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Children of Elements

Buch I - Freundschaft
von

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Frieden

Jemand stritt durch den Wald.

Ihm nach folgten zwei große Wesen, ein rotes und ein blaues.

Die drei machten am Waldrand Halt und beobachteten die kleine Wiese vor ihnen, die zwischen ihnen und der Rückseite der Burg lag, eine Weile.

Dann, wie auf ein lautloses Kommando, stürmten die beiden Drachen und Fynn los und waren nur Augenblicke später an der Holztür, die der einzige Eingang auf dieser Seite des Gemäuers war, und sogleich hinter ihr verschwunden.

Im Hof war es einfacher ungesehen zum Stall zu gelangen, da sich hinter der Holztür nur die kleine Pferdekoppel für die kranken Pferde befand, die von den anderen, gesunden Pferden getrennt werden mussten. Doch zur Zeit erfreuten sich alle Pferde des Fürsten Jirani bester Gesundheit und somit war die Koppel leer.

Die Freunde kamen also ungesehen im Stall an und Fynn stürmte sogleich in die Box des weißen Drachen.

„Hey, da sind wir wieder!“, teilte er der grauen Schuppenmaske mit, als er eintrat – Xarix' Auge war von ihm abgewandt, sodass er nicht sehen konnte, ob der Drache wach war, oder schlief.

Doch sogleich hob sich der Kopf, drehte sich zu ihm und ein gelbes Auge blitzte ihn an. Leises, ruhiges Schnauben ertönte.

Nexel schob seinen Kopf über die Trennwand der Nebenbox und sah zu dem Artgenossen herunter. „Wir waren nur kurz frühstücken und wollten dich nicht wecken. Hast du dir Sorgen gemacht?“, fragte er.

Nach kurzem Zögern schüttelte der weiße Drache den Kopf und fauchte und knurrte dann.

„Nein, das geht nicht“, antwortete Nexel. „Ich kann hier drin unmöglich Feuer anzünden, um zu frühstücken, es ist doch alles voller Holz und Heu hier! Und Rorax weigert sich – verständlicherweise – wie ein Pferd aus einer Tränke oder einem Eimer zu trinken. Aber wir waren doch nicht lange fort, dachtest du etwa, wir würden dich alleine lassen?“

Der weiße Drache antwortete nicht.

„Xarix!“, rief Fynn. „Wie kannst du das bloß von uns denken! Wir haben alle die letzten zwei Tage an deiner Seite verbracht und weder Nexel noch Rorax haben Nahrung zu sich genommen, aus Sorge um dich!“
 

Tatsächlich hatte der Drache ganze eineinhalb Tage durchgeschlafen.

Ernähren tat er sich ja sowieso bei jedem Atemzug und als er endlich wieder erwacht war, hatte er zu seiner großen Überraschung den schlafenden Menschen dicht neben sich gefunden.

Sein erster Reflex war Flucht gewesen, es roch scharf nach Pferden und noch schärfer nach Menschen, doch der Junge lag so friedlich neben ihm, dass er sich doch nicht rühren wollte.

Doch dann hatte der rote Drache, der anscheinend gehört hatte, dass er vor Überraschung geschnaubt hatte, über die Trennwand geschaut und als der weiße Drache ihn gewahr wurde, war er erschrocken und ängstlich brüllend aufgesprungen.

Glücklicherweise war Fynn sofort wach und entsetzt ebenfalls aufgesprungen, denn ansonsten wäre er im nächsten Augenblick unter dem weißen Körper des Drachen begraben worden, der vor Schmerzen jaulend wieder zusammen gebrochen war.

Trotz der Schmerzen hatte der weiße Drache erneut den Kopf gehoben und in Nexels Richtung gefaucht. Doch der hatte sich klugerweise schnell geduckt und war für den Verletzten nicht mehr zu sehen.

Aus der gegenüberliegenden Box drangen Geräusche und kurz darauf schob sich ein erschrockener, noch ziemlich verschlafen drein blickender Rorax seinen Kopf durch die Tür.

„Es ist alles in Ordnung! Du bist in Sicherheit!“, versuchte Fynn derweil den Drachen zu beruhigen. „Wir sind Freunde! Wir sind alle deine Freunde! Der rote Drache wird dir nichts tun! Du bist in Sicherheit!“

In dem Augenblick ertönte die Stimme von Kubwa, dem Stallmeister. „Fynn?! Alles in Ordnung? Was ist passiert?“

„Alles in Ordnung, Kubwa! Der weiße Drache hat sich nur erschreckt. Mir geht’s gut!“

Brummeln war zu hören und dann leise, beruhigende Worte, mit denen der braunhaarige, muskulöse Mann die aufgebrachten Pferde besänftigte.

Der weiße Drache wandte sich unruhig, sein Kopf schwang schnell hin und her, als er versuchte, mit seinem einzigen, verbliebenen Auge alles im Blick zu behalten.

„Schon gut, schon gut“, sprach Fynn beruhigend auf ihn ein. „Alles ist in Ordnung, niemand wird dir wehtun! Ich kann verstehen, wie du dich jetzt fühlst, von Menschen umgeben, die du fürchtest, von Drachen umgeben, die dich verletzt haben, diese Situation ist sehr beängstigend. Du hast Schmerzen, dir fehlt die Hälfte deines Blickfeldes, die ganze Welt ist bedrohlich und unübersichtlich. Aber bitte, bitte vertrau mir! Ich will dir nur helfen!“

Die Atmung des weißen Drachen beruhigte sich wieder, auch wenn seine Schwanzspitze noch immer nervös zuckte. Er blickte noch einmal zur Trennwand, zu Nexels Box und schnaubte leise.

„Nein“, antwortete Rorax sanft. „Auch Nexel wird dir nichts tun. Du bist nicht länger unser Feind, wir wollen dir ALLE nur helfen.“

Leises Fauchen des Weißen erklang.

„Wir haben Mitleid. Unser Freund Xankir wurde genauso schlecht von Adui behandelt wie du, das hat niemand verdient!“, sagte Rorax.

Erleichtert seufzend senkte der Verletzte den Kopf auf das Stroh und ließ es sogar zu, dass Fynn ihm über den verstümmelten Kopf strich.

„Mein Name ist Fynn. Das sind Rorax und der Feuerkiuma heißt Nexel“, stellte der Mensch vor.

Der Weiße schnaubte.

„Xarix? Das ist ein schöner Name“, sagte Rorax. Und dann entspannte sich der geschuppte Körper und ihr neuer Freund war wieder eingeschlafen.
 

„Hey, Fynn“ Alles in Ordnung mit dir? Kann ich reinkommen?“, rief jemand von Eingang des Stalles herüber.

„Guten Morgen, Fürst Jirani. Moment! Es ist besser, ich komme raus“, antwortete Fynn.

Er strich noch einmal sanft über Xarix' Hals und stand auf. Als er die Box verließ, schob Nexel vorsichtig seinen Kopf durch die Tür – er wollte Xarix' Vertrauen gewinnen und sich um ihn kümmern.

Fynn lief zu Jirani, der draußen auf ihn wartete und ihn erwartungsvoll entgegen sah.

„Wie geht es dem Drachen?“, fragte er.

„Xarix ist sehr verwirrt und schüchtern, er hat Angst, er befindet sich schließlich in einem Gebäude der Menschen und ist verletzt und wehrlos. Deswegen möchte ich Euch bitten, nicht in den Stall zu kommen, das würde die Situation vielleicht eskalieren lassen.“

„Gut. Ich werde anweisen, dass sich niemand dem Stall nähern darf, außer Kubwa – jemand muss sich ja um die Pferde kümmern.“

„Vielen Dank.“

In dem Augenblick kam der junge, blonde Adlige vorbei.

„Ah, Kuponya! Bitte komm kurz herüber!“, rief Jirani.

„Wie kann ich Euch zu Diensten sein, mein Fürst?“, fragte der junge Mann, als er näher trat.

„Fynn, Kuponya ist ein hervorragender Heiler, Er hat viel von Pole, dem Weisen Alten gelernt, ihn inzwischen sogar übertroffen, was das Wissen von Heiltränken und Kräutern angeht. Er steht dir zur Verfügung, solltest du irgendetwas brauchen, um die Verletzungen und Schmerzen deines... Freundes zu lindern.“

„Das ist sehr großzügig, vielen Dank!“, meinte Fynn erfreut.

„Ich würde mich sehr freuen, wenn ich deinem Freund mit meinem Wissen helfen kann“, sagte Kuponya freundlich.

Plötzlich erklang aus dem vorderen Bereich des Hofes – der mit einer Holzpalisade vom hinteren Teil getrennt war – ein lautes, metallenes Geräusch und zwei laute Stimmen folgten. Offensichtlich stritten sich zwei Männer. Der Fürst stöhnte, entschuldigte sich und verschwand in Richtung des Streites.

Fynn war anfangs beunruhigt und sogar erschrocken gewesen, als er das erste Mal einen Streit zwischen Kubwa, dem Stallmeister und Salama, dem schwarzhaarigen Ritter mit dem großen Schwert mitbekommen hatte.

Doch inzwischen wunderte er sich mehr darüber, dass jeder, den er fragte behauptete, die beiden wären die besten Freunde.

Kuponya schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Fynn zu.

„Brauchst du etwas? Kann ich helfen?“

„Ja. Xarix hat Schmerzen. Hättet Ihr vielleicht ein schmerzstillendes Mittel für ihn?“

„Ich werde ein paar Kräuter sammeln und eine Salbe herstellen. Deinem Freund wird es bald wieder bes-“

„Kuponya!! Wo bleibst du denn? Lässt man seinen Meister etwa warten? Ich dachte, ich hätte dir Manieren beigebracht!“, rief eine brüchige Stimme aus dem Turm, der den Hof überragte.

Die beiden hoben die Köpfe und sahen den alten Mann aus dem obersten schmalen Fenster zu ihnen hinunterblicken.

„Verzeiht mir, Meister Pole, ich bin schon unterwegs!“, antwortete Kuponya, verabschiedete sich schmunzelnd von Fynn und machte sich eiligst auf den Weg.

Kaum hatte sich die Tür hinter dem blonden Adligen geschlossen, rauschte Kubwas jüngerer Bruder Dogo um die Ecke, auf Fynn zu.

In der Morgensonne glänzte das Profil des Adlers, das in seine leichte Rüstung gestanzt war, besonders schön. Doch sein roter Kinnbart zuckte und er starrte grimmig, sodass die Ähnlichkeit mit seinem Bruder noch mehr hervortrat.

„Hey, Fynn! Hast du Kuponya gesehen? Fürst Jirani meinte, er wäre eben noch hier gewesen!“

„Ja“, nickte der Angesprochene und deutete auf den Turm.

„Er ist dort drin, bei Meister Pole.“

Ohne ein weiteres Wort verschwand Dogo, wie zuvor der Heiler hinter der Holztür und Fynn beschloss, mal nachzusehen, wie es den beiden Streitenden ging.

Er setzte sich in die Richtung in Bewegung, aus der vor kurzem noch Streitgeschrei zu hören gewesen war, jetzt aber eine verdächtige Stille herrschte.

Als er an der Holzpalisade vorbeikam, sah er die Streithähne.

Sie saßen jeder auf einem Holzschemel und beäugten sich wütend.

Salama presste sich ein blutiges Tuch gegen seinen schwarzen Schopf, während Kubwa versuchte, ein viel zu kleines Stofftaschentuch um einen großen Schnitt am Arm zu wickeln.

Salama hielt noch immer das Schwert fest, ohne das ihn Fynn noch nie gesehen hatte. Neben Kubwa auf dem Boden lag eine Mistgabel.

Offensichtlich war dieser Streit nicht nur verbal ausgetragen worden, wie es sonst der Fall war.

Muziki, der Musiker der Burg, lief gerade mit einem Eimer Wasser auf den doch recht stark blutenden Stallmeister zu und wirkte ziemlich fehl am Platz mit seiner bunten Kleidung und dem wagenradgroßen Hut auf dem Kopf.

Die Glöckchen an seinen spitzen Schuhen klingelten hektisch bei jedem Schritt.

Jirani stand zwischen den beiden Kontrahenten, hielt eine Strafpredigt und verbot es den beiden strengstens, noch einmal Waffen gegeneinander zu erheben.

„Ach du meine Güte Kann man die beiden denn nie alleine lassen?“, rief Kuponya und stürmte an Fynn vorbei, energisch in seiner großen Tasche wühlend.

Er beugte sich über Kubwa, zog das nutzlose Taschentuch beiseite und presste dem laut fluchenden Mann eine halbe Wurzel auf den Schnitt.

„Halt das fest!“, befahl er.

„Verflucht, das tut doch weh, Mann!“, war die wimmernde Antwort.

Gerade als Salama anfangen wollte, laut zu lachen, zog Kuponya ihm die Hand von der Stirn und klatschte die zweite Hälfte auf die kleine Platzwunde. Darauf ertönte ein weiterer Fluch.

Fynn wandte sich von der Szene ab und beobachtete interessiert das Verhalten der Bediensteten, die geschäftig über den Hof liefen.

Einige Küchenjungen standen grinsend am Rand und verfolgten das Schauspiel, andere wiederum schienen das zu kennen. Mit ausdruckslosen Gesichtern gingen sie ihrer Wege, ohne ihren, immer noch schimpfenden Herrn oder dessen Vertrauten zu beachten.

Gerade, als Fynn wieder zurück zu seinen Freunden wollte, legte sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter und er fuhr erschrocken herum.

Zwei undeutbare, schwarze Augen blickten knapp an seiner Schulter vorbei.

„H-Habari, Ihr habt mich vielleicht erschreckt!“, keuchte Fynn.

Doch der Spion des Fürsten antwortete nicht.

Fynn hatte ihn seit dem Tag, als er mit den anderen Vertrauten Xarix half, in die Burg zu gelangen, nicht mehr gesehen, doch seine mysteriösen tiefschwarzen Augen hatte er nicht vergessen können.

„Du solltest mal wieder deine Eltern besuchen. Seit du hierher kamst, warst du nur einmal bei ihnen. Sie sorgen sich um dich“, sagte Habari dann mit seiner tonlosen Stimme.

Ein Schauer lief über Fynns Rücken. Hatte der Mann ihn etwa die ganze Zeit über beobachtet?

„Es ist meine Aufgabe, alles zu wissen, was hier am Hofe vor sich geht.“

Ein zweiter Schauer ließ Fynn erzittern, als er das sagte. Konnte er Gedanken lesen?

Habaris schmale Lippen verzogen sich und deuteten ein Lächeln an, das ihn kein Stück sympathischer erscheinen ließ.

Dann drückte er Fynns Schulter kurz und ging davon – weg von den Verletzten, die Kuponya gerade verarztete und sein heller, fast schon farbloser Kopf verschwand hinter der Holzpalisade in den hinteren Hof.

Fynn konnte ihn auf Anhieb nicht leiden, was Habaris Angewohnheit, einem niemals direkt in die Augen zu sehen auch nicht besser machte, beschloss aber dennoch, seinen Rat zu befolgen und seine Eltern am Nachmittag zu besuchen.

Als er wieder beim angelangte, hörte den nächsten Streit.

Er trat in das Holzgebäude und fand Rorax und Nexel vor, die sich im Gang gegenüber aufgebaut hatten und sich anstarrten.

„Du bist ziemlich kalt für einen Feuerkiuma!“, knurrte Rorax aufgebracht.

„Ich bin nicht kaltherzig. Ich sage nur, dass ich nichts weiter getan habe, als das, was getan werden musste!“, antwortete Nexel weitaus ruhiger und betont lässig.

„Was ist hier los?“, fragte Fynn und beobachtete beunruhigt, wie Rorax' Schwanz (der Wasserkiuma stand mit dem Rücken zum Eingang) aufgebracht hin und her schwang und dabei bedrohlich nahe an die Türen der Pferdeboxen kam. Sollte er eine treffen, war es nicht unwahrscheinlich, dass er sie versehentlich beschädigte.

Nexel sah ihn über Rorax' Rücken hinweg an – was ihm nicht schwerfiel, da der Wasserkiuma kleiner war und zudem den Kopf in Angriffshaltung gesenkt hatte – und öffnete die Schnauze, um zu antworten. Doch der Blaue war schneller.

„Wir reden gerade über den Vorfall in der Nacht, als uns Xarix verfolgte und über Nexels Schuld an seinem Zustand!“, knurrte er.

„Was unsinnig ist“, ergänzte der Feuerdrache, „da ich keine Schuld habe!“

Fynn überkam das Verlangen, Rorax' Schwanz einzufangen und festzuhalten, doch er hatte Angst, sich zu verletzen. Stattdessen behielt er die Schwanzspitze im Auge, bis ihm von dem schnellen Hin und Her fast schwindlig wurde.

„Schluss jetzt!“, rief er laut, als Rorax nun doch eine Box traf und es laut krachte. Das Pferd in der Box wieherte erschrocken. „Raus mit euch! Alle beide!“

Endlich ließ Rorax Nexel aus den Augen und drehte seinen langen Hals, bis er seinen Freund hinter sich stehen sah. Das letzte Mal hatte er Fynn so wütend gesehen, als sie Xankir verfolgt hatten und er sich im Dornenbusch einen Dorn in den Fuß getreten hatte.

„A-aber Fynn...!“, wollte er protestieren, doch der Mensch ließ ihn nicht ausreden.

„Wir sind hier Gäste! Und es gehört sich nicht für Gäste, das Eigentum von Gastgebern zu beschädigen oder deren Pferde scheu zu machen! Ihr wollte euch streiten? Dann tut das draußen, wo ihr genügend Platz habt und vor allem Xarix nicht stört!“

Betroffen blickte Rorax zu Boden.

„Entschuldige, daran habe ich gar nicht gedacht...“

Nexel verzog keine Miene und sah auch nicht aus, als wollte er sich entschuldigen. Das machte Rorax sofort wieder wütend.

„Lass mich raten. Du bist dir keiner Schuld bewusst!“, fauchte er.

„RAUS!“, befahl Fynn und beide Drachen zogen die Köpfe ein.

Dann setzten sie sich in Bewegung. Rorax drehte sich so vorsichtig wie möglich in dem – für ihn – engen Flur um und die beiden sahen ihrem Freund nicht in die Augen, als sie an ihm vorbei hinaus gingen.

Fynn lief den Gang hinunter und sah in Xarix' Box hinein.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er besorgt. „Kann ich dir was Gutes tun?“

Die graue Maske hob sich und ein gelbes Auge blinzelte ihn müde an. Er schnaubte leise und schüttelte den Kopf. Der Mensch tätschelte ihm die Stirn und lächelte in das verzerrte Gesicht.
 

Die geschmolzenen Schuppen verdeckten nicht nur sein rechtes Auge, sondern auch zum großen Teil seine Nüstern – wobei es die rechte Seite schlimmer erwischt hatte, als die linke, durch die er hauptsächlich atmete – sondern auch sein Maul, das, wenn er es öffnete rechts vollständig von Schuppenmasse verschlossen wurde, links jedoch teilweise frei war, was ihm erlaubte zu sprechen, also zu fauchen und zu knurren. Den Göttern sei Dank brauchte er jedoch keine feste Nahrung, sondern ernährte sich von Luft, sonst wäre er längst verhungert.
 

„Schlaf noch ein bisschen, ich kümmere mich um die Streithähne. Und heute Abend hole ich einen Zuber heißes Wasser und dann wirst du mal gründlich geschrubbt. Wie findest du das?“

Unter der Maske zeigten Verdickungen an, wo früher seine Lefzen waren und diese verzogen sich nun zu einem eindeutigen Lächeln, als der Weiße Fynn zunickte.

Dann lief Fynn seinen Freunden hinterher, die sich durch die Holztür in den Wald verzogen hatten, durch die sie am Morgen gekommen waren.

Es war ganz einfach, sie zu finden, als er Burgmauer hinter sich gelassen hatte, denn die streitenden Stimmen waren nicht zu überhören.

Sie standen mitten im Dickicht einander gegenüber und nun schien sogar Nexel wütend zu sein.

Fynn trat zwischen sie – nur um sicher zu gehen, dass sie nicht aufeinander losgingen.

„Jetzt hör endlich damit auf!“, rief Nexel. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen! Es war Notwehr! Ich habe euch beschützt. Ich habe DICH beschützt!“

„Fynn hat es damals schon gesagt, und ich wiederhole es: Es hätte eine andere Lösung geben müssen!“

„Es gab keine! Keine, die euch nicht gefährdet hätte!“

„Jetzt beruhigt euch erst mal!“, rief Fynn dazwischen.

Dann wandte er sich Rorax zu.

„Was passiert ist, ist passiert. Man kann es nicht rückgängig machen. Lass uns nach vorne blicken und versuchen, Xarix zu helfen.“

„Ach, und das war's? Einfach vergeben und vergessen?“

„Was willst du? Eine Bestrafung?“, fragte Fynn, jetzt auch leicht verärgert.

„Eine Entschuldigung wäre das Mindeste!“

„Aber ich habe es nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Notwehr getan! Seit wann muss man sich für Notwehr entschuldigen?“, antwortete Nexel überheblich.

„Du-!“, fauchte Rorax wieder los.

„Schluss jetzt! Streiten hilft doch nichts! Wenn Nexel nicht der Meinung ist, sich entschuldigen zu müssen, dann können wir ihn nicht zwingen!“

„Aber-!“

„Nein, Rorax. Hört auf, euch zu streiten, es bringt doch nur Unfrieden. Und wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, Xarix auf die Beine zu helfen und mit seiner... seiner Situationen zu leben.“

Dann drehte Fynn sich zu Nexel um.

„Aber ich möchte dir trotzdem sagen, dass ich es auch nicht in Ordnung finde, wie du dich verhältst. Du warst zwar gezwungen zu tun, was du getan hast, aber ich glaube, dass auch Xarix nicht aus freien Stücken gehandelt hat. Ich bin sicher, auch er war gezwungen zu tun, was er tat.“

„Und von ihm verlangt keiner eine Entschuldigung!“, warf Nexel ein.

Bevor Rorax wieder loswettern konnte rief Fynn laut: „Das führt zu nichts! Lasst uns aufhören zu streiten! Konzentrieren wir uns auf Xarix! Ich werde jetzt nachsehen gehen, ob Kuponya mit dem Heilmittel für ihn fertig ist. Und ihr zwei...“, seine Stimme nahm einen drohenden Unterton an, „...vertragt euch entweder und leistet Xarix Gesellschaft, oder ihr kühlt euch im Wald ab. Aber ich will keine weiteren Streitigkeiten mitbekommen! Klar?!“

Mit einem letzten Blick zum jeweils Anderen, gingen die beiden getrennte Wege – Rorax Richtung Burg, Nexel in den Wald.

Fynn schüttelte den Kopf. „Wie auf dem Dorfplatz*.“

Dann wandte er sich ebenfalls der Burg zu und kehrte in den Hof zurück. Als er am Stall vorbeikam, konnte er die leise Unterhaltung zwischen Rorax und Xarix hören.

'Hoffentlich stachelt Rorax ihn nicht wieder gegen Nexel auf!', dachte Fynn besorgt.

Dann betrat er den vorderen Hof, doch dort ging alles wieder seinen gewohnten Gang und keiner von Jiranis Vertrauten war zu sehen. Ratlos blieb Fynn stehen, wo sollte er Kuponya suchen?

Er beschloss Meister Pole zu fragen, der sicherlich noch in seinem Turm saß – diesen verließ er selten, wie er in der kurzen Zeit, in der er hier war, festgestellt hatte.

Er ging zurück in den hinteren Hof und öffnete die Tür zum Turm, um neugierig hinein zu blicken.

Er erblickte eine lange Treppe, die sich spiralförmig nach oben wand. Alles war aus Stein und es hing kein Schmuck an der Wand.

Fynn fühlte Unsicherheit in sich aufsteigen – durfte er einfach den Turm betreten?

Nach kurzem Zögern überwand er sich, schloss die Tür hinter sich und betrat die Treppe. Er würde es nicht herausfinden, indem er hier unten stand und darüber nachdachte.

Er fühlte sich wie ein Einbrecher, oder ein Dieb, als er leise die Stufen erklomm, und das gefiel ihm gar nicht.

Endlich hatte er die letzte Stufe erreicht und stand vor einer dunklen, schweren Holztür.

Schnell wischte er sich die feuchten Hände an der Leinenhose ab – dann klopfte er zaghaft.

Einen Moment lang hielt er gespannt die Luft an, dann öffnete sich die Tür mit einem Ruck und Kuponya sah ihn erstaunt an.

„Ach, du bist es? Du hast so leise angeklopft, ich dachte, ich hätte mir verhört. Du kommst wegen deiner Heilmittel, nicht wahr? Komm rein“, sagte er und öffnete die Tür weit, um Fynn mit einem freundlichen Lächeln herein zu lassen.

Hinter ihm schloss der blonde junge Mann die Tür wieder und wandte sich einem Tisch zu, dessen Platte man vor lauter Kräutern, Messern, Körben voller Wurzeln und Schneidebrettern kaum noch sehen konnte.

„Ich bin gleich fertig, wenn du bitte noch einen Moment Geduld hast“, sagte Kuponya und begann damit, einige Kräuter und seltsam schimmernde Flüssigkeiten aus kleinen Tonkrügen in eine Schale zu geben und mit einem Stößel zu zerstampfen.

Während er wartete, sah sich Fynn um.

Ausgenommen des Tisches, an dem der Heiler arbeitete, war es sehr ordentlich in dem runden Raum. Die steinernen Wände waren mit vielen Pergamenten beklebt, auf denen Mondtabellen und Zeichnungen von Pflanzen zu sehen waren.

An einer Wand war ein riesiges Bücherregal mit dicken Wälzern und von der Decke hingen Pflanzen zum Trocknen.

Durch drei große Fenster kam Licht herein, die Mitte des Raumes war mit einem großen Teppich belegt und in einer Ecke entdeckte der Besucher eine Falltür.

Fynn ging zum Bücherregal und zog vorsichtig eines der Schriftstücke heraus, um es zu öffnen.

Verwundert sah er auf die seltsamen Zeichen, die die Seiten bedeckten.

„Die sind alle von Meister Pole persönlich verfasst worden“, sagte Kuponya, der hinter ihn getreten war und über seine Schulter sah.

„Was steht da drin?“, fragte Fynn und drehte sich zu ihm um.

„In diesem Buch hier“, Kuponya deutete auf das in Fynns Hand, „stehen giftige Pflanzen und ihre Wirkung auf den menschlichen Körper.“

„Aha.“ Fynn starrte fasziniert die winzigen Zeichen an.

„Sag, Fynn...“, begann Kuponya nach kurzem Zögern. „Kann es sein, dass du... nicht lesen kannst?“

Der Besucher blickte überrascht auf. „Nein, natürlich nicht.“

„Na- natürlich nicht?!“, stotterte Kuponya. „Wieso ist das so natürlich?“

Fynn grinste.

„Entschuldigt, für Euch muss das seltsam klingen, weil Ihr ein Gelehrter seid. Aber einfache Bauern und Dörfler wie meine Eltern und ich, wir brauchen keine Schrift. Wozu also so etwas lernen?“

„Ich denke, das verstehe ich. Irgendwie... Aber gibt es denn in eurem Dorf keinen, der Lesen und Schreiben kann?“

Fynn dachte einen Moment lang nach.

Hm, ich glaube, ich habe mal gehört, dass unser Dorfältester lesen und schreiben kann – aber sicher bin ich mir nicht.“

„Ach so... Nun, hier ist jedenfalls dein schmerzstillendes Mittel. Trag es auf die schmerzenden Stellen auf, und es wird deinem schuppigen Freund Linderung verschaffen.“

Fynn bedankte sich und nahm den Tonkrug entgegen, der mit einem Korken aus geschnitztem Holz verschlossen war.

„Wenn du noch etwas brauchst, kannst du gerne wieder anklopfen.“

„Danke, mach ich“, antwortete Fynn und wandte sich der Tür zu.

Im Stall angekommen, bemerkte er, dass Nexel noch nicht zurückgekommen war, doch Rorax leistete Xarix noch immer Gesellschaft.

„Hier hab ich deine Medizin. Die wird dir helfen“

Fynn bestrich Xarix' Kopf mit der klebrigen Paste, die einen starken Kräuterduft verbreitete und der Drache schloss wohlig auf seufzend das Auge.

„So“, sagte Fynn und stellte den Krug in ein Regal neben eine Bürste zum Striegeln eines Pferdes und einen Hufauskratzer.

„Den Rest bekommst du heute Abend nach dem Waschen. Ich geh jetzt meine Eltern besuchen. Und keinen Streit, wenn Nexel wieder auftaucht“, warnte er Rorax.

Dann verließ er den Stall, durchquerte den hinteren und den vorderen Hof und machte sich auf zu seinen Eltern.

Auf dem Word zu ihrem Haus kam er nahe am Wald vorbei.

„Psssst! Fynn!“, zischte eine Stimme aus nächster Nähe, sodass der Angesprochene heftig zusammenzuckte.

Er spähte in den Wald, konnte aber Nichts und Niemanden entdecken.

Wieder hörte er die Stimme und sie klang ganz nah.

„Ich bin's, Xankir!“

„Xankir?“, Fynn ging auf die vermeintliche Quelle der Stimme zu und seine tastenden Hände stießen gegen kühle Schuppen.

Da, zwischen den sprießenden, grünen Zweigen und dem dunklen Braun der Baumstämmen blickte er in zwei große Augen. Der Rest des Drachen war aufgrund seiner perfekten Anpassung an das Grün und Braun nicht auszumachen.

„Da bist du ja endlich! Ich warte hier schon seit gestern! Seit ich über diese Burg geflogen und deine Eltern auf dem Acker davon hab arbeiten sehen. Ich hatte gehofft, du würdest sie bald aufsuchen. Ich hab mir Sorgen gemacht! Hättest mir ruhig eine Nachricht zukommen lassen können, ob alles gut gelaufen ist!“

„Tut mir Leid. Entschuldigung“, sagte Fynn immer noch perplex.

Ein Gedanke drängte sich ihm auf.

Habari, der Spion, hatte ihm geraten, seine Eltern zu besuchen. Wusste er, dass Xankir auf ihn wartete?

Dann verdrängte ein anderes Gefühl die Unruhe, die ihn bei diesem Gedanken befiel: Freude.

Xankir war wieder bei ihm, die vier Freunde waren wieder vereint. All seine Probleme hatten sich in Luft aufgelöst.
 

Und er hoffte, dass endlich wieder Frieden in sein Leben einkehren würde.
 

*Fynn bezieht sich darauf, dass bei guten Wetter auf dem Dorfplatz die Kinder betreut werden, gleichzusetzen mit unserem „Kindergarten“



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