt hatte. ~he hellenike glottal~ murmelte sie leise, mit einem tiefen Akzent in der samtenen Stimme und machte eine kleine Symbolik an den Rand des Pergamentes, gezeichnet durch klare, bestimmte Linien die ihre Hand führte. Sie musste bereits eine ganze Weile in dem Dämmerlicht über den Schriften gesessen haben, als sich ein weicher Schatten über die runde Tischkante legte. Naomie hob das Haupt an und blickte in ein rundes Gesicht, rumrahmt von blonden Strähnen, die von einer entfernten Lichtquelle angestrahlt wurden und dem Gesicht mit den blauen Augen zusammen ein wenig etwas engelhaftes verliehen. Die junge Frau wies sich durch schlichte Kleidung aus, eher unauffällig aber mit wachen, großen Augen. Sie lächelte. „Altgriechisch? Eine faszinierende Sprache, wenn ihr mich fragt. Darf ich mal sehen?“ Einen Momentlang haftete der Blick der Setitin auf ihrem Gegenüber, aber sie konnte keine Heuchelei hinter dem bekundeten Interesse finden, so schob sie der anderen das vergilbte Blatt zu. Es waren keinerlei wertvolle Informationen darauf zu finden, da es lediglich eine von mehreren Schriftstücken war, die sie für eine renommierte Archäologiezeitschrift übersetzen sollte. Die Blondine schob sich einen Stuhl heran und lies die Spitze ihres Zeigefingers über die Zeilen fliegen, ehe sie wieder aufsah und freundlich meinte „Interessiert ihr euch für alte Schriften?“ Die hellen Brauen der Setitin schoben sich ein Stück zusammen, dann antwortete sie gemessen distanziert „Eigentlich berufsbedingt, aber ja, sagen wir, ich interessiere mich für Sprachen. Ihr augenscheinlich auch, wenn ihr im Vorbeigehen erkennt, welche Textart mir hier vorliegt, Miss.. ?“ Die Kainitin ihr gegenüber lächelte entschuldigend und reichte Naomie die Hand über den Tisch hinweg. „Alana.“ Naomie nickte knapp, doch als sich Alana wieder dem übersetzen zuwand, blieben die grünen Augen der Setitin auf ihr liegen und studierten in aller Ruhe die Züge der Fremden, ihre Art des Lesens, wie sie saß und fragte sich, mit was für einer ihrer Art sie aneinander geraten sein mochte. Alana gab sich entspannt und wenn sie bemerkt hatte, dass man sie musterte, so lies sie sich jedenfalls nichts anmerken. Naomie allerdings auch nicht. Das Gefühl, dass ihr jemand im Nacken saß hatte an Intensität nicht nachgelassen - im Gegenteil. Beunruhigend daran war, dass man wollte, dass sie es bemerkte, ihr aber keinen konkreten Hinweis gab, wo sie zu suchen beginnen sollte. Sie löste sich von der Kainitin und schenkte jedem der Anwesenden einen flüchtigen Blick, bis ihr auffiel, dass ein paar verwässert blaue Augen sich direkt auf sie gerichtet hatten. Der schwarzhaarige, der zuvor noch in ein angeregtes Gespräch über Paranoia und Punks mit eben einem geführt hatte stieß nun seinen Freund an und deutete unverfroren in Richtung des Tisches, an dem die beiden Frauen saßen. Der andere, durch seine blau gefärbten Haare mehr auffallend als durch seine alternative Kleidungsart, erwiderte etwas und zuckte mit den Achseln. Die beiden erhoben sich von ihren Stühlen und schlonzten zu Alana und Naomie hinüber. Argwöhnisch blickte Letztere ihnen entgegen und auch Alana sah auf. „Schönen guten Abend meine Damen. Mein Name ist J. Glenfiddich und das ist mein Freund Mike. Dürfen wir mal stören?“ Alana zog die Stirn kraus und warf Naomie einen kühlen Blick zu, woraufhin beide sich den Fremden zuwanden und die Anfrage gekonnt einstimmig und abweisend verneinten. J. verzog das Gesicht, während der, der als Mike vorgestellt worden war nur schwieg. „Ganz schön unfreundlich.“ „Ihr habt gefragt.“ erwiderte die Setitin knapp und wandte sich wieder Alana zu, womit das Thema für sie beendet war. Fratzen schneidend entfernten sich die Jungs ein Stück, allerdings nicht so weit, dass die beiden Frauen ihre wüsten Ausrufe nicht mehr verstehen konnten. Verärgert unterbrach Naomie das Gespräch, dass sie begonnen hatten für einen Moment und wechselte dann überraschend in fließendes Altgriechisch. Alana lachte leise auf und antwortete gekonnt, woraufhin die beiden sich in eine ernstere Unterhaltung vertieften und Naomie im laufe der Minuten feststellte, dass ihr die andere nicht unsympathisch war. Sie lies hin und wieder dezente Andeutungen fallen, so dass Naomie gegen Ende des ersten Gespräches eine ungefähre Ahnung hatte, welchem Clan Alana angehörte. Sie selber gab wenig solcher Informationen preis, einfach aufgrund dessen, dass es kaum jemanden gab, der gerne mit jenen vom Clan der Schlange zu tun hatte. Ihr Tattoo in Form einer Königskobra, die sich ihren rechten Arm bishin zur Schulter emporschlängelte, hatte sie perfekt unter dem blütenweißen Stoff ihrer Bluse verborgen - nur um ganz sicher zu gehen.

Plötzlich riss man sie vom Thema weg. Lautstark machte sich eine kleine Gruppe bemerkbar und als Naomie den Kopf umwand, erkannte sie Mike als einen der Unruhestifter. Er war von seinem Platz aufgesprungen und hatte sich -relativ erfolglos- vor einem Schrank von Mann aufgebaut, der von seinem doch schmierigen Aussehen her fast einem Zuhälter gleichkam. Der Große funkelte zu ihm hinab und Sie erinnerte sich, schon mal von ihm gehört zu haben. Sein Name war John Bane, sein Erzeuger das anerkannte Kind des örtlichen Brujah-Oberhauptes Antonius Medrano, Allan McBride. Mit sich selber noch uneinig, ob sie amüsiert oder verärgert sein sollte, lehnte sie den Arm über die Lehne und musterte die Szenerie. Der Streit um irgendeine Belanglosigkeit schien sich zuzuspitzen und nachdem Bane das erste Mal ausgeholt hatte, mischte sich der Barkeeper erhitzt ein und sein drohender Finger wurde zumindest so ernst genommen, dass die beiden Streithähne sich gegenseitig zum Ausgang stießen. „Das will ich mir persönlich ansehen..“ warf Alana ein und erhob sich von ihrem Stuhl. Sie war bereits zwei Schritte gegangen, als sie sich noch einmal umwand. „Wollt ihr nicht mitkommen?“ Naomie hob die rechte Braue, zuckte mit den Achseln und erhob sich dann langsam. Sie klappte den kleinen Koffer zu und nahm ihn mit sich, als sie der anderen die Stufen hinauf und durch die obere Ebene hinaus folgte. Draußen war der Streit bereits in vollem Gange und vielleicht hätte sich die Setitin an soviel Kopflosigkeit erfreuen können.. Bis der Brujah plötzlich begann, seine Schläge mit einer unmenschlichen Geschwindigkeit auf den nahezu zwei Köpfe kleineren Punk niedersausen zu lassen. J., der das ganze aus sicherer Entfernung verfolgt hatte, schlug sich die Rechte über die Augen. Die Antwort Mike‘s war eindeutig, als sich die Fingerkuppen seiner Hände plötzlich unnatürlich verlängerten und zuspitzten, bis sie zu langen, scharfen Klauen an haarigen, breiten Händen geworden waren. Eine Gruppe Discogänger, die die obere Ebene des Blue Haven‘s verlassen hatten, waren auf den Streit aufmerksam geworden und auch ihnen entging nicht, was dort gerade passierte. Eine leicht angetrunkene Frau hob die Hand und deutete ausholend gestikulierend auf das sich raufende Paar. Sie brachen die Maskerade so offensichtlich, dass Naomie einen Moment perplex war. Dann stellte sie den Koffer ab, griff nach der Spange in ihrem Haar und löste sie, worauf sich dunkelrote, weiche Locken über ihre Schultern ergossen. Ihre grünen Augen leuchteten unter dunklen Wimpern, als sie in ihren edlen Pumps die Gruppe ansteuerte, dass perfekte Lächeln auf den kalten, rotgeschminkten Lippen. Die Frau und der Rest der Gruppe waren einen Moment hin und hergerissen, doch dann starrten sie nur noch die Setitin an, die in dunklem, rollenden Akzent nach dem Weg zu einer Straße fragte, die sich soweit fort von dem Elysium befand, dass die Gruppe doch eine ganze Weile zu erklären hätte. In einem flüchtigen Blick über die Schulter sah sie, dass Alana nachfolgende Gäste direkt in ein Gespräch verwickelt hatte, aber das würde nicht reichen, schließlich konnten sie nicht jeden der Sterblichen hier mit kleinen Tricks einfangen. Erleichtert stellte sie fest, dass der Sherrif der Stadt, Marquis Laureant Rassier aus dem Elysium empor gekommen war und das offensichtlich ziemlich verärgert. In eben dem Moment, in dem er zum sprechen ansetzen wollte, ging der Gangrel zu Boden und blieb regungslos liegen, nahezu so, als sei er zu Stein erstarrt. Der Blick Bane‘s war rot verschleiert, als er noch einmal ausholen wollte, dann aber von dem Marquis am Arm festgehalten wurde. Bane starrte den Ventrue eine Weile eisig an, während der ihm leise aber unterschwellig aggressiv etwas zugezischt hatte, dann riss er sich los und stapfte aufgebracht zurück in die Diskothek. Alana musterte J., der sich über seinen erstarrten Freund gebeugt hatte und jetzt, wo man ihn beachtete noch grade hastig über sein Handgelenk leckte. Mike öffnete die Augen, blinzelte einmal und erhob sich dann ruckartig, immer noch kampfbereit wie es schien. Naomie hatte indes von den Menschen abgelassen und beobachtete neben Alana das Geschehen, bis der Gangrel sich halbwegs aufgerichtet hatte. Mike schien unruhig, als sich der Brujah über ihn beugte und gedämpft ein paar Sätze mit ihm wechselte. Wäre nicht die Musik der Diskothek so laut gewesen, hätten sowohl Naomie als auch Alana wesentlich mehr mitbekommen, aber das was sie hörten, genügte eigentlich. Der Sherrif ließ das Küken sein Missfallen deutlich spüren und Mike lenkte zerknirscht aber fügsam ein „Und dafür geht man in die Camarilla.“ murmelte Sie und Alana nickte nur wortlos. „Ich habe nicht wirklich Interesse daran, noch einmal hinein zu gehen..“ setzte sie an, nachdem sich der kleine Pulk getrennt hatte und Mike und J. in der Nacht und der Sherrif wieder im Haven verschwunden waren. „Dito.“ antwortete die Blonde und schob die Hände in die Taschen ihrer dunklen Hose. „Kann ich euch wohin mitnehmen?“ bot sich Naomie an, aber Alana lehnte dankend ab - sie wollte sich ein Taxi nehmen und Naomie wusste doch sehr genau, warum. Viele Kainiten hielten den Standort ihrer Domäne geheim, aber niemand tat es so gekonnt wie die Tremere. Sie lies es sich nicht nehmen, die Setitin um eine Karte zu bitten, nur für den Fall, dann zog sie aus ihrer kleinen Taschen ein gar nicht so kleines Mobilfunkgerät und orderte eine Taxe her. Naomie hatte ihren kleinen Koffer ergriffen und begab sich die Stiege in die Ladeneigene Garage hinab, wo Johanson noch immer im Wagen saß, die Augen halb gesenkt auf ein älteres Buch gerichtet. Wenig später verlies die schwarze Limousine die Innenstadt Atlantas..
 


 

Aus dem Rückfenster des Wagens heraus betrachtete Naomie die vorbeiziehenden Lichter der Stadt, die mit zunehmender Uhrzeit immer weniger, dafür aber farbenfroher wurden. In dem Strudel verloren sich ihre Gedanken und glitten in eine Zeit zurück, die nun sicher schon etwas mehr als 70 Jahre zurücklag. Etwa um 1920 herum hatte sie sich in Spanien befunden und in einer warmen Sommernacht in dem kleinen Cafe vor der Kathedrale der Via Romana gesessen, während sie in eine Lektüre eines Ventrue über die Setiten vertieft war. Sie hatte jede Seite mit großem Interesse aufmerksam gelesen, nur um sich keine der Pointen, die der Schreiber offensichtlich unabsichtlich in den Texten untergebracht hatte zu übersehen. Als der Kellner auf sie zukam, senkte sie das Buch. „Buenas Tarde, Senora.“ begrüßte er sie höflich, während seine braunen Augen sie musterten. „Buenas Tarde. Deseo un Agua sin gas, porvavor.“ antwortete sie flüssig und blickte dem junge Mann einen Moment lang nach, bis er in dem kleinen Eingang des Cafés verschwunden war. Als sie wieder auf ihr Buch blicken wollte, stand ein gutaussehender Blonder im graphitgrauen Anzug an ihrem Tisch und blickte ihr direkt in die Augen. Seine Augen.. Sie mussten von gelber Färbung sein, unnatürlich und mit geschlitzten, schwarzen Pupillen und sie ließen sie nicht los, betäubten ihren Körper und ihren Willen, sich zu rühren. „Hört mir zu.. Ihr müsst..“ begann er leise und eindringlich, aber Naomie kannte das Spielchen. Sie konzentrierte sich und kniff die Augen zusammen, bis es ihr gelang, die Wimpern halbwegs niederzuschlagen. Unter ihnen funkelten ihre grünen Augen ihn wütend an. „Wie könnt ihr es wagen eine der Euren so zu behandeln?“ Sie sah, wie der andere einen Moment haderte ob der Tatsache, dass sie vom selben Geblüt war, aber dann hob er entschuldigend die Hand und setzt erneut an. „Ihr müsst mir vergeben.. Es ist.. Hört mir zu, ich bitte euch.“ Er zog die geballte Faust aus seiner Jackettasche und legte sie auf den Tisch. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sein Anzug leicht beschmutzt war, als wäre er durch einen staubigen Schacht oder derartiges gekrochen und sein blondes Haar zerzaust war. Dennoch musste sie sich eingestehen, dass er mehr als gutaussehend war, vor allem nun, wo seine Augen sein wohl natürliches Grau angenommen hatten. Sie brummte leise, die rechte Braue emporgezogen, immer noch misstrauisch, aber doch gewillt ihm zuzuhören. „Nehmt das..“ er öffnete seine Faust und lies ein kleines, ledernes Band zum Vorschein kommen, in dem Naomie diverse eingeritzte Runen erkennen konnte, “..und versteckt es für mich.. Nur für ein paar Minuten. Man wird kommen und mich suchen. Wenn sie euch fragen, sagt ihnen, dass ich in den Bus Richtung Valencia eingestiegen bin. Mehr wisst ihr nicht.“ Er sah gezwungen ruhig über die Schulter, in Richtung der Kathedrale, wo just in diesem Moment ein vorsintflutlicher einstöckiger Bus hielt, in dem kaum zehn Leute platz gefunden hätten. Dann blickte der Setit Naomie wieder an und schob ihr eine Karte zu. „Für den Fall, dass ich nicht zurückkehre.. Mein Seniorpartner wird euch sicherlich gut entlohnen, wenn ihr ihm das Stück überbringt.“ sagte er nachdrücklich und in seinen Zügen erkannte sie die unverhohlene Warnung, sich nicht mit dem Lederband aus Staub zu machen. Sie hatte kaum genickt, mehr durch seine präsente Art dazu verleitet als durch die Clansgemeinschaft, als er schon den Deckel der Kanalisation direkt neben ihrem eisernen Tischen mühelos emporgehoben hatte und sich elegant hineinschlang. Nahezu lautlos zog er das schwere Eisenrad über die Öffnung und alles war still wie zuvor. Nein, das war nicht ganz richtig. Die Stille über dem Ort war unnatürlich - sie hörte keinen Wind, obwohl sich ihre weichen Locken in ihm rührten, sie hörte die Tauben nicht mehr, obwohl sie in einiger Entfernung auf dem Platz hockten.. Ein Schauer lief der Setitin den Rücken hinab und sie wusste sofort, mit ~was~ sie es zu tun hatte, als sie in zwei gegenüberliegenden Gassen zur gleichen Zeit zwei Personen auftauchen sah. Die eine war ein großer, dunkelhäutiger Mann mit langen Gewändern, die andere eine junge Frau, ganz in schwarz gekleidet. Naomie sah noch, wie sie einen langen Dolch mühelos in ihrer eng anliegenden Hose verschwinden lies, als sich die beiden etwa in der Mitte des Platzes trafen. Gedämpft sagte die Frau etwas, woraufhin der Mann nur nickte und dann sein Augenmerk auf den Platz richtete. Es war ruhig geworden in den letzten Stunden, aber sicher nicht nur deswegen blieb sein Blick schnell auf Naomie hängen. Er hatte seiner Begleitung kein Zeichen geben müssen - sie folgte ihm wie selbstverständlich in einer gemessenen Distanz, als er den Tisch an dem die Setitin saß ansteuerte. In aller Ruhe legte Naomie das Lederband und die Karte zwischen die Seiten ihres Buches, schloss es und faltete die Hände darüber, während sie den beiden Fremden gelassen entgegensah. Ihre Ruhe war vorgetäuscht, nicht nur weil sie sich gleich zwei Assamiten gegenüber sah, sondern auch, weil sie noch einen Blick auf den Namen, der auf der Karte stand hatte erhaschen können. Sie bewahrte ein Artefakt Hesha Ruhadzes auf und dieser Namen war in ihrem Clan mehr als bekannt. Das war vielleicht ihre Chance, dem Clan doch noch Ehre zu machen und vermutlich nahm sie auch daher die Abgebrühtheit, den beiden nun kühn entgegenzublicken. „Guten Abend, Senora. Mein Name ist Nasir al-Jasar, die junge Dame zu meiner Linken nennt sich Salida.“ grüßte sie der Assamit mit dunkler, leiser Stimme und Naomie musste ein neuerliches Schaudern unterdrücken. „Guten Abend, Senor al-Jasar. Kann ich ihnen helfen, meine Herrschaften?“ erwiderte sie freundlich. „Das könnten sie in der Tat, ja. Sie haben nicht zufällig Herrn Vegel hier entlangkommen sehen, nein?“ Sein Akzent war stark, aber noch stärker war der Ausdruck in seinen dunklen Augen, als sie sich in die ihren hineinzubohren schienen. Naomie hob aufrichtig fragend die Brauen. „Verzeihen sie, aber dieser Name sagt mir leider nichts.“ Das war nichteinmal gelogen. Der Assamit blickte aufmerksam auf sie herab, während sie die nackten, braunen Beine überschlug und die Hände über dem Buchumschlag faltete. „Ah, Verzeihung. Es müsste.. Ein blonder Mann ihren Alters gewesen sein, gekleidet in einen grauen Anzug. Er kam aus der Richtung, aus der ihr sicher auch Salida habt kommen sehen.“ Naomie täuschte eine Sekunde des Nachdenkens vor, dann hellten sich ihre Augen auf. „Aber ja. Er hat vor wenigen Minuten diese Buslinie dort genommen. Valencia vermute ich.“ Nasir al-Jasar folgte ihrer Andeutung und gab der jungen Frau, deren schwarzes Haar streng zurückgebunden war, ein Kopfnicken. Im Anschluss verbeugte er sich leicht vor der Person Naomie‘s. „Wir danken ihnen für ihre Kooperation und hoffen inständig für sie, dass sie die Wahrheit gesprochen haben..“ Die leise Drohung hinter den Worten blieb von der Setitin nicht unbemerkt, aber ihr Lächeln war unverändert, noch bis die beiden Assamiten auf der langen Straße verschwunden waren. Ein Räuspern lies sie aufschrecken. Der Kellner hatte ihr ein Glas, gefüllt mit dunkelroter Flüssigkeit auf den Tisch gestellt und blickte sie mit einem seltsamen Lächeln an. „Ich hatte keinen Wein bestellt, aber ich hoffe zumindest für sie, dass es ein guter Jahrgang ist.“ sagte sie, nachdem sie einen Augenblick lang in das Grau seiner Iriden gestarrt hatte. „Wünschen sie zu zahlen, Senora?“ antwortete der ‘Kellner‘ galant und Naomie nickte nur knapp, Sie griff nach dem Büchlein, nahm die Karte zwischen den Seiten hervor und legte es dann auf das dargebotene Tablett. „Auf Wiedersehen, Senor.“ meinte sie sanft. „Das werden wir.“ antwortete er mit einem dunklen Lächeln, dann verschwand er zischen den Türflügeln des Cafés. Naomie führte das Glas an die Lippen.. Es war noch war. Sie verschwendete ein wenig Wehmut an den gutaussehender Kellner, bevor sie sein Leben in sich aufnahm..
 


 

Miss Fontaine?“ Naomie schreckte aus ihren Gedanken hoch, als Johanson sie zum wiederholten male angesprochen hatte. „Was gibt es, Johanson?“ fragte sie irritiert, nachdem sie wieder in der Gegenwart angekommen war. „Ich hatte sie gefragt, ob sie wünschen, nach Hause gefahren zu werden.“ Naomie biss sich nachdenklich auf die Unterlippe, dann schüttelte sie ihr Haupt. „Nein. Biegen sie bitte an der 6th Avenue zum Museum ab. Es gibt da etwas, dass ich herausfinden sollte..“ Der letzte Satz kam mehr zu sich selbst geflüstert über ihre Lippen und der Fahrer nickte folgsam. Die Fahrt zum National Museum of History and Art dauerte kaum zehn Minuten und als Sie den Wagen verlies, war sie sich immer noch nicht sicher, warum sie nun plötzlich anfing, sich über diese alte Geschichte zu sorgen.

Das Blue Haven zählte sicher nicht zu den Lieblingslokalitäten der Setitin, aber das Museum war ihr beinahe schon verhasst. Die Dekadenz in diesen Räumen übertraf ihre eigene so sehr, dass sie sich dort einfach nicht aufhalten wollte. Bereits am Eingang wurde sie von einen der Harpyien abgefangen. Drei gab es, aber wie üblich war es immer Cassandra, die sie erwischen musste. „Ah, Miss Fontaine, welch seltener Besuch.“ begrüßte sie Naomie aufgesetzt freundlich. „Kann ich euch helfen, oder was führt euch her?“ Naomie hatte den Blick gesenkt und strich eine Falte ihrer weißen Hose glatt, bevor sie sich dazu herabließ zu antworten. Generell war sie eine zurückhaltende und höfliche Person, aber die Brujah-Harpyie und ihre zynische Art sagten ihr ganz und gar nicht zu. „Ich würde gern mit Miss Ash sprechen. Ist sie frei?“ Cassandra hob die Brauen und folgte Naomie gleichauf in den Innenbereich. „Nein, sie ist in einer Sitzung mit dem Marquis. Ihr werdet sie wohl erst Morgen wieder erreichen können.“ Jetzt war es an Naomie, ein argwöhnisches Gesicht zu ziehen. Warum hatte das Oberhaupt der Toreador ein Meeting mit dem Sherrif der Stadt? Aber gut, die Ratsinternen Geschäfte interessierten sich herzlich wenig. „Mit wem kann ich dann sprechen, wenn es um.. Sagen wir diverse Artefakte und Kunstwerke geht?“ Die Harpyie setzte zu einer Antwort an, doch ein in Anzug gekleideter Mann kam ihr zuvor. „Ihr habt Interesse an Kunstwerken sagt ihr? Vielleicht kann ich euch helfen.“ Cassandra warf dem Mann einen knappen Blick zu und trat dann zurück, während Naomie ebenfalls ihr Augenmerk auf den Neuankömmling gerichtet hatte. Sein Haar war dunkel und zurückgekämmt, seine Züge nicht unbedingt attraktiv, aber charismatisch. „Das hoffe ich doch, Mister..“ „Evans, Owain Evans, Miss Fontaine. Ihr wollt nicht vielleicht ein oder zwei schöne Stücke loswerden, oder?“ fragte er mit einem einnehmenden Lächeln, in dem er seine weißen Zähne entblößte. „Vielleicht.“ antwortete Naomie noch ausweichend. „Vielmehr aber suche ich auch nach einem Stück. Wenn ihr ein wenig Ahnung habt, könntet ihr euch möglicherweise einmal für mich danach umhören, ohne meinen Namen fallen zu lassen..?“ „Vielleicht.“ konterte Evans charmant. Er führte die Setitin an einen etwas abgeschiedenen liegenden kleinen Tisch aus der Renaissance, an dem zwei unverhältnismäßig größere Stühle standen und bat sie Platz zu nehmen und ihm das Stück zu beschreiben, sowie seinen letzten Aufenthaltsort. Viel konnte sie ihm nicht sagen, ohne sich selber wieder zu tief in die Sache einzubringen, aber zumindest Form, Runen und Material waren ihr gut in Erinnerung geblieben. Als sie etwas später das Elysium verlies, war sie ein wenig unzufrieden mit sich selber, dass sie so lange geglaubt hatte, dass keiner daran zurückdenken würde, dass sie damals für Vegel gelogen hatte.

Als sie ihre Villa betrat starrte sie von ihrem Schreibtisch aus noch eine ganze Weile in die Nacht hinein und hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie bei Gelegenheit ihr Alarmanlage aufrüsten lassen sollte..



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