Der Tag danach
Der Tag danach
Schweren Herzens packte Kagome ihren gelben Rucksack. Ihre Mutter hatte viel Proviant sowie Verbandszeug und dergleichen eingekauft, als sie von der Entscheidung ihrer Tochter hörte. Sie verstand ihre Tochter nur zu gut. Man konnte Liebe wirklich mit diesem anderen Gefühl, dem Gefühl einer tiefen Bindung aus welchen Gründen auch immer, verwechseln. Aber war es auch nur eine tiefe Bindung oder tatsächlich Liebe? Weder Inuyasha noch Kagome konnten dies wirklich einschätzen. Was war Liebe? Wenn man für den anderen sein Leben riskierte? Wenn man Kompromisse einging oder die Fehler des anderen akzeptierte? Dies alles gab es auch bei einer innigen Freundschaft...der Unterschied war eine Gradwanderung, ein Zünglein auf der Waage. Man wusste erst, dass es Liebe ist, wenn es soweit ist. Doch hatten beide immer noch Zweifel, suchten nach Ausreden und Ausflüchten. Konnte das dann Liebe sein? Obwohl Inuyasha und Kagome in diesem Moment 500 Jahre auseinander waren, so dachten sie doch über das gleiche nach, alleine für sich, verwirrt zurück gelassen, unverstanden von der Welt.
Kagome konnte die halbe Nacht nicht schlafen, hatte sie sich doch ihre hübschen Augen aus dem Kopf geweint, als ihr klar wurde, wie folgenschwer diese Entscheidung doch sein würde. Sie würde nach dem Zusammenfügen des Juwels nie wieder ihre Freunde sehen, nie wieder Inuyasha, Sango, Miroku und den kleinen Shippo anlächeln und in die Arme schließen können. Nie wieder würde sie mit ihnen reden können, sich über Mirokus leicht perverse Neigung aufregen können oder mit Sango über Shippos Naivität lachen können. Nie wieder würde sie Kiraras Köpfchen kraulen oder mit Shippo im Arm einschlafen. Mit einem Mal, mit einer einzigen Entscheidung, waren ihre besten Freunde und Shippo, als eine Art Ziehsohn, Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die sie nicht mehr aufrollen konnte und sollte, auch wenn sie es noch so sehr wollte.
Sie gehörte einfach nicht in die Sengoku-jidai. Sie gehörte in die Neuzeit, ihre Zeit, die Gegenwart. Ihre zweite Familie musste sie wohl oder übel vergessen oder eben in glücklichen Erinnerungen festhalten, mit dem Wissen, dass es Erinnerungen bleiben sollten. Sobald das Shikon no Tama wieder eins war, wäre ihre Aufgabe erfüllt. Mit Narakus Tod war ihr erstes gemeinsames Ziel erreicht. Das zweite Ziel war die Vervollständigung des Juwels. Hatten sie danach überhaupt noch etwas, was sie zusammen halten würde?
Ihren ganzen Schmerz hatte sie bei ihrer Mutter an der Schulter gelassen. Stunden hatte sie sich ausgeweint. Und ihre Mutter verstand. Sie nahm sie in den Arm und lächelte ihr ermutigend zu. „Kagome, du hast eine sehr mutige und reife Entscheidung getroffen. Ob es die richtige sein wird, kann ich dir nicht sagen, das wirst du selbst herausfinden müssen. Keiner weiß, was die Zukunft mit sich bringt und ob diese Entscheidung wirklich endgültig war. Aber du wirst das Richtige tun, egal was kommen mag, mein Engel, da bin ich mir ganz sicher!“
Die tröstenden Worte ihrer Mutter bauten sie wieder auf. Ja, Kagome konnte beim besten Willen, genauso wie jeder andere, nicht sagen, was die Zukunft mit sich bringen würde und wie diese Entscheidung zu einem Ende führen würde. Irgendwie hatte sie doch die Hoffnung, dass sie den Kriegerischen Staaten nicht Lebe Wohl sagen musste. Einer kleiner Keim in ihr begann zu wachsen, zeigte, zwar noch in einer sehr weiten Ferne, das Licht am Ende des Tunnels. Die kleine, vage Hoffnung, ein Funken, bereit zum überspringen. Kagome würde sehen, ob es für sie eine Zukunft in der Vergangenheit geben wird.
Sie schulterte ihren Rucksack, drehte sich zu ihrer Mutter um und verabschiedete sich mit einer innigen Umarmung von ihr. Wusste sie doch nicht, wie lange sie diesmal in der anderen Zeit bleiben würde. Aber es würde gewiss länger dauern, da sie fest entschlossen hatte, diesmal wirklich alle Splitter zu bekommen und zum Shikon no Tama vereinen würde. Diese Tragödie musste endlich zu ihrem Ende kommen.
Kagome rannte den Hof hinunter und in den kleinen Schrein der den Brunnen verbarg hinein. Schwungvoll sprang sie über den Rand des Brunnens und wurde sofort in das ihr so bekannte bläuliche Licht getaucht. Ihr Körper wurde von einer vertrauten Wärme durchflutet und so schnell dieses Gefühl kam, so schnell war es auch wieder weg. Als sie ihren Blick gen Himmel richtete, sah sie auch tatsächlich den Himmel und nicht das Dach des kleinen Schreins. Weise Wölkchen trieben munter durch das azurblaue Himmelsmeer und die Luft roch angenehm nach Sommer.
Mühsam kletterte sie aus dem Brunnen, ihren tonnenschweren Rucksack im Schlepptau. Als sie über den Rand blickte konnte sie schon ihre Freunde sehen. Da standen sie, in Reih’ und Glied und sahen sie gleichzeitig traurig und freudig an. Inuyasha musste es ihnen also schon erzählt haben.
Es tut mir ja so leid, aber es geht wirklich nicht anders… dachte sie sich traurig.
Sofort kam der kleine Shippo auf sie zu gerannt. Während des Rennens füllten sich seine Augen auch schon mit Tränen. „Kagomeeeeeeee!!!“ heulte er als er in ihre Arme sprang und sich fest an ihre Brust drückte. Kagome erwiderte die Umarmung und ein trauriges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Ist schon gut Shippo, noch bin ich ja nicht weg! Wer weiß wie lange wir überhaupt brauchen werden, bis wir tatsächlich alle Splitter haben?“ versuchte sie den kleinen Kitsune zu trösten. Große Kulleraugen sahen sie von unten an. Die Tränen wurden schon weniger und ein leichtes, hoffnungsvolles Lächeln bildete sich auf den kindlichen Zügen des kleinen Youkai.
Jetzt kamen Sango und Miroku auf ihre beste Freundin zu. Die Schwarzhaarige sah ihnen freudig und zugleich ein wenig traurig entgegen, wusste sie doch, dass sie sie das letzte Mal so begrüßen würde. „Schön, dass du wieder da bist Kagome-chan!“ sagte Sango und drückte ihre beste Freundin an sich. Der Mönch stellte sich neben Sango, neigte leicht den Kopf, als ein Zeichen von Respekt und begrüßte sie ebenfalls.
KLATSCH!!! Es hallte laute durch den Wald. Eine recht wütende Sango starrte ihrem Gegenüber, das nun eine ziemlich rote Backe vorzuweisen hatte, entgegen. „Houshi-sama, wie könnt Ihr nur!!?!?!?“
Zuerst hatte Kagome einen entsetzten Gesichtsausdruck doch dann musste sie unwillkürlich lachen – wie immer, wenn der Mönch Miroku seine Hände nicht bei sich behalten konnte. Auch Shippo stimmte in das Lachen mit ein und schließlich, als Sango ihren ersten Schock überwunden hatte, auch sie. Der Mönch in dem lilafarbenen Gewand sah nur mit einem leicht beschämten Grinsen zu Boden.
„Wir sollten langsam los, um die letzten Splitter zu suchen!“ ertönte plötzlich die Stimme von Inuyasha. „Aber Inuyashaaaaa….“ tönte Shippo sogleich rum, „ Kagome ist doch eben erst gekommen, lass uns doch erst mal etwas essen und erzählen…“ weiter kam der Kleine nicht, denn schon hatte er eine Kopfnuss von dem eigensinnigen Hanyou kassiert.
„Inuyasha…“ zischte Kagome in einem mehr als bedrohlichen Tonfall. Sofort duckte sich der Weißhaarige und blickte sie entschuldigend an. „OSUWARI!!!“
WUMM
Und er lag in einem Loch das ungefähr dieselben Ausmaße wie sein Körper hatte. „Wieso hast du….“ winselte er in sein Erdloch hinein als auch schon Sango dazwischen schritt. „Ganz Recht so Kagome! Immer musst du auf die Kleinen eindreschen!“ zischte sie Inuyasha nochmals an. Ein leises Wimmern war noch zu hören, als sich Kagome und ihre besten Freunde auf den Weg zum Dorf machten, den Hanyou nicht mehr eines Blickes würdigend.
Inuyasha grummelte noch sauer etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und trottelte mit kraus gezogenen Augenbrauen hinter seinen Reisegefährten her.
Es war bereits später Nachmittag als die Gruppe in Kaedes Hütte ankam und es sich um die Feuerstelle gemütlich machte. Nur ein gewisser Hanyou saß mal wieder schwer beleidigt in irgendeiner Ecke, dennoch immer ein wachsames Auge und Ohr auf alles und jeden.
Sie aßen genüsslich die Suppe, die Kaede für sie zubereitet hatte, und erzählten sich, was sie die letzten Tage, während Kagomes Abwesenheit erlebt hatten. Der Mönch hatte mal wieder alle weiblichen Wesen, zum mittlerweile x-ten Mal gefragt ob sie seine Kinder gebären wollten, Sango hatte ihm zum x-ten Male ein blaues Auge verpasst und Shippo erzählte aufgeregt von einem kleinen Mädchen aus dem Dorf, das er als neue Freundin gefunden hatte und wie toll man doch mit ihr spielen konnte. Er würde sogar seine geliebten Wachsmalstifte mit ihr teilen, so nett sei sie.
Alle lachten viel und dachten eigentlich nur sehr wenig über die kommenden Tage oder auch Wochen nach, in denen sie die letzten Splitter finden wollten. Und auch nicht darüber, was wohl ist, wenn Kagome das letzte Mal in den Brunnen springen würde, um dieser Zeit und ihren Freunden Lebe Wohl zu sagen. All der Stress war vergessen und so schliefen sie alle ein wenig später auch schon auf ihren Schlafplätzen ein. Sogar Inuyasha nickte ein, was ihm sonst eigentlich nie passierte. Aber die Atmosphäre war so ruhig, so schön und friedlich, dass auch ihm der Sandmann ein paar Sandkörner in die Augen streute.
So schliefen alle den Schlaf der Gerechten, nichtsahnend, dass diese Ruhe unterbrochen werden sollte. Aber sie würden am nächsten Morgen ja selbst sehen, was diese vermeintlich friedliche Nacht mit sich bringen würde.