Schöne Zeit
Kapitel 21: Schöne Zeit
>21. Sie können eine wundervolle Zeit miteinander verbringen…<
„Gehen wir…?“
Ren hätte beinahe nein gesagt. Sie waren unbestimmte Zeit auf dem kühlen Gras liegen geblieben, hatten sich gegenseitig gewärmt. Und als Horo das so in sein Ohr nuschelte, war er drauf und dran zu verneinen.
Aber das würde Konsequenzen haben.
Man suchte sie sicher schon, stellte alle möglichen Vermutungen an. Und den armen Schwestern konnten sie das auch nicht länger antun. Sie bekamen schließlich Ärger weil sie ihre Aufsicht verletzt hatten.
Auch wurde es dennoch langsam wirklich kalt. Sie hatten es sicher schon nach Mitternacht.
„Ja, gehen wir…“
***
„Ist keiner da?“, fragte der Ainu, welcher Ren an der Hand hielt und am Anfang der Station 92 war. Sie konnten keine Menschenseele entdecken.
„Liegt wohl daran, dass wir es gegen 2 Uhr mitten in der Nacht haben.“
„Kann sein, aber ich dachte eine Schwester würde vielleicht auf uns warten…“
„Nimm dich nicht so wichtig.“
Horo schmollte nur. Küsste den Kleineren dann aber frech auf die Schläfe.
„Gehen wir schlafen.“
***
Ren konnte nur nicht schlafen.
Nicht, weil er Schmerzen hatte. Diese hatten sich, trotz das er heute nicht wirklich seine Medikamente zu sich genommen hatte, noch immer nicht gemeldet. Horo schlief schon neben ihm. Sie würden nur noch ein paar Stunden Schlaf bekommen, da es schon spät nachts war. Dennoch konnte Ren nicht schlafen.
Er fühlte sich so seltsam wohl, dass es fast schon wie ein Traum schien.
Es hatte lange gedauert, eher beide sich mit ihren Gefühle abgefunden hatten. Oder wenigstens zugaben diese zu haben. Das war ja nicht einfach, mal so eben zuzugestehen, dass man schwul war.
Aber Horo schien es nun fast egal zu sein. Gut, er konnte geschlagene 2 Wochen machen mit Ren was er wollte, vielleicht hatte er sich nun schon an den Gedanken gewöhnt. Ren dagegen musste es erst noch verarbeiten. Es würde dauern, ehe er von sich selbst aus den Ainu berühren würde.
Aber das war im Moment nicht der Grund seiner Schlaflosigkeit. Es war auch nicht so, dass der Blauhaarige schnarchte oder das ihm kalt war. Horo murmelte etwas gegen seinen Hals und hielt seinen Körper weiter nah bei sich.
Er musste an Run denken. Seine Schwester, die die ganze Zeit für ihn da war. Und Horo hatte ihr versprochen auf ihm acht zu geben. Sie musste es wirklich geahnt haben, oder sich wirklich Sorgen um ihren kleinen Bruder gemacht haben. Kaum zu fassen.
Denn im Moment war Ren fast glücklich. Er liebte eine Person und dieser Person war bei ihm, liebt ihn auch. Wie viele Personen konnten das schon sagen?
Zudem war es seine erste Liebe. Wie sollte er da schlafen wenn er Horo so nah an sich spürte? Er verdankte ihm sein Leben.
Ohne ihn würde er gar nicht mehr leben. Er lebte für Horo, nur wegen ihm.
Als ihm das so bewusst wurde, fühlte Ren sich dem Größeren noch näher als ohnehin schon. Er lebte für diesen, hatte sich für das Leben entschieden. Erst dieser Moment, wo er keine Leere mehr spürte, weil sein Herz so heftig schlug, war ihm das so richtig bewusst. Und er musste die Tränen zurückhalten.
Er kuschelte sich erneut an den Ainu und lauschte dessen regelmäßigen Atemzügen. Er würde vielleicht nicht schlafen, aber wenigstens seinem Körper die Ruhe gönnen die er benötigte. Schließlich hatte Horo sicher viel mit ihm vor, nicht?
***
//Üihh…//
Horo schluckte und sah erneut nach rechts, um den vernichtenden Blicken aus dem Weg zu gehen. Er hatte zwar geahnt, dass die Leute nicht gerade erfreut wegen ihrem kleinen Ausflug sein würden, aber dass sie SO extrem wütend werden würden nun auch nicht.
Nachdem sie nach dem Mittagessen verschwanden hatte nur später jemand entdeckt, dass die beiden nirgends aufzufinden waren. Das würde sofort den Ärzten und allem Personal gemeldet, aber keiner hatte sie gesehen. Man konnte sich denken, dass sie beide zusammen ausgebüchst waren, aber natürlich hätte man das verhindern müssen. Und sie waren ohne Aufsicht.
Es hätte so viel passieren können. Horo hätte umklappen, Ren einfach mal wieder tot zusammenbrechen können. Horo konnte inzwischen zwar die Herz-Lungen-Massage, bei einem richtig schlimmen Anfall allerdings hätte das nicht sonderlich viel gebracht.
Als am nächsten Morgen eine Putzfrau das Zimmer säubern wollte, entdeckte sie die beiden, wundernd das diese noch nicht wach waren; da zu der Zeit davon ausgegangen wurde das die beiden nicht wiederkehren würden, war kein Mensch in das Zimmer gegangen um wahrscheinlich nicht vorhandene Personen zu wecken.
Die Putzfrau sagte den Schwestern etwas verwirrt bescheid, welche natürlich sofort zu den beiden stürmten.
Man wusste derzeit schon das Horo wohl der war der Gefühle hegte. Man hatte die beiden seit einem Zeitpunkt immer zusammen früh morgens im Bett gefunden. Man konnte ja nichts gegen eine Liebesbeziehung sagen, dazu waren sie nicht zuständig. Die meisten freuten sich einfach, dass die beiden dadurch noch mehr zusammenhalten würden. Es war öfters so, das gleichgeschlechtliche Liebespaare, wenn einer davon krank war, bessere Chancen hatten zu überleben als ein normales Pärchen. Wahrscheinlich weil die beiden normalerweise mehr durchmachen müssen als andere.
Und so hatte man sie geweckt und sofort gescholten. Natürlich nur mit Worten. Anna war gerade in der Berufsschule, sodass sie von dem ganzen Theaternichts mitbekam.
Dennoch hatten sie genug ärger bekommen.
Horo ignorierte das Schimpfen, obwohl das ganze ja seine eigene Idee gewesen war. Ren ignorierte sie ebenfalls, sah die gescholtene Zeit aus dem Fenster.
Sie würden keine weitere Strafe bekommen. Was konnten sie schließlich machen?
Sie waren weder in der Lage körperliche Arbeit zu verrichten, noch konnten sie den Schwestern helfen, da sie nicht die benötigte Ausbildung besaßen.
So bekamen sie nur Stubenarrest.
Was Horo keinesfalls störte. Er konnte sich auch so mit Ren beschäftigen, auf die eine oder andere Weise…
***
„Heh, lass das!“, rief der Chinese, obwohl er dabei lachen musste. Horo behielt sein Grinsen bei und wuschelte weiter durch die nassen schwarzen Haare des Chinesen. „Aber nicht doch! Was bist du einfach ohne mich duschen gegangen?“
Er meinte das Spaßeshalber. Aber auch teilweise ernst.
Seit sie Hausarrest hatten blieben sie in ihrem Zimmer, schon klar. Aber sie waren ja auch nun ein Paar. Ren sträubte sich aber noch immer dagegen, dass sie zusammen duschen gehen. Groß genug wäre der Duschraum ja, daran lag es sicher nicht.
„Kamst halt zu spät!“, meinte der Chinese und entwand sein Horos Griff.
Horo lächelte, seufzte innerlich aber auch. Er wusste inzwischen doch alles über den Chinesen, wusste über sein Tatoo auf dem Rücken, dass ihm sein Vater zugefügt hatte als er noch klein war. Auch die Narben hatte Ren ihm auf Anfrage erklärt:
Sie waren von zwei Operationen, die er hinter sich bringen musste.
Aber dennoch liebte Horo seinen Körper, während Ren Horo liebte, aber sich für seinen Körper schämte.
Ren trocknete seine Haare derweil, welche daraufhin leicht zerzaust waren. Horo kicherte.
„Du siehst aus wie ein gerupftes Huhn!“
„Wer ist den Schuld daran?“, meinte der Kleinere wütend und stürzte sich förmlich auf den Größeren. Auskitzeln war wohl doch noch die beste Methode um Horo zur Räson zu bringen.
***
„Ren?“
Die Stimme war fast so leise, dass der Chinese sie nicht hörte. Er versuchte sich gerade auf seinen Atem zu konzentrieren, da sie Schmerzen nun doch wiederkamen. Das taten sie seit ihrer Ausreißnacht immer, aber selten so schlimm.
„Hast du Schmerzen?“
Horos Stimme war wieder so leise, aber nicht verschlafen, er machte sich halt Sorgen um seinen Schatz.
Ren nickte. Wieso sollte er lügen? Man sah ihm ja an, dass es ihm nicht so gut ging. Zudem konnte der Ainu ihn lesen wie ein offenes Buch. Er spürte warme Lippen an seiner Stirn, warme Arme die sich etwas fester um ihn schlangen.
„Versuch zu schlafen.“
Wie sollte man das denn bei einem solchen Engel von Mensch tun?
***
„Na? Dialyse fertig?“
Horo lag mit ausgebreiteten Armen auf seinem Bett. Ren setzte sich neben ihn und beugt sich zugleich über dessen weißes Gesicht.
„Sieht man ja…“
„Fertig scheinst du auch zu sein.“
Horohoro murrte nur wegen dem Kommentar und blickte Ren dann an. Jener verstand auch ohne Worte was der Blauhaarige wollte.
Keine paar Sekunden später lag er neben dem Größeren im Bett. Horo war an ihm gelehnt, Ren strich durch dessen weiches Haar.
Ren kam mit seinem Zustand ohne weiteres klar, er hatte Erfahrung mit den Schmerzen und den damit verbunden Tabletten. Horo dagegen war noch nicht gut daran gewöhnt. Ihm ging es kontinuierlich schlechter, wie der Chinese leider feststellen musste. Auch merkte man dem Blauhaarigen erst die größeren Schmerzen an.
Horo seufzte und entspannte sich etwas. Ren musste trotzdem lächeln. Er konnte Horos Schmerzen nicht lindern, genauso wenig wie Horo das bei ihm konnte. Aber wenn sie so beieinander waren, dachte man nicht mehr so sehr daran.
***
Ein weiterer Kuss. Ren seufzte leise, während Horo sich weiterhin zu ihm gebeugt hatte. Trotz dessen, das sie sich schon so oft geküsst hatten, bekam Ren schon wieder extremes Herzklopfen.
Er hielt sich an den Oberarmen seines Liebhabers fest, während Horo seine Seiten sanft bearbeitete. Sie führten den Kuss lange, bis sie sich wegen Luftmangels trennen mussten. Daraufhin küsste Horo kurz die Stirn von Ren.
„Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
Horo war immer wieder froh, wenn er das so einfach sagen konnte. Er sprach es zwar nur aus wenn sie alleine waren, aber dennoch waren ihm diese Worte mehr als wichtig. Und jedes Mal wieder freute er sich wenn der Chinese diese Gefühle erwiderte. Wenn er selbst nur manchmal keine solchen Schmerzen haben würde.
***
„Wieso kannst du das schon wieder besser als ich?“, jammerte der Ainu und machte ein betroffenes Gesicht. Ren grinste nur.
„Ich hab halt mehr Talent als du.“
Nachdem der Hausarrest aufgehoben war, nahmen beide wieder an den so genannten ´Bastelstunden´ teil. Und bei der Bearbeitung von Ton lag der Chinese noch immer ganz weit vorn.
„Das ist aber unfair! Du kannst doch nicht in allem so gut sein…“
„Bin ich doch gar nicht.“
„Und was kannst du nicht?“
„Singen.“
„…“
***
„Lach nicht schon wieder über mich!“
Horo kicherte aber weiter und verkniff sich nur mit Mühe und Not das lachen.
„Das… war aber witzig!“
„Schau dir meine Beule an und sag mir, dass das witzig ist!“
„Sicher nicht…“
***
„Och… Ren, komm iss noch was.“
„Ich bin satt…“
„Ja, von deinen Tabletten oder was?“
Das musste Horo nicht extra betonen. Ren nahm nun einmal noch immer mehr Tabletten als der Ainu, welcher sich ja eigentlich auch nur Sorgen machte.
„Mir wird aber schlecht, wenn ich noch mehr esse…“
„Ich will aber, das du etwas mehr auf die Rippen bekommst, versuch es wenigstens…“
Ren murrte, nahm aber seine Essenstäbchen und nahm noch eine Stäbchenladung Reis zu sich.
„Reicht das?“
„Sicher nicht. Noch einmal!“
Ren verdrehte die Augen, tat aber wie geheißen.
Horo grinste.
„Und, so schlimm?“
„Als ob die par Reiskörner einen Unterschied machen…“
„Es ist ein Anfang!“
„Elender Optimist.“
„Pessimist.“
Und so ging es wieder von neuem los.
Sie stritten sich mal wieder, sorgten sich und kümmerten sich um den anderen. Hinzu kam, dass sie sich küssten und berührten, aber noch nicht bis in eine andere Intimsphäre eindrangen. Dafür war ein Krankenhaus sicher nicht der richtige Ort.
Das war mit die schönste Zeit für die beiden – und die letzte in der sie glücklich waren.
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