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Ersehntes Lachen

von

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Kapitel 5

Kapitel 5
 

Ich starrte auf die geschlossene Eingangstür. Die Distanz von meinem Standpunkt aus bis zur belebten Straße draußen schien mir endlos zu sein. Ebenso die Entfernung zu den Personen, die dieses Haus vor einigen Minuten verlassen hatten.

Ich stand in der Eingangshalle, die schlicht und monoton gestaltet war, die selbst mit meiner Gegenwart verlassen wirkte, und starrte die Schiebetür an. Das Gefühl, endlich allein und sich selbst überlassen worden zu sein, das freie, unbeschwerte Gefühl der Einsamkeit und der vollkommenen Ruhe wollte sich jedoch einfach nicht einstellen. Die Stille übermannte alles, selbst das Ticken der Küchenuhr, dass mir sonst so abscheulich laut vorkam, drang nicht bis zu mir vor.

Ich schreckte leicht auf, als das Telefon neben mir klingelte. Mein Blick wanderte von der Tür zu dem Apparat, der Geräusche von sich gab, die nicht zu ertragen waren. Ich legte sachte meine Hand auf den Hörer, hob ab und legte gleich wieder auf.

Jetzt schwiegen wir beide um die Wette.

Im Wohnzimmer ließ ich mich am Tisch nieder und blätterte in einer Zeitschrift herum, die Nabiki dort liegengelassen hatte. Ich betrachtete die Frauen auf den Seiten, die für irgendwelche Make-up-Artikel warben, indem sie mit ihren toten Augen und falschem Lächeln in die Kamera vor sich blickten. Eine von ihnen - so blond, dass es fast schon in den Augen weh tat - streckte ihren Kopf nach oben und mit halb geschlossenen Augen und den Mund zu einem kleinen o verzogen, fuhr sie sich lasziv mit ihren dürren Fingern über den Hals. Ich seufzte, als ich las, dass irgendein westlicher Superstar einen neuen Duft auf den Markt gebracht hatte. Ist es nicht immer dasselbe?

Gelangweilt und leicht mürrisch erhob ich mich von meinem Platz. Ich wollte mich schnell für mein Training umziehen.

Keine fünf Minuten später stand ich in der Halle und trat Löcher in die Luft. Vor kurzem kam ich zu dem Entschluss, dass ich meine Beinmuskulatur stärken musste. Zu oft hatte ich nur meine Arme trainiert. Ich sah und spürte, wie sich die Muskeln und Sehnen in meinen Beinen anspannten und steigerte mein Tempo. Immer schneller trat und wirbelte ich durch das Dojo, als ich an die letzten paar Tage dachte.

Hinter mir hörte ich wie die Tür des Dojos beiseite geschoben wurde und mit Schwung drehte ich mich um meine eigene Achse, stieß mit meinem rechten Bein zu und stoppte nur Zentimeter vor dem Hals des unerwarteten Besuchers. Genau an der Stelle, an der sich die Blondine aus der Zeitschrift gefasst hatte. Direkt an der Halsschlagader.

Er, der Eindringling, hatte sein Kinn leicht nach oben gestreckt und blickte auf mich herab. Keuchend starrte ich ihn an, nahm langsam das Bein wieder herunter und entfernte mich ein paar Schritte von ihm. Mein Atem kam stoßend und ich wischte mir mit dem Ärmel meines Anzuges den Schweiß von der Stirn.

“Warum so angriffslustig?” kam es von ihm und ich drehte mich weg. Wäre ich angriffslustig, würde er nicht mehr stehen. Ich begann mit Dehnübungen. Knie durchdrücken, Zehen berühren, halten. Dann nach hinten beugen, einen Handstand vollführen. Wieder auf den Beinen landen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, dass er sich lässig an die Wand gelehnt hatte. Jede Bewegung von mir musterte er genau. Unbehaglichkeit kroch plötzlich in mir hoch und ich hielt kurz inne, blickte zum Altar hinauf und wandte mich an ihn.

“Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass du wieder verschwindest?”

“Nein.” Ich seufzte laut auf.

“Natürlich nicht.” Leicht zog ich meinen Gürtel fester, der sich etwas gelockert hatte.

“Das ist das Problem dieser Welt. Kein Respekt vor den Wünschen seiner Mitmenschen.” Lachend verschränkte der junge Mann seine Arme hinter dem Kopf.

“Gerade du wagst es, ein Urteil über andere zu fällen?” Er schüttelte den Kopf.

“Du, die seltsamste Person, die ich kenne?” Ich schnappte mir das weiße Handtuch, dass ich zu Beginn meines Trainings neben die Tür geworfen hatte.

“Falsch.” Mit einem Ruck öffnete ich die Hallentür und verließ das Dojo. Er folgte mir.

“Alle anderen sind seltsam.” verkündete ich und ärgerte mich zutiefst, dass ich mein Training nicht gescheit absolvieren konnte. Stattdessen unterbrach ich es, weil ich die Anwesenheit dieses Störenfrieds nicht ertragen konnte und wollte. Sein leichter Griff um mein Handgelenk forderte meine Aufmerksamkeit. Wie schon das letzte Mal starrte ich auf meine Hand.

“Wollen wir nicht zusammen trainieren?” fragte er in einem sanften Ton, runzelte jedoch die Stirn, als ich mich hektisch losriss.

“Nein, wollen wir nicht.” rief ich vorwurfsvoll.

“Willst du es nicht verstehen? Ich lege keinen Wert darauf, irgendetwas mit dir zu machen. Lass mich einfach in Ruhe!”

“Wieso?”

“Wieso?” wiederholte ich. Leicht fuhr ich mit meiner Zunge über meine Unterlippe. So sehr ich mich auch sträubte, so sehr ich mich wand und wehrte, es half nicht. All diese Diskussionen die ich nicht führen wollte. Mir fiel es schwer, passende Worte zu finden, um meine mehr und mehr wachsende Ablehnung zu beschreiben und ihr angemessen Ausdruck zu verleihen. Ich legte meine Hand an die Stirn und schloss meine Augen.

“Ich weiß einfach nicht, wie ich dir noch verständlicher klar machen kann, dass ich weder deine Gesellschaft genieße, noch jemals - ich betone - jemals das Bedürfnis verspüren werde, dich in meiner Nähe haben zu wollen. Ist es also nicht angenehmer für dich, einfach von mir Abstand zu nehmen, umgehend kehrt zu machen und dieses Haus zu verlassen?” Ich wandte mich wieder um und lief weiter, betrat das Haus durch die Hintertür. Er folgte mir immer noch und das nervte mich maßlos.

“Bleib stehen, Akane.”

“Ich will nicht.” Keine Sekunde später drückte er mich an die Wand, seine Arme rechts und links sowie sein Körper versperrten mir den Fluchtweg. Er hatte sich tief zu mir hinunter gebeugt. Sein leicht diabolisches Lächeln um seine Mundwinkel ließ mich nichts gutes ahnen.

“Du weißt doch gar nicht wie es sich anfühlt in meiner Nähe zu sein. Und ich denke, dass es dir weitaus besser gefallen könnte, als du glaubst.” Ich atmete tief ein.

“Bezweifle ich stark.” Ein leises Raunen ging durch seine Kehle.

“Das schreit doch förmlich nach einem kleinen Test.” Ich riss die Augen auf und öffnete meinen Mund.

“Das wagst du nicht!” Ich wollte weg, schnell weg, doch ich konnte mich nicht überwinden, ihn zu berühren. Seine Augen waren ganz dunkel, fast schwarz und sein Grinsen wurde breiter.

“Ich traue mich. Und du?” Hatte ich das Sprechen verlernt? Meine Kehle, die so trocken wie eine Wüste war, schien die Worte, die in mir aufstiegen, nicht herauspressen zu können. Ich konnte nicht glauben, in was für ein Dilemma ich geraten war. Keiner hatte sich jemals getraut, sich mir so zu nähern, wie der Mann vor mir. Absolut keiner! Niemals würde es einer wagen, mich anzusprechen, geschweige denn zu berühren. Dachte ich jedenfalls. Und jetzt? Mir wurde heiß, wie so oft, wenn ich mich in die Enge getrieben fühlte. Unerträglich diese Hitze. Ich korrigiere. Diese Situation!

Ich bemerkte, wie seine Blicke über mein Gesicht strichen und seine Augen an meinen Lippen hängen blieben. Das konnte er nicht tun! Ich meine, natürlich könnte er. Aber ich wollte nicht, dass er kann. Hektisch schnappte ich nach Luft, als sein Kopf sich langsam senkte und er mir gefährlich nahe kam. Meine Augen waren abermals weit aufgerissen und schienen mir gleich aus den Höhlen springen zu wollen. Sein warmer Atem schlug mir ins Gesicht und in sekundenschnelle musste ich reagieren. Und dann tat ich das, was ich eigentlich tunlichst vermeiden wollte. Ich berührte ihn.

Nur Zentimeter vor meinem Gesicht stoppte er, als ich ihm meine rechte Hand auf den Mund legte. Seine Haut fühlte sich anders an, als ich erwartet hatte. Sie war ein bisschen rau und etwas dunkler, als die meine. Für einen kurzen Moment blieb mir die Luft weg. Seine Augen musterten mich.

“Versagt auf ganzer Linie.” sprach ich und bemerkte, dass meine Stimme nicht ganz so sicher klang, wie ich es eigentlich beabsichtigt hatte. Fragend schaute er mich an.

“Als Aufpasser hättest du versagt, wenn du das was du tun wolltest auch getan hättest.” Ich konnte spüren, wie sich sein Mund unter meiner Hand leicht verzog. Seine Augen verrieten mir, dass er lächelte.

“Wie hätte das ausgesehen?” Er küsste leicht meine Handinnenfläche und ich zog sie schnell weg.

“Du hast recht. Schließlich bist du mein Schützling.” Und schon wieder war ich sprachlos. Das passierte eindeutig zu oft in letzter Zeit. Der Mann vor mir ging einige Schritte zurück, jedoch nicht, ohne mich mit sich zu ziehen. Und seit wann ließ ich mit mir machen, was andere wollten? Ich musste mir selbst widersprechen. Nicht andere. Nur er.

Langsam lief der Schwarzhaarige an mir vorbei, blieb jedoch noch kurz hinter mir stehen und raunte mir zu.

“Doch als dein Verlobter...” Und dann verschwand er. Wie ein Liebhaber auf der Flucht.
 

Leichtfüßig lief ich durch das Haus, von Zimmer zu Zimmer und zog die Vorhänge zu. Anschließend überprüfte ich sowohl die Eingangstür als auch die Hintertür, ob sie auch fest verschlossen waren. Waren sie, also löschte ich im Erdgeschoss alle Lichter und stieg die Treppe hinauf. Es war kurz nach dreiundzwanzig Uhr und so langsam endete dieser wirklich unangenehme Tag. Ich hob meine rechte Hand und begutachtete die Innenfläche, als ich mein Zimmer betrat. Sie sah ganz normal aus und doch war alles anders. Ich seufzte und begann mich auszuziehen. Meine Klamotten warf ich in die Ecke, zu meiner Schuluniform, die seit diesem verhängnisvollen Tag auf dem Boden vor sich hinschimmelte. Auch in meinem Zimmer waren die Vorhänge zugezogen und die kleine Lampe auf meinem Nachttisch neben dem Bett warf nur spärliches Licht in den Raum. Schatten überzogen meinen Körper, der nur noch von der Unterwäsche bedeckt wurde. Wieder betrachtete ich meine Hand. Es fiel mir schwer, mich nicht über die letzten Tage aufzuregen. Ich hatte Dinge getan, mich dazu zwingen lassen über Sachen nachzudenken, die in meinem Inneren all die Zeit verschollen waren und nun, der Dunkelheit entronnen, nach unerbittlicher Aufmerksamkeit schrien. Es war anstrengend, sie zu ignorieren und es ließ mich fast verzweifeln, dass ich nichts dagegen unternehmen konnte. Nicht, solange dieser Kerl in meiner Nähe war. Müde rieb ich mir über die Augen.

“Sag mal, wo ist denn euer Gästezimmer?” Erschrocken fuhr ich herum. Ungläubig starrte ich mein Gegenüber an, als könnte ich ihn allein mit meinen Gedanken in Brand setzen.

“Was zum Teufel suchst du hier?”

“Euer Gästezimmer.” gab er von sich. Ich lief auf die hirnlose Hülle vor mir zu, er jedoch wich zurück. Ich hatte meine Lippen fest aufeinander gepresst, versuchte mich zu beherrschen. Nun standen wir uns im Flur gegenüber.

“Was willst du hier?”

“In das Gästezimmer ziehen. Für die Nacht.” War das ein Witz? Natürlich war das ein Witz. Ein Witz, ein Witz, ein Witz. Saublöd noch dazu.

“Hör mit diesem dämlichen Gästezimmer auf! Wie kommst du auf die Idee, die Nacht hier verbringen zu dürfen?” Er stieg die Treppe hinunter und ich folgte ihm. Das Erdgeschoss war hell erleuchtet. Kurz drehte er sich zu mir, lächelte und zeigte auf sich.

“Schon vergessen? Ich Aufpasser, du Schützling. Das gilt auch für diese Nacht.” Der Schwarzhaarige vor mir durchquerte den Flur im Erdgeschoss, blieb an einer Tür stehen und blickte in den Raum dahinter. Jede seiner Bewegungen beobachtete ich mit Adleraugen.

“Habt ihr noch ein Gästezimmer?” Ich rieb mir über die Stirn.

“Oben. Wie bist du überhaupt hier reingekommen?” Wieder marschierte er von mir her. Mitten auf der Treppe packte ich ihn am Ärmel seines roten Hemdes und zwang ihn sich umzudrehen.

“Sag schon, wie?” Er ließ einen kleinen Schlüsselbund vor meiner Nase tanzen. Die Schlüssel klimperten leise, als sie aneinander stießen. Dann setzte er sich wieder in Bewegung. An der Tür neben meinem Zimmer blieben wir stehen. Er öffnete diese und betrat den Raum, während ich keinen Fuß in das Gästezimmer setzte und stattdessen krampfhaft überlegte, was ich tun sollte. Seine Reisetasche, die er die ganze Zeit geschultert hatte, warf er auf das Bett und wandte sich mir zu.

“Also dann, gute Nacht.” sprach der junge Mann mit einem Zwinkern und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Mit offenem Mund stand ich im Flur, fassungslos, überrannt und mit einer kleinen Spur Entsetzen im Gesicht. Plötzlich ging die Tür abermals auf und er streckte den Kopf durch den Spalt.

“Wenn das jeden Abend so läuft, und damit meine ich hauptsächlich die hervorragende Aussicht, ziehe ich vielleicht hier ein.” Und schon war die Tür wieder zu und ich blickte an mir hinunter.

Ich musste einsehen, dass unangenehme Tage niemals ein Ende nahmen, wenn man sich dessen so sicher schien.
 

“Wieso sollte ich das tun?” Ich stand mit vor der Brust verschränkten Armen im Wohnzimmer und musterte die personifizierte Nervensäge vor mir. Der halbe Tag war rum und ich hatte keine freie Minute nur für mich gehabt. Ständig ließ er mich seine Anwesenheit spüren. Inzwischen waren meine hauchdünnen Nerven auf das Äußerste gespannt. Der junge Mann erhob sich galant vom seinem Sitzplatz und lief an mir vorbei in die Küche. Ich vernahm gedämpftes Wasserrauschen und Augenblicke später stand er wieder vor mir.

“Wir sind jung, haben Ferien und schönes Wetter vor der Tür. Es spricht nichts dagegen.” argumentierte er entspannt und selig lächelnd. Meine innere Stimme schrie sich die Seele aus dem Leib.

“Ein wenig Gesellschaft, ein bisschen Unterhaltung - das könnte auch dir gefallen, Akane, wenn du dich nur darauf einlassen würdest.” Ich schüttelte den Kopf, einzelne Haarsträhnen fielen mir ins Gesicht und ich strich sie wirsch davon, während er mir grinsend weiter erklärte, dass er mich nicht für so eine Spaßbremse gehalten hätte. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen.

“Außerdem musste ich es versprechen.” gab er noch von sich und marschierte in die Eingangshalle.

“Und was, bitte?” fragte ich misstrauisch und beobachtete, wie er sich die Schuhe anzog.

“Das ich dich wenigstens einmal aus dem Haus locken würde.”

“Den Gefallen tue ich dir nicht.” versicherte ich ihm mit ausdrucksloser Stimme. Er nickte und beugte sich zu mir, brachte unsere Augen auf die gleiche Höhe.

“Dann, so fürchte ich, werde ich dich jeden Tag besuchen müssen. Bis du einwilligst.” Ich biss die Zähne zusammen. So eine Nervensäge! Er hingegen wandte sich seelenruhig von mir ab und verließ das Haus. Wie gerne würde ich ihm einen Gegenstand hinterher schmeißen, doch stattdessen griff ich nach meiner Sonnenbrille, die auf der kleinen Kommode neben dem Telefon lag und folgte ihm knurrend.

Seite an Seite durchquerten wir die vollgestopfte Einkaufspassage. Die halbe Stadt schien unterwegs zu sein. Glühend heiß stand die Sonne am Himmel, gnadenlos brannte sie sich durch jede Faser meines luftig weißen Sommerkleides und ich bereute, keinen Hut mitgenommen zu haben.

“Erpressung!” schnaubte ich verächtlich, um meiner schlechten Laune Luft zu machen.

“Du wirst es überleben.” meinte er nur und zeigte in die Ferne. Ich erblickte ein Gruppe von vier jungen Menschen, die uns gespannt entgegen sahen. Sie saßen im Schatten eines riesigen Sonnenschirms auf der Terrasse eines kleinen Cafés, dessen Namen ich nicht erkennen konnte. Auf dem kreisrunden Tisch vor ihnen standen bereits Gläser mit buntem Inhalt.

“Sei nett.” wisperte mein Begleiter mir zu, während wir auf die kleine Gruppe zugingen.

“Nett?” murmelte ich zurück.

“Eine erweiterte Form der Höflichkeit.” Er begrüßte unsere Gesellschaft, zog einen Stuhl zurecht und deutete mir Platz zu nehmen. Ich blickte in die Runde. Die drei jungen Männer mir gegenüber identifizierte ich als meine Klassenkameraden, doch die blonde Frau neben mir kannte ich nicht. Ihre langen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, der ihr jetzt über die Schulter an ihrem Oberkörper entlang baumelte. Ihre nackten Beine, die aus einem kurzen schwarzen Rock hervorguckten, hatte sie lässig übereinander geschlagen und ihre grünen Augen musterten mich missbilligend. Ich stutzte. Hatte ich die Person nicht schon mal gesehen? Es wollte mir nicht einfallen.

Der Kellner kam, ich bestellte ein Glas Wasser und klinkte mich anschließend aus jeglichen darauffolgenden Gesprächen aus. Lieber hing ich meinen eigenen Gedanken nach. Es irritierte mich ein wenig, wie schnell er offenbar Freunde gefunden hatte. Andererseits hatte ich ja bekanntlich keine Ahnung von solchen Bindungen. Kontakte knüpfen war vielleicht nur mir so zuwider.

Plötzlich schreckte ich leicht auf. Wurde ich soeben angesprochen? Am Tisch war es totenstill und alle Aufmerksamkeit lag auf mir. Anscheinend schon. Meine Sitznachbarin stand auf und blickte auf mich hinab.

“Kommst du?“ fragte sie und entfernte sich vom Tisch. Mein Blick fiel nach links auf meinen Erpresser, der mich neugierig betrachtete. Kurz starrte ich auf das Glas vor mir und erhob mich dann ebenfalls von meinem Stuhl. Ich folgte der jungen Frau, deren Namen ich bewusst überhört hatte, in das Café. Sie schritt auf die Damentoilette zu und stieß die große Tür auf. Ich platzierte mich unter den Türrahmen, die Tür fiel mir zaghaft in den Rücken und konnte sich dadurch nicht ganz schließen. Durch einen kleinen Spalt konnte ich die große Glasfront, die zur Terrasse führte, sehen.

“Darf ich dich was fragen, Akane?” Ich wandte meinen Blick zu Blondie und ohne meine Antwort abzuwarten, sprach sie einfach weiter. Stirnrunzelnd beobachtete ich, wie sie in ihrem braungebrannten Gesicht rumwerkelte. Abscheu überkam mich. So ein hochnäsiges Püppchen.

“Glaubst du, es wäre möglich, dass Ranma Interesse an mir hat? Ich jedenfalls habe das Gefühl, dass er sich mir gegenüber sehr viel Mühe…” Ich ignorierte die darauffolgenden Worte. Ein seltsames Gefühl packte mich, dass ich sofort mit Wut gleichsetzte. Während dieses Weibsstück weiterhin über ihr eigenes Interesse an dem jungen Mann philosophierte und sich dabei immer noch im Spiegel betrachtete, musste ich an die Worte dieser besagten männlichen Person denken. Sei nett. Eine eisige Gleichgültigkeit, gefolgt von donnernder Verachtung überflutete meine Gedanken. Ein wundervoll vertrautes Gefühl.

Ich atmete tief ein und wieder aus. Blondie verstummte und marschierte langsam auf eine der Toilettenkabinen zu. Ich tat einen Schritt nach vorne, damit sich die Tür hinter mir schließen konnte.
 

Es dauerte keine Minute bis das wimmernde Elend mit dem langen Zopf an mir vorbei, aus der Damentoilette stürmte, dabei fast einen Kellner umrannte und wenig später das Café verlies. Wirklich Filmreif. Ich spazierte langsam an unseren Tisch zurück, an dem sich der Rest der Gruppe bereits erhoben hatte und dem davonlaufenden Püppchen hinterher sah. Allgemeines Gemurmel setzte um uns herum ein. Fast mein gesamtes Umfeld starrte mich an. Ich ließ mich auf meinen Platz nieder und nahm einen kleinen Schluck Wasser. Plötzlich packte mich mein Sitznachbar etwas unsanft am Oberarm, zerrte mich vom Stuhl und entfernte sich von den anderen. Als wir außer Hörweite waren, stellte er sich vor mich. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er aufgebracht.

“Was hast du gemacht?” Ich fuhr mir durch die Haare.

“Wie meinen?”

“Vor fünf Minuten ist sie ” er zeigte in die Richtung, in die Blondie davon gestürmt war,” noch bester Laune und ein paar Sekunden mit dir alleine, verlässt sie heulend das Café. Wirklich seltsam, findest du nicht auch?” schnaubte er und ich wunderte mich keineswegs über den sarkastischen Unterton.

“Ein wirklich launisches Persönchen, nicht wahr?!” erwiderte ich, während mein Gegenüber tief einatmete.

“Akane!” Ich zuckte mit den Schultern.

“Sie hat mich nach meiner Meinung gefragt.” Die drei übrig gebliebenen Kerle an unserem Tisch musterten mich mit ihren allwissenden Blicken. Widerlich!

“Wozu?” Ich seufzte. Das hier begann mich zu langweilen und ich strich über mein Kleid.

“Zur prozentualen Wahrscheinlichkeit, wie groß ihre Chance ist, dass du ihr Interesse nach gemütlicher Zweisamkeit teilst. Meine Meinung war wohl nicht ganz nach ihrem Geschmack.” gab ich zur Antwort und beobachtete, wie sich seine Augenbrauen verwirrt zusammenzogen. Aber da war noch ein Blick, etwas in seinen Augen, das mich so unfassbar wütend machte. Sofort, ich musste sofort hier weg! Ich sah und tippte kurz auf meine nichtvorhandene Armbanduhr.

“Nun entschuldige mich, ich habe noch einen Termin.” Ich wandte mich um und verließ die Terrasse. In aller, vorgeheuchelten, Gemütlichkeit machte ich mich auf den Heimweg.
 

Stunde um Stunde lief ich in meinem Zimmer auf und ab, massierte mir gereizt die Schläfen. Sie wollten nicht verschwinden, diese unerträglichen Gedanken, Wortfetzen, ekelhaft verzerrte Gesichter in meiner Erinnerung. So jämmerlich laut stöhnten die schwarzen Schatten und ihr Gejaule hallte in meinem Kopf wider. Vor dem Spiegel blieb ich abrupt stehen, starrte dieses fremde Wesen in ihm an. Was wollten sie, diese mitleidigen Augen? Groß und dunkel, abgrundtief, verabscheuungswürdig!

Wieder sah ich ihre Blicke, in der Schule, im Café, zwischen den Gesichtern meiner Familie. Blicke widerlicher Menschen, widerlicher Kreaturen! Zitternd berührte ich mit der rechten Hand die glatte Oberfläche des Spiegels und meine Gedanken überfluteten meinen Verstand.
 

Wie sollten ihre kleinen Hirne, ihre wertlosen Beobachtungen, ihre kleinkarierten Gedanken jemals den Umfang meiner schmerzenden, meiner blutenden Seele auch nur erahnen können? Warum meinten sie, sie müssten mir ihr bitter schmeckendes Mitgefühl aufzwängen?

Weshalb ging es nicht in ihre hohlen Köpfe, dass ich auf die Gesellschaft solcher armseligen Hüllen keinen Wert legte?

Und wieso zerbrach ich mir meinen Kopf über Fragen, deren Antworten ich doch schon kannte, die so offensichtlich waren?

Kurzsichtigkeit. Ihre Kurzsichtigkeit ließ sie nicht über den Rand ihrer heilen Welt blicken.

Dummheit. Geblendet von ihrer eigenen Dummheit.

Streben nach dem persönlichen Glück, nach den eigenen Wünschen, so oberflächlich, so nichtssagend.

Ja, ihre schöne, wunderbare, heile Welt, ein einziges schwarzes Loch, gehüllt in bunte Farben und doch so düster wie noch nie. Ziele, deren Bedeutung sich auflösten, ein großes weites Nichts.

Das ewige Nichts! Und ich…mittendrin…

“Hör auf!” Eine tiefe Stimme holte mich aus meinen trüben Gedanken. Irgendetwas hielt mein rechtes Handgelenk fest umklammert. Allmählich artete das zu einem Running Gag aus.

Mein Blick klärte sich auf und ich nahm meine Umgebung wieder wahr. Verwirrt und leicht geschockt starrte ich in das erschütterte Gesicht meines Verlobten. Seine dunkelblauen Augen funkelten mich an.

“Was zum Teufel tust du da?” Wieso? Ich verstand kein Wort. Was tat ich denn? Mein Blick wanderte zu seiner Hand, die meinen Arm immer noch fest im Griff hatte. Augenblicklich erstarrte ich. Unbewusst hatte ich auf den Spiegel eingeschlagen. Meine blutüberströmte Hand war zu einer Faust geballt.

“Oh…” entfuhr es mir leise.

“Rühr dich nicht vom Fleck. Ich bin gleich wieder da.” Schnell schritt er durch mein Zimmer.

“Und beweg den Arm nicht.” rief er noch vom Flur aus.

Ich entspannte meine verletzte Hand und streckte sachte die Finger aus. Ein paar Splitter fielen herunter. Das Blut floss immer noch, natürlich, ich hatte ja genug davon. Der heftig pochende Schmerz in meiner Hand setzte sofort ein. Ein riesiges Loch klaffte im Spiegel. Nun, der war nicht mehr zu gebrauchen. Fasziniert betrachtete ich den Scherbenhaufen um mich herum.

“Ich hab doch gesagt, du sollst den Arm nicht bewegen.” Ich blickte auf.

“Wieso kannst du nicht einmal das tun, was man dir sagt?” fragte er vorwurfsvoll, während er im Verbandskasten, den er mitgebracht hatte, herum wühlte. Er tauchte ein kleines weißes Leinentuch in eine Schüssel, die er im Bad mit Wasser gefüllt hatte, und griff nach meiner Hand. Mit sanfter Gewalt presste er den kalten Lappen auf die Wunde, die sich mitten in der rechten Handinnenfläche befand. Es war nicht deutlich zu erkennen, ob sich der Schnitt nur dort befand oder sich bis zum Gelenk erstreckte. Um dies festzustellen, wischte er das Blut, dass dort entlang floss fort und allein dafür hätte ich ihn erschlagen können. Ich biss mir auf die Unterlippe, versuchte mich zusammenzureißen, damit der Schmerz mich nicht übermannte und womöglich in einem Schrei gipfelte. Er blickte mich an.

“Wie ich es mir dachte.” meinte er kurz und knapp.

“Was?” fragte ich misstrauisch.

“Du musst Schmerzen haben.”

“Und?”

“Du weinst nicht.” Sein Blick senkte sich wieder. Er begann erneut mir mit dem Tuch - in meinen Augen jedoch glich dieses Stück Stoff einem Folterinstrument - das Blut von der Haut zu wischen. Von den Fingerspitzen bis tief in die Schulter fühlte sich mein Arm an, als wäre er aufgespießt worden. Die Wunde begann höllisch zu brennen. Ich bemerkte, dass ich das nicht länger aushalten würde, entzog ihm ruckartig meine Hand und presste sie an meine Brust, während mein anderer Arm sich schützend auf sie legte. Helle rote Flecken bildeten sich auf meinem Kleid.

“Wieso sollte ich auch?”

“Du musst Schmerzen haben.” wiederholte er, während er mich anstarrte. Ich jedoch schüttelte nur den Kopf. Ich war es leid, weiter hier auf meinem Zimmerboden zu hocken und mir seine Kommentare anzuhören.

“Jeder normale Mensch hätte jetzt Schmerzen.” meinte er nur, fügte jedoch seufzend noch hinzu:

“Aber du bist alles andere als normal. Kannst weder lachen, noch weinen.” Er langte nach meiner Hand, wollte mich weiteren Torturen aussetzten, doch ich wehrte ihn ab. Kapitulierend hob er seine Arme.

Ich erhob mich schwerfällig. Meine Umgebung drehte sich, ich versuchte es einfach zu ignorieren. Auf dem Weg ins Bad schnappte ich mir den Verbandskasten. Mein Blick fiel auf meinen Verlobten, der mich immer noch zu mustern schien. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich leicht schwankte. Doch ich machte mir keine weiteren Gedanken darüber und verschwand schnell aus meinem Zimmer. Den Folterknecht wäre ich schon mal los, nun musste ich zusehen, wie ich mir den Verband selbst anlegte.

Im Badezimmer ließ ich das Wasser im Waschbecken laufen und hielt vorsichtig meine Hand darunter. Immer darauf bedacht, die Lippen fest aufeinander zu pressen, um nicht laut aufzuschreien. Als ich diese Prozedur mehr schlecht als recht überstanden und mir diesen verflixten Druckverband umgewickelt hatte - beim vierten Versuch hatte ich es geschafft, das er einigermaßen hielt - machte ich mich daran meine Klamotten zu wechseln. Überall klebte mein getrocknetes Blut. Ein Seufzer entfuhr mir. Ob das wohl jemals wieder rausgehen würde?

Ich zerrte mit dem linken, hinterm Rücken verschränktem Arm am Reißverschluss des Kleides, doch er schien zu klemmen. Na wunderbar. Jetzt konnte es ja nur besser werden.

Eine Zeit lang mühte ich mich noch ab, als hinter mir ein ‘Soll ich dir helfen?’ erklang. Ich ließ kurz den Kopf hängen. Natürlich, die Nervensäge. Ich wandte mich dem jungen Mann zu.

“Nein.” Wieder ein Seufzer seinerseits.

“Du schaffst es doch nicht alleine. Ich mach das.” Er lachte leise vor sich hin.

“Ich verspreche, ich werde auch nicht zu sehr hingucken.” Ich spürte, wie sich der Stoff um meinen Körper langsam weitete. Nun gut, viel würde er nicht zu sehen bekommen. Nur meinen nackten Rücken.

“Obwohl die Versuchung doch recht groß ist.” Ich wirbelte herum und musste innerlich aufstöhnen. Diese Schmerzen! Und das verdammte Mistding von einem Verband saß immer noch zu locker und löste sich bereits wieder von meiner Hand.

“Raus. Sofort!” Er grinste mich an.

“Das war ein Witz.”

“Ist mir egal. Verschwinde!” Da er keine Anstalten machte, den Raum zu verlassen, entfernte ich mich eben und stolperte die Treppe hinunter. Hier irgendwo musste Klebeband sein, damit würde ich dem Verband schon den Garaus machen.

“Akane, sei nicht so stur.” rief er, während er mich durch das Erdgeschoss verfolgte. Mit einem kurzen Blick aus der Terrassentür bemerkte ich, dass es inzwischen dämmerte. Wieder wurde mir schwindelig und ich rannte leicht mit der rechten Schulter an das Treppengeländer. Mir blieb die Luft weg und mein Verfolger stellte sich mir in den Weg. Wie angewurzelt standen wir im Eingangsbereich und starrten uns an.

“Ich bin nicht stur.” gab ich atemlos von mir und glaubte mir selbst kein Wort. Abermals dieses Grinsen.

“Und ob du das bist, aber das können wir später ausdiskutieren. Du musst sofort zum Arzt, möglichst bevor du einen Schock bekommst.” Er packte mein gesundes Handgelenk. Und ich wurde wütend.

“Lass mich los!” Fast schon panisch versuchte ich mich von ihm zu lösen. Als das nicht half, begann ich Drohungen auszustoßen. Seine Augen funkelten mich freudig an.

“Schlagen geht nicht.” erwiderte er und hielt meine linke Hand hoch.

“Ich habe noch eine.” knurrte ich, holte aus und ohrfeigte ihn. Ein kurzer Schrei hallte durch den Eingangsbereich. Mit zusammengekniffenen Augen taumelte ich zurück und versuchte meine schwindenden Sinne beisammen zu halten. Keuchend vor Schmerz und Zorn warf ich dieser Nervensäge vernichtende Blicke zu. Nachdem er mich vor Schreck losgelassen hatte, strich er sich nun wortlos über die Wange. Der Schlag hatte ihm wohl kaum Schmerzen zubereitet, aber seine vor Überraschung geweiteten Augen musterten seine Finger, an denen leichte Blutspuren zu erkennen waren. Ich blickte auf meinen Druckverband, der nur noch lose herabhing und inzwischen mit Blut durchtränkt war.

“Was ist denn hier los?” Wir fuhren beide zugleich herum. Geschockt starrten wir die heimkehrende Familie an. Mein Vater sowie die Eltern des jungen Mannes starrten uns völlig verdattert an, mit Augen so groß, wie die von Donald Duck. Nun standen wir da, der größte Teil der Belegschaft im Hausflur versammelt, und in diesem Moment kamen sie mir wie Fremde vor.

“Was geht hier vor?” fragte mein Vater abermals laut, beäugte uns aufmerksam und- war er etwa wütend? Seine Augen wanderten von mir zu seinem Schwiegersohn in spe und wieder zurück. Und plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, weiteten sich diese und er stürzte zu dem jungen Mann vor mir, packte ihn am Kragen und drängte in gewaltsam an die Wand. Mit einem lauten Poltern fiel die Kommode um und sowohl das Telefon als auch die hübsche kleine Vase fanden unsanft auf dem Parkettboden ihren neuen Platz. Mein wild gewordener Vater beugte sich weit zu seinem Opfer vor.

“Was hast du mit meinem kleinen Mädchen gemacht? Was hast du ihr angetan?” schrie der Ältere völlig außer sich und rüttelte an ihm, als gebe es keinen Morgen mehr.

Wir, der Rest, schnappten erschrocken nach Luft und blickten diesem doch wirklich seltsamen Schauspiel ungläubig entgegen. Mein Blick wanderte zum langjährigen Freund meines Vaters. Er war zu einer Salzsäure erstarrt und folgte jeder Bewegung, die mein Vater tat, mit seinen brillenbesetzten Augen. Neben ihm stand seine Frau. Sie hatte vor Entsetzen die Hände vor den Mund geschlagen. Abermals erinnerte sie mich stark an Kasumi. Ich blickte wieder zu dem jungen Mann, der überrumpelt keinerlei Gegenwehr leistete. Wobei ich mir sicher war, dass es ein leichtes für ihn wäre, sich aus der Umklammerung zu lösen.

Was war los, wieso war mein Vater nur so aggressiv? Immer noch starrte ich verblüfft zu den beiden Schwarzhaarigen, versuchte zu sehen, was das Problem war und…es gelang mir! Augenblicklich fiel meine Kinnlade im Sturzflug gen Boden.

Plötzlich war alles klar. Die Lösung, so simpel, so durchdringend und…völlig absurd!

Mein mit Blutflecken übersätes Kleid, dass mir fast vom Körper fiel. Die verletzte Hand. Die blutverschmierte Wange der Nervensäge, all das hatte in den Augen meines Vater eine eindeutige Sprache gesprochen. Empörte Ausrufe auf der einen Seite, eine aufgebrachte, gewaltbereite Stimme auf der anderen und ich mittendrin, in diesem Chaos, diesem unglaublich lächerlichen Missverständnis. Niemals hätte ich mir auch nur ansatzweise so etwas ausmalen können, die Situation die auf eine ekelerregenden Art und Weise einer dieser realitätsverzerrenden Real-Shows, die Nabiki so gerne sah, erinnerte. Aber so sehr ich mich dagegen sträubte, dies einzugestehen…es war wirklich…amüsant!

“Ich bringe dich um! Hast du mich verstanden? Ich drehe dir den Hals um!” Und…da! Ein Gefühl, bittersüß, von unglaublicher Stärke, kroch meinen Körper hinauf, nistete sich in meinen Hirnwindungen ein und benebelte meinen Verstand. Ein seltsames, nie gehörtes Geräusch drang aus meiner Kehle und ich presste meine Fäuste auf den Mund. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich mich mit aller Macht dagegen zu wehren, doch vergebens. Und dann passierte es, das Unfassbare!

Ich begann zu kichern.

Erst leise, verborgen vor den anderen, bis es an Lautstärke zunahm und ich aus vollem Halse lachte. Lachte, wie nie zuvor in meinem Leben. Es tat so weh und…und…nie hätte ich auch nur erahnen können, dass etwas Schmerzvolles so wunderbar gut tun konnte.

Nach Luft schnappend unterbrach ich kurz meinen Ausbruch. Mein Blick fiel auf meine Familie, die mich ungläubig anstarrte. Nun, ich konnte es ihnen nicht einmal verübeln, so kannten sie mich ja nicht.

Erklären, all das…ich musste…erklären!

Keine Chance. Sobald ich meinen Mund öffnete, verfiel ich wieder in dieses unglaubliche Gelächter, dass nicht enden wollte. Mein Körper schmerzte, meine Lungen schrien nach Sauerstoff, aber mein Zwerchfell hatte die Kontrolle übernommen und tat, was es wollte.
 

Wie lange wir so dastanden, wie lange ich diesem Misch aus Schmerz , ‘out control’ und blanker Hysterie unterlegen war, weiß ich nicht mehr, doch irgendwann fand ich mich auf der Straße wieder. Ich war auf dem Weg zu Dr. Tofu, unserem Arzt. Inzwischen war mir furchtbar elend zumute. Mein Begleiter musterte mich belustigt von der Seite.

“Was ist?” entfuhr es mir genervt und ich ignorierte stur den schwankenden Boden unter meinen Füßen. Seine Hände hatte er tief in den Hosentaschen vergraben.

“Du hast ein schönes Lachen.” Oh nein, auf die Diskussion würde ich mich keinesfalls einlassen.

“Elf Jahre habe ich darauf gewartet.” Leise räusperte er sich und ich meinte in der Dunkelheit einen hauchdünnen Rotschimmer in seinem Gesicht entdeckt zu haben. Die Gebäude um mich herum nahm ich nur noch schemenhaft zur Kenntnis, doch sein neu erstrahltes Lächeln sah ich sofort.

“Wer hätte gedacht, dass du trotz der Verletzung noch so fest zuschlagen kannst.” Seine blauen Augen durchbohrten mich.

“Ich hatte dich gewarnt.” Kurz blieb ich stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Verdammter Blutverlust.

“Immer noch stur wie ein Esel.” murmelte mein Begleiter und größte Nervensäge auf diesem Planeten in seinen nichtvorhanden Bart und kaum das ich reagieren konnte, hob er mich in seine Arme und sprang auf das nächstgelegene Dach. Überrascht stieß ich einen Laut aus.

“Lass mich sofort wieder runter!” Himmel, war das anstrengend sich zu wehren. Ich hörte ihn lachen, während er von Dach zu Dach sprang, in einem Tempo, dass mir schon fast Sorgen bereitete.

“Du sollst mich loslassen, Ranma!” rief ich gegen den Wind und registrierte im nächsten Moment, wie ihm das Lachen im Halse stecken blieb und sich stattdessen ein sanftes Lächeln um seine Mundwinkel legte. Meinen gesunden Arm legte ich ihm um den Nacken.

Ich wusste, weshalb er lächelte.

Er war glücklich und ich…vielleicht…ein kleines bisschen…
 

…auch…
 


 

Ende



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