Blaise
Kapitel XXXIX : Blaise
Die Stimmung im Krankenflügel konnte man bestenfalls als bodennah bezeichnen.
Der Junge namens Blaise stand wie erstarrt da, immer noch in der Nähe des Eingangsbereiches und ließ seine Augen nicht von Malfoy, der genauso still auf dem Bett über mir kniete, die Hände immer noch neben mir aufgestützt. Langsam ließ ich seinen Kragen los, doch er entfernte sich nicht von mir.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Ich kannte den Jungen flüchtig aus dem Unterricht. Bisher hatte ich noch nicht einmal gewusst, wie sich seine Stimme anhörte, da er sich noch nie gemeldet hatte, geschweige denn, dass er drangekommen wäre. Denn die Lehrer ließen ihn in Ruhe, daher hatte ich vor einiger Zeit geschlossen, dass seine Noten akzeptabel zu sein schienen. Auch bei praktischem Unterricht hatte er meines Wissens noch nie versagt.
„Du hättest mir das ruhig sagen können.“ Blaise‘ Stimme hörte sich auf einmal völlig ruhig an. „Wieso hast du es nicht getan?“
Es dauerte eine Weile, bis Malfoy antwortete.
„Wieso sollte ich?“ fragte er, und die gewohnte Hochnäsigkeit war zurückgekehrt. Blaise schien schockiert, wütend kniff er die Augen zusammen.
„Wieso?“ Sofort war seine kurzweilige Ruhe verschwunden. „Weil ich dein bester Freund bin, zum Beispiel? - Ich hab dir doch bisher auch alles erzählt!“ Etwas übereilt hastete er zu dem Bett hinüber, auf dem wir beide immer noch wie zusammengeschmolzen lagen und beugte sich zu Malfoy hinunter, nicht ohne mir kurz einen unsicheren Blick zuzuwerfen. Doch ehe er zu einem weiteren Satz, einer weiteren Anschuldigung kommen konnte, fiel Malfoy ihm ins Wort.
„Du musst schließlich auch nicht alles wissen!“ giftete er ihn an. „Oder soll ich dir auch noch die Einzelheiten über das Wo und Wie aufzählen?“
Ehrlich gesagt war ich entsetzt darüber, wie er mit seinem besten Freund sprach, wenn es denn stimmte, was dieser Blaise erzählte. Doch ich mischte mich nicht ein.
Man konnte es ihm kaum ansehen, doch da ich Malfoys Gesicht inzwischen schon gewohnt war, diese Grimasse aus reinem Nichts, die zu keiner Regung fähig zu sein schien, bis sie sich schließlich veränderte - auch Blaise besaß sie. Trotzdem sah ich, wie er von ihm verletzt wurde.
„Dann mach wenigstens nicht solche halben Sachen!“ Früher hatte ich Blaise immer als ruhigen Schüler eingestuft, dem nichts so einfach in Rage bringen konnte.
Jetzt wurde dieses kleine Weltbild von mir mit solcher Wucht zerstört, dass ich ins Schwanken gekommen wäre, wenn zwei Tatsachen dies nicht verhindert hätten. Vielleicht auch drei. Erstens war mir Blaise nie so wichtig gewesen, war mir überhaupt nicht wichtig gewesen, dass es mich auf irgendeine Weise berühren konnte. Er hatte einfach keinen Platz in meinem Alltag, ich hatte keine wirkliche Meinung von ihm.
Und zweitens lag ich immer noch im Bett, Schwanken brachte also nichts und außerdem, drittens, hätte Malfoy mich sicherlich aufgefangen, falls es doch so gewesen wäre. Doch nur vielleicht.
Die beiden Jungs schwiegen sich währenddessen immer noch an. Doch während sich in Malfoys regungslosem Gesicht allerhöchstens Wut widerspiegelte, waren bei Blaise mehr Gefühle zu sehen.
Schließlich ließ er den Kopf hängen, doch als er sprach, hörte ich ein Lächeln heraus.
„Bei Salazar, du hast doch nicht allen Ernstes geglaubt, ich hätte was dagegen?“ fragte er, seine Stimme zitterte vor unterdrücktem Lachen. „Gerade ich!“
Gerade noch rechtzeitig sah ich zur Seite, um mitzubekommen, wie Malfoys Mundwinkel zuckten, bevor er in Lachen ausbrach. Er nahm die Hände von dem schneeweißen Laken, um sie sich vor den Bauch zu halten und schließlich, als er sich beruhigt hatte, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen.
„Oh Mann, du hast ja Recht, Blaise.“ Er sah auf und sein Gesicht wurde wieder eine Spur ernster. „Aber ich hatte eben keine Lust darauf, dass du mich ausfragst. - Das ist doch genau das, was du jetzt vorhast, oder?“ Blaise grinste.
„Du hast mich durchschaut.“ gab er zu. „Also, ich höre?“
Doch Malfoy verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf, wofür ich ihm innerlich sehr dankbar war. Ich fühlte mich ein wenig fehl am Platze, obwohl ich das eigentliche Objekt ihrer kleinen Auseinandersetzung war.
„Ich … Ich werde dann mal gehen …“ sagte ich leise.
Doch Malfoy hielt mich fest.
„Nanana, du wirst schön hier bleiben!“ befahl er und ließ die Finger der Hand, die mich festhielt, über meinen Arm streichen.
„Was - Malfoy, hör auf! Nicht vor-“ Ich stockte und sah unsicher zu Blaise, der mit jetzt nunmehr süffisanten Grinsen auf uns hinabblickte.
„Keine Sorge … Potter.“ Es schien, als kostete ihm die Aussprache meines Namens noch etwas an Überwindung. Wahrscheinlich steckte auch er es nicht einfach so weg, wenn sein Freund mit jemanden aus Gryffindor etwas am Laufen hatte. „Ich lass euch jetzt allein, dann seid ihr ungestört.“ Unverschämt zwinkerte er uns zu und wandte sich dann zur Tür. „Nott sucht mich eh schon. Das ist auch einer der Gründe, warum ich hierher gekommen bin. Hier würde er mich als Letztes suchen.“
Fragend sah ich Malfoy an, während Blaise langsam zur Tür ging.
„Blaise hasst den Geruch vom Krankenflügel.“ klärte er mich auf. „Er wollte mir nie sagen warum, aber ich schätze, er hat wohl irgendwelche schlechten Erfahrungen gemacht.“
„Ach ja“, meinte Blaise über die Schulter blickend, „du könntest dich mal wieder bei Professor Grey blicken lassen, Potter. Ich glaube, dass wäre besser für euch beide.“
Ich stockte und starrte ihn mit weit auf gerissenen Augen an.
„W-Wie meinst du das?“ Blaise lächelte.
„Du glaubst wohl, du bist der einzige, der in ihm nicht nur einen Lehrer, sondern einen guten Freund sieht, was?“ fragte er, doch es klang mehr nach einer Feststellung. „Wir reden manchmal über dich.“ Er wandte sich noch einmal zu mir um. „Weißt du, ich interessiere mich sehr für Zaubertränke … und ich habe ihn Anfang des Schuljahres mal gefragt, ob ich nicht ein Praktikum oder so was bei ihm machen könnte.“ Er machte eine Pause, als überlegte er, wie er sich seine Worte am besten zurechtlegte. „Mein Traum ist es, einen … Impfstoff, wenn du so willst, gegen Werwolfsbisse zu erfinden. Um Leuten wie dir zu helfen.“
Irgendetwas Schweres raste durch meinen Körper. Malfoys Hand krallte sich in meine Haut und sein anderer Arm legte sich fest um meinen Bauch.
„Was?“ Ich glaubte fast, ihn nicht richtig verstanden, mich verhört zu haben, doch die Worte schwebten klar und deutlich vor meinem geisteigen Auge zwischen uns in der Luft. „Woher weißt du-“
„Dass du ein Werwolf bist?“ Er nickte zu Malfoy hinüber. „Von ihm natürlich, von wem sonst?“ Blaise tat so, als wäre dies die normalste Sache der Welt.
Erschrocken sah ich zu Malfoy, den das ebenfalls nicht sonderlich zu schockieren schien. Was ja auch klar ist, immerhin ist er ja Schuld!
„Hast du - Hast du noch anderen davon erzählt?“ Meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich ihn fragte. Er sah mich überrascht an.
„Quatsch, natürlich nicht! Für wie dumm hältst du mich eigentlich?“ Als er weiter sprach, senkte er ein wenig die Stimme. „Schließlich weiß ich ja, was das Ministerium dann mit dir machen würde - Held der Zaubererwelt hin oder her.“
Auch wenn ich glaubte, es nach außen hin nicht zu zeigen, innerlich lächelte ich. Er macht sich Sorgen um mich! Okay, wer wäre nicht besorgt, wenn er wüsste, dass jemand, der einem dann auch noch so nahe steht, getötet werden könnte?
Nahe stehen. Ich wusste im Grunde genommen immer noch nicht, was genau Malfoy für mich empfand. Gerade eben hatte er mir noch gesagt, dass Malfoys nicht fähig wären, Liebe zu empfinden. Doch danach hatte er sich irgendwie verändert. Ich war mir nicht sicher, ob er seine Aussage nun ernst gemeint hatte oder nicht.
Und nachzufragen traute ich mich nicht. Erst Recht nicht im Beisein von Blaise.
„Also … ich geh dann mal …“ Blaise schien bemerkt zu haben, dass er störte - zumindest was mich betraf - und drehte uns wieder den Rücken zu. „Viel Spaß noch euch beiden.“ Er winkte kurz, dann war er durch die Tür verschwunden.
Malfoy beugte sich wieder zu mir hinunter.
„Was hast du jetzt schon wieder vor?“ fragte ich misstrauisch. Er wollte gerade antworten, hatte den Mund schon geöffnet - da ertönte ein erschrockener Ausruf, vielmehr ein Schrei von draußen.
„B-Blaise?“ Malfoy hatte die Stimme natürlich erkannt und stemmte sich von mir hoch. Er schwankte etwas, als er aus dem Bett krabbelte und zur Tür lief, mehr in Kurven als geradeaus.
„Warte!“ Schnell hatte ich zu ihm aufgeholt und stützte ihn, indem ich einen Arm um seine Hüfte und einen um seine Schultern legte. Von außerhalb polterte und krachte es und gezischte Ausrufe waren zu hören, dann plötzlich Stille.
Leicht panisch beeilten wir uns, die Tür zu erreichen, doch als wir nach einigem Stolpern endlich ankamen, bot sich uns ein seltsames Bild: Blaise lag, Arme und Beine unbeweglich an den Körper gepresst, auf den Boden und blickte starr geradeaus.
„Finite Incantatem!“ erlöste ich ihn, denn Malfoys Zauberstab lag natürlich noch auf dem kleinen Tisch neben seinem Bett.
„Scheiße!“ war das Erste, was Blaise zustande brachte, noch bevor er sich aufrichtete. „Nott hat uns belauscht.“