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Mad Season

Eine Joaquin Phoenix-Fiction, mit Viggo Mortensen, Orlando Bloom and many, many more
von

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Prolog

Mad Season
 

Prolog
 

"It's easier to leave than to be left behind, leaving was never my proud. Leaving New York, never easy, I saw the light fading out..." [R.E.M. - Leaving New York]
 

Es regnete, als der Bus die 8th Avenue hinunterfuhr und in der späten Rush Hour vorübereilende Passanten nass spritzte, wenn er durch eine der großen Pfützen am Straßenrand fuhr. Ja, es regnete. Nein, es strömte sogar wie aus Gießkannen. Wie an jedem verdammten Tag in dieser Stadt. Ich lehnte mit dem Kopf gegen die kühle Fensterscheibe, die durch die Heizlüftung des Busses leicht beschlagen war und verzierte sie mit meinen Fingerabdrücken, indem ich formlose Konturen mit meinen Fingerspitzen darauf malte. Vielleicht, und dieser Gedanke kam mir nicht zum ersten Mal an diesem Tag, war es eine gute Entscheidung gewesen, New York City, den Großstadtdschungel, der mich mit Haut und Haar hatte verschlingen wollen, hinter mir zu lassen. Vielleicht würde sich mein Leben von Grund auf ändern, vielleicht aber auch im selben Trott weitergehen, Fifty-fifty. Es gab keine kleinen Veränderungen im Leben, so viel hatte ich schon gelernt. Entweder stellte sich alles mir nichts dir nichts auf den Kopf oder jeder Tag ähnelte dem vorangegangenen. Ich persönlich hatte zu jenem Zeitpunkt, am späten Nachmittag des achten Septembers, eine große Veränderung hinter mir. Oder vor mir. Ich konnte es nicht so genau sagen. New York zu verlassen war nicht einfach, aber ein erster Schritt.
 

Die dunkelblaue Reisetasche auf dem Sitz neben mir hüpfte unruhig hin und her, wann immer der Bus Bekanntschaft mit einem Schlagloch machte. Man konnte nicht behaupten, dass ich im renommiertesten Viertel New Yorks gehaust hatte. Wohl eher im Gegenteil. Aber was hätte sich eine jobbende Amerikanistikstudentin auch anderes leisten können, als ein armseliges 1-Zimmer Apartment in Brooklyn? Soweit ich mich erinnern konnte, hatte es auch keine einzige Nacht gegeben, in der es wirklich ruhig in dieser Ecke der Stadt gewesen wäre. Schießereien, Aufeinandertreffen von Gangs, Überfälle, etc., etc.. Das also war der Amerikanische Traum. Ich hatte ihn nie geträumt, aber die tatsächliche Konfrontation mit den Staaten hatte mich wachgerüttelt, obwohl ich mich selbst längst zu den Wachgerüttelten gezählt hatte. Wie auch immer, die letzte Nacht hatte mir endgültig klar gemacht, dass dieser Ort mich krank machte, dass er mich zerstörte, quälend langsam, wie lähmendes Gift.
 

Der kleine silberne Anhänger, den mir Berry vor einiger Zeit als Talisman geschenkt hatte, gab metallene Laute von sich, als er gegen eine der Stangen im Bus schlug, immer im selben Rhythmus. Tick-Tock-Tick-Tock-Tick-Tock.
 

Ich schloss die Augen, was nur dazu beitrug, dass ich schläfrig wurde. Der Bus würde die Stadtgrenze in einer Viertelstunde endgültig passieren und dann weiter nach New Jersey fahren. Trenton, um genau zu sein. Dort würden mich Nora und Berry erwarten, um mit mir rüber nach LA zu fliegen. Hatte ich alles mitgenommen? Ein großer Rucksack ruhte auf meinen Füßen, die voll gestopfte Reisetasche saß geduldig neben mir. Mit Sicherheit hatte ich in der Hektik der vergangenen Stunden irgendetwas vergessen, das mir erst in vier Stunden wieder in den Sinn kommen würde, wenn ich mit den beiden im Flieger saß. Aber es war mir, um ehrlich zu sein, vollkommen egal. Ich wollte nur noch weg von hier, mit Nora und Berry in den Süden fliegen, wo die beiden auch wohnten. Ich hatte Berry vor fast drei Jahren kennen gelernt, als sie die Außenstelle des Verlags, in dem sie beruflich tätig war, in New York City besuchte. Zeitgleich hatte ich dort mein Praktikum absolviert und mich von Beginn an gut mit ihr verstanden. Nora, die bei einem großen Plattenlabel arbeitete und somit über gute Kontakte verfügte, hatte sie nach New York begleitet. Wir drei waren sehr gute Freundinnen geworden und obwohl sie beide in Los Angeles lebten und ich in New York wohnte, hatten wir rege Kontakt gehalten. Deshalb waren auch sie die ersten gewesen, die ich nach dem gestrigen Vorfall angerufen hatte. Tausende von Meilen entfernt und doch waren mir diese beiden am nächsten. Ich rief nicht Luke an, der nur 12 Blocks von mir entfernt wohnte und mein frischgebackener Exfreund war. Er hatte nur zwei Stunden vor dem Vorfall mit mir Schluss gemacht und als ob dies nicht ausgereicht hätte, um mich fertig zu machen, wurde ich auf dem Nachhauseweg überfallen - keine hundert Meter trennten mich bis zu dem Eingang meines Apartments. Es waren vier Männer gewesen. Wahrscheinlich hatten sie mir aufgelauert. Sie hatten mich gegen die Hauswand gepresst, mir eine großkalibrige Waffe an den Kopf gehalten und meine Tasche buchstäblich auseinander genommen, um die paar Kröten einzukassieren, die ich mit mir herumtrug.
 

Ich kann von Glück sprechen, dass nichts schlimmeres passiert ist, als dass ich mir ein paar Prellungen an Schulter und Armen geholt hatte. Wahrscheinlich hatte ich das einem Passanten zu verdanken, der so wagemutig war und die Kerle, die über mich herfallen wollten, aufschrecken ließ.
 

Wenn man in den Nachrichten von gewalttätigen Übergriffen hört, glaubt man, selbst nie betroffen davon zu sein. Aber wenn am Ende die Waffe an deiner Schläfe liegt und dein Leben nur von der Willkür eines Verbrechers abhängt, weißt du, dass jeder ein Opfer sein kann.
 

Die plötzliche Trennung von Luke und der Überfall hatte mich letzten Endes dazu bewegt, zu verschwinden. Die heile Welt, die ich mir immer vorgegaukelt hatte, zerbrach vor mir an diesem Abend in tausend Splitter. Ich hatte nur noch Angst und wollte weg. Nora war sofort aufgelöst vor Schrecken, als ich sie kurz darauf anrief und einen halben Nervenzusammenbruch am Telefon erlitt. Ich fragte mich jetzt, als ich im Bus nach Trenton saß, wie ich ihr nun gegenübertreten sollte und ob ich es überhaupt könnte. Ich musste regelrecht hysterisch auf sie gewirkt haben und wenn sie mich nicht für ein seelisches Wrack hielt, konnte ich schon von einem Wunder sprechen. Sie hatte sofort vorgeschlagen, mich für eine Weile nach Los Angeles zu "entführen", damit ich auf andere Gedanken käme und wieder zu mir selbst fände. Ha. Klingt erstaunlich einfach, ist es aber nicht. Ganz und gar nicht. Der verletzende Klang von Lukes Stimme hallte in meinem Kopf wieder und ich konnte nicht vergessen, was er zu mir sagte: "Weißt du", und er sog an seiner Zigarette, blickte desinteressiert aus dem Fenster, "irgendwie glaub ich, dass das mit uns beiden nichts werden kann. Du spielst einfach nicht in meiner Liga, Schätzchen..."
 

Luke Morrison, 31, Investmentbanker auf Manhattans berühmter Wallstreet. Ich hatte ihn vor gut einem Jahr auf einer Party kennen gelernt und war ziemlich in ihn verschossen. Nach etwa 10 Monaten von ewigem Hin und Her hatte er nun endgültig mit mir Schluss gemacht. Anscheinend glaubte er, ich würde seinem Image schaden und ihn zu viel Geld kosten (obwohl ich nie welches von ihm verlangt oder zu meinem Vorteil genutzt hatte). So furios unsere Beziehung auch gewesen war, nie war er so kalt und gemein zu mir gewesen wie am gestrigen Tag. Anscheinend hatte ich gerade eine ganz besondere "Glückssträhne". Das wirklich Schlimme an der Sache war eigentlich die Tatsache, dass mir Luke noch viel bedeutete. Machte ein Kerl mit dir Schluss, den du sowieso kaum noch ertragen konntest, bist du sogar froh, wenn es vorbei ist. Aber nicht, wenn dein Freund manchmal der einzige Halt in deinem schrecklichen Alltag war.
 

Der silberne Anhänger drehte sich nun um, sodass die Vorderseite wieder zu sehen war - das Symbol für mein chinesisches Sternzeichen: Der Tiger. Symbol für Kraft und Überlegenheit. Ich fragte mich, wo meine Kraft geblieben war. Ich sah dem Regen zu, als New York City hinter mir lag. Noch einen Vorteil barg LA - dort regnete es so gut wie nie.
 

Nach weiteren zwei Stunden monotoner Busfahrt erreichten wir endlich Trenton. Der Verkehr war ungewöhnlich flüssig heute. Wenigstens eine kleine Gegenleistung zu den vergangenen 24 Stunden. Ich richtete mich ein wenig auf meinem Sitz auf und beäugte die regennasse Straße. An der Baker's Lane würde ich aussteigen müssen. Von dort, so hatte mir Berry per Telefon versichert, müsste ich nur gute 500m zu Fuß gehen, um zur Touristeninformation zu gelangen. Dort würden die beiden mich empfangen, sofern ihr Flug aus LA nicht Verspätung gehabt hatte. Ich überlegte, wie ich mich bei den zweien revanchieren können würde. Sie hatten schließlich alles stehen und liegen gelassen, um schnellstmöglich hier her zu kommen und mich abzuholen. Gott, ich musste wirklich einen äußerst labilen Eindruck am Telefon gemacht haben! Dessen sehr beschämt, erhob ich mich, als die nächste Haltestelle angezeigt wurde, schulterte den Rucksack und hievte die Reisetasche mit meinem rechten Arm hoch. Ein stechender Schmerz durchfuhr meine Muskeln, erinnerte mich an die durchlebte Angst des vergangenen Abends. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal von heute auf morgen die Stadt verlassen würde, aber jetzt, wo ich es wirklich tat, wusste ich, dass ich es schon viel eher hätte tun müssen.
 

Mit dem Daumen der linken Hand schob ich meinen Rollkragenpullover ein Stückchen höher und als sich die Bustüren knarrend öffneten und mir der kühle Herbstwind entgegen wehte, trat ich wieder in die Kälte hinaus. Ich sah mich anfangs etwas hilflos um, aber ein kleiner Schilderwald dirigierte mir dann den Weg zur Information. Mittlerweile war es 18 Uhr und die Fußwege waren fast menschenleer. Etwas, das man in New York City wohl nur nach einer Evakuierung erleben würde.
 

Schwer bepackt trottete ich über eine Kreuzung und dann durch einige Gassen, bis ich ein rot leuchtendes "i" über einem kleinen Gebäude sah und direkt darauf zusteuerte. Der Regen hatte nachgelassen. Meine Billigsneaker quietschten, als die nassen Sohlen auf den hellen Fliesen der Information landeten, bei jedem Schritt, den ich machte. Neugierige Blicke waren auf mich gerichtet, teilweise wurde ich kritisch von oben bis unten gemustert. Ich wünschte mir nicht zum ersten Mal ein T-Shirt, auf dem stand: "Bitte nicht füttern", denn in solchen speziellen Momenten fühlte ich mich wie ein Tier im Zoo, das von allen umstehenden Leuten begafft wurde. Meine Griesgrämigkeit, die nachweislich auf die Geschehnisse des letzten Tages zurückzuführen war, legte sich in jenem Augenblick, als ich Berry laut rufen hörte: "Kerstin! Hier rüber! Hier sind wir!". Berry, ein gutes Stück größer als ich und in eine weiße Jacke gehüllt, winkte mich mit dem rechten Arm zu sich. Wie schön es doch war, nach all den turbulenten letzten Stunden ein freundliches Gesicht zu sehen! Ich drängelte mich an einigen Leuten vorbei, um zu Berry zu gelangen, die nur einen kleinen Rucksack auf dem Rücken trug und mich mit ausgebreiteten Armen empfing. Ich ließ die Tasche rücksichtslos fallen und stürmte ihr entgegen. Hilfe, ich war den Tränen nah!
 

Wie sentimental und albern ich mir in diesem Moment vorkam, ist nicht in Worte zu fassen! Ich fiel Berry in die Arme und verbarg mein Gesicht gleich an ihrer Schulter, damit sie mich nicht weinen sah. "Hey, ist das schön, dich wieder zu sehen!", sagte sie und drückte mich ordentlich, strich mir mit der rechten Hand über den Arm. Diese tröstliche Geste brachte auch die letzten Dämme zum Brechen und ich konnte ein leises Schluchzen nicht unterdrücken. "Ist ok", murmelte Berry und zog mich noch ein Stückchen näher an sich heran, dass ich beinahe das Gleichgewicht verloren und sie umgerissen hätte.
 

Ich versuchte, mich zusammenzunehmen und löste mich ein bisschen von ihr, wischte mir verlegen die Tränen mit dem Ärmel meiner Jacke fort. "Entschuldige...", flüsterte ich, aber Berry lächelte nur und wuschelte mir aufmunternd durchs Haar. Normalerweise verabscheute ich so etwas, aber es gab mir ein Gefühl von Geborgenheit, das ich so lange vermisst hatte. "Danke, dass du gekommen bist!", murmelte ich mit Tränen erstickter Stimme und räusperte mich, um wieder normal zu klingen. "Na keine Frage. Bei dem, was du auch erlebst."
 

Ich rang mir ein schiefes Lächeln ab und sah mich um. "Ist Nora nicht mitgekommen?", fragte ich etwas heiser. "Doch, doch, die ist nur schnell mit Viggo zum Geldschalter gegangen, um ein bisschen was für dein Flugticket abzuheben.", erklärte mir Berry. Ich errötete und schämte mich dafür, dass Nora mein Ticket bezahlte. Nicht einmal dazu konnte ich genug Geld aufbringen. Vielleicht hatte Luke doch Recht gehabt, wenn er behauptete, ich läge ihm auf der Tasche. Argh! Und dieses Selbstmitleid half mir kein Bisschen weiter. Ich tapste betreten vor mir hin und Berry schien meine Gedanken zu erahnen, denn sie sagte: "Mach dir keine Gedanken wegen des Tickets. Dafür kriegst du eben kein Weihnachtsgeschenk!", sie streckte kurz ihre Zunge raus, um mir klar zu machen, dass sie scherzte und somit brachte sie mich zum Lachen.
 

"Na also...sie lacht wieder. Das ist schon mal ein kleiner Fortschritt! Du wirst sehen, 1, 2 Monate in LA und du siehst das Leben wieder viel entspannter!"
 

Ihr Wort in Gottes Ohr! Und als ich mich umwandte, sah ich auch schon Viggos große und schlanke Gestalt auf uns zukommen. Er hatte einen Arm um Nora gelegt, die gerade rege in ein Gespräch mit ihm vertieft war, als sie mich plötzlich erblickte und sich fast augenblicklich von ihm losriss. Zurück blieb ein verdutzt dreinschauender Däne, der mir ein bisschen leid tat in diesem Moment. Ehe ich mich versah, war mir Nora um den Hals gefallen und drückte mich an sich. Ihr rotes Haar fiel ihr über die Schulter. "Ach Mensch...was muss man denn von dir hören?", fragte sie und ich erwiderte etwas hilflos ihre Umarmung. "Ja...hab das nicht eingeplant", seufzte ich, schon wieder gegen Tränen ankämpfend. Ja, ich weiß, ich kann furchtbar theatralisch sein. "Wie geht es dir? Bist du verletzt?"
 

"Nee, hab nur ein paar Kratzer abbekommen...nichts, weswegen die Welt untergehen würde. Hallo Viggo.", begrüßte ich Noras Freund, der mittlerweile bei uns angekommen war und etwas bedröppelt dreinschaute. Er nickte mir freundlich zu und schenkte mir ein klägliches Lächeln. Etwas gefiel mir nicht an der Art, wie er mich ansah. Was zum Henker hatte ihm Nora erzählt? Fürchtete er, dass ich manisch depressiv war? Ein Psychopathin, die nachts in sein Schlafzimmer mit dem Hackebeil marschierte, während er gerade mit Nora bei der Sache war? Na gut. Ähnlich hatte ich wahrscheinlich auch am Telefon geklungen.
 

"Tut mir leid, dass ich euch so viele Unannehmlichkeiten bereitet hab", entschuldigte ich mich ehrlich, denn je länger ich mit den dreien zusammenstand, die mich besorgter musterten, als Doktor Freud einen seiner Patienten, desto mehr schämte ich mich für meinen panischen Anruf bei Nora. "Ach Unsinn. Los komm, unser Flug geht in ner knappen Stunde.", Nora packte mich am Arm und zerrte mich mit sich, ohne lange zu fackeln folgten Berry und Viggo. Hätte ich nicht gewusst, dass sie alle sehr spontan waren, hätte ich geglaubt, sie wollten mich einliefern. Das lag aber möglicherweise an meinen überreizten Nerven, dass ich alles und jeden als Bedrohung empfand.
 

Als ich eine gute halbe Stunde später im Flugzeug saß, tat mir jeder einzelne Knochen weh, besonders die geprellte Schulter, die ganz geschwollen war, weil sie die Last des Rucksacks hatte tragen müssen. Berry pfriemelte neben mir an ihrer Tasche herum, während Nora und Viggo sich liebevoll um ein Sahnebonbon balgten. Hach! Die beiden machten mich richtig neidisch. Warum musste man ausgerechnet dann, wenn man gerade frisch von jemandem getrennt war, in unmittelbarer Nähe zu einem verliebten Pärchen sein? Berry hingegen schien das recht wenig zu interessieren. Sie schenkte den beide nur ein fröhliches Lächeln, band ihre ellenlangen Haare zu einem Zopf zusammen und plauderte vergnügt drauf los. Dagegen war nichts einzuwenden, ganz und gar nicht, schließlich war Ablenkung das beste, was mir passieren konnte. Andererseits war es so viel leichter, sich in Selbstmitleid zu suhlen. Schande über mich! Ich sollte 24 sein? Ich benahm mich wie 14, und zwar keinen Tag älter. "Wir könnten den Hauptsitz des Verlags in LA besuchen, wenn es dir besser geht", schlug Berry vor und ich nickte tranceartig. In der Außenstelle in New York hatte ich mich schon fehl am Platze und inkompetent gefühlt, wie würde es dann erst im Herz des Verlags sein?
 

"Wir können auch ordentlich shoppen und an den Stränden von Malibu spazieren gehen", fuhr sie enthusiastisch fort, doch mir wurde ganz flau im Magen. Ich kannte niemanden in LA. Ich war nur einmal kurz in der Stadt gewesen, als Nora ihren 23. Geburtstag gefeiert hatte. Ansonsten war sie mir absolut fremd. Andererseits, wenn ich es realistisch betrachtete - mit New York war ich auch nie richtig warm geworden und vielleicht war dort auch die Großstadtanonymität enormer als in Los Angeles. "Alles ok, Kerstin? Du bist so blass um die Nase, geht es dir gut?", fragte sie besorgt und ich merkte, dass ich schon wieder apathisch vor mich hingestarrt hatte. Wenn das so weiterging, war ich wirklich reif für die Klapsmühle.
 

"Ja, geht schon. Ich bin nur...durcheinander, weißt du...", ich wurde immer leiser, als sich Nora und Viggo zu uns umdrehten. Bitte keine Gruppentherapie! "Ich sag's ja...Männer sind Schweine! Bis auf dich, Schatz", versicherte Nora ihrem Liebsten, als dieser fragend die Brauen hob. Nora schob ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lehnte sich wieder über den Sitz, um mich besser beäugen zu können. "Hat sich Luke, dieser Arsch, noch mal gemeldet?" Ich schüttelte finster mit dem Kopf. "Idiot!", schnaufte Nora verächtlich, "Mach dir nichts draus, in LA laufen haufenweise schnuckelige Typen herum", redete sie weiter und Viggo schenkte ihr einen neugierigen Seitenblick. "Verschweigst du mir etwas, Liebling?", fragte er gekünstelt schmollend. Immer diese Schauspieler!
 

Nora lachte und keine zwei Sekunden später hatten sich die beiden rangelnd und knutschend auf ihre Sitze zurückgezogen. Berry tätschelte meine Hand und lächelte mir aufmunternd zu, als sich das Flugzeug auf dem Rollfeld in Bewegung setzte.
 

'Na gut', dachte ich mir, 'Du erholst dich schön in Los Angeles, schaltest ab von dem Leben, das du in New York geführt hast, vergisst Enttäuschung, Schmerz und Angst und legst so richtig los'. Gut, auch wenn meist nicht alles so klappen würde, wie man es sich vorstellte, aber ein erster Schritt war getan.
 

Die Maschine hob ab und verschwand alsbald an Trentons Nachthimmel. Die Skyline von New York leuchtete irgendwo unter mir in ihren mystischen, verzaubernden Farben. Aber mir war es gleich.
 

Ich hatte New York hinter mir gelassen.
 

TBC

Kapitel 1

Mad Season
 

Kapitel 1
 

"You gotta stand up straight, carry your own weight, these tears are going nowhere baby..." [U2 - Stuck in a moment]
 

Ich hatte versucht zu schlafen. Hierbei möge die genauere Betonung auf versucht liegen, denn wann auch immer ich während des achtstündigen Fluges auch nur ansatzweise die Augen schließen wollte, kriegte es immer, aber auch immer, irgendeiner hin, mich wach zu halten. Mochte es Viggo sein, der plötzlich anfing, dänische Weisen zu singen, oder Nora, die kicherte und quietschte, wenn Viggo sie kitzelte. Auch Berry weckte mich aus meinem Fast-Schlaf, als ihr die Handtasche aus der Hand rutschte und die darin befindliche Saftflasche (hierbei sei bemerkt: es handelte sich um Glas. Verdoppelte Schmerzfolge) auf meinem Schoß landete. Wie hatte ich so dumm sein können und New York verlassen wollen? New York war zwar voller Irrer und Krimineller, aber nichts konnte einem schlimmere seelische Grausamkeiten zufügen, als ein Langflug von NYC nach LA. Das schlimme war, dass ich mit meiner Zeit nichts anzufangen wusste und sich daher meine Gedanken wie ein Kreisel um...na wen wohl...? Natürlich um Luke drehten. Ich verfluchte mich dafür, war er es doch, der mich [Zitat Nora] nicht meines Anspruchs gemäß behandelt hatte. Dennoch war die Trennung so plötzlich gekommen, dass es mich ganz schön ausgeknockt hatte. Hach, aber früher oder später hätte es so kommen müssen, zumal ich bisher noch nie viel Glück mit Männern gehabt hatte und wie es aussah, sollte sich dieser Umstand in den nächsten 20 000 Jahren nicht ändern.
 

Ich sah aus dem Fenster und sah LA's Skyline im blassen Licht des neuen Morgens. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, aber ein zart rosafarbener Schleier lag über der Stadt. Na gut. Vielleicht war das auch nur die Smogglocke über der Großstadt, schließlich hatte Los Angeles die schlechteste Luftqualität in den Staaten. Deswegen liefen da wohl auch so viele Verrückte herum. "Oje, du siehst ja ganz zerknittert aus!", hörte ich Viggos Stimme von vorn und ich dachte erst, er würde Nora ärgern, aber als ich merkte, dass sein aufmerksamer Blick auf mich gerichtet war und auch Nora und Berry sich zu mir drehten, war mein mickriges Selbstbewusstsein dahin.
 

"Du bist zu charmant, Viggo...", knurrte ich und Nora verpasste ihm einen Stoß. "Was denn?", fragte er mit erhobenen Händen, als Nora ihn finster ansah. "Dass du noch fragst! Man sagt so etwas nicht zu einer Frau, das solltest du langsam wissen!"
 

"Aber wenn es doch so ist...hab es doch nicht böse gemeint...", entschuldigte sich Viggo zögernd. "Es geht ums Prinzip", grummelte Nora, "Kerstin hat einen Überfall hinter sich und dieser Idiot von Luke hat mit ihr Schluss gemacht. Da braucht sie nicht auch noch deine umwerfenden Komplimente!" Oh weh. Da hatte ich aber wieder für Stimmung zwischen den beiden gesorgt. "Äh...Nora, schon gut...er ist ein Mann, er weiß es nicht besser...", merkte ich an und kassierte einen bestürzten und beleidigten Blick von Viggo. Berry grinste sich heimlich still und leise einen ab und schüttelte mit dem Kopf, als Nora sich daran machte, ihren armen Dänen zu trösten, der gar nicht so recht wusste, was er falsch gemacht hatte. Nochmalige Knutschorgie vor uns. Ich lehnte seufzend meinen Hinterkopf an den Sitz und massierte meine Schläfen. Das konnte ja noch eine lustige Zeit werden! "Keine Sorge!", tröstete mich Berry, "Nora bleibt heute bei Viggo und ich muss in 6 Stunden auch schon im Büro sein. Du hast also den ganzen Tag für dich und kannst dich erstmal vom Jetlag erholen!" Ich wusste nicht recht, ob ich mich freuen oder wieder heulen sollte. Zum Einen brauchte ich dringend ne Mütze Schlaf und meine Ruhe, zum Anderen wollte ich Gesellschaft, um ein wenig herum zu quengeln und Trost abzufassen. (ja, normalerweise nennt man das "Den Kummer von der Seele reden", aber ich übertrieb da gern und oft und jammerte schon mal ziemlich wehleidig herum)
 

"Danke", brachte ich letztlich hervor, um Berry, die mich schon wieder so besorgt musterte, zu beruhigen. "Wenn du nicht allein sein willst, sag Bescheid, dann kommen Viggo und ich rüber...", schlug Nora vor, die sich für eine halbe Sekunde von ihrem Schnuckel losreißen konnte. Hilfe! Ich hatte Nora sehr, sehr gern, aber das letzte, das ich als frisch gebackener Single gebrauchen konnte, war ein total verliebtes Paar, das in meiner unmittelbaren Umgebung knutschte, fummelte und was weiß ich noch alles anstellte.
 

"Nein, schon ok, ich werde mich einfach ein Weilchen aufs Ohr legen.", erwiderte ich und sie lächelte verschwörerisch, als sie vorschlug: "Ich sag dir was, Kerstin. Ich hab über eine Woche ab morgen frei, Berry ab übermorgen. Dann machen wir so richtig einen drauf, ok? Erstmal richtig Shopping und dann mal sehen, was in LA so abgeht! Was sagst du?" Ich lächelte dünn. Shopping? Keine Frage, ich liebte es wie jedes andere weibliche Wesen auf diesem Planeten, einkaufen zu gehen, aber mein Konto kreischte hysterisch los, wenn ich auch nur daran dachte, Geld auszugeben. "Ja...klingt gut!", sagte ich der Höflichkeit halber und Nora drehte sich befriedigt um. Ich schloss für einen Moment die Augen, dumpfe Kopfschmerzen pulsierten in meinen Schläfen. Der Captain gab Anweisungen an die Passagiere, sich doch bitte anzuschnallen, solange die Landung erfolgte. Ich konnte mir vorstellen, dass es Viggo nur das größte Vergnügen bereiten konnte, wenn er Nora "fesseln" durfte. "Ich denke, ich könnte vielleicht noch ein Praktikum im Verlag für dich herausschlagen, das diesmal höher bezahlt sein wird als das in New York.", begann Berry plötzlich laut nachzudenken. Je mehr mir die beiden anboten, desto mieser fühlte ich mich. Was gab ich ihnen denn schon im Gegenzug, dass sie mich so fürstlich umsorgten? Ich hatte weder viel Geld noch konnte ich ihnen einen Gefallen tun. Ich stieß einen frustrierten Seufzer aus und Berry sah mich fragend an. "Du musst das natürlich auch nicht machen", merkte sie fast kleinlaut an. "Das ist es doch nicht, Berry.", platzte es plötzlich recht laut aus mir heraus, was mir auf der Stelle leid tat. Die beiden bemühten sich so sehr darum, dass es mir wieder besser ging und ich benahm mich wie ein undankbares Kind. "Entschuldige...", murmelte ich leise und hoffte, sie würde die von mir angefangene Argumentation nicht wieder aufgreifen.
 

Aber ich kannte Berry zu gut, als dass ich wirklich hätte glauben können, sie würde es dabei belassen. "Was ist es dann?"
 

Ich hatte gewusst, dass sie das sagen würde und kam mir vor wie der Regisseur, der das Drehbuch auf dem Schoß liegen hatte und kontrollierte, ob man sich an die von ihm geschriebenen Zeilen hielt. Zu allem Unglück drehten sich auch Nora und Viggo wieder zu mir um. Ich senkte den Blick und schämte mich mehr denn je (und das sollte schon was heißen). "Na ja...ich...ihr serviert mir alles auf nem silbernen Tablett und ich komme mir so blöd vor, wenn ich alles annehme, ohne euch etwas zurückzugeben...versteht ihr? Es kommt mir so vor, als würde ich nur meinen Vorteil daraus ziehen, dass ich mit euch befreundet bin..." So. Jetzt war's raus und ich schluckte den fetten Kloß in meinem Hals mit Müh und Not herunter. Für eine erschreckend lange Zeit herrschte eisernes Schweigen zwischen uns, bis Nora letztlich lachend ausstieß: "So'n Quatsch!", mir freundlich zuzwinkerte und sich wieder Viggo widmete. Ich blickte etwas verdutzt drein und als auch Berry breit lächelte, hatte ich den Höhepunkt der Verwirrtheit erreicht.
 

"Eigentlich müsstet ihr doch jetzt sauer auf mich sein...?!?", mutmaßte ich vorsichtig. "Du hast ne heftige Zeit hinter dir. Gönn dir doch mal was. Du musst nicht denken, dass du uns bis aufs Hemd ausziehst, nur weil wir dir mal was, und das zudem noch aus freien Stücken, spendieren!", Berry hatte etwas von einer guten Fee an sich, das war mir schon bei unserem ersten Treffen klar geworden.
 

"Apropos ausziehen...", hörte ich Viggo leise auf dem Vordersitz munkeln und Berry und ich tauschten einen viel sagenden Blick, ehe wir beide in lautes Gelächter ausbrachen. Nora drehte sich keine halbe Sekunde später mit hochrotem Kopf zu uns um und streckte uns die Zunge entgegen.
 

Meine letzten Zweifel waren beseitigt, als das Flugzeug auf dem Rollfeld aufsetzte und die Sonne über den Stadtrand blinzelte - es war wirklich eine gute Entscheidung gewesen, nach LA zu gehen und auch wenn ich nicht damit rechnete, die absolute Glückseligkeit dort zu finden wie Buddha unter dem Feigenbaum, so wusste ich doch, dass ich eines hatte, das mir niemand nehmen und das mir Kraft geben würde - die Freundschaft zu meinen beiden Mädels.
 

Viggo stellte sich eine gute Stunde später todesmutig an die, selbst zu dieser frühen Stunde, stark befahrene Straße, um für uns ein Taxi zu beordern. Sein braunes Haar schimmerte fast bronzenfarben im frühen Morgenlicht, das dunkle Seidenhemd, das seiner makellosen Figur schmeichelte, schimmerte in verschiedenen Farbnuancen, als sich die Sonnenstrahlen daran brachen. Nora stand geistesabwesend und gedanklich sabbernd neben mir und ich grinste vor mich hin. War wohl doch besser, wenn sie für heute bei Viggo blieb, denn sonst würde ich wirklich nicht viel Schlaf bekommen, zumal Noras Schlafzimmer direkt neben dem Gästezimmer gelegen war. Berry schien wie sooft meine Gedanken lesen zu können, denn auch sie trug ein wissendes Lächeln auf den Lippen. Ich fragte mich, warum dieser fleischgewordene Engel Single war. Ich konnte es mir nicht erklären, egal, wie lange ich darüber nachdachte. Dass ich ständig Pech mit Männern hatte, war eine Sache - ich war manchmal sehr naiv und stur, aber Berry? Sie war ein so ausgeglichener Mensch, dass es fast schon unheimlich war. Ich setzte mir auf die gedanklich verfasste Liste der "noch zu erledigenden Dinge", dass ich Berry unbedingt noch mit einem gut aussehenden, charmanten, sensiblen, aber auch starken Mann verkuppeln musste.
 

Ha! Nichts leichter als das...ähm...aber einen Versuch wäre es wert. "Schnell, steigt ein!", forderte uns Viggo etwas hastig auf und winkte uns zu sich und dem Taxi, das vor ihm Halt gemacht hatte. Hätte er sein Aragornschwert bei sich gehabt, wäre es wesentlich leichter gewesen, ein Taxi zu bekommen, dachte ich so vor mich hin. Andererseits hätte man ihn dann am Flughafen wegen terroristischen Verhaltensmustern festgehalten und wohlmöglich noch eine Leibesvisitation durchgeführt. Nora wäre allein bei dem Gedanken Amok gelaufen, dass jemand ihren Freund betatschte. Verständlich.
 

Aber der Grund für Viggos scheinbare Unruhe war eine Horde junger Mädchen, die hurtig auf uns zumarschierte. Oh nein. Gleich würden sie ihre Zeichenblöcke und Kulis zücken, vielleicht sogar ihre T-Shirts lüften und Viggo einen Edding reichen, damit er auf ihrer nackten Haut mit "Aragorn" oder "Viggolicous" unterschrieb. Und kaum hatte ich diesen Gedanken zu seinem erschütternden Ende gebracht, hörte ich die Anführerin der weiblichen Lemminghorde kreischen: "Da ist er! Er ist es wirklich! Viiiiiiiggooooooo." Ich wusste nicht, wer mich auf den Rücksitz des Taxis zerrte, aber ehe ich mich versah, saß ich auf dem weichen Polster neben Nora, die angespannt die Hände auf die Knie legte und verkrampfte. Auch Viggo machte nicht gerade einen begeisterten Eindruck. Hm. Wir schwiegen so lange, bis dem Taxifahrer die Stille auf den Keks ging und er das Wort ergriff. Viggo über den Rückspiegel eindringlich musternd, sagte er schließlich: "Hey...Sie sind doch der Typ, der bei diesem komischen Zwergenfilm mitgespielt hat...oder?"
 

Zwergenfilm? Er nannte den "Herrn der Ringe" einen Zwergenfilm? Ich schielte verstohlen zu Viggo hinüber, um seine Reaktion besser beobachten zu können. Er atmete etwas gepresst aus, scheinbar stellte man ihm diese Frage sehr oft und der Nervenabtötungsfaktor musste längst die Milliardengrenze erreicht haben. Armer Viggo. Arme Nora. Ich konnte mir tausend leichtere Dinge vorstellen, als eine Beziehung mit einem berühmten Schauspieler zu führen. Ich fragte mich insgeheim, ob Viggo es schon offiziell gemacht hatte, dass er mit Nora zusammen war. "Ja", hörte ich Viggos Stimme, "genau der bin ich."
 

Das Schweigen kehrte zurück und hielt an, bis das Taxi vor Berrys und Noras großem Apartment stehen blieb. Ich hatte eigentlich in Erinnerung gehabt, dass die beiden lockerer mit dem Wahn um Viggos Person umgingen, ja, sogar ihre Witzchen darüber machten. Aber dass die beiden plötzlich ganz blass und verschlossen waren, machte mir schon angst. "Bist du mir böse, wenn ich gleich mit Viggo weiterfahre?", fragte mich Nora, als ich zu Berry hinaus auf den Bürgersteig getreten war und mein Gepäck aus dem Kofferraum genommen hatte. "Nicht doch, wir werden ja noch zu genüge Zeit miteinander verbringen", lächelte ich etwas kläglich, da ich nicht wusste, wie ich mich plötzlich verhalten sollte. Nora erwiderte das Lächeln und hauchte ein leises "Danke", als sie die Tür zuschlug und das Taxi weiterfuhr. Ich schaute dem Auto noch ein Weilchen hinterher. "Kommst du oder bist du zu Eis erstarrt?", fragte Berry und tippte mich an. Ich drehte mich irritiert zu ihr um. "Ja...äh...nein...ach...ich komme schon", druckste ich herum und folgte ihr zum Haus. Als wir im Fahrstuhl, den wir im Übrigen ganz für uns allein hatten, standen, konnte ich die Frage nicht länger für mich behalten, die schon während der ganzen Taxifahrt auf meiner Zunge gebrannt hatte.
 

"Berry? Sag mal...weißt du, warum Nora und Viggo vorhin so komisch waren?"
 

Sie sah mich an, als wäre ich ein weltfremdes Wesen, das auch gar nichts mitbekam. Gar nicht so falsch. "Wie würdest du dich fühlen, wenn schreiende Teenager hinter dir her rennen würden?", stellte sie die Gegenfrage und ich schürzte die Lippen. "Ja, stimmt schon...aber als wir uns im Frühjahr in New York trafen und sich die drei Mädchen auf Viggos Hotelzimmer geschmuggelt hatten, haben die beiden noch mit außerordentlichem Humor darauf reagiert..." Berry wich meinem Blick aus, als wäre es ihr unangenehm, darüber zu sprechen. Lektion 1: Wie mache ich meine Freundin fast krank vor Sorge?
 

"Berry, jetzt sag schon...was ist los?", langsam wurde mir wirklich mulmig zumute. "Sprich Nora nicht unbedingt darauf an, ok?", sicherte sich Berry vor ihrer Ausführung ab und ich nickte angespannt. Das gefiel mir nicht. Was für eine Geheimniskrämerei herrschte plötzlich zwischen uns? Das gelbe Licht der Stockwerkanzeige sprang von 3 auf 4 und die nervige Fahrstuhlmusik dröhnte mir bald in den vom Flug überlasteten Ohren. "Anfang Juni...", fuhr Berry zögerlich fort, "...lag eine Art...na ja...Drohbrief in Noras Briefkasten.", Berry wurde ganz bleich. Kein gutes Zeichen. "Inwiefern...Drohbrief?", hakte ich gebannt nach. Ich kannte die Art von dümmlichen Briefchen, die manche dämliche Kinder in die Briefkästen wildfremder Leute legten, um ihnen einen gehörigen Schrecken einzujagen. "Eine Art Morddrohung an Nora. Sie solle gefälligst die Finger von Viggo lassen und wenn sie das nicht täte, würde sie schon die Folgen ihres Handelns früher oder später erfahren...", Berry verstummte abrupt, starrte ernst zu Boden. Ich erstarrte. Eine Morddrohung gegen Nora? "Wie...ist...ist irgendetwas daraufhin passiert?", fragte ich entsetzt, mein Herz beschleunigte seinen regelmäßigen Schlag. Berry sah mich endlich wieder an. "Nein...nichts...aber allein die Drohung ist doch schon schrecklich genug, meinst du nicht auch?" Ich nickte, plötzlich war meine Kehle ganz trocken und unterschwellig spürte ich, wie meine Knie zitterten. Wie konnte jemand nur so etwas machen? O Gott, die Angst, die Nora durchmachen musste...und Viggos Angst um sie! Jetzt wurde mir einiges klar und verständlich, weshalb die beiden bei dem Ansturm am Flughafen so unruhig geworden waren. "Warum hat sie mir nichts gesagt?", sprach ich die Frage laut aus, welche die ganze Zeit in meinem Kopf umhergeisterte.
 

"Du kennst doch Nora", sagte Berry mit einem traurigen Lächeln, "Ihr muss man doch alles aus der Nase ziehen, von allein rückt sie kaum mit ihren Problemen heraus...", Berry seufzte schwermütig und mit einem hellen Klang öffnete sich die Fahrtsuhltür im elften Stock. Ich hob meine Taschen an und watschelte hinter ihr her. "Hätte ich nicht mit ihr zusammen gewohnt und den Brief durch Zufall entdeckt, hätte sie die Sache wohl auch vor mir versucht totzuschweigen.", fuhr Berry nachdenklich fort. "Habt ihr was dagegen unternommen, ich meine...seid ihr zur Polizei damit gegangen?", fragte ich erschüttert, während Berry am Wohnungsschlüssel herumnestelte und dann schließlich die Tür aufmachte.
 

"Klar. Aber die haben bis heute noch nichts herausfinden können. Bisher hat sich zum Glück auch noch nichts zugetragen. Hoffen wir, dass das so bleibt und Nora den Schock bald verdauen kann." Ich tapste hinter Berry her und stellte mein Gepäck in den Flur, knöpfte meinen langen dunklen Mantel auf. "Schwitzt du da drin nicht?", fragte Berry und machte große Augen. "Ich hab, um ehrlich zu sein, fast nur lange Klamotten mitgebracht. Ich hab nicht dran gedacht, dass hier noch knapp 20 °C sind, während ich mir in New York bei 10 °C und Dauerregen den Hintern abfriere.", entgegnete ich resignierend. Das hatte ich also vergessen. Kurze Klamotten. Ich würde wirklich shoppen gehen müssen. "Na ja, wir finden schon was für dich", stellte Berry fest und stellte meine Reisetasche in den Schrank. "Ich nehme an, du willst dich erstmal aufs Ohr hauen, bevor du deine Tasche auspackst?", fragte sie und ich nickte, "Ich werde mich besser gar nicht erst schlafen legen, muss sowieso dann ins Büro. Falls irgendwas sein sollte, kannst mich auf meinem Handy jederzeit erreichen!"
 

Wieder nickte ich. Kam mir langsam vor wie ein Wackeldackel. Ich war immer noch so baff von der Offenbarung, die mir Berry soeben gemacht hatte. Nora war bedroht worden. Das verschärfte ja nur noch ihre Situation.
 

Warum hatte sie mich nicht angerufen? Gut, Nora wollte nie gern andere mit ihren Problemen belasten, aber wenn ich nach einer Trennung von Luke (dem widerlichen, chauvinistischen Arsch) und einem Überfall mit Nervenzusammenbruch bei Nora anrief, hatte sie doch dann doppelt und dreifach das Recht, sich bei mir auszuweinen oder zumindest mit jemanden darüber zu reden. War ich nicht wachsam genug gewesen, sodass ich nicht gleich gemerkt hatte, dass etwas nicht in Ordnung war? Oder war ich so egoistisch gewesen, dass ich mich gar nicht erst für andere interessiert hatte? Wieder einmal in Selbstzweifeln untergehend, drang Berrys Stimme wie aus dem Jenseits an mich heran: "Ich werde spätestens so gegen fünf heimkommen, kommt auf den Verkehr an. Ich denke, dass Nora und Viggo im Laufe des Abends vorbeischauen. Die beiden brauchen mal wieder etwas Zeit für sich!"
 

"Ja. Ist ja auch verständlich.", nuschelte ich in mich hinein und strich mir durch das Haar. Berry streichelte mir unerwartet über die Wange und lächelte: "Und du bist dir sicher, dass alles klar ist? Kann ich dich allein lassen?"
 

"Nein, ich bin 6 Jahre alt und hätte nichts gegen einen Babysitter.", grinste ich. "Oh ja, das kann ich mir vorstellen. Groß, muskulös, braun gebrannt, mit groooßen..."
 

"Berry!", ging ich dazwischen, bevor sie schlimmeres aussprechen konnte. "...Händen. Was ist?", grinste sie unschuldig, worauf wir beide wie kleine Mädchen kicherten. "Sei mir nicht bös, aber ich werfe mich ne Runde in die Koje...heute Abend können wir dann richtig reden.", sagte ich und Berry führte mich noch ins Gästezimmer, gab mir noch frische Bettwäsche, die Telefonnummer für den Pizzaservice und wünschte mir dann süße Träume. Ich ließ mich stöhnend auf das Bett fallen, als sie die Tür geschlossen hatte und starrte an die Decke. Endlich in LA angekommen. Der Funkwecker auf dem Nachttisch zeigte blinkend 5: 24 Uhr an und ich legte die Hand abschirmend über die Augen. Glücklicherweise hatte eine von den beiden die Jalousien vor dem Fenster heruntergelassen, sodass die Sonne nicht herein scheinen und das Zimmer aufheizen konnte. Blöde Zeitumstellung. Blöder Jetlag. Ich fühlte mich wie halbtot. Wie schwanger. Wie auf Drogen. Und das schlimmste von allem - ich fühlte das alles zur selben Zeit.
 

Mein letzter Gedanke, bevor ich in voller Montur und halb an der Wand lehnend auf dem Bett einschlief, war, dass ich mein Lieblingshöschen in meiner Kommode in New York hatte liegen lassen.
 

-x-
 

Als ich aufwachte, litt ich an extremer Desorientierung. Zuvor war ich mir sicher gewesen, in meinem Bett in New York zu liegen, nachdem ich beim Lernen eingeschlafen war und mich der Schreckenswecker aus dem Tiefschlaf riss. Als mein schlaftrunkener Blick jedoch zur Uhr wanderte, stellte ich fest, dass es 16 Uhr war und ich meinen Wecker nie auf diese Uhrzeit stellte. Wo zum Teufel war ich nur? Und vor allen Dingen - woher kam das nervtötende Geklingel? Ich wälzte mich wie ein verwundetes Walross aus dem Bett und als ich die unbekannte Musterung des Teppichs aus nächster Nähe sah, fiel mir nach und nach alles wieder ein. Demotivierter denn je, da ich aus dem Schlaf gerissen worden war und sich nun die Körperstellen pochend bemerkbar machten, auf denen ich ziemlich blöd gelegen und die ich mir nun verrenkt hatte, schleppte ich mich in den verlassenen Flur. Es war die Türklingel, die so scheppernd laut erklungen war, dass ich aus meinem Dornröschenschlaf erwacht war. Ich fragte mich, welcher lebensmüde Mensch es gewagt hatte, mich zu wecken, da mein schrecklicher Zorn über denjenigen hereinbrechen würde. Nora konnte es nicht sein, die war sicher noch bei Viggo und hatte ja wie Berry einen Wohnungsschlüssel.
 

Vor Müdigkeit noch arg umhertaumelnd stolperte ich der Sprechanlage entgegen und riss widerwillig den Hörer ab, um das nervtötend schrille Geräusch zu unterbinden. "Ja?", gab ich im muffligsten Ton von mir, den ich in meiner Erschöpfung aufbringen konnte. "Post. Paket für Sie.", brummte eine ebenso begeisterte Männerstimme am anderen Ende. Kraftlos drückte ich auf den Knopf, der dem Postboten Einlass gewährte und wartete an der angelehnten Wohnungstür darauf, dass er heraufkommen möge und sich seine Abreibung abholte.
 

Als ich also wartete und mir die Jeopardy-Musik durch den schmerzenden Kopf ging, kam mir ein erschreckender Gedanke, der die Alarmglocken in mir schrillen ließ! Ein Paket! Die Drohungen an Nora! Was, wenn das eine Briefbombe oder besser gesagt Paketbombe war, die fröhlich tickend auf den Weg nach oben war? Panik durchflutete mich eiskalt und ich überlegte, ob ich die Tür besser schließen und vorgeben sollte, dass niemand zu Hause war, der das Päckchen entgegen nehmen konnte. Aber da klingelte schon der Fahrstuhl und der Postbote trat mit einem riesigen Paket heraus. Verflucht!
 

Mein erster Tag in LA und ich hatte schon schlimmere Paranoia als in New York. Ich sollte mit dem Gedanken spielen, einen Psychologen aufzusuchen.
 

"Sind Sie No...", begann er und ich verneinte kühl. Er musterte mich eindringlich, begutachtete meine Sturmlocke und mein zerknittertes Gesicht und schien zu überlegen. Dann drückte er mir das Paket in die Hand. "Ich geb's Ihnen trotzdem. Da, da und da unterschreiben!", brummte er. Warum hatte ich nur das böse Gefühl, mein Testament mit dem Auslieferungsnachweis des Postboten zu unterzeichnen?! Wenn ich schon solche Panik wegen eines Päckchens schob, wie hatte dann Nora zumute sein müssen? Ich klemmte mir das Objekt des Grauens unter den linken Arm und unterschrieb mit krakeliger Schrift. "Schönen Tag noch", muffelte der Typ und verdrückte sich wieder, ließ mich allein mit dem Paket stehen, das, wie ich glaubte, an die 10 Tonnen wiegen musste. Hatte Nora einen Wal zum Abendessen bestellt? Behutsam ließ ich den Brücken auf den Küchentisch nieder und stülpte die Ofenhandschuhe über, sozusagen als Prävention vor einer möglichen Explosion. Abgesehen von der Tatsache, dass dann zwar meine Hände intakt gewesen wären, der Rest aber wohl nicht mehr vorhanden, fühlte ich mich etwas sicherer, als ich vorsorglich den Absender überprüfte.
 

Ich ließ vor Erleichterung die Handschuhe fallen, als ich las: "Columbia Records" - Noras Arbeitgeber. Und sofort überfiel mich eine weitere Panikwelle - hatten die Noras ganzes Büro ausgeräumt und den Inhalt ihres Schreibtisches per Post zugeschickt, weil sie einen Tag meinetwegen gefehlt hatte und nicht zur Arbeit erschienen war?
 

Wenn man mich nun für paranoid hielt, empfand ich das nur für berechtigt. Ich hatte mich gerade wieder ein wenig beruhigt und einen Schluck Apfelsaft aus der angefangenen Tüte im Kühlschrank getrunken, als die Türklingel abermals einen Fast-Herzinfarkt bei mir verursachte. Was war denn nun schon wieder? Warum mussten alle Menschen auf diesem Planeten dann klingeln kommen, wenn ich allein und bei jemandem zu Besuch war? Ich zögerte erst, ob ich herangehen sollte, aber als ein zweites und drittes Mal geklingelt wurde, entschloss ich mich todesmutig, der abermaligen Bedrohung entgegen zu treten.
 

"Äh...ja?", murmelte ich schüchtern. "Entschuldige, Kerstin, hab ich dich geweckt? Ich hab meinen Schlüssel in meinem Zimmer liegen lassen und konnte somit nicht rein." Noras Stimme war wie eine göttliche Prophezeiung und ich erwiderte: "Noch nie war ich so erleichtert, dich zu hören, Süße", bevor ich auf den Knopf drückte und sie hineinließ. Ich war ein wenig verdutzt, als sie allein aus dem Fahrstuhl ausstieg und fragte sie noch, als sie auf dem Gang stand: "Nanu...wo hast du denn deinen Dänen gelassen?"
 

"Mein Däne", grinste Nora, "schläft noch. Ich hatte nur ein schlechtes Gewissen und wollte nach Hause, hab Viggo ne Nachricht da gelassen und mich im Glauben befunden, meinen Schlüssel mit zu haben. Sorry, hab mich wohl geirrt.", sagte sie entschuldigend und ihre grünen Augen sahen mich flehend an, ihr zu verzeihen. "Ich war schon wach, keine Sorge", lächelte ich und ließ sie hinein. "Wieso das? Hast du schlecht geschlafen?", Nora ließ ihre Handtasche auf den Küchentisch neben das Paket fallen und ich zuckte zusammen. "Nein, aber der Postbote hat mich geweckt", ich deutete auf das Paket und hoffte, dass Nora das Zittern meines Zeigefingers nicht bemerkte. "Ach so, ja...das sind glaub ich Demotapes...", sagte sie desinteressiert, "Das Label schickt sie mir zu, wenn ich mal für ein paar Tage zu Hause arbeite."
 

"Wie...du hörst da rein und gibst Empfehlungen?", fragte ich mit großen Augen. Wow. Nora hatte es wirklich weit gebracht. Aber sie bremste meine Euphorie lachend. "Nein, um Himmels Willen! Ich sende fast alle von ihnen zurück an die beigefügten Adressen. Sind es Tapes von Bands, die bei Columbia unter Vertrag stehen, bin ich unter anderem dafür verantwortlich, dass sie unbeschadet im Label ankommen und von niemandem abgefangen werden." Ich musterte sie neugierig. "Ich dachte immer, dass Songs und Alben im Studio aufgenommen werden.", ich war erstaunt über meine Unwissenheit. "Ja, werden sie auch", bestätigte mich Nora, die auch noch einen kleineren Stoffbeutel auf den Tisch bugsierte, aus dem eine lange Selleriestange und ein Baguette herausguckten, "Aber erste Demotapes werden der Bewertung wegen schon eher eingesandt."
 

Fasziniert beobachtete ich, wie Nora den Beutel leerte und auch noch Champignons, Käse, Butter und Rotwein hervorzauberte. "Ich hab noch ein bisschen fürs Abendessen eingekauft. Ich hoffe, du magst überbackene Champignonbaguettes?"
 

Oh mein Gott! Es gab gekochtes Essen! In New York hatte ich jahrelang von Dosenfutter und billigen Fertiggerichten gelebt, weil ich kaum Zeit zum Kochen gefunden hatte. Das war Luxus in meinen Augen! "Klar doch.", ich bewunderte Nora für ihre Gelassenheit. Der Anflug von einem Schock, den ich am frühen Morgen im Taxi bei ihr gesehen hatte, war fort. Trotzdem wusste ich noch immer nicht so recht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Berry hatte mich angewiesen, sie nicht darauf anzusprechen und daher würde ich auch meine Klappe halten. "Kommt Viggo heute noch vorbei?", fragte ich besonnen und Nora schüttelte mit dem Kopf, während sie ein Küchenmesser ergriff und mit einem Ratsch das Paket aufschlitzte. Cool. Das nannte ich Killerinstinkt. "Nein, er muss morgen früh raus, das Atelier für seine nächste Ausstellung inspizieren und eine Stellprobe mitmachen." Hach. So also war es, wenn man das Leben im Griff hatte und nicht andersrum. "Hast du dich ein wenig erholen können?", fragte sie wieder mit diesem besorgten Unterton in der Stimme. "Ja. Ich arbeite gerade daran.", grinste ich, worauf sie mich ansah, das Messer auf den Tisch legte und die Arme um mich legte. Oje. Erregte ich schon so viel Mitleid?
 

"Ich verspreche dir, dass du ne unvergessliche und schöne Zeit hier mit uns verbringen wirst! Du kannst so lange bleiben, wie du willst!", murmelte sie in mein Ohr und drückte mich an sich. Wäh! Sie schaffte es auch immer wieder, dass mir die Tränen in die Augen schießen wollten! "Danke", sagte ich und erwiderte ihre Umarmung. "So...aber nun lass uns was für Berry zum Mampfen zubereiten! Wie kann ich dir helfen?", fragte ich, um auf ein anderes Thema umzuleiten. Ich wollte nicht über Luke reden. Es tat zu sehr weh. Daher ging ich dem immer dann aus dem Weg, wenn sich abzeichnete, dass über meine Probleme gesprochen werden sollte. "Äh...du kannst schon mal die Weingläser holen...ach ja...und hast du Ahnung, wie man Champignons putzt?"
 

"Nora, ich bitte dich", grinste ich schelmisch, "Ich komme aus dem Big Apple. Wenn jemand Ahnung vom Champignon-Reinigen hat, dann bin ich das." Nora hob verschwörerisch die Brauen und warf mir die Packung Champignons zu. "Dann leg mal los, Küchenmädchen."
 

-x-
 

Berry kam gegen 17:15 Uhr nach Hause und ich hatte die Küche noch immer nicht in Brand gesteckt! Mit stolz geschwellter Brust machte ich mich immer noch über die Champignons her und demonstrierte Berry meine wackeligen Kochkünste. Zugegeben, wirklich weit waren Nora und ich nicht gekommen, da eine Essenschlacht und diverse Diskussionen über Männerhintern uns abgelenkt hatten. Aber Berry freute sich dennoch über unser Engagement. "Wie war's im Verlag?", fragte ich und hätte mir um ein Haar die Fingerkuppe abgeschnippelt, weil ich einen Moment lang Berry mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Pilz. "Och...stressig, aber das kennst du ja. Und, bist du ein wenig ausgeruhter?" Das schien sich zur Standartfrage zu etablieren. "Na ja...so lala.", gab ich etwas vage zurück. "Solltest du aber sein, denn am Wochenende steigt sicherlich was, oder Nora?" Nora strich sich eine Strähne ihres feuerroten Haares aus dem Gesicht und beäugte Berry, als vermutete sie eine verschlüsselte Botschaft hinter ihrer Frage. "Noch weiß ich nichts genaues, aber Liv wollte nachher noch anrufen."
 

"Liv?", fragte ich nebenher, voll auf die Pilze fokussiert. "Japp. Liv Tyler.", entgegnete Nora trocken und ich ratzte mir vor lauter Schreck den Zeigefinger auf. "Auaaaa!", wimmerte ich und steckte den Finger in den Mund, "Miff Mymer?", nuschelte ich Nora mit vollem Mund an, meine Augen waren weit vor Entsetzen geöffnet. Nora lachte über meinen etwas unglücklichen Anblick, während sich Berry daran machte, mir den Finger aus dem Mund zu ziehen, um den Schnitt auszuwaschen und mit einem Pflaster zu besiegeln. Ich kam mir immer mehr wie ein hilfloses Kleinkind vor.
 

"Ja, Liv Tyler", sagte Nora nochmals unbeeindruckt und bestrich das letzte Baguettestückchen mit Butter. "Die Liv Tyler?", wollte ich wissen. "Ich frage mich, wie viele Liv Tylers du kennst", lachte Berry. Die beiden sprachen von ihr, als wäre es das Alltäglichste auf der Welt, mit einem Filmstar befreundet zu sein. Na gut. Nora war mit einem zusammen. Aber trotzdem...es kam mir so unwirklich vor. "Ihr nehmt mich auf die Schippe, oder?", meine Begriffsstutzigkeit legte sich in keiner Weise. Doch ehe mir einer antworten konnte, klingelte das Telefon. Nora wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab, übergab das Kochkommando der lieben Berry und nahm den Hörer ab. "Ja? Oh, hi Liv, hab schon auf deinen Anruf gewartet...hm...ja...Samstag schon?...Nein, kein Problem...ja...hm...na mal sehen, muss noch ein bisschen herumtelefonieren...ja...hihi, der schläft noch, das Faultier...", sie plauderte fröhlich drauflos und ich hörte wirklich Liv Tylers Stimme gedämpft am anderen Ende der Leitung. Berry drückte mir gekochte Eier in die Hand, die ich eigentlich mit einem Eierschneider zerkleinern sollte, aber letztlich musste es Berry doch selbst machen, da ich wie in Trance auf Nora starrte. "Gibst du mir bitte noch einmal die genaue Adresse durch? Ja, ich warte...", Nora schnappte sich Zettel und Stift und klemmte den Hörer zwischen linke Schulter und Kopf, "Ja, bin noch dran...hm-hm...hm-hm...ja, hab ich...gut...bleibt es bei 18 Uhr?...Früher schon?...Ist das eine Kindergeburtstagsfeier oder ein Event für Newcomerbands?...Ja, ich weiß ja, aber...ach so...hm-hm...ich weiß nicht, ob Viggo mitkommt, er hat viel mit der Ausstellung zu tun, weißt du?...Genau....aber wenn es dich nicht stört, bring ich ein bisschen Verstärkung mit...ja, genau, Berry...aber auch eine andere Freundin, die zu Besuch bei mir ist...", Waaaaaaaas? Ich sollte irgendwo hin gehen, wo Liv Tyler war? Ich hatte mich schon mit Müh und Not an Viggos Anwesenheit gewöhnt, wie sollte ich dann noch Liv Tyler sehen, ohne in Ohnmacht zu fallen?
 

Ich machte heftige Gesten mit Händen und Armen, schüttelte vehement mit dem Kopf, um Nora klar zu machen, dass ich nur über meine Leiche mitkommen würde. Aber sie kicherte nur und ich hörte sie sagen: "Ja, sie freut sich schon...", ich bewarf sie mit Eierschalen und Berry reichte mir die Kehrschaufel, mit der ich die Sauerei gefälligst gleich wieder beseitigen sollte. Grummelnd kniete ich mich also hin und wischte die Schalen weg, während Nora mich fies angrinste. Sie konnte manchmal so ein Biest sein!
 

"Gut, dann wäre das geklärt. Dann bis übermorgen!...Ja...hihi", ich konnte es nicht fassen, wie locker Nora mit ihr quatschte und als sie schließlich auflegte, fragte ich tranceartig: "Wo hast du die denn wieder kennen gelernt?"
 

"Also sie war mal mit ihrem Vater bei uns im Studio, weil er noch ein paar Aufnahmen machen musste und nachher mit ihr essen gehen wollte. Während sie auf ihn wartete, sind wir ins Gespräch gekommen. Später hab ich sie noch einmal mit Viggo getroffen...sie ist ganz natürlich, nicht irgendwie abgehoben...du wirst sie mögen, glaub mir!" Ich starrte Nora ungläubig an. "Du erwartest doch nicht etwa, dass ich mit ihr rede? Ich meine...sie ist die Bienenkönigin und ich bin eine Arbeiterbiene!"
 

Sowohl Nora als auch Berry runzelten die Stirn bei diesem Vergleich, aber wie sooft kannte Berry die passende Antwort: "Aber alle Bienen leben im gleichen Bienenstock!" Nora lachte und klopfte tröstend auf meine Schulter. "Ich hab dir doch gesagt, wir unternehmen mal was...wir haben morgen den ganzen Tag Zeit, ein passendes Outfit für dich zu kaufen und am Samstag kommst du mit zu der Party!" Meine Knie lösten sich in Wohlgefallen auf. "Party? Was ist das für ne Party?" Nora deutete auf das aufgerissene Paket auf dem Tisch und sagte: "Eine Veranstaltung für Newcomerbands und Anfänger. Ich soll von meinem Boss aus mal reinhören, ob was vermarktungswürdiges darunter ist."
 

"Und...was macht Liv Tyler auf so ner Fete?", ich konnte es immer noch nicht glauben. "Ihr Dad hat das mit seiner Band...na ja...sozusagen "organisiert"...mal sehen, was da so abgeht...morgen müssen wir auf jeden Fall vor 9 Uhr aufstehen, bevor die Mall zu voll wird. Dann starten wir ne richtige Shoppingorgie!", Noras Augen funkelten verschwörerisch und mir wurde ganz bang ums Herz. Berry musste ausgerechnet noch am morgigen Freitag arbeiten und würde mir nicht beistehen!
 

Ich stand noch völlig unter Schock, als Nora den Ofen aufmachte und das heiße Blech voller Champignonbaguettes mit meinen Bombenpräventivhandschuhen herausnahm. "So Mädels, Zeit zum Essen!", verkündete sie feierlich und mein Magen, der seit Stunden keinen Inhalt gefunden hatte, stimmte ihrem Appell nur zu gern zu.
 

~TBC~
 

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