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Die Revolution

von

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Zeitungen

Mmm, ja, was soll ich sagen? Hier am Anfang. Im Grunde bleibt nicht viel für mich zu tun, außer abzuwarten, wie ein erstes Kapitel ankommt (ob es überhaupt ankommt ;-;)

Aber vielleicht darf ich mich ja auf das ein oder andere motivierende Kommentar freuen :-)

Ich lehne mich mal gespannt- entspannt zurück und bewache ;p

Auf -hoffentlich- bald.
 

Viele Grüße, Fany

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"Na?"

"Na was?"

"Na, wie geht's?"

"Na normal."

"Wirklich?"

"Na wie sonst?"

"Na ja....vielleicht ängstlich?"

"Wie kommst du darauf?"

"Ich kenne dich."

"Ach komm!"

"Ja, is' so."

"Klugschwätzer!"

Damit erhob sich Lilemour stirnrunzelnd von ihrem Stuhl und begann das Zimmer auf und ab zu gehen, wie Dagobert Duck in seinen besten Zeiten.

"Es gibt keinen Grund für mich Angst zu haben" ,sagte sie überzeugt und funkelte ihre Kameradin zu Tisch an.

"Beim ersten Mal ist noch nie jemand gestorben!.....oder....?" ,hängte sie dann doch unsicher hinzu und raufte sich mit einem "ach, das hat ja doch keinen Sinn! Was sein muss, muss sein!" ,die Haare.
 

"Schön dass du es einsiehst und besser noch, dass du dir dein Muffensausen eingestehst, Lilemour" ,nickte Emilie mit weisem Gesicht und machte den Eindruck, just einen besonders großen Vogel abgeschossen zu haben. Bis ihr leicht aufgewühlter Gegenüber impulsiv mit der flachen Hand auf den Holztisch schlug.

"Nenn mich nicht Lilemour" ,befahl sie hitzig, "keine Ahnung was die Knalltüte von scheintotem Wildschwein sich dabei dachte mir diesen Namen zu verpassen. Warum nicht gleich Hildburg oder Kunigunde?!"

Emilie verzog keine Miene als sie sprach: "Das mein ich."

"Was meinst du?" ,grunzte Lilemour missbilligend.

"Dir geht's nicht normal."

"Was soll das heißen?"

"Du benimmst dich wie eine aufgeschreckte Vogelscheuche!"

"Wie kommst du darauf? Mir geht's gerade ein bisschen weniger gut als blendend!"

"Nein" ,schloss Emilie und fuhr sich in lässiger Geste durch die blonden Locken.

"Bis jetzt war sie wenigstens immer noch ,die alte, verschrobene Trudi' ,heute ist sie schon eine Knalltüte von scheintotem Wildschwein. Nenn mich engstirnig, aber da gibt es einen Unterschied."

Eigentlich nebensächlich, war das doch einer der Sätze gewesen, der die seltene Macht besaß, ausschlaggebend zu sein und dem mit sich selbst ringenden Gewissen den Gnadenstoß zu geben.

Denn Lilemours Mimik änderte sich in Sekundenbruchteilen von säuerlich angepöbelt -ganz Dagobert Duck, der seinen Geldspeicher in Gefahr wähnt- in tief verzweifelt, mitleiderregend -ganz Pluto, dem man einen saftigen Knochen vergönnt.
 

Emilie verkniff sich ein Lachen. Der Gesichtsausdruck ihrer Freundin zeigte deren Gefühle stets schneller und exakter, als der Kolibri mit seinen Flügeln schlagen konnte.

"Ach Emiiiii" ,jammerte Lilemour. "Warum muss ich das machen, he? Ich meine.......da wär' doch noch....und könnte nicht....."

Mit einem geschlagenen Seufzer ließ sie den Kopf auf Emilies Schoss fallen und fühlte sich ganz und gar missverstanden von der ungerechten Welt.

"Ich will nicht Emi! Die haben mich nicht einmal zum Einlernen mitgenommen. Nicht ein einziges Mal! Was bringt mir die Theorie wenn sie mich ins kalte Wasser schmeißen?! Außerdem....ach, ich bin viel zu jung und.....und....."

"Mit neunzehn bist du nicht mehr zu jung dafür. Manche fangen schon mit sechzehn an. Zugegeben wenige, aber es gibt sie. Abgesehen davon, glaubst du ernsthaft sie stecken all die Ausbildungskosten in dich um deine Fähigkeiten dann in der Bibliothek mit den Büchern verstauben zu lassen?!" ,wollte Emilie nicht im Mindesten gerührt über das Schicksal ihrer Freundin wissen, die tatsächlich alle freien Minuten zwischen alten Schinken verbrachte. Eben die selbe schluchzte theatralisch.

"Fähigkeiten" ,schniefte sie. "Mein Können beschränkt sich darauf, ein wenig eleganter als andere die Kurve kratzen zu können."
 

Jetzt lachte Emilie doch. "Das ist's worauf es ankommt, Lilli. Anderes ist weder von Nöten, noch durchsetzbar. Die würden uns schon bei dem illegalen Versuch allein ausweiden."

"Jaaaa" ,heulte Lilli, "und das mein ICH! Was, wenn er mich ausweidet?!"

Ihre Kameradin zögerte keinen Moment. "Geschähe es grundlos, sähe er sich den fatalsten Folgen gegenüber."

"Was würde mir das noch nutzen, so ganz ohne Innereien?! Oh Emiiii....."

"Schluss jetzt" , unterbrach diese das kleine, aufgelöste Balg zu ihren Füßen, packte sie unsanft an den Schultern und stellte sie auf die Beine.

"Schnapp dir die Zeitungen, bind dir einen Schal um bevor du wieder Angina bekommst und geh! Vielleicht ist er ja auch.....nett" ,setzte sie etwas versöhnlicher hinzu.

"Aber Emiiiii....."

"Geh hab ich gesagt, oder soll ich dich melden?!"

Lilli sog schockiert die Luft ein und stand da wie der Glöckner von Notre Dame ohne seine Glocken. Jemanden zu melden war noch hinterhältiger und frevelhafter, als dem Angeklagten Kakerlaken und Frösche in Kombination ins Bett zu stecken.

Mühsam setzte Lilli eine erhabene Miene auf, während sie so stolz es ging Mantel und Schal packte, obwohl sie sich am Liebsten auf der Stelle übergeben hätte.

"Fein" ,zischte sie in beleidigtem Tonfall und setzte ihre Mütze auf, "fein!"

Sie langte hoch erhobenen Hauptes nach dem kleinen Zeitungswagen, riss so stark an dessen Griff, dass er ihr beinahe abgebrochen wäre und zog ihn brutal hinter sich her. Kurz vor der Türe hielt sie noch einmal inne und drehte sich zwischenzeitlich wutschnaubend um.

"Glaub bloß nicht, dass ich dir auch nur einen Fingerhut vererbe, wenn ich heute das Zeitliche segnen sollte! Und ein gutes Wort lege ich da oben erst Recht nicht für dich ein" ,pfefferte Lilli hinterher, bevor sie die Tür schwungvoll zuschlug. Emilie lächelte und schüttelte den Kopf. "Du besitzt nicht einmal einen Fingerhut. Du Kindskopf!"
 

"Ich Kindskopf" ,flüsterte Lilemour draußen, kaum dass sie einige Schritte von der Bleibe Emilies entfernt war. Das Zeitungswägelchen holperte behindernd über den matschigen Waldboden und drohte alle paar Meter zu kentern.

Ja, das hätte sie verdient! Sollten die Zeitungen, von denen sie sowieso nur eine benötigte, doch in die nächste Schlammgrube fallen. Auf dass sie die alle mit der Zunge sauber lecken konnte.

"Ich bin so unfair!" Mit sich selbst zu sprechen, war seit Lilli sich erinnern konnte eine ihrer großen Untugenden, von denen sie nicht wusste, wann sie sich die angeeignet hatte.

Das konnte ihr auch sonst keiner sagen, denn keiner hatte sich jemals wirklich intensiv um sie gekümmert. Sie war Waise und war es schon immer gewesen.

Natürlich wäre es gleichsam falsch gewesen zu behaupten, der Escapatische Orden hätte seine Adoptivkinder schändlich vernachlässigt. Es traf nicht das eine und nicht das andere vollkommen zu. Man fiel einfach mittendurch.

Da es sich dabei letztendlich um nichts Geringeres als ihre Familie handelte, sah sie -wie alle Schützlinge- darüber hinweg im Großen und Ganzen so geliebt wie eine teure Vase aus dem vergangenen Jahrhundert zu sein, aber ebenso ersetzlich wenn es denn sein musste.

Lilemour war nicht mit vielen anderen Vasen befreundet. Dazu fehlte ihr der Mut und vor allem die Notwendigkeit. An einer Hand abzuzählende, wirklich gute Freunde, waren ihr um ein Vielfaches willkommener als all die ,hey, lange nicht gesehen. Was machste so?' Bekanntschaften.

Es war selbstredend ein intelligenter Schachzug gewesen, einen dieser wirklich guten Freunde für etwas anzublöken, für dass sie nicht einmal das Entfernteste konnte. (Die Drohung sie zu melden außer Acht gelassen).

"Ich Schaf" ,beschimpfte sich Lilli, kickte einen ebenfalls unschuldigen Stein aus ihrem Weg und versäumte den Winkel, indem der selbe unter die Räder des Zeitungswagens kam.

Er kippte. Mit geschlossen Augen hörte sie genüsslich zu, wie ein Haufen ganz bestimmter Blätter in den Dreck segelten.

Ja, das hatte sie verdient!

Langsam fing Lilli an einzuräumen, wobei sie darauf verzichtete, ihre Zunge als Putzlumpen zu verwenden. Da im Durchschnitt jedoch alles gesühnt wird, frischte der schneidende Herbstwind sehr schmeichelhaft auf.
 

Und wessen Schuld war das alles?

"Nicht meine jedenfalls" ,keuchte sie und hechtete einer Zeitung hinterher, die den Aufwind genutzt hatte wie der geschickteste Adler.

Die ganz oben! Die hatten Schuld! Weil die sie geschickt hatten. Sie! Eben noch an einem Schmöker Dostojewskis gehangen, war Lilli jetzt auf dem höchst eigentümlichen Weg zu der Residenz eines Vampirs.

In der Grundplanung war damit gerechnet worden, sie nicht vor den kommenden zwei bis drei Jahren in Aktion zu setzen und nun diese grobe Verschätzung, die sie einen Großteil ihres Glückes kostete.

Kein Wunder dass sie sich wie ein Frühstarter beim Hundert Meter Lauf vorkam, der anschließend disqualifiziert wurde.

Es war ihr nicht drum einen verkalkten Nosferatu zu beschatten, ja zu voyeurisieren, wie es manche ihrer Zunft durchaus treffend zu beschreiben wussten.

Dostojewski wartete. Aber der konnte lange warten.
 

Der ,Voyeur' , der vor ihr die Ehre gehabt und den sie nicht einmal persönlich gekannt hatte, war der Vereinigung ,unter bislang unerklärlichen Umständen abhanden gekommen'. So hieß es zumindest in ihrem kurz angebundenen Bescheid, mit dem ihr die Hiobsbotschaft überbracht worden war. Sie selbst war ja der unumstößlichen Meinung, dass der Kerl entweder irgendwo verbuddelt auf die nagenden Würmer wartete, oder aber in weiser Voraussicht getürmt war.

Letzteres schien nach allen Abwägungen das sicherlich Wahrscheinlichste. Denn Emilie (bei der das scheintote Wildschwein einen hervorragenden Namenstag gehabt hatte, nicht so bei ihr) war natürlich im Recht.

Die Unannehmlichkeiten für den Vampir wären von nicht zu unterschätzendem Ausmaß, hätte er tatsächlich den Tod einer ihrer Leute verschuldet. Gäbe es da nicht die Ausnahme, die die Regel bestätigte wenn einer durch das Raster fiel.....

"Leonardenstraße Nr. 4" ,nuschelte Lilli vor sich hin, während sie nach einer knappen halben Stunde aus dem Wald auf die Straße trat und den Zettel mit der Adresse studierte.

Würde die Obrigkeit des Ordens nicht darauf bestehen, all ihre Mitglieder zu Behausungen in den tiefsten Wäldern zu animieren (Einsprüche wurden übergangen) ,so wären einige der kritischen Blicke vorrübereilender Passanten nicht auf sie gerichtet.

Auf sie, ihren mit Dreck verspritzen, knielangen Mantel, ihre Schuhe, die man mit bereits wenig Fantasie für gut ausgebaute Ameisenhaufen halten konnte und die bräunlich verfärbten Zeitungen.
 

Lilemour war lange nicht mehr in zivilisierten Gegenden gewesen, die aus anderen Menschen bestanden denn ihrer einigermaßen überschaubaren Anzahl anadoptierter ,Verwandten'.

Leise rollte das Wägelchen hinter ihr her, über die bunten Blätter, die sich naturgetrieben dazu entschieden hatten ihren Baum zu verlassen, um die feuchten Pflastersteine zu säumen.

Sie beschritt eine schöne Allee am Rande dieser verträumten Kleinstadt, die als Luftkurort gleichzeitig für überdurchschnittlichen Reichtum bei der Bevölkerung sorgte.

Weit hatte sie es vom Wald aus nicht mehr, wenigstens ein Propunkt von dem nicht sicher war, ob sie ihn als solchen empfand. Irgendwann musste sie allerdings so oder so ankommen, da war es wohl besser die Sache schnell hinter sich zu bringen. Die sich dann Tag für Tag wiederholen würde.....

Vor Haus, nein, Villa Nr. 3 unterband Lilli dann diesen Gedanken, blieb kurz stehen und holte tief Luft. In die Hose machte sie sich zwar noch nicht, aber mulmig, dass war ihr gewaltig. Da half nichts, sie musste sich an ihre neue Aufgabe gewöhnen. Am Anfang war es halt eine Umstellung....grausame Umstellung.........

Vielleicht aber stimmte Emilies Aussage ja und er war ganz nett. Immerhin hatte sie schon einmal von jemandem gehört, der jeden Sonntag von einem Vampir zum Kartenspielen und auf einen Whisky eingeladen wurde. Es gab solche und solche, wie eben überall. Warum in aller Welt sollte gerade sie auf einen Bescheuerten stoßen? Das war absurd.

"Lil'" ,ermahnte sie sich selbst, wobei sie sich eine riesige Audrey Hepburn Sonnenbrille auf ihr zierliches Gesicht setzte, "du machst dich lächerlich!"

Das Mädchen bekam nicht mit, dass sie sich durch eben diese Handlung doch leicht ungewöhnlich gebärdete. Wer zog eine Sonnebrille an, wenn die Sonne nur noch ein sich verabschiedender Strich am Horizont darstellte?

Sie wollte, da sie sich offenbar schon mal in einem Schicki Micki Viertel befand, nicht unbedingt von den Anwohnern hier wieder erkannt werden, sollte das Leben so gewalttätig sein, keinen Ersatz für sie zu finden.

Das Schmunzeln eines vorbeiziehenden Ehepaars kreidete sie ihren Ameisenhaufen an.
 

"Oh man!" Lilemour konnte sich dieses erstaunten Ausrufs nicht erwehren. Vor ihr gastierte die Wiener Staatsoper. So schien es auf alle Fälle.

Da sie gestern eine Live Übertragung der ,Macht des Schicksals' von Verdi in eben dieser, sich noch an Ort und Stelle befindenden Oper gesehen hatte, handelte es sich hierbei wohl exklusiv um das äußerst großzügig angelegte Privatanwesen des Vampirs der Leonardenstraße Nr. 4. Ihres Vampirs. Sie hasste diese Worte und hielt sich allein daran fest, dass sie nur vorübergehend sein mochten.

Ein ganz eindeutig barocker Bau mit klassizistischen Einflüssen. Ein altes Teil.

Nichts Ungewöhnliches für die Sippschaft des dort Hausenden. Die schwelgten in Nostalgie wann immer es sich arrangieren ließ. (,Die vampirische Psyche' von Peter Meuermann. Dritter Raum der Bib. ,Regal achtzehn. Sie hatte es lesen müssen).

Der Anblick des halben Königsschlosses schüchterte Lilli noch mehr ein und sie fragte sich, warum ihr Orden sie vor der vampirischen Psyche nicht erst die Menschliche hatte durchwälzen lassen. So hätte es sich möglicherweise einrichten lassen, ihre Ehrfurchtsstarre ein wenig zu lockern.

Unsicher griff sie nach einer Zeitung. Ob der da drin schon wach war?

Hart schluckend campierte sie kurz hinter einem Busch, der ihr das trügerische Gefühl von Sicherheit gab und linste zu den Massen an gigantischen Fenstern und Erkern empor.

Hoffentlich verlief alles reibungslos. Wie gerne hätte Lilli wirklich Zeitungen ausgetragen und wenn sich zehn Wachhunde dieser Snobs an ihre Versen geheftet hätten.
 

"Ein halbes Kind."

Unsichtbar für das Mädchen, stand ein Mann jüngerer Erscheinung an einem der oberen Fensterrahmen gelehnt und schaute beiläufig der fast verlassenen Straße entlang, bis zu seinen Lorbeersträuchern am Rande seines Gartens.

Eisige, tiefe Geräusche belebten den antik eingerichteten, großen Raum. Er lachte.

"Komm" ,amüsierte sich der Vampir, dessen lange, schlanke Finger dem Mann in der Ecke bedeuteten zu ihm aufzuschließen. Der haderte keine Sekunde und trat an das Fenster, hinter einen weinroten Brokatvorhang.

"Herr?" ,fragte er beinahe demütig.

"Sieh dir das an Georg" ,erwiderte die imposante, finster gekleidete Gestalt und legte grazil einen Arm um seinen Diener, der seine besten Jahre längst hinter sich gelassen hatte. Sein gutmütiges Gesicht, von Falten reich geziert, spiegelte sich die hinter den Büschen kauernde Frau in seinen grauen, abgestumpften Augen wider.

"Schnell sind sie, das muss man ihnen zugestehen" ,lachte der Vampir in sichtbarer Verachtung, wobei er sich über sein bartloses Kinn fuhr.

"Es sind nicht einmal drei Nächte vergangen seit dem wir uns dem Letzten entledigt haben und schon verpulvern sie ihren Nachschub. Und....." ,er strich den Vorhang noch etwas mehr zur Seite, "....sie werden immer jünger. Ihre Reihen scheinen sich zu lichten."

"Herr" ,meldete sich Georg bedächtig und aufgeräumt an ihn, "Ihr wisst doch, der Pakt...."

"Der Pakt" ,stieß Ilias abwertend von sich und wandte sich den Innenräumen zu.

"Wie viele Abende hat das Thema, ja das Wort allein zu füllen vermocht? Mit dem stets selben Ergebnis. Ich habe ihn nicht gewollt, aber in ihrer Angst sind sie ihn eingegangen ohne auf mich zu hören. Diese Stümper und Feiglinge. Nicht eine Sekunde habe ich an die Durchführung des Kompromisses geglaubt. Ein Kompromiss mit Sterblichen. Man hätte meinen sollen, die Zeit lehrte Unsereins die immerwährende Dummheit der Menschen.

Und doch unterzeichneten sie ihn" ,schloss Ilias bitter.
 

"Und doch hält er sich schon über hundert Jahre" ,warf der alte Mann mit dem Frack ein.

"Wenig erfolgreich und noch weniger günstig für uns und es wird nicht besser. Aber ja. Ja. Sollen sie sehen was sie davon haben, ich freue mich meine Artgenossen in ihrer steigenden Unzufriedenheit zu beobachten. Machtlos, weil sie es so gewollt hatten."

Ilias ließ sich elegant in einen Sessel nieder, wie ihn sich Ludwig der vierzehnte zu Lebzeiten gewünscht hätte und schlug die Beine übereinander.

"Untermauert nicht die guten Seiten der Übereinkunft, Herr."

Georg war ein in sich verschlossener, wortkarger Mann, der zu den seltensten Stunden aus unaufgeforderten Stücken die Initiative ergriff. Debatten dieser Art waren schon immer heikel in Gegenwart seines Meisters gewesen, aber gerade jetzt war er mit viel Finesse zu besänftigen. Der alte Diener besaß dieses Feingefühl.

"Vielleicht solltet Ihr Euch am Ende damit anfreunden, Euren guten Willen zeigen, Euch fügen und......."

"Fügen?" Ilias blickte ihn aus kühlen Augen an und gab dem treuen Georg das Gefühl einer eher feinfühligen Niederlage, die ihn seinen Kopf senken ließ.

"Was bleibt mir anderes übrig wenn sie mir ständig ihre gezüchteten Voyeure schicken? Wie lange haben wir darauf gewartet die Klette vor diesem Küken da unten bei meinem Eingang diskret verschwinden zu lassen? Das ist es. Diskret. Alles was wir von der törichten Übereinkunft haben ist eine uns aufgezwungene Diskretion, die uns erniedrigt. Wie eine Schlange, der man die Giftzähne entreißt. Mehr noch, man wird von Halbwüchsigen überwacht. Das ist sogar in der Geschichte noch neu. Respekt vor den Respektlosen, die es verstehen die Grenzen des guten Geschmacks bis zur Überdehnung zu strapazieren."

Obgleich in aufgewühlter Rage, blieb der Vampir äußerlich völlig ruhig und gelassen, als rede er von nicht viel Bedeutenderem als dem Wetter von Morgen.

Die Situation war in der Tat ärgerlich, jedoch zu erwarten gewesen. Seine Hoffnung nur, war auf ein wenig mehr Freiheit gefallen, in er mit den seinen Opfern hätte tun und lassen können was ihm beliebte. Ohne Einschränkungen, sanktionslos. Töten wenn es ihn reizte, quälen wenn.....

"Herr" ,durchschnitt Georg Ilias düstere Gedanken, "das Mädchen wird Euch keine allzu große Last sein. Sie kriecht gerade auf den Tujabusch zu und zieht dabei eine Dreckspur quer über Eure Marmorplatten hinter sich her. Soll ich......"

"Nein" ,winkte der Vampir bewegungssparend ab und erhob sich lautlos.

"Das da unten ist nicht viel mehr als ein Hase, den man auf die Schnauze hauen muss um ihn zum Kapitulieren zu bringen. Danach wird sie sich so selten als möglich hier blicken lassen, wenn sie sich nicht in ihrem Erdloch vergräbt."

Georg verbeugte sich , als sein Gebieter schattengleich das geräumige Zimmer verließ. "Jawohl Herr."
 

"Ok Lil'. Ganz cool bleiben", wisperte sie den Busch an, der ihr zusah wie sie marternd Schritt für Schritt Richtung Tür, nein, Tor, hinter sich brachte.

"Nur zum Briefkasten, den Beweis nehmen und die Zeitung reinstecken. Du musst ja nicht mit ihm reden. Nur Briefkasten, Beweis, Zeitung! Briefkasten......"

Wie man es ihr eingebläut hatte, seit Kindesalter an. Wenn etwas widererwartend nicht klappte, dann rennen! Das hatte sie als Erstes begriffen. Ihr Körper war nicht umsonst auf solche Peinlichkeiten -wie sie fand- trainiert worden.

Wobei der Beweis der eigentliche Knackpunkt war. Der Beweis im Briefkasten.

Die ihrer Ansicht nach überflüssige Zeitung war ohnehin nur Fassade für die uneingeweihte Außenwelt. Simpler weise dafür gedacht, nicht aufzufallen wenn sie Tag für Tag diesen schrecklich gestalteten Briefkasten bearbeitete, um an den dummen Beweis zu kommen, ohne das Haus zu betreten.

Hauptsache, sie musste den Besitzer nicht sehen. Nein, das musste sie nicht. Emilie hatte schließlich gesagt, die seien froh ihnen nicht begegnen zu müssen. Das beruhte von ihr aus auf absoluter Gegenseitigkeit. Gut so.

Gleich war Lilli am Briefkasten. Nur die Zeitung einstecken und.....gleich.....

Sie streckte die Hand aus um nach dem Beweis zu fahnden, als die gottverdammte Pforte zum Inneren auf ging und ihr Herz aussetzte.
 

Den Fuß noch auf der obersten Stufe der Treppe die zu der gewaltigen Haustür führte, immer zur Flucht bereit, berührte ihr Finger gerade den Briefkastendeckel. Das eine Knie auf dem Boden um so weit als möglich von diesem Ort des Untoten distanziert zu sein, schien es dem Betrachter, als wäre sie unglücklich gestolpert.

Charaktergerecht in solchen Augenblicken, rutschte ihr die Hepburn Sonnenbrille auf der einen Seite halb über die Nase, weshalb sie es noch immer nicht wagte, sich zu rühren.

Sollte sie nicht rennen? Nun, wahrscheinlich. Es war ihr jedoch unmöglich. Bitte! Das kam bei uneingelernten Theoretikern heraus. Sie versagten auf der ganzen Linie wenn etwas Unvorhergesehenes geschah, dass nicht schwarz auf weiß zum Auswendiglernen bereit lag.

Im Türrahmen stand er. Seine Identität ließ keine Zweifel, so sehr entsprang sein Erscheinen dem lyrischen Vampir.

Lange, pechschwarze Haare, die den Neid Schneewitchens locker auf sich gezogen hätten, umrahmten ein schmales, aristokratisch geschnittenes Gesicht von nahezu unnatürlicher Schönheit. Die Ebenmäßigkeit der Haut wurde durch die wächserne Blässe optimal hervorgehoben. Seine Augen, dunkel wie eine Nacht ohne Sterne, enthielten keine Emotion. Keine, die sie sich gewünscht hätte.

Pure Ablehnung und Eiseskälte schossen aus ihnen heraus und durchbohrten sie mental.

Himmel, wie bewegte sich dieses Exemplar unter der Bevölkerung, ohne aufzufallen wie ein Hollywood Star auf der Flaniermeile?!

Seine schlanke, durch ausnehmend dunkle Kleidung verhüllte Figur wirkte bedrückend herrisch auf sie. Zumal er wohl einen guten Kopf größer wie sie war, wäre sie gestanden und nicht zu seinen Füßen gelümmelt.

Nett sah er damit sicher nicht aus, nicht im kümmerlichsten Ansatz.

So war das nicht geplant gewesen! Warum in aller Welt hatte er die Tür geöffnet und sie nicht ignoriert wie es üblich war?! Wenn die Pechsträhne einmal angefangen hatte, ließ sie einen nicht mehr so schnell los.

"Ich schätze keine Werbung." Die melodiöse, aber auf jeden Trottel unheilverkündend wirkende Stimme, unterstützte seine gnadenlos zerschmetternden Blicke. Seine einnehmende Anwesenheit im negativen Sinne.
 

Lilli wurde abwechselnd heiß und kalt, als sie sich endlich zusammenriss und auf die Zeitung starrte, die sie zur abgemachten Show gerade hatte einschmeißen wollen. Es waren Sonderangebote der Edeka Kette.

Wie konnte ein Alptraum in der Realität nur noch schlimmer sein als im Schlaf selbst?!

Sie fing an zu stottern.

"Ich....w...wollte...ähm......nur....wollte ich....also, ich trinke nie Whisky und......Schwarzer Peter, das ist alles was ich an Kartenspielen kann.......und......bitte, weiden Sie mich nicht aus....wissen Sie....ich ......"

In der Zeitspanne eines Wimpernschlages, fand sich das Mädchen hart gegen das reichverzierte Treppengeländer gepresst, die Hand des Vampirs unangenehm einengend an ihrem hochgeschlossenen Kragen.

Seine lange nicht mehr gefeilten Fingernägel befanden sich bedrohlich nahe an ihrem Gesicht und füllten die komplette Sichtweite ihres rechten Augenwinkels aus.
 

"Ich weiß ganz gut wer du bist, oder zumindest woher du kommst" ,wisperte er dunkel in ihr Ohr, so dass Lilli seinen kalten Atem an ihrer Wange spüren konnte, zusammen mit der entstehenden Gänsehaut. Hatte heute offenbar noch nicht diniert, traf sich geradezu glänzend mit ihrer tiefschwarzen Pechsträhne.

"Und auch deine Abstammung gefällt mir nicht" ,setzte er hinzu, wobei er ihre heruntergerutschte Sonnenbrille mit einem spitzen Nagel mühelos zurück an ihren Platz schob.

Die Mütze war ihr durch den Aufprall abhanden gekommen und der Wind spielte mit ihrem, sich in einen Zopf gezwängten Haar.

Keinen Fingerhut würde Emilie erben! ,Vielleicht ist er ja auch nett'. Das würde Lilli ihr bis ans Ende aller Zeiten vorhalten, sollte sie das hier überleben. Noch war nichts entschieden.

Pakt hin oder her! Die Ausnahmen und das Raster interessierten.

Der schwarzhaarige Mann, den sie unter normalen Umständen auf allerhöchstens vierundzwanzig Jahre geschätzt hätte, zog mit einer fließenden Bewegung eine ihrer Haarsträhnen aus dem Zopf und drehte sie in seinen Händen als untersuche er eine rare Zigarre auf ihren Echtheitswert.

"Kastanienfarbig rötliches Haar" ,stellte er unbeeindruckt fest, "nicht ganz Schulterlang. Ich kannte einst jemanden, der sie genauso trug."

Ilias packte plötzlich grob ihr Kinn und schien mit seinen Augen durch ihre dicke Sonnenbrille zu dringen, bevor er ohne Umschweife erklärte: "Dieser jemand hatte dieselbe nichtssagende Augenfarbe, von einem mit blauen Striemen durchzogenen Regentag. Ich mochte ihn nie, auf dass er in eurem Himmel seine Ruhe gefunden haben mag."

Dann war er verschwunden, der Vampir.

Die Tür geschlossen, ihr Bein eingeschlafen, die Edeka Angebote zerfleddert, ihr Herz zugefroren und ihr Gemütszustand wie der einer in Salzwasser badenden Nacktschnecke. Aber ihre Eingeweide, die hatte sie noch. Und ihr Blut.

Dafür keinen Beweis und keine Hoffnung darauf, nach diesem prägnanten Ereignis die nächsten Tage noch Dostojewski zu lesen.

Fügung des Schicksals, dass er ihr ohnehin zu blasiert schrieb und sie nicht einmal die Hälfte verstand.

Wehklagen

Ah, es freut mich so viele bekannte -und bisher unbekannte!- Namen unter den Lesern zu finden! Vielen Dank! Einem jeden einen feuchten Kuss ;p

Ich hoffe euch gefällt das neue Kapitel! Falls dem so ist, werde ich versuchen (ganz in gewohnter Manier :-)) jeden Freitag, oder zumindest Wochenede eine Fortsetzung hochzuladen.

Ich heiße jeden Kommentar herzlich willkommen ;-) und verabschiede mich bis dahin!

Oh, und viel Spaß!

Die nettesten Grüße, Fany

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"Na?"

"Na was?"

"Na, wie war's?"

"Na schön."

"Du lügst."

"Wie kommst du darauf?"

"Du liegst dreckig wie ein gesuhltes Schwein im Bett und hast deinen Kopf in den Kissen vergraben. Samt deiner viel zu großen Sonnenbrille."

Lilli stöhnte, "wer hat dich überhaupt rein gebeten? Das ist mein Revier."

"Ich hab mich selbst reingelassen", antwortete Emilie kess.

"So was ähnliches hab ich mir schon gedacht."

"Lilemour Escapat" ,sagte Emi streng, weil sie wusste wie die Angesprochene nicht nur ihren Vornamen sondern auch den Nachnamen verunglückt fand und schubste angewidert die schlammigen Schuhe ihrer Freundin von der schon verfleckten Tagesdecke.

"Schieb hier keinen auf Apokalypse. Ich bin mir fast sicher, dass es so schlimm nicht gewesen sein kann. Selbst wenn du ihm heute schon über den Weg gelaufen sein solltest. Zeig ein wenig Rückgrad und......"

"Rückgrad?!" Schneller als Emilie zurückweichen konnte, war Lilli aufgesprungen, hatte sie an den Schultern gepackt und mit aller Kraft gegen das eisenbewehrte Bettgestell gedrückt.

"Lilli" ,erschrak deren Freundin, wobei sie sich erfolglos dem Griff entziehen wollte.

"Lilli bist du verrückt? Hör schon auf, das tut weh!"

"Ja" ,lächelte Lilemour befriedigt und ließ ihre Kameradin los, "ja, nicht wahr, Emilie Escapat, das tut weh. Am Rückgrad."

Sie stand auf, durchquerte das komfortabel eingerichtete Zimmer, dass sie ihr Eigen nennen durfte und schmiss Mantel sowie Schuh, Schal und Sonnenbrille entnervt in eine Ecke.

Emilie rieb sich den Rücken, schüttelte ihre engelsgleichen Locken in Form (die ihr sehr wichtig war) und näherte sich vorsichtig dem ausgeflippten Stier mit den roten Tüchern vor den Augen. Diesmal vorgewarnt.

Doch der ungewöhnliche Zorn ihrer sonst so gefassten Adoptivschwester, hatte sich in Verzweiflung gewandelt. Der Stier war erlegt.
 

"Emi" ,jammerte sie und ließ sich mit dem Kopf in den Händen auf den Boden fallen, wie ein Sack frisch gelesener Kartoffeln.

"Emi, es tut mir leid. Ich wollte nur......ich bin nur.......Ach Emi! Der....der hat Augen wie die schwärzesten, alles verschluckenden Löcher im Universum. Ellenlange Spinnenfinger, mit Fingernageldolchen vorne dran. Wie Dart Pfeile. Boah und die Haare Emi, du machst dir kein Bild! Ein Seidenvorhang aus den feinsten aller Stoffe und......"

"Verfluchst, oder schwärmst du Lilli?" ,unterbrach die Ältere, die Entschuldigung stillschweigend akzeptiert.

Lilemours Kopf fuhr in die Höhe, "Verfluchen natürlich. Nur Fluch und Verdammung, Emi, nur!"

Sie rang die Hände, "Emi, er ist so böse! Emi, du kennst doch die Schlümpfe, oder Emi?"

Ohne auf die Antwort der nun etwas Verwirrten zu warten, fuhr sie fort.

"Und da gibt es doch den Gargamel! Der mit seiner Katze Azrael. Und Rotznase. Dieser tote Mann ist schlimmer als die alle drei zusammen , Emi!"

"Vielleicht schaust du zu viel Fernsehen, Lil." Emilie machte ein mitleidiges Gesicht.

"Ich war immer schon der Meinung, dass der Orden uns, seine Zöglinge zu sehr von der Außenwelt abschottet. Hast du eigentlich schon mal eine Diskothek von innen gesehen? Also ich erst zweimal, als......"

"Emi" ,rief dieselbe außer sich, nicht bereit auf eine so banale Frage einzugehen "Emi, der murkst mich ab wenn ich da noch mal auftauche! Das.....das ist der mordlustigste Vampir der mir je unter die Augen kam!"

"Er ist der Einzigste der dir bisher unter die Augen kam. Abgesehen von den skizzierten Illustrationen."

"Siehst du! Und schon bin ich verdorben für einen anderen, Emi. Traumatisiert. Keiner auf den Bildern hatte so lange Fingernägel! Gott, der killt mich allein wegen meiner Haarfarbe! Er kannte nämlich mal jemanden, der....."

Emilie zog sie am Arm hoch und schleppte den willenlosen Zombie zu dessen Sofa.

"Lil" ,fing sie besänftigend an, "er wird dich nicht umbringen. Der Pakt verbietet ganz klar die....."

"Ach, der stupide Pakt" ,stieß Lilemour aus, "der ist doch wie jedes Gesetz. Es gibt immer welche die sich nicht daran halten!"

"Und du glaubst so einen Deserteur erwischt zu haben?"

"Ja allerdings! Ich find's jedenfalls komisch dass der Behüter vor mir so sang und klanglos verschwunden ist. Verschwunden ist immer ein Wort mit zwielichtiger Vorgeschichte."
 

Emilie lehnte sich seufzend zurück und schaute auf ihre zierliche Kameradin, die die Miene eines gescholtenen Schulkindes aufsetzte. Tatsächlich machte sie auch im Normalfall einen jüngeren Eindruck als sie an Jahren wirklich war. Wirkte fast zerbrechlich.

Nur, dass Lilli viel mehr wegsteckte als andere und sie selbst es von ihr erwarten würden. Sie war ein verdammt zäher Knochen wenn es darauf ankam. Da es bisher jedoch nicht wirklich oft auf etwas angekommen war, hing ihr der Ruf einer Mimose nach, mit dem sie sich voll identifizierte und auslebte.

Darum war Emilie auch überrascht gewesen, dass man ihre Schwester aus heiterem Himmel und de facto ohne Erfahrung in die harte Arbeitswelt ziehen ließ. Zu hoffen blieb, die Vereinigung steckte nicht in irgendwelchen ernsteren Schwierigkeiten, denn ihr Vorgehen war ungewöhnlich, wenn nicht fragwürdig. War Lilemour auch voll ausgebildet, zählte sie mit ihrem totalen Praxisdefizit doch zu den Novizen.

"Emi" ,durchbrach Lil ihre Gedanken, "schau mir doch mal bitte tief in die Augen!"

"Ein bisschen weniger ,Dornenvögel' am Wochenende würde dir nicht schaden, Lilli!"

"Ich bin schon lange nicht mehr in Pater Ralph verliebt, Emi und jetzt schau mir gefälligst in die Augen! Und?" ,setzte sie nach, als die Blonde ihr kopfschüttelnd den Gefallen tat.

"Sehen aus wie immer" ,stellte die schulterzuckend fest.

Lilli schniefte, "wie ein mit blauen Striemen durchzogener Regentag?"

"Was ist denn das für ein beknackter Spruch?"

"Beknackt! Genau! Er ist beknackt! Er wird mich umnieten."

"Verdammt Lilli!" ,brauste jetzt auch Emilie auf, "es gibt unter den Vampiren genauso die sadistischen Krüppel wie unter uns Menschen. Dann hast du eben Pech gehabt, na und?

Wer hat nicht mal Pech? Zudem kennst du Raphaels Vampir nicht, der soll angeblich..."

"Emi" ,sagte Lilli, "sei still Emi, mir ist nicht gut."
 

"Hast du wenigstens den Beweis?" ,schob eine leicht eingeschnappte Emilie nach, während sie begann, ihre üppigen Haare zu bürsten.

"Er war dabei mich durch das Geländer zu quetschen und mein Gehirn mental zu zermalmen!"

"Du hast ihn also nicht. Das ist schlecht!"

"Schlecht kann es sein wie es will, es ist mir piep wurst egal."

"Wird es nicht mehr sein wenn sie dich rufen damit du ihnen den Beweis ablieferst."

"Hab doch schon gesagt, bin krank. Ich kann heut nirgends mehr hin."

"Dann werden sie einen schicken um ihn zu holen."

"Aber ich bin ansteckend, es ist akut."

"Wird sie nicht abschrecken."

"Wenn du ihnen sagst, dass ich Lepra habe schon."

"Lilli" ,verkündete Emilie fest, "du musst da wieder hin. Heute und alle Tage danach. Ganz piep wurst egal ob der Vampir sympathisch ist, oder nicht!"

"Emi. Ich muss mich erbrechen."

"So schnell übergibt man sich nicht."

Lilli sprang vom Sofa auf, zeigte nicht die geringsten Anzeichen von Übelkeit, verschwand im Bad und kam mit grauem Lidschatten zurück. Vor dem großen Spiegel stehend, puderte sie sich das Zeug unter die Augen.

"Wusste gar nicht dass du Lidschatten besitzt" ,erwähnte die Blonde beiläufig, als Lilli sich breitbeinig vor ihr aufbaute.

"Den hast du mir mal geschenkt, Emi Siebgedächtnis. Und, wie seh' ich aus?"

"Wie jemand der Eye Shadow nicht zu benutzten weiß."

"Jetzt?" ,fragte Lilemour, während ihre Gestalt wie auf Abruf zusammensackte, ihre Blicke dem eines um Gnade flehenden zu Tode verurteilten glich.
 

"Ach, das hast du vor. Ob du damit durchkommst soll dahingestellt bleiben."

"Nicht mit mir Emi. Ich kann diesen Monstervampir miesester Gesinnung niemals stundenlang jeden Tag beobachten. Nicht so lange er von meiner Anwesenheit weiß und das ist nun mal unabänderlich. Er kann mich nicht leiden, ich hasse ihn! Ein anderer soll sich um ihn kümmern."

"Der Orden ist strikt Lil und er hatte noch immer seine Gründe für Entscheidungen wie diese. Ich halte nichts von deinem Versuch, aber ich wünsche dir viel Glück!"

"Die müssen mich tauschen lassen Emi. Entweder das, oder als Putzkraft einsetzen. Ich gehe niemals wieder in die Leonardenstraße!"

Damit verließ Lilemour das Zimmer, wie ein aus dem dreißig jährigen Krieg zurückgekehrter, gebrochener Soldat. Sie übte schon für ihren Auftritt vor der Obrigkeit.
 

"Herr" ,wagte Georg einzuwerfen, "war es nötig gewesen das Mädchen so zu verschrecken?"

Ihm antwortete das für seinen Meister charakteristische, unheimliche Lachen, dass meterdicke Glutschichten zum Gefrieren bringen konnte.

"Warum so zart besaitet, Georg? Was ist los? Sitzt sie noch immer zitternd vor der Türe?"

"Nein Herr. Sie ist schon lange fort, aber ihre Mütze, die hat sie vergessen."

Ilias schloss die Augen und legte einen Roman Dostojewskis zur Seite.

"Dieser Voyeur ist ein Witz. Ein hübscher, aber ein schlechter" ,räumte er kühl lächelnd ein.

"Fast frage ich mich, was die Escapaten damit bezwecken wollen. Mich demütigen? Meine Aufsässigkeit sühnen? Noch komme ich nicht hinter ihren Plan, der einem Aprilscherz alle Ehre machen würde. Unpassenderweise haben wir Oktober."

"Wusste das Mädchen......."

"Nein. Nein" ,antwortete Ilias überzeugt, "falls es einen Plan gibt, so ist das Mädchen nicht eingeweiht. Sie schicken es unaufgeklärt in ihr Verderben."

Georg stand noch immer unbeweglich in seiner Ecke, von der aus er alle möglichen Befehle entgegennahm. In jedem Raum des Hauses hatte er solch einen Punkt für sich, an dem er stets erreichbar für den Vampir war. Nur am Tage, wenn auch sein Meister ruhte, kehrte er in sein eigenes, spartanisch eingerichtetes Zimmer zurück.

Ein unnatürlicher Lebenswandel. So unnatürlich wie sein Gebieter selbst.

Georg würde beides gegen nichts eintauschen wollen.

"Glaubt Ihr, dass sie wiederkommt?" ,wollte der Diener leidenschaftslos wissen.

"Sie wird müssen. Ihre Schirmherren werden keine Weiche zeigen. Wie du das seit Neuestem offenbar zu tun pflegst, Georg. Morgen spätestens werden wir wieder die Ehre haben und wenn man mich praktisch dazu auffordert ihre junge Psyche zu ruinieren......."

Der Vampir erhob sich und ging ans Fenster, "....so lasse ich mich dazu treiben, ihnen den Gefallen zu tun. Bedauernswertes Kind."
 

Verdammt! Sie hatte ihre Mütze am Hort des Bösen vergessen. Lilli wusste selbst nicht warum sie in einem alles entscheidenden Augenblick wie diesem an so etwas Banales dachte.

Gerade hatte sie unter viel Einsatz und unschlagbarer Schauspielerei den Höchsten des Ordens und gleichzeitig ihren Adoptiveltern den ganzen Vorfall in all der Unglaublichkeit geschildert. Ihnen erklärt, dass Gargamel nicht länger eine Zeichentrickfigur war. Dass sie bereits zu Anfang am Ende war. Dass sie lieber Toiletten putzte, als ein Schlumpf zu sein.

"Lilemour!" Die zuckte beim Nennen ihres vollen Namens zusammen. Ausgesprochen von keiner Geringeren als der uralten Trudlinde. Ferner bekannt unter: ,der alten, verschrobenen Trudi' ,oder respektloser, ,der Knalltüte von einem scheintoten Wildschwein'.

Sie war für ihren und alle Namen der heute lebenden Mitglieder dieser Organisation verantwortlich.

Lil schaute sie mit geschultem, wässrigen Hundeblick an. Das musste einfach ziehen!

Trudi, die einem Wildschwein tatsächlich gar nicht so unähnlich war, fuhr fort.

"Dein Anliegen ist uns keine Nichtigkeit mein Mädel. Aber....."

Sie seufzte und stellte geheimen Blickkontakt zu den anderen vier Anwesenden außer Lilli her.

".....aber wir müssen deine Bitte abschlagen."

Lillis Hundeblick entgleiste. Plötzlich stand sie allein in der Dunkelheit, beleuchtet von einem dämmrigen Lichtkreis unter dem es regnete. Auf ihr kastanienfarbig- rötliches Haar. Warum nur hatte sie diese Haarfarbe?!

"Aber.......aber Sie verstehen nicht.....ich....."

"Mädel" ,bedauerte Trudlinde schwäbelnd und ehrlich "wir verstehen gut und können dich aus dieser Pflicht dennoch nicht entbinden. Von einem Kind schon, aber nicht von deiner Aufgabe" ,lachte sie plötzlich laut los, über ihren eigenen, dumpfbackigen Witz. Dann fing sie sich, nachdem Jean Luc sie diskret in die Seite gestoßen hatte.

"Lilemour. Wenn du es auch nicht schätzt........."

"Schätzen?!" Dieses Wort ließ die Erinnerungen der vergangenen paar Stunden noch deutlicher erscheinen und Lilli griff auf die letzte Möglichkeit zu.

Hysterischer Aufstand.
 

"Hier geht es nicht um schätzen, gut finden, oder leidlich akzeptieren. Es herrschen die Tatsachen um das nicht aushalten, keineswegs ertragen, hassen! Ich kann ihn nicht beschatten! Er entzieht sich ganz einfach, aber deutlich meinen Fähigkeiten!"

"Obwohl sie schwer atmend und rotwangig da stand, wie die Hera, nachdem Zeus sie wieder einmal betrogen hatte, blieben die Fünf unbeeindruckt.

Jean Luc sprach mit seinem französischen Akzent, den Lil immer geliebt hatte.

"Und das nür, weil er d'eine Au'gen ünd d'ein H'aar beleidischt at?"

Heute war der Tag, an dem sie Französisch zu hassen begann.

"Er hätte mich fast durch den Fleischwolf gedreht! Ich habe bestimmt Treppengeländer Abdrücke am Rücken."

"So lange er disch nischt lebensgefährlisch verletzt, besteht k'ein Gründ zur Sorge."

"Was glauben Sie, wird das Nächste sein, was er versucht? Heute war es vielleicht das Treppengeländer, aber Morgen schon können sich seine Fingernägel in mein Herz bohren. Wie Dart Pfeile" ,ereiferte sich Lilli und tat, als wäre Jean Luc zu einer Art Zielscheibe mutiert. Zielte mit einem zugekniffenen Auge und imaginären Geschossen auf seine von Falten überzogene Knollennase.

"Schluss jetzt" ,donnerte auf einmal die mächtige Stimme Evgenis durch den Raum und zog sofort alle Blicke auf sich.

Weshalb Lilli den da als Adoptivvater ansehen musste, verstand sie bis heute nicht. Trudi kümmerte sich noch am Meisten um die Zöglinge, obgleich alle von sich abwechselnden Tagesmüttern aufgezogen wurden und werden. Jean Luc war zu tolerieren, da er ein verhältnismäßig weiches Herz hatte und es an Trudi verschenkt zu haben schien. Das waren jedenfalls die Gerüchte, die auf und ab kursierten, stets mit einem neuen Detail.

Aber Evgeni. Er war die Ausgeburt eines harten, gefühlslosen Ungar, wie ihn die Geschichte schilderte. Aufgewachsen in den Ebenen der Puszta, war sein Humor gleich minus eins. Durch seine massige Statur samt dem brutal geformten, bärtigen Gesicht, war er leicht mit der Wiedergeburt des Hunnenkönigs Attila zu verwechseln. Der Akzent mit dem er sprach war unschmeichelhaft eckig und abgehackt.
 

"Keine Ausnahmen" ,stellte er unverbindlich und wortkarg klar.

"Ab Morgen sind die Beweise lückenlos zu liefern!"

Der würde nicht einmal mit der Wimper zucken, würde sie auf der Stelle einen Heulkrampf bekommen und danach einen Nervenzusammenbruch. Er war ein kalter Fisch!

Lilli sah ihre Chancen auf den Nullpunkt sinken und blickte hilfesuchend auf die zwei verbliebenen Führungskräfte.

Den schmächtigen, aber hochintelligenten Iren Garreth, dessen fast pumuckel- rotes Haar sich

bereits lichtete, obwohl er nicht viel über dreißig sein konnte.

Er wich ihren bettelnden Augen aus, in dem er die Maserung seines Tisches studierte. Er hatte

wohl vergessen, dass es sich dabei um eine Glasplatte handelte.

Schließlich wäre da noch die dickliche Roberta. Mittleres Alter, die schwarzen, fülligen Haare kunstvoll aufgetürmt, die Haut einem knusprigen Hähnchen gleich. So repräsentierte sie den Süden.

Sie strickte und summte irgendein Wiegenlied vor sich hin. Von allen hatte sie offensichtlich am Wenigsten mitbekommen.

Wozu saßen die eigentlich ganz oben in der Rangordnung?! Zwei waren älter als Methusalem, einer ungesund und rigoros durchgreifend, der nächste ein genialer Hänfling und die Letzte eine italienische ,Mama'.

Das Mädchen ließ die Schultern sinken. Sie wurde schon wieder unfair. Mochten sie sein wie sie wollten, jeder von ihnen leistete dem Orden Großes.

Auf die ganz eigene Art waren die ungefähren Himmelsrichtungen, Europas hier vertreten. Im ewigen Zwist mit den dunklen Mächten.

Lilli fand dass sich ,dunkle Mächte' -obgleich zutreffend- nach kitschigem Filmstreifen anhörte, deshalb nannte sie die Vampire gerne ,die Staatenlosen. Da war was dran, manche wussten nicht mehr wo sie ursprünglich her kamen, oder zumindest war es ihnen egal. Ein Breitengrad war wie der andere. Sie hatten die geographischen Grenzen für sich längst ausradiert.

Mit dem Bewusstsein einer ebenso ausradierten Hoffnung darauf von nun an die Toiletten reinigen zu dürfen, bedankte sich Lilli notgedrungen für die Aufmerksamkeit ihr zugehört zu haben und schlurfte ergeben aus dem kahl eingerichteten Raum tief in der Erde, mitten im Wald.

Nicht bevor ihr Roberta noch hinterher rief: "Ey Caramba Kind! Lass dich von einer älteren Schwester in der Kunst des Schminkens unterrichten. Ciao mia bella!"
 

"Was meint ihr" ,fragte Trudlinde ihre Genossen nun ernst, nachdem das Häufchen Elend den unterirdischen Saal verlassen hatte. "Wie entwickelt sich die Sache?"

Jean Luc nickte bedächtig mit dem Kopf.

"Nün. Sie ent'wickelt sisch genauso wie er'wartet. Das Büschermädschen bek'ommt den Schock i'hres Lebens und Ilias fühlt sisch....wie sagt ihr das immer so schön?.....ver'arscht!"

"Wenn ihr meine Meinung wissen wollt" ,dröhnte der Ungar barsch, "das Balg ist dem niemals gewachsen. Mickail war ein guter, fähiger Mann und trotzdem scheiterte er an diesem verwesenden Upier (Vampir = Russisch). Das Blut Mickails klebt an seinen Händen, oder Lippen, dafür verwette ich meinen Bart! Bei uns zu Hause hinge sein Kopf längst an einer Straßenkreuzung. Mit Schmeißfliegen, die sich an die feuchte Augensubstanz machen würden!"

Roberta legte klappernd ihr Strickzeug nieder.

"Oh Amigo, du Ferkel! Bei euch bringen sie auch Leute um, damit sie sich an deren goldene Zahnplomben machen können! Abgesehen davon kennen wir deinen Standpunkt, den du stets lauthals vertrittst und der sich nicht im Wesentlichen geändert hat. Wir haben Lilemour als fähig empfunden, Ilias so weit es geht in Schach zu halten und ich glaube, das ist erstens durchführbar und zweitens dringend!"

"Dringend vor allem" ,flocht Trudi ein. "Ihr wisst, die Situation ist kritischer denn je. Der Pakt steht auf dem Spiel und Ilias würfelt ganz oben mit. Ihr erinnert euch, unseren Aufzeichnungen der vergangenen achtzig Jahre nach, war er von Beginn an ein großer Gegner des Paktes. Hat ihn sabotiert wann immer sich ihm die Möglichkeit auftat. Er hat sie alle ergriffen. Damals wurde seine Spielfigur trotz aller angewandter Tricks vom Brett geworfen."

Die alte Frau erhob sich langsam und vermittelte den Eindruck in eine weite Ferne zu schauen.

"Doch die Zeit" ,hängte sie müde an, "die die anderen Vampire unzufrieden mit den Bedingungen der Übereinkunft werden ließen, stellten seine Figur aufs Neue auf. Noch liegt sie in den Startlöchern, aber wie lange wird es dauern bis sie dann doch unaufhaltsam auf das Ziel zusteuert? Darauf hat er gewartet, all die Jahre und nun ist alles was zählt, ihn unter der Fuchtel halten zu können."

"Denn wenn der P'akt brischt...." Jean Luc machte ein betretenes Gesicht, dass ihn noch älter erscheinen ließ.

".....dann werden sie wieder zu Töten anfangen" ,vervollständigte der schüchterne Garreth, in seinem leisen, breitirischen Dialekt.

Ungemütliches Schweigen füllte den Raum.
 

Fortsetzung folgt!

Unzufriedenheit

Hi!

Also erstmal vielen, vielen Dank für die Kommentare! Ohne die würde mir sicherlich bald nichts mehr einfallen :-( Aber so lange noch ein paar hier sind, mache ich mir keine Sorgen :-)

Und als kleines "Schmankerl" ,hier ein wirklich langes Kapitel. Erstens, weil es diesmal einiges aufklärt und zweitens, weil ich nicht weiß, ob ich nächsten Freitag schon hochladen kann. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall an irgendeinem Freitag ;p

Würde mich freuen wenn ihr wieder vorbeischaut!
 

Viele Grüße (wie immer natürlich),

Fany
 

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"Na?"

"Na, was?"

"Na, wie lief's?"

"Na, fabelhaft."

"Du lügst."

"Wie kommst du darauf?"

"Deine geliebte Teekanne liegt zertrümmert auf dem Boden und der Eyeshadow hat graue Streifen auf deinen Wangen hinterlassen."

Lilli begab sich voller Unlust zum Waschbecken, wusch sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser und starrte sich selbst in die mit blauen Striemen durchzogenen Regentage.

"Emi" ,seufzte sie, "ich wäre lieber von den Flodders adoptiert worden."

"Die Flodders?"

"Ja, kennst du die nicht? Die Familie zum Knutschen. Voll die ekelhaften...."

"Lil, vielleicht ist es besser wenn du dich damit abfindest. Einfach versuchst, das Beste daraus zu machen."

Emilie sammelte in einem Anflug von Ordnungssinn die Teekannenscherben auf und schmiss sie in den Müll.

"Das Beste wäre es, sich von der nächsten Brücke zu stürzen. Ich hasse Evgeni! Er hat getan, als beklage ich mich über ein rosa Laken weil ich Weiße bevorzuge und nicht vielleicht um für mein Leben zu betteln."

Lilli legte sich mit verschränkten Armen auf den Rücken und schaute in den sternenklaren, von Bäumen fast verdeckten Nachthimmel.
 

Mochte alles sein wie es wollte in diesem Laden hier, bei den Flodders hätte sie kein so schönes Zimmer.

Ihres war sehr gemütlich. Ausgestattet mit diversen Möbeln, besaß sie Fernseher, Heizung, Radio und ein Bad mit Dusche. Und das war Luxus! Von außen war es vollkommen unscheinbar. Ein großes Anwesen im Dickicht, mit vielen kleinen Gebäudetrakten.

In der Gegend um sie herum gab es weder öffentliche Wege, noch Trampelpfade. Kaum ein Mensch verirrte sich hier her, so mitten im Wald wie die sieben Zwerge.

Obgleich sich der Orden nicht sonderlich bemühen musste im Geheimen zu agieren, da sich nicht viele für eine uneingetragene Organisation interessierten. Sie existierten einfach nicht.
 

"Evgeni?" Emi zog eine Fratze, "der braucht mal eine Frau. Deshalb ist er immer so mürrisch. Kein Sexualleben sag ich dir."

Lilli verdrehte die Augen, "wo hast du das gelesen, in deinen Cosmopolitan Heftchen? Sein Sexualleben und die arme Frau die es mit ihm teilen muss, perlt an mir ab wie das Wasser an einer Ente. Der Typ hat so viel Herz wie eine Tiefkühltruhe."

"Zum einen würde es dir auch nicht schaden ab und zu ein zeitgerechtes Magazin zu lesen, anstatt immer nur die überholten Schinken längst abgenippelter Autoren und zum anderen: Wer sagt dass Tiefkühltruhen kein Herz haben?"

"Emi" , sie haben gesagt, dass ich ab Morgen die Beweise erbringen muss. Gott, was soll ich tun, Emi?"

"Den Beweis ranschaffen!"

"Ja und dann? Verbringe ich außerdem mein halbes Leben damit, mindestens acht Stunden nächtlich hinter Nosferatus Schatten herzuhechten. Das mit dem Beweis ist ja schon schlimm genug. Aber den Quatsch mit dem Überwachen hab ich immer lächerlich gefunden."

"Hast du im Unterricht denn nie aufgepasst Lil, das ist doch der springende Punkt!" ,nervte Emilie und fing an sie zu belehren. Das machte sie zum Leidwesen ihrer Mitmenschen gern.
 

"Da die guten Nager laut Pakt nicht töten dürfen, ihren Opfern allnächtlich also noch genug Blut zum Weiterleben lassen müssen, ist es doch logisch, dass sie ihren guten Willen auch beweisen müssen. In Form eines......."

"Emi! Emi, ich kenne die Regeln" ,langweilte sich Lilli, brachte ihre Kameradin allerdings nicht vom Weg ab. Die fuhr genüsslich fort, als die geborene Pädagogin. Zu schade dass sie nie die Möglichkeit haben würde, wirklich eine zu werden.

".......in Form eines Artefaktes ihrer, ich nenne es Beute. Handelt es sich dabei auch nur um eine Haarsträhne. Da kommst du dann auf den Plan, fasst in den Briefkasten des Vampirs, greifst dir das Ding, bringst es gegen Morgengrauen her und kannst dann in die Federn steigen. Währenddessen sind unsere Basen, Vetter, und was auch immer, bereits dabei, die Beweise einer Nacht zu kontrollieren und auszuwerten. Bis sie sich die Identität des Opfers ermittelt haben und überprüfen können, ob es sich tatsächlich um den angegriffenen Menschen gehandelt hatte und ob eben der noch lebt.

Frag jetzt bloß nicht wie die das gebacken kriegen, ich hab das mit dem Forschungsprozess noch nie begriffen. Nun zur Beschattung an sich."

Lilli stöhnte auf. "Hör schon auf Frau Lehrerin, ein ganz so dummer Schüler war ich dann doch nicht. Die Frage ist doch nur......."

"Lass mich doch mal ausreden Lil, oder willst du mit Eselsmütze in die Ecke stehen?"
 

Manchmal konnte Emi einen wirklich aufregen. So wie jetzt, während sie sich beim Weiterreden schon wieder die Haare kämmte. Die waren übrigens ihr größter Stolz, zusammen mit ihren stechend grünen Augen. Auf die sich jede Kuh gestürzt hätte, weil sie mit Tausenden von Grashalmen in der oberen Gesichtshälfte zu verwechseln waren.

"Ausnahmslos alle Vampire bauen ein Band zu ihren Opfern auf, nicht selten Monate bevor sie es dann anknabbern. Deshalb ist es ihnen höchst zuwider -und das ist das verbliebene Glück unsereins- fremde Körper zu überfallen.

Eine Mehrheit greift in regelmäßigen Zeitabständen sogar immer wieder auf die selben Personen zurück. Man sieht, sie speisen nicht wahllos.

Dann kommst wieder du, oder ich, oder eben die anderen Voyeure...oops, ich meine natürlich Behüter."

"Ja Emi, was dann? Was bringt unsere Anwesenheit, wenn ohnehin schon alles geklärt ist? Wieso reicht nicht der Beweis der zeigt, dass die wandelnden Blutkonserven noch munter weiter leben? Warum hüllen sich alle in Schweigen wenn man darauf zu sprechen kommt?"
 

"Weil doppelt gemoppelt besser hält."

"Hä?" ,war Lillis berechtigte Entgegnung.

"Amtlich heißt es, dass wir dazu da sind, um nach dem Rechten zu schauen. Dass der Vampir zu seiner schon bestehenden Abnormalität nicht unbemerkt irgendwelche Weiteren entwickelt und blutige Orgien zu feiern anfängt. Solche Kranken soll es ja immer geben.

Allerdings ist es längst kein Geheimnis für die Mitglieder mehr, dass der Orden damit die Absicht verfolgt, eine überwachende Totalkontrolle über die Feinde zu behalten.

Sie, und damit wir, haben Angst. Angst dass uns die Situation entgleist. Denn auch wenn wir den Anschein aufrechterhalten, hätten wir im Falle eines Falles nicht wirklich etwas entgegen zu setzen. Die Opposition ist zu übermächtig."

Lilli war aufmerksam wie ein Schlosshund geworden und konnte sich eines flauen Gefühls im Magen nicht erwehren (an dem ein Schlosshund sicher nie litt).

"Kein Geheimnis für die Mitglieder des Ordens mehr sagst du? Ich hab davon nichts gewusst, warum hat mir nie einer......ich dachte immer......"

"Das kommt von deiner Bücherwurmerei, Lil. Du bekommst nie etwas mit! Oder weißt du etwa von Anabellas Verhältnis zu........"

"Mit anderen Worten, wir haben eigentlich nicht die geringste Macht über die Vampire und tun nur so? Damit sie genau das nicht merken?!" Lilli schien ungläubig, das war doch wohl ein schlechter Scherz!
 

"Was heißt keine Macht. So darfst du das auch nicht sehen. Natürlich kann man in vereinzelten Fällen gegen einen von ihnen etwas unternehmen, die Möglichkeiten dazu sind vielfältig. Der Aufwand ist zwar gigantisch und die Verluste groß, aber es funktioniert.

Schwierig würde es nur eben wenn sie sich zusammenschließen sollten. Doch das werden sie nicht, die Meisten sind geschworene Einzelgänger."

"Wir arbeiten mit einer einzigen, großen Illusion!? Das ist alles?! Illusion?!" Darüber würde Lilli noch lange nicht hinwegkommen.

"Ach Lil!" Emi strich ihren moosgrünen Pulli glatt, der doch so ausgezeichnet mit ihren Augen harmonierte.

"Solange sie aufrecht erhalten bleibt, was soll's? Das tut's doch und besser als nichts ist es auch."

Dieses absolut neue Wissen brach über Lilemour herein und sie fragte sich, wie es möglich war all die Jahre auf Schein zu bauen. Wie es möglich war, dass sie selbst es sich nicht hatte denken können. Zahllose Lehrbücher über das Wesen und die übernatürlichen Fähigkeiten von Vampiren hatten sie nicht auf die Idee gebracht zu überlegen, mit welchen Mitteln der Orden ihnen eigentlich entgegenwirken könnte. Es gab ganz schlicht und einfach keine. Keine wirklichen!

Ihre Welt schrumpfte gerade auf Knopflochgröße und sie fühlte sich klein. Ein kleiner Lügner in einem Orden voller Gleichgesinnter. Sie hatte ihn immer fraglos für die ausschlaggebende Gewalt gehalten, den Vampiren um ein Weites voraus. Wie weit sie in Wirklichkeit doch hinter ihnen lagen. Wie weit......
 

"Was ist mit den wilden Vampiren, Emi" ,wollte Lilli wissen, um ihren unangenehmen Gedanken wenigstens kurzweilig zu entgehen und nicht zu Unterschätzendes anzusprechen.

"Die halten sich an gar nichts. Man weiß, sie existieren außerhalb des Vertrages, aber keiner kennt sie und niemandem ist ihre genaue Anzahl bekannt."

"Es gibt ja kaum noch welche von denen" ,antwortete eine nicht im Mindesten schockierte Emilie. Wie lange sie wohl schon von den wahren Umständen über die Fronten wusste? Vom wahren Können, oder doch Nichtkönnen der Organisation.

"Die haben sich durch uns reduziert Lil, durch uns! Bist du nicht stolz auf deine Big Familiy?! Wir haben die Meisten echt im Griff!"

"Ja, weil sie glauben sich vor uns in Acht nehmen zu müssen."

"Na und? Sie sind die Bösen, da ist es doch ganz und gar wurscht wie man sie eindämmt. Das ist Psychologie! Wir haben's eben drauf!"

"Jeah" ,fiepste Lilemour in gespielter Glückseeligkeit, "ich schwinge das Siegerfähnchen. Bis sie dann mal merken dass wir ihnen unsere Stärke nur vorgaukeln!"

Emilie schien auf einmal melancholischer und legte ihre Bürste zur Seite. Das war kein Zeichen von Friede, Freude, Eierkuchen.
 

"Lass jetzt endlich diese Schwarzseherei. Ich hab doch schon gesagt, so lange der Pakt hält und....."

"Was?! Was war der Grund, Emi? Warum haben die Vampire einem solchen verrückten Pakt zugestimmt?"

"Du hast in Geschichte wohl doch geschlafen, was?"

"Bitte! Es hätte mich interessiert wenn mit bewusst gewesen wäre dass wir mit unseren Täuschungen David Copperfield Konkurrenz machen könnten. Außerdem hatten wir Herrn Wohlhüter."

"Herr Wohlhüter? Ok, das erklärt alles, dir sei verziehen" ,gab Emilie zu und fing ohne Umschweife an.

"Ich kann mich nicht mehr an die Jahreszahl erinnern, aber auf jeden Fall in den Wirren am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als......."

"Welche Wirren?"

"Keine Ahnung, Lil! Wirren gab es doch immer" ,überspielte Emilie geschickt ihre Wissenslücke und ließ sich nicht davon aufhalten, wobei sie stichpunktartig fortfuhr.

"Zu der Zeit hatten die Blutsauger einen Tiefstand. Eine persönliche Rezession. Geburtenrückgang um es pervers auszudrücken. Die Ursachen waren unklar. Es gab in schleichender Entwicklung einfach immer weniger von ihnen."

"Und das nennst du Wirren? War doch wunderbar."
 

"Fanden die nicht. Obgleich sie im Großen und Ganzen wie schon gesagt wirklich passionierte Einzelgänger sind, taten sich einige von ihnen damals zusammen. Einer Tagung zu Gute, in der sich alle Gründe für die langsame Ausrottung ihrer Art herauskristallisieren sollten.

Irgendwie meinten sie fälschlicherweise, dass die im Durchschnitt wenig erfolgreichen Möchtegern Vampirvernichter an einigen Prozenten der Vampir -Todes- Statistik ihren Anteil hatten. Vielleicht haben sie sich von den Dracula Geschichten und seinem unglorreichen Ende beeinflussen lassen.

In ihrem geschwächten Zustand jedenfalls verdrängten sie ihren Stolz und waren für einen Kompromiss mit den Menschen bereit. Tja, was soll man da noch groß sagen?

Wahrscheinlich setzten sie sich im simpelsten Falle durch Zufall mit einem Vampirkenner der intelligenteren Sorte in Verbindung. Er wusste von der tatsächlichen Machtlosigkeit der Sterblichen gegenüber seinen Vertragspartnern, sah die beispiellose Chance und ergriff sie.

Es heißt übrigens, dass derselbe auch Gründer dieses Ordens war."

"Mit anderen Worten" ,überlegte Lilli, an einem Gummibärchen kauend, "das war der Oberlügner und die Megafledermäuse haben sich vor lauter existentieller Panik mehr oder weniger von ihm aufs Korn nehmen lassen."
 

Emi machte eine Schnute, "Zugegeben, der Pakt kam den wenigen Menschen, die von Vampiren wussten auf alle Fälle gelegen, genauso den Unwissenden, nur, dass die Sorte die Gefahr nie gekannt hatte und nicht kennt.

So ganz negativ fiel er für die andere Seite aber auch nicht aus. Sie waren vielleicht von Furcht erfüllt, und ich bitte dich! Wenn du dich auch einen Dreck um deine Artgenossen scheren würdest, aussterben wolltest du ja wohl auch nicht, oder? Dumm waren, oder besser gesagt, sind sie jedoch nicht und darum....."

"Man sollte meinen", schimpfte Lil dazwischen, "dass das oberste Gebot die Verringerung des Vampirbestandes ist. Aber nein, diese Intelligenzbestie an Gründer half ihnen bei der Familienplanung."

"Na ja" ,stimmte Emi zu, "in einen sauren Apfel musste er beißen. Wer hätte schon wissen können, ob sich der Bestand nicht wieder von allein regulierte und dann wäre er ohne etwas dagestanden. Außer vielleicht dem verstärkten Hass der Vampire auf ihn, weil er als Vertreter der Sterblichkeit einem Bündnis entsagte, von dem die anderen glaubten er wäre lebensnotwendig.

Nebenbei halten die Vampire ihre Population -man, hört sich das gebildet an!- auf einem recht überschaubaren Level. Nicht nur durch Paktabmachungen, sondern auch für sich selbst.

Wenn es etwas gäbe, dass ihnen noch ärger wäre als das Aussterben, dann eine Bevölkerungsexplosion in ihren eigenen Reihen. Der Einzelne sähe sich nicht zu überwindender Konkurrenz entgegen, die automatisch seine Machtgewalt schmälern lassen würde. Sie sind den Menschen in manchen Dingen eben noch immer gleich."
 

"Noch mal zu den Paktvorteilen für die Angeschmierten" ,erinnerte Lilemour, der das langsam aber sicher zu viel Information auf einmal war. Wann sie wohl je wieder würde ruhig schlafen können?

"Unserer ist klar" ,fasste sie dann zusammen, "Sie trinken das Blut der Menschen, töten aber nicht und lassen sich als Beweis von uns überwachen, plus dem zu übergebenden Artefakt des Opfers. Meine Güte, hört sich an wie bei ,Tatort'. Aber sie selbst........"

"....sind außer der Festigung ihres Bestandes nicht ganz leer ausgegangen" ,endete Emi.

"Um sich in unserer zunehmenden Technisierung, die sie entlarven könnte oben halten zu können, nehmen sie unsere Informationen in Anspruch. Zumindest diejenigen, welche das Haus nur noch zum ,Essen gehen' verlassen und sonst keine Ahnung von Britney Spears und Robbie Williams haben. Vorausgesetzt, sie haben überhaupt Interesse am globalen Geschehen. Sie meiden ohnehin die Städte und Menschenansammlungen."

"Das dürfte wohl auf ein gutes Dreiviertel aller zutreffen" ,hängte Lilli an, "ich habe davon gelesen. ,Die vampirische Psyche' von Peter Meuermann. Dritter Raum der Bib. Regal achtzehn. Sie hassen die Moderne und hängen den alten Zeiten nach."

"Oui, oui" , nickte Emi.

"Hey, erinnere mich nicht an Jean Luc, der ist bei mir nämlich unten durch!"

Emilie überging Lillis Wunsch und Zählte weiter auf.

"Da jeder von ihnen einem Behüter zugewiesen wird.....sag mal, findest du den Ausdruck nicht auch zum Kotzen?........, auf deren Auswahl er keinen Einfluss hat und wohl auch nicht haben will, bleiben ihm....na ja......andere Optionen auf den Voyeur bezogen offen."

Das ließ Lilli sofort hellhörig werden, auch davon hatte sie nie etwas gehört und es kam ihr höchst verdächtig vor. Lag es an ihr dass die wirklich wichtigen Dinge nicht bis zu ihr durchdrangen? Tatort Kommissare aufgepasst!
 

"Wie? Optionen?" Emilie schien zu Lilemours Entsetzen immer unruhiger zu werden, als sie zögerlich antwortete.

"Also sie.......sie sind doch gerne auf Alleingang und da sie auf gewisse Weise....na ja, somit durch uns gestört werden........haben sie ein kleines Mitentscheidungsrecht über tja....dich, mich und die anderen, über ihren Voyeur eben, ihren Persönlichen......."

"M....Mitbestimmen meinst du? Über uns? Dich, mich, die anderen?"

"Nicht im extremsten Sinne oder so" ,beruhigte Emi ihre Freundin, die dabei war an einem Gummibärchen zu ersticken.

"Sie können nicht etwa bestimmen....äh....in wen wir uns verlieben, oder uns zwingen Verbotenes zu tun, oder uns schwerwiegend verletzen, in Lebensgefahr bringen, oder...."

"Emi!" ,keuchte Lilli mit vom Gummibärchen tränenden Augen.

"Soll dass heißen, die können einem befehlen nackt auf der Straße zu tanzen, dabei ,My heart will go on' zu singen und wir müssen es einspruchslos akzeptieren?!"

Lilemour hielt sich ein paar weitere Kaubären bereit, im Falle sie auf Emis Antwort wirklich gerne ersticken würde.

"Theoretisch..........."

"Oh, mein Gott!!!!"

"Jetzt warte doch Lil! Wie erwähnt, gibt es kaum einen Nosferatu, der mit den Menschen überhaupt etwas zu tun haben will. Selbst wenn ein Bestimmter ihm auch die acht Stunden per Nacht an der Backe klebt. Ihr Selbstvertrauen ist groß Lilli, sie ignorieren uns ganz einfach. Ich kann mir nicht vorstellen dass einer zuvor jemals diesen Teil des Paktes in Anspruch genommen hat. War nur, damit das Verhältnis stimmte, rein formell.

Das klappt doch schon über Hundert Jahre lang. Wirklich Lil, sie...."

"Meiner hat mich aber nicht ignoriert, Emi" ,erklärte Lilli leichenblass, "der sah total nach nackt auf der Straße tanzen aus!"

"Ach Quatsch! Trudi hätte nie zugelassen, dass gerade du an einen so Unmöglichen kommst. Vielleicht ist er rau, das mag sein, aber das war's sicherlich auch schon. Er wird sich bald beruhigen, sich an dich gewöhnen und deine Anwesenheit vergessen. Davon bin ich überzeugt!"

"Du warst auch überzeugt davon, das Toni Blair der Frontsänger einer Rock Band ist, Emi."

"Pff, Sport ist eben nicht mein Ding."
 

"Zahlen wir ihnen alles heim. Unsere Zeit ist nahe, Oktavian. Unsere Renaissance steht vor der Tür. Packen wir die Gelegenheit beim Schopf, vergangene Fehler zu korrigieren. Jetzt!"

Der Angesprochene saß in einem Sessel, der neben einem behaglich prasselnden Feuer im offenen Kamin stand. Außer dem, war der Raum dunkel, so dass Oktavians Gesicht wie eine Maske nur halb zu sehen war. Für den Menschen. Vampire als Nachtgeschöpfe hatten katzengleich die Möglichkeit, mit ihren Augen die Dunkelheit zum Tage zu machen.

Der alte Vampir, der den Eindruck eines attraktiven Vierzigjährigen mit Albinismus machte, schaute Ilias ausdruckslos an. Er war blind.

Doch das tat seinem Einflussreichtum und der Weisheit keinen Abbruch. Es ging sogar so viel Autorität von ihm aus, dass Ilias sich wenig andere vorstellen konnte, die genügend Überzeugungskraft ausstrahlten, um das Unvermeidliche beschleunigen zu können.

"Ilias" ,sagte der andere mit beinahe hypnotisch gelassener Stimmgewalt.

"Deine rebellische Seele in Aufruhr bringt dich also zu mir."

Der Jüngere blieb die offensichtliche Antwort schuldig und wartete geduldig auf den bedächtig Fortfahrenden.

"Auch mir ist die Unruhe unter den anderen schwerlich entgangen. Möglich, dass Hundert Jahre der Bündniseinschränkungen ihren Tribut fordern.

"Es ist nicht nur möglich, Oktavian! Es ist so sicher wie das, ha! Amen in der Kirche! Bringen wir sie dazu so gemeinsam wie sie den Pakt einst beschlossen, wieder zu brechen. Auf dass wir unsere alte Kraft zurückerlangen."

"Wir haben sie noch, Ilias, unsere Kraft. Sie bleibt nur einsatzlos."

"Lassen wir sie wieder frei!" Der schwarzhaarige Vampir trat aus dem Schatten in das Licht der Flammen, wie um seine Worte zu unterstreichen und brachte die auf Oktavians Schoss ruhende Katze zum Fauchen. Die überlangen Nägel des Blinden strichen besänftigend über deren weiches, schwarz- weißes Fell.

"Du, auf einem Podest in der begeisterten Menschenmenge, laut verkündend, dass die französische Revolution begonnen hat. So kann ich mir dich vorstellen. Wo warst du zu dieser Zeit, Ilias? Auf Reisen?"
 

"Oktavian!" Ilias musste um seine äußerliche Ruhe ringen. Auf keinen Fall wollte er vor dem Weißhaarigen wie ein unüberlegt gröhlender Jungspund auftreten. Der er nicht war. Zumindest nicht nach der Anzahl seiner toten Jahre.

Aber die übermäßige Entspanntheit dessen, machte ihn fast rasend.

"Oktavian! Sie, wir, sind der Behüter überdrüssig. Unsere Anzahl hält sich fix auf der Wage, es gibt kaum Abweichungen. Damit dürfte der Grund für die begangene Torheit behoben sein. Wir sind nicht in Gefahr und waren es nie. Der endgültige Tod eines Vampirs durch Menschenhand war und ist selten geblieben. Wir sind ihnen haushoch überlegen, ihre Erfolge über einen oder zwei von uns sind Zufall! Mach es ihnen klar, Oktavian. Der Pakt ist überflüssig, ja, schädlich!"

"Du glaubst, ich kann sie davon überzeugen? Was werden meine Argumente sein? Dass Ilias, offen bekannter Gegner des Paktes seit je her wieder eine Werbekampagne startet?"

Der weiße Vampir lächelte, man konnte einen seiner abgeartet spitzen Zähne sehen. Ilias ballte unsichtbar seinen Hände.

"Jetzt werden sie zustimmen! Der Wind hat sich gedreht und sie können gar nicht anders als der wehenden Fahne zu folgen. Denn als Menschen wurden sie alle geboren, so traurig diese Tatsache auch ist und Menschen gehen mit dem Trend.

Unzufriedenheit leitet sie, nur noch ein Stoss des Richtigen bis sie zu marschieren anfangen. In die Freiheit zurück!"
 

Oktavian schwieg unter dem Schnurren seiner Katze, als sein Gegenüber nicht aufgab.

"Sag selbst, gefällt es dir aufzuwachen und zu wissen, draußen wartet schon dein Voyeur? Um dir zu folgen wenn du gehst, um zu notieren wer kommt?"

Ilias begab sich geschmeidig wie ein Panther zum Fenster, mit schwarzen Levis Jeans, einem ebenso schwarzen, engen Rollkragenpullover und einem wehenden Mantel aus dem komplett falschen Jahrhundert. Er schob den mit Staub bedeckten Vorhang ein Stück zur Seite.

"Da steht er. Im Dunkel der Ecke, drüben beim Antiquitätenladen. Du machst es ihm nicht leicht, Oktavian. Er würde sich wahrscheinlich wünschen, du verließest ab und an deine Residenz, damit er sich die dünnen Beinchen vertreten könnte.

Oh, das Menschlein friert. Da, er reibt sich die Hände."

Er setzte ein mitleidiges Gesicht auf, bei dessen Echtheitserscheinung er sich keine besondere Mühe gab und trat wieder zu dem anderen.

"Die Vampire werden aufbegehren" ,bemerkte Ilias überzeugt, "es ist nur noch eine Frage der Zeit. Keiner kann es verhindern."

"Geh jetzt Ilias" ,befahl Oktavian entspannt, aber völlig unvermittelt, "ich lasse es mir durch den Kopf gehen."

Damit schloss er die Augen, womit er verhalten und doch unwiderruflich das Ende des Gespräches signalisierte.

Der schwarzhaarige Vampir verbeugte sich knapp und verschwand mit dem nächsten Aufflackern des Feuers.

Wissend, dass ,ich lasse es mir durch den Kopf gehen' etwa gleichbedeutend mit ,bis nächstes Jahrhundert dann' war. Oktavian war sich der sich wandelnden Umstände unter den Vampiren sehr wohl bewusst, aber sein Einsiedlertum überdeckte den Unwillen gegenüber den Menschen. Ihm war gleichgültig was geschah, er passte sich stillschweigend allem an.

Nun, das spielte in diesem Stadium keine Rolle mehr, es gab genug mächtige Untote in aller Welt, die vor Tatendrang nur so sprudelten. Oktavian war von der Liste zu streichen, als engen Verbündeten in diesem Kriegszug nicht vorstellbar.

Ilias Laune war gesunken, aber der Trotz gestiegen. Er erwischte sich bei dem Gedanken an den kommenden Abend, an dem sein neuer Überwacher wieder auftauchen würde. Das Mädchen konnte sich auf was gefasst machen! Nichts klappte wie er es wollte und sie hatte zumindest einen dicken Batzen Teilschuld.

Vielleicht munterte ihn die Jagd etwas auf, denn noch war er ungebunden........
 

Lilemour glaubte es kaum. Entgegen ihr schreiendes Herz und aller innerer Vernunft, war sie wieder hier. Hier, in der Leonardenstraße Nr.4, vor dem mächtigen Anwesen des Vampirs. Sonnenuntergang, sie war pünktlich. Sie fühlte sich miserabel, dagegen mochte auch ihre Audrey Hepburn Sonnenbrille nichts mehr tun können. Wahrscheinlich stand sie kurz vor ihrem Verderben und das würden Trudi & Co KG erst einsehen, wenn man sie ihnen in Stücken zurückschicken würde. Per Eilpost.

Wenn wenigstens der Beweis am Ende der Nacht ohne Komplikationen im Briefkasten läge, dann musste Lilli dem Monster nur noch möglichst unauffällig folgen und bis dahin vor dem Haus warten. Falls er sich sein Essen nicht irgendwie schon angelacht hatte und zu sich kommen ließ.

All dem vorausgesetzt, er war willens sie zu ignorieren. Emilie hatte vermutet, dass er gestern einfach nur einen üblen Tag hatte. So etwas soll auch unter Vampiren nicht unüblich sein, hatte sie sich sagen lassen.

Leise rollte das Zeitungswägelchen den teuren Stuckmarmorweg zu der schweren Eichholztüre hinter ihr her. Sie musste sich zusammenreißen. Drum herum kam sie nicht. Hoffentlich waren die Baldrianpillen zur Beruhigung ausreichend. Müde war sie schon mal.

Vielleicht war der nicht erbrachte Beweis der vergangenen Nacht noch im Briefkasten. Sie hatte gestern nicht den Nerv gehabt noch nachzusehen. Heute musste sie tun.

Lilli hatte zu Hause geübt.
 

Sie sah sich nach Spaziergängern um (denn was brachte die ganze Verstellung mit der Zeitungsausträgerin, wenn sie dann anders auch sich aufmerksam machte), nahm eine Zeitung, holte tief Luft und rannte was das Zeug hielt zum Postkasten. Stopfte das Magazin hinein und tastete hektisch nach einem Beweis. Es gab keinen.

So blieb ihr fluchend nichts anderes übrig, als sich bis zu seinem Auftauchen in die nächste Nähe der Villa zu postieren. Qualvolle acht Stunden hatte sie noch vor sich.

Ihrem Drehbuch folgend, wirbelte sie herum um sich also diskret zu verbergen, da purzelte Lil beinahe die Steintreppe herunter.

So sehr hatte sie bremsen müssen, damit sie nicht postwendend in seine Arme sprang.

Denn am Fuße der sechs Treppen an der Zahl, da stand er, einer schwarzen Statue gleich. Ungerührt. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er mindestens genauso schlecht drauf wie am Vorabend, oder eben doch verdammt schwierig. Zu schwierig.

"Das Geo" ,brachte Lilli zu ihrem Erstaunen fast fließend über die Lippen.

"Ich habe das Geo eingeschmissen. Mit vielen schönen Bildern. K...keine Webung."

Dafür hatte ihr mageres Taschengeld hinhalten müssen. Für exakt diesen zermürbenden Fall, dass er ihr wieder auflauerte. Hatte der denn wirklich nichts anderes zu tun, der arme Teufel?!

Sich zum Beispiel einen neuen Mantel zulegen. Der jetzige sah aus wie von einem überdurchschnittlich gut bezahlten Kutscher des Spätmittelalters.
 

"Was starrst du so?" ,drang die gefährlich leise Stimme ihres vis a vis zu ihr durch und sie merkte, wie ihre Beine seltsam weich wurden. Jetzt nur nicht aus dem nicht vorhandenen Konzept bringen lassen!

"N...Nichts!" Was für eine intelligente und charismatische Antwort. Immer gut in Situationen, in denen man jedes Wort auf die goldene Wagschale legen musste.

Der Vampir zeigte keine Regung. Nur sein Haar, dass im Herbstwind leicht zu wehen begann. Es war wirklich lang, bestimmt bis zur Mitte des Rückens und auch sonst wurde es wohl täglich mit einer L'Oreal Kurpackung verwöhnt. Er schien es sich wert zu sein.

"Wie alt bist du und wie ist dein Name?" Sein plötzliches Interesse auf dieser Ebene überraschte sie, aber so lange sie nicht nackt auf der Straße tanzen musste......

"Lass mich raten" ,fügte er aalglatt hinzu, während er Stufe um Stufe hinter sich brachte und sie so Schritt für Schritt zurückweichen ließ.

"Dein Name ist Hase und du bist sechzehn Jahre alt. Ein langes Leben für so ein Karnickel. Ein zu langes möchte ich fast meinen."

Renn! Renn! Renn! Alles in ihr schrie, die Alarmglocken läuteten ohrenbetäubend, doch Lilli konnte nur zurückweichen und ihn anglotzen wie ein Pferd. Wenn Emilie das sehen könnte!

"Ich......ich......ich....äh....."

"Du......du.......du.....äh....." ,kopierte sie der mehr als furchteinflößende Vampir, der Lilli bereits bis zur Tür verfolgt hatte. Mit eisigem Grauen wurde ihr klar, dass sie sich nicht durch die Tür gleiten lassen konnte, wie vielleicht Superman. Hart und äußerst hölzern spürte sie sie in ihrem Rücken. Superman, Louis Lane braucht Hilfe!! Spiderman, Marie Jane ist in Not!!
 

"Ich habe einen Namen" ,kitzelte das Mädchen mühsam aus ihren Stimmbändern heraus.

Ilias kam noch näher und tat übertrieben verwundert.

"Welch Überraschung. Man wird es nicht für möglich halten, aber ich besitze auch einen solchen. Schon immer, seit ich dem Schoss meiner Mutter entglitten bin."

Außer wenn er sprach, drang kein Laut aus seinem Körper, weder durch Atem, noch durch Bewegung. All diese Fakten nahm Lilli auf, doch sie war sich bewusst, dass keine Analyse auch nur annähernd beschreiben konnte, wie er war.

Sie standen so eng beieinander, als umarmten sie sich, obwohl er sie nicht berührte. Lilli hätte lieber einen Löwen geherzt. Keinen auf Diät, aber einen Löwen.

"Lilemour" ,flüsterte sie, "ich heiße Lilemour und bin neunzehn Jahre alt."

Der Mann sah einen Augenblick so aus, als habe er in eine frische Zitrone gebissen.

"Mitleiderregend dein Name. Aber dem Orden fehlte es schon immer an jeglicher Art von Geschmack."

Da war der Ausdruck wieder verschwunden, so schnell wie er gekommen war und er zeigte sich indifferent wie zuvor. Als hätte die Zeit seine Gefühlsmimik abgeschliffen.

Die Erwähnung des Ordens jedoch ließ Lilli nicht unbeeinflusst. Sie erinnerte sich an den Schwindel auf dem dessen einzige, auf Sand gebaute Sicherheit basierte und fühlte sich durch unerklärlichen Patriotismus dazu verpflichtet, etwas für seine Bewahrung zu tun.

Das Mädchen lächelte gezwungen und nahm unter Anstrengung ihr Zittern zu verbergen, die Sonnenbrille ab.

"Sie dürfen mir nichts tun" ,bestimmte Lilli mehr krächzend denn sauber ausartikuliert, womit sie ihm jedoch keine körperliche Regung abgewann.
 

"Das ist so nicht ganz korrekt" ,verbesserte er stattdessen. "Mag sein dass es mir nicht gestattet ist dich unerträglichen Schmerzen auszusetzen, oder gar ins Jenseits zu befördern. Aber...." Ilias fuhr mit einem seiner Fingernägel betont langsam über ihre Wange und zog dabei eine feine Blutspur hinter sich her. Dort wo die Haut dieser Behandlung nicht stand hielt. "Aber da gibt es noch ausreichend genug dazwischen."

Lilli spürte den ziehenden Schmerz nicht. Sie war weit weg von aller Vernunft, während sie seine Hand aus ihrem Gesicht schlug. Diese unvermittelte Reaktion kam unerwartet. Für beide. Der Vampir verstand es, sich diesen Fakt nicht anmerken zu lassen und Lilemour war in einem fast dillirischen Zustand gefallen.

Der sie jedoch mutiger werden ließ. Oder wahnwitzig.

"Nehmen sie ihre Dartpfeilgriffel da weg, Sie Schornsteinfeger! Glauben Sie im Ernst, ich drehe Saltos vor Freude weil ich einem wie Ihnen hinterher rennen muss?! Da haben sie nicht nur mich geschnitten, sondern auch sich selbst."

Die Beruhigungs Baldrianpillen haben offenbar ihre Wirkung verfehlt, denn Lilli versuchte sich von der Tür abzustoßen und drückte mit aller Gewalt gegen den sie bedrängenden Körper.

"Gehen Sie schon weg, oder muss ich ihnen Beine machen? Wegen Ihnen werde ich noch Klaustrophobiekrank!"

Oder überhaupt krankenhausreif, dachte sie, nachdem der Vampir sie mit brachialer Gegengewalt, aber ohne sichtbare Gemütsregung gegen den verschlossenen Eingang des Hauses gedonnert hatte. Der Aufschlag hätte eigentlich ein Erdbeben hervorrufen müssen, dass alle Seismologen der Gegend alarmiert haben könnte.

Er packte sie an den Schultern, die er spielend hätte zertrümmern können, und drückte Lilli aufwandslos nach oben, bis sie auf gleicher Augenhöhe waren. Superman und Spiderman waren wahrscheinlich gerade überbelastet und anderweitig beschäftigt.

"Na so was" ,bemerkte Ilias kühl, "ist der Hase durchgedreht, weil man ihm die Löffel langgezogen hat?"

Auf eine bedrückende Art und Weise, half der Satz ihr über ihren folgenschweren Aussetzer hinweg und jedes Gefühl, außer der scheinbar allgegenwärtigen Angst, verpuffte. Er hatte wohl ihre Gedanken manipuliert, denn sie drehten sich wirr um Hasen und Löffel, bis ihre Sicht zu schwinden begann. Oder aber die Überdosis an Baldrian machte sich doch noch die Ehre endlich zu wirken. Etwas zu spät, wie sie fand.

"Sie sind..." ,fing Lilli ruhig, fast meditativ an und kniff die Augen zusammen, da sein Gesicht ungeheuerlicher weise in stetiger Steigung verschwamm.

Verschwommen wurde übergangslos von unsichtbar abgelöst, zu schwarz, zu nichts. Alles war weg und Lilli freute sich darüber.
 

Ilias hatte beobachtet, wie das Mädchen zu stammeln begann, immer blasser wurde, so dass man sie für eine von ihnen hätte halten können und schließlich das Bewusstsein verlor. Oder nur einschlief, denn ihr Atem roch schwach nach Medikamenten.

Mit einem dumpfen Laut ließ er sie unzeremoniell auf dem Boden aufkommen und stieg über sie hinweg. Welch Aufopferung dass sie es ihm so einfach machte. Sollte er Glück haben, würde sie lange genug hier liegen bleiben, um noch Zeit zum Erfrieren zu haben. Es war ziemlich kalt für einen Oktober, den ersten Frost hatten sie bereits hinter sich. Wenn sein Voyeur so zu Tode käme, war ihm nichts anzuhängen. Was konnte er schon tun, wenn sie sich mit Medizin fütterte, ohnmächtig wurde und erfror? Ein Missstand, dass sie von der gegnerischen Partei war, als Opfer hätte sie ihm zugesagt.

Selbst wenn möglicherweise vorbeilaufende Passanten sie sehen und in ein Krankenhaus bringen würden, so war er diese Nacht zumindest noch frei. Das war mehr als vorauskalkuliert. Freier als alle anderen Vampire. Abgesehen von den Wilden, die auf der anderen Seite ohnehin ständig unter Beschuss standen.
 

"Georg!" Ilias brauchte seine Stimme kaum zu heben um seinen Diener auf ihn aufmerksam zu machen, denn der stand bereits auf Befehle wartend in der Eingangshalle. Nicht viel auffälliger als das Klavier an der Wand.

"Ja, Herr?"

"Draußen liegt der Escapat, auf den du schon so sehnsüchtig gewartet hast" ,sagte Ilias am vorbeigehen und schmiss seinen Mantel an die Garderobe.

"Nimm ihren lächerlichen Zeitungswagen und wirf ihn umgekippt neben sie, damit es den Eindruck mache, sie sei auf den Treppen ausgerutscht."

Der Vampir nahm die ersten Stufen der inneren Wendeltreppe, als er sich noch einmal umdrehte.

"Und Georg. Verschwende nicht zu viel Zeit damit. Unsere Schachpartie wartet."
 

Fortsetzung folgt!

Halberfolge

Tjaaa, bis Freitag habe ich es also doch nicht geschafft, dafür ist jetzt ein ziemlich langes Kapitel herausgekommen :-) Das ist doch auch was!

Ich will euch auch gar nicht lange mit überwiegend nutzlosem Geschwätz aufhalten und mich "nur" noch herzlichst für die Kommentare bedanken! Was die angeht, gilt noch immer das selbe: Ich freue mich über jeden, der mich zum Schreiben motiviert ;-) (ok, auch über die anderen ;p)
 

Hoffe, euch gefällt das Kapitel und es lässt sich gut lesen!

Viele Grüße, Fany

************************
 

Georg war alles andere als zeitverschwenderisch. Er war treu, seinem Meister zu tiefst ergeben, ihn über alles anderen verehrend. Doch Georg hatte, bevor er in diese Dienste getreten war, eine Tochter gehabt. Im zarten Alter von siebzehn Jahren war sie nach einer schweren, zu spät diagnostizierten Lungenentzündung dahingeschieden.

Er hatte es seinem Herrn nie erzählt, denn er wusste wie wenig sich Ilias für Menschenschicksale im Allgemeinen erwärmte. Außerdem war es Vergangenheit, doch das hier hatte den nicht zu leugnenden Flair einer Gegenwart, die Vergangenem gleichte.

Und da stand Georg. In seiner leicht gebeugten Haltung, mit seinen gepflegt und glatt gekämmten kurzen, grauen Haaren. Wie der englische Butler der High Society, den man in jedem ordentlichen britischen Streifen quer durch die Epochen finden konnte.

Und da lag das Mädchen. In der Gefahr schwebend, das gleiche Ende wie einst seine liebe Melissa zu nehmen. Georgs Miene wirkte ob dem halben Vertrauensbruch zu seinem Auftrag ein wenig gequält, als er sich zu der Ohnmächtigen beugte und sein Bestes tat um ihren Zustand zu wandeln.
 

Er schlug auf ihre unverletzte Wange, denn die andere wies einen kleinen Kratzer auf, der eindeutig und buchstäblich die Handschrift des Vampirs trug.

Unglücklicherweise war er sich der alte Mann den zehn Baldrianpillen, die im Organismus des Mädchens pausenlos schufteten, nicht bewusst. Man merkte schnell, dass man sie wund schlagen könnte, sie würde nicht das Geringste spüren.

Sein Meister würde bald ungeduldig werden, denn ihre allabendliche Schachpartie wartete und der gestrige Verlierer sinnte auf Revanche.

Wie das Glück an Melissas Krankenbett durch Abwesenheit geglänzt hatte, so war es diesem Kind hier hold. Eine blond gelockte Frau stürzte ungehalten durch das Eingangstor auf sie zu. Ein Engel in Rage. Dieser Engel hatte Melissa gefehlt.

"Was?! Was haben Sie mit ihr gemacht? Fassen Sie sie nicht an" ,rauchte Emilie und fiel vor Lilli auf die Knie, sprach auf sie ein.

"Nichts meine Dame" ,antwortete Georg zumindest für sich wahrheitsgemäß.

"Sie ist nicht zum Erwachen zu bringen, ich versuchte mein Bestes. Mein tiefes Bedauern und ergebensten Dank!"

Damit zog er sich ruhig unter den Blicken einer verwirrten Emilie zurück.
 

"Mein Gott Lil! Ein Glück dass wir dir gefolgt sind" ,murmelte die Blonde und versuchte ihre Freundin aufzurichten.

"Toni" ,zischte sie Richtung dunkle Straße "Toni, komm schon und hilf mir!"

"Keine Chance" ,flüsterte es lauter als ein normales Flüstern zurück.

"Da bringen mich keine zehn angestachelten Toros rein! Territoriale Grenzen müssen eingehalten werden. Gehört zum guten Stil! Wer garantiert mir, dass ich da wieder lebend rauskomme? Der Hausherr ist giftiger als eine grüne Mamba."

Mit einem wütenden "Alles muss man selber machen" ,zog sie Lilli unter Hängen und Würgen den Weg aus dem Vorhof des prunkvollen Anwesen hinaus.

Im Grunde war ihre Kameradin ein Fliegengewicht, aber was nutzte das, wenn der Träger auch nicht viel mehr als nur das auf die Wage brachte?

"Toni! Du Leisetreter! Wir konntest du mich da so im Stich lassen?"

Keuchend drückte Emilie dem verschämt grinsenden jungen Mann unter einigen nicht sehr ernst gemeinten Flüchen das schlafende Mädchen in die Arme. Der nahm das Bündel bereitwillig an und zwickte Emi spielerisch in die Seite.

"Tut mir leid, mein Liebstes !"

"Mmpf. Als würde dir jemals etwas leid tun. Beeilen wir uns und gehen zu dir" ,antwortete sie mit einem geschickt verdeckten Lächeln. Denn die Cosmopolitan sagte, man sollte Männer nie wissen lassen, wann und wie ihre Honig ums Maul Schmierereien fruchteten.
 

All die vielen Hasen. Komisch, alle hatten Löffel dabei. Genau die, die sich in der Knorr Suppenwerbung vor Entzücken immer selbst verknoteten. Warum brauchten die eigentlich Löffel? Aßen die nicht auch mit der Schnauze? Ach egal! Was bliebe noch wenn man alles hinterfragte? Oh! Der da hinten forderte sie zum Tanz auf. Man, hatte der große Füße! Hoffentlich wollte er auch wirklich tanzen und nicht nur rammeln. Also, dafür war sie nicht zu haben, das konnte der sich abschminken, wenn...... Ach nein! Jetzt regnete es. Immer wenn es am Schönsten war. Die Musiker hatten doch im Moment eine russische Polka angestimmt. Leider schwemmte der überstarke Regen eine Hasen nach dem anderen von dannen. Sogar ihren Tanzpartner, den mit den großen Füßen. War schlimmer als bei "Monsun Wedding" .

Na ja, hier wollte wenigstens niemand heiraten, nur tanzen und schwimmen und schwimmen. Im Nass, im Nass......

"......zwei hab ich gesagt! Kannst du nicht hören, oder nicht zählen, Lil?"

Der Monsun redete mit ihr!

"Wieso nimmst du die ganze Baldrian Packung?! Kein Wunder dass da drauf stand ,für Kinder unzugänglich aufbewahren' !"

"Wo sind sie?" Lillis Hals kratzte, sie hatte Durst.

"Na in deinem unersättlichen Rachen verschwunden natürlich!" ,schimpfte der weibliche Monsun.

"Nein!" Lilemour öffnete unter leicht hämmerndem Kopf die Augen, "die Hasen mein ich doch!"

"Toni" ,war da wieder die Stimme, "die Gießkanne!"
 

Emi begoss Lillis Stirn wie einen halbvertrockneten Pfennigbaum, damit das Geld nicht ausging. Überhaupt musste sie das schon öfters praktiziert haben, denn um ihren Kopf herum was alles feucht, zusammen mit ihrem Kragen, den Haaren und den fast ertrunkenen Ohrmuscheln.

Spärlich wieder zu Kräften gekommen, wehrte Lilli den langhalsigen, wasserspeienden Feind ab und setzte sich stöhnend auf.

"Ah, wie liebreizend! Weißt du, dass der angeborene Duft deines Körpers ganz wunderbar ist?"

"Toni!" Emi schlug ihn nach dieser, an ihre Freundin gerichteten Schmeichelei auf den Hinterkopf. Der ließ die Rüge geduldig über sich ergehen, anstatt sofort auszuweichen, wie er es problemlos hätte tun können.

War er doch um ein unvorstellbares Maß schneller als sie, als irgendeiner ihrer Art.

"Gleich nach deinem, mein Liebstes! Ihr Duft kommt natürlich gleich nach deinem. Nach den Rosen, deren frisch erblühte, blutrote, vom Tau benetzte Blätter dich ständig zu umgeben scheinen. Deine...."

"Spar dir das, du Casanova" ,erwiderte Emilie kalt, wieder dem Rat der ihrer Lieblingszeitschrift folgend, und setzte sich zu ihrer Freundin an den Rand des begossenen Bettes.

"Was hast du dir dabei gedacht, hm?"

"Wobei" ,nuschelte Lilli, noch immer nicht voll auf dem Dampfer.

"Die Tabletten, sie...."

"Du hast gesagt, Baldrian sei ein mildes Mittel, ich brauchte aber ein Herbes und da hab ich mir gedacht...."

"Nichts hast du gedacht" ,unterbrach Emi aufgeregt, "wir sind dir sofort nach, als ich die leere Pillenpackung auf deinem Nachttisch gesehen habe. Das war allerdings das einzig Richtige. Wer weiß was der alte Knacker noch...."

"Was machst du ständig uneingeladen in meinem Zimmer? Und welcher alte Knacker?" Lilemour fand es nicht fair gedanklich überstrapaziert zu werden, so unmittelbar nach ihrem kleinen Malheur.
 

"Giacomo Girolamo Casanova, Chevalier de Seingalt, wie er sich selbst adelte."

"Was?" ,sagten die Mädchen wie aus einem Munde, als der Dritte im Raum das Wort an sich gezogen hatte und die Sprechgewalt behielt.

"Casanova, dieser geniale alte Fuchs! Ich find ihn abgefahren. Ein Trauerspiel dass er ein Spaghettifresser war und nicht zu uns rassigen Spaniern gehört hat. Zu uns hätte er gepasst!"

"Ja" ,schnaubte Emi, "wie die Faust aufs Auge. Ich glaube immer noch, dass er auf einer seiner Spanienreisen ein paar uneheliche Kinder zu Stande gebracht hat. Du bist ein Nachfahre davon."

"Oh, grazias" ,lächelte Toni, davon absehend dass er gerade kein Kompliment bekommen hatte.

"Wer bist du? Wo bin ich eigentlich? Würde einer von euch die Gnade aufweisen, mich aufzuklären?" Langsam aber sicher lief Lilli wieder zu Hochtouren auf. Vielleicht war es doch nicht do verkehrt gewesen sie zu gießen.

Toni verlor keine Zeit damit, sich neben Emilie an den Rand seines eigenen Bettes zu schmeißen, eine kleine Verbeugung zu absolvieren und in schönster Deutlichkeit seinen Namen zu präsentieren. Als befürchte er, man könne einen Teil davon vergessen.

"Antonio Garzia Paolo Fernandez, kannst mich aber Toni nennen. Bist in meinem bescheidenen Heim. Bin außerdem immer auf dem neuesten Stand und voll krass drauf!"
 

"Und ein Vampir" ,schloss Lilli, die sich die überlangen Zähne bei seinem breiten Zahnpastalächeln nicht hatte wegdenken können. Erst jetzt fiel ihr auch die unnatürliche Blässe auf, die seine jetzige Identität auszeichnete. Sie war durch seine sichtbar blondierten Haare nicht übermäßig herausstechend und auch seine in Schokolade gebadeten Augen schienen nichts Besonderes. Für einen Jungen spanischer Herkunft. Nur die stets vorhandene Eleganz der kleinsten Bewegung und äußerliche Schönheit der Vampire haftete ihm an. Die unverkennbare Aura eines romantisierten Toten, die umso deutlicher und einnehmender wurde, desto länger man sich in seiner Gegenwart befand.

"Und ein Vampir" ,wiederholte er nickend, "aber noch nicht allzu lange. Gehöre zum Jungkraut!"

"Antonio" ,überlegte Lilli laut und sah sich in dem von oben bis unten topmodern eingerichteten Zimmer um. Fast alles schien aus Ikea Möbeln in den angesagtesten Farben zu bestehen. Abgesehen von den unzähligen Geräten verschiedenster Funktion, für dessen Ingangsetzung ein Haufen Fernbedienungen auf dem Tisch lagen. Nur Spiegel fehlten.

Da bekam Toni auch schon leuchtende Augen.

"Genau, Antonio" ,flocht er cool ein, "wie Antonio Banderas. Ist doch urmännlich! Einzigartig!"

"Ja" ,wand nun auch Emi giftig ein, "und Fernandez ist in Spanien ungefähr so einzigartig wie hier Müller oder Huber."

Toni verlor sein ansteckendes Lächeln nicht, nahm die Blonde liebevoll in seinen Arm und richtete sich wieder an Lilli.

"So ist sie, mein Engel der Sonne." Damit drückte er seinem Engel, den er bei Sonne noch nie gesehen haben konnte, einen mehr als nur freundschaftlichen Kuss auf den Mund, der Lilli so ganz nebenbei beinahe wieder in das Traumland zu ihren Hasen schickte. Wie lange hatte sie um Gottes Willen geschlafen?!
 

"Emi" ,brachte sie heraus und deutete auf das Paar.

"Du und er und ihr und Vampir und du und er und ihr und....."

Ihre Freundin nahm die unvorteilhafte Färbung einer reifen Tomate an.

"Ach na ja, weißt du...."

"Sie hat mich immer so süß aus den Straßenecken beobachtet" ,schmunzelte Toni, "hockte Nächtelang hinter den Ahornbäumen meines Hauses. Manchmal, da kämmte sie sich auch ihre wunderbaren Haare. Wie die Lorelei" ,schwärmte er grinsend weiter, bevor Lilli stockend zusammenfasste was offensichtlich war.

"Emilie ist dein Behüter. Ihr scheint euch in dem Maße......gut zu verstehen, wie ich mich mit dem schwarzen Satan missverstehe und du bist keiner der.......nostalgischen Vampire."

"Ja ey, übel wie sich manche geben, was? Also nee, so'n verstaubter Pinkel will ich mal nicht werden. Aber ich bin ja erst 63, da ist noch alles offen" befürchtete Toni für sich.

Lilemour jedoch, kümmerte sich nicht mehr um den Vampir, der seine Stirn nach Falten abtastete wo keine waren und nie welche sein würden. Sie fixierte nur verdrossen ihre Kameradin, die ihren stechenden Blick nicht erwidern konnte und zur Seite sah.

Zwischen ihnen stand eine bittere Geschmacksrichtung an Vertrauensbruch. Warum hatte Emi ihr nie von ihrer Beziehung zu Toni erzählt? Wenn sie überhaupt von ihm gesprochen hatte, dann war er einfach ,El Torero' gewesen. Nichts weiter als ihre Aufgabe, die sie seit bereits zwei Jahren inne hatte. Heute war sie vierundzwanzig Jahre alt.
 

"Aber du zu mir sagen, dass ich mit meinem Vampir eben Pech hatte und dass jeder mal Pech hat. Dass ich Rückgrad zeigen soll. Bla, bla. Leicht gesagt, wenn man selbst mächtig verliebt auf jeden neuen Abend wartet. Ich wette, mein ganzes Glück gastiert gerade bei dir und da deinem Pech dann leider zu wenig Bettdecke übrig geblieben ist, zog es zu meinem. Ich glaube, sie haben sich vermählt und schon Kinder gezeugt."

Emi seufzte darauf schuldbewusst auf dem Weg mit Lilli in die Wälder zurück. Nach Hause Es war inzwischen dreiundzwanzig Uhr, aber sie konnte Toni mit bestem Gewissen den Rest der Nacht alleine lassen. Seinen notwendigen Beweis hatte sie sicher in der Tasche. Wie immer.

"Wenn ich sage, dass es mir leid tut, dann nimmst du es mir ja doch nicht ab."

"Bingo!"

"Ich hatte einfach Angst, dass......"

"Ja?" ,maulte Lilli, "wovor? Dass ich dich verraten hätte? Nichts wäre mit ferner gelegen und ich dachte, du weißt das. Überdies frage ich mich, wem ich es hätte erzählen sollen. Der Orden schreibt uns nicht vor mit wem wir uns liieren."

Emi fühlte sich unwohl und Lilli fand diesen Zustand gerecht, wenn nicht noch zu wenig Buße.

"Trotzdem. Stell dir vor was sie sagen würden, wenn sie erführen dass ich meinen Arbeitsplatz liebe. Es steht zwar nirgends als verboten, aber manchmal denke ich, nur aus dem Grund, weil sie gar nicht mit so einem Fall rechnen. Ich meine, Vampire die mit den Menschen leben, so vollkommen wie Toni, die kann man wahrscheinlich an einer Hand abzählen.

Für den Orden ist eine Verbindung wie ich sie habe vielleicht nicht vorstellbar und nur deshalb auch nicht untersagt."

"Kann ich verstehen" ,gab Lilli bitter zu, "meiner ist keiner der an einer Hand abzuzählenden Sorte, der gehört zur eher breiteren Masse. Ich hab auch hinter den Büschen seines Hauses gesessen" ,redete sie weiter und hatte Emis Verschwiegenheit in Sachen Toni schon halb vergessen und auf jeden Fall verziehen. Bei den meisten Dingen, und wenn Beschuldigter eine gute Entschuldigung aufzuweisen hatte, war sie nicht sonderlich nachtragend.

Obgleich sie es Emi wohl noch öfters vorhalten würde, immer dann, wenn es hinterhältig zu erpressen galt. Auf die Sache wie sich das mit dem Vampir hatte anbahnen können, würde sie selbstverständlich noch kommen. Später

"Aber das ging dann anders aus. Er fand es nicht süß" ,knüpfte Lilli an.
 

"Hast du denn Bepanthen Salbe?" Emilie war darauf bedacht, das Thema wenigstens von Toni und ihr abzuwenden. Ihr Misstrauen gegen Lilemours Schweige Durchhaltevermögen war ihr peinlich, aber sie hatte eben versucht mit allen Mitteln kein Aufsehen zu erregen. Bei niemandem. Undenkbar wenn es ihr jemand verbieten würde, Toni weiterhin zu treffen! Es wäre ihnen so einfach, nur ein Wort und......

"Bepanthen Salbe? Wofür?"

Es war anzunehmen, dass der unregulierte Tablettenkonsum Lillis einige Black Outs hinterlassen hatte und Emi kramte in ihrer Hosentasche nach dem kleinen Taschenspiegel und dem Mini Taschenlämpchen.

"AHHHRG!!!" Lilli war augenblicklich stehen geblieben wie vom Donner gerührt, als sie sich in dem geschliffenen Glas selbst betrachtete. Gemächlich ließ sie die Hände sinken.

"Da! Er hat....hat....mich geschnitten!"

Emi untersuchte mit Hilfe des kleinen Lichtes die säuberlich gerissene Wunde, "Kein Problem, Lil, ist viel zu oberflächlich um eine Narbe auf deiner zu beneidenden Babyhaut werden zu können. Wenn du Schiss hast, dann kann ich dir auch Bepanthen Narbenpflaster geben und hey!"

Ihre Freundin hatte sich einfach wortlos umgedreht und wandte sich in die falsche Richtung. Mit den Worten: "Warte nicht auf mich!" ,rannte sie los und zurück blieb eine verwirrte Emilie, die sich fragte, warum man Lilli nach heutiger Tablettensession nicht hatte den Magen auspumpen lassen müssen.
 

Sie hatte es noch rechtzeitig geschafft! Lilemour stand zum zweiten Male dieses Abends vor dem halben Schloss ihres verruchten Vampirs, der ihre Wange zerkratzt hatte. Im Obergeschoss brannte Licht, er war also noch nicht auf die Jagd gegangen. Er würde sich wundern, wenn er glaubte, sie los geworden zu sein. OH nein, ihr die Wange zu verunstalten war eine große Eselei gewesen! Sie, Lilli, würde ihm folgen wohin er auch ging, um zu sehen was er auch machte. UND sie würde sich nicht bemühen auch nur im Geringsten leise und bescheiden dabei zu sein. Wie es der Normalfall wollte, sogar vorschrieb. Sollte er sich ihrer Anwesenheit die ganze Zeit über deutlichst bewusst sein!

Heute Nacht würde sie ihren Beweis bekommen, zusammen mit einer kleinen, ganz persönlichen Rache! Die war vielleicht hässlich, schaffte es aber den größten Teil ihrer Angst zu überschatten. Nicht abwegig auch, dass der Baldrian noch in ihr brodelte. Gut, besser jetzt als nie. Es war bei aller Liebe unmöglich, dass sie ab jetzt jeden Tag vor seiner Haustür ohnmächtig zusammenklappte. Sie musste sich behaupten.

So wartete sie also und das nicht zu lange.
 

Geräuschlos ging die gigantische Haustür auf, Helligkeit beleuchtete einen Streifen des Gartens und der Vampir, der Ikea Möbel wahrscheinlich verabscheute, trat heraus. Als Wärmespender wieder dieser unpassende Mantel. Wenn man die Luft anhielt, dann konnte man das leise Reiben des schweren, dunklen Stoffes hören.

Kaum hatte der Mann elegant die erste Stufe genommen, als sein Blick auch schon auf Lilemour traf. Die milchig scheinenden Straßenlaternen verrieten es.

Nun, sie stand schließlich demonstrativ am, mit irgendeinem Grünzeug überwucherten Tor seines Marmorweges. Nicht der Unaufmerksamste hätte sie übersehen können. Sie musste sich behaupten.

Er zögerte nicht einen Moment und schien durch ihr Dasein keineswegs aus der Bredouille gelockt worden zu sein. Es sah viel mehr danach aus, als hätte er bereits gewartet. Fehlte nur noch ein ,Na endlich Schatz! Wenn wir nicht bald gehen, verpassen wie die Einleitung unseres Theaterstückes.'

Wortlos und ohne sie weiterhin zu beachten ging er jedoch an ihr vorbei, auf die leere Straße Richtung ebenso unbelebte Altstadt.

Doch, doch, er musste überrascht gewesen sein, oder waren ihm die verbalen Gemeinheiten ausgegangen?

Frech wie Oskar -unter Drogen oder Rachegelüsten- schloss sie auf, und begab sich wie selbstverständlich an seine Seite. Seine unhörbaren Schritte allein, ließen sie ein wenig in ihrer Sicherheit straucheln. Was konnte unheimlicher sein? Er würdigte sie keines Blickes, sprach kein Wort. Was konnte unheimlicher sein?

Lilli wusste wohl, dass er sie, hätte er es gewollt, mit Leichtigkeit abzuhängen vermochte. Schnelligkeit war überhaupt der Schwerpunkt ihrer eigenen körperlichen Ausbildung gewesen. Sie war der Schlüssel dazu, die Untoten mit Ach und Krach nicht aus den Augen zu verlieren, wenn die es aus zwielichtigen Gründen eilig hatten, oder (und das war der wahrscheinlichere Grund), abzuhauen falls einer von ihnen seinen Unmut an dem Behüter auslassen wollte.

Sie hatte keine Ahnung ob sich die Ausbildung jemals bei irgendjemandem ausgezahlt hatte, außer vielleicht bei Wettrennen mit hohen Einsätzen, aber es gab einem doch ein wenig mehr Halt. Wohl wieder einmal in Form einer mehr oder minder geglückten Illusion. Würde man einem Vampir entkommen, wenn es notwendig war?
 

Kurze zeit der Funkstille später, waren sie in Mitten des verlassenen Messkircher Rathausplatzes. Die Umwelt glich einer ausgestorbenen Geisterstadt, nur in wenigen Häusern brannte noch Licht. Hätten Leute aus der Hunderten von Jahre alten Kleinstadt aus ihren zum Teil ebenso alten Fenstern gesehen, sie hätten Lilli und den Vampir für ein mondlichtbesessenes Paar halten können.

,Lilli und der Vampir', das hatte Kinderbuchcharme.

Gespannt schielte sie auf seine regungslose Gestalt, was würde er nun tun? Das war erneut so ein Punkt, über den sie in zig Büchern der verschiedensten Autoren gelesen hatte -unter anderem auch von sämtlichen Schriftstellern des Ordens- und doch nicht den blassesten Schimmer darüber hatte.

Emi hatte gesagt, es handelte sich bei einer Vampirbeute (welch makabere Bezeichnung) um ausgesuchte Opfer, zu denen schon früh Kontakt geknüpft wird. Was, wenn er jetzt gleich an irgendwelchen Wänden hochging und in ein Zimmer kletterte? Sie konnten das. Das behauptete zumindest ein renommiertes Buch mit dem Titel ,Die mutierte Anatomie des Vampirs'. Ein Segen dass sie nicht fliegen konnten, wie einige der älteren, aber längst überholten Schriften erkennen ließen. Dann hätte der Überwacher nicht einmal mehr den Hauch einer Chance. Tragisch, weit davon weg waren sie sowieso nicht.

Das Geheimnis sollte sich lüften, um zu einer Gewissheit zu werden.
 

"Ilias?"

Lilemours Kopf schoss bei dieser fremden, leicht ängstlich klingenden Stimme herum.

In dem Licht und Schattenspiel der Laternen sah sie ein Mädchen herannahen, es rannte fast, drehte sich immer wieder um, als würde sie verfolgt. Niemand außer ihnen war auf den Straßen. Es war der Einfluss einer anerzogenen Urangst der Menschen vor der Dunkelheit.

Schwer atmend kam sie stolpernd näher, den Schal fest um ihre Schultern geklammert, wurde sie langsamer und beäugte Lilli sofort mit einer Welle an Misstrauen. Ihre Blicke waren dabei, Lilli auf grausamste Weise zu pfählen, als sie sprach.

"Ilias....wer..."

Der Vampir zögerte keine Sekunde und legte Lilli schützend den Arm um die Taille. Sie erschrak ungewollt unter der plötzlichen Berührung, wobei sie von einer Gänsehaut heimgesucht wurde.

"Das ist meine Schwester" ,gab er bemitleidenswert als Antwort, "sie ist leider geistesgestört, schon von Geburt an. Ihr Pfleger hat sich erkältet, einem Fremden vertraut sie nicht. Ich musste sie heute hüten und brachte es nicht übers Herz sie allein zu Hause zu lassen. Verzeih."

"Oh, Ilias" ,seufzte das Mädchen mit ihn anhimmelnden Augen. Vergessen war alle Eifersucht. Lilemour war nicht länger eine potentielle Bedrohung.

"Deshalb hast du mir nie von einer Schwester erzählt! Du bist so gütig und nett. Wie kann jemandem wie dir nur solch ein Ballast aufgebürdet werden? Gott straft immerzu die Besten!"
 

WAAA....?! Was fiel diesem Pinocchio eigentlich ein sie hier dermaßen zu blamieren?! Geistesgestört?! Lilli qualmte innerlich, doch es war ihr unmöglich das nach außen zu tragen. Obgleich sie es im Augenblick wie nichts anderes wollte. Nur, dass es schlicht und einfach nicht ging. Sie brachte kein Wort heraus, wie sehr sie sich auch anstrengte.

Lilli versuchte unter erbärmlichen Keuchen und Würgen wenigstens ein paar Worte herauszuhusten, doch alles umsonst. Sie hatte ihre Stimme verloren, wie die kleine Meerjungfrau, nur dass sie keine Beine dafür bekam!

Die Meerhexe war männlich!

"Psst, meine Kleine." Das fremde, blonde Mädchen mit den schneeweißen Handschuhen schaute sie mit einfühlsamen Augen an und streichelte ihr übers Haar, "ist ja gut. Keiner will dir deinen Bruder wegnehmen, hm?"

Mehr als ein empörtes Entgegenquaken wollte Lilli nicht über die Lippen kommen. Nur ihren Kopf, den konnte sie wie wild schütteln. Bekam dafür allerdings ein "oh, die Arme!" ,während dünne Wollhandschuhe ihre Hände umfassten.

"So geht das den ganzen lieben langen Tag" ,bedauerte der Vampir mit leidlich gefurchten Augenbrauen.

"Weil du sie immer hütest, ach darum hast du immer erst so spät Zeit? Oh, wenn ich das gewusst hätte! Das hättest du mir doch sagen können!" Das Mädchen warf sich in die Arme des Vampirs. Es war zum Heulen. Die falsche Ratte von Blutsauger nickte bedächtig und strich fast verträumt über ihren Kopf.

Dass Lilli sich nicht vor lauter Wut und Hilflosigkeit auf dem Boden wälzte war auch schon alles. Ilias ja? So hieß das Monster also. Schön dass man ihn endlich beim Namen nennen konnte, das machte die Sachen erst handelbar. Alles was einen Namen hatte, das konnte man beschimpfen. Oh sie würde......
 


 

"Lass uns zu dir gehen, deine Eltern sind doch noch auf Reisen in Konstantinopel, oder?" ,fragte der wandelnde Mythos, wobei der das Mädchen unheilverkündend lächelnd bei der schmalen Hand nahm und sich von Lilli abwandte.

Konstantinopel?! Seine Städtekenntnisse beschränkten sich auf die Zeit zwischen 330- 1930 n. Chr. Waren längst renovierungsbedürftig. Für ihn war auch St Petersburg ohne Zweifel noch immer Leningrad.

Die Blonde warf ein paar besorgte Blicke auf die sich krümmende Lilli.

"Ja schon, aber was ist mit deiner Schwester? Willst du sie zurücklassen? Können wir sie denn so einfach hier lassen, ich meine...."

"Mach dir keine Sorgen um sie, sie ist mit dem Wenigsten zufrieden. Sie liebt die sanfte Stille der Nacht. Nicht wahr, Hase? Warte bis ich dich wieder abholen komme!"

Somit zog Ilias von dannen. In seinen Klauen das ahnungslose Ding, dass ihm gerade von ihrer neuesten Errungenschaft, einem rosaroten Bikini vorschwärmte.

Wenn sie glaubte eine Geisteskranke so einfach im kalten Nichts stehen lassen zu können, dann war es mit ihrer Intelligenz allerdings auch nicht weit her. Möglich dass Ilias ihren Geist schon völlig unter Kontrolle hatte. Möglich aber auch, dass sie einfach nur ziemlich unterbelichtet dachte.
 

War schon erwähnt worden, dass Lilli nicht nur das Sprechen versagt geblieben war, sondern auch die Bewegungskraft ihrer Füße? In der Tat konnte sie den Beiden nicht folgen, sie war auf dem Rathausplatz verwurzelt. Hilflos, mit einer Hand am Hals, fiel sie auf die Knie.

Zur Untätigkeit verdammt musste Lilli mit ansehen, wie Monster- Ilias seine Krallenhand um die zerbrechliche Schulter des Mädchens gelegt hatte. Er lächelte ungebrochen, gnadenlos aufgesetzt.

Fühlte sie denn nicht, dass seine Hände Dart Pfeile waren? Natürlich nicht, er hatte ihre Gedanken vernebelt, manipuliert, zu seinem höchsten Vorteil. Der Vampir konnte sie Dinge sehen und fühlen lassen, die nicht da waren und eben Dinge unter den Tisch werfen, die nicht in seinen Plan passten.

Menschen die mit ihm zu tun hatten, waren auf seine Gunst und Lust angewiesen. Ob ihm der Sinn danach stand sich in seiner, mit allen Unnormalitäten bestückten, wahren Erscheinung zu präsentieren, oder die Realität zu verändern. Zum Spaß oder aus Notwendigkeit.

Lilli sah ihn wie er war, denn sie war weder sein Opfer, noch wusste sie nicht genau um wen es sich handelte. Was sollte er sich da noch verstellen? Das Mädchen hingegen würde wohl nie erfahren wen sie da wirklich mit nach Hause nahm. Keiner würde es ihr sagen. Können.
 

Die Straßenlaternen waren ausgegangen, als Lilemour ihre Bewegungsfreiheit und Sprechgewalt endlich wieder zurückerlangte. Sie war durchgefroren und ihre Kehle hörte sich an, wie ein komplett verrostetes Zahnrad. Mehr als dreißig Minuten waren nicht vergangen, Stunden schien sie jedoch festgewachsen gewesen zu sein. Nach ein paar "eins, zwo, drei, mimimi, mamama" -Stimmübungen, stürzte sie den Beiden hinterher.

Es war ganz natürlich, dass eine dieser verschachtelten Gassen die Gesuchten verschluckt haben musste. Wie immer wenn man unbedingt jemanden finden musste. Und wie gewohnt waren die einzig hörbaren Geräusche ihr eigener, schneller Atem, das giftige Fauchen einer Katze und das Scheppern eines Mülleimerdeckels, den selbige heruntergetreten hatte.

Lilli fand die Zwei nicht mehr, obwohl sie in halsbrecherischer Geschwindigkeit, so leise es für Menschenfüße zu bewältigen war, durch die Straßen stürmte. In jedem beleuchteten Zimmer nach verdächtigen Schatten fahndete. Nachdem sie schon dachte endlich fündig geworden zu sein, entpuppte sich ein ruckartig bewegender Schatten als ein Tango tanzendes Paar. Der Rest der Nachtschwärmer schauten Fernseher oder lasen ein Buch, doch keiner saugte dem anderen das Blut aus den Adern. Aber doch geschah es, in vielleicht diesem Moment. Irgendwo ganz in ihrer Nähe oder auf der anderen Seite der Kleinstadt.

Nichts und niemand begegnete ihr. Wie auch, in einer Nacht zum Mittwoch, einem ganz gewöhnlichen Arbeitstag. An dem man schlief oder Tango tanzte.

Jetzt blieb ihr nur noch der Beweis, mit dem der Vampir versichern musste, dass er nicht zum Jack the Ripper oder Ähnlichem geworden war. Hatte sie ihn schon schändlichst aus den Augen verloren (was für ein Einstieg in ihren Job), so brauchte sie zumindest den Beweis! Dringend, denn andernfalls würde Evgeni explodieren.

Musste es sein, so würde sie bei Ilias Villa klingeln bis ihm die Ohren abfielen, oder zumindest so lange bis die Polizei sie wegen Hausfriedensbruch abholte.

"Verdammt" ,fluchte sie leise vor sich hin, kickte einen kleinen Stein an das Schaufenster eines Modegeschäftes und merkte, dass der dünne Schnitt auf ihrer Wange durch das bisschen

verschwendeten Schweiß brannte.

"Verdammt!"
 

Es war gegen fünf Uhr morgens, als sie die ohnehin nur noch halbherzige Suche aufgab und zur Leonardensrtaße zurücktrottete, wie ein geschlagener Ritter nach zwanzigjähriger Kerkerhaft.

"Ich habe schon ernsthaft ins Auge gefasst, dass du nicht gemerkt hast als du wieder Herr deiner selbst warst und noch immer am Ratshausplatz stehst."

Ilias lehnte lässig an den Säulen seines Heimes, die zur Tür führten und sah aus wie der, der den Ritter überhaupt erst eingekerkert hatte.

Lilli blieb in gebührendem Abstand zu ihm stehen und tat, als hätte sie einen ganz netten Abend genossen. Bei Tee und Pfannkuchen.

"Sie haben mich gelähmt" ,beschuldigte sie ihn, auf ein weiteres Kommentar verzichtend.

"Und wenn?"

"Das wäre nicht nötig gewesen. Ich hätte mich schon nicht eingemischt."

"Warum dann der Unmut? Wenn du ohnehin nichts tun wolltest?"

"Das wissen Sie sehr genau, sparen Sie sich solche leeren Fragen!"

"Ich weiß es in der Tat und doch hat es keinen Sinn."

"Sie haben doch keine Ahnung was für uns sinnvoll ist und was nicht, bloß weil es Ihnen nicht in den Kram passt!"

Ilias entgegnete zunächst nichts, es war zu dunkel um seinen Gesichtsausdruck zu sehen und damit seinen Gedanken zu erraten. Dann plötzlich lachte er leise und jagte Lilli einen Schauer über den Rücken.

"Sei froh, dass ich dich als Geisteskranke nicht habe nackt auf der Straße tanzen lassen. Zur Unterstützung meiner Aussagekraft. Ich lehne Pädophilie jedoch ab, dein Glück."
 

Pädophilie?! Jetzt schlug es aber dreizehn! Das Mädel von vorhin war sicherlich nicht viel älter als sie gewesen und er.....warf Lilli auf einmal etwas zu.

Dass sie es dann fing, war allein dem matten Mondlicht zu verdanken, welches den hellen Gegenstand für ihre Augen sichtbar machte.

"Sie war köstlich, auf mehr denn einem Weg."

Gleichzeitig mit dieser für sie überflüssigen Beschreibung, war der Vampir verschwunden.

Bei dem Beweis handelte es sich um ein weißes Spitzenunterhöschen.

Nachdem Lilli über ihre Verlegenheitsröte hinweg war, die den ganzen Weg zum Waldrand gebraucht hatte um zu verschwinden, fragte sie sich, ob er sie mit Absicht provoziert hatte. Wo sie ihm doch einerlei sein sollte.

Ob, oder ob nicht, würde so schnell wohl nicht ans Licht kommen, aber eines war schon mal wahrscheinlich. Ilias hatte die Erinnerungen des Mädchens an ihn mit Bestimmtheit gelöscht. Dass hieß, sollte er nicht noch einmal auf sie zurückgreifen wollen, würde sie sich Morgen früh auf die ertraglose Suche nach ihrer Unterhose machen. Nichts mehr von allem Geschehenen in ihrem Gedächtnis. Ilias würde seine Existenz in ihrem Gehirn auslöschen, als hätte es ihn für sie nie gegeben, nur um dieselben bei Bedarf wieder aufleben zu lassen.

Die Moral von der Geschicht? Leider war er auch noch pervers, ihr Vampir.

Hätte sie geahnt, dass andere Perversionen in wenigen kommenden Stunden ihr komplettes Leben umkrempeln würden, hätte sie sich lieber noch auf den Weg in die asiatischen Steppen gemacht, um Anhänger der Nachfahren Dschingis Khans zu werden. Nach Hause wäre Lilli sicher nicht mehr gegangen.
 

Fortsetzung folgt!

Umzug

Hallo :-)

Bin tausende von Jahren zu spät, habe dafür aber ein laaanges Kapitel!

Kann nicht lange reden (ihr habt Glück) bin mit halbem Fuß schon beim Weihnachtsmarkt.

Ich danke euch für die Kommentare und werde demnächst eure Steckbriefe oder ENS heimsuchen :-)

Macht euch gefasst!
 

Wünsche viel Spaß und sende viele Grüße!

Fany

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"Es tut mir leid, Lilemour." Evgenis Stimme klang alles andere als mitfühlend.

"Ha! Das ist doch......Versteckte Kamera, oder Verstehen Sie Spaß, oder.....einfach Wahnsinn! Das können Sie nicht ernst meinen, wo ich doch gestern erst....."

"Versteh uns Lilemour" ,schaltete sich Trudi ein, "wir können es uns nicht......nicht leisten seine Bedingungen abzuschlagen. Zumal sie rein vertraglich legal sind."

Jaaaa! Genau, dachte sich Lilli. Sie konnten es sich nicht leisten, damit der Vampir keinen Grund sah, sich gegen sie aufzulehnen. Denn dann käme vielleicht heraus, dass sie allesamt die Hosen VOLL HATTEN! Vor ihm uns seinesgleichen.

Am Liebsten hätte Lilli das den fünf Obersten des Ordens an den Kopf geschmissen, nur ihre wirklich ausstellungsreife Beherrschung hielt sie zurück. Plus des gewaltigen Schocks.

"Ich bitte Sie....."

"Es gibt nichts zu bitten, worüber wir keine Entscheidungsgewalt haben, mia bella" ,erklärte Roberta mit ihren Stricknadeln im Haar und der grässlichen Rüschenbluse, die sie wie eine aufgeplusterte Henne aussehen ließ.

"Äußerdem" ,musste auch Jean Luc noch seinen Senf hinzugeben, "h'ast dü doch h'eute Morgen den Beweis er'bracht, oder nischt? Läuft doch alles wünderbar!"

"Der Beweis? Ja schon, aber......" Lilli hielt krampfhaft aufsteigende Tränen zurück.

"Du bist entlassen Lilemour. Nimm den Kleiderstapel dort drüben und geh mit Gott, aber geh!"

"Evgeni, sei doch nicht so herzlos" ,rügte Trudi. Endlich sagte es ihm mal einer, nur ein großes Stück zu lasch. Eine schallende Ohrfeige hätte auch nicht geschadet.

"Lilli. Wenn du das tust, dann machst du uns einen ganz, ganz großen Gefallen!"

Trudlinde sah in ihr wohl noch das Baby, dem sie einst solch grausamen Namen gab. Mit solchen Kinder beeindruckenden Suggestivsätzen erreichte sie bei einer neunzehnjährigen, seit vorgestern vom Leben gezeichneten jungen Frau rein rag nichts.

"Bleibt mir denn etwas anderes übrig?" ,wollte Lilli noch einmal wissen und bekam zeitgleich ein herbes "Nein" von Evgeni und ein weiches "Non" von Jean Luc.

Roberta gab ihr die neue Bekleidung, Trudi notierte sich irgendetwas scheinbar unverschiebbar Wichtiges und Garreth machte wieder den niedergeschlagenen Eindruck eines so eben verscherbelten Sklaven in der Sahara.

Dabei war es Lilli, die sich so fühlen sollte. Doch der ging es schon wie dem Kapitän, kurz vor dem Untergang der Titanic.
 

"Welche ungeahnten Ausmaße nimmt das nur an? Sie tut mir leid!" Trudlinde sah bedrückt in die Runde, nachdem Lilemour noch verzweifelter als das letzte Mal den Raum verlassen hatte. Sie war keine Mutter Theresa, hasste es aber ihre Schützlinge so zu sehen. Egal wer es war, sie machte niemals Unterschiede, doch das hier war ein besonderer Fall, der ihr besonders auf die Nieren ging.

"Ich habe euch von Anfang an gewarnt vor dieser unsinnigen Idee, das...."

"Lass gut sein, Evgeni!" Roberta bot ihrem Kollegen wie so oft die Stirn.

"Jetzt ist es so und wir müssen es verantworten. Ilias mag mit allen Wassern gewaschen sein, aber sie zu diesem Zeitpunkt verschwinden zu lassen, könnte selbst er sich nicht leisten. Der Gute hat sich damit selbst eingeengt.

Fraglich ist nur, wieso er diese Anforderungen, Lilemour betreffend, überhaupt gestellt hat. Von all denjenigen, die für Menschen nicht mehr als Desinteresse aufbringen, ist er doch einer der größten Verfechter. Was bezweckt er nun damit? Es macht mich, sagen wir.....unsicher, nervös."

"Nün, isch glaube nischt, dass er damit ein tiefgründigeres Ziel verf'olgt. Das Mädschen wird irgendetwas getan h'aben, was ihm nischt gefallen h'at. Da ist er s'ehr empfindlisch."

"Was soll das heißen, Jean Luc? Woher willst du ihn so genau kennen? Hast du ihn überhaupt schon mal zu Gesicht bekommen? Also ich nicht. Wer sagt, dass er sie nicht von der Sohle bis zum Scheitel aufschlitzt und in ihrem Blut badet wie die Sau in ihrer Dreckpfütze!"

"Evgeni!" Roberta musste sich zwingen, ihm nicht ihre Stricknadeln in die Nasenlöcher zu schieben, auf dass er einmal merkte, wovon der ständig sprach.

"Uns bleibt keine andere Wahl als zu tun was er rechtmäßig verlangt" ,fügte Garreth zur Verwunderung der anderen hinzu.

"Auf einen Fehler wie diesen lauert er. Erkennen wir ihm seine Rechte ab, wird er den Pakt anprangern. Diesmal mit der Justiz auf seiner Seite und die Aufmerksamkeit der anderen unweigerlich auf sich ziehend. Ein Loch in den Regeln der Übereinkunft zöge Risse mit sich, die früher oder später alles zerbrechen ließen. Sie ist, so hart es klingen mag, nur eine unbedeutende Leidtragende um das Größere zu bewahren."

Jean Luc schaute besorgt auf Trudlinde, die bei den sicherlich realistischen Worten des Iren immer tiefer in ihren Stuhl gesunken war.

"Trüdi" ,fing er aufmunternd an, "tü nicht so, als h'ätten wir sie schon beerdischt. H'ast du nischt selber gesagt, sie wäre zä'her als sie scheint? Sie wird die Katze schon schaukeln!"

"Das Kind schaukeln, Jean Luc. Sie wird das Kind schon schaukeln" ,lächelte die alte Frau nun doch leidlich und betete, dass die Schaukel tatsächlich in Schwung blieb.
 

"Na?

"Na wag es nicht mich irgendetwas über meine Audienz im Olymp der Ungerechtigkeiten zu fragen!"

"Bitte!" Emilie stemmte die Hände in die Hüften und runzelte die Stirn.

"Da warte ich hier bis auf deine Rückkehr gegen Morgengrauen, ganz krank vor Sorge du wärst dank Baldrianpillen auf dem ultimativen Trip und kaum hast du den Fuß über die Schwelle gesetzt, da wirst zur Obrigkeit gerufen. Ich meine, wow!"

Sie setzte sich auf Lillis Bettrand und starrte ihre Freundin forschend an.

"Das um diese Zeit! Normalerweise schlafen die da schon seit mindestens drei Stunden. Eine Sondersitzung? Ich glaube, du bist der zuletzt eingetroffene Voyeur. Siehst du was für Augenringe ich wegen dir in Kauf genommen habe?! Rück schon raus was sie von dir wollten! Muss ja wahnsinnig wichtig gewesen sein. Standen sie in ihrer Schlafkleidung vor dir? Evgeni mit Nachthemd und Bommelmütze, das muss man sich mal vorstellen...........

Lilli! Weinst du?"

"Und so eine Frage kannst du dir auch sparen!" ,schnäuzte die in ihr durchweichtes Taschentuch und warf sich in Emis Arme.

"Hey, hey, Evgeni wollte deinen Kopf sicher nicht an einer seiner berühmten Straßenkreuzungen in Ungarn aufhängen, oder? Hast du ihm den Beweis denn nicht gezeigt? Haben sie nicht gesehen, dass......"

Es.....ist so....furchtbar, Emi!" ,schluchzte Lilli im Akkord, "ich w....wünschte, ich d....dürfte an einer....ungarischen Straßenkreuzung....baumeln. Ab...aber sie schicken mich weg. G...ganz allein!"

Emilie schob die herzerweichend heulende Lilemour abrupt von sich weg.

"Sie schicken dich fort? Ach, was! Niemals! Sie haben doch noch nie jemanden einfach so fortgeschickt. Wohin denn auch und warum sollten sie das tun, hm? Da....da hast du sicher etwas falsch verstanden, vielleicht hat Jean Luc nur ungünstige deutsche Vokabeln benutzt, sich miserabel ausgedrückt!"

"Nein!" ,beteuerte die Freundin und schüttelte den Kopf. "Kennst du S....Sarah? Die.....die mit den vorstehenden Zähnen? Die be....bekommt jetzt mein Zimmer."

Außer den leisen Schluchzern war es für kurze Zeit totenstille. In der Emi ernsthaft mit dem Gedanken spielte, einen Arzt zu konsultieren. Die Auswirkungen von Baldrian wurden offenbar allgemein unterschätzt....

"Erinnerst dich....an das Mitbestimmungsrecht, dass die Vampire über i...ihren Bewacher haben?" ,wollte eine halbwegs wieder hergestellte Lilli wissen.

Emilie ahnte zu Recht Unheilvolles, als Lilli fortfuhr.

"Ja und dieser.....dieser wahnsinnige Perverse hat verlangt, dass ich in.....sein widerlich großes Haus ziehe un...und die Dienstmagd mime. D...dann bin ich sein Kuli, verstehst du?"

Der Schrecken über diese fast schon abartige Anforderung war groß, doch Emi wusste Besseres als die Kameradin noch weiter in die Hoffnungslosigkeit zu manövrieren. Mitleid und Bedauern würden nicht helfen, würden in diesem Fall nur schmerzlich sein. Entschlossen überdeckte sie ihre entgleiste Miene mit einem blassen Schimmer an Humor, bevor Lilli mit verquollenen Augen und roter Nase auf ihre Reaktion wartete.

"Wolltest du nicht immer lieber putzen als deinen Vampir zu bewachen?"

"Erstens heißt mein Vampir Ilias, damit du den Teufel auch mit Namen beschimpfen kannst, zweitens will ich nie wieder hören, er sei mein Vampir und drittens hätte ich nur geputzt, wenn das eine das andere ausgeschlossen hätte. Aber das tut es nicht. Ich muss ihn trotzdem des Nachts hinterherdackeln. D...das hat Evgeni mir schon sehr deutlich beigebracht. Keine Sorge! Dieser Untote...w....will mich bloß fertig machen, dass ich auf dem Zahnfleisch hinter ihm herkrieche.
 

"Lil...du kommst doch dann noch jeden Morgen her um den Beweis abzuliefern, oder? Dann ist es sicher nicht so schlimm! Du bist ja nicht aus der Welt und dir ist nicht verboten uns zu sehen. Außerdem kannst du, wann du auch willst bei mir über den Tag schlafen!"

Emi tätschelte beruhigend Lillis gerade ziemlich verstrubbelten Kopf, musste sich aber beherrschen nicht lautstark mitzuheulen. Sie war immerhin ihre engste Bekannte hier und ohne sie.....ohne sie.....

"Wenn ich überhaupt jemals frei bekomme, was ich bezweifle. Oder ich falle vor Müdigkeit in einen bodenlosen Schlaf, immer wenn ich dich mal besuchen darf.."

Lilemour schreckte plötzlich auf, "was wenn er mich in einer Abstellkammer unter der Treppe wohnen lässt? Wie den Harry Potter?!"

"Unsinn, Lilli" ,lächelte Emilie gezwungen, "dann komme ich höchstpersönlich vorbei und versohle ihm den Hintern!"

"Und du behauptest, ich schaue zu viel Fernseher."

Das rang beiden doch ein kleines, echtes Lächeln ab, mit dem sie sich erneut in die Arme fielen und eine ganze Zeit lang ruhig den Geräuschen eines angebrochenen Herbstmorgens lauschten.

Seltsam, dass man einander noch lieber zu haben schien und das Gefühl den anderen verlassen zu müssen noch unerträglicher war, wenn der Zeitpunkt dann wirklich gekommen war. Auf Knall und Fall. Was nicht unbedingt einen Nachteil darstellte, da die Möglichkeit darüber nachzusinnieren größtenteils fehlte.

Lilemour war müde wie ein Bär, der mitten im Tiefwinter versehentlich aufgewacht war. Nur, dass sie sich nicht einfach grummelnd umdrehen konnte, sondern zu packen hatte. Emilie half ihr mit ein paar auflockernden Witzen hier und da. Lilli war ihr dankbar.

Die meisten Habseligkeiten gehörten ohnehin dem Orden und mussten, als deren gestelltes Inventar, auch zurückbleiben. Plus dem Fernseher, ihr Tor zu Außenwelt.
 

Am Ende reichten zwei Überseekoffer voll, in denen Lillis Kleidung, ihre Ausweispapiere, das ein oder andere persönliche Buch und ein wenig über die Jahre angesammelten Krims Krams gepresst waren.

Vor einigen Stunden war sie noch in ihrer geliebten, gemütlichen, nach alten Wäschern riechenden Bibliothek über einem komplizierten Werk Dostojewskis gesessen und jetzt stand sie da, wie vor einer Totalauswanderung nach Australien. Zu den Aboriginis. Wäre das nicht etwas für eine dieser gehirnlosen Reality Soaps?

"Was ist damit?"

Emis Frage riss sie aus den Gedanken, gleichsam düster wie die Stimmung kurz vor dem nie eingetretenen dritten Weltkrieg.

Die Blonde hielt die grässlichen Fetzen in der Hand, die Roberta ihr überreicht hatte. Lilli schnaubte.

"Wenn es eines gibt, das ich dem Orden immer zu Gute gehalten musste, so ist es das, dass wir keine Uniform tragen müssen. Der von kranker Abartigkeit gezeichnete Ilias alias Eduart mit den Scherenhänden, sähe es sehr gerne, wenn ich mich in Haushälterinnentracht kleide."

"Eduart mit den Scherenhänden ist mir zwar kein Begriff und ob dieser Ilias ernsthaft krank ist weiß ich auch nicht, aber der alten Zeit nachhängen, das tut er mit Sicherheit."

Emilie begutachtete das dunkelblaue Kleid, dass von Leuten von Heute wohl nur noch zu Karneval getragen wurde.

"Zieh es doch mal an" ,schlug sie vor.

"Niemand bringt mich dazu damit auf die Straße zu gehen!" ,wütete Lilli, packte einen Koffer und schleppte ihn Richtung Tür. Ihr Kuscheltier namens Samson (ein kleines Kamel), welches als Staubfänger auf dem Regal gestanden hatte, in der anderen Hand tragend. Obwohl sie es selten mehr als einmal am Tag überhaupt ansah, hing sie an ihrem Kindheitsgefährten und brachte es irgendwie nicht über sich ,ihm die erstickende Enge des Koffers zuzumuten.

Es war schließlich nicht seine Schuld dass sie abgeschoben wurde!
 

Da ging die Tür mit einem gewaltigen Schwung auf und Lilli machte einen hundertprozentigen Purzelbaum nach hinten. Evgeni stand, groß wie der Mast des Flagschiffes der Armada, im Türrahmen. Wüsste man nicht wer er war, man hätte ihn für König Blaubart halten können. Den, der seinen Haufen an Ehefrauen auf dem Gewissen hatte.

"Bist du fertig?" ,schnauzte er beinahe und trat ungeladen ein, sich über den ordentlichen Hergang des Auszugs überzeugend. Lilli fand es ein Verbrechen, dass er als einer der ,Adoptivväter' zu jeder Behausung der ,Kinder' einen Schlüssel besaß.

Sie rappelte sich schnell auf, "ja....ja!"

Seine Blicke fielen geiergleich auf Emi und vor allem die Kleidung, die sie noch immer auf dem liegen Schoss hatte.

"Wie ich sehe, ist das nicht der Fall. Ich komme ich fünf Minuten wieder und bis dahin hast du das Zeugs an!"

Ein Knall und die Türe war zu. Manchmal reichte eine Geste mehr als tausend Worte.

Unglücklich stand Lilli vier Minuten später vor dem Spiegel und sah einer Emma, Erna, Mia, oder wie die Hausmädchen in den Filmen alle so gerufen wurden, gleich.

Das Kleid hatte puffige Ausmaße an den Oberarmen und verlief dann schmal bis zu den Handgelenken. Es war etwa knöchellang und leider ansatzweise ausgestellt. Mit einer weißen Anstandsschürze, die ohnehin nie dreckig wurde. Zumindest nicht in den Filmen.

Das eigentliche Verbrechen aber, bestand aus dem Spitzenhäubchen, dass sie an die Unterhose des Mädchens von vorhin erinnerte. Nur dass es eben irgendwo anders saß.

Lediglich die Hochgeschlossenheit des Kragens verstand sich mit ihrem sonstigen Kleidergeschmack, abgesehen von den Rüschen, die ihr am Hals kratzen.

"Schaut doch gar nicht mal so schlimm aus" ,behauptete Emilie, "ich hab's mir verstaubter vorgestellt."

Lilli drehte sich um und warf ihr einen ,du lügst' Blick der Sonderklasse zu.

WAS? Was nur hatte sie verbrochen, das solch eine Strafe mit sich ziehen konnte?!

Evgeni kam in der selben Manier wie vor dem Zeitlimit zur Tür herein, sah sich Lilli von oben bis unten an (leider ließ sie das erröten, weil sie ihrer unumstößlichen Meinung nach so peinlich aussah), packte sich die Koffer und stürmte mit einem "Komm jetzt" nach draußen.

Wahrscheinlich war er auch übermüdet.

Schnell umarmte Lilemour ihre liebste Freundin, packte sich Samson an seinem Höcker und rannte ohne ein weiteres Wort dem Hünen nach.

Emi sprang auf und rief ihr noch etwas nach, Lilli brachte es nicht übers Herz noch einmal zurückzusehen. Hoffentlich passte Sarah gut auf die Vorhänge auf, es hatte Lilli vier Jahre gekostet neue zu ordern.
 

Die Sonne war bald schon zur Hälfte aufgegangen, aber das war Emilie egal. Sie war auf dem Weg zu Antonio und würde warten bis der Tag vorbei war. So lange bis er aufwachte, um ihm alles zu erzählen. An Schlaf war nicht zu denken. Seine Worte schwirrten ihr unablässig im Kopf umher: "Keiner weiß viel über die anderen von uns. Die wenigsten Vampire interessieren sich für einander. Von Ilias weiß man nur das, was er möchte dass man es von ihm weiß. Sonst nichts. Er gehört zu den Erfahrenen und Mächtigen und benimmt sich auch so. Mit Absicht keine Ahnung von Tuten und Blasen haben, nur für das, was er zum Überleben braucht. Er hält zwar an den früheren Gepflogenheiten fest und ist nach außen hin stets höflich und zuvorkommend, zeigt aber niemals irgendeine Art von Freundlichkeit. Was er für sich denkt, dass will ich mir erst gar nicht vorstellen. Ich kenne ihn nicht und glaube dennoch behaupten zu können, dass die Menschen ihn aus dem Weg räumen sollten. Wenn es eine wirkliche Gefahr gibt, dann personifiziert er sie, oder kann sie zumindest heraufbeschwören."
 

Lilemour fuhr fast nie mit einem Auto. Es war bis auf wenige Ausnahmen nie nötig gewesen.

Das war so eine Ausnahme. Kaum jemand war auf den Straßen, nur der spärliche Morgenverkehr einer Kleinstadt und Evgeni. Er steuerte den Jeap wie man ein ungestümes Wildpferd lenken würde. Warum sind sie eigentlich noch nicht gegen einen Baum gefahren?

Ab hier kannte sie sich aus, das war der Weg den sie immer entlanggegangen war. Gleich würden sie da sein. Das letzte und größte Haus. Nur vier Bäume am Straßenrand weiter hinten. Drei......zwei....

"Leonardenstraße Nr.4 , richtig?" Der Ungar bremste die ganze Nachbarschaft aus den Betten.

"Hmm" ,nickte Lilli bestätigend und überlegte, ob sie nicht einfach abhauen sollte. Schneller als dieser Klotz war sie auf jeden Fall. Doch was nützte das alles? Man würde sie wohl finden

und außerdem hatte sie ja nicht einmal eine Ausweichmöglichkeit wo sie sonst hätte Unterschlupf finden können. Sie war verloren!

"Halt die Ohren steif Mädchen" ,riet Evgeni und klopfte ihr so fest auf die Schulter, dass sie beinahe auf den verhassten Marmorweg gefallen wäre.

Dann fuhr er mit quietschenden Reifen davon. Zurück zu Trudi, Emilie und den anderen. Ihrem zu Hause. Dass Ilias ihr genommen hatte. Wenn es schlecht lief, dann war dieser Zustand für immer. Als Bewacher musste sie den Vampir begleiten, bis sie zu alt wurde um der Aufgabe noch weiter nachgehen zu können. Oder sie verschwand wie der Voyeur vor ihr, bei demselben Vampir. Oder aber Ilias hatte bald die Nase voll von ihr und das war genau der Punkt, der sie noch aufrecht stehen ließ. Sie würde ihm, wo sie nur konnte, das Leben erschweren, bis ihm nichts anderes übrig blieb, als sie mit Handkuss wieder zurückzuschicken!
 

Georg war ganz und gar glücklich, wenn auch voller Vorahnungen, die einen nicht alle zum Jauchzen brachten. Sein Meister war heute vor Sonnenaufgang im wahrsten Sinne des Wortes furiös heimgekehrt. Mit keinem Wort und keiner Geste hatte Ilias seinen zornigen Gemütszustand sichtbar werden lassen, aber bei jemandem wie Georg funktionierte dieses Spiel nicht. Er kannte seinen Herrn einfach schon zu lange, wenn er auch bedeutend jünger war als derselbe.

Nun, auch Unsterbliche änderten sich nicht alle paar Jahrhunderte und er wollte einen Besen fressen, wenn Ilias, abgesehen von der erarbeiteten Weisheit, in seinem Wesen nicht schon genauso gewesen war, bevor er starb.

Der Vampir hatte ihn nach seiner Rückkehr ohne zu überlegen mit der Kleidung der dürren alten Else (Friede sei mit ihr!) in die Wälder geschickt. Zu den Escapaten. Im Grunde lebten sie so zurückgezogen vom Rest der Zivilisation wie sein Meister, doch so wie sie wussten wo Vampire zu finden waren, so wussten auch die wo ihre Vertragspartner saßen. Nur dass es den Meisten einerlei war.
 

"Soll ich jetzt rein kommen?" Die Stimme des Mädchens, er musste sie im Geheimen einfach Melissa nennen, erinnerte ihn wieder an seine Pflichten.

"Selbstverständlich, meine Dame." Damit trat er zur Seite und Lilemour betrat das unbeschreiblichste Innere eines Hauses, in dem sie jemals gewesen war.

So stellte sie sich den Kreml vor, so musste der Buckingham Palast aussehen, da musste Sissi mit ihrem Franzl gewohnt haben, hier spielte das tragische letzte Jahr der Regierung der Romanovs, der Eingang sollte dem Denkmalschutz übertragen werden! All das ohne kitschig oder überladen zu wirken. Durch und durch geschmackvoll. Vielleicht von einem Innenarchitekten ausgetüftelt.

Wirklich. Wenn der Untote nicht an vergangenem Zauber hing, dann stand sie nicht gerade James gegenüber. Jeder James brauchte seine Emma, das war ja klar. Nur am Altersunterschied haperte es gewaltig. Er war bestimmt über sechzig.

"Bedauerlicherweise ist der Herr gegen einen Verkaufstand, der überladen mit Photos seines Anwesens, dessen schönsten Winkeln und bezaubernsten Aussichten sicherlich den ein oder anderen Cent einbringen würde" ,lächelte Georg, der ihren Blicken gefolgt war.

Lilemour grinste ein wenig, ohne den Blick von der engelbehafteten Deckenmalerei abwenden zu können.

Genau wie außen herrschte das Barock und der Klassizismus auch über die Innenraume, zumindest über diesen hier. Die Decke war so hoch, dass man sich nicht vorstellen konnte wie die Maler jemals nicht an Höhenangst gelitten haben konnten. Dicke kleine Kinder mit Flügeln, Trompeten und Harfen, sowie Heiligendarstellungen saßen auf Wolken, die einen direkt in den blauen Himmel einluden.

Die Treppen in die oberen und unteren Geschosse (denn Versailles konnte nicht mehr Irrgarten sein) waren aus eben dem Stuckmarmor, der auch schon draußen neben dem Briefkasten zu finden war. In rötlich -beigener Färbung. So auch der Boden. Die Wände waren mit verschnörkelten Kandelabern, Gemälden aus sämtlichen Epochen und vergoldeten Statuen griechischer und germanischer Heldensagen. Da stand ein Flügel der wahrscheinlich Beethoven gehört hatte und weiter hinten eine Truhe aus Napoleons Zeiten. Sessel, oder überhaupt Sitzmöglichkeiten waren allerdings nirgends ausfindig zu machen. Entweder das war nicht üblich, oder Ilias wünschte keine Gäste, oder beides.
 

Wie hatte sie es bisher nur in ihrem beschränkten Zimmer aushalten können? Ha, da war der Beweis, Reichtum machte wählerisch und unzufrieden. Reich, das war der Vampir zweifellos und Lilli war nicht davon überzeugt, dass er es sich besonders mühselig erarbeitet hatte.

"Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer" ,drang Georgs ruhiger, besonnener Tonfall zu ihr durch, als er auch schon ihre Koffer gepackt hatte und auf die Treppe nach oben ansteuerte.

Unter der Treppe wie Harry Potter musste sie also schon mal nicht wohnen, jetzt blieb nur noch zu sehen, ob ihr Zimmer keine Abstellkammer war.

Düstere gestalten blickten sie aus den uralten Rahmen und Leinwänden an, den ganzen, langen Aufstieg, den oberen Gang hindurch und von allen Seiten. Ob Georg mal im Europa Park war? Sie hatte ihn zusammen mit Emilie zu deren sechzehnten Geburtstag besuchen dürfen und da gab es eine Geisterbahn.......

Unvermittelt blieb der alte Mann stehen und öffnete eine schmale Tür. Schmal war irgendwie nicht gut, wo doch alles so groß hier war. Aber sie war ja nur noch eine DIENSTMAGD!

"Bitte sehr."

Lilli wäre vom Stuhl geflogen, hätten ihre müden Beine vorher die Chance gehabt zu sitzen.

Das war nicht mehr als eine Toilette. Eine Hübsche, das zugegeben, aber eine Toilette. Wo sollte sie um Gottes willen ihre ganzen Habseligkeiten unterbringen?!

"Das ist die Toilette, die sie sicherlich das ein oder andere Mal in Anspruch werden nehmen müssen." Georg schloss die Tür wieder und bedeutete ihr weiter zu folgen. Er wusste nicht für wie viel Erleichterung er gerade gesorgt hatte.

"Das Haus hat fünf Stöcke, von denen drei bewohnbar sind" ,fuhr er auf einmal fort.

"Die unterste Ebene besteht ausschließlich aus kaltem Keller, Vorratskammer und Quartieren für Fledermäuse. Zweiter Stock beherbergt eben besichtigte Eingangshalle, wir durchlaufen momentan den Dritten und der Vierte über uns ist diesem hier von Zimmerräumen und Einrichtung in etwa ebenbürtig. Der Fünfte schließlich bietet nicht mehr als den Speicher. Voller Gegenstände die zu wenig sind um sie zu gebrauchen und zuviel um sie wegzuschmeißen.

Das Bad befindet sich auf dieser Ebene von der Treppe ausgehend im vierzehnten Zimmer von Rechts. Ein weiteres finden sie in überliegender Etage parallel zu diesem und das Dritte ist unter der Eingangshalle, der achte Raum nach der Kurve auf der linken Seite. Aber Vorsicht, durch das sich dort befindliche Spiegelkabinett kann man mit den Seiten relativ schnell durcheinander kommen. Abgesehen davon wurde das unterste Bad schon lange nicht mehr benutzt. Ich würde ihnen raten nicht damit anzufangen. Die restlichen Toiletten, es gibt vier, sind mit dem üblichen OO gekennzeichnet."
 

"Aha ,haben sie denn vielleicht einen Führer oder eine Landkarte dafür?" Lilli meinte es tot ernst, denn es gibt wenig Bedrückenderes als sehr dringlich auf's Klo zu müssen und keines zu finden. Aber Georg fing leise an zu lachen. Es hörte sich gut an, freundlich und verlässlich.

"Sie werden sich recht bald zurechtfinden, da bin ich mir sicher."

Lilemour hoffte, dass sie es noch vorher schaffte, den Vampir davon zu überzeugen sie wieder frei zu geben. Bis sie hier durchblickte, müssten Jahre vergehen.

Genau darum hätte sie sich eine Schnur mitnehmen müssen, an Hand derer sie zu ihrem Zimmer zurückfinden konnte, wenn sie es verließ.

Zwischenzeitlich waren sie im vierten Stock, die Teppiche auf den Gängen hier schienen aus dem Orient zu kommen und hoffentlich nicht von Kinderhand geknüpft....Oder hoffentlich schon, dann konnte sie ihn der UNICEF ausliefern.

Als Georg dann ganz klar den letzten Stock anpeilte, wurde sie doch ein wenig unruhig.

"Ähm......entschuldigen Sie....."

Georg blieb sofort stehen, "Ja, meine Dame."

"Haben Sie nicht gesagt, da oben wären nur verstaubte Gegenstände, oder so?"

"Ja" ,gab er zu, wobei sein Gesicht sich leidvoll verzog, "das und Ihr Zimmer, meine Dame."

"Ach so, dann hat sich das mit Führer ja erledigt. Einfach nach oben gehen bis es nicht mehr geht. Alles klar." Und wie sie Ilias bei der UNICEF verpfeifen würde, oder bei Greenpeace, oder bei allen Organisationen die irgendetwas mit Menschenrechten zu tun haben.
 

Georg hatte sich freundlichst verabschiedet, ihre Koffer neben sie gestellt und ihr geraten ein wenig zu schlafen. Ja und da stand sie. Ihr Zimmer zwar geräumiger als Harry Potters, aber nicht sonderlich gemütlicher. Hier war nicht der Hauch des Glanzes von unten. Nicht die geringste Ähnlichkeit mit Sissis Schloss in Insbruck. Es sah aus wie eine Absteige, wie eine heruntergekommene Spelunke, oder eben wie ein Speicher voller Unrat, der in den Ecken stand und mit mausgrauen Tüchern überdeckt war.

Staub war die einzigste Unannehmlichkeit die fehlte und das wohl nur, weil der arme Georg versucht hatte diese Megaabstellkammer hier ein wenig wohnlicher zu machen. Zumindest in so fern, dass man nicht an den Milben erstickte.

Ein kleines Fenster an der Ostseite bestätigte beim Hinausschauen die imposante Höhe des Gebäudes, die sie auch nicht sonderlich glücklich zu machen vermochte.

Denn ihr letzter Blick -den sie wohlweislich aufgeschoben hatte- fiel auf das ,Bett'. Da hatte dieser Vampir und Menschensauger ein halbes Schloss, von außen sowie von innen, konnte all diese Räume niemals alleine füllen, war sicher wohlhabender als Thomas Gottschalk und offerierte ihr eine dreckige Matratze, aus der die Federn teilweise zu sehen waren. Wahrscheinlich musste sie noch mit den Mäusen um das bisschen Liegemöglichkeit kämpfen. Die Zudecke machte den Eindruck eines zehnmal geflickten Tischtuches aus Großmutters Zeiten, in denen man noch den zerschlissenen Hemdkragen abtrennte und andersherum wieder hinnähte.

Was blieb Lilemour in augenblicklicher Situation, außer tief zu seufzen und auf ihre Entlassung zu warten, die sie recht bald zu Stande bringen wollte.

Die Sachen ließ sie in den Koffern, aus Angst vor dem nagenden Ungeziefer dass sich hier so rumtrieb und damit meinte sie ausnahmsweise nicht den Hausbesitzer.

Gott lobte ihr eigenes Nachthemd, dass sie vor Ilias Interpretationen eines solchen bewahrte. Etwas viel Besseres als ein über die Jahre ergrautes Laken mit vier Löchern hätte er ihr wohl nicht zu bieten gehabt, oder es nicht gewollt.

Zwei Minuten nach diesem Gedanken war Lilli schon in einen traumlosen Schlaf gesunken, dankte den Baldrianpillen still für ihren letzten Dienst und hoffte auf baldige Eulenpost, die sie nach Hogwarts einlud.
 

"Haben Sie das so verstanden? Konnten Sie mir folgen?"

Was Georg da am frühen Abend schon von ihr erwartete, das war wirklich unter aller Sau. Sie war kaum eingeschlafen, da hatte er bereits an ihre Tür geklopft. Seltsamer weise war es dazwischen irgendwie dunkel geworden. Nicht einmal die Zeit war ihr Freund, sie war noch immer schlaftrunken.

"Na ja" ,gähnte Lilli mit Hand vor dem Mund, "das mit dem Holz und der Zeitung hier ist mir noch nicht ganz klar."

Georg war die Geduldigkeit in Person, als er zum dritten Male ein Zeitungsblatt nahm, es in Zeitlupentempo um einen Holzscheit wickelte und den dann in einen Kamin warf, in dem zehn wohlgenährte Weihnachtsmänner gleichzeitig Platz gefunden hätten.

"Wissen Sie Herr Georg" ,sagte sie ohne mitbekommen zu haben, dass der Diener ihr seinen Vornamen angeboten hatte, "das ist doch ganz und gar rückständig. Warum in aller Welt habt ihr keine Heizungen in dieser Edelkate? Ist ihnen klar wie viel Arbeit Sie sich damit sparen könnten?"

"Der Herr..."

"Der Herr" ,schnaufte Lilli ironisch, bevor Georg noch etwas erwidern konnte.

"Der Herr hier ist ein Giftigel!" Wenn sie schon so unmenschlich früh aus den Federn geworfen wurde, so konnte sie doch ebenso gut schon einmal anfangen rumzustänkern. Für den Ernstfall zu üben, wenn sie dann vor besagtem Giftigel stand.
 

"Das Bedienstetenkleid tut dir gut, es gibt dem Betrachter die Illusion von einer Taille, wo keine ist."

Lilli und Georg wandten sich synchron um und das Mädchen fragte sich unwillkürlich und mit schlechtem Gewissen, ob Ilias seinen neuen Schimpfnamen aufgeschnappt hatte. Wenn es etwas Gemeines gab, dann hinter dem Rücken eines anderen zu reden. Sollte derjenige dann geradewegs daneben stehen, war ohnehin alles gelaufen.

So plötzlich wie das Auftauchen eines Schattens unbekannter Herkunft, füllte er mit seiner Anwesenheit den Raum aus. Allerdings in einer Art ,Morgenmantel', der dem Krönungsumhang eines mittelmächtigen Königs hätte Paroli bieten können.

Das schlechte Gewissen aber verschwand mit dem Satz über ihre Taille. Lilli hatte sehr wohl eine und so viel wie die Frau mit dem Spitzenunterhöschen erst recht.

Wieso nur verglich sie sich immer mit der? Da musste sie doch drüber stehen!

"Ich darf annehmen, dass dir deine neue Bleibe gefällt." Es war weniger eine Frage als vielmehr eine Feststellung, die Lilemour sich an ihren Plan erinnern ließ.

Besonders unhandlich= Besonders nervig= Rausschmiss

"Nicht viel besser als eine von stinkenden, erfolglosen Räubern bewohnte Bruchbude, deren wahre Regenten die Ratten sind."

"Sehr schön" ,amüsierte sich Ilias, "genau was ich hoffte. Ich wollte dich erst in den herrlich feuchten Kellergewölben unterbringen, aber Georg war der Meinung, Ratten eigneten sich vortrefflicher als Spielgefährten für Kinder denn Fledermäuse. Ah, so ganz entweltlicht habe ich ihn also noch nicht."

"Lieber jünger aussehen, als das Benehmen eines bockigen Lausebengels an den Tag zu legen. Geben Sie schon zu, dass ich nur hier bin, weil es Ihnen nicht gepasst hat, dass ich ihr Rendevouz von gestern gestört habe."

Lill versuchte eine überlegene Miene aufzusetzen. Als Mimikmeisterin erlebte sie so dann eine Niederlage, denn Verstellung fiel ihr ungewohnt schwer.
 

"Durchaus nicht" ,versicherte Ilias ihr indifferent, "ich vermisste schon lange eine Gelegenheit in der ich meiner Fantasie freien Lauf lassen konnte. Was war fantastischer, als dich für meine Schwester auszugeben?"

"Fantastischer noch hätte es klingen können, wenn ich Sie als meinen Bruder vorstellte!"

"Welch lose Zunge."

"Welch Unhöflichkeit."

"Die da wäre?"

"Mögen Sie lebendig gewesen sein wie Sie wollten und jetzt der unmodernste Vampir der noch auf Erden wandelt" ,behauptete Lilli, "an ihnen ist nicht der leiseste Kavalier von damals verloren gegangen."

"Warum sollte ich dir gegenüber auch nur den Hauch eines feinen Benehmens vorgaukeln? Einer......wie dir?"

Er sagte es auf die Art und Weise, die an einen Lehnsherrn und dessen geknechteten Leibeigenen erinnern ließ. Unterstützt durch ein mitleidiges Lächeln, dass die Wut in einem jeden frommen Mönch zum brodeln hätte bringen können. Aber Lilli zügelte sich, denn was wären Argumente, die aus unbedingter Seriosität her rühren mussten, jedoch aus dem Mund einer halben Furie kamen? Nichts.

"Es kränkt mich ihnen die rosarote Brille abzunehmen, mit der Sie wie mir scheint schon eine Ewigkeit die Dinge betrachten, aber wie kann man jemandem helfen ohne ihm sein Problem vor Augen zu halten? Und das tue ich liebend gerne, wenn Georg hier...."

Lilemour klopfte freundschaftlich auf den Rücken des merklich in sich zusammengesunkenen Dieners, "......es nicht über sein Herz bringt Ihren Standpunkt ein wenig zurechtzurücken. Denn da ist der Wurm. Sie, nein, ich bin Ihnen gesellschaftlich vollkommen ebenbürtig. Keine geregelten Stände trennen unsere Herkunft. Nicht mehr. Sie können herumkommandieren wie Sie wollen und selbst wenn derjenige Ihnen aus diversen Gründen folgen sollte, muss oder gar will. Selbst dann ist er in Wirklichkeit auf einer Stufe mit Ihnen."
 

Nur Georg konnte aus den Augenwinkeln heraus beobachten, wie die Haltung seines Herrn noch steifer geworden war, als es ihr ohnehin die meiste Zeit zu eigen war. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihm nicht gefiel wie sich das Gespräch entwickelte, ganz gleich wie er reagieren sollte.

"Nun!" Ilias verschränkte arrogant die Arme vor der Brust, "da du dich unweigerlich in der von dir dargelegten Situation befindest und mir zu Diensten sein sollst, musst und vielleicht auch irgendwann willst, können mir die Strukturen der restlichen Bevölkerung egal sein. Es wird immer Führende und Gehorchende geben, da spielt es keine Rolle was die Gehorchenden zu ihrer Zufriedenstellung denken mögen. Eine Illusion von Freiheit."

So fieberhaft Lilli eine Erwiderung zu konstruieren versuchte, so weniger ließ sich eine einstellen. Natürlich, später würden ihr Tausende von guten Sätzen einfallen, aber da nutzen sie eben nichts mehr. Dem Vampir blieb ihre Blockade offenbar nicht verborgen, denn er wandte sich genugtuerisch lachend um und ließ sie im Gehen wissen: "Mir gefallen deine Haare so nicht. Wenn sie schon ausgerechnet diese Farbe haben müssen, dann stranguliere sie nicht auf solch schlampige Weise."
 

Nachdem Lilli mit ihrer strengen Frisur nun wie eine Ballerina kurz vor ihrem Debut Auftritt aussah und es zusammen mit Georg doch noch geschafft hatte den riesigen Kamin in Flammen stehen zu lassen, entschuldigte sich der Diener.

Es wäre Zeit für sein Schachspiel mit dem Meister. Sie dürfe derweil die Treppengeländer polieren. Und das tat sie. Allerdings genau dort, wo das Zimmer lag in dem sie Georg hatte verschwinden sehen. Im Grunde wusste Lilli gar nicht war sie eigentlich zu hören hoffte, aber die Neugier lag wohl einfach in den Menschen. Wer konnte schon sagen was ein Vampir so zu sagen hatte wenn er sich alleine mit einem Freund wähnte. Vielleicht versteckte er einen Schatz und erklärte Georg gerade ausführlich den Weg dorthin. Ach, na gut, man durfte schließlich mal träumen. Fakt war, dass Lilli über eine halbe Stunde lang nur einen Fleck auf der kaum zu überblickenden Treppe in Angriff nahm. Sie hatte schon fast die Lackierung durchgerieben, doch von einem Schatz war hinter den hellhörigen Wänden nie die Rede gewesen. Vielmehr sprachen sie kaum miteinander und wenn, dann nur von ,Patt' ,oder ,Schach' , oder ,das war ein hervorragender Zug'.

Schon wollte sie aufgeben, als es zaghaft an der Haupttür klopfte, einen Stock tiefer, am Ende der Treppe den Korridor entlang.
 

Wie von der Tarantel gestochen setzte sie sich auf das Geländer und rutschte daran herunter (das wollte sie schon immer mal tun). Abgesehen davon musste ja keiner mitbekommen dass sie gelauscht hatte, nicht wahr?

Das leise Öffnen der Schachspielzimmertür war zu vernehmen und Lilli fiel im Affekt des Augeblicks nichts Vernünftigeres ein als sich hinter die napoleonische Truhe zu werfen.

Wenige Sekunden danach die verhaltenen Schritte Georgs und dann:

"Seid Willkommen, meine Dame."

"Ist.....ist Ilias zu Hause?" Diese Stimme schoss durch Lillis Gehirn wie ein Strahl heiße Lava. Sie linste vorsichtig um die Ecke und tatsächlich. Das Mädchen. Das von gestern.

Wie war es, wie konnte es......? Nach allen Regeln der Lehrbücher und des gesunden Menschenverstandes, gekoppelt mit der Logik, müsste sie nach einem Vampir Angriff die darauffolgenden paar Tage flach liegen. Im Durchschnitt drei , höchstens fünf, aber mindestens zwei davon. Mehr schlafen als wachen. Lilemour fand diesen Ausdruck immer schon zu wissenschaftlich, aber die Blutregenerierungsperiode fehlte hier ganz offenbar.

Bevor Georg noch auf die Frage des Mädchens antworten konnte, waren deren Augen ebenso wie an dem Tag zuvor, wieder voll von Glück, Enthusiasmus, Dankbarkeit und einer ungesunden Portion von Schwärmerei.

Ihrem Blick folgend, sah man Ilias auf der Treppe stehen. Umwerfend wie ein erfolgreich heimgekehrter Krieger in all seiner Glorie für alle Unwissenden, neiderregend wie der Gewinner eines Schönheitswettbewerbs in allen Disziplinen für die Eingeweihten und überirdisch auftretend für beide Parteien gleichermaßen. Nur, was davon war echt? Nichts, oder die Hälfte, oder doch alles?
 

"Schön dass du die Zeit fandest mich in meinem bescheidenen Heim zu besuchen" ,untertrieb er fast unerträglich, denn ,bescheiden' wollte sich mit dem vorherrschenden Prunk nicht so ganz vertragen. Obwohl das Mädchen ihre Umgebung offenbar nicht interessierte, denn ihr Tunnelblick ruhte für jedermann sichtbar auf einem lebenden Toten mit manierlichen Gesichtszügen.

"Ja ich.....wollte schon viel früher am Abend kommen, aber ich fühlte mich ein wenig lahm. Doch das ist jetzt vorbei" ,lächelte sie auf der Stelle. Wiederholt für jeden sichtbar, es war keineswegs vorbei, sie meinte es höchstens durch den Anblick ihrer Augenweide.

Ihre anormale Blässe unterstrich ihre grünen Augen samt den gräulichen Ringen darunter, die Wangen waren leicht eingefallen, aber sie lächelte das seligste aller Lächeln. Ihre Unterhose schien sie auch nicht zu vermissen.

Sie ging unsicher ein paar Schritte auf ihn zu, als wäre sie sich nicht sicher ob er wirklich da war oder nur ein Traum. Georg behielt seine gute Miene zum bösen Spiel. Möglicherweise hatte er ähnliche Szenen ständig mit anzusehen.

"Wo ist denn deine Schwester, geht es ihr gut?" ,wollte das Mädchen wissen. Sicher nicht weil es sie so sehr kümmerte, sondern damit sie das allgemeine Schweigen überbrücken konnte. Durchschaubarer Füllsatz.

Der Vampir hob seine schmale Hand in einer wegwerfenden Geste, "sie ist leider erfroren, oder vielleicht auch ermordet worden, ich weiß es nicht und das ist doch auch nicht wichtig, oder?"

"Sie ist tot" ,wiederholte die junge Frau tranceartig leiernd und wie nebenbei, "oh, okay, das ist schade."
 

Lilli hätte sich liebend gerne aus der Versenkung gestemmt um diesem Vampir einmal richtig die Meinung zu sagen! Was fiel ihm überhaupt ein?! Das arme Ding konnte ja nicht mehr selbstständig denken! Ilias könnte ihr sagen was er wollte, behaupten was ihm gerade einfiel und sei es, dass seine Eltern Weinbergschnecken gewesen wären, sie würde ihm alles fraglos abnehmen. Um es nett auszudrücken: sollte er sich das Mädchen heute Nacht wiederholt zur Brust nehmen, war es schlecht um sie bestellt. Alle Beweise brachten nichts wenn sie an den Folgen starb. Hoffentlich vergaß er das in seiner Selbstverherrlichung nicht.

Innerhalb eines Wimpernschlages stand der Blutsauger plötzlich neben der Frau, die keine Miene verzog ob dieser unnatürlichen Schnelligkeit. Dafür zuckte Lilli in ihrem Versteck zusammen und stieß sich den Kopf an der Wand. Mit einem tränenden Auge verfolgte sie Ilias, der sein willenloses Opfer die Treppen hinaufführte. Warum entzog er ihr die Kontrolle über sich selbst? Nach allem was einen Tag zuvor war, wäre sie ihm auch so gefolgt, aus eigenem Willen. Aus Verliebtheit.

Da kam Lilli der beunruhigende Gedanke, dass er diese Machtzurschaustellung für seinen Behüter aufführte, für sie, als neue Demonstration seiner Überlegenheit! Natürlich hatte er sie längst entdeckt. Welch Überraschung.

"Meister! Oh, Meister!" ,flötete Lilemour, als sie einem Impuls gefolgt war und in das Geschehen eingriff. Mit ihrem Polierlappen vor den Augen, damit das Mädchen sie nicht doch noch erkannte, stand sie neben dem leicht verwunderten Georg und winkte Ilias.

"Ich habe pressierende Fragen, die nicht warten und nur von Ihnen beantwortet werden können! Unter vier Augen. Es kostet Sie keine zwei Minuten."

Zu ihrer eigenen Verwunderung ließ er das Mädchen stehen wie bestellt und nicht abgeholt und kam herausfordernd angeschlendert. Dass er nicht noch seine Hüften hin und her schwang war gerade noch alles.

"Bring sie auf das Gästezimmer, Georg" ,befahl er beiläufig und baute sich vor Lilli auf. Der war das Poliermittel langsam schon zu Kopf gestiegen, aber sie wartete nicht auf besseres Wetter.

"Sehen Sie nicht, dass das Mädchen zu schwach ist für eine weitere....weitere....."

"Liebesnacht?" ,vervollständigte er boshaft grinsend. Der hatte wirklich Nerven wie Drahtseile.
 

Fortsetzung folgt!

Band

Hi.

Puh, ihr seht, das mit dem Freitag als Hochladetag hat sich genauso wenig verwirklichen lassen, wie der geregelte Wochenabstand. Ich hasse es Dinge zu sagen und nachher nicht einzuhalten. Verzeiht mir ;_;

Dafür ist es zumindest immer einiges an Text, der euch dann doch zukommt :p

Ich hoffe wie immer, dass euch das Kapitel gefallen wird (ich musste durch einen unglücklichen Zufall das alles komplett ZWEIMAL abtippen -oder weil ich so blöd war, das hat der Detektiv noch nicht mit Sicherheit feststellen können).

Also würdigt diese harte Arbeit ;-)
 

Vielen Dank für die Kommentare und ich freue mich über jeden weiteren! Eigentlich hört sich das an wie eine sich stets wiederholende Ansage auf einem Band -.- ,aber mir fehlt irgendwie die Fantasie mich künstlerisch zu bedanken. Trotzdem zählt es nicht weniger :-)
 

Bis zum nächsten Mal wenn es wieder heißt: Die Hälse geschützt und die Spiegel in Position gebracht!

Viele Grüße und ein frohes Weihnachtsfest!! -falls ich es nicht schaffe noch ein Kapitel davor hochzuladen. Ich strenge mich an, kann aber nichts versprechen!

Feuert mich an! ;-)

Fany

****************************************************+
 

"Sie wissen genau was ich meine! Das nicht! Das heißt....ja doch, das mein ich auch! Ich meine gleich alles was mit Ihnen zu tun hat!"

Sie fuchtelte mit ihrem Polierlappen in der Luft herum, "von vorne bis hinten ist nichts was Sie tun normal, oder......normal!"

Lilemour sprach härter als gewollt, wahrscheinlich weil sie sauer auf ihre brennenden Wangen war. So überdeckte sie die Verlegenheit eben mit Barschheit. Und überhaupt schadete das nicht im Mindesten.

Ilias ließ sich nicht anmerken ob er etwas davon mitbekam, doch sie wollte Klothilde heißen, wenn dem nicht so war.

"Alles was du tust ist wiederum nicht von Bedeutung."

"Nicht von Bedeutung?!" ,platzte Lilli heraus und gaffte den Vampir mit sperrangelweit geöffnetem Mund heraus an. Was meinte er eigentlich wer er war? Der Sultan von Brunai?

"Glaubst du, ich weiß nicht was ich tue und wie weit ich gehen kann?" ,fragte er leidenschaftslos.

"Wenn Sie sie nicht in ein Koma versetzen wollen, dann ja."

"Menschen sind viel überlebensfreudiger als man denkt, daher unser ganzer Spaß."

Lilli überging diese Obszönität und ließ sich nicht vom Thema abbringen.

"Sie wissen, dass ich den Beweis noch Morgen in der Dämmerung nach Hause bringen werde. Es ist Ihnen verboten sie in ernsthafte Gefahr zu bringen!"

"Wie verdrießlich. Da lasse ich die Kleine extra herkommen, damit mein Aufpasserchen mir nicht nachsteigen muss und genügend Freiraum für die Hausarbeit hat und dann schmeißt man mir Drohungen an den Kopf. Ich frage mich, ist das der wahre Sinn der Gerechtigkeit?"
 

"Sie sind böse."

"Das habe ich schon oft gehört."

"Sei sind stolz darauf!"

"Das habe ich schon oft geantwortet."

"Lassen Sie das Mädchen!"

"Ah, ah, ah, da überschreitet jemand seine Kompetenzen mir Vorschriften machen zu wollen. Sie ist mein gutes Recht." Damit begab sich Ilias auf den Weg nach oben, als Lilli nichts dagegen sagen konnte da es verdammt noch mal stimmte was er einwarf und ihm wütend nachrief.

"Ohne sie zu töten bekommen Sie Vielfraß niemals genügend Blut von ihr!"

"Wie kommst du darauf mich einen Vielfraß zu nennen? Ich kann mich nicht erinnern dich als meinen Ernährungsberater eingestellt zu haben."

"Weil sie so aussehen" ,giftete Lilli, wobei sie ihren Lappen unliebsam auf den Boden pfefferte.

"Sie haben einen blutigen Eisenüberschuss in ihrem ausgeblichenen Körper!"

"Ich faste, das ist gesund."

"Das hilft Ihnen auch nichts mehr!" Lilli wusste bis dahin gar nicht, dass sie so aggressiv werden konnte, aber sie konnte.

Ihn schien das alles kalt zu lassen.

"Vergiss nicht die Böden zu wischen" ,empfahl er ihr, schon fast auf der nächst höheren Ebene angekommen. Warum nur nahm es sie so mit? Warum nur machte sie nicht einfach was er sagte, denn das war ihre Aufgabe und nicht vor Mitleid mit dem Mädchen zu verzagen.

"Hätten Sie sich eben ein anderes Opfer gesucht" ,zischte sie leise vor sich hin, obwohl Ilias schon mit den dunklen Gängen ohne Ende verschmolzen war.

"Aber wahrscheinlich waren Sie zu FAUL und UNTALENTIERT in dieser Zeit ein Band zu einem neuen Menschen zu knüpfen. Sie.....Sie unflätiger...ach, rutsch mir doch den Buckel runter!"

Lilli fand es in der abebbenden Zornesflut ziemlich unüberlegt von sich selbst, die Treppe anzuschnauzen und besann sich im wahrsten Sinne des Wortes an Besseres. Wenn sie entgegen ihrer Art schon zum Drachen wurde um sich so unbeliebt als möglich zu machen -es ging ganz gut voran- dann wenigstens mit dem Richtigen als Zielscheibe. Nur der war ja gerade.....Arggghhh!
 

So viel Lärm wie in den vergangenen paar Stunden hatte Lilli noch nie gehört und noch nie gemacht. Bis auf heute. Er war böse, fein, sie war böse.

Sie putze die Vasen bis sie herunterfielen um in tausend Teile oder mehr zu brechen, sie bohnerte die Böden und stieß unglücklich gegen jeden Gegenstand, der scheppern, klappern oder gleich ganz kaputt gehen konnte. Alles scheinbar Positive hatte aber auch seine Nachteile und der war sehr eindeutig zugegen. Da sie die einzig verbliebene Hauskraft außer Georg darstellte -dessen Aufgabe dies hier jedoch nicht war- blieb der durch den Krach entstandene Unrat an ihr haften.

Das Mädchen zerstörte und räumte auf. Welcher Zerstörer konnte das schon von sich behaupten? Einzigartig wie sie war. Alles diente natürlich dem ritterlichen Vorhaben, Ilias den letzten Nerv zu kosten, auf das ihm das Blutsaugen an Halbtoten verging.

Das Mädchen kehrte gerade die Scherben einer hässlich fetten Tonfigur zusammen, die ihr einen geradezu rekordverdächtig lauten Aufschlag beschert hatte, als sie annehmen musste, dass der Vampir des Hauses entweder nicht an seiner Einrichtung hing, oder Wattebäusche in den Ohren hatte.
 

Lilli wusste nicht wie es hatte passieren können, aber als sie gegen ein Uhr Morgens kurz in ihre Abstellkammer ging, erst nur um zu sehen ob ihre Koffer nicht schon Rattenfutter geworden waren, schlief sie ein.

Hatte sich nur geschwind auf die Obdachlosenmatratze fallen lassen und war weg. Derlei geschah äußerst selten. Aber sie veranstaltete auch äußerst selten Polterabende in einem Halbschloss, deren Säuberung auf sie zurückfiel.

Nicht dass sie als Belohnung in einen gütigen Vergessenheitszustand gedriftet wäre, vielmehr kam ein zusätzlich belastender Traum, der in dieser Nacht nicht Ilias, sondern ihr den letzten Nerv kostete.

Zermürbender, verwirrender Traum. Angesichts der Situation jedoch durchaus Vorstellbarer. Er kam, aber nicht von ungefähr. Einzig angsteinflößend war die ungewöhnlich realistische und scharfe Wahrnehmung desselben.

Der Schlaf hatte Lilemour übermannt, gerade wie in Wirklichkeit. Das verhasste Häubchen war binnen kurzer weggerutscht und der strenge Haarknoten hatte sich durch jede unbewusste Drehung weiter aufgelöst.

Im Traum aber, öffnete sie die schlaftrunkenen Augen und glaubte auf der Stelle eine Bewegung aus den Augenwinkeln gesehen zu haben. Und noch eine und eine Weitere.

Ob sie nun in Gefahr war, gehen sollte oder nicht, das war eine untergeordnete Frage. In Träumen vor allen Dingen. Denn selbst wenn Lilli es gewollt hätte, es hätte steuern können, es war ihr nicht möglich.
 

Ihr Körper war an die Matratze getackert, geklebt, gebunden, oder das, was dem ähnlich kam. So, dass sie sich nicht bewegen konnte und das war der springende Punkt. Alles verschleierte sich zunehmend, als hätte der Traum sich entschieden, doch noch ein anständiger Traum zu werden und seinen Eigenschaften treu zu bleiben.

Die Gedanken, der Raum, sie selbst und Ilias verschwammen zu Silhouetten. Um Letzteren sich der ganze Hergang vornehmlich drehte. Zusammen mit ihrer Person.

Er stand zu ihren Füßen wie ein Turm, so steinern und unerschütterlich, als wollte er die nächsten Jahre noch genau dort verweilen.

"Im Grunde bist du gar nicht so im Unrecht." Seine Stimme war weit entfernt, gleich einem Nachhall von Etwas und dann wieder so nah, dass Lilli überzeugt davon war, sie hätte sich direkt in ihrem Bewusstsein festgesetzt.

"Das Leben ist zu kurz um zu fasten und der Tod bei Weitem zu schade dafür."

Noch immer unfähig irgendetwas zu tun, dagegen oder dafür zu sagen, spürte Lilli wie in Watte eingehüllt, eine dumpfe Berührung an ihrem Bein. Die verlagerte sich höher und höher, schob ihr dunkelblaues Kleid vor sich her.
 

Wohin, wann, wo und vor allem wie, war nicht festzulegen. Ein undefinierbarer Druck, in Umarmung mit einem kleinen, kaum merklichen Stich, ließ Lilli leise aufseufzen. Obwohl sicher und fest in weichem Flaum gebettet, fühlte sie sich verrückt schummrig. Ein wenig wie bei einer gutartigen Kreislaufstörung, die einem wohlige Schauer über den Rücken jagte und gleich darauf wieder verschwand.

Lilli schauderte, als die Watte ihre Gestalt zart und weich, warm und luxuriös umschmeichelte, sich um sie herum zu bewegen schien. Oder bewegte sie sich selbst? Als wäre nichts mehr zwischen ihnen. Nur die Empfindung und ihre Haut.

Noch ehe sie sich diese Frage aber ganz gestellt hatte, war auch schon alles vorbei.

Kurz und heftig wie ein Regenschauer in den Tropen.

Die ungemütliche Härte der Matratze kehrte umbarmherzig zurück und deren Mief nach alt und staubig füllte erneut die Geruchssinne des Mädchens. Beinahe hätte sie eingeschnappt protestiert. Gegen etwas, dass sie noch nicht einmal verstand. Nur beinahe jedoch, wenn der hundertprozentige Schlaf nicht vollkommen Besitz von ihr ergriffen hätte.

Nicht der Hauch eines Traumes irgendeiner Art stellte sich weiterhin ein, doch die Erinnerung an den einen entschwand nicht wie die Regentropfen, die in der tropische Sonne so schnell trockneten.
 

"Mm."

"Hm?"

Lilli schlug die Augen auf, wie viele Mal noch in dieser Nacht? Hatte jemand etwas gesagt? Vielleicht Einbildung als Überbleibsel ihres verschlafenen Verstandes, der.......sie hatte geschlafen?! Das durfte doch nicht wahr sein! Im Dienst geschlafen! Wenn das einer erführe, es war unverantwortlich. Sie musste doch noch die Linsen aufteilen. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins..........

Aus ihrer Taubheit abrupt herausgerissen durch diese Feststellung, stemmte sie sich matt und unerklärlich kraftlos auf die Ellenbogen. Ihr anfänglich verschwommener Blick klärte sich nur langsam und der Atem ging merklich schwerer als sonst. Benommen legte sich Lilli eine Hand auf die Stirn und murmelte vor sich hin.

"Wie konnte ich schlafen? Ist es schon zu spät? Ich brauche den Beweis! Was is' nur los? Reiß dich zusammen! Wie viel Uhr? Gott, was für ein Traum?!"

"Viele Fragen auf die ich nur eine unumstößliche Antwort weiß. Es ist vier Uhr Morgens."

Bevor Lilli sich noch den Schlaf aus den Augen reiben und die gerade vernommene Stimme zuordnen konnte, hob derjenige skuril genug ihren Rocksaum hoch. Zusammen mit dem bei diesem Kostüm natürlich vorhandenen Unterrock. Wenn es etwas gab, dass ein wohlerzogenes Mädchen sofort hellwach werden ließ, egal wie tief man nun geschlummert hatte, dann zählte das zu den Top Ten. Aschenputtel hätte es sich auch nicht gefallen lassen, wenn sich ihr Prinz bei der berühmten Schuhprobe das herausgenommen hätte.

So auch diese junge Dame, sie sich am niederen Dachbalken hebend, die fremde Hand wegschlug und sich unverzüglich in eine jämmerliche Protektionsstellung geworfen hatte.

Dabei schnaufte sie zu angestrengt für ihren Geschmack.
 

"Was fällt Ihnen ein?!" Die Frage nach der Identität des offensichtlich Fremden, konnte nach hinten verlegt werden.

"Ich hätte es mir denken können" ,sagte der, "schon vergeben."

Lilli fuhr sich durch das zwischenzeitlich offen verwurstelte Haar und blieb so gut es eben ging auf Distanz. Ihr Puls schlug schnell und das nicht nur wegen dem plötzlichen Auftauchen dieses strohblonden, Unsinn redenden Vampirs. Vor wenigen Tagen noch, hatte sie noch nie einen Leibhaftigen zu Gesicht bekommen -womit sie zufrieden gewesen war- und nun war es schon der Dritte im Bunde in kürzester Zeit.

Seine Fänge, die er nicht zu verstecken suchte, blitzen im Licht der alten Nachttischlampe, als er lächelte. Hatte er sie angeknipst? Oder sie selbst?

"Wer....."

"Valentin! Welch unerfreuliche Überraschung dich hier und heute anzutreffen. Vor allem ohne die Erlaubnis und mitnichten einer Einladung. Hast du vergessen wo sich mein Audienzzimmer befindet und bist darum der Dienerschaft zu nahe getreten?"

"Der Dienerschaft?!" So musste er sie nun wirklich nicht im Lichte der Öffentlichkeit titulieren und wenn es sich dabei nur um einen weiteren dieser Nachtmare handelte.
 

Warum mussten sich Ereignisse immer überschlagen? Geschah erst etwas, dann konnte man mit Gewissheit sagen, dass sich gerade dann parallel laufende Absonderlichkeiten einschalteten. Das war ein Naturgesetz.

Kaum hatte es Lilli fertig gebracht ihren Mund aufzumachen, als wie durch den Urknall Ilias neben dem Fremden stand. Mit säuerlicher Miene und stocksteifer Haltung.

Der Eindringling verbeugte sich kurz und schmucklos (oh nein, schon wieder einer von der Sorte) vor dem Hausherrn. Die Geste wurde nicht erwidert.

"Oktavian schickt mich" ,erläuterte Valentin, wobei er den Eindruck machte, einen gewissen Respekt, gekoppelt mit einer guten Portion an Feindseligkeit gegenüber dem Schwarzhaarigen an den Tag -oder die Nacht- zu legen.

Ilias legte sich bedächtig die Hand auf das Kinn, während die dunklen Augen den anderen Nosferatu durchbohrten.

"Oktavian. So." Ein kleines, kaum sichtbares Lächeln spielte um seinen Mund, als Valentin es nicht für nötig erachtete zu nicken. Lilli währenddessen, konnte sich zwar nicht erklären warum sie in der Lautstärke eines Walrosses atmete, oder sich and die Wand lehnen musste um nicht umzufallen, oder was überhaupt im Gange war, aber dass sie übergangen wurde, das war klar. Und dass das Konferenzzimmer ihre Bruchbude war, ebenso.

Was also wollten sie gerade im fünften Stockwerk. Noch viel elementarer, was wollte der Blonde unter ihrem Rock?
 

"Ähem" ,räusperte sie sich und versuchte dabei ihre Haare zu glätten. Doch keiner der beiden beachtete sie auch nur im Ansatz. Deren übernatürliche Augen schienen sich in einem stillen Wettkampf zu messen. Bis Valentin den Blick schließlich senkte und Ilias boshaft und dunkel auflachte.

"Du, als sein Zögling" ,stellte er fest, "kannst dich wohl noch nicht allen seinen Befehlen entziehen. Bist noch immer sein Laufbursche."

"Ähem!"

Der Angesprochene überging die offenkundige Anspielung seiner Unselbstständigkeit, die ausschließlich von Loyalität herrührte und auch Lillis zweiten Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen.

Er wusste, dass Ilias nichts mehr verabscheute als jemanden, der nicht sein eigener Herr war, oder auch nur aus Schuldigkeit jemand anderem zur Seite stand. Er hatte nur wenig Verständnis für auch nur die leiseste Art von Freundschaft.

Valentin nickte kurz zu dem Mädchen, sah dabei aber unmissverständlich Ilias an.

"Lass uns die Sache unter vier Augen besprechen."

Na bitte. Dass sie nicht da sein sollte, das bemerkte man. Dass sie aber da war und dazu noch in ihrer eigenen Abstellkammer. Also das war doch!

"Weshalb?" ,fragte Ilias kokett, "sie ist nur sterblich. Heute noch da. Morgen schon weg. Kann ohnehin nichts damit anfangen. Erfülle deine Botenpflicht und sprich. Ich habe weitaus Wichtigeres zu tun."
 

"Ähem!"

"Sollte es Wichtigeres für dich geben, dann bist du nicht der richtige Mann den Oktavian ausgewählt hat."

Ilias lachte fast schon jugendlich erheitert, als er Valentin belehrend auf die Schulter klopfte.

"Nicht er hat mich auserwählt, sondern ich ihn."

"Ähem!"

"Sag ihm das" ,forderte Valentin auf und wollte die Hand von sich nehmen, hätte Ilias sie nicht längst wieder durch seine eigenen Haare gleiten lassen.

"Sag du es ihm, ich erlaube es dir."

"Ähem!"

"Du kannst es dir nicht leisten, es mit allen zu verscherzen, Ilias. Du bist nicht der Einzige von Bedeutung."

"Seit wann bist du der Meinung, ich könnte von Bedeutung sein?"

Valentin schien eine Erwiderung abzuwägen, entschied sich aber zunächst für den diskussionslosen Ausklang seines unfreiwilligen Besuches.

"Oktavian hat sich dazu entschlossen dich wissen zu lassen, dass........"

"Entschuldigt mal!" ,brauste Lilli auf und deutete auf den vampirischen Boten.

"Er da hat sich in mein Zimmer geschlichen und mir unter den Rock geschaut."

Abgesehen davon, dass sich ein wenig mehr Farbe als gewöhnlich in ihr Gesicht gemünzt hatte, war der Satz -den Tonfall außer acht gelassen- relativ objektiv, geradezu wissenschaftlich ausgefallen. Lilli brüstet sich innerlich schon mit dem Gedanken, ein thesenaufstellender Forscher zu werden, als beide Anwesenden des stärkeren Geschlechts sie kurz ansahen, nur um sich im gleichen Moment wieder abzuwenden.

Sie würdigten ihre Wenigkeit kaum mehr als eine einzelne Ameise beim Zuckerklau. Frustration. Das, in letzter Zeit Vorherrschenste ihrer Gefühle.
 

"Böser Valentin" ,schimpfte Ilias auf einmal vor Ironie triefend und stand in einer Zeitspanne, die zu kurz war um gemessen werden zu können, hinter Lilemour. Der taten ihre Wort bereits leid und das nicht umsonst.

Die Umstände wollten es, dass sie diese Tatsache erst bemerkte, nachdem der dunkelhaarige Vampir ihren Rock mit wenig mehr als dem kleinen Finger über ihren Kopf warf.

Taumelnd fiel sie auf die dadurch Staubfladen aufwerfende Matratze. Verbiss sich alle Erwiderung, während sie schnell ihren transparenten Unterrock wieder bedeckte und hoffte, dieser Valentin möge die Augen im entscheidenden Moment geschlossen haben.

Wann war eine Hoffnung jemals so hoffnungslos gewesen?

Weshalb hatte sie auch um Aufmerksamkeit gebeten? Die Ameise war zertreten, der Zucker ungenießbar.

"Fahr fort und beachte sie nicht weiter. Daran hat sie zu kauen. Es ist ihr nicht möglich allzu viel auf einmal zu verarbeiten. Zuletzt ist es ihr entfallen, dass sie hier nichts Architektonisches ihr Eigen zu nennen hat. Auch nicht dieses Zimmer."

Ilias lehnte sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen und musterte den anderen Vampir abschätzig, der das Mädchen aus den Augenwinkeln noch immer beobachtete. Sie glättete mit zusammengekniffenem Mund seit mehreren Sekunden die selbe Stoffalte und sah nicht auf. Bis zu diesem Augenblick, in dem sie Ilias imaginäre Dolche zuwarf.

"Was erlauben Sie sich, so über mich herzuziehen?!" Es kostete Lilli einige Mühe sich wieder aufzurichten und dieser Fakt stimmte sie nicht eben friedlicher.

Was war das für ein verhexter Tag?!

"Gar keinen Schimmer haben Sie von mir! Was ich kann und was......"
 

"Aber Valentin" ,unterbrach Ilias ungeniert, wobei er den Gemeinten belustigt betrachtete.

"Was sind denn das für begehrliche Blicke? Ich war stets der Meinung, du zögest gewiefte Freudenmädchen vor und nun ein Kind. Oder knurrt dir am Ende der Magen?"

"Ich bin kein Kind, Sie...."

"In der Tat" ,lächelte Valentin ernst, "verhält es sich in allem so wie du annahmst. Nun, manchmal muss man sich eben mit Zweitrangigem zufrieden geben. Nebenbei ist Abwechslung nicht das Verkehrteste. Ansehnlich ist sie obendrein. Dann darf ich hoffen, dass du sie mir überlässt? Als Ode an die gute, alte Gastfreundschaft."

"Sind Sie verrückt, Sie Emporkömmling?!" Wäre Lilli nicht halb so verwirrt und unfähig das alles zu verarbeiten, wie Ilias vorausgesagt hatte, es wäre ihr im Traume nicht eingefallen derartige Dinge um sich zu werfen. Andererseits, um was ging es denn? Um eine Weihnachtsgans oder um sie?!

Der Fremde streckte eine dünne Hand nach ihr aus, der Lilli sich nicht um alles in der Welt erwehren konnte und fing beunruhigend an, an ihr zu schnuppern. Seine eiskalten Augen, von denen zu allem Ungeheueren hinzu eines blau und das andere grün war, durchdrangen die ihren.

"Ilias, Ilias. Immer wieder gut für Überraschungen. Ein feines Personal als Snack hast du dir da angeschafft. So voller..........Unverschämtheit, dass es nur dir gefallen kann. Wieso hast du ihren Geist nicht unterworfen? Oder ist sie schlussendlich nur ein Mittel gegen unerwünschte Gäste? Du benutzt die Menschen für allerlei Perversitäten, das da würde mich auch nicht mehr wundern."

Der Herr schien wiedereinmal in der Bredouille zu sein, vergessen zu haben, dass sich der Gegenstand auf die seine kranken Vermutungen gerichtet waren, im Raum befand. Wer war hier unverschämt? Noch nie den Knigge gelesen?

Wie gerne hätte Lilemour ihn das gefragt, wenn sie fähig gewesen wäre, ein Wort heraus zu bringen. Ihre Kehle war zugeschnürt, samt den zehn Fröschen, die sie bevölkerten.

Dieses Gefühl hatte sie bereits kennen lernen dürfen, damals, am Rathausplatz.........

Bis er die Hand wegnahm und den Bann mit ihr. Lilli hustete, obwohl es nichts zu husten gab. Es war nur einfach, als müsste es so sein.
 

"Vielleicht dies, vielleicht das" ,antwortete Ilias, nicht im Mindesten aus der Bahn geworfen von irgendetwas oder irgendjemandem.

Kühl fügte er hinzu: "Zwischen uns existierte niemals etwas, dass auch nur im Entferntesten an Gastfreundschaft herangereicht hätte, also spare dir das leere Gerede. Meine Vorgehensweisen sind noch immer sehr viel ästhetischer, als......"

"Ein Snack?!" ,würgte Lilli, "oder mehr?! Perversitäten?! Soll ich Ihnen sagen wer ich bin und was ich hier mache? Nicht da.......

Ilias packte unvorhergesehen ihren schmalen Hals und zerdrückte die Frösche darin endgültig.

"Wage es noch einmal mich zu unterbrechen und ich......"

"Nun ja." Valentin ergriff von je her jede Chance den anderen Vampir in Unmut zu versetzen und sei es nur im Verbalen und sei es nur unter ihnen beiden. Wollte er nicht unterbrochen werden, so unterbrach er ihn. So einfach war das manchmal.

"Ich vergehe mich in allem was ich tue zumindest nicht an Unschuldigen, wie manch andere, mir weniger Befreundete, aber doch Bekannte. Und....oh! Verbessere mich wenn ich irre, aber sind nicht sämtliche deiner Opfer.......ja, wie soll ich es ausdrücken......."

Es war nicht nötig den Satz zu vollenden und wohl erreichte er so ohnehin den besseren Effekt, wenn man es Effekt nennen konnte.
 

Keine Regung spiegelte sich Ilias Gesicht, doch er stieß das Mädchen unsanft auf den Boden, um sich unumständlich auf ihren Rocksaum zu setzen. Leises Lachen erfüllte den Raum, als er die Arme hinter seinem Kopf verschränkte und sich auf Lillis Rücken breit machte. Die war dabei gewesen sich neu zu sammeln und sank mit einem ergebnislosen Protestlaut unter seinem Gewicht auf die Unterarme.

"Valentin, Valentin. Siehst du nicht, dass ich dabei bin, sie zu erziehen? Mach was du willst, nimm dir die verruchtesten, dreckigsten, verseuchtesten Frauen die du auf dieser Welt zu finden vermagst. Ich persönlich vertrete die Meinung, dass das Laster auf die Unschuld zu treffen hat und nicht das Laster auf das Laster. Lass dir raten dass, wenn überhaupt, du überlegter zu sprechen hast, oder ich reiße dir dein Herz aus der Brust um es roh zu verspeisen. Haben wir uns verstanden?"

Das hatten sie, denn Valentin besaß die unbezahlbare Fähigkeit zu wissen, wie weit man zu weit gehen konnte. Es war das Los des Verlierers die nächsten Worte unter den abfälligen Blicken des Siegers fallen zu lassen.

"Oktavian lässt dich wissen, dass sich im hohen Nordosten bereits einige der neueren Vampire zusammengeschlossen haben um sich gegen den Pakt aufzulehnen."
 

Lilli hielt die Luft an und dachte an ihr Gespräch mit Emilie. Sollte es schon so weit gekommen sein, dass.....?

Ilias jedoch machte eine wegwerfende Handbewegung, verlagerte seine Hüfte so, dass seine menschliche Unterlage schließlich doch unweigerlich auf den Bauch gedrückt wurde.

"Die Jüngeren sind ruhelos dabei die diversesten Proteste anzufachen. Ein Überbleibsel aus Lebenszeiten. Den Drang aufzufallen. Leere Demonstrationen, nur damit sie rebellieren können. Nichts Neues, jeder weiß es. Sie sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn nicht sogar eine zusätzliche Last. Die Zukunft der Lebenden mögen der Jugend gehören, unter den Toten ist es andersherum. Sag das deinem Schöpfer."

Valentin versteckte seinen Zorn über die Wortwahl des anderen mehr schlecht als recht, beendete aber die Sache, für die er gekommen war.

"Wenn du dir also sicher bist, dass jeder weiß wie wenig gelegentliche Zusammenschlüsse unter den Jüngeren zu bedeuten haben, dann solltest du dir ebenso bewusst sein, dass Oktavian nicht deshalb den Kontakt mit dir aufnimmt. Du bist für ihn nicht unerlässlich, Genosse."

"Die Zeit als Feind, Valentin. Komm zur Sache, falls du nicht hier bist um eine Fehde anzuzetteln. Ich habe keinen Handschuh in der Nähe, mit dem ich dir in dein bäuerliches Gesicht schlagen könnte."

"Sie haben einen Gönner" ,eröffnete Oktavians Bote, ohne weiter auf Ilias einzugehen, "Stawrogin."
 

Und das war das erste Mal, dass Lilemour so etwas wie deutliche Anteilnahme am Geschehen bei Ilias wahrnahm.

Sie fühlte erst wie er sich erhoben hatte, als die im Zimmer kursierende, kühle Luft wieder ihren Rücken streifte. Wenn er noch so tot war, warm war er trotzdem gewesen und Lilli wurde schlecht bei dem Gedanken daran warum. Jetzt galt es nur noch zu hoffen, dass das blonde Mädchen überleben würde.

"Stawrogin." Ilias ging ans Fenster und schaute mit leerem Blick auf die umliegenden, alten Villen.

"Er ist alt. Er ist weise, hat erkannt. Er ist mein Sprungbrett." Der Schwarzhaarige sprach wie zu sich selbst, während Lilli Mister Valentin nie aus den Augen ließ. ,Dann darf ich darauf hoffen, dass du sie mir überlässt' ließ sich nicht so leicht aus ihrer Erinnerung vertreiben.

"Oktavian selbst?" ,wollte Ilias wissen, als er mit einem Schritt wie es schien, den Raum durchquert hatte.

"Wird beobachten, wie sich deine Pläne mit denen Stawrogins decken und verwirklichen lassen. Ob sie sich nicht nur als Seifenblasen entpuppen. Sei dankbar dafür, dass Oktavian deiner gedacht hat, nachdem er die Neuigkeiten erfahren hat" ,entgegnete der andere so monoton wie abgelesen oder auswendig gelernt.

"Wo ist dein Voyeur, Valentin?" ,fragte Ilias weiter, ohne auf die Antwort zu reagieren.

"Gewähre ihm eine letzte, schöne Zeit, denn sie wird sich eher neigen als er denkt. Als irgendwer es für möglich. Gute Nacht, Valentin und grüße mir Oktavians Katze. Sie ist das einzig mutige Geschöpf eurer Sippe.
 

Oktavian, Valentin, Staw...noch etwas, Toni, Georg und natürlich Ilias.

Wie konnte man in weniger als vier Tagen solch prägende Bekanntschaften machen, von denen man die Hälfte noch nicht einmal gesehen hatte?

Lilli stand im Flur nachdem Valentin buchstäblich verschwunden war, zusammen mit dem Hausherrn und doch unabhängig voneinander.

Dass sie noch immer einen zu flachen Atem hatte und ihr von Zeit und Zeit schwarz vor den Augen wurde, schrieb sie der Aufregung zu. Die sie zur Genüge hatte.

Hatte sie überhaupt einmal geschlafen, die vergangenen Tage? Sie war sich dessen sicher und doch zweifelte sie es an. Müdigkeit waberte wie ein dunkle Wolke über ihrem Kopf und Ilias' knochiges Schulterblatt musste einfach einen Abdruck auf ihrem Rücken hinterlassen haben. Wo sie gerade dabei war: Dieser aufgeblasene, unverfrorene......

"Ilias?"

Lilli hätte am Liebsten laut aufgestöhnt, als sie den Namen, an dem so viel ihres Leides hing, mit so viel fragender Hingabe ausgesprochen hörte. Aber die leicht weinerliche Stimme ließ sie vergessen und sie drehte sich augenblicklich um.

"Oh!" ,staunte das halbtot geglaubte, blonde Mädchen, "wie geht es dir? Weißt du wo dein Bruder ist?"

Viel mehr interessierte sie offenbar nicht und dass Ilias Lilli vor einigen Stunden als erfroren abgestempelt hatte, war ihr wohl auch entfallen. Die verlogene Tatsache, Lilemour wäre Ilias' geisteskranke Schwester, war ihr jedoch noch im Gedächtnis haften geblieben.

Denn sie sprach jede Silbe so langsam und deutlich, ein Affe hätte sie problemlos verstehen können.

Natürlich. Der Vampir war nicht da und sie stand nicht unter seinem Einfluss, darum.......Ilias war nicht da! Und wenn er nur im anderen Flügel des Hauses war, die Zeit musste reichen!
 

"Du musst auf der Stelle hier raus" ,drängte Lilli ohne Umschweife und tiefschürfende Erklärungen und packte dabei das verwirrt schauende Mädchen an den Schultern.

"Er ist verschlagen und böse und außerdem ganz und gar unmoralisch! Glaub mir, wenn du jetzt nach Hause gehst, hast du nie eine bessere Entscheidung getroffen!"

Lilemour war besessen davon - verbotener weise- das arme Ding auf den richtigen Weg zu lenken, während sie sie Richtung Treppe schob und nicht auf ihre Widerstandsversuche achtete.

"Aber Ilias hat versprochen dass er wiederkommt. Er wollte....."

"Jetzt hör mir mal gut zu, ich......"

Zu spät realisierte Lilli, in welchem Zustand das Mädchen tatsächlich war, hielt inne und sah sie ungläubig an.

Nichts! Nichts! Es hatte sich nichts verändert seit sie sie vor Stunden gesehen hatte. Die junge Frau war nicht um ein Quäntchen blasser oder schwächer geworden. Aber wie.......wie war das möglich? Sie war sein Opfer, sein Mensch, sein Band, seine Nahrungsquelle. Er konnte nicht so einfach auf die Straßen gehen und......?!

"Komisch" ,durchbrach es Lillis ziellose Überlegungen, "so geisteskrank kommst du mir gar nicht vor, außer einer klaren Realitätsferne, die dich glauben lässt, dass dein eigener Bruder verschlagen ist. Obwohl, ich habe auch einen Bruder und ich sag' dir, vor dem könnte man manchmal wirklich nur noch fliehen. Eine entfernte Cousine von mir hat eine Freundin, bei der ist das irgendwie so

partiell. Manchmal ist die vollkommen da und dann wieder total plemplem. Echt krass dass es so was gibt."

"Wie heißt du eigentlich?" Lilli war viel verstörter als ihr Gegenüber es jemals gewesen sein konnte -falls die sich über die seltsamen Vorgänge überhaupt Gedanken machte- und beschloss darum, an den Anfang zurückzukehren.

"Sophie." Deren Tonfall war in die typische ,Ich bin nett, süß und stelle mich vor- Oktave' gefallen.

"Sophie. Erstens, hör auf jeden Buchstaben extra zu unterstreichen, ich verstehe dich voll und gut. Zweitens, sag mal Sophie, hast du unter dem Laken da etwas an?"

Da stand das etwa gleichgroße Mädchen vor ihr, mit verzottelten, langen blonden Haaren, barfuss und mit einem Segel wie Arielle es persönlich zur Mode machte, über den Schultern. Fehlten nur noch die Schiffstaue.

Allerdings wurde Sophie bei dieser Frage so rot, wie es die prächtige Mähne der Meerjungfrau nur gewesen war.

Das war eine Antwort unter dem Gütesiegel: Eindeutig.

Lilli zog sie seufzend am Arm und hinter ihr her, die Treppe hinunter, "komm, wir gehen jetzt......."
 

"Nirgendwohin."

"Ilias!"

Wer behauptete, dass nur Angst einem Kraftstöße erlaubte? Überwältigende Freude tat's auch. Ohne Mühe riss sich Sophie von Lilli los und rannte in die Arme des Meerhexerichs.

"Deine Schwester, sie ist ja gar nicht so......"

"Still nun" ,stoppte der Vampir den leidlich vorwurfsvollen Ansatz und legte einen schlanken Finger auf Sophies schmachtende Lippen.

"Geh zurück in dein Zimmer und warte."

"Wie lange?"

"Warte."

"Ja, gerne."

Nahezu schwebend begab sich die Blonde wie ferngesteuert in einen angrenzenden Flügel des Gebäudes.

Lilli fehlte die Energie ihr nachzulaufen, die sie vielleicht hätte aufwenden können, wenn es auch nur den kleinsten Erfolg versprochen hätte.

Schweigend sah sie an dem Vampir vorbei, der sich ebenso schweigend auf eine Stufe mit ihr stellte. Eine Treppenstufe, versteht sich.
 

"Ich will nicht erfahren, wie Sie es angestellt haben, dass sie noch immer so.....so gesund ist. Wenigstens so wie sie es zu Anfang der Nacht war. Ich weiß, sie brauchen das Blut und das schon reicht aus."

Lilemour verkniff sich jeden weiteren Kommentar, der sie höchstens in Verlegenheit gebracht hätte.

"Sex hält jung und vital. Mit wenig sonst kann man verbliebene Energiereserven dermaßen wirkungsvoll aktivieren."

"Ich sagte, ich will's nicht erfahren!" Gut, nun war sie doch verlegen, oder schlimmer, aber diese Genugtuung wollte sie ihm nicht geben.

"Es wundert mich nur" ,bemerkte die spitz, "dass sie dafür ein so modernes Wort benutzen, wo sie noch nicht einmal eine Heizung besitzen!"

"Es wundert mich nur" ,parierte er, "dass du gar kein Wort dafür auszusprechen wagst. Dabei ist es doch so einfach. Ja, grundlegend für jede Konversation, die interessant werden soll."

"Den Beweis, bitte!" Lilli war des Spielens müde, überdrüssig, gleichgültig und vor allem, wusste sie nichts zu kontern. Das war die beste Voraussetzung für einen astreinen Themensprung.

Sie hasste die Weise, wie dieses Ferkel sie erhaben und mitleidig anlächelte, immer gepaart mit einem Schuss an Verachtung. Jedoch streckte er ihr überraschend freigiebig die Hand hin und ließ etwas in ihre fallen.

Gerade so, als wäre sie nicht mehr als ein Bettelkind, ohne nennenswerte Rechte.
 

"Was soll das sein?" ,verlangte sie nun entnervt und missmutig zu wissen, nachdem sie den Gegenstand auf ihrer Handfläche betrachtete.

"Das hier ist nur mein Haarband. Das Mädchen lebt, wo also ist der Beweis dafür? Sie wissen ich muss ihn..........."

"Sieh an, ich kann deinen Verstand beinahe hören. Wie die Zahnräder sich bewegen, klick, klack, und einen Gedankengang nach dem anderen frei schalten, klick, klack. Du begreifst."

"Nein."

"Oh doch."

"Nein!"

"Meine Antwort ändert sich nicht."

Leichenblass sank Lilemour auf die Stufen, als ihr klar wurde, wieso genau Sophies Zustand sich nicht verschlechtert hatte.

Es war kein Traum gewesen. Es war kein Traum gewesen. Alles war wahr. Alles.

"Sie.....Sie.....Sie......"

"Ich muss mich nicht rechtfertigen, kann es mir spaßeshalber aber leisten. Du hast mir dein rotes Leben angeboten."

Lilli wandte ruckartig ihren Kopf zu ihm, um in seinen Augen etwas zu erkennen, dass ihr zeigte, dass er sie nur weiter quälen wollte. Dass er log.

"Gar nichts dergleichen habe ich getan, Sie Wahnsinniger!"

"Es hat dir gefallen."

"Gar nichts! Hören Sie!"

"Ich habe es gespürt."

"Nein, nein, nein, es ist nicht möglich!"

Ein weiteres Wort und sie würde kreischen wie eine Harphie.

Sie durfte jetzt nicht weinen, Valentin hat es auch nicht getan, als Ilias ihn gedemütigt hatte. Sie durfte jetzt nicht weinen, Valentin hatte es auch nicht getan. Sie dur.........
 

"'Hätten Sie sich eben ein anderes Opfer gesucht'. Das und genau das waren deine Worte." Ilias genoss seinen Auftritt sichtlich und schrecklicher weise hatte Lilli das Gefühl, er hatte sich schon die ganze Zeit auf diesen Augenblick gefreut.

"Aber......ich.....Ich meinte damit nicht.....nicht......"

"Nicht?!" Ilias klatschte gespielt empört über sich selbst in die Hände, "wo wir doch so ein vortreffliches Band zueinander geknüpft haben. Bedauerlich, dann habe ich deinen Wink wohl missinterpretiert."

"Nein....oh bitte.....nein!"

"Viele Variationen bringst du in deine Reden nicht mit hinein. Ich rate dir von einer Theaterkarriere ab."

Lilli verbarg ihren Kopf in den Armen und schüttelte ihn langsam, wie um damit alles ungeschehen machen zu können.

Der Vampir flocht äußerst gleichgültig und deprimierend ein: "Du bist überraschend zäh für deine schmächtige Gestalt. Es soll zugegeben sein, dass ich nicht damit mit rechnete, dich vor dem nächsten Sonnenaufgang wieder bei Bewusstsein zu sehen. Das verspricht einiges."
 

Er sah gelassen zu, wie Lilli schluckend ihren Rock hoch hob, um den offenkundigen Schaden zu begutachten. Tatsächlich wurde sie, in Form zweier sich am Oberschenkel befindlichen Einstiche, fündig.

Sie fuhr sich mit den Fingerspitzen über die leicht geschwollenen Stellen. Zeugen einer unglaublichen Tat, die sie sich an jede Einzelheit entsinnen ließ.

Mit unabwendbar feuchten Augen starrte sie auf ihr Haarband und dachte an nichts. Außer, dass sie diesen Beweis sicherlich niemals, niemals nach Hause bringen würde.

Niemand sollte wissen, dass sie durch ihre eigene Unvorsichtigkeit das Opfer eines Vampirs geworden war. Niemand! Er. Hatte. Sie. Gebissen.

"Sei froh dass es gekommen ist wie es kam, Mädchen." Ilias wandte sich ab und ging den Korridor entlang, den kurz zuvor Sophie genommen hatte.

"Es änderte mein Vorhaben im Bezug auf dein jämmerliches Leben ganz entscheidend. Es ist weder notwendig, noch gestattet heute zu deinem Orden zurückzukehren. Heute, oder irgendwann. Der Stein ist ins Rollen gebracht worden und keiner deiner sogenannten Verwandten wird ihn noch aufhalten können.

Betrachte mich als fahnenflüchtig und dich als dem Schoße deiner Heimat endgültig entrissen, entführt, oder wie du es gerne nennen möchtest. Richte Georg aus, alles notwendige zu organisieren und sich Zugfahrkarten für uns zu besorgen. Es wird uns in die Tiefen Russlands verschlagen. Stawrogin wartet nur ungern."

Abfahrt

Hallo alle zusammen und ja, wer hätte es gedacht: Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr! Wahrscheinlich das unzähligste Mal, dass ihr so etwas oder zumindest Ähnliches zu hören bekommt, aber es ist doch immer wieder nett. So einmal im Jahr ;-)
 

Tja, wie erhofft habe ich das nächste Kapitel noch vor Heilig Abend hochgeladen, fragt sich nur noch, wann Animexx es frei schalten wird -.-

Wir werden sehen. Hoffe natürlich dass es euch gefallen wird und Ilias bei einigen von euch nicht für immer in Ungnade fällt (so schlimm is' er ja gar nicht! ;p)

Um hier ganz offiziell Namen zu nennen, vielen Dank an : Sarora-chan, Star, Endellion, Rie_chan, ajiato, Oceana, Tasumi, Krylia_9, zoe-san, fiZi, und tarantula88!!!!!!!!!!!!!

Für die Kommentare natürlich. Aber auch sonst ;-)

P.S.: Das Kapitel ist wiedereinmal verboten lang.
 

Bis demnächst würde ich dann sagen und bis dahin, viele Geschenke und.....ähhh, viele Geschenke ;p

Schöne Feiertage!!
 

Grüße, Fany

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So weit war es also gekommen. Es hätte ihr klar sein müssen, von dem Moment an, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.

Augenblick, es war ihr klar gewesen, nur ihren Vorgesetzen nicht. Das wäre leider maßgebend gewesen.
 

18.35 Uhr, an einem unglücksbringenden ersten Tag des Novembers 2004, saß Lilemour so niedergeschlagen wie niemals zuvor in einer königlichen Badewanne und starrte vor sich auf den reichlich vorhandenen Schaumberg. Ab und zu schlich sich ein Tropfen aus dem Wasserhahn und platschte geräuschvoll in die randvolle Wanne.

Lilli hörte, und sah es nicht.

Sie dachte daran, vielleicht nicht mehr nach Hause zu kommen, nicht wieder Emilie zu sehen und selbst als was zu enden?

Ilias' Aussagen über ihre Zukunft sowie sein genaues Vorhaben in Russland waren mehr als wage. Was er auch von sich gab, war gleichfalls so verschieden zu interpretieren wie die Vorahnungen Nostradamus.

"Gott, gib mir Kraft!" Lilli tauchte mit dem Kopf unter Wasser. Warum sie das Recht haben sollte Gott anzurufen wusste sie auch nicht. Viel gläubiger als der Durchschnittsbürger war sie nicht und tat was sie alle taten. Wenn es ihnen dreckig ging, dann war Gott plötzlich wieder relevant.
 

Sie wäre geflohen, heute nach Sonnenaufgang. Das Schicksal hatte bestimmt, dass sie nicht einmal mehr alleine zu ihrem Zimmer gekommen war.

Georg hatte sie gefunden. Hatte sie nichts gefragt und getan, als pflücke er tagtäglich ein paar Mädels von den Treppenstufen. Vielleicht tat er das ja.

Genauso wie alles andere was Ilias ihm auftrug, er brauchte dafür kaum mit der Wimper zu zucken.

Vor nicht ganz einer Stunde hatte sie beim Staubwischen (mehr traute sie sich noch nicht zu) beobachten können, wie der Vampir dem bereits wartenden Diener die schlafende Sophie wortlos in die Arme drückte. Der verschwand mit ihr.

Lilli konnte nur erahnen, dass die Erinnerungen der Blonden an ihn und alles hier gelöscht worden war. Falls Ilias sie nicht hatte auf die Reise mitnehmen wollen. Danach sah es glücklicherweise nicht aus.
 

Mit lautem Geplätscher tauchte Lilli wieder auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Eines nur war so sicher wie dass es im Winter keine Tomaten gab. Irgendwie musste sie, koste es was es wollte, den Orden benachrichtigen.

Zu aller forderst sollten sie sich gefälligst um ihre Freilassung kümmern, denn ihre Arbeit war hiermit hinfällig geworden.

Sie war nicht mehr Bewacher, gesendeter Nachtwächter. Gefangen, das war die neue, klangvolle Tätigkeit, der sie höchst unfreiwillig nachging.

Danach würde Lilli im Beisein Evgenis, Jean-Lucs, Trudis, Robertas und Garreths möglicherweise noch das gestrige Gespräch der beiden Vampire um den Pakt erwähnen.

Oh ja, das Abenteuer ging unzweifelhaft los.

Wie nur würde sie es anstellen eine Nachricht zu senden, bevor......
 

"Die Spuren des Bisses werden sich nicht wegwaschen lassen, gleichgültig wie lange du dich badest."

Das warme Wasser schlug Wellen, so sehr war das Mädchen zusammengezuckt, als ihr rechtes Auge nur noch schwarz wahrnehmen konnte.

Eiligst sammelte sie den verbliebenen Schaum um die wichtigsten Partien und richtete ihren wutentbrannten Blick demonstrativ auf die zu ihren Füßen hängenden Handtücher.

"Ich kann dir nichts wegschauen, wo sich nichts befindet" ,gab Ilias weiterhin gelangweilt von sich, während er sich so hinstellte, dass Lilli ihn einfach ansehen musste.

"Sie schrecken wohl vor gar nichts zurück, was?" ,vermutete sie, wobei sie wie automatisch immer tiefer in die häuslichen Fluten sank.

"Nein" ,antwortete er wahrheitsgemäß, "schon gar nicht in meinem eigenen Anwesen."

"Ich habe es mir nicht ausgesucht hier zu sein."

"Doch du bist es, die Umstände sind unwichtig."

"Sie haben mir erlaubt zu baden."

"Jetzt erlaube ich dir damit aufzuhören."

So nahm er ein Handtuch, dass ihm nur so zuzufliegen schien und breitete es vor sich aus. Meinte er das etwa im Ernst ernst?! Glaubte er, sie würde sich wie selbstverständlich von ihm einwickeln lassen?!

Sein Gehirn musste bei seinem Tode einen echten Schaden erlitten haben.
 

Lilli war der Gedanke wohl anzusehen, denn erlächelte wie ein Dieb, der mit einer Million Euro davon gekommen war.

"Ein Fingerschnipp und du küsstest mir die Füße. Versuchen wir es zu Beginn anders. Ich bleibe hier stehen bis deine Hülle sich in Elefantenhaut verwandelt hat, du verhungerst, oder an Vergiftung zu Grunde gehst, solltest du das Seifenwasser trinken."

"Irgendwann wird es Tag werden" ,flocht Lilli zufrieden ein, nur um einen weiteren Schlag hinnehmen zu müssen.

"Siehst du hier ein Fenster? Kein Sonnenstrahl wird mich treffen. Dachtest du, ich verbringe alle Tage meines Todes in einem Sarg? Wozu habe ich ein Haus mit den dichtesten Vorhängen die man auf unehrliche Weise erstehen kann?"

"Was wollen Sie eigentlich?! Was habe ich Ihnen getan?! Gestern hatten Sie noch jede Menge Wichtiges zu tun. Das hier ist das überhaupt Überflüssigste und......gehen Sie doch einfach!"

"Um chronologisch der Reihe nach zu gehen" ,setzte Ilias an, "ich habe Spaß daran, du hast das Pech aus einem mir unsympathischen Orden zu stammen, gestern hatte ich in der Tat noch einiges zu tun, heute sieht es wieder anders aus. Ich habe nicht vor zu gehen. Wenn du weitere Fragen hast, drücke die Eins."

"Bitte" ,konnte sich Lilli nicht verkneifen, "dann sterbe ich eben hier."

"Nur zu."

"Sie werden den Zug verpassen."

"Ich habe alle Zeit der Welt."

"Ich dachte, Staw -noch etwas wartet nicht gerne."

"Wer wartet schon gerne. Aber warum sollte ich ihm entgegenkommen?"

Für einen kleinen Moment spielte Lilli tatsächlich mit dem Gedanken, einfach aufzuspringen und ihm die Augen auszukratzen. Leider war sie in jeder Hinsicht im entscheidenden Nachteil und sie war nicht verblendet genug, das nicht zu erkennen.
 

"Meister!" Lillis Kopf schoss bei Georgs vertrauter Stimme sofort in die Höhe, während Ilias gelassen das Handtuch zusammenfaltete und es mitten in die Wanne schleuderte, so dass ganze Wasserwellen über den Rand schwappten.

"Noch einmal unverdientes Glück gehabt."

Er war gegangen, bevor sich das Mädchen überlegen konnte, weshalb der Vampir seinem Diener stets so viel Bedeutung zumaß.

Noch niemals zuvor in ihrem Leben war Lilli so schnell aus einem so herrlichen Badezimmer gerannt. Als sie an den großen Fenstern vorbeihechtete, konnte die draußen vor dem Eingang einen Polizeiwagen ausmachen und hätte am Liebsten laut gejauchzt.

Ihr Freund und Helfer! Wer sagte, dass die Menschen zu blöd waren? Sie hatten offenbar erkannt, dass hier etwas nicht stimmte und wie Recht sie hatten!

Ihre nassen Haare klatschten Lilli ins Gesicht, als sie sich hinter das Treppengeländer kauerte um vielleicht den ein oder anderen Gesprächsfetzen unten in der Eingangshalle aufzuschnappen.

Äußerst befriedigend konnte man es jedoch nicht nennen, denn die zwei Beamten, korrekt in ihr leuchtendes Grün gekleidet, klebten mit den Augen nur so an Ilias' Lippen. Der machte eine galante Geste und die Bullen fingen herzlichst zu lachen an. Der Dicke klopfte dem Vampir sogar freundschaftlich auf die Schulter, während der andere lautstark die Inneneinrichtung lobte. Etwas lief nicht so wie es sollte!

"Wenn Sie nicht aufpassen, meine Dame, dann holen Sie sich noch eine Erkältung."

"Georg!" Lilli wandte sich mit rasendem Herzen um.

"Erschrecken Sie mich nie wieder so! Ich dachte schon..."

Ja, was dachte sie? Dass Ilias an zwei Orten zeitgleich sein konnte und sie auf einmal Siezen würde?

Der Hausdiener führte sie in das geräumige Wohnzimmer, in dem sie schon einmal die Ehre gehabt hatte, den lokalen Ofen anzufeuern.
 

"Was hat das zu bedeuten?"

"Herr Valentin wird sie geschickt haben" ,antwortete Georg, dem auf der Stelle bewusst war, um wen die Rede ging.

"Valentin...." ,zweifelte Lilli, der nicht klar war, worin der Sinn liegen dabei sollte.

Der alte Mann griff den Faden bereitwillig auf, wobei er hier und dort säuberlich die Teppichfransen kämmte.

"Nun, der Meister hat einen ......Hang dazu, sich unter Seinesgleichen mehr Gegenspieler als Freunde zu schaffen und...."

"Nicht nur unter Seinesgleichen! Aber schon geschnallt" ,lachte Lilli, kindisch stolz auf ihren fixen Verstand.

"Sie stänkern sich an wo es nur geht und legen sich Haufenweise ganze Steinschläge in den Weg. Der eine droht dem anderen ihm das Herz rauszureißen, während eben dieser gleich das Auge des Gesetzes schickt."

Sie seufzte, "völlig umsonst wie ich befürchte."

"Im Praktischen ja, im Theoretischen nein" ,stimmte Georg halb zu.

"Er ist einer der wenigen, die es wagen Meister Ilias die Stirn zu bieten und wenn es nur auf banalster Ebene geschieht. Es sind nichts weiter als kleine Störungen, die beleidigen. Ein Kreislauf, denn......"

".....denn jetzt muss Ilias den nächsten Zug machen" ,vermutete Lilli richtig und kam dabei sogleich auf ein anderes Thema. Eines, dass sie um ein Vieles mehr beschäftigte als auf Missgunst basierende Streitereien.
 

"Er....Ilias....er hat gesagt, dass ich mit euch nach Russland fahren muss. Dass......dass ich nicht länger meiner Familie verpflichtet bin, dass er mit dem Pakt endgültig gebrochen hat und ich.....ich keine andere Wahl habe, als......"

Das Wort 'Geißel' lastete schwer auf ihrer Zunge, doch sie wollte es nicht aussprechen.

Georg nickte verständnisvoll, aber doch so, als hätte er selbst die ganze Chose mit Ilias ausgeheckt.

"Ich weiß", gab er zu, "trotzdem bin ich überzeugt davon, der Meister wird Ihnen nicht das Leben nehmen, wenn es das ist, was Sie befürchten."

"Sie haben gut reden!" Lilli spielte mit einem gigantischen Windspiel, welches in seinem Ton die Glocken von Notre Dame hätte ersetzen können.

"Er wollte mich gerade eben in der Badewanne langsam dahinsiechen lassen."

Dass er sie am Tage zuvor gebissen hatte, ließ sie aus, wenn Georg es nicht längst wusste.

"Ich kann.....habe keine Möglichkeit zu fliehen, oder?"

Die Antwort war erwartet gewesen und dennoch schnürte es Lilli die Kehle zu, als sie den Diener mitleidig seinen Kopf schütteln sah.

Wäre Valentin nicht einer dieser abscheulichen Blutsauger, bei Gott, sie würde ihm Tür und Tor öffnen, um Ilias die CIA, das FBI, die Kriminalpolizei, die Mafia, oder Van Helsings Nachfahren auf den Hals zu hetzen!
 

Mühselig verbannte sie den Gedanken an ihre liebe Emilie, die nicht einmal erfahren würde, was aus ihr geworden war. Ob sie überhaupt noch lebte, oder nicht. Ob sie sich mit Baldrian doch noch endgültig eingeschläfert hatte.

Der Orden würde sich erst einschalten wenn eines seiner Mitglieder mehr als drei volle Tage und Nächte ohne Nachricht nicht zurückgekommen war. So die Vorschriften.

Bis dahin waren sie doch schon über alle Berge, gerade mal ein Tag war verstrichen.

Wie die Dinge standen, war es nicht einmal gesichert, ob man ihr Hilfe senden würde. Zu wichtig waren die einzelnen Kräfte für die Überwachung der nicht mehr zu ignorierenden Unruhen und zu unwichtig ihre Person.

"Wann müssen wir gehen?" Lilli versuchte sich auf das Unweigerliche zu konzentrieren, denn wenn man etwas zu denken hatte, lief man weniger Gefahr sich in einen tränenden Sturzbach zu verwandeln.

"Der Meister und Sie werden in zwei Stunden am Bahnhof in Stockach erwartet."

Wie viele Schocks auf einmal konnte man eigentlich verkraften?

"Sie gehen nicht mit!?"

"Nein. Ich bedauere aufrichtig, aber der Meistern wünscht das Haus nicht unbeaufsichtigt."

So ein Nein hatte ihr das letzte Mal ins Herz geschossen, als es ihr verboten wurde, sich die Abenteuer der Gummibären im Fernseher anzusehen.
 

"Bitte!" Fest nahm Lilli Georgs, von Altersflecken übersäte Hand und drückte sie vielsagend.

"Lassen Sie mich nicht mit ihm allein! Bitte!"

Die kindliche Kaiserin aus der unendlichen Geschichte hätte nicht flehender um einen neuen Namen beten können. Nur drehte es sich hier nicht um eine Fantasiewelt, sondern um die harte Realität. Die ihr plötzlich zärtlich anmutend über den Kopf strich.

Ohne sich umzusehen wusste sie wessen Hand da lag, deren Fingernägel sich bei einer kleinsten Bewegung in ihren Schädel bohren könnten.

"Georg" ,rügte Ilias gespielt eingeschnappt, "was hast du dem armen Kind erzählt? Dass ich Vertreter ihrer Art zum Abendessen verspeise? Oh Georg, wusstest du nicht, dass die Wahrheit ein schnelles Pferd braucht?"

Er ließ etwas in Lillis Schoss fallen und zeigte sich dabei, als hätte er einen stinkenden Fisch in die Biomülltonne befördert. Es handelte sich um Samson, ihr kameliges Kuscheltier aus Kindertagen.

"Was ist?" ,fragte der Vampir indolent, "ich hoffe du kannst unter dem Schutz dieses Stoffbeutels Schlaf finden. Kleinkinder haben die unglaubliche Fähigkeit......."

"Was kramen Sie in meinen privaten Sachen herum?" Lilli presste Samson an ihre Brust und war mehr als peinlich berührt über diesen Auftritt. Sie wollte nicht dass jemand fälschlicherweise dachte, sie schliefe mit einem Kuscheltier. Obgleich es Ilias so aussehen ließ, war es doch nur einen Erinnerung. Eine Erinnerung an weit aus bessere Zeiten.

"Mein Haus, meine Zimmer, meine Einrichtung, mein Stoffbeutel."

Er leierte den Satz herunter, als ginge es um nicht viel mehr als einen Einkaufszettel und zog Lilli unsanft am Arm hoch.

"Nimm mit was du für unerlässlich hältst. In zehn Minuten bist du Haupteingang. Eine Verspätung und dem Tier werden die Innereien abhanden kommen."

Fort war er. so schnell und geräuschlos wie der Wind, der mit den Vorhängen des gekippten Fensters flirtete.
 

"Bahngleis Vier, Ankunft Zug Stockach, Richtung München."

Die Computerstimme hallte durch die belebte Halle des Provinz Bahnhofs. Keiner zollte ihr Aufmerksamkeit, sie gehörte dazu. Die meisten Leute wussten ohnehin wann und wo sie einzusteigen hatten.

Es war kalt. Lilli seufzte auf, ihr Atem tanzte weiß in der Luft vor ihr. Beladen mit einem Koffer, der wirklich nur das Notwendigste beinhaltete, plus Samson dem Kamel, stand sie vor den Schienen. Rieb sich die Hände, die trotz Handschuhe fast abgestorben waren und verfolgte das makabere Schauspiel, dass aus einem schlechten Film zu stammen schien. Oder aus einem Drei Groschen Roman.

Zwei Männer, die wie die Leibgarde des spanischen Königs aussahen, hieften mit wichtigen Mienen einen recht schmucklosen Sarg in einen der Waggons. Er war so tief schwarz wie Ilias' Haar und genauso kühl, glatt und unheimlich wenn man ihn sich ansah. Doch nicht weniger edel und perfekt in seiner eigenen Schönheit.

Einige Leute fingen zu tuscheln an, während sie verstohlene Blicke auf den Waggon mit der seltsamen Ladung warfen. Vielleicht beäugten sie aber auch nur den Besitzer selbst, der die ordentliche Einquartierung seines tragbaren Reisebettes überwachte.

Einen siebten Sinn brauchte man allerdings nicht für eine klare Vermutung. Da es Vampire der umgreifenden Forschung gemäß jedoch nicht zu geben hatte, und die Welt nun einmal entzaubert war, sahen sie in Ilias nur den verqueren Wunsch zu sein was er gar nicht sein konnte. Ein schwarzer Romantiker. Womöglich ein Satanist.

Trotzdem würden sie zu Hause allen erzählen, was sie da Witziges gesehen hatten. Die matten Laternen taten das Übrige. Wie abnormal musste er erst bei Tagesicht aussehen?
 

Oh nein! Hatte er sie gerade angepeilt?! Wollte er etwa herkommen?! Auf dass alle sahen zu wem sie eigentlich nicht gehörte, aber momentan doch!?

Sie war nicht da! Lilli tat so, als wäre sie besonders konzentriert mit ihrer Jackentasche und deren fehlendem Inhalt beschäftigt, da sie auch schon den Saum eines oberpeinlichen Mantels neben sich bemerken musste.

Es war wohl schon zu spät den Schaffner anzuquaken.

"Komm", sagte Ilias einfach und hakte sie bei sich unter, weil er mit seinen vampirischen Fühlern (oder auch so) natürlich merken musste wie unangenehm ihr die abschätzenden Blicke der anderen waren.

Er nahm ihr zuvorkommend den Koffer ab und küsste ihre Hand. Eine Oma grunzte pikiert und zwei Kinder mit roten Bäckchen kicherten. Alles was noch fehlte war ein Heiratsantrag.

Zumindest hatte er ihr gnädigst erlaubt, sich in ihre normale Kleidung zu werfen und das grausame Bedienstetenkleid am Haken zu lassen.

Sie hatte sich schleunigst an neugierige Augen zu gewöhnen und hoffte nur, nicht zu oft umsteigen zu müssen.
 

"Schneller! Schneller! Wozu sind sie denn Taxifahrer, wenn....."

"Bleib doch locker, Emilie" ,riet Toni, der die blonde Frau davon abhalten musste, dem schwitzenden Fahrer auf den Schoss zu steigen.

"Locker?! Locker?! Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so locker gewesen, wenn man das Verhältnis von Situation zu Gefühl nicht außer Acht lässt! Wir werden den Zug niemals erreichen!"

"Wir haben noch vier Minuten" ,beschwichtigte Toni.

"Siehst du! Siehst du! Du hast nicht gesagt 'ja, wir erreichen den Zug noch', du sagst mit nur zum hundertsten Mal wann er dort hält!"

"Weil du mich die neunundneunzig Mal davor gefragt hast, Emi!"

Der Vampir spanischer Herkunft (die er zumindest in seinem Verhalten nicht leugnen konnte) nahm Lillis beste Freundin und Stiefschwester, die gleichzeitig seine Geliebte war bei den Schultern und erbat still den Blickkontakt.

"Entweder wir erreichen den Bahnhof bevor sie umgestiegen sind, oder eben nicht. Dann bleibt uns immer noch die Möglichkeit offen....."

"......alle Anschlusszüge in alle Richtungen abzuklappern, ehe sie weiterfahren." Emilie lehnte sich in den Sitz abgewetzten zurück und ballte die Hände.

"Ach Toni. Es sind....Dutzende Züge mit denen sie weiterfahren können, zu einem nächsten Flughafen, nach Frankreich, Italien, Bangladesh, Barcelona, Moskau, Istanbul, Yokohama, Alaska und was weiß ich wohin. Wäre aus diesem alten Knacker von einem Duckmäuserich nur mehr herauszuholen gewesen. Nicht einmal ihr Ziel wollte er uns verraten."

"Es wundert mich" ,überlegte Toni laut, "dass er uns überhaupt etwas preisgegeben hat. Auf Verrat seinem Meister gegenüber, und vor allem diesem, steht nicht gerade eine gediegene Gehaltserhöhung."

"Wären wir nur früher....."

"Sind wir aber nicht, Emi. Was gelaufen ist, ist gelaufen!"
 

Das Mädchen schüttelte wild ihre engelsgleichen Locken.

"Der Orden! Wie konnten sie nur so stur bleiben und nichts vor der Zeit unternehmen. Wo sie doch genau wussten in welcher Gefahr sie schwebte? Ich hasse sie! Ich hasse sie und allen voran Evgeni. 'Sollen wir das Militär rufen, nur weil das Kind einen Tag nicht nach Hause kam? Sie wird dort Holzhacken müssen.'" ,wiederholte sie in einem harten Akzent die Worte des Ungar. Sie waren außerdem das Erste was Toni zu hören bekam, als er an diesem Abend erwachte.

Emi hatte mit verweinten Augen an seinem Bett gesessen und ihm von Lillis dauernder Abwesenheit und von der ihrer Meinung nach gleichgültigen Reaktion der Ordensvorsitzenden erzählt.

Toni hatte ihr zuvor geraten, die Dinge nicht zu überstürzen, entgegen seiner eigenen negativen Vorahnung. Dieses mal war er auf der Stelle mit Emi zur Leonardenstraße aufgebrochen. Ihr zu Liebe, denn Lilli kannte er nur im halben Delirium.

Dort angekommen, war nur der ältliche Diener zu finden, der sie weniger erstaunt, als vielmehr erwartungsvoll ansah. Wäre der Hausherr anwesend gewesen, Tonis Schicksal wäre am seidenen Faden gehangen.

So kam es schließlich, dass sie seit über zwei ein halb Stunden in einem Taxi nach München saßen, um das ungleiche Duo am Umsteigen auf der Reise nach wohin auch immer hindern wollten. Mussten, wenn er sich Emi jemals wieder reinen Gewissens nähern wollte.

Toni verdrehte die Augen.

"Verdammt man. Heute wäre die perfekte Nacht zum Chillen gewesen."
 

"...."

"...."

Lilli konnte es nicht lassen, zu den nebenliegenden Sitzen zu schielen. Wie der Zufall es wollte, teilten sich vier Damen, gekleidet nach dem letzten Modeschrei, eine Tüte gebrannte Mandeln. Das, wenn sie nicht gerade grinsend Ilias von der Sohle bis zum Scheitel musterten. Der würdigte sie keines Blickes, denn er war vornehmlich damit beschäftigt Lilemour anzusehen. Gerade so als wäre sie ein Fernseher, der die neuesten Bilder eines Terroranschlages zeigte.

"Was ist?" ,flüsterte sie mit scharfem Unterton, aber so leise, damit ihre Stimme im allgemeinen Gemurmel nur ihren Gegenüber erreichen konnte.

"Nichts."

"Dann starren Sie mich nicht so an!"

"Ich starre nicht, und wenn ich es tät, so wäre das meine Sache. Ich tue was mir beliebt."

"So möchte ich den Herrn höflichst darum bitten, seinen Blick von meinem Antlitz zu wenden" ,zirpte Lilli in altmodisch gängigem Ton, aber nicht ohne Spott.

"Sehen Sie doch mal nach links, zu den Tuss....zu den Frauen da! Die würden sich zweifelsohne freuen! Sie machen sich gerade über ihren Mantel lustig, von dem sie glauben er würde aus den Hochzeiten der Pest stammen."

"Falsch" ,lächelte Ilias, lehnte sich zurück und schlug seine zugegebenermaßen wohlgeformten, schlanken Beine übereinander.

"Sie fragen sich wie alt ich bin, ob ich mit dir liiert bin und ob sie es wagen können, mich nach meiner Adresse zu fragen, falls nicht, oder falls doch."

"Sie Angeber! Schneiden Sie nicht so auf, mich müssen Sie ganz sicher nicht beeindrucken" ,stellte Lilli klar, obwohl sie nicht an der Wahrheit seiner Worte zweifeln konnte. Zu deutlich war die teils bewusste, teils unbewusste Körpersprache der jungen Frauen.
 

Binnen einem Wimperschlag saß Ilias direkt neben ihr und eines der Mädchen keuchte erschrocken auf. Wie schön, dass Lilemour zwischenzeitlich nur noch einen halben Herzschlag bekam, wenn er seine High Speed Bewegungen einsetzte.

Warum verwandelte er sich nicht gleich in einen Wolf mit fletschenden Zähnen, damit die Modevictims auch etwas geboten bekamen.

"Ich weiß, denn du bist bereits beeindruckt. Außerdem, kann ich sie hören" ,wisperte er ihr ins Ohr, was ihr unwillkürlich einen Schauer über den Rücken jagte.

"Sie reden über die Möglichkeit in mir einen Nachfolger des verunglückten Roys für Siegfried zu sehen und befürchten, dass ich dich jetzt küssen werde."

Erschrocken stieß Lilli gegen die harte Brust des Vampirs und brüllte beinahe zu ihrem maskenartig geschminkten Publikum.

"Ihr könnt ihn haben. Ich gehöre sicher nicht zu ihm! Aber raten würde ich es euch trotzdem nicht, falls ihr nicht auf Sado- Maso abfahrt!"
 

Nach einem ersten perplexen blöd aus der Wäsche schauen, drehten sich die Angesprochenen überheblich lachend um. Man konnte die Sätze a la "wie ist die denn drauf? So ein Mauerblümchen! Glaubst du die sind verwandt?" ,oder gar, "die ist doch nur so spleenig, weil sie bei ihm abblitzt" ,deutlich hören. Es war Lilli herzlich egal.

"Sado- Maso" ,warf Ilias ungefragt ein, "zur Hälfte zurückzuführen auf einen gewissen Donatien Alphonse Franscois Marquis de Sade, der die schon im normalen Geschlechtsverkehr enthaltene sadistische Nebenkomponente in seinen Praktiken verstärkte. Festgehalten in seinen grausam-perversen Romanen, während er im Zuchthaus saß. Einige seiner Ideen sind ganz brauchbar und auch er war in jedem Diskurs ganz unterhaltsam, seine Zeche konnte er deshalb trotzdem nie bezahlen."

Die Frauen packten eiligst ihre reichlich vorhandenen Einkaufstüten der teuersten Labels und wechselten das Abteil.

Lilli presste ihre Stirn mit geschlossenen Augen gegen das heilsam kühle Fenster. Bei diesen Romanen musste es sich um die Bibel des Vampirs handeln.
 

"Nächste Haltesstelle, München Hauptbahnhof."

Die monotone, immer ein wenig näselnde Stimme des Lokführers, sorgte für Ablenkung. Der Koffer Lillis befand sich gut verstaut über den Sitzen und sie hatte ihre liebe Mühe den da runter zu bekommen, ohne sich selbst oder einen anderen Fahrgast zu erschlagen.

Da realisierte sie, dass von Ilias nicht mehr die geringste Spur geblieben war und ihr unterdrückter Fluchtinstinkt holte sie mit unglaublicher Kraft ein.

Natürlich, er musste sich um seine schmucke Holzkiste kümmern!

Plötzlich schien wieder alles möglich. Plötzlich schienen alle Wege offen, ohne Hindernisse. Frei, wohin sie auch sah. Konnte es am Ende so einfach sein?

Gehetzt begann Lilli ihre Chancen auszurechnen, sich den geschicktesten, naheliegensten Ausweg zusammenzustellen. Nur ganz cool bleiben. Noch war der Zug nicht zum Halten gekommen, obgleich man die quietschenden Bremslaute deutlich zu hören vermochte.

Es war durchaus möglich, dass er in weniger als zwei Sekunden wieder auf der Matte stand, mit seinem anrüchigen Lächeln, oder der ausdrucklosen Kassiermiene kurz vor Ladenschluss.

Ihre Hoffnung aber lag auf.....

Entschlüsse mussten im rechten Augenblick gefasst werden und so ließ Lilemour ihr Gepäck ohne Rücksicht auf Verluste (Samson, finde einen netten neuen Besitzer!) fallen und rannte Hals über Kopf in die entgegengesetzte Richtung von der sie wusste, dass der Waggon mit dem Sarg lag.

Keuchend vor innerer Anspannung sprang sie über andere Koffer, schob Leute zur Seite, riss Schiebetüren auf und zu, wobei das Mädchen die empörten Worte der in Mitleidenschaft gezogenen Passagiere überhörte. Sie würden ihr verzeihen, wüssten sie von ihrer anfänglich auswegslosen Situation.

Die Schattenumrisse der Menschmassen auf den gut beleuchteten Bahngleisen wurden deutlicher, stetig langsamer zogen die noch gesichtslosen Köpfe an den reflektierenden Fenstern vorbei, bis der Zug schließlich zischend zum Stehen kam. Lilli achtete auf nichts, als sie die Türe in die erhoffte Freiheit aufdrückte um sich hinauszustürzen.

Ob die Leute, die ihr interessiert oder misstrauisch hinterher sahen sie nun für einen äußerst schnellen Taschendieb hielten, oder für ein armes Schwein dass seinen Zug verpassen würde, sie musste hier weg!

Wohin spielte noch keine Rolle, einfach nur fort so weit es ging. Am Besten aus München raus, oder die nächste Mitfahrgelegenheit direkt zurück nehmen. Fort von diesem Bahnhof, nur, wo ging es lang?
 

"Hier ist sie auch nicht!" Emilie sprang aus einem schicken ICE, hatte jedoch keinerlei Augen für den zuvorkommenden Schaffner, der sie nach ihrem Vorhaben fragen und ihr wenn möglich helfen wollte.

Achtlos überging sie seine Frage zu diesem Thema und lief wie mental in einem Horrorstreifen gefangen an dem verdutzen Mann vorbei.

Toni schüttelte kurz den Kopf, "hab auch nichts gefunden."

Das Taxi und der Fahrer, der nach diesem James Bond reifen Ritt wohl einige Tage Urlaub brauchen würde, hatte die Beiden vermeintlicher weise rechtzeitig an den Bahnhof gebracht.

Der Zug mit dem Ilias und Lilli angekommen sein mussten, war kaum zum Stehen gekommen, als sie sich von beiden Seiten hineinwarfen. Über Koffer sprangen, Leute zur Seite schoben, Schiebetüren auf und zu machten, Motze bezogen.

Bis sie sich wieder gegenüberstanden. Keiner mit Wissen über die Gesuchte. Das war die letzte Hoffnung gewesen.

Ihre darauf folgende Selbstkasteiung, sich alle Züge vorzunehmen die im Begriff waren abzufahren, diente ausschließlich dem Wunsch, alles getan zu haben, was getan werden konnte. Denn es war nicht möglich alle unzähligen Züge, ober-, wie unterirdisch zu durchkämmen und genauso unwahrscheinlich, Lilli gerade in einem der Kontrollierten zu finden.
 

Emi war den Tränen der Verzweiflung nahe.

"Kannst du sie....ich weiß nicht, kannst du sie nicht irgendwie....hören, riechen? Oder..."

Die junge Frau raufte sich die Haare, "oder die Aura des anderen Vampirs ausfindig machen? Etwas in der Art! Hokuspokus und so!"

"Hey" ,antwortete Toni lässig, "bleib mal auf'm Teppich! Hast du schon mal gesehen, wie Antonio Banderas den Boden abschnuppert, Brad Pitt unter Tausenden zwei Stimmen, von denen ihm eine völlig unbekannt ist, heraushört, oder Tom Cruise seine Gegner paranormal erkennt?"

Die Basisidee Tonis war es gewesen, Emilie ein wenig aufzuheitern und genau die scheiterte kläglich. Seine Freundin fing mitten im Getümmel an, ihr Leid lautstark zu bekunden.

Der Vampir versuchte den wildgewordenen Menschen zu beruhigen, was sich als äußerst schwierig herausstellte, wenn der einem immer wieder die Hand wegschlug.

"Belästigt Sie dieser Mann, meine Dame?" Der nette Schaffner von vorhin hatte das blondgelockte Mädchen nicht aus den Augen gelassen und die Szenerie mit gewisser Anteilnahme verfolgt. Wenn er auch nicht alles vollkommen verstanden hatte.
 

"Emi" ,warf Toni versöhnlich ein, während er den Beamten geflissentlich übersah.

"Ich bin einfach noch zu jung, Emi."

"Ja" ,stimmte der Schaffner redselig zu. "Sie sollten ihr Herz nicht an Grünschnäbel hängen, meine Dame! Ich war immer der Meinung, dass Frauen mit reiferen Männern besser bedient sind!"

Toni hob lächelnd Emis Kinn an, "ich muss die Fähigkeiten erst mit den Jahren erwerben. Das kommt nicht von Heute auf Morgen. Verzeih mir."

"Meine Rede" ,nickte der Bahnbeamte, "meine Rede. Gut, dass ich diese Jahre schon hinter mir habe."

Keiner nahm den Wink auf.

"Aber..." ,schluchzte Emilie, "aber du bist doch schon achtundsechzig."

Da wurde der Schaffner ganz Ohr.

"Wir sollten das Fräulein auf die Krankenstation bringen. Das wäre wohl das Beste, sie scheint nicht völlig bei sich zu sein. Kommen Sie!"

Er machte einige Schritte allein in Richtung Hauptgebäude, als er Tonis nächste Worte vernahm.

"Diese Leistungen stellen sich frühestens nach hundertfünfzig bis zweihundert Jahren nach dem Tode ein, Emi, und dann ist es noch nicht einmal sicher ob wir mit ihnen umzugehen wissen."

"Ich glaube nicht, dass Zeit nach dem Tod noch eine Rolle spielt" ,bestimmte der Schaffner für sich und errang damit zum ersten und letzten Mal Tonis Aufmerksamkeit.

"Das kommt schwer auf die Umstände an, Opa, sehr schwer!"
 

Fortsetzung folgt!

Missglückt

;-)

Ich will meine Reden mal wieder kurz halten und hoffe wie immer, dass euch das Kapitel gefällt. Und keine Angst, Lilli wird schon noch auf ihre Kosten kommen^^

Vielen Dank für die Kommentare, sie bauen mich auf und spornen mich an (aber das muss ich ja nicht extra sagen ;p)
 

Wünsche euch also eine große Portion Spaß beim Lesen!

(Ich nehme einfach mal an, dass ihr Weihnachten und Neujahr gut überstanden habt. Wahrscheinlich mit ein paar Kilos mehr und vielleicht auch mit den letzten Raketenüberresten auf dem Vorhof, aber was wären die Feste ohne solche Dinge? ;-)
 

Bis demnächst und viele Grüße,

Fany

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"Und jetzt?! Und jetzt?! UND JETZT?!"

Zweimal! Zweimal war Lilli nun schon auf ihrem unüberlegt koordinierten Fluchweg unter die stickige Erde gelozt worden, von Gleis vier bis zehn hatte sie alle passiert und dabei wollte sie doch nur aus diesem Gewühl heraus! Aus dem Bahnhofkomplex.

Überall dachte sie, Ilias zwischen den Leuten gesehen zu haben. Sie war verfolgter als verfolgt, dazu hin von ihrer eigenen Fantasie.

Es konnte doch nicht so schwer sein einen Ausgang auf die offene Straße zu finden! Wie viel Vorsprung sie wohl noch hatte? Hatte sie überhaupt noch einen? Vielleicht.....dieser Gedanke ließ noch einmal alle Energie in ihr aufleben, als das Mädchen jeweils vier Stufen in einem nahm um wieder an die schneidend kalte, aber frische Luft zu kommen.

Wäre nur irgendjemand da, der ihr würde helfen können! Gab es so jemanden überhaupt?

Langsam drehte sie sich um die eigene Achse, damit sie sich an den blinkenden Schildern orientieren konnte. Wie die vielen Male zuvor erkannte sie nur, dass hier in der Gegend ein neuer Mediamarkt eröffnet haben musste, der seine Werbung großzügig verbreitete: "Mediamarkt, ich bin doch nicht blöd!"

Nun, sie war es offensichtlich., oder gab es noch einen Zweiten, der im Angesicht echter Not keinen gepflasterten Ausweg fand?
 

"Kann ich ihnen helfen, meine Dame?"

Lilli hätte dem Schaffner vor Schreck beinahe einen KO Schlag verpasst, wäre ihr die blaue Uniform nicht so fremd ins Auge gestochen. Deutsche Bahn AG.

Schwer atmend und von den Dämpfen der Züge sicherlich schon halb vergast, nickte sie hektisch.

"Raus! Ich muss hier raus!"

"Klaustrophobie?" ,wollte der Beamte wissen uns sah sie forschend an. Nicht dass sie ihm hier umkippte, Luftmangel schien sie bereits zu haben.

Dieses Mädchen war dem Gesichtsausdruck nach in dem selben Horrorstreifen gefangen, wie die gelockte Blonde vorhin mit ihrem unverschämten Partner. Hatte ihn Opa genannt.....

Lief ein neuer, grenzensprengender Kinofilm aus Hollywood, von dem er noch nichts gehört hatte?

"Nein" ,keuchte Lilli, "ich muss......muss nur schnell nach Hause, auf die Straße, damit...."

"Oh jesses, ein Straßenkind! Kommst womöglich noch aus Russland, wie? Hast gedacht in Deutschland würden Milch und Honig fließen, wie? Mein Gott, wenn die Aufklärung nur besser wäre!"

"Nein!" Dieser Kerl verstand auch gar nichts. Wenn man es einmal eilig hatte!

"Nein. Ich brauche ein Taxi, wo stehen die? Wo?" Ihre Stimme wurde schriller und sie musste sich zurückhalten den Schaffner nicht ordentlich durchzuschütteln, der mit seiner Begriffsstutzigkeit. Musste unter dem selben Stern wie sie geboren sein.
 

"Ahhh, das ist von hier aus tatsächlich ein wenig kompliziert, aber........soll ich Sie begleiten? Wie es der Zufall will habe ich gerade ein paar freie Minuten."

"Nein. Sie sind viel zu langsam. Erklären Sie es mir einfach, oder weisen Sie mir wenigstens die Richtung! Bitte!"

Der Beamte blähte seine Backen auf. Die Jugend von heute wurde immer unverfrorener. Hatten die Eltern keine Zeit mehr um sie zu erziehen? Früher war er schließlich in der Fußball A Liga seines Dorfes vorne im Sturm. War so schnell, dass sein eigener Schatten Mühe hatte, ihn einzuholen und da kommt dieses Balg und behauptet er sei lahm!

"Also ich muss schon sagen, Mädchen. So kannst du doch nicht mit mir......"

"Bitte! Er könnte jeden Moment kommen. Die Zeit drängt!"

"Warum haben es heute nur alle so eilig? Sind sie zufällig auch achtundsechzig Jahre alt?"

Lilemour bekam zu ihrem Unglück diesen Satz nicht mit, denn sie war wieder damit beschäftig wie wild um sich zu schauen, um den Feind so früh als möglich erkennen zu können. Wie wenn das einen Unterschied machen würde.

"Wenn Sie mir wirklich helfen wollen, dann geben Sie mir eine Antwort. SOFORT!"

Der Schaffner schüttelte unverständig den Kopf.

"Willst du, dass ich die Polizei rufe? Wenn du meinst verfolgt zu werden, dann. Ich mein, besser übervorsichtig, als....."

"Geht nicht" ,heulte Lilli fast, "die Polizei vergöttert Ilias! Die Richtung, bitte! Vorne, hinten, rechts, links, diagonal?"

"Du bist auf der Flucht vor einem Epos von Homer?!"

"SIE!!!!!"

Nun war Lilli doch dabei den ärmsten Schaffner am Kragen zu packen.

"Gerade aus bis zum Eisstand und dann rechts die Treppe runter bis zur Imbissbude. Von da an, immer dem dicksten Menschenstrom nach!"

Er hatte noch nicht gänzlich ausgesprochen, da war das blässliche Mädchen verschwunden. Sie hätte eine gute Stürmerin im Fußball abgegeben.

Heute Nacht sollte er seinem Chef dafür danken, nur pfeifen und Zugtüren betätigen zu müssen. Das war so herrlich stressfrei. Obwohl man nicht einmal mehr hier sicher war.
 

Da war die Imbissbude! Jetzt nur noch dem Hauptzulauf folgen, gleich hatte sie es. Ja! Lilli lachte Freudentränen, als sie das Meer an Taxis endlich ausmachen konnte. Es zeriss ihr beinahe die Nerven nicht an den vielen quasselnden Leuten mit ihrem überladenen Gepäck vorbeizukommen. Manche schienen demnach nach zu den Philippinen auswandern zu wollen.

Unruhig manövrierte sie sich hin und her wie beim Ausscheren auf der Autobahn, um die schnellste Spur zu erwischen.

Wie immer gab es die nicht. Irgendwo war stets einer, der anhielt um seinem Kind die Rotznase zu putzen. Aber dann.......

"Mama schau mal da! Da hängt ein Kamel!"

Von allen Stimmen und Tonlagen in allen Gesprächen die um sie herum stattfanden, fing sie ausgerechnet dieses entzückte Kinderorgan auf. Als müsste es einfach so sein.

Mit einem unglaublich starken Gefühl des Magenzusammenziehens, folgten ihre Augen widerwillig dem kleinen Zeigefinger, um einen Alptraum wahr werden zu lassen.

An einem Baugerüst zur Restaurierung eines meterhohen Geländers, hing an einem abgetrennten Kabel ihr stranguliertes Kuscheltier. Samson. Das Fell schien durch den Dreck gezogen worden zu sein und überhaupt sah er im Ganzen so aus, als wäre er gerade von einem Non Stop Flug aus Neuseeland zurückgekehrt. Ohne Schlaf, Essen und Trinken. Ob er wohl sehr litt?

Es war nichts zu machen, manchmal musste man eben etwas opfern um das Größere zu möglich zu machen.

Ohne auf die klare Bedeutung zu achten, brachte Lilemour die Reisenden vor ihr grob auseinander und spurtete zur Zielgeraden. Aufgeben durfte nicht sein, sie war schon zu weit unter zu vielen Mühen gekommen. Außerdem hätte es Samson so gewollt!
 

Das erste erreichbare Taxi nahe der Ausfahrt sollte es sein, welches das Steuer zu ihren Gunsten drehen würde. Ihre eigenen Schritte hallten laut in ihren Ohren. Beinahe wäre sie gestolpert.

Lilli riss fast gewalttätig die Beifahrertüre auf, als die Welt aufhörte um die Sonne zu kreisen.

Für einen kurzen Moment und offenbar nur für sie.

"Danke dass du mir die Tür öffnest, ich fasse die verklebten Aufmach - Klack- Dinger so ungern an."

Wie vom Donner gerührt sah sie Ilias geschmeidig aus dem Auto steigen und plapperte wie apathisch vor sich hin. Irgendeine Hand lag willenlos auf dem Sitz, zu welcher der Besitzer schattenhaft in der Lehne hing.

"Sie haben den Fahrer ermordet."

Der Vampir machte eine Geste, die entfernt an ein Naserümpfen erinnern konnte.

"An so einem mache ich mir mit Bestimmtheit nicht die Hände schmutzig. Er schlummert ein wenig und träumt vom Teufel. Die Wärmequelle in diesem fahrbaren Kasten ist dermaßen angefacht, dass er eher an einem Hitzeschlag sterben wird, denn an Erfrierungen. Um dein Gesicht zu sehen, war es mir allemal wert ihn mental zu überrumpeln."

Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, der nicht mit unendlichem Selbstmitleid getränkt war, trottete Lilemour neben Ilias her, für den sich die Menschenmengen von selbst zu teilen schienen. Keiner merkte, dass man allerorts für ihn Platz machte.

Sie wartete. Wartete auf den großen Knall den es geben musste, weil sie ihm hatte entfliehen wollen und es nicht schaffen konnte. Das, zu einem übermächtigen 'Looser- Gefühl' hinzu. Ja, sie hatte das 'L' auf dem Rücken.

Ihre verstohlenen Blicke, die sie von Zeit zu Zeit auf Ilias warf, fanden keine Spur irgendeiner Regung. Nun, glücklich würde er wohl nicht über ihren kläglich gescheiterten Versuch sein. Oder doch, denn dann hatte er einen guten Grund um sich zu rächen.

"Ich hoffe, du konntest deine freie Zeit genießen" ,sagte er.
 

Lilli glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie an den ganzen Intercity Expresse und anderen Hochgeschwindigkeitszügen vorbeiwanderten, nur um auf Gleis neun vor der wahrscheinlich ältesten Lok zu stehen, die ganz München, nein, ganz Deutschland zu bieten hatte.

Dampf quoll aus den Seiten, sie war ungepflegt und hier und da zeigten sich sogar unübermalte Rostansätze. Kurz, das Ding sprach einen nicht an und hatte ihre Jungfernfahrt schon vor fünfzig Jahren haben müssen.

Aber was spielte das für eine Rolle? Es machte keinen Unterschied wie sie nach Russland kamen, wenn es sowieso unabwendbar war.

"Ist sie nicht nobel?" Der Vampir strich im nichtssagenden Plauderton mit dem Zeigefinger an den Fenstern vorbei, ohne sie zu berühren.

"Sie ist so....."

"Alt, lahm, hässlich, laut und stinkend" ,vollendete Lilli in gleicher Stimmlage, fuhr mit der Hand an den Fenstern vorbei und zeigte ihm den jetzt vor Dreck stehenden Handschuh. Warum sollte sie nicht sagen was sie dachte, wenn Ungnade ohnehin das einzigste war, dass sie zu erwarten hatte.

Weshalb tat er, als wären sie aus Spaß unterwegs und sie sein Georg Ersatz?

Ilias hielt ihr die Türe auf, was nichts anderes als ein schlechtes Omen bedeuten konnte. Vielleicht wartete da drinnen ein von ihm angeheuerter Werwolf um sie zu......ihre Fantasie ging einmal wieder mit ihr durch. Hoffte sie.

"Bis nach Salzburg werden ihre Schrauben zusammenhalten."

"Was wollen Sie in Salzburg?"

"Dahin fährt der Zug."

"Bloß weil Sie mit eben diesem schrottreifen Zug fahren wollen, müssen wir einen Umweg machen?"

"Was ändert die Lage daran ? Für dich?"
 

Lilli blieb mitten im ziemlich leeren Gang stehen, "sagen Sie schon!"

"Kannst du diese Frage mit den zulässigen Worten möglicherweise ein wenig genauer bestimmen."

Die Schiebetüre quietschte, als Ilias sie betätigte ohne sie angefasst zu haben und sie beide im verlassenen Abteil standen.

"Tun Sie nicht so scheinheilig. Ich bin abgehauen, ausgebüchst, geflohen, hab die Kurve gekratzt. Oder um es für sie verständlich zu machen, ich habe das Weite gesucht und es nicht gefunden. Was also habe ich zu erwarten?"

"Du erwartest etwas?"

"Tss!"

"Magst du denn keine Überraschungen?" ,wollte er nun wissen, während er sich desinteressiert auf einen der abgewetzten Sitze niederließ. Sie folgte ihm unaufgefordert. Weniger aus Gehorsamkeit, als vielmehr automatisch, ohne nachzudenken.

"Nicht solcher Art."

Ihre schmutzigen Handschuhe knallten neben ihr auf den Sitz.

"Schade. Es liegt an jedem selbst was er daraus macht."

Nachdem Ilias seinen achtzehnten Jahrhundert Mantel ausgezogen hatte, war er sogar relativ geschmackvoll gekleidet. Die Frage war jedoch, wie viel man falsch machen konnte, wenn man vornehmlich schwarz auf schwarz trug. Sein helles Gesicht, ein wahrhaft gespenstischer Kontrast.
 

Die Wut über ihre fehlgeschlagene Flucht und die unverschämte Gelassenheit des Vampirs, hing ihr dick im Hals. Sie hatte die unbändige Lust irgendetwas zu zerstören und am Liebsten das makellose Marmorgesicht ihres vis a vis.

"Gib mir Bescheid ehe dein Zorn dir aus Mund und Nase läuft. Ich habe noch ein Taschentuch dass ich dir abtreten könnte. Es gehörte einem Gardisten um 1730."

Lilli biss die Zähne zusammen um nicht noch durchschaubarer zu werden und lenkte unter größter Disziplin das Thema um. Wie das Taschentuch heute wohl aussah? Ein Museum würde sicherlich einiges dafür hinblättern. Woran um Himmels Willen dachte sie nun wieder?!

Eines schönen Tages, würde sie Ilias einen Pfahl durchs Herz treiben und wenn sie gegen alle Regeln des Paktes verstieß. Falls der bis dahin noch existierte........

"Wieso nehmen wir kein Flugzeug? Es würde uns Wochen ersparen."

"Hätte die Natur gewollt, dass der Mensch fliegt, hätte sie ihm Flügel gewährt."

"Was für ein ausgelutscher Satz von uralt Opas."

"Ich hasse diese Luftmaschinen." Das war schon direkter.

"Sie hassen alle Maschinen."

Ilias versagte ihr eine Antwort, die auf der Hand lag. Doch Lilli war noch lange nicht zufrieden.

"Wieso manipulieren Sie den Fahrkartenkontrolleur nicht? Die Menschenmassen teilen sich für Sie wenn Ihnen gerade der Sinn danach steht, aber teure Bahnkarten kaufen Sie sich. Wie widersprüchlich."

Ilias holte mit einer unsichtbaren Bewegung seine Fahrkarte aus der Hosentasche und fuhr andächtig über die Oberfläche.

"Ich mag das Geräusch wenn die Billets entwertet werden."

Sie musste hier weg. Irgendwie und wenn sie sich ein Bein ausreißen musste!
 

"Ein Mädchen, blonde Haare" , sagte Ilias auf einmal unzusammenhängend und schaute lustlos aus dem Fenster.

Lilli hätte ihr Gesicht an die Scheibe pressen müssen um mehr als ihr eigenes Spiegelbild sehen zu können. Andererseits, was kümmerte sie schon seine Wahrnehmung? Weshalb sollte sie es interessieren wie viele Leute da draußen in der Finsternis um 23.30 Uhr mit blonden Haaren rumstiefelten?

"Ein Vampir, ihr Begleiter. Er ist jung."

Das ließ Lilemour entgegen ihrer ursprünglichen 'Ich ignoriere ihn ab jetzt- Absicht' doch aufhorchen. Obwohl es sicher keine Seltenheit war, dass ein junger Blutsauger sich auf einem Großbahnhof befand, kam ihr doch sofort nur der eine in den Sinn. Der eine, den sie kannte. Konnte es sein? Nein, denn wie wäre es möglich dass.....?

"Sie kommen."

Da war es Lilli zu viel und sie steuerte ob einer neuen Hoffnung doch das Fenster an, wobei es allerdings einige unvorhersehbaren Probleme gab. Man strafe die Neugierde.

Ilias zog sie zu sich herüber und legte den Arm um ihre Schultern. Mit einer Bewegung, die normal menschlich und ihr doch unheimlich war.

Sein Körper strahlte wenig Wärme aus, lief er etwa auf Reserve? Der Gedanke, wie immer erschreckend.

Man stelle sich vor, ihr Blutduft in seiner Nase, wie für den hungrigen Sterblichen ein halbes, gut geröstetes Hähnchen.
 

"Bemühe dich nicht" ,riet er ihr, "der Zug fährt in etwas mehr als zehn Minuten, sie werden ihn durchsuchen."

"Durchsuchen?" Seine langen Finger mit den stattlichen Nägeln, hingen leblos neben ihrem Gesicht. Wie schnell sie sich doch in gefährlichste Waffen verwandeln konnten.

Der Zug füllte sich allmählich, wenn er auch nicht halb so voll wie der Letzte war. Die Meisten hatten wahrscheinlich Angst, das Ding würde auf der Fahrt auseinanderbrechen.

So wie ihre Nerven in dieser Stunde.

Sein Zeigefinger strich liebkosend über ihre zarte Haut an der Wange. Sie wurde rot. Natürlich entgegen ihrem Willen. Das hier hatte nichts Romantisches.

Vielleicht waren ein paar Passagiere beim Sarg Umladen anwesend gewesen und waren nun möglicherweise schon wieder der irren Meinung, sie gehörte fest zu ihm. Zu einem.......sollte er mit seinen Spinnenfingern doch verschwinden!

Eine gute Minute später jedoch waren die ihr herzlich egal. Ebenso wie die Leute.
 

"Emilie!"

Das war mehr als ein Wunder. Ein Weihnachtswunder, ungeachtet dessen, dass es noch über 1 1/2 Monate dahin waren. Lillis Herz machte athletisch hochkarätige Freudensprünge, als auch der Rest aufspringen wollte.

Denn ihre beste Freundin war (verrückt wie die Welt war) dabei, ihr Abteil zu durchstreifen, wobei sie prüfend alle Sitze mit den Augen abtastete.

"Ich erinnere mich an sie. Vor ein paar Tagen hat sie dich auf den Stufen meines Hauses aufgelesen" ,ließ Ilias sie wissen, hatte dabei jedoch andere Pläne als Lilli.

Das zeigte sich spätestens daran, da er sie einmal mehr bewegungsunfähig an seine Schulter bannte. Wurde das jetzt etwa zur Norm?!

Nun. Was machte es schon, sollte er auch jeden Tag eine gewisse Anzahl an mentalen Fesseln um sie legen. Emilie würde sie ja sehen, gleich würde sie an ihren Plätzen vorbeikommen und dann.................."

"Emilie" ,strahlte Lilemour, während sie die übergreifende Nähe des Vampirs kaum mehr wahrnahm.

"Ich hab immer versucht die Bescheid zu geben, Emi! Ich wollte dir alles erzählen!...... Übrigens, das ist nicht so wie es aussieht, er hat mich nur gelähmt, aber es tut nicht weh, ist also kein Problem! Wie bist du hierher gekommen? Ich meine so ganz ohne..........Emilie?!"

Das Mädchen mit den Engelshaaren lief an Lilli vorüber ohne viel mehr als einen kurzen Blick in ihre Richtung zu werfen. Als wäre der Platz leer. Leer.

"Nein!" Ihr Kopf ließ sich mühelos zu ihrem Nebensitzer drehen und sie schenkte ihm einen verzweifelten Blick.
 

"Was soll das?" ,wollte Lilli aufgebracht wissen.

"Was ist mir ihr? Warum nimmt sie mich nicht wahr?!"

"Ist das so schwer zu begreifen. Sie kann uns nicht sehen. Für sie ist diese Ecke ganz einfach unbesetzt."

Nett, dass er überhaupt antwortete aber klar, wenn man beachtete wie sich jedes einzelne Wort mit Nachdruck in ihre Brust bohrte.

"Emilie! Schau mich an, Emilie! Hier bin ich! Emi, bitte!"

"Könnte sie dich hören, wäre die Sache witzlos."

Wie witzig das doch war.

"Emi......Lassen Sie mich mit ihr sprechen" ,bat Lilli, worin sie ihre verbliebene Chance sah.

"Ich verspreche, nicht mit ihnen zu gehen, ich bleibe. Ich will ihr nur sagen, dass sie sich keine Sorgen um mich zu machen braucht und...."

"Wer garantiert, dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht?"

Wenn Ilias dieses Schauspiel nicht diebischen Spaß machte, dann wollte sie die Thronerbin von England sein.

"Kommen Sie schon" ,versuchte sie es weiter, "eine Sekunde nur, ich will....."

"Diese Sekunde ist bereits verstrichen. Bedauerlich dass der blonde Ordensabkömmling gerade nicht hingesehen hat."

Ok, sie durfte nicht aus der Haut fahren, sonst war alles verloren! Einfach unterwürfig bleiben, auch wenn man es nicht so meint. Nicht im Mindesten!
 

"Ich will ihr doch nur sagen, dass es mir gut geht, ich...."

"Es geht dir also gut in meinen Armen?"

"Bitte! ,brüllte Lilli fast, "bevor sie weg ist!"

Ilias sah entspannt und unbeteiligt aus dem Fenster als er sprach.

"Ich erinnere mich an jemanden, der wäre bereits weg wenn er gekonnt hätte."

"Ah, darum geht es! Das ist die Überraschung, wie? Die Vergeltung, stimmt's?"

"Wenn du es so nennen willst."

"Sie haben sich schon an meinem unschuldigen Samson vergriffen!"

"Aber an dir noch nicht."

"Na schön!"

Tief Luft holen und den Ring eröffnen, dachte sich Lilli, überwand Hass und Scheu und drehte seinen Kopf zu ihr. Es überraschte sie, dass er sich so einfach anfassen ließ, wo er doch wissen musste was sie vor hatte.

Ihre Fingerspitzen trafen auf glatte Haut, frisch aus dem Kühlschrank.

"Ich bin wirklich noch jung" ,begann sie verständnisvoll sich selbst gegenüber, "da darf man doch Fehler machen! Sie waren doch auch mal in dem Alter. Sind bestimmt schon mal geflüchtet als Sie....eine Fensterscheibe eingeschlagen haben, oder? Nun, ich habe nicht einmal eine Straftat begangen, aber davon wollen wir absehen. Jedenfalls schlage ich vor, dass Sie ein Auge zudrücken und an ihre eigene Jungend denken.

Wenn Sie wollen, putze ich ihnen bei Gelegenheit dafür die Schuhe. Fairer Deal, meinen Sie nicht?"
 

Irgendetwas hatte ihm an ihrem Vorschlag missfallen, denn der Unsichtbarkeitszauber (wie sie ihn nannte, wenn man derartigen Dingen schon einen Namen geben musste) löste sich nicht auf. Im Gegenteil. Hilflos musste sie mit ansehen wie Toni wenige Schritte vor ihr auftauchte um Emilie zu sich zu rufen. Hätte Lilli nur die Hand ausstrecken können!

Ernst sahen sich die beiden an, Toni schüttelte den Kopf und Emi schaute auf den Boden. Als ob Lillis Todesurteil gerade unterzeichnet worden wäre.

Selbstredend mussten sie sich genau hier treffen. Nicht in dem Abteil am anderen Ende des Zuges, noch nicht einmal ein Abteil weiter. Nein, hier musste es sein, vor ihren Augen. Quälend. So nah und doch unerreichbar.

"Toni! Sieh gefälligst her, du Scherenschleifer!! Höre mich! Du bist ein verdammter Vampir, du musst doch einfach spüren was hier vor sich geht!"

Ilias lachte leise, "er ist wirklich noch jung, da darf man doch Fehler machen. Seine Sinne sind längst nicht ausgreift genug, um auch nur den Hauch einer übernatürlichen Präsenz zu spüren. Gesetz dem Falle, sie hätte etwas dagegen und das hat sie."

"Emi, warte doch" ,flüsterte Lilli, nachdem das Paar den Zug unverrichteter Dinge verlassen hatte. Sie sank in sich zusammen, denn mit dem Abmarsch der beiden hatte sich auch ihre Bewegungsfreiheit wieder eingestellt. Zu spät für sie und gerade richtig für die Grausamkeit in Person.

Das war eine Strafe gewesen, die hatte gesessen! Wer hätte denn auch ahnen können, wie nahe die Rettung ihr gewesen war? Theoretisch. Sie wäre nie auf die Idee gekommen zu fliehen.

Ilias unterbrach ihre trübseligen Gedanken einer komplett schief gelaufenen Aktion.

"Möchtest du aus dem Fenster sehen, bis sich deine Freunde in der Menschenmenge verloren haben?"
 

Als wäre das nicht schon genug, hing Samson verlassen und alleine an einem Kabel, bis einer der Bauarbeiter ihn entsorgen würde und ihr Koffer mit den Kleidern war bestimmt dazu, im Fundbüro zu verrotten. Folgend daraus, sie hatte nichts zum Anziehen, außer dem was sie am Leibe trug. Hoffentlich fing sie bald zu stinken an, damit es keiner in ihrer Nähe aushielt und vor allem kein Untoter.

Sie würde Emi irgendwie benachrichtigen! Wenn nicht heute, dann an einem der folgenden Tage! Das schwor sie sich.

Wütend stieß Lilli Ilias' bleiche Hand von sich weg.

Im höchsten Grade gekränkt, quetschte sie sich so weit von ihm in eine Ecke, wie es nur ging. So schnell würde sie nicht mehr mit diesem Folterknecht sprechen, auch wenn man ihm damit wahrscheinlich sogar einen Gefallen tat.

Sie fühlte sich besser so, schließlich.....

"Ach hi! Da hockst du. Bin durch den ganzen Zug gewalkt bis ich dich gefunden hab."

Ein zweites Mal glaubte Lilli ihren Augen nicht zu trauen.

Kaugummikauend warf eine junge Frau sämtliche Taschen von Gucci, Prada und Escada neben Lilli auf den Sitz und pflanzte sich ohne Umschweife neben den kokett lächelnden Schwarzhaarigen.

Hierbei handelte es sich allerdings nicht um irgendeine weibliche Person, denn Lilemour erkannte in ihr ganz klar eines dieser modefanatischen Mädchen aus dem Zug hier her. Liebe Güte, das durfte nicht wahr sein! Hatte sie vergessen warum sie mit ihren Freundinnen das Abteil zuvor verlassen hatte?!
 

"Hi" ,lachte die Frau und streckte ihr ihre, mit Ringen übersäte Hand hin. Nägel: French style.

"Ich bin Charlotte, kannst mich Charly nennen." Lilli lächelte gezwungen, als sie den Gruß erwiderte.

"Hallo, mein Name ist...."

"Boah, ich sag' s dir, einer der Schaffner da draußen ist voll der notgeile Typ. Hat mich Steno- zugelabert."

Woran lag es nur, dass sich alle die mit Ilias zu tun hatten, nicht die Bohne für sie interessierten, ja sie noch nicht einmal mehr wie Luft behandelten. Lilli konnte sich nicht entsinnen, von Sophie jemals nach ihrem Namen gefragt worden zu sein. Die da war jedenfalls von ganz anderer Natur als die Letzte. Man konnte ja eine Strichliste zu führen anfangen, mit 'Sophie-Typen' und 'Charly- Typen'. Zeit dazu würde sie ja haben.

Oder vielleicht sollte Lilli nur einfach anfangen zu heulen wie ein verprügelter Hund, danach war ihr jedenfalls viel mehr zu Mute.
 

Fortsetzung folgt!

Tiermensch

Hallo^^ (mir fällt auch nichts Neues ein -.-)

Erst einmal vielen, vielen Dank für die Kommentare! Sie haben mich unter anderen dazu gebracht weiter zu schreiben, obwohl ich dringendst lernen müsste O.o

Ich will stark hoffen, dass sich mein "Opfer" gelohnt hat und das Kapitel -mal wieder äußerst lang- gut ankommt :-3

Ich will wegen des fiesen Endes (oh, da hab ich schon was verraten ;p) versuchen, bald wieder hoch zuladen, verspreche aber nichts, denn ich werde sicher schnell merken, dass ich von meinem Lernfach noch viel zu wenig Ahnung habe ;_;

Das heißt, ihr müsst mich mental unterstützen, hehe.

Wie gesagt, ein großes Dankeschön und hoffentlich bis demnächst!
 

Viele Grüße, Fany

***********************************
 

"Charlotte hat sich kurzer Hand dazu entschieden, einmal durch die romantischen Gassen Straßburgs zu schlendern" ,erklärte Ilias überflüssiger weise.

Sie wäre für ihn auch nach Timbuktu gefahren, um dort die Eingeborenensprache zu lernen, das erkannte jeder Blinde.

"Wer würde mit dir nicht gerne eine sight seeing tour machen, egal wohin" ,grinste die Frau in eindeutiger Manier. Und Bingo.

Der Zug setzte sich schnaufend in Bewegung und Lilli dachte noch einmal schmerzhaft an Emi und Toni, die vielleicht immer noch nach ihr suchten, ohne zu wissen, dass sie sie ja schon gefunden hatten. Eigentlich.

Nur gut, dass sie hier genügend Ablenkung hatte, um nicht in ein tiefes Loch der Verzweiflung zu fallen.

"Meine Freundinnen können manchmal so ätzend sein" ,hörte man Charlottes geziertes Stimmchen durch das Abteil flöten. Ein deutlicher Hang nach Aufmerksamkeitssucht.

"Sie haben sich wie Freaks benommen nur weil ich nicht gleich mit ihnen nach Hause und in die Disco gefahren bin."

"Welch Wunder" ,murmelte Lilli unhörbar, "man geht ja auch jede Nach mit wildfremden Männern nach Österreich."

"Auf alle Fälle hab ich ihnen mal tüchtig die Meinung gegeigt. Ich meine, der Neid stand ihnen im Gesicht wie ein kussechter Lippenstift von Jade Mabellin New York."

Entweder Charly merkte es nicht, oder es war ihr ganz einfach vollkommen egal, dass Ilias sichtlich nicht zuhörte. Zumindest verkündete er sein Desinteresse durch die abgewandte Haltung., als er das Wort ergriff.
 

"Darf ich dir meine Schwester vorstellen, die...."

".....nicht geisteskrank oder sonst ausweispflichtig behindert ist" ,setzte Lilemour eifrig fort. Vorsorge war die beste Sorge.

"Aha" ,entgegnete Charlotte, "Geschwister. Strange, ihr seht euch fast gar nicht ähnlich."

"Fast gar nicht?!" ,entglitt es Lilli aufgebracht, "überhaupt nicht, nicht im Mindesten! Kein bisschen. Auch sonst keine Ähnlichkeit! Im Charakter sowieso nicht. Er mag Sado Maso und ich nicht."

Sie hatte es sich nicht verkneifen können, vielleicht stimulierte sie so Püppis Erinnerungen.

"Interessant" ,flocht der Vampir ein. Erfahrung lehrte, es war nie gut wenn er etwas zu sagen hatte.

"Woher willst du wissen dass du es nicht magst. Schon versucht?"

"Tss!" Mehr fiel Lilli nicht ein, worauf sie starr aus dem Fenster blickte und doch nichts von dort wahrnahm.

"Ihr geht euch ganz schön auf'n Sack, he?" Charly kaute ungeniert vor sich hin, während sie sich neues Rouge aufpuderte.

"Weißt du was dir stehen würde?" ,fragte sie an Lil gewandt, "so n' rose Lipgloss. Ich sag dir, du trägst dann nichts anderes mehr."
 

"Wie haben Sie sich die geangelt?" Lilemour war dermaßen in Rage, dass sie beinahe alles tun würde, um Ilias zu schaden, oder wenigsten in Verlegenheit zu bringen. Ohne Rücksicht auf Verluste und schon gar nicht auf Charlotte.

"Aus einer Boutique? Neue Sonnenbräune kaufen wollen, stimmt's? Oder vielleicht doch schicke schwarze Hosen. Mit einem schwarzen Pulli, schwarzer Unterwäsche und schwarzen Schuhen im C&A?"

"Was, ihr steigt im C&A ab?!" Charly war deutlich schockiert, fast wäre ihr der kleine Schminkspiegel mit den Strasssteinen aus der Hand gefallen. Lillis Augenbraue fing an zu zucken, als nicht Ilias den neuen Aufhänger eines Gesprächs zu seinen Ungunsten aufgriff.

"Ich mag meine drei Brüder ja auch nicht" ,begann die Frau mit den glänzend braun rot gestreiften Haaren, "aber Siezen tun wir uns nicht gerade. Ihr seid echt krass. Total krass. Schon mal in einer Talk Show gewesen? Ich empfehle euch ja....."

Sie erfuhren nicht mehr was sie empfehlen würde. Charlotte wurde kurz blass um die Nase und fiel bewusstlos auf den Sitz zurück. Ob ihr die vielen Haarklämmerchen beim Aufprall Löcher in den Kopf drückten?
 

"Sie hat die Schlafsucht" ,erklärte Lil den Umsitzenden, die aufmerksam geworden waren und lächelte nett.

"Um auf deine äußerst diskreten Fragen zurückzukommen" ,fing Ilias an, der ganz zweifelsohne gerade den Job des Sandmännchens übernommen hatte, "du warst nicht da, als der Zug sein Ziel erreichte, also hatte ich Zeit. Etwas Besseres konnte ich auf die Schnelle nicht ausfindig machen, sonst wärst du mir mit dem gelben Gefährt noch entfleucht."

Mit einem Taxi zu entfleuchen, das würde sie nie mehr versuchen. Es hatte sie einiges gekostet, Samson mit eingeschlossen.

"Das Band zu ihrem Opfer war schnell geknüpft, eine unsaubere Arbeit" ,warf Lilli missmutig ein. Missmutig aus mehreren Gründen, zu dem Durst und Hunger zählten. Ihr Magen knurrte auf Abruf.

"Natürlich." Der Schwarzhaarige tat, als hätte er nichts davon gehört.

"Je älter der Vampir, desto geübter in seiner Suche, deshalb verliert das Band keineswegs an Qualität. Obwohl ich Opfer für lediglich eine Nacht hasse. So unkompliziert die Anschaffung, so unlohnenswert gibt sie sich dennoch."

"Als könnten Sie nicht ein paar Tage verzichten!"

"Verzicht? Verzichtest du, wenn du problemlos etwas haben könntest?"

"Sie Scharlatan."

"In der linken Tüte von dir aus mit der blauen Aufschrift ist Nahrung. Nimm sie dir."

Empört kickte Lilli die Tüte von sich, "ich klaue niemandem sein Essen!"

"Natürlich kannst du etwas abhaben!" Charlotte kramte wie batteriebetrieben plötzlich in ihren Sachen herum, sich völlig unbewusst dass sie gerade einen gelenkten Black Out erlitten hatte. Konnte er sie an und ausschalten wie er wollte?! Beängstigend. War es ihm bei ihr selbst auch möglich? Sie entschloss sich nicht weiter darüber nachzudenken, wenn sie auch nur einen Teil ihrer verbliebenen innere Ruhe bewahren wollte.

"Ich muss sowieso wieder auf meine Linie achten" ,meinte Charly, "die gebrannten Mandeln haben ganz schön reingehauen. Muss nachher noch meinen Body mass index im Handy abfragen. Ahhhhh, hier in der blauen Tüte hab ich was. Stehst du auf Pringles? Einmal gepoppt, nie mehr gestoppt!"
 

Was für ein schäbiger Zug, dachte sich Lilemour, während sie Waggon für Waggon durchstreifte. Aus Langeweile und vornehmlich aus der Unfähigkeit, das Bild von Charly aus ihrem Kopf zu schlagen, wie sich Ilias einer Riesenfledermaus gleich auf sie stürzte. Zumindest sah es in ihrer Fantasie so aus. Er besaß wenigstens den Anstand, derartige Dinge nicht in aller Öffentlichkeit zu tun.

Lilli blieb an einer verstaubten Scheibe in einem verlassenen Mittelgang stehen und sah zu, wie die Bäume viel zu langsam an ihr vorbeizogen. Der helle Mond ließ Schatten und Umrisse lebendig werden. Sie hätte neben dem lahmen Zug herrennen können.

Freudlos knabberte sie an ein paar Chips, die zwar besser als nichts waren, aber trotzdem Bauchschmerzen verursachten. Es war eben nicht gesund auf leeren Magen so einen Fernesehrfraß herunterzuwürgen.

Lilli hatte Durst. Ja, in ihrer Kehle herrschte sogar Dürre wie im Death Valley zu Sommerzeiten. Eher jedoch würde sie innerlich verstauben, bevor sie Ilias um etwas zu trinken bat. Im WC wurde leider darauf aufmerksam gemacht, dass man das Wasser besser nicht zu sich nehmen sollte. Was nun?
 

Dieser Gedanke musste verschoben werden, denn der nächste Pringles blieb Lil geradewegs im Hals stecken und das nicht nur weil der so trocken war.

Gespannt presste sie ihr Gesicht so nah wie möglich an die Scheibe, ohne das verfettet, verstaubte Ding berühren zu müssen. Da draußen war ein Schatten gewesen!

Bravo Lilemour! Hatte sie nicht eben festgestellt, dass es draußen vor undefinierbaren, dunklen Umrissen nur so wimmelte? Der Durst ließ sie Fata Morganas imaginieren.

Es war nur eben so......dass sie ganz sicher eine Art schwarzes Tuch vor dem Fenster hatte flattern sehen. Ganz kurz, aber sichtbar. Oder....?

Ein dumpfer Aufprall direkt vor Lilli, ließ sie alle Zweifel in den Wind schießen und rückwärts auf den Boden fallen. Die Chips verteilten sich im Zwischenraum, starr vor Schreck glotze sie das Ding an der Außenscheibe an. Oder den Mensch?

Es war unmöglich festzustellen. Es hing kopfüber vom Zugdach und schaute sie an. Das nahm man jedenfalls an. War aber vermummt genug um als einer der neun Nazgul aus Mittelerde durchzugehen. Die Hände links und rechts des nicht zu sehenden Kopfes, waren nicht viel gepflegter wie die eines Maulwurfs, der beide Weltkriege miterlebt haben dürfte.

Das allein wies auf eine gewisse Unmenschlichkeit hin.
 

Die alles entscheidende Frage war nur, konnte es durch die Scheibe?

Alles andere war nicht so wichtig. Sollte sie sich kriechend ins nächste Abteil schleppen, oder lieber keine Bewegung machen? Ihr Herz dröhnte bei dieser Überlegung laut in ihren Ohren wider.

Was war das für ein Teil und vor allem, was wollte es? Etwas von ihr? Oder war ihre Anwesenheit zusammen mit dem da ein Produkt des Zufalls?

Es hing einfach da wie ein Stück Vorhang nach einem Mottenangriff. Ein zerschlissener, dunkler Vorhang.

"Hallo auch" ,formte Lil in einem Moment völliger geistiger Abwesenheit mit den Lippen, denn durch den Lärm des Zuges war es schon schwer sich selbst zu verstehen.

Keine Reaktion. War es womöglich tot? Hing das da nur noch aus einem Klammereffekt da runter? Fragen über Fragen ohne den kleinsten Hinweis auf eine Antwort.

"Ein Pringles vielleicht?" ,flüsterte Lil mit krächzender Stimme, "einmal gepoppt, nie mehr gestoppt."
 

Was tat sie eigentlich? Nun, darauf hatte sie wenigstens eine Antwort. Dummheiten machte sie. Sollte schleunigst verschwinden bevor die Scheibe Risse bekam. Das taten die vornehmlich gerne in solchen unheilvollen Augenblicken.

Langsam rutschte Lilli zur Türe des nächsten Abteils, die zerbröselten Pringles ihrem Schicksal überlassend.

Mit quietschenden Rädern nahm der Zug da eine Kurve, die dem Mond die Chance gab, die ganze Szenerie von der Seite in ein milchiges Spotlight zu tauchen.

Für kurze Zeit, doch lange genug um Lilemour in das Gesicht des ,Nazgul' sehen zu lassen.

Wenige Sekunden, in denen sie die Erscheinung in sich aufnahm, bevor dieselbe wie eine Spinne nach oben kletterte.

Keine Schritte waren über ihr auf dem Dach auszumachen. Nichts. Wie eine Fata Morgana eben.

Um nicht schreiend durch die Abteile zu hechten und sich bibbernd an Ilias zu klammern, besann sich Lilli auf eine Meditationstechnik, die ihr Emilie aus der Cosmopolitan vorgelesen hatte. Die ihr aber auch die nötige Ruhe brachte, damit sich das fremde Gesicht endgültig in ihre Gehirnwindungen brennen konnte.
 

Es hatte den Anschein gehabt, als käme dieser Mann -und dass es etwas anderes war, war unmöglich- aus dem Dschungel Brasiliens. Kurz zuvor hatte er allerdings einen Abstecher in den wilden Westen gemacht, denn er hatte sich ein Tuch um Mund und Nase gebunden. Oder er war Michael Jackson Fan.

In seinen Zügen war eine geradezu unzivilisierte Wildheit gelegen. Die Augen besaßen schlangenhafte Schmalheit und die helle Haut war eingefallen, als stamme er in direkter Linie zu den Totenkopfäffchen ab.

Dafür hing ihm die ungepflegte Mähne wie Rosshaar im Gesicht.

Demnach war es ein Mensch, der aus Tieren zuammengetackert war.

Ob eine Fata Morgana jetzt noch eine plausible Erklärung war? Es würde so vieles einfacher machen!
 

".......na ja, aber die Ohrringe von Swarofski waren eben so ultraschick, da musste ich sie einfach haben und es hat sich ja auch gelohnt, oder findest du nicht?"

"Hallo Schwester mein" ,begrüßte Ilias Lilli leise, das dargebotene Ohr Charlottes ignorierend. Die sich langsam aber sicher übergangen fühlte, die Beine übereinander schlug und schlecht gelaunt zu sah, wie das andere Mädchen sich mit leicht verzerrtem Gesicht auf ihren Sitz begab.

"Siehst aus, als hättest du gekotzt. Du bist weiß wie ein Gespenst."

"Danke für dein Mitgefühl, Charly" ,schaffte es Lilli irgendwie noch zu kontern, ausgetrocknet und traumatisiert wie sie war.

"Bist du etwa schwanger?!"

"Nein, ich hab bloß Bauchweh."

"Also doch schwanger!"

"Nein, deine Chips haben mich vergiftet, falls du's wissen willst!"

Lilli war vor Anspannung unbewusst so laut geworden, dass einige der Gäste gestört aus ihrem Nickerchen fuhren, oder von ihrer Lektüre aufsahen.

Das alles peinigte sie nicht so sehr, wie der amüsierte Blick des Vampirs, der zu sagen schien :'wovon solltest du schon schwanger sein?'

Genau darum hatte sie beschlossen, ihm nichts von dem wohl blinden Passagier zu erzählen. Aller Logik nach war es ein unnormales Wesen und da Ilias in eben diese Sparte einzuordnen war, hatte es zweifellos auch etwas mit ihm zu tun und nicht mit ihr oder irgendeinem anderen hier. Sollte das Vieh ihn eben überraschen und fressen!

Unter Ilias' verstörend durchdringenden, indiskreten Augen, hielt sie es noch genau zehn Minuten aus, dann stand Lilli auf und sprach unentschlüsselbares Zeug.

"Ich werfe mich jetzt aus dem Zug. Der Nazgul wird mich schon auffangen."

"Oh" ,lachte Charly geziert, "bist du auch einer dieser Live Rollenspieler, die mit ihren Holzschwertern im Wald rumturnen?"
 

Wenn du daraus trinkst, wirst du ein Reh! Dieser dumme Satz aus dem Märchen vom ,Brüderlein und Schwesterlein' spukte Lilli im Kopf umher und sie sagte ihn unbewusst vor sich hin, als sie sich über das Nicht- Trinkwasser des Wasserhahns in der Toilette beugte. Besser Cholera als Ilias anzubetteln.

"Ich, als dein Brüderlein, würde dir ein Halsband umlegen, damit ich dich immer erkenne. Du weißt ja, dreimal an die Tür klopfen und ich mache dir auf."

"Ahhhh!" Lilli fuhr wie unter einem Blitzschlag zusammen und hieb auf den Tiermenschen ein. Er hatte es in den fahrenden Zug geschafft!

Ilias fing ihr Handgelenk problemlos ab und gab Lilli beinahe ein Glücksgefühl durch sein Auftauchen. Die Zugtüren hatten also doch Sicherheitsschlösser. Es war nur ein Vampir, kein zerfetzter Maulwurf.

"Was hast du gesehen" ,wollte ersterer plötzlich wissen.

"Nichts."

Sie konnte ihren zentnerschweren Kopf nicht davon abhalten, gegen Ilias Schulter zu fallen und dort zu bleiben. Er roch sehr angenehm, wo er doch eigentlich nach Moder muffeln sollte.
 

Ein Zischen. Ein bekanntes Zischen nahe ihrer Nase. Ein Seitenblick und Lil erkannte eine niegel nagel neue Bonaqua Wasserflasche in der Krallenhand des Vampirs.

"Was bekomme ich dafür?"

Damit hätte sie ja wirklich rechnen können. Was war er, ein Marktfeilscher?! Leider war ihre Not bereits zu groß und schließlich gab sie klein bei.

"Informationen über den Tiermenschen auf dem Zugdach."

"Du hast also mit ihm gesprochen, ihn verhört und kannst mir einen genauen Bericht abgeben?"

Ilias lehnte sich an die bekritzelte Wand der Toilette mit Großstadtflair und sah sogar dabei noch cool aus. Die Flüssigkeit der Flasche in seiner Hand schwappte köstlich hin und her.

Durst war etwas wirklich fieses.

"N...nein. Aber ich hab's gesehen und....und Sie nicht!"

"Sollte es ein Vampir gewesen sein, der fähig ist seine Identität vor mir zu verbergen, so hätte er dich sehen lassen können was er wollte. Was also nutzen mir die verblendeten Beschreibungen?"

Lilli fiel aus allen Wolken und doch war es nicht abwegig.

"Das soll ein Vampir gewesen sein?!"

"Ich weiß es nicht" ,gab Ilias gelassen zu, "ich dachte, wenigstens das hättest du erkannt."

"Tss, also wenn er einer war, dann hat er mir mit Sicherheit nichts Verschöntes gezeigt! Außerdem, wie soll gerade ich das bitte herausfinden? Jedenfalls hab ich noch nie einen normalem Menschen gesehen, der kopfüber zum Fenster hereinschaut."

"Du bist eine Frau. Männliche Vampire wirken immer auf Frauen."

Hatte Lilli schon erwähnt, dass sie seine anrüchigen Blicke nicht ausstehen konnte?
 

"Der da, hat auf mich gewirkt wie ein Monster auf ein Kind" ,spie sie im entgegen.

"Richtig" ,schmunzelte Ilias, "wie konnte es mir entfallen obgleich ich es doch vor mir sehe, du bist mehr Kind als Frau."

"Wissen Sie nicht, dass Witze irgendwann alt werden?........Oh nein, da hinten ist das Vieh!!!"

Schon wollte Lilli nach der Wasserflasche greifen, da sie auch schon merken musste, dass ihr Ablenkungsmanöver nicht fruchtete. Ilias sah sie bemitleidend an.

"Weißt du nicht, das derartige Sätze irgendwann alt werden?"

"Ich kann nichts weiter über das Ding sagen. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet, weil ich ein wenig.....durstig bin!" ,stöhnte Lilli.

Ilias blieb ungerührt als er das Wasser fixierte.

"Ich schlage eine Übereinkunft vor" ,sagte er.

"Du bekommst das Getränk, wenn du dich mir hingibst."

Lilli wartete einen Moment mit der Antwort weil sie dachte, sich verhört zu haben, was offenbar nicht dem Fall entsprach. Sie stemmte sich endlich ab von ihm.

"Hingeben?! Ich bin doch nicht Sophie! Eher verdurste ich als dass......"

"Ich verlange lediglich dein Blut so lange wir auf Reisen sind" ,unterbrach sie der Vampir, wobei er tat, als hätten sie gerade einen Fisch-Gemüse Handel abgeschlossen.

"Nur?!" Lilli war nahe an einer Hyperventilation, "nein, nein und noch mal nein! Wo denken Sie ihn?!"
 

"Ich denke an das Beste für mich."

"Das merke ich allerdings und was ist mit mir?!"

"Es dürfte sich hierbei auch um das Erstrebenswerteste für dich handeln. Zum Ersten bekommst du das Wasser, zum Zweiten wirst du niemals mehr als gelegentliche, kaum ernst zu nehmende Mattheit verspüren und zum Dritten lasse ich uns den Himmel auf Erden fühlen. Ich weiß, du erinnerst dich oft und gerne an die Nacht in der ich zu dir kam."

"Niemand, niemand ist dermaßen eingebildet, arrogant, übermäßig selbstsicher und ....so Sachen wie Sie!" ,blaffte Lilli ihn an, in dem Versuch einen Rotschimmer von ihren Wangen fern zu halten. Ilias trat gefährlich nahe an sie heran und trotzdem wich sie nicht einen Schritt zurück als sein Gesichtsausdruck tot ernst wurde. Das Waschbecken bohrte sich nämlich bereits in ihren Rücken.

"Niemand, niemand hat mehr Recht dazu als ich, denn ich halte immer was ich verspreche!"

Lilli konnte ihre Augen kaum von seinen abwenden, sie schienen diese an sich zu ziehen, sie förmlich zu verschlucken.

"Sie.....Sie sind nicht gerade vertrauensselig wenn es um Vereinbarungen geht. Über den Pakt haben Sie sich wie nebenbei hinweggesetzt."

Der Vampir rammte eine Hand flach gegen die Wand neben Lillis Kopf.

"Ich habe diesem Pakt niemals zugestimmt. Nicht eine Sekunde habe ich mich als Vertragsteilnehmer gesehen. Die grobe Einhaltung der lächerlichen Bedingungen dienten nur dafür, mir meine Ruhe zu sichern. Jetzt bin ich ihrer überdrüssig!"
 

Lilemour war übel. Die Pringles hatten ihr den letzten Rest Flüssigkeit genommen und wenn ihr Gegenüber auch nur eine falsche Bewegung machen würde, dann müsste er sich neue Klamotten zulegen.

"Ich bleibe bei einem Nein" ,würgte sie irgendwie heraus, ohne die Wasserflasche aus den Augen zu verlieren. Ilias aber, drückte sie ihr plötzlich in die Hand.

"Du arbeitest gegen dich und deinen wahren Willen, der sich für mich entschieden hätte. Aber gut dann, ich kann warten. Wage es nicht, auch nur eine meiner auserwählten Menschen mit giftigen Gedanken zu füllen!"

"Und was bitte machen Sie? Das ist doch gerade Ihre Spezialität!"

"Wenn ich sie nicht töte, haben sie keine Nachteile dadurch. Im Gegenteil."

"Ja, wenn!"

"Willige ein oder ich nehme mir von dir was mir gefällt."

Bedrängt von seiner indolent ausgesprochenen Drohung stimmte Lil zu.

Charly sowie auch Sophie hätte sie alles über ihn erzählen können, sie hätten es nicht geglaubt und wäre Ilias die Wahrheit in großen Lettern im Gesicht gestanden.

Warum sollte es bei anderen anders sein?

"Was.....was wollen Sie überhaupt von mir? Ich bin nur Ballast für Sie. Alles wäre einfacher für uns beide wenn Sie mich nur gehen ließen" ,warf das Mädchen zwischen Riesenschlücken ein, die beinahe wie ein Art Aphrodisiakum auf sie wirkten.

Diese heruntergekommene Toilette, wo der Krach der Räder am Lautesten war, sollte das neue Debattierzimmer werden. Oder auch nicht, denn der Vampir wandte sich zum Gehen.

"Das soll meine Sorge sein."
 

Gegen 05.30 Uhr mitteleuropäischer Zeitrechnung fuhren sie den Bahnhof Salzburgs an. Schön war er nicht und groß ebenso wenig.

Es blieben noch knappe zwei Stunden bis Sonnenaufgang.

Entgegen ihrer Bevorzugung, aber der Vernunft zur Liebe, wich Lilli nie mehr als wenige Schritte von Ilias' Seite. Zu deutlich zeichnete sich das Nazgul Gesicht aus dem Zug noch auf ihrer Netzhaut ab. Penibel beleuchteten ihre Augen das Dach des Zuges, die Menschenmenge und einfach alles was sich mit bloßen Blicken enttarnen ließ.

Wie in allen Gruselschockern unterließ es der Gegenstand des Grusels aufzutauchen, wenn man geschützt war.

Falls man Ilias und Schutz in einen Satz packen durfte.

Er trug Charlottes Einkaufstüten, die wie eine enorm große Zecke an seinem Arm hing und sich nicht vorstellen konnte, dass die Rollen in Wirklichkeit vertauscht waren.

Lillis Koffer brauchte keiner tragen zu wollen, denn den gab es ja nicht mehr. Ihre Sachen lagen entweder auf dem Münchener Fundbüro oder wurden bei Ebay eingestellt.

Nach der Frage ihrerseits, über das Verbleiben des Sarges von Ilias (die von Charly seltsamerweise nicht aufgenommen wurde), war alles was sie zu hören bekam ein :"Ich brauche ihn nicht."

Sie war es zufrieden, wenigstens diese peinliche Szene blieb ihr auf dem Bahnhof erspart.
 

"Woah, krass" ,quietschte Charly, als sie mit klackenden Schuhen ein Stück nach vorne wackelte.

"Ist das unser Hotel?!"

"Ja."

Mehr bekam ihr euphorischer Ausbruch aus dem Schwarzhaarigen nicht heraus, der die vergoldete Drehtüre des Luxusschuppens anpeilte.

Das hier musste die Unterkunft sein, in der die hohen Tiere aller Kategorien abstiegen. Fahnen verschiedenster Nationen hingen über dem Portal und luden in die hell beleuchtete Eingangshalle ein.

Sollte jemand gesehen haben, mit welchem Schrottzug sie gekommen waren und welches Hotel sie anschließend besuchten, der musste sie allesamt für schizophren halten, oder aus dem Gauner Millieu stammend.

Die Gründe lagen für Lilli deutlich auf der Hand. Salzburg war eine alte Stadt, das Hotel war in einem alten Gebäude und der Stil war dem Zeitraster angepasst worden. Es hatte den Anschein einer Nobelvilla von 1800. Ganz sein Ding.

"Hier." Ilias füllte urplötzlich ihr ganzes Sichtfeld aus und hielt ihr einen Geldschein hin.

"Du wirst wieder Hunger und Durst haben, besorge dir von mir aus was du willst. Wir sehen uns heute Abend wieder. Einen geruhsamen Tag."

"Was?!" Lilli konnte ihm vor Perplexivität nicht einmal mehr das dargebotene Geld aus der Hand nehmen.

"Ich....ich darf nicht mit hinein?!"

"Hast du dir Hoffnungen gemacht, du könntest? Armes, verblendetes Ding."

"Aber.....aber..."
 

"Ilias! Wo bleibst du denn, ich will mir die Bar ansehen!"

Charly kam angestöckelt und verschränkte lachend ihre Hand mit der des Vampirs.

Putz munter wie sie war, nachdem sie praktisch die ganze restliche Zugfahrt verschlafen hatte.

Lilli registrierte sie gar nicht, "wo soll ich denn hin?"

"Salzburg hat viele nette Brücken unter denen du es dir gemütlich machen kannst" ,war Ilias' niederschmetternde Antwort. Charlotte lachte sich fast in Grund und Boden.

"Krass, einfach krass! Ich wünschte ich könnte einem meiner Brüder mal so etwas androhen. Krass!"

Sie verstummte in ihrem Lachen, als Ilias sie kühl und ohne Gefühlsregung ansah.

"Hierbei handelt es sich nicht um eine Drohung."

"Was denn, du willst deine eigene Schwester draußen in der Kälte stehen lassen?" ,fragte Charly, die sich durch seine herablassende Haltung nun endlich verletzt fühlte.

Leider nicht lange genug um Lilemour eine Hilfe zu sein.

Ilias lächelte eines seiner süßesten und doch falschesten Lächeln, die Lilli je an ihm gesehen hatte.

"Fein. Das Hotel ist ausgebucht. Wenn du es vorziehst sie in unser Zimmer einzuladen, bitte."

"Ähhhhh....."

"Charlotte!" ,rief Lil entsetzt, "lad mich ein! Du wirst doch nicht mit einem dir völlig fremden Mann allein ein Zimmer teilen wollen?! Er ist furchtbar!"

"Alsoooo......"

Lillis Argument schien so überaltet wie Ilias' Mantel, sie konnte die negative Entgegnung schon hören, bevor sie ausgesprochen war und wandte sich an die letzte Möglichkeit.

"Was ist wenn ,Sie wissen schon wer' mich angreift?" ,wollte sie von Reißzahn wissen, wobei sie zur Verdeutlichung eine Fratze zog.
 

Zu ihrer Enttäuschung schaltete sich das andere Mädchen ein.

"Ilias, du solltest ihr mal erklären, dass Lord Voldemort nur eine Romanfigur ist."

"Deine Einbildung soll dich holen kommen?" Der Vampir machte eine abfällige Geste, die die hungernde Lilli zur Weißglut trieb.

"Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir der Echtheit dieses Viehs! Es wollte....es will irgendetwas. Warum sonst hängt es vom Zugdach und nimmt keine ihm angebotenen Pringles an?!"

"Dann bete dass du es nicht bist, nachdem es ihm gelüstet. Du siehst die Konsequenzen der von dir abgeschlagenen Übereinkunft, die ich dir anbot."

Damit winkte Ilias Charly mit einem Finger, der ein Fragezeichen über dem Haupt stand und dirigierte sie unmissverständlich den Treppen entgegen.

"Na schön" ,brüllte ihm die sonst so scheue Lilli hinterher, "dann gehen Sie eben in ihr gebuchtes Mittelalterhotel, ziehen die Vorhänge zu und.......und ferkeln durch die Gegend. Ich fahre zurück nach Hause und wenn Sie mich auch wieder finden! Ich verstecke mich nicht vor ihnen, Sie Geizkragen! Sie Racheengel! Sie kindischer Trotzkopf!"

"Madame" ,hörte sie eine ruhige, aber bestimmte Stimme neben sich.

"Ich bitte Sie die Lautstärke ihrer Anmaßungen gegenüber einem unserer Gäste zu senken. Es herrscht Nachtruhe. Andernfalls sehe ich mich gezwungen Sie von diesem Platz zu entfernen."

Der Baum von einem kahlrasierten Glatzkopf schaute sie überlegen an, als Lilli merkte, dass sie auf einmal das Geld, dass Ilias ihr angeboten hatte in der Hand hielt.

Bewusst genommen hatte sie es nicht, aber der Teufel sollte sie holen kommen, wenn sie nicht alles auf den Kopf haute.

"Also Herr Türsteher" ,schniefte sie aus Wut und Verzweiflung, "wo finde ich eine Jugendherberge, die mich für fünf Euro übernachten lässt?"
 

Das hatte er toll eingefädelt. Mit ihrem Budget war es unmöglich viel weiter zu kommen als bis zum anderen Ende der Stadt, sie konnte sich nicht einmal ein paar Unterhosen kaufen, von einer Unterkunft für ein wenig Schlaf ganz zu schweigen.

,Du siehst die Konsequenzen der von dir abgeschlagenen Übereinkunft, die ich dir anbot'

Er war ja so etwas von lachhaft eingeschnappt. Wie lange musste man wohl existieren bevor man diesen menschlichen Makel loswurde?
 

Lilli stand an der Hauptsraße im Flutlicht einer Laterne und trat von einem Bein auf das andere um nicht festzufrieren. Es war 06.00 Uhr morgens. Noch immer tiefdunkel.

Nur wenige Autos fuhren vorbei, aber jedes einzelne von ihnen beruhigte sie durch die Aufblendlichter und das Motorengeräusch.

Es gab einem das gewisse Gefühl nicht allein zu sein und vor allem etwas sicherer zu stehen. Schließlich wusste jedermann, dass Nachttiere das Licht scheuten, was hoffentlich auch auf den Nazgul-Tarzan Verschnitt zutraf.

Angenommen der hatte tatsächlich etwas mit ihnen zu tun und war nicht einfach nur so etwas wie der ,Zug nach Salzburg Geist' gewesen. Was ein leises Stimmchen in ihrem Inneren so stark bezweifelte, dass immer mehr dieser Stimmen diese Meinung vertraten.

Hunger und Durst nagten erneut an ihr, doch Lilli wagte es nicht um alles in der Welt durch die schmalen Gassen nach einer Bäckerei oder einem Supermarkt zu suchen, die vielleicht schon offen hatten.

Das Risiko erschien ihr zu hoch. Bis sie erfahren musste, dass das Risiko ihr ständiger Begleiter war und nicht einmal begangen werden musste.

Mit einem stummen Schrei erkannte das Mädchen auf der Laterne der gegenüberliegenden Straßenseite das Vieh.
 

Fortsetzung folgt!

Salzburg

Eine Woche und zwei Tage aus meinem selbstfestgelegten Zeitraster gefallen ;_;

Was soll ich sagen. Mist verfluchter ;p

Na ja, so schlimm ist es nun auch nicht, immerhin ist mal wieder ordentlich was zusammengekommen^^

Für das letzte "Zusammengekommene" ,danke ich herzlichst für eure Kommentare!!
 

Rie_chan: ;p Ahh, Ilias wird schon noch gütiger werden, aber alles zu seiner Zeit und Samson.....hm......du wirst sehen, hehe. Er hat viele Fans -.-

Auf die namentliche Vorstellung und Herkunft des Viehs musst du dich aber noch gedulden, so kann ich dich wenigstens noch ein bisschen festklammern ;-)
 

Krylia_9: Ein Werwolf der sich rasiert? Oh man, er würde die Hälfte der Nacht an dieser Prozedur hocken und dann irgendwann verhungern, wenn die Opfer seinen Zeitplan kennen.

Aber eine erfrischende Idee ;-)
 

Tarantulla88: Ich hoffe nicht dass du krank bist, weil Ilias dir gefällt obwohl er ein kleines Ekel ist, denn sonst teilen wir das Schicksal^^ Zumindest ist er nicht gewalttätig, aber verbal tatsächlich ganz schön schrankenlos (er ist der festen Meinung, dass er es sich erlauben kann)

Kann er es? ;p
 

Zoe-san: Ich weiß auch nicht was in mich gefahren ist, dich so lange nicht schlafen zu lassen, weil du nicht weißt ob es jetzt Tote gibt ;_;

Jetzt kannst du ja dann den Schlaf nachholen^^

Und ich freue mich immer zu hören, dass Ilias gefällt, obwohl es natürlich auch gut ist, dass er geteilte Meinungen hervorruft- ist eben ein komplizierter Charakter, bei dem weiß man nie......
 

Riane: Stimmt. Jetzt wo du es erwähnst, erinnert mich das Vieh auch an einen Gargoyle (auch keine Ahnung wie man das schreibt -.-). Klar kenne ich die Serie, die Rothaarige da, mit dem Anführergargoyle. Hab immer drauf gewartet, dass die zusammenkommen und er sich wieder in einen Menschen zurückverwandelt. Ist dann irgendwie nicht dazu gekommen, oder ich habe das Ende verpasst ;_;

Aber eigentlich sieht der "Tiermensch" schon noch menschlicher aus, das ist auch seine Basis ;p

Und überhaupt versuche ich euch ja immer irgendwie zum Kommentare schreiben zu zwingen, dauernd muss ich mir neue Vorgehensweisen überlegen. Ist fast schon anstrengender als das Schreiben selbst, har, har ^^
 

FiZi: Hey, dein Referat war gut? Davon musst du mir unbedingt demnächst erzählen! Und Klausuren -.- oh je.....ich habe noch eine vor mir ;_; Wie viele sind es denn bei dir noch? Ach, das werde ich bestimmt in Bälde herausfinden^^

Und Ilias wird wohl noch so bleiben wie er uns gefallt (wir Schlimmsten ;p)
 

Endellion: Das mieseste, fieseste und gemeinste was die gaaaanze weite Welt zu bieten hat? Das hört sich doch mal gut an^^ da muss ich diesmal glatt gnädiger aufhören.

Ilias als Retter in der Not? Hm......das wird noch dauern. In seiner Nähe gibt es doch keine Gefahr, hehe (Aber ein bisschen Blut wird er schon noch schlürfen dürfen ;-))
 

Tasumi: Das 3. oder 4. Mal? O.o Wow, ich fühle mich geehrt. Das ist ja einer der größten Anreize schnell weiterzutippen^^ Freut mich, dass dir die FF so gut gefällt!

Dann bis wirklich hoffentlich ganz bald! J
 

Oceana: Weißt du dass ich wegen dir gerade eine neue Word Seite anfange, wo du mir nicht mal etwas Dokumentfähiges hinterlassen hast? ;p Aber wozu Dokumente, wusstest du, dass das mündliche Erzählen ausstirbt? Ok, das gehört nicht hierher -.-

Jedenfalls werde ich deinem Rat folgen und die Hintergründe der Charakterbilder wohl doch weiß lassen. So viel Einfluss hast du auch mich, da siehst du es mal!

Demnach, bis demnächst, wenn es wieder heißt: Nrau, Sess und Anhang :-}
 

Ein liebes Danke an alle und viel Spaß beim Lesen.

Ich werde mich mit der Fortsetzung beeilen ^^
 

Grüße, Fany
 

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Dort hockte es wie ein Geier auf der Straßenlaterne, der darauf wartete, dass die Löwen ihrer Beute satt waren und sie den Aasfressern überließen. Hätte Ilias Lilli mehr zu trinken gegeben, dann hätte sie sich jetzt wahrscheinlich in die Hosen gemacht, schließlich waren sie nicht in der Savanne zu Afrika.

Keiner der Autos, deren Anzahl sich die letzte viertel Stunde verdoppelt haben musste, hielt an, da die Insassen den Geier nicht wahrnahmen.

Warum nicht?! Die Bremsen hatten zu quietschen, eine Person oder am besten mehrere auszusteigen und den Zoowärter des hiesigen Tierparks zu kontaktieren.

Manchmal kam der unbändige Wunsch in einem auf, ganz einfach auf der Stelle umzukippen, damit das Schlimmste verschlafen werden konnte. Stattdessen fielen einem schier die Augen aus dem Kopf, so exakt beäugte man den Feind. Es war nicht zu erkennen in welcher Position der Typ da saß, es durfte allerdings angenommen werden, dass er ihr nicht den Hintern entgegenstreckte.
 

Lilemour löste sich aus der Totenstarre und fing wie wild an mit den Händen zu fuchteln, in dem undankbaren Versuch eines der Autos stoppen zu wollen.

"Halt! Anhalten!"

Ops, der Mercedes hätte sie um ein Haare überfahren, dafür drückte der Ford Focus auf die Bremsen und hupte wie verrückt. Die Scheibe senkte sich automatisch, als ihr ein morgenmürrisch schauender Mann in der Mid Life Crisis erklärte, dass das Prostituiertenviertel irgendwo anders läge. Ohne sie zu Wort kommen zu lassen, ließ er Lilli in einer Staubwolke stehen.

Der beißende Geruch der Abgase, ihr eigenes husten und die aggressive Reaktion des Mannes, brachten sie schließlich doch dazu, hyperventilierend das Weite zu suchen.

Ob sie nun den Jagdinstinkt der Figur weckte, oder nicht.

Der Überlebenstrieb dachte nicht nach, er handelte.
 

Lilli wagte es nicht, sich auch nur einmal umzudrehen, zu besessen war sie von dem Gedanken daran, die Fratze direkt hinter ihr zu finden. Noch bohrten sich die Maulwurfskrallen nicht in ihren Rücken. Noch.

Jeden Moment würde sie entweder gegen die nächste Laterne rennen oder an einem ganz trivialen Herzinfarkt sterben. Die romantisch anzusehenden, aber unebenen Kopfsteinpflaster behinderten das nahtlose Vorankommen im Turbogang.

Nein! Schrie Lilli und obwohl ihr Atem in einer diamantenen Wolke gefror, konnte sie keinen Laut herausbringen.

Ihre Augen nahmen gerade noch wahr, wie Hände aus der Dunkelheit vor ihr erschienen und sie an den Schultern packten. Nichts war schockierender.

Wie irr um sich schlagend, befreite sie sich wunderlicher weise und viel zu einfach aus dem Griff um kopflos weiter zu rennen. Die Schritte auf der Straße kamen ihr laut und hallend vor.

So schön der Mond auf der Herfahrt geleuchtet hatte, so wenig ließ er hier von sich blicken. Dunkel war es. Dunkel, kalt und lebensgefährlich.

Da passierte es auch schon. Ihr Schuh blieb in einem Schlagloch stecken. Die Reflexe zu ausgelaugt um den Fall gänzlich zu verhindern, riss sie eine lebensgroße Mozart Pappfigur mit sich. Immerhin war sie zuvor noch nie auf einem Mann gelegen, wenn dieses Exemplar auch zeitgleich Werbung für gleichnamige Schoko- Marzipankugeln machte.
 

"Ein Fan des großen Amadeus, was?" Wie betäubt drang die unbekannte Stimme zu ihr durch, bekam Form, packte sie fast schmerzhaft hart am Arm und zog sie hoch.

So wenig man in der Finsternis auch erkennen konnte, dieser Mann war nicht das Vieh. Es handelte sich um einen normalen Mann. Beinahe eine Seltenheit in ihrem Alltag. Ein durchschnittlicher Österreicher mit konservativer, gutbürgerlicher Kleidung und einem kleinen Bierbauch.

"Wer....."

"Ah! Lass mal, Mädchen. Das wird dir alles Mutter erklären. Ich will mit ihren zwielichtigen Umgängen nichts zu tun haben."

"Aber...."

"Auch wenn wir verschiedene Nationalitäten sind, so sprechen wir doch die selbe Sprache. Ich hoffe wir haben uns verstanden. Komm jetzt, hier draußen gefriert einem der Ranzen."

Österreich war voller missmutiger Rüpel, oder das Schicksal führte sie zu eben dieser Kaste.

Für diesen Rüpel war sie dem Schicksal jedenfalls zu großen Dank verpflichtet. Soweit man das bis jetzt beurteilen konnte. Sicher zu beurteilen aber, war der langsam aufkeimende Schmerz neben ihrem Auge, den sie Mozarts Werbung zu verdanken hatte.
 

"Berti! Oh Berti, Gott sei gesegnet, du bist eben doch Mamas Goldkind!"

Eine Frau Mitte sechzig, gut beleibt und keuchend wie der alte Zug den sie hier her genommen hatten, kam eifrig auf sie zu gehumpelt.

"Himmel, Maria und Josef, ein Glück dass wir dich gefunden haben, Mädel! Komm, komm mit", forderte die alte Dame, während sie eine Hand um Lillis Schulter legte.

"Jetzt gehen wir erst mal heim und schauen, was ich für dich zum Essen hab. Wärmen dich a bissel auf, ge?"

Bei diesem verlockenden Angebot, verdrängte Lilemour den Rest des Misstrauens, welches nach dieser groß angelegten Rettungsaktion gar nicht erst richtig aufkommen wollte.

Etwas Besseres hätte ihr sogar nicht passieren können. Blieb nur noch: Was? Wieso? Und im Besonderen, wer?

"Bin ich froh, dass das Haus nahebei ist" ,keuchte die Dame, die einige Mühe mit ihrem sichtlich kaputten Bein hatte und erhielt ein Grunzen ihres offensichtlichen Sohnes.

"Viel weiter hättest du es mit deinem Eisenknie auch nicht gepackt, Mutter."

"Halt dei Gosch, Berti. Wo ich hin will, da komm ich hin!"

Mit einem sarkastischen "Ja, ja" seinerseits, standen sie vor einer Haustür, die ein schmuckes Fachwerkhaus zierte.
 

"Ich frag' mich, wovor du so rapide geflüchtet bist. Gehörst wohl zu der Sorte, die Angst im Dunkeln hat, wie?"

Lilli blieb ein Stück gut gerösteter Haxen fast im Hals stecken, als die Frage von Frau Schmusig -so der Name ihrer Retterin- aufkam, die ihr gerade frische Pommes Frites auf den Teller kippte.

Die gute, alte Frau war unter skeptischem Stirnrunzeln ihres Abkömmlings Berti sofort in die riesige Küche geeilt und hatte zu kochen angefangen. Egal wie oft Lilli beteuert hatte, auch mit einer von Berti angebotenen Butterbrezel -hart vom Vortag- zufrieden zu sein.

Das schockierte "Ach was, du brauchst etwas Deftiges!" ,zeigte sich als Vorläufer eines der prächtigsten Menüs, die das Mädchen jemals zu Gesicht bekommen hatte. Vor allem, da sich der Teller immer wieder aufs Neue füllte.

"Was.....was soll das heißen?" ,wollte Lilli zwischen zwei Mammutbissen verstört wissen.

"Haben Sie es denn nicht gesehen?"

"Was gesehen? Hier, nimm noch ein bissli Salat, ist gut für die Verdauung!"

Lilli stand der Mund offen. Langsam begriff sie gar nichts mehr. Hatten die sie denn nicht ganz klar vor Tarzan-Nazgul gefunden?

Falls nicht, warum sollte alles dann gelaufen sein wie es gelaufen ist? Warum saß sie dann hier? Ihre Gabel kam kurz zur Ruhe.

"Dieser Mann" ,fing sie an, "der auf der Laterne saß, der mit den Maulwurfskrallen! Er verfolgte mich und zog mich an den Schultern in eine Seitengasse, bevor ich......."

Die Alte lachte liebenswert. Selbst Frau Holle konnte nicht gütiger aussehen wenn die Betten sorgfältig geschüttelt waren.

"Oh Mädchen, tut mir leid wenn wir dir Angst gemacht haben sollten. Aber wir mussten dich einfach finden. Ich habe dich gepackt um dich zu stoppen, doch du hattest ein wenig das Benehmen einer ausgetickten Katze. Entschuldige. Aber.....Maulwurfskrallen? Ich muss meine Fingernägel mal wieder schneiden."
 

So gut die Erklärung auch gemeint war, so wenig Essentielles deckte sie auf.

Wenn sie nicht alles noch verworrener machte.

Der Appetit war Lilemour längst vergangen, doch das nur, weil ihr Magen platzen würde, sollte sie noch eine frittierte Kartoffel essen. Die Müdigkeit hatte durch das üppige Mal beinahe die Oberhand über ihre Gehirnwindungen gewonnen. Wäre da nur nicht diese eine Sache, die ihre Lider offen hielten. Warum? Weshalb saß sie vor einem abgenagten Haxen bei Frau Schmusig?

"Was tue ich bei Ihnen?" ,sprach sie den Gedanken aus, "woher wussten Sie wer ich bin, wo ich bin....oder wissen Sie es überhaupt?"

Die Hände an der blumenbestickten Schürze abgewischt und Frau Schmusig tätschelte ihr wohlwollend den Kopf.

"Weißt du" ,begann sie, "Berti mag es nicht wenn solche Dinge geschehen, er hat Angst um mich. Darum lebt er auch ein Stockwerk höher. Damit ich nicht allein bin. Ist er nicht ein guter Junge? Er war außer sich als Ilias....?

"Bitte, wer?!" Was in aller Welt sollte diese nette Frau mit dem am Hut haben?!

"Meine Güte, Mädchen, du wirst doch kein Vampirjäger sein, mit dem er sich einen Spaß erlaubt?!"

"Ich dachte, es gäbe längst keine mehr" ,warf Lilli aufgebracht ein, während Frau Schmusig nachdenklich den Kopf schüttelte. Wieso in aller Welt wusste sie über Vampire Bescheid?!

"Dachte ich auch. Aber gerade hast du ein Gesicht gemacht, als wolltest du ihn..."

"Killen, rösten, durchbohren, schlachten, köpfen?? Jaaaaaa!"
 

"Da siehst du es Mutter!" Berti war unbemerkt die Treppe heruntergekommen ohne gehört zu werden, eine reife Leistung mit seinem Gewicht.

Warnungslos packte er Lilli am Kragen, so dass sie halb in der Luft hing und schüttelte sie.

"Das hast du nun davon. Ein aggressives, unmoralisches Stück Mensch aus einer Welt, die es eigentlich nicht geben dürfte."

"Berti" ,kreischte seine Mutter, "lass auf der Stelle das Kind runter, es kann doch nichts dafür!"

Lilli fing geräuschvoll zu würgen an: "Genau Berti! Ich bin nur ein Opfer, dass dir gleich dein Hemd voll spucken wird."

Der dickliche Mann mit dem Zwirbelschnurrbart ließ Lilli sofort unzeremoniell auf den Boden klatschen. Frau Schmusig verpasste ihm einen Rüffel.

"Ilias" ,begann Lilli notgedrungen aufs Neue, "was hat er gesagt? Und Sie? Woher kennen Sie....ich meine.......Ich versteh' das alles nicht. Erst lässt er mich draußen stehen und dann..."

"Mutter, ich kann mir das Zeug nicht länger anhören. Bin kegeln. Und dass du mir ja die Türen und Fenster geschlossen lässt!" Damit knallte Berti geräuschvoll die Eingangstür zu.

Kurze Zeit später hörte man den schwer anspringenden Motor seines Wagens.

"Er geht um 6.30 Uhr kegeln?" Lilli hatte sich zwischenzeitlich aufgerappelt und schaute ihm ungläubig nach.

"Ach weißt du" ,lachte die alte Dame, "er versucht einfach alles was er nicht begreifen kann zu ignorieren so gut es geht. Wenn es vor ihm steht, steigt er darüber, er hat nie etwas gesehen oder gehört. Er war als kleiner Bub schon so empfindlich wenn ihm jemand spirituelle Geschichten oder gar Gruselmärchen nahe bringen wollte. Der Schock dann, als Ilias vor einunddreißig Jahren auf einmal wieder vor der Türe stand. Da war Berti gerade zwölf. Ich glaube, er hat den Anblick seiner dunklen Gestalt mit dem steinernen, weißen Gesicht nie vergessen. Sie hatten in der Schule die vier apokalyptischen Reiter durchgenommen und Berti war der festen Meinung, dass wir nun an der Pest sterben müssten. Voila, er ging niemals mehr ohne einen Beruhigungsteddybären ins Bett. Hm, vielleicht ist er darum noch Single."
 

"Sie sagten, ,wieder vor der Türe stand' ,wieder?....."

"Nun..." Frau Schmusig druckste herum, als wäre ihr etwas unangenehm, ".....ich habe ihn mit achtzehn getroffen und so...ja....na ja so war das dann."

Alles klar.

Lilli empfand für Bertis Benehmen irgendwie auf einmal Verständnis. Sie versuchte sich Frau Schmusig gerade etliche Jahre jünger zu denken. Die Falten, das graue Haar und der krumme, hinkende Gang retuschiert und doch, durchaus vorstellbar.

Ob sie früher schon diese wachen, schelmisch leuchtenden Augen gehabt hatte?

"Somit kannst du dir vielleicht vorstellen wie Berti Schatz durchgedreht ist, als Ilias mir aufgetragen hatte, dich zu suchen."

Lilli dachte weniger an Berti, als vielmehr an den Sinn von Ilias' fraglicher Vorgehensweise.

Weshalb hatte er sie nicht gleich her gebracht, wenn Frau Schmusig ohnehin wusste, dass sie, Lilli, Ilias wahres Dasein kannte?

"Aber....er hat doch nicht angerufen?" Es war dem Mädchen schleierhaft wieso sie gerade auf so eine nebensächliche Frage kam, die Frau S. theatralisch mit den Augen rollen ließ.

"Ilias und ein Telefon?" Da mussten sie beide ungehalten loslachen, bis die Ältere plötzlich innehielt, als hätte man ihr einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet.

"Es ist nur leider so, dass wir über eine Person lachen, die im Grunde nicht zum Lachen ist.

Lilli schnaubte, "glauben Sie, das wäre mir entgangen? Wohl kaum."
 

"So elegant und zuvorkommend er sich auch geben mag, darunter wabert doch stets die Rigorosigkeit, die ihm von je her erlaubte alles zu bekommen was er wollte und will" ,flocht die Alte ein.

"Er benutz die Menschen wie Marionetten bis sie nach seinem Willen tanzen, nichts ist ihm zu teuer und nichts zu heilig. Was hat er vor, Kind? Bist du sein...."

Also für ein ehemaliges Opfer war ihre allerdings eine Menge bekannt, das musste man ihr lassen.

"Der Pakt" ,erklärte Liliemour bereitwillig, da die Frau zweifelsohne eingeweiht war und ließ den Kopf hängen, "er will....."

"Ich verstehe" ,unterbrach Frau Schmusig. Ernst räumte sie den Tisch ab, wobei Lilli ihr sofort zu Hilfe kam.

"Hat er es also in Angriff genommen. Es war nur eine Frage der Zeit. Darum. Du weißt über den Pakt Bescheid, das wundert mich."

Die Verwunderung war auch auf Lillis Seite. Frau S. musste etwas Besonderes gewesen sein.

"Ja, ich....." Dass sie ursprünglich sein Bewacher gewesen und praktisch an der Quelle von allem gewesen war, verschwieg Lilemour. Warum genau, das war ihr selbst nicht klar. Vielleicht da sie selbst nicht wusste was sie nun eigentlich war. Nur eines war sicher.

"Sein Fresspaket bin ich aber nicht", stelle sie klar, wobei Charlotte sich vor ihrem geistigen Auge formierte, zusammen mit der blonden Sophie.

"Nein?" Diesmal schien Frau Schmusig wirklich überrascht, "erlaube mir die freche Frage, aber was machst du dann bei ihm?"

"Keine Ahnung." Was für eine tiefschürfende Unterhaltung.
 

"Höchst ungewöhnlich. Ich ahne Ungutes, Kind. Verzeih dass ich so offen spreche, aber man tut weise daran Ilias nicht vollkommen zu vertrauen, obschon ich ihm in der Tat ein wenig zu danken hätte."

Es fand sich gleichsam höchst ungewöhnlich, dass ein Opfer so viel über den Vampir wusste, wenn es ihm angeblich doch nur gelegentlich diente. Ihm darüber hinaus irgendetwas zu danken hatte. Verrückter wurde es von Gedanken zu Gedanken.

Lilli lachte trocken, "Amors Pfeil soll mich tödlich treffen, wenn ich dem auch nur meinen kleinen Finger anvertraue!"

Frau Schmusig schenkte ihr ein weiches Lächeln und reichte ihr ein in ein Tuch eingewickeltes Kühlakku.

"Ich befürchte, dass die stürmische Begegnung mit Herrn Mozart deinen Wangenknochen blau anlaufen lassen wird. Aber komm jetzt, ich lass' dir eine schöne warme Wanne mit einem Kokosschaumbad ein, damit du richtig ausspannen kannst."

Prüfend sah Lilli aus dem Fenster, "vielen Dank, doch ich bade seit Neustem grundsätzlich nur bei Tageslicht."
 

"Steh auf, unser Zug nach Wien fährt in einer Stunde."

Dumpf vernahm Lilemour irgendeine unbedeutende Stimme, in einem unbedeutenden Traum. Nach Wien konnte die alleine gehen. Sie hier lag nach einem ausgiebigen Bad und einem noch ausgiebigeren Essen in einem dicken Daunenbett und fühlte sich wie im Himmel.

Was wollte man da noch in Wien?

Die fiese Stimme zog ihr rücksichtslos die Decke weg und ließ die aus dem gekippten Fenster einströmende Kälte an ihren aufgewärmten Körper, der sich augenblicklich zusammenrollte.

Als sie einigermaßen brutal am Oberarm hochgerissen wurde, war an keinen Traum mehr zu denken.

"Aua." Sie brauchte nur wenige Sekunden um Ilias' ausdrucksloses Gesicht deutlich erkennen zu können. Während er dann ungehobelt an ihr herunterschaute, kam Lilli endgültig in die Gänge, riss sich los und nahm sich die schützende Decke. Nicht dass sie nackt gewesen wäre, aber sie hatte viel zu große Unterwäsche und ein, einem Zelt ähnelndem Nachthemd ihrer großzügigen Gastgeberin an. Abgesehen davon platze man nicht in das Schlafzimmer einer Frau, mit der man auf dieser Ebene nichts zu schaffen hatte. Das hatte man nie getan und würde es nie tun.

Ach, wie hatte es ihr entfallen können, er brauchte sich ja nicht an Regeln zu halten.
 

"Was ist das" ,wollte er gelassen wissen.

"Ein Nachthemd mit Blumen und Punkten drauf."

"Ich meine das hier." Sein schlanker Finger fuhr erstaunlich sanft über die leicht angeschwollene Stelle unter ihrem Auge. Ungeduldig entzog sich Lilli seiner Berührung und stand auf.

"Das ist meine Sache. Wenn Sie jetzt bitte das Zimmer verlassen könnten. Ich habe vor mich anzuziehen, falls meine gewaschenen Sachen schon getrocknet sind."

Aus dem nirgendwo hatte Ilias auf einmal eine Tasche in der Hand und warf sie ihr vor die Füße.

"Du wirst das da anziehen. Ich wünsche keine Widerrede."

Für eine Widerrede hätte sie nicht einmal mehr Zeit gehabt, denn außer ihr war niemand mehr im Raum.

Lilli verfluchte ihn als sie erkannte, dass all diese Sachen noch mit Preisschildern versehen waren und sie Stempel von Gucci und Prada trugen. Es waren die Einkaufstüten Charlottes.
 

Mit zusammengebissenen Zähnen verabschiedete sie sich Augenblicke später samt einem Rucksack voller Verköstigungen für mindestens zwei Tage von Frau Schmusig.

Sie hatte der lieben Dame viel zu verdanken und musste versprechen, sie wiedereinmal zu besuchen.

Mit Ilias wechselte die gute Frau kaum ein Wort, ihre ganze Haltung beteuerte den höchst möglichen Respekt, dementsprechend zurückhaltend gab sie sich auch.

Lilli aber umarmte sie herzlichst, küsste laut schmatzend ihre Wangen und winkte ihr noch lange nach. Den Rat gut auf sich aufzupassen wo immer sie auch hinkam, war zwar gut gemeint, aber relativ. Denn darauf hatte sie nicht ständig den größten Einfluss. Unglücklicherweise.

Berti war nicht anwesend gewesen.
 

"Was?! Was fällt Ihnen ein, Charlottes teure Sachen zu stehlen?!"

Jetzt, da sie auf dem Weg zum Bahnhof waren, konnte sie ihn endlich zur Rede stellen, wenn man es so nennen wollte.

"Ich habe sie ausreichend dafür entschädigt" ,war seine gelangweilte Antwort. Auf welche Art, das wollte Lilli nicht hinterfragen.

"Egal! Das ist Raub" ,beharrte sie weiter. Ilias billigte sie keiner Entgegnung.

"Wo ist sie? Im Hotel, stimmt's? Weiß sie noch warum sie in Salzburg ist? Nein, natürlich nicht, stimmt's?"

"Sie lebt noch" ,sagte der Vampir, "das dürfte genügen. Zieh den Gürtel aus, er ist hässlich."

"Ich behalte den Dinger. Wenn ich schon Geklautes trage, dann das Ganz im Set!"

Einige Schritte später erst spürte Lilli, dass sie den Gürtel mit den bunten Strasssteinen in Blumenformen nicht mehr an hatte. Schön war er wirklich nicht gewesen, wenn sie nicht hätte zur Disco Queen gewählt werden wollen.

"Übrigens, Berti hat dank Ihnen ein Trauma."

"Rechts von dir das Mozart Museum und gleichzeitig sein Geburtshaus" ,dokumentierte Ilias zusammenhangslos, wobei er stur geradeaus sah.

"Schade dass die Zeit uns im Nacken sitzt, sonst hättest du eine kleine Exkursion machen können, nachdem du vor kurzem ein Stell dich ein mit seiner Pappkopie hattest."

Lilli verkniff sich ein wütendes Stöhnen. Frau Schmusig kaum ein Wort widmen, aber das konnte er in Erfahrung bringen. So etwas Banales. Seine Prioritäten waren verschroben.
 

"Jetzt werden Sie mir gleich bescheiden verklickern, wie nett Mozart doch gewesen ist, dass man möglicherweise ganz famos mit ihm musizieren konnte und überhaupt hat er Sie sicherlich zu Rate gezogen, als er ,Eine kleine Nachtmusik' komponierte. Vielleicht stammt das Stück ja von Ihnen und dieser Schelm hat es nur als seines verkauft."

"Tatsächlich bin ich ihm nie begegnet und bedauere es zu Tiefst."

Während sie die hell beleuchtete Hauptgasse entlang liefen, zog das Paar sämtliche Blicke auf sich. Im Genauen war es wohl Ilias, der die Gemüter der Passanten erweckte. Mit seinem netten Aussehen, dass Lilli ihm von Anfang an zugestehen musste, wandelte er unnahbar wie ein Mythos mitten auf der Straße dahin. Sie selbst verschwand vollkommen unter seiner dominanten Präsenz, was ihr nur recht sein konnte. Erst als ein Japaner mit entschuldigendem Lächeln übertriebener weise ein Foto von dem unbeeindruckten Vampir machte, schaltete sich das Mädchen wieder ein.

"Da sehen Sie was ihr peinlicher Mantel für Aufruhr sorgt."

Ilias schenkte ihr einen Seitenblick der nicht weniger zu bedeuten hatte, als : ,du und ich, wir wissen genau dass es keine Rolle spielt in welcher Verpackung ich auftrete. Sie würden sogar einen Schottenrock akzeptieren.'

Lilli fühlte sich wie so oft vor den Kopf gestoßen.

"Warum laufen wir auf der Flaniermeile? Bei unserer Ankunft haben wir auch mit den düsteren Nebengassen vorlieb genommen!" Sie verschluckte den Zusatz, ob das hier seinem ohnehin überstrotzenden Ego zu Gute kommen sollte.
 

"Ich dachte, deine Angst vor dem biestischen Unbekannten wäre größer."

"Was?! Wo?!" Automatisch suchten Lilemours Augen die dunklen Umrisse der Hausgiebel ab. Wo war es? Wo war er?

Ilias legte plötzlich seinen Arm um ihre Taille, den sie in anbetracht der Lage für alles andere feindliche hätte halten können und machte einen Satz in die Luft. Damit zog zumindest auch sie einige Blicke auf sich, die sie jedoch für weniger bewundernd als viel mehr belustigt einstufte.

"Immer noch der Meinung wir sollten uns nicht im Licht der Öffentlichkeit räkeln" ,fragte der Vampir kokett, wobei er seine, für die Umwelt sicherlich unsichtbaren Nägel, nachdrücklich in ihre Seite bohrte. Würde sie nicht eine publizistische Szene riskieren wollen, bei der sie den Kürzeren zu ziehen hätte, so hatte alles Herauswinden keinen Zweck.

Verspannt blieb sie in seinem Arm, stets auf der Hut ihn so wenig als überhaupt möglich berühren zu müssen, bis ihr sämtliche Knochen weh taten und sie endlich den Bahnhof erreicht hatten.
 

"Weshalb haben Sie Frau Schmusig nach mir suchen lassen?" Eine Frage die Lilli nicht hatte fragen wollen und sich nun selbst dafür verachtete. Es sollte nicht aussehen, als interessiere sie sich für seine Pläne oder irgendetwas wobei er seine überlangen Finger im Spiel hatte.

Doch sie war schwach geworden, so einfach.

"Ich wollte Informationen. Dich dort hin zu schicken war nur ein Nebeneffekt der sich ergab."

So in etwa hatte sie es sich vorgestellt. Geplatzt waren die törichten Illusionen.

"Informationen?" ,bohrte sie selbstvergessen weiter, "von wem? Frau Schmusig?"

"Wieso sollte ich dir etwas preisgeben?"

"Wieso nicht? Zuvor hat es Sie mit mir als Zeuge auch nicht gekümmert."

Der Vampir saß in dem komfortablen Sitz ihr gegenüber, als wäre er schon Jahrhunderte genau dort gesessen. Als wäre er ein fester Teil davon. Bis er den Mund aufmachte und den Zauber brach.

"Du weißt um mein Begehren den Pakt zu stürzen."

"Wer mit ihnen zu tun hat und es nicht bemerkt hätte, wäre ein vollkommener Idiot. Sie hängen es schließlich an die große Glocke."

"Ganz so korrupt würde ich es denn nicht ausdrücken" ,entgegnete Ilias, "aber ich verheimliche mein Ziel nicht. Weshalb sollte ich auch?"

"Um ein wenig mehr Respekt vor den verteidigungstechnischen Möglichkeiten in der Hand des Ordens zu zeigen, zum Beispiel."

"Der Orden ist nichts weiter als eine Farce. Ebenso wie der Pakt selbst."

Etwas in Lillis Innerem, zog sich bei diesen Worten zusammen. Kannte er die Wahrheit über die eigentliche Machtlosigkeit des Ordens tatsächlich, oder handelte es sich nur wieder um seine haushohe, überzeugte Selbsteinschätzung?
 

"Wenn wir gerade von deiner Heimat und deinen bisherigen Bezugspersonen sprechen" ,lenkte der Schwarzhaarige unvermittelt ein, "so wird es dich interessieren zu erfahren, dass sie keinerlei Anstalten machen dich zu suchen. Heute ist der dritte Tag an dem du nicht ins Nest zurückgekehrt bist. Welch Rabeneltern."

Das Mädchen erwiderte nichts und trotzdem sie es sich in einem verschlossenen Raum ihres Hinterkopfes hätte denken können, ja, damit hätte rechnen müssen, war sie seltsam unvorbereitet auf die Wahrheit. Um genau zu sein, traf es sie herb. Evgeni musste das Oberkommando übernommen haben, denn würde Trudi und sogar Roberta sie einfach im Stich lassen? Nach all den Jahren? Sie ihrem Schicksal überlassen? Diesem Schicksal, dachte sie, als Lilli Ilias ansah.

Der gänzlich entspannt lächelte, ob dieser geschickten Neuigkeit für ihn.

"Mach dir nichts draus. In mir findest du, was dir bisher fehlte. Ich ersetze den ganzen Haufen falscher Verwandter mit beispielloser Leichtigkeit. Falls es das ist, was dich grämt."

Lilli glaubte kaum, dass sie diese erzwungene Tatsache hätte aufmuntern sollen und konnte es sich nicht verkneifen ein paar Tränen der Enttäuschung herunter zu schlucken.

Beispiellos, ja, das würde es sein.

Ob Emilie sie auch aufgegeben hatte? Unvorstellbar und besonders in so einem Moment. Nein, man musste fest an die Freundschaft glauben. Ganz, ganz fest.........gleich würde sie Rotz und Wasser heulen.

Irgendwie brachte es Lilli zur eigenen Ablenkung zu Stande, Ilias nach dem Zusammenhang zwischen diesem seinem neuen Wissen und Frau Schmusig zu fragen.

Auf sein cooles "sie ist eine deiner Pseudo-Verwandten" ,blieb Lilli endgültig die Spucke weg.
 

"Ein Ordensmitglied?!" Einige der Fahrgäste drehten sich kurz zu ihr und blieben dann wie selbstverständlich mit ihren Blicken an Ilias kleben, bis er sie äußerst wirkungsvoll ansah.

Augenblicklich waren die Leute wieder mit ihren eigenen Dingen beschäftigt. Wie oft würde Lilli dieses Schauspiel noch miterleben müssen?

"Sie war ein Behüter bis hin zu ihrem achtzehnten Lebensjahr" ,gab er ruhig und überraschend freizügig zum Besten.

"Mein Behüter. Einer von vielen. Einer von vielen Gescheiterten. Denn es traf sich, dass sie eines Tages unglücklich stürzte........."

Zur Abwechslung, griff Lilli schnell auf.

"S....Sie sind Schuld daran, dass die arme, alte Frau noch heute ein Bein nachzieht?!"

Es war nicht zu fassen was er ihr gerade durch die Blume gestanden hatte.

"Da die Verletzung inoperabel sein musste um den Sinn zu erfüllen, habe ich möglicherweise einen Teil dazu beigetragen und das damalige Mädchen gleichzeitig von ihren Pflichten befreit. Was ist ein Voyeur, der dem ihm Zugewiesenen nicht mehr zu folgen vermag."

Nach einigen Sekunden der stillen Schockverdauung, fand Lilli zu nicht gerade argumentstarken Worten.

"Sie mieser, rücksichtsloser........"

"Die Frau wollte Kinder. So ihr Wunsch" ,unterbrach Ilias ungeniert.

"Als tätiges Ordensmitglied unmöglich, wie du mir zustimmen wirst. Ich habe ihr diesen Wunsch erfüllt."
 

Lilemour konnte ein leises Fluchen nicht unterdrücken.

"Mit Sicherheit hatte sie es sich so nicht vorgestellt. Und, oh du großer Mist, sind Sie dann etwa Bertis Vater?! Niemals, oh woah, niemals! Außerdem......Vampire können sich doch nicht.....sie sind doch nicht......weil sie schließlich.....wie....."

Sie warf sich in den Sitz zurück und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

"Ihr armer Sohn! Von seinem Vater traumatisiert zu werden!"

Ilias antwortete aus der reinen Befürchtung, da hier eindeutig Rufmord an ihm begangen wurde.

"Es stimmt was man dir beibrachte. Tote, die dennoch nicht tot sind, finden sich unfähig dazu, Leben zu produzieren. Ein vollkommen unbedeutender Nachteil, wenn es denn einer wäre, im Tausch für all das, über was man habhaft wird."

Aber Lilli schnappte nur eines auf. "Oh, danke! Berti sah ihnen ohnehin nicht ähnlich" ,räumte sie ein, während sie über diese Erleichterung die fast schon chronische Wut auf ihren Gegenüber verlor. Der allerdings sofort für die Wiederherstellung dieser Ordnung sorgte: "Wir mögen ohne Nachkommen bleiben, der fleischliche Akt sie in der Regel zu schaffen jedoch, blieb uns vollständig erhalten."

"Danach hab ich weiß Gott nicht gefragt" ,erwiderte das Mädchen scharf, wobei sie angestrengt aus dem Fenster sah. Als wäre sie sich dessen nicht spätestens sicher gewesen, seit ihr Sophie über den Weg gelaufen war. Wenn er dachte, sie so provozieren zu können, dann....."

"Ja" ,ergänzte Ilias, "hoffentlich weiß Gott nicht. Ich allein bestimme was du wirklich weißt und was du nur vermuten kannst. Jetzt weißt du, aus erster Hand und ohne einen Vermittler."

Kaum traute sie sich zu fragen und brachte doch ein "und warum soll das so sein" ,über die Lippen.

Er antwortete adrett wie gewohnt. "Aus einem Anflug von Selbstpreisung."

Etwas sagte ihr, dass die Zugfahrt noch lang und nervenkostend werden würde, denn dieser Mann stand unter dem ständigen Einfluss solcher Anflüge.
 

Fortsetzung folgt!

Festivität

Ich Grüße euch alle zusammen! Na, gibt's was Neues dass ich wissen sollte? ;p

Leider habe ich im Moment nicht die Zeit jedem zu antworten, denn ich muss zu meiner Oma, Kartoffeln essen -.-

Aber ich werde demnächst eure Gästebücher heimsuchen, um mich für die Kommentare zu bedanken^^

Macht euch gefasst, har, har.

Vielleicht sogar, kann ich das nächste Kapitel schon kommende Woche hochladen. Nichts ist versprochen, aber........halbwegs angekündigt ;-)
 

Nun aber viel Spaß beim neuen Teil und auf bald!

Grüße, Fany

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"Ich verlange Hilfe!"

"S'eit wann so aufbräusend, Mädschen?" ,wollte Jean-Luc wissen, der sich einem Racheengel von Emilie gegenübersah. Die kaum mehr die Kraft aufbrachte, den fünf Obersten des Ordens mit dem vorgeschriebenen Respekt zu begegnen.

"Seit mir deutlich klar wurde, dass der Orden sich verantwortungslos im Hinblick auf seine Schützlinge in einer akuten Gefahrensituation verhält!"

Ja, manchmal war es ihr vergönnt ganz professionelle Satzstrukturen aufzubauen.

Jean Luc seufzte ungeduldig auf, "Wir h'aben dir doch erklärt, dass üns die H'ände gebünden sind und das ist genüg für ein Kind wie disch."

"Das ist mir egal" ,brauste Emi nun doch auf, "Sie haben sie dahin geschickt und das, wo sie die ganze Zeit von dem Risiko wussten!"

"Ich halte dich dazu an, deinen Ton zu mäßigen. Bälger wie du gehörten an eine Straßenkreuzung gehängt!"

Evgeni schlug zur Verdeutlichung seines Standpunktes so hart auf den Tisch, dass Roberta ihr Strickzeug aus der Hand fiel und sie ihm einen säuerlichen Blick zuwarf. Er ignorierte ihn geflissentlich. Die Spanierin und die scharfen Pfeile die gelegentlich aus ihren Augen schossen, waren nicht zu unterschätzen.
 

Trudlinde erhob sich altersbedingt sehr ungelenk aus ihrem Sitz, schlürfte zu Emi und legte ihr einen Arm um die Taille, für alles Höhere war sie zu sehr eingeschrumpelt.

"Ich gebe zu Emilie, wir hatten mit solch einer extremen Wendung der Dinge nicht gerechnet. Man hat schließlich keine Kontrolle über Zahlen, mit denen man nicht arbeitet. Hatten uns darauf......vielleicht nicht ausreichend vorbereitet. Ich......"

"Und wenn schon" ,unterbrach das blonde Mädchen, "es ist nicht zu spät. Schickt ihr jetzt Hilfe, jetzt!"

"Wenn das so einfach wäre, Emilie, wenn es das doch nur wäre. Aber ohne die Zahlen, bekommt man kein Ergebnis. Dann, wohin, Emilie? Wohin die Hilfe schicken? Keinerlei Anhaltspunkt auf ihren momentanen Aufenthaltsort ist uns gegeben. Stehen bleiben und auf uns warten, das werden sie wohl nicht für uns. Derartiges geht gegen die Wahrscheinlichkeitstheorie."

Das auch noch, Emi hasste Mathe und fand Trudis Beispiele weniger aufmunternd, denn Aggressivität hervorrufend.

Die Alte sah Emi mitleidsvoll an. Nicht nur das. Der Gang der Dinge machte ihr selbst schwer zu schaffen, schon merkte sie, wie ihr Rheuma wieder zu schmerzen anfing.

Lilemour war immer ein nettes Kind gewesen, man hatte nie viel von ihr gesehen oder gehört und möglicherweise war das auch der Grund. Zöglinge die oft hier zu gegen waren, machten oft Schwierigkeiten. Das problemlose, wenn auch etwas in sich gekehrte Kind zu verlieren war fernab ihres Sinnes gestanden.
 

"Uns fehlen die nötigen Einsatzkräfte, Emilie. Wir brauchen jeden Einzelnen. Kein angeblicher Eindruck von Schwäche darf nach außen getragen werden! Wir....."

"Wir sind schwach!" Emi hatte sich nicht mehr zurückhalten können zu sagen, was jeder längst und immer schon gewusste hatte und doch nie aussprach. Die giftigen Phrasen.

Evgenis Blut hatten sie bereits erreicht und aufkochen lassen: "Ich schlag sie euch windelweich!"

"Evgeni!" Die dickliche Roberta zog den hitzigen Ungar auf seinen Platz zurück, "zügle dein Temperament! Du bist ein erwachsener Mann um Himmels Willen. Dachte ich bis jetzt immer."

"Als eben solcher übernehme ich das Wort, wenn kein anderer sich der Aufgabe entgegenstellt, mit einer einfachen Adoptivgöre Klartext zu sprechen" ,brüllte Evgeni beinahe.

"Wir schicken dem Mädchen niemanden nach, so wenig wir uns die jetzige Situation gewünscht hatten. Danke, du kannst gehen!"

So einfach war es und doch so schwer.

Emilie wartete eingestaucht kurz auf den Einspruch, eine Milderung des Gesagten von einem der anderen, doch Anstalten dazu gab es keine. Keine.

Sie hörte den gewaltigen Ungar, der den Prozess der Abregung noch nicht gänzlich abgeschlossen hatte, schwer schnaufen.

Fasste einen Entschluss, den sie schon im Herzen getragen hatte, bevor sie hier her gekommen war. Von dem sie gehofft hatte ihn nicht realisieren zu müssen.
 

"Dann gehe ich." Emilies Worte hingen dick in der Luft, wie der Smog über einer Großstadt. Es war gestochen deutlich was und wie sie es meinte.

"Sei doch nicht so kindisch, Emilie" ,riet ihr Roberta und atmete tief ein, als läge eine schwere Last auf ihren Schultern.

"Wenn du also zu wissen glaubst, weshalb wir deiner Freundin im Genauen keine Unterstützung senden können, dann denke vernetzt und überlege dir was es für uns bedeutete, sollten wir auch dich verlieren."

"Sagt es mir. Ich will es hören, Wort für Wort. Was ist es was ich zu wissen glaube?"

Emilie sah die anderen unverwandt und hart an, auch wenn sie innerlich einem Gebäude kurz vor dem Abriss glich. Sie würde keinen Rückzieher machen und verlöre sie tatsächlich ihre Heimat. Ohne Lilli war sie es ohnehin nicht mehr. Ihre Schwester.

"Schluss mit dem Spiel" ,sagte Trudi plötzlich bestimmt, während sie ernst auf ihren Platz zurückging. War ihr gütiges Lächeln erst von ihrem Gesicht verschwunden, dann waren alle Tatsachen weit von einem Spiel entfernt. Das war bekannt. Ihre Mundwinkel hingen gerade jetzt verkniffen herunter.

"Emilie. Kein Behüter, sei er noch so erfahren, keine Waffe, sei sie noch so gewaltig und trickreich, keiner von uns fünf, nicht du und nicht wir alle zusammen haben die Möglichkeit, Ilias in dem Maße zu schaden welches notwenig wäre, um Lilemour aus seiner Umklammerung zu reißen. Falls........falls sie noch am Leben ist."
 

"Wie konnten Sie all das zulassen" ,wollte das Mädchen heiser wissen, mit warmen Tränen in den Augen, die sie hier nicht zu vergießen gedachte.

Die Frage war automatisch gestellt, obschon sie sich die Antwort sehr wohl ausrechnen konnte. Denn diese Zahlen waren bekannt.

Der ältlichen Frau fiel es zunehmend schwer, ihre eiserne Maske aufrechtzuerhalten, die so wenig zu ihr passte und doch zögerte sie nur kurz.

"Wir hofften" ,begann Trudi dann mit Bedauern in der sonst sicheren Stimme, "dass wir Ilias so hätten unter Kontrolle halten können. Dass uns Mickail, den der Vampir aller unbeweisbaren Wahrscheinlichkeit nach verschwinden ließ, gut ersetzen könnten. Zumindest so lange, bis uns effizientere Wege das Vorhaben erleichtert hätten. Seine unumstößliche Entschlossenheit und das daraus folgende, plötzliche Handeln hat uns sämtliche Pläne vernichtet. Alles was wir in der Hand hielten ist nicht einmal mehr einen Pfifferling gegen ihn wert."

Emi schnaufte abwertend, als sie sich über die Augen strich und gehässig lächelte.

"Ihr wolltet ihn glauben machen, dass ihr genug Leute habt um sie schulterzuckend verheizen zu können! Auf dass seine Mühen erfolglos blieben, wenn mehr und mehr von uns nachrückten. Wer könnte so dumm sein euch das abzunehmen?"

"Ein Wort, Trudlinde und ich schlage zu!" Der Ungar schäumte.

Trudi machte ein schmerzverzerrtes Gesicht, sie spürte das Alter in allen Knochen. Im normalen Arbeitsverhältnis wäre sie längst in Rente und ließe sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Irgendwo weit, weit weg. Vielleicht auf Hawaii.

"Ich würde es nicht mit diesem Wortlaut ausdrücken, aber ich gestehe, dass...."

"Ja" ,funkte Evgeni barsch dazwischen. "Ja, so ist es, Balg, bist du jetzt zufrieden? Ich rate dir unsere Entscheidung, die der Allgemeinheit zu Gute kommt, nicht in Frage zu stellen. Auch du bist Teil des Gemeinwesens. Auch für dich haben wir so gehandelt. Auch für dich haben wir den Versuch unternommen. Und auch für dich ist sie schließlich ihrem Schicksal überlassen, als dieser Versuch scheiterte. Also hör auf dich aufzuspielen und sei dankbar. Dankbar dass es nicht deine Haut getroffen hat."
 

Der Ungar hätte noch einige Stunden in dieser Manier fortfahren können, es stand ihm ungemein der Sinn danach, hätte Roberta ihn nicht am Arm berührt und langsam den Kopf geschüttelt.

Alle außer Evgeni schauten Emi betreten, doch unvermittelt an. Einschließlich dem wortkargen Iren Garreth, dem dieser leidliche Gesichtsausdruck in die Wiege gelegt worden schien.

Stumm sagten sie: ,Dies ist die Wahrheit und nichts kann sie ändern.' Kein weiteres Wort fiel.

Emilie drehte sich auf dem Absatz um und verließ Grußlos das Zimmer. Es war ein Abschied auf Ewig. Sie wusste es und die anderen wussten es, doch auch in diesem Falle konnte nichts ihre Entscheidung zum Schwanken bringen. Keiner hielt sie zurück.
 

"Schere, Stein, Papier! Schere, Stein, Papier! Schere, St....."

Seit nun mehr zwei geschlagenen Stunden hörte sich Lilemour dieses beispielhafte Spiel des Zeitvertreibs an. Langsam wurde sie es überdrüssig, Aber um genau zu sein, war ihr bereits nach den ersten fünf Minuten so zu Mute gewesen. Den Kindern ein paar Sitze weiter scheinbar nicht, schon setzten sie vergnügt zu einer neuen Runde an. Wie unbeschwert sie doch noch waren, mit allem zufrieden. Hach ja.

So leid es ihr tat, wenn sie die Stille zwischen ihr und der Statue ihr gegenüber nicht brach, würde sie dem Wahnsinn verfallen, denn sie hingegen war leider nicht mit allem zufrieden. Passender ausgedrückt, im Moment mit dem Wenigsten. Außer mit dem Zug.

"Wieso sitzen wir in einem modernen Zug?" Natürlich war diese Einleitung, direkt von ihren Gedankengängen abgeschält wie das Dönerfleisch von seiner Spule, mit null Intelligenzquotient versehen. Den Sinn und Zweck erfüllte sie deshalb jedoch nicht minder, da Ilias langsam die Augen öffnete. Die ,Schere, Stein, Papier -Zeit' ,also die ganze Zeit, hatte er wie im friedlichsten Schlaf dagesessen und nicht durch eine einzige, noch so minimale Bewegung erkennen lassen, dass er noch lebte. Wenn man Leben mit Existieren gleichsetzen wollte.
 

Lilli versuchte ihren plötzlich schnelleren Herzschlag zu normalisieren, der unglaublicher weise entstanden war, als der Vampir die Lider mit den langen Wimpern hob, unter denen die schwarzen Tiefen der Unendlichkeit lagen.

Das war es, der Wahnsinn hatte längst Besitz von ihr ergriffen. Man stehe ihr bei!

"Wir müssen nach Wien" ,sagte er gelangweilt, "das hier war die erstbeste Möglichkeit, so sehr sie mir missfällt. Man kann nicht alles haben, das ist eine alte Sache, der zu trotzen ich dennoch in jeder freien Minute bereit bin."

Dieser Satz musste keiner Interpretationslehre standhalten, um berechtigte Kritik an ihm äußern zu können. Der Zug war neu, wunderbar leise und schnell. Kein Vieh unbekannter Herkunft und noch zweifelhafterer äußerer Zusammensetzung konnte sich bei dieser Geschwindigkeit auf dem Dach halten. Sanft fuhr der ICE wie ein Hovercraft über die Schienen und das beschrieb Ilias mit ,missfällt'?!

Nun, Lilli fand es durchaus angenehm, um nicht zu sagen, luxuriös.
 

"Eigentlich geht es mich ja nichts an" ,startete sie nach der plumpen Einleitung zu einem zeitfüllenden Gespräch, "aber ich war doch tatsächlich der Meinung gewesen, Sie wollten nach Russland. Staw -irgendetwas besuchen um Kriegspläne auszutüfteln."

Ilias zeigte keine Regung, außer dem leichten Öffnen seiner sinnlich geschwungenen Lippen (man stehe ihr doch endlich bei!) Oh, wie sie sein Engelsgesicht verwünschte.

"Eines nach dem anderen." Eine sehr umfangreiche Erklärung, die er da abgegeben hatte, das musste ihm der Neid schon lassen.

Lilemour schwankte zwischen der sicherlich vernünftigeren Idee, sich damit abzufinden, oder aber die mit Langeweile gewürzte Neugierde zu füttern.

"Was machen wir in Wien?" Der Untergang ihrer Vernunft war eingeleitet.

"Tanzen."

"Tanzen?!" Seine Vernunft war der pflichtbewusste Kapitän des sinkenden Schiffes.

Er erachtete es fürderhin nicht als notwendig, seine überraschende Discofreudigkeit näher zu erläutern. Andererseits kannte sie ihn erst seit knapp einer Woche, vielleicht besuchte er in geregelten Abständen tatsächlich einen Tanzclub. Ihre bisherigen Erfahrungen mit ihm reichten jedoch aus um festzustellen, dass das so unwahrscheinlich war wie ein Pilotenschein in seinem Besitz.

"Tanzen" ,hakte Lilli darum nach, bereit ihm alles aus der Nase zu ziehen.

"Sie meinen, Sie tanzen eine wandelnde Blutverpackung an, während ich draußen an der Straße um mein Leben fürchten muss und betrunkenen Jugendlichen aus dem Weg zu gehen habe?"

War es auch noch so ehrlich gemeint, musste Lilli doch in sich hineingrinsen, als sie sich Ilias unter einer rotierenden Lichtkugel, mit dem Hintern wackelnd vorstellte. Sein Mantel würde ihm so manchen Spott von Neidern zuziehen, denn selbst wenn er auf allen Vieren quakend durch den Raum lief, eine Mädchentraube um seine Person war ihm sicher.
 

"Jugendliche der Art von denen du sprichst werden dort kaum vertreten sein" ,durchschnitt Ilias ihre Gedanken, "Sie werden sich der Veranstaltung nicht ungehindert nähern können."

Discotheken fielen wie erwartet weg. Sie kam sich vor wie bei einer mehr oder weniger geselligen Ratespiel Runde und die Lösung war nahe.

Eine Tanzveranstaltung in Wien. In Wien?! Blieb also noch.....oh nein.......

"Alles Walzer" ,sprach das Mädchen ihren Verdacht aus und sah ihn sogleich bestätigt.

"Zu meinem Leidwesen kann ich dich nicht durch den Wiener Opernball in die Gesellschaft einführen" ,bedauerte der Vampir. Merklich ohne Bedauern..

"Immerhin ist es ein Ball mit nicht weniger gutem Ruf, der die Öffentlichkeit und damit die Presse jedoch komplett ausschließt. Es handelt sich um eine Privatveranstaltung eines Herrn mit Klasse und Stil, von denen es heutzutage nur noch viel zu wenige gibt."

Ein Ball? Sie in die Gesellschaft einführen? Ob er mitbekommen hatte, dass in diesen Tagen der Menschen ohne Klasse und Stil, niemand mehr nach diesem Schema irgendwo eingeführt wurde?

"Keine Sorge, ich warte bis du diesen komplizierten Sachverhalt ordnungsgemäß verdaut hast" ,bot Ilias ihr an, nachdem er ihrem lebhaften Mienenspiel amüsiert gefolgt war. Lilli überging diese Bemerkung.

"Und ich soll da mit" ,erkundigte sie sich statt einer direkten Entgegnung.

"Ja, ich möchte dich ihm vorstellen."

"Vorstellen?!" Langsam aber sicher bekam sie es mit der Angst zu tun......

"Schön aufgefasst. Es wäre mir außerdem lieb, nicht alles zweimal sagen zu müssen."

"Aber warum" ,wollte Lilli rechtmäßig wissen, wobei sie innerlich immer aufgeregter wurde. Im deutlich negativen Sinne.

Ilias entgegen, schien die Unterhaltung zu ermüden. Sollte er auf der Stelle in einen Dornröschenschlaf fallen, so hatte er ihr zuforderst noch Rede und Antwort zu stehen. Sie brannte nicht gerade darauf Leute kennen zu lernen, von denen er so gut sprach, die er offensichtlich auf eine Art und Weise achtete. Wahrscheinlich war dieser Typ uralt, hatte konservativ eingefahrene Ansichten in allen Lebensbereichen und war darüber hinaus stinkreich.
 

"Lass das meine Sorge sein" ,antwortete Ilias für sie völlig unzureichend. Lil war bereit ihm das genauso zu signalisieren.

"Speisen Sie mich nicht immer so ab! Ich will eine gültige Antwort!"

"Meine Antworten sind ausnahmslos gültig. Aber wenn du es deutlicher willst, dann sei dein Wunsch mir dieses eine Mal Befehl. In Wien gibt es keinerlei Anlaufstellen für dich, um die ich mich nicht zuerst zu kümmern hätte. Im Freien kann ich dich in Anbetracht der Umstände eines uns verfolgenden Unbekannten nicht lassen. Mit anderen Worten, ich weiß nicht wohin mit dir, so nehme ich dich denn mit."

Das waren die Phrasen des Lebens, die einen ungemein anspornten, man kam sich so zauberhaft geliebt und bedeutend vor. Das Mysterium, dass ihn sie auf seinem Feldzug gegen den Orden überhaupt mitschleifen ließ, wurde größer und größer. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal musste man sich fragen, weshalb sie hier war. Bei ihm. Gutes würde es nicht bedeuten können. Bei ihm. Doch darüber pflegte er sich auszuschweigen.

"Der Fremde wird uns bis hierher folgen können?" Nun, was hatte sie erwartet, dass er noch immer auf seiner Straßenlaterne hockte? Trotzdem beunruhigte sie die ausgesprochene Wahrscheinlichkeit.

"Davon gehe ich aus" ,berichtete Ilias wortkarg. Mit ihm war einfach nicht zu kommunizieren wie sie es gerne hätte. Gerne aber, ließ sie das Magenschmerzen verursachende Thema zu Gunsten eines anderen fallen.
 

"Ist der Ball da etwa heute?" Geschlagen fügte sich Lil also ihrem Schicksal und den wohl kommenden Stunden, die bei einem Widersetzen ihrerseits nur ungünstiger würden ausfallen können.

"Um 23.00 Uhr werden wir Wien erreicht haben. Der Ball zu Gunsten der im Mikrokosmos reflektierten, göttlichen Ordnung der Welt in Bezug auf die klassische Architektur wird unlängst begonnen haben. Spät zu kommen macht den in unserem Fall wahren Anschein einer Vielgeschäftigkeit. Immer zu empfehlen in diesem Milieus."

Lil konnte sich ungeachtet davon, dass sie praktisch nichts verstanden hatte, eines trockenen Auflachens nicht erwehren, "und da gehen wir also hin wie wir sind. Sie in einem schrägen Mantel der falschen Epoche und ich in einem blauen Wollpulli mit dunkler Jeans und Winterstiefeln. Mal sehen wie hoch wir als gemeines Fußvolk dann noch in der Gunst der feinen Gesellschaft stehen."

"Lass das meine Sorge sein." Ohne weitere Probleme hätte sie ihm auf der Stelle an die Gurgel gehen können! Wie würde er ihr in knapp einer Stunde, mitten in der Nacht eine Gala Robe besorgen wollen? Es war gesünder sich solchen Fragen nicht hinzugeben.

Eines war von vorn herein klar. Aus den Augen würde Lil ihn nicht lassen, wenn er auch nur die Tendenz zeigte, irgendeinen Fahrgast irgendwie um ein Kleid zu erleichtern.

Ilias jedoch, schloss erneut die Augen (die Schere, Stein, Papier -Stimmen wurden wieder hörbar) und blieb reglos bis der Zug unter viel Aufbruchsstimmung im Abteil in den gigantischen Bahnhof der österreichischen Hauptstadt einfuhr.

Die Fahrt wäre zu genießen gewesen, wäre Lilemour nicht von Minute zu Minute nervöser geworden. Hätte sie ihn doch nie nach seinem Vorhaben gefragt, so wären ihr noch einige Momente der Entspannung geblieben. Die nun völlig abgefallen waren.

"Äh.......falls mich da einer fragt" ,warf Lilli beim Aussteigen skeptisch ein, "wie war das noch mit der klassischen Architektur?"
 

"Und du meinst, das war die richtige Entscheidung?"

"J...ja....vollkommen! Wieso......zweifelst du?!"

"Nein, du?!"

"Nein, in aller Welt, nein!"

"Na dann...." Toni lehnte sich in seine Ikea Couch der neuesten Kollektion zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, wobei er eine mehr als niedergeschlagene Emilie sicher im Blickfeld hatte. Sie saß hängenden Hauptes auf dem flauschig -bunten Teppich vor ihm und seufzte ununterbrochen.

"Du....du hast bloß keine Lust mir zu helfen" ,klagte sie ihn schließlich an, als er keine weitere Erwiderung zu Stande brachte. Bis dahin.

"Ich helfe dir wo ich kann, Emi."

"Aber Lust hast du keine." Der Vampir verdrehte unsichtbar die Augen, zog Emi mit einer Bewegung so locker als würde es gelten einen Wasserhahn aufzudrehen zu sich auf die Couch und drückte sie an sich.

"Meine liebe, hübsche Emilie" ,flüsterte er ihr ins Ohr, wobei sie erschauderte, wie immer. Eine unschlagbare Taktik.

"Ich liebe dich und du weißt, ich würde alles in meiner Macht stehende für dich tun. Ich würde für dich sogar Bungee Jumping machen und zwei Liter Blut auf Ex trinken, aber verlange nicht von mir, dass ich mich besonders happy fühle bei dem krassen Gedanken, einem schlecht umgänglichen Vampir aus der High Society zu folgen, ohne einen Anhaltspunkt wohin überhaupt."
 

"Toni.....ich....."

"Hör schon auf zu weinen, mein Liebchen, mein!"

"Toni.....ich....."

"Ich bin immer bei, auf aaaallleeee Ewigkeit wenn du es willst."

"Toni.....ich.....ich ertsicke!"

"Oh." Schelmisch grinsend entließ Antonio seine Geliebte aus der zu gut gemeinten Umarmung. Wann würde der Tag kommen an dem er alt genug war, seine Kräfte nicht zu unterschätzen?

"Wir folgen doch auch nicht diesem Ilias Kerl" ,atmete Emi tief ein, um wieder genügend Luft in ihre Lungen pumpen zu können.

"Lilli wollen wir finden!"

"Ich fürchte, wir werden sie im Doppelpack nehmen müssen" ,wusste Toni sarkastisch zu widersprechen. "Denn wenn das Mädchen jetzt noch lebt, dann wird er sie auch in Zukunft nicht frei geben und sei es nur um zu zeigen, dass er die volle Gewalt über sie inne hat. Vampire sind bei Zeiten äußerst besitzergreifend, wie die Menschen selbst."

"D...das heißt, sie....sie könnte tatsächlich tot sein?"

Verständnisvoll sah Toni ein, gerade einen mittelschweren Fehler begangen zu haben, der dennoch stark genug war, um apokalyptische Zustände heraufzubeschwören.

"Nein. Nein" ,beeilte er sich hinzuzufügen, " ich habe nur an die Norm gedacht und.......oh nein, also nicht die Norm, die du meinst.....an.....an die Norm in meinem Kopf und die ist ein bisschen schräg, darum...beachte sie nicht und......also, sie wird schon noch leben und vielleicht sein Betthäschen geworden sein und.....also....oh, mein schräger Kopf.....ich meine......es wird ihr gut gehen und sie wird schon noch lustig vor sich hintanzen und...."

Im Grunde war ihm nicht im Entferntesten klar was er brabbelte, doch das wusste er nie wenn sich Tränen in Emilies Augen zu sammeln begannen.
 

Was sollte er dazu noch sagen?

Lilemour stand ihm bei weitem nicht so nahe, als dass er das Risiko auf sich genommen hätte, sich den Zorn eines um ein Vielfaches älteren und damit mächtigeren Vampirs auf sich zu ziehen. Aber für Emilie........ Sanft küsste er sie und bettete ihren Kopf auf seinem Schoß.

"Es ist richtig dass du den Orden verlassen hast" ,gab er zu, wobei er ihre lockigen Haare streichelte, "sie wären uns ohnehin irgendwann im Weg gestanden, dir und mir. So schlagen wir doch zwei Hornissen mit einer Klappe!"

"Zwei Fliegen, Toni" ,nickte Emi halbwegs beruhigt. Das war in etwa, was sie sich zu hören vorgestellt hatte. Man, hatte er lang gebraucht um das zu schnallen.

Es war nicht einfach gewesen, den Orden auf Knall und Fall zu verlassen. Ihr zu Hause, alles was sie je gekannt hatte und doch war es die einzig richtige Lösung gewesen. Lilli war es ja genauso ergangen. Lilli. Toni und Lilli waren ihr wichtiger als der Ort, an dem sie aufwuchs, den sie nie würde ganz vergessen können, der Geschichte war. Jetzt, ein Teil ihrer Geschichte.

Aber sie konnte hier her. Sie war nicht allein. Mit ihm würde sie Lil schon finden, egal wie, wann und wo, sie würden! Ja, sie hatte ihren Toni. Toni, der zweifellos dabei war, eindeutige Annäherungsversuche zu unternehmen. In so einem Augenblick? Das fiel auch nur Männern ein, da konnten sie theoretisch tot sein so lange sie wollten. Vertrauensvoll erwiderte sie ergeben seine zärtlichen Gesten.

Und wen hatte Lilli?
 

Sie hätte es ahnen müssen. War doch auf der Hand gelegen, aber so weit hatte sie wiedereinmal nicht gedacht. Schließlich, an was sollte man noch alles denken?

Missmutig stand Lilemour neben einem gigantischen, samtigen Riesenvorhang in einer Ecke, der ihr sofort sympathisch vorgekommen war und versuchte, sich so unsichtbar als möglich zu machen. Als Mensch der nur Diebesgut trug, kam sie sich auf diesem wirklich pompösen und gut besuchten Ball reichlich deplaziert vor. Es war anzunehmen, dass es ihr mit eigenen Kleidern genauso ergangen wäre, nur jetzt lohnte es sich tatsächlich sich außerhalb des Geschehens zu lümmeln. Als unfreiwilliger Gauner. Mitgehangen, mitgefangen, kam ihr dazu nur in den Sinn.

Wenn sie an die vergangene Stunde dachte, dann blieb ihr mehr als genug Stoff, mit dem sie sich beschäftigen konnte, oder musste, denn die Szenen kamen ihr wieder und wieder hoch.

Ilias hatte sich von irgendwelchen eifrigen Beamten seinen unheimlichen Sarg mitten in der Bahnhofsaufenthaltshalle auf den Boden stellen und eine Tüte mit Kleidern hervorkramen lassen, als wäre es das Normalste der Welt ein Totengefäß als Koffer zu benutzen.

Keiner der wartenden und vorbeilaufenden Passanten hatte es mehr eilig. Die Meisten überkam sogar der Drang urplötzlich ein belegtes Brötchen der geschickt zentral gelegenen Hallenbäckerei zu kaufen, um hoffentlich lange genug anstehen zu können.

Sie sahen und hörten sich aus einem Gemisch von Ungläubigkeit und Sensationslust interessiert mit an, wie der erschreckend bleiche und rund herum sehenswerte Ilias, der gerade ebenso bleichen und unsicherern Lilli unmissverständlich zu verstehen gab, die Toiletten aufzusuchen um sich umzukleiden, oder es ihn machen zu lassen. Hier.

Die Tüte stammte natürlich aus Charlottes Errungenschaften und machten Lilli umso wütender. Nicht ausreichend aber, um sich von Ilias in einer Halle voller Leute, neben einem Sarg, gewaltsam umziehen zu lassen.
 

Nach dem abgehakten Einkaufszettel, den sie noch in der Tasche gefunden hatte, ließ sich daraus schließen, dass sie Charlys künftiges Abiballkleid trug. Allerdings war es so aufwendig gemacht, es konnte problemlos mit den anderen Roben auf dieser Veranstaltung mithalten. Vielleicht hatte Charlotte vor gehabt , irgendwo an einem Schönheitswettbewerb Teil zu nehmen, nachdem sie die Wirkung des Kleides auf der Abi Feier getestet hätte.

Tatsächlich störend war für Lilli, außer der Tatsache, dass Charly wohl arm werden würde wenn sie sich neue Sachen kaufen musste, der tiefe Ausschnitt und die kaum verdeckte Rückenpartie. Das Kleid war lachsfarben, zu eng geschnitten im Ganzen und bodenlang. Letzteres zumindest traf sich vortrefflich mit ihrer Unfähigkeit auf unmöglich hohen Absätzen zu stolzieren, oder überhaupt zu laufen.

Ihre Haare waren zwar nicht kunstvoll aufgetürmt und mit Muscheln, Perlen oder Bändern verziert, wie viele es hier trugen, aber frisch und mit viel Liebe von Frau Schmusig und einem Pfirsichshampoo gewaschen.

Was brauchte sie einen Friseurbesuch, den sie sowieso nicht hätte zahlen können? Sie war eben natürlich. Genau! Natürliche Eleganz!

Lilemour drückte sich noch tiefer in die Ecke und schaute auf den Boden.

Zum Teufel mit nicht vorhandener Eleganz. Was sollte sie mit ihren Händen machen, wo sie hin tun? Es war nichts mit ihr anzufangen. Sie wollte wieder gehen, von dem Augenblick an, als sie notgedrungen an Ilias Arm den riesigen Eingang eines noch riesigeren Gebäudes passiert hatte.

Vor einer halben Stunde dann, hatte er sie Mutterseelen allein stehen gelassen. Zu Beginn war Lil noch ausreichend mit dem köstlichen Buffet beschäftigt gewesen, von dem sie die meisten Sachen die in ihren Mund gewandert waren, gar nicht hätte benennen können, aber jetzt. Jetzt half ihr kein Essen mehr, sie war ein verlorenes Stück Lachs in einem großen Fluss. Schwamm sicherlich auch noch in die falsche Richtung.

Ihre einschüchternde Umgebung jedenfalls, bestand aus einem hell erleuchteten Saal voller Kronleuchter und anderem Prunk, durch den Ilias sich pudelwohl fühlen musste. Alles begleitet von einem kleinen Orchester, dass von Vivaldi über Beethoven, Tschaikowski und Rachmaninow alles zu spielen vermochte.

Alle unterhielten sich wundervoll, jeder hatte jemanden den er kannte.

Na toll. Würde Ilias je wieder nach Hause wollen? Moment. Nach Hause?!

Was dachte sie sich da? Sie würden nicht nach Hause gehen, denn er ließ sie nicht in ihres und wollte noch nicht in seines. Es war reinste Blasphemie von einem gemeinsamen Zu Hause auch nur ansatzweise zu denken. Es musste Gift im Essen gewesen sein!
 

Menno! Er wollte doch nur den Gastgeber ausfindig machen. Was sie wohl so lange machten? Ob er schon zu ihm durchgedrungen war? Nun, daran bestand kein Zweifel, er wird sich den Weg freigelächelt haben. Wahrscheinlich ließen sich die Zwei gerade kräftig über die stillose Moderne aus und schaukelten sich gegenseitig hoch. Er und dieser alte, reiche Sack mit seiner klassischen Architektur.

Zu Lillis Erstaunen, war Ilias halbwegs passabel für die Gegenwart gekleidet. Sicherlich hätte man seine, mit silbernen Ornamenten aufwendig bestickte Weste unter dem vorgeschriebenen schwarzen Cut für exzentrisch halten können, doch die Anwesenden kannten ja seinen Alltags Mantel nicht. Sein sonstiges gespielt galantes Auftreten entschuldigte all seine feinen Absonderlichkeiten. Natürlich nicht bei ihr! Sie wusste es besser!

Das einzig Positive dass diesem Abend abzugewinnen war, dass es warm war und der Nazgul Verschnitt des vergangenen Tages hier nicht würde auftauchen können, sollte er sich nicht einer Schönheitsoperation unterzogen haben und irgendwo an eine Einladungskarte gekommen sein.
 

".......und darum schau dir an, mit welchen illustren Mitteln sie uns entgegenwirken wollen."

Der Schreck fuhr Lilli in die Glieder, als sie eine allzu bekannte Stimme auf einmal unmittelbar vor ihr wahrnahm. War sie so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass sie das Herannahen des Vampirs glatt und sauber nicht bemerkt hatte?

Sie hob den Kopf und sah in Ilias adrett grinsendes Gesicht, der eine behandschuhte Klaue nach ihr ausstreckte und sie aus den schützenden Massen vom Stoff des Vorhangs zog.

Sein Anblick mit den, zu einem hoch angesetzten Zopf gebundenen Haaren, war noch immer leicht befremdlich für sie.

"Du kannst später mit mir kuscheln wenn du es so nötig hast. Kein Grund die Gardinen zu belästigen."

Gerade da sie etwas wirklich Giftiges hatte erwidern wollen, lenkte er mit einer Armbewegung ihre Aufmerksamkeit auf eine Person neben ihm.

Ach ja, der alte Knacker von Gastgeber. Hatte Ilias die Drohung, sie einander vorzustellen also wahr gemacht, trotz ihren scheinbar sinnlosen Einwänden. Lilli konnte nur beten, dass der Herr nichts über Architektur oder die göttliche Ordnung auf der Welt von ihr wissen wollte.

"Darf ich vorstellen Verehrteste! Zu meiner Linken der spendable Mann der uns diesen geschmackvollen Abend ermöglichte und dazu hin die Ikone der Ritterlichkeit. Stawrogin Trofimowitsch Navkan Molkatschenko Kostomarow. Inoffizieller aber wahrer Großfürst über die Gebiete ausgehend vom Barentsee bis hin nach Aserbaidschan."

In diesem schicksalsschweren Augenblick veränderte sich alles. Der Ball, ihre auswegslose Situation, ihr Leben. Was waren schon Schuhe mit denen man nicht laufen konnte? Wer war schon das Vieh dass sich wohl eines schönen Tages auf sie stürzen würde? Was war noch wichtig außer dem Hier und Jetzt?
 

Der fremde Mann lächelte Ilias reserviert an, "wie immer übertreibst du maßlos, guter Freund. Noch genauso wie zu Zeiten Nikolaus Romanow des Ersten. Unverbesserlich."

Es wäre nicht abstrakt gewesen zu behaupten, dass Lilemour mit der Situation restlos überfordert war. Das hing nicht allein an der Feststellung, dass Stawrogin zweifelsohne der Vampir war, den sie in Russland hätten treffen sollen. Auch nicht daran, dass er seine wahre Identität durch das gängige Wegillusionieren der überlangen Zähne und Fingernägel nicht vor ihr verbarg, ja mehr noch, es unterstrich. Denn so weit ihre Geschichtskenntnisse sie nicht im Stich ließen, lebte Zar Nikolaus um 1850.

Nein, all das warf das Mädchen nicht so sehr aus der Bahn wie seine ganz und gar nicht alte Erscheinung selbst. Viel schlimmer noch. Im Essen musste eben doch Gift gewesen sein. Die runden Dinger mit der seltsamen Haut außen rum waren ihr gleich schon suspekt vorgekommen. Hätte sie doch nur auf ihren Magen gehört!

Es traf sie wie ein Hammerschlag, wie ein kalter Guss nach der Sauna, als wäre sie gerade eben aus dem Bett gefallen und aufgewacht. Ihr Wesen, ihr ganzes Sein war bis auf die Grundmauern erschüttert, wie das der Julia als sie ihren Romeo erblickte.

'Stawrogin, oh Stawrogin! Warum nur Stawrogin?!'

Sie war hin und weg. Gab es Liebe auf den ersten Blick? Wenn ja, dann war sie ihr verfallen. Lilli musste sich ernsthaft dem sündigen Gedanken erwehren, sich im Geheimen als zukünftige Frau Kostomarow zu sehen- oder was auch immer Teil des Nachnamens war.

Liebend gerne würde sie alle zu jeder Zeit benutzen, um Paketabnahmen oder Verträge zu unterschreiben.
 

In der Zwickmühle kein vernünftiges Wort außer einem nervösen "Freut mich sehr" herauszubringen, nahm Ilias ihr unbewusst die Bürde ab.

"Das ist eben besagtes Ordensmitglied. Was sagst du, grenzt es nicht nahezu an Beleidigung" ,meinte er rhetorisch mit einem angedeuteten Kopfnicken in ihre Richtung, völlig lieblos in geschäftlichem Tonfall. Ja doch, es war eine Beleidigung dass er ihr Stawrogin nicht schon viel früher vorgestellt hatte! Dieser Stümper!

Keiner der Beiden bemühte sich darum, ihren Namen zu erwähnen oder erfragen. Das war gut, er war ihr ohnehin entfallen.

Verdammt, sie hätte sie doch einem Friseurbesuch unterziehen sollen, auch wenn sie als Bezahlung tagelang Haare auf dem Boden hätte zusammenkehren müssen. Lilli wünschte sich nichts mehr als ein paar lachsfarbene Muscheln im Haar.

Jedoch neigte der Russe den Kopf leicht zur Seite als er Lilli betrachtete, die sich nicht schlüssig war, ob sie nun rot oder blass werden sollte.

"In der Tat, ziemlich jung."

Fantastisch, sein leichter Akzent war Musik in ihren Ohren. Seine weiche, überraschen helle Stimme, ein Wunderwerk!

Aber nein! Wie kam er darauf dass sie jung war?! Ihr Alter war perfekt auf seines Abgestimmt! Sie harmonierten vollkommen, wie Jing und Jang! Oder aber bei dem Gift im Essen handelte es sich um hochdosiertes Zyankali.

Stawrogin, oh Stawrogin. Warum nur Stawrogin?!
 

Fortsetzung folgt!

Stawrogin

So. Oh je, das war eine Pause, die es in sich hatte. Hätte nie gedacht dass ich einmal derartig lange nichts mehr hochladen würde. Ich musste mich sogar erst wieder einlesen (was ist nochmal als Letztes passiert?), das musste ich noch nie ;_;
 

In diesem Sinne: Tut mir sehr leid, ich werde natürlich versuchen so etwas in Zukunft zu vermeiden. Die vielen Klausuren und die Eiskunstlaufweltmeisterschaft (Oh Gott, es ist noch länger her als ich dachte! O.O) haben mich mit ihren mächtigen Klauen aufgehalten ;p

Na gut, ich werde zu theatralisch.

Auch dieses Mal wieder ein herzliches Dankeschön an meine Kommentarschreiber, deren Kritiken und Lob mich immer anspornen :-)

Damit hoffe ich auch, dass euch dieses Kapitel zusagt! ^^

Dann will ich euch nicht länger aufhalten, wünsche viel Spaß und ab geht die Post :-3
 

Viele Grüße an alle,

Fany
 

Hier noch mal schnell ein "Wiedereinsteigungsteil" des letzen Kapitels^^

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Jedoch neigte der Russe den Kopf leicht zur Seite als er Lilli betrachtete, die sich nicht schlüssig war, ob sie nun rot oder blass werden sollte.

"In der Tat, ziemlich jung."

Fantastisch Verdammt, sie hätte sie doch einem Friseurbesuch unterziehen sollen, auch wenn sie als, sein leichter Akzent war Musik in ihren Ohren. Seine weiche, überraschen helle Stimme, ein Wunderwerk!

Aber nein! Wie kam er darauf dass sie jung war?! Ihr Alter war perfekt auf seines Abgestimmt! Sie harmonierten vollkommen, wie Jing und Jang! Oder aber bei dem Gift im Essen handelte es sich um hochdosiertes Zyankali.

Stawrogin, oh Stawrogin. Warum nur Stawrogin?!
 


 

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"Man erkennt unschwer" ,fing Ilias an, wobei er um die festgefrorene Lil herumging, "der Orden kämpft bereits mit mangelndem Personal. Sie haben nicht mit den vielen kleinen und stetig mehr werdenden Rebellen aus unseren Reihen gerechnet, die den Verschleiß ihrer Reihen fördern. Der Effekt den sie zu spät erkannten liegt darin, dass die neue Generation ihrer adoptierten zukünftigen Streitkräfte -ich will sie auf Grund fehlender Titulierung so nennen- noch kaum ihren Windeln entwachsen sind, die Eingearbeiteten zu alt werden und die restliche Quote durch........außerordentliche Vorfälle wegzufallen beginnt.

Selbst Letztere zeigt sich mangelhaft, wie du hier siehst. Tja, so etwas nenne ich einen unflexiblen Markt.

Es kostete nicht den Ansatz einer Anstrengung das Mädchen hier von ihrem Orden zu trennen und kündigungslos an mich zu binden. Erfahrung war es, die ihr fehlte. Erfahrung und alles was einen zur Vollständigkeit ausgebildeten Behüter ausmacht. Ohne sagen zu wollen, dass jemals einer von ihnen besonders viel getaugt oder bewegt hätte."

"Ich verstehe." Stawrogins steife Haltung änderte sich kaum, als er einen der vielen schick gekleideten Kellner zu sich winkte und ihm wortlos etwas zu verstehen gab.

Warum war Lilemour nicht Kellnerin geworden?

"Einige Rebellen, sagst du" ,fuhr er fort, "kannst du etwaige Zahlen nennen?"

Lilli spürte eine leichte Bewegung hinter sich, weniger körperlich denn mental, als der schwarzhaarige Vampir antwortete. Heute und hier schien er wirklich schwerst kommunikativ zu sein. Ein Wunder wieder rum war das nicht, schließlich ging es um seine ehrgeizigen Ziele. Sie standen über allem.
 

"Meine Auskünfte basieren wie du bereits angedeutet hast, auf ungefähren Statistiken, die mir Oktavian zuvorkommend bereitstellte. Sie sind ohne Gewähr. Lass es also bei weit unter hundert existierenden unserer Art in erreichbaren Breitengraden sein, von denen grob überschlagen die Hälfte einen unterschwelligen, aber deutlichen Unwillen mit sich trägt."

"So wie du" ,schloss der Russe, womit er Ilias ein leises Lachen abrang.

"So wie ich........und du. Deren Unwillen nicht mehr nur unterschwellig wabert. Wenn mich meine Vampirkenntnis nicht trügt. Und das tut sie selten. Genauso wenig wie meine Menschenkenntnis. Leider ist zuzugeben, dass sich das eine vom anderen ableitet und keine zwei verschiedenen Wissenschaften bilden."

Stawrogin schaute seinen Gegenüber undeutbar an, der noch immer hinter Lilli an der Wand lehnte. In jedem anderen Augenblick hätte sie sich gefangen gefühlt, in der Falle zwischen zwei Löwen mit fletschenden Zähnen in arger Hungersnot.

Doch nun genoss sie die Blicke aus den eisblauen Augen des einmal Fremden. Auch wenn die an ihr vorbeigingen. Sie sogar völlig ausblendeten.

Aber...hach, na und?! Man konnte nicht alles haben.

Das exotische Essen! Ja doch. Ihr Verdacht erhärtete sich mehr und mehr. Die runden, süßlich schmeckenden Dinger mussten Schuld sein, sie und sie allein!

Wieso sonst sah sie einen hochgefährlichen Vampir mit zehn Namen an wie ein kleines, unreifes Mädchen ihren Superstar anhimmeln würde?

Was war los mit ihr?!
 

Schließlich ging es bei dieser makaberen Unterhaltung nicht um eine Volkszählung der besonderen Art, sondern um das Leben von Menschen, betrachtete man die damit unbedingt zusammenhängenden Konsequenzen.

Nicht gerade um das Überleben der gesamten Zivilisation, so viel musste man sich vor Augen halten um nicht in umfassende Panik zu geraten. Dafür war der Prozentanteil der existierenden Bleichlinge um ein vieles zu niedrig. Doch hing das Schicksal genügender Sterblicher von diesem ungesunden Vorgang ab, so dass man reuelos den Notstand einberufen konnte.

Das Prinzip allein spielte dabei keine untergeordnete Rolle. Das Böse hatte den Menschen nicht nach Belieben auf der Nase zu tanzen! Es gab nicht wenige Einzelfälle in denen manche dieser unberechenbaren Blutsauger überschnappten und zu wahren Serienkillern ohne tieferen Sinn wurden. Die Entwicklung zur Befreiung der Vampire von all ihren zuvor vertraglich gesicherten Zusagen, hätte Schandtaten solcher Art unweigerlich zur Folge. Das war garantiert. So hatten es ihr die Geschichtsbücher des Ordens gelehrt.
 

Nach allem waren es die Wenigsten der vermeidlichen Fantasieausgeburten, die nicht irgendetwas an ihrem Lebens- ,oder Totenwandel auszusetzen hätten. Ein paar Zahlen hin oder her. Diejenigen aber, könnten umgestimmt werden, wenn sie nur von den Richtigen kontaktiert werden würden. Den Richtigen wie Ilias, Stawrogin oder Oktavian, die sich augenscheinlich für die ultimativen Manager hielten.

Ob der Orden wusste, wie akut es tatsächlich stand?

Wie unbeschwert und beinahe nebensächlich das Vampirgespann um sie herum über gewaltige, bevorstehende Umbrüche sprach? Als handle es sich nicht um viel mehr als eine Ausflugsplanung in den nächsten Zoo. Wie viele Würstchen mit wie vielen Senfpackungen man einpacken musste um ein ausgeglichenes Fresspaket zu richten.

Und sie? Was tat sie?! Stand da wie ein Affe in seinem Gehege, der die Besucher anglotze und sie tatsächlich als die überbezahlten Manager hinnahm. Bei Trost war Lilli nicht mehr. Nein.
 

"Oktavian" ,setzte der Russe bedächtig an, "ich stehe in lockerem Kontakt zu ihm. Er beschrieb mir in knappen Sätzen deine fixe Idee. Rund um den Sturz des Paktes."

"Genau da liegt sein Fehler" ,bestimmte Ilias trocken, "es dreht sich nicht mehr um Ideen oder Wunschvorstellungen, die es einst gewesen sein mögen. Es ist die harte Realität. Hart wie Diamant. Darum stehst du mir nach all den Jahren schließlich und endlich wieder gegenüber. Die Zeit ist reif. Es ist die unvermeidbare Zukunft, die keinesfalls vermieden werden soll. Stawrogin, hab ich nicht Recht?"

Der Angesprochene brauchte außer einem verhaltenen Kopfnicken nichts zu erwidern, die Worte sprangen fast sichtbar von einem zum anderen. Sie hatten sich gesucht und gefunden, ihre Ziele waren nahe genug mit einander verknüpft, um eine Allianz zu ermöglichen.

Eine, die dem Orden über kurz oder lang das Handwerk legen könnte und auf dem besten Wege dazu war. Oder um es salopp auszudrücken, alles ging den Bach hinunter.

Doch sie, Lilli, die wie selbstverständlich Zeuge der Verschwörung war und damit der Freiheit auf alle Zeit Adios würde sagen können, dachte an diesem Abend nicht bis zu den unausweichlich negativen Folgen.

Noch nicht einmal an den nächsten Morgen an dem die Sonne aufgehen würde, so strahlend hell wie die goldenen Haare Stawrogins.
 

Der Kellner in seinem schicken Livree kam zurück, auf seinem Tablett zwei halbvolle Rotweingläser und ein.....ein Glas Multivitaminsaft?!

Ein schneller, geübter Blick und es war klar, hier war kein Kind in der Nähe, es sei denn........

Wie befürchtet, ließ Stawrogin Lilli mit einer vollendet grazilen Handbewegung das Glas reichen, dass sie automatisch mit einem geflüsterten Danke entgegennahm.

Für Ilias und ihn blieb der Rotwein, von dem sie hoffen sollte, dass der Inhalt auch nicht mehr als bloßer Rotwein war. Ihre wirkliche Hoffnung aber, lag egoistischer weise darin zu glauben, dass der Blonde sie nicht tatsächlich für minderjährig hielt. Welch banale Überlegung!

Nicht dass sie an Alkohol gewohnt war, oder überhaupt je die Lust dafür verspürt hatte, aber Saft?! Er hatte einen Saft für sie geordert?!

So und ähnlich dachte zu ihrem baldigen Leidwesen noch jemand anderes, dessen lange schmale Finger plötzlich von hinten an ihrem Kleid zogen, so dass es an der Vorderseite des Oberkörpers zwangsläufig wie einem nassen Badeanzug gleich anlag.

Es ging viel zu schnell um mit einer Gegenbewegung zu starten. Außerdem fixierten sich diese meerblauen Augen ihres Gegenüber nun so herrlich auf sie, dass man hineintauchen konnte und den Badeanzug dort doch brauchte!

"Du unterliegst einer Fehleinschätzung, Stawrogin" ,bestimmte Ilias humorlos, "ihre weiblichen Merkmale mögen nicht unter den höchst entwickelten ihrer Altersgruppe einzuordnen sein, aber die Schwelle der Volljährigkeit hat sie bereits überschritten. Alles in allem ein wunderbarer Jahrgang, dessen Geschmack dir buchstäblich auf der Zunge zergeht."

Also gut. Das Salz des Meerwassers war ihr in Nase und Mund gedrungen, Lilli war ernüchtert. So sehr ernüchtert, dass auf der Stelle ein Kater in Form von leichten Schwindelanfällen auftrat. Ihr Mund öffnete und schloss sich wieder, ohne seine Aufgabe erledigt zu haben.

Die Erde sollte sich auftun. In einem gigantischen Schlund der sie in die Tiefen riss. In die Tiefen der Hölle damit sie Ilias würde mitnehmen können. Wie? Wie konnte er ihr das nur antun? Oh Ilias, dieser verfluchte Ilias hatte es geschafft! Wie konnte er sie als sein....sein Objekt hinstellen?!

Was sollte sie machen? Wie reagieren? Überhaupt reagieren? Was konnte sie schon ausrichten? Wo blieb der Schlund?

Gleich würde das Salz ihre Augen zum Tränen bringen. Das war es was Lilli nun quälte und nicht das wahrscheinliche Ende des Paktes, samt Orden. Nein, ihre Gedanken waren von absolut unheroischen Ideologien besetzt.
 

"Es war mehr Ihr Gesicht mit seiner kindlich unschuldigen Eleganz das mich irritierte, denn Ihre körperliche Konstitution. Verzeihen Sie mir."

Oh, Ilias, dieser wunderbare Ilias hatte es geschafft. Stawrogin hatte sie zum ersten Mal direkt angesprochen. Jedes seiner Worte mit dieser schmeichelhaften Stimme hob Lilli höher in den Himmel. Wie schön er es formuliert hatte, nur für sie. Der geborene Gentlemen.

"Ach....das macht doch n.....nichts" ,stotterte Lilli, "Sie können m....mich auch ruhig Duzen. Da fühle ich mich irgendwie gleich wohler, ha, ha."

Ein Trottel war noch zu gnädig ausgedrückt um sie zu beschreiben. Unmöglich wie sie sich verhielt, so......so.......unprofessionell, so unbeholfen, so....blöd. Ihr Gehirn war entweder hohl oder mit Stroh ausgefüllt. Ihr war danach, sich einfach umzudrehen und die schmucke Party zu verlassen, ihre Augen beschämt zu zu pressen und sich mit den Fäusten gegen den Kopf hämmern.

Wenn das Glück sie nun vollkommen im Stich lassen würde, dann ließ es Ilias ihre Hilflosigkeit auffangen, damit er sie in seine Gemeinheiten mit ein weben konnte.

Das war sein gefundenes Fressi, Fressi.
 

"Nun dann " ,fuhr derselbige diplomatisch fort, als er sich lautlos an sie Seite des anderen Vampirs begab. Er ging nicht weiter auf die für Lil höchst ungemütliche Situation ein, das Glück war demnach auf ihrer Seite geblieben. Noch.

"Gleiches Recht für alle. Ich habe dir einen Querschnitt unserer Lage geschildert, wie sieht es im ostasiatischen Raum aus?"

"Akzeptabel" ,antwortete Stawrogin bereitwillig und brachte dabei die rote Flüssigkeit in seinem Glas leicht zum Rotieren. Seine Hände waren so schön lang und fein.

"Das Ordenshaus dreißig Kilometer von Ivanovo entfernt hat bereits gebrannt. Vor genau drei Wochen. Das heißt, sie haben es auf einen Kurzschluss einer defekten Maschine geschoben, so dass sich wiederholt nur die führende Instanz des Anschlages und seiner Bedeutung bewusst ist."

Innerlich erschrak Lilemour nun doch und es war ihr wundernswerter weise egal ob man es ihr ansehen konnte.

Langsam senkte sie ihre Hand mit dem Saftglas bis es fast ihre Hüfte berührte.

Wie einlullend sich das Gesagte auch von seinen Lippen stahl, die Botschaft war zu viel.

All die mageren Finanzen in der Hand des Ordens damals und heute hatten ausgereicht, um zwei Stationen weltweit zu verwirklichen, die Ausbildungsort und Wohnstatt zu gleich waren. Das ihre und das in Ivanovo. Es war unmöglich sich vorzustellen dass es gebrannt haben sollte. Unmöglich! Davon waren niemals auch nur Gerüchte zu ihr durchgedrungen. Das, obgleich die Häuser natürlich in engem Kontakt miteinander standen. Welch Schaden, monetär und vielleicht sogar kolateral entstanden sein könnten! Es waren sicherlich auch Kinder in dem Gebäude gewesen, welche Trakte das Feuer auch zerstört haben mochte. Ihr Magen zog sich bei dieser Vorstellung zusammen. Aber war es auch wahr? Stawrogin als Lügner abzustempeln läge ihr fern, doch irgendjemand hätte ihnen zu Hause doch gesagt wenn.......
 

"Die Strategie der unzureichenden Information der eigenen Mitglieder über die tatsächliche Lage wird demnach in beiden Regionen konstant verfolgt" ,stellte Ilias dann gelassen fest und stupste die apathische Lilli vielsagend in die Seite.

"Sie verheimlichen ihren Schützlingen einfach was Sache ist, um Panik und Auseinanderfall vorzubeugen, nicht wahr? Oder warst du nicht in dem unerschütterlichen Glauben, alles sei in bester Ordnung? Der Orden fest über uns stehend? Uns überlegen?

Nun, auch dass wird sich unter verstärktem Beschuss ändern" ,wusste er, erneut an den Russen gewandt, nachdem das Mädchen nicht erwähnenswert reagiert hatte. Nur mit Mühe konnte Lil ein leichtes Zittern unterdrücken, antworten stand nicht zur Debatte.

Weiter noch, sie waren viel weiter noch als sie es so schon für möglich gehalten hatte und die anderen wurden vom Orden einfach im Unwissen gelassen. Wie Ilias es gesagt hatte. Einfach so, ungeachtet davon, dass sie Teil waren an allem. Die Politik der Obrigkeit war grausam und feige. Und sollten sich Mitglieder im Angesicht der Gefahr dafür entscheiden zu gehen, so war es ihr unangefochtenes Recht. Sie waren keine Gefangenen! Ein solches Maß an Durchtriebenheit, selbst wenn sie es ehrlichen Herzens so für besser hielten, hätte sie Trudi, Jean- Luc und den anderen niemals zugetraut. Doch war es so und diese endgültige Gewissheit schmerzte Lilli mehr als sie es für möglich gehalten hätte.
 

"Hast du Kontakte zum Rest" ,wollte Ilias abwertend wissen.

Lilli war bis zur Neige angespannt, voller Zorn auf Ilias, sich selbst und den Orden. Wenn er noch einmal so reden würde, als stünden sie auf einer feuchten Gasse im fahlen Licht zu Zeiten Christoph Columbus, dann würde sie ihm den Multivitaminsaft ins Gesicht pfeffern, ganz egal ob er danach den Fehdehandschuh auspacken würde!

"Nein." Der Gastgeber des Abends zog sich seine Handschuhe an, Finger für Finger als hätte er alle Zeit der Welt, die ihm wahrscheinlich zu eigen war und fuhr sich damit durch das blonde, feine Haar.

"Uninteressant, alle zusammen. Der bevorzugte Lebensraum Unsereins befindet sich ohnehin in Zentraleuropa und Asien. Des Kulturerbes wegen. Außerhalb dieser abgesteckten Gebiete dürfte sich unsere Anzahl als kaum nennenswert erachten. Die Dunkelziffer der regellosen Wilden ausgenommen. Haben wir hier Erfolg, wird er sich selbstgetrieben auf den gut überschaubaren Rest ausbreiten. Umschwünge der Größenordnung die wir anzustreben gedenken, gelangen schnell über Länder und Ozeane. Ganz automatisch und in relativ absehbarer Zeit. Es reicht völlig aus uns auf die lokalen Ebenen zu konzentrieren. Hier. Ich denke mir, danach wird auch dir der Sinn stehen."

"Ich hoffte du würdest das sagen" ,lächelte Ilias süffisant und stieß mit Stawrogin an. Die Gläser gaben bei ihrem Aufeinanderstoßen den für sie charakteristischen, klirrenden Laut ab. "Du hast ein wenig dazu beigetragen meine Ehre als ausgezeichneter Stratege wieder herzustellen, nachdem du sie zuerst ganz unverfroren attackiert hast. Auf den Sieg!"

Beide standen sie da, beide Monster. Beide undurchschaubar, unumstößlich, gewaltig und reserviert. Der eine mehr als der andere. Nur das kleine triumphale Lächeln, dass um Ilias' Lippen spielte drückte aus, was er wirklich empfand.

Stawrogin war genial. Er hatte den vollen Durchblick! Das war klar. Klar war aber auch, dass Lilli nun mehr denn je versuchen musste, einen Kontakt zum Orden zu spinnen. Einiges musste geklärt werden und einiges offenbart. Telefonlos wie ihre Heimstätte war um seine Anonymität zu wahren, kein leichtes Unterfangen. Zumal Ilias sie mit wenig Möglichkeiten allein ließ, wenn er sie denn allein ließ. Die einzige Chance war der Tag, die sie heute in Angriff würde nehmen müssen. Je früher, desto besser!
 

"Stets zu Diensten dunkler Pfau" ,entgegnete der Russe plötzlich kurz bevor er sich zu Gehen anschickte, womit er Lillis trübe aber zielstrebige Gedanken durchbrach.

Er wollte gehen? Schon? Ah, die Wirkung des sicherlich vergifteten Essens schien noch nicht verflogen. War nicht eigentlich Ilias auch der Pol des Bösen und nicht Herr Kostomarow hier, der..........Vergiftete belogen sich selbst, wie Lilli qualvoll feststellen musste.

"Es tut mir leid euch schon so bald verlassen zu müssen, aber die Pflicht ruft. Lass uns alles Weitere im Expliziten in Petrozavodsk besprechen. Mach deinen Weg gut, ich erwarte dich dort, Ilias. Meine Dame, ich empfehle mich" ,endete er mit einem kurzangebundenen Abschiedsgruß an Lilemour und steuerte sogleich auf einen dicken Mann zu, der in einer Traube von Gästen stand und den großzügigen Gastgeber bereits breit lächelnd erwartete.

Er empfahl sich ihr?! Abgemacht, sie würde ihn sich angeln und einen guten Kerl aus ihm machen!

Denn das sah doch wohl jeder Blinde, dass Stawrogin nur so handelte, um gegenüber Ilias in nichts nach zu stehen, seine vampirische Pflicht zu erfüllen, sozusagen. Er hatte doch bestimmt einen weichen Kern. Ganz tief unten. Nicht so wie andere, deren Namen sie nicht erwähnen wollte.......

"Bis die Tage, Goldkehlchen. Obwohl ich diese von Untieren wimmelnde Stadt am Onegasee nicht gerade schätze" ,schickte der Unerwähnte ihm leise hinterher, worauf er sich schließlich zu Lilli drehte.
 

"Du hast einen hinreißenden Halbmond aus orangerotem Saft über deinen Lippen."

Dadurch erwachte sie endlich und sehr wirksam aus ihrer halb aus Schwärmerei, halb aus Schock entstandenen Lethargie. Das Mädchen schlug sich beschämt beide Hände vor den Mund, wobei sie hektisch nach einer Serviette suchte, die Ilias ihr zuvorkommend reichte. Sie wollte sich nicht ausmalen was für einen Eindruck sie nun bei Stawrogin hinterlassen haben musste. Sollte er sich jemals an sie erinnern, dann an das Mädchen mit dem Multivitaminschnauzer. Tot peinlich, das war alles was ihr auf die Schnelle dazu einfiel.

Deprimiert sah sie Ilias an und bereute es sofort. Ein Blickkontakt hatte ausgereicht um ihr Unheilvolles zu verkünden. Sein Blick, alles lag in seinem seltsamen Blick, den zu fürchten sie gelernt hatte. Den sie schon gefürchtet hatte, ohne es gelernt zu haben.

"Ich gehe zum Buffet" ,erklärte sie hastig als sie sich umdrehte, wie es der Teufel wollte in den vermaledeiten Schuhen stolperte und selbstredend drohte, in den Vorhang zu fallen.

Dank nicht unschuldiger Erdanziehungskraft, wäre er unter lautem Karacho zusammen mit ihr zu Boden gegangen, hätte Ilias sie nicht reaktionsschnell um die Taille gefasst und so doch noch für Balance gesorgt. Natürlich, so hatte es ja kommen müssen. Wie es im Buche stand.

Tot peinlich war alles was ihr auf die Schnelle dazu einfiel.

Trotzdem war es nicht nötig, dass er sie dermaßen fest an sich drückte. Die Knöpfe seiner schmucken Weste bohrten sich in ihren ungeschützten Rücken. Fast konnte man meinen, die Kälte seines Körpers griff durch die Knopflöcher auf sie über. Charlotte ,musste ihm fehlen.

Sie oder Sophie oder etwas anderes dessen Blut noch warm und flüssig war.
 

Vorsichtig blickte Lilli um sich, ob nicht zu viele das kleine Malheur mitbekommen hatten, doch alles schien wie zuvor. Keiner kümmerte sich um sie. Das war einer der Fälle, in denen der Schein sehr eindeutig trügte, denn man hatte bald erkennen können, dass insbesondere diese feinere Gesellschaftsschicht es wohl verstand nahezu alles um sich herum aufzunehmen, ohne dass es so aussah. Beobachtungsgesellschaft, das wäre sogar der trefflichste Namen. Lilli hatte dies zumindest für sich an den Reaktionen der Vertretung des weiblichen Geschlechts auf Ilias' Ankunft hier fest machen können. Obgleich sich nicht eine Person im ganzen Saal nach ihm umgedreht hatte, sich höchst aufmerksam auf ihre momentanen Gesprächspartner konzentriert hatten, waren ihm doch sämtliche Augenpaare wie nebenbei und völlig zufällig gefolgt.

Wie viele davon jetzt auf ihr lagen mochten? Auf ihm? Auf ihnen beiden?

"Du hast dich schon ausreichend am Buffet bedient, kurz nachdem wir das Fest betreten hatten" ,stellte der Vampir überflüssiger weise fest.

"Kein Grund dermaßen unspektakulär das Weite suchen zu wollen. Befürchtest du etwas von mir?"

"Lassen Sie mich schon los" ,flüsterte Lilemour einer Antwort statt in den Vorhang, wissend dass der Richtige es hören würde, "was sollen die Leute denken?"

Sie spürte Ilias' unnatürlich kühlen Atem als er sprach.

"Noch haben sie nicht festgelegt was sie sich denken sollen, aber sie warten. Entweder darauf, dass ich dich loslasse und du verlegen auf den Boden siehst weil du mit dem Schuhwerk der heutigen Zeit nicht zurechtkommst, der Mode aber in nichts nachstehen wolltest. Oder darauf, dass einer von uns die partnerschaftliche Zugehörigkeit zum anderen signalisiert."
 

"Sie meinen damit es aussähe als hätten wir ein Techtelmechtel bei den Gardinen?!"

Was für ein unschlagbarer Plan. Geradezu anbetungswürdig.

"Eines auf vertretbarer Ebene. Wir wollen ihnen doch nicht sauer aufstoßen."

Das wäre ja noch schöner! Da war ihr Ersteres doch um Längen lieber. Was sollte es? Dann dachten die Leute von ihr eben als eine Möchtegern Ballkönigin. Nun, es war unangenehm, aber wenigstens würde sie keinen der Menschen hier je wiedersehen, der Lilemour an diese kleine Blamage würde erinnern können. Wichtig war nur, dass Stawrogin sich nicht in sichtbarer Nähe befand und Zeuge werden konnte. Sollte er sich jemals an sie erinnern, dann an das Mädchen mit dem Multivitaminschnauzer dass nicht laufen konnte.

Gerade als Lilli ihren aufopferungsvollen Entschluss verkünden wollte jedoch, hob Ilias geschickt ihre Haare hoch und presste ihr einen frischen, weichen Kuss in den Nacken, der ihr natur gegeben sofort überall Gänsehaut verursachte.

"Jetzt ist es amtlich. Wir sind in aller Augen ein Paar" ,bekundete er schlicht, "du hast zu lange überlegt. Entscheide selbst, oder es wird für dich entschieden, noch nie etwas davon gehört?"

Zu unvorbereitet um etwas argumentativ Annehmbares zu erwidern, verdrehte sie die Augen und stöhnte genervt auf, als der Vampir sie zu sich drehte, am Handgelenk nahm und mitzog.

"Übertreiben müssen wir es nun nicht gleich" ,flocht er ein.

"Was?!" Fein, vielleicht hatte sie ein Quäntchen zu laut geseufzt, aber keiner konnte ihr weismachen, dass dieses Leidvolle nicht von einem wohligen Seufzer zu unterscheiden war.

Der es sicher nicht gewesen war oder es jemals werden würde.
 

"Sie wissen genau wie das gemeint war! Ich wollte nur meinen Unwillen preisgeben" ,versprach Lilli, der die Verlegenheit anzusehen war und stolperte Ilias nach.

"Aber wie haben es die anderen aufgegriffen?"

"Genauso wie es gedacht war natürlich. Und überhaupt, seit wann kümmern sie die anderen?"

"Mich nicht, aber dich."

"Das ist nicht wahr. Ich wollte ja gerade......ach was soll's, das ist es doch nicht wert mich mit Ihnen zu streiten."

"Angemessen schon gar nicht, nachdem ich dich vor der quasselnden Meute gerettet habe."

"Gerettet?! Jetzt machen Sie aber mal nen' Punkt. Ich wäre gerne in den Vorhang gefallen!"

Es machte sie wütend, dass Ilias leise zu lachen anfing, als wüsste sie nicht von was sie sprach.

"Wohin gehen wir" ,wollte Lilli plötzlich alarmiert wissen, da sie sich während der Diskussion gefährlich weit in die Mitte des Raumes vorgearbeitet hatten.

"Wie ich dir auf dem Weg hierher schon sagte" ,erinnerte der Vampir, "tanzen."

Nach einem kurzen Moment der tatlosen Ratlosigkeit, in der sie ihren Weg weiter fortsetzten, wurde Lilli das ganze Ausmaß erst begreiflich.

"Nein!" Das Mädchen versuchte sich in Panik erfolglos gegen ihn zu stemmen.

"Nein, Ilias, bitte! Sie wissen doch, dass ich in diesen Schuhen kaum laufen kann! Ich werde mich bis auf die Knochen blamieren, nachdem sie mich nach eigener Aussage doch gerade vor diesem Schicksal bewahrt haben! Bitte! Bitte tanzen Sie mit einer anderen! Die da vorne zum Beispiel, die mit den langen blonden....."

Der Angesprochene legte ignorant seine Hand auf ihren Rücken und nahm mit der anderen die ihre, "sieh an, du hast mich zum ersten Mal beim Namen genannt. Unsere Beziehung nimmt Formen an, Lilemour."

"Nein! Nein, t....tut sie nicht!"

Er verstand sich formidabel darin, sie sehr wirksam in umgarnendem Tonfall übers Kreuz zu legen und trotz dieses Bewusstseins bahnte sich der Schreck in ihre Glieder. Es war Lilli gar nicht klar gewesen, dass er sich an ihren Namen erinnern konnte, denn er war in seiner Gegenwart bisher nur ein einziges Mal gefallen. Ganz am Anfang vor seiner Haustüre. Dieser Anfang wieder rum, hatte vor wenig mehr als einer Woche erst stattgefunden.
 

Allzu deutlich nahm Lil seine Hand auf ihrem -Charlotte sei Dank- nackten Rücken wahr, die -Himmel sei Dank- in einem Handschuh steckte. Die Geste war ihr auch so schon weit zu vertraut.

"Abgesehen davon, ob mit Schuhen oder ohne, kann ich nicht tanzen" ,jammerte Lilli leise, weil alle Demonstration nichts genutzt hatten und Ilias sich mit irgendeiner Schrittkombination in Bewegung setzte. Sie unweigerlich mit ihm.

"Nicht einmal das haben sie euch beigebracht" ,stellte der Vampir gespielt empört fest, "über die grundlegenden Dinge des Lebens im Unklaren, welch Verbrechen. Es gilt, dir noch einiges an Wonnen dieser Welt zu zeigen, die zu lehren man euch versäumt hat."

Das Meiste hörte Lilli gar nicht mehr in seiner Vollständigkeit, zu verblüfft war sie. Oder war es normal, dass sich ihre Füße von selbst bewegten und dabei alles richtig machten?

Wie in der Erzählung um die roten Schuhe, nur waren die hier lachsfarben und ein anderer für ihr reibungsloses Funktionieren verantwortlich.

"Meine Führung ist unschlagbar" ,bewies dieser tatsächlich, "entspanne dich, du bist steif wie ein Besen."

So ergab sich Lillis erster anständig choreographierter Tanz ihres Lebens aus. Zu ihrem Unmut, fühlte sie sich nicht zu unwohl in der Nähe ihres Partners, obwohl es so hätte sein sollen. Ganz zweifellos. Neigte sie am Ende zur Nekrophilie? Dann jedoch, waren Stawrogin und er doch deutlich mehr als Leichen.

Um nicht weiter an die Bedeutung dieser Tatsache denken zu müssen und wieder in vernünftige Strukturen zu kommen, sprach sie das Erste aus, dass ihr in den reizüberfluteten Sinn kam.

"Dunkler Pfau und Goldkehlchen?" Nicht vergessen waren die im Besonderen für Vampire seltsamen, wenn nicht albernen Beinamen, die sich Ilias und Stawrogin vor wenigen Minuten gegeben hatten. Meinten sie nicht vielleicht blutiger Pfau und Weißkehlchen?
 

"Ein Überbleibsel aus Lebenszeiten" ,eröffnete Ilias ihr monoton.

"Er und ich, wir kannten einander schon vor der Verwandlung zu dem was wir heute sind. Es war in der Toskana. Seine Auftritte und das Gebärden dabei waren interessant, sorgten stets für Kurzweil. Wir schlossen Bekanntschaft. Wo auch immer wir uns danach trafen, fand ein leiser, unsichtbarer Wettbewerb zwischen uns statt."

Angezogen von den wenigen tanzenden Paaren, füllte sich der Saal allmählich mit Gleichgesinnten, denen das Zuschauen zu langweilig wurde. Immer häufiger musste man gekonnt auf die Seite weichen wenn man Gefahr lief mit anderen Paaren zu kollidieren. Wie selbstverständlich drückte Ilias sie näher an sich. Darum? Oder warum? Sicher nicht auf Rücksicht den anwesenden Menschen gegenüber. Ein wenig noch und sie würden sich auf ganzer Linie berühren. Alles was Recht war, nicht mit diesem dünnen Kleidchen! Ohne Skianzug und Bommelmütze lief hier gar nichts!

Doch Lil verbiss sich ein Kommentar.

"Wir buhlten des Sports und des Ehrgeizes wegen um jedwede Damenwelt die sich anbot" ,fuhr Ilias fort.

Vielleicht wäre ein Kommentar doch angebracht gewesen. Ein aufs Schärfste Kritisierendes.

Des Sports wegen?! Die armen Frauen! Von ihm hier, ja, das passte, aber Stawrogin? Unglaublich! Einfach.....

"Ich bin der überzeugten Meinung, dass es sich bei der Mehrzahl des schwächeren Geschlechts genauso verhielt. Eine beweisbare, wenn auch harmlose Liebelei mit einem von uns und es war ihr gegeben, sich auf den Soirees bewundern zu lassen. Ah, die guten, alten Zeiten, in denen man uns noch zu schätzen wusste."
 

Oh.

Und trotzdem! Wie....wie.....angeberisch! So ein......"

"Weißt du, dass du ein kleines Hohlkreuz hast?" Diese kontextlose Frage brachte sie einmal mehr aus dem Konzept eines Zuhörers. Was fiel ihm ein? Sie hatte kein Hohlkreuz, auch kein Kleines! Überhaupt.......

"Was macht Goldkehlchen so anziehend für dich? Hast du überhaupt eine Ahnung weshalb?" Nein, er kannte keine Tabus. Lil wurde beinahe schlecht, als hätte man sie bei einem Diebstahl auf frischer Tat ertappt. Mit sägenden Hubschraubern und Spot Light.

"Ich.....äh.....wer? Goldkelchen? Anziehend? Wie kommen Sie darauf, ich...."

Es brachte keine Erleichterung die feine Maserung des schwarzen Stoffes ihres Tanzpartners anzustieren. Wie offensichtlich hatte sie sich zuvor verhalten? Waren purpurne Herzen aus ihre Augen gequollen? Ob ER es auch gemerkt hatte? Sie, als das in ihn verschossene Mädchen mit dem Multivitaminschnauzer, dass nicht laufen konnte? Bitte nein......

Die Sicherheitskräfte hatten sie umzingelt, gleich würden ihr die Handschellen angelegt werden.

"Du kennst ihn nicht" ,bohrte Ilias wie gelangweilt, aber doch zielorientiert weiter.

"Was also war ausschlaggebender Faktor des ersten Eindrucks? Doch hoffentlich nicht das kleine Kreuz um seinen Hals, dass er lächerlicher weise noch immer trägt. Nun ja, einmal orthodox, immer orthodox. Man lasse ihm seine kleine Anhänglichkeit daran."
 

"Hören Sie gefälligst auf" ,verlangte Lilli unruhig. Man durfte sie nicht vorschnell verurteilen! Das Kreuz war von ihr allerdings nicht unbemerkt geblieben, wie gar nichts an dem Russen. Gewundert hatte sie sich zugegebenermaßen trotzdem darüber. Kruzifixe hatten nicht den geringsten Einfluss auf Vampire, aber dass es einer mit dessen allseits bekannter Symbolik auch noch verherrlichte? Orthodox, aha.

"Das haben Sie falsch verstanden. Nicht allen Frauen gefallen solche Typen wie Sie beide es sind. Ich.....ich dachte nur dass er ein höflicher Mann ist."

"Tatsächlich kann auch ein halber Mann höflich sein."

"Wie?"

"Du hast mich klar und deutlich verstanden."

"Aber die Bedeutung nicht."

"Damit habe ich gerechnet." Ilias machte eine galante Drehung, manövrierte sich mit ihr näher an die im vollen Einsatz liegenden Geigen. Dvorak ließ grüßen.

"Mein Kapital war damals schon mein Äußeres" ,fügte er ungewohnt bescheiden hinzu, "aber im Banne seiner Stimme, fielen die Zuhörerinnen reihenweise in Ohnmacht. Ich beharre immer noch darauf, dass es an der enormen Hitze der Räume und den viel zu eng geschnürten Korsetts gelegen hat. Dennoch, sein Erfolg war maßgebend und die Leute ermöglichten ihn ihm. Glaubten an die Macht seiner Stimme......."

"Wow, ein Künstler" ,rutschte es Lilli heraus, "ein Sänger?" Ihr gefiel der Gedanke irgendwie, obgleich sie hinter Stawrogin so etwas nie gesucht hätte. Er sah so unmusisch aus....eher diplomatisch. So geradlinig, so korrekt. All diese vermuteten Eigenschaften unterstützt durch seine etwas zu große Hakennase, den dünnen Lippen, den eisblauen Augen und seiner ansonsten schmalen Figur.

Ein kleines Lächeln stahl sich um ihre Mundwinkel, welches Ilias sofort wegzuwischen verstand.

"Korrekt, ein Sänger wider Willen. Er hatte als junger Bursche keinen Einfluss darauf, als sie ihn zum Kastraten machten. Seine Eltern hatten das Geld unglücklicherweise nötig gehabt und auch so zu viele Mäuler stopfen müssen."

Lilli sog scharf die Luft ein und schaute ihn bis ins Innerste erschüttert an. Sollte es stimmen? Sie hatten den Ärmsten.......oh nein! Das Geheimnis seiner hellen, weichen Stimme war aufgedeckt. Wenn Ilias ihre Schritte nicht leiten würde, Lilli wäre spätestens jetzt hoffnungslos aus dem Takt geraten. Sie hatten den Ärmsten....oh nein!
 

"Was" ,schrie das Mädchen beinahe, wobei sie die umstehenden Menschen übersah, die bereits unmerklich ihre Ohren gespitzt hatten. Das Unglaubliche raubte ihr den nötigen Bezug zur Umgebung.

"Aber...aber.....Sie wollen damit sagen, Stawrogin ist ein Kast......"

Ihr Herz blieb stehen, als Ilias ihr die Worte buchstäblich und gänzlich unvorgewarnt aus dem Mund küsste. Kurz nachdem auch ihre Gehirntätigkeit ausgesetzt haben musste.

Nein, so viel an einem Abend konnte ein normaler Mensch, den sie doch verkörperte nicht konsequenzlos ertragen.

In ihrer Überraschung hatte er sie vollständig überrumpelt und jetzt....und jetzt waren seine Lippen mit leichten Nachdruck auf ihren. Auf ihren Warmen, seine, die sich wie Seide anfühlten, die in einer trockenen Frostnacht draußen gelegen war.

Er sah sie aus halbgeschlossenen Augen an, stützte ihren Hinterkopf mit einer Hand, wobei seine andere Lilli an deren unterem Rückenansatz fest an ihn drängte. Musste er das denn so in Szene setzen?

Ihre Hände krallten sich abwehrend in die dunklen Falten seiner Kleidung, als sie sich zu befreien versuchte, um ihm ihre Entrüstung über die weitaus überzogene Darstellung bekunden zu können. Sein Griff jedoch war unbeugsam. Zu spät erkannte sie ihren Fehler der es ihm ermöglichte hatte, den Kuss ganz entscheidend zu vertiefen. Da war es einerlei. Lilli wehrte sich nicht mehr, schloss die Augen, ließ es geschehen. Die Musik schien auszusetzen, die Zeit stehen zu bleiben. Wie egal waren ihr doch die Leute.
 


 

Gleich war sie an der Reihe bewusstlos zu werden und das nicht wegen einer hochangelegten Arie. Ihre Gedanken schienen leergefegt, nichts hatte mehr Platz in ihrem Kopf außer Ilias und seiner wie immer bedenkenlos durchgreifenden Vorgehensweise.

"Hm, süß" ,gestand Ilias ihr wohlwollend, nachdem er sich langsam gelöst hatte, um in ihr Ohr wispern zu können. Sein Mund streifte sanft ihre Wange.

"Wir wollen das Gesangsass doch nicht enttarnen. In diesen Zeiten kommen derartige Enthüllungen, die einem Skandal gleichen nicht mehr sehr verdaulich an. Das hätte der Gute wahrlich nicht verdient, meinst du nicht auch? Abgesehen davon dass ich es mir bei ihm nicht verderben sollte."

"......"

"Hm, süß und ohne Worte."

"......."
 

Ilias amüsierte sich merklich über Lillis stumme Fassungslosigkeit, "mit eben diesen großen, verwirrt- entzückten Augen hast du Stawrogin angesehen. Ihn und seine unmöglich biedere Frisur, die er trägt so lange wir uns kennen. Hätte er seinem früheren Leben nicht gänzlich entsagt, ich würde meinen, er und ich wären wieder auf dem Gleichstand. Mit dem kleinen Unterschied, dass er einen Bann um dich legte, dessen Hochkonzentriertheit in der Luft fast greifbar war."

Bann? Sie war nicht verliebt, das Essen war nicht giftig, es war nur ein Bann? Das subtilste Mittel mit der Vampire die Menschen beeinflussten?

Verwirrt -entzückt? Entzückt?!

Lilli wollte so viel sagen und so viel tun. Iias anschreien, sich noch einmal küssen lassen. Ihn von sich stoßen und noch näher an sich ziehen. Alle guten Geister hatten sie verlassen.

Sie spürte eine warme, ja fast heiße Feuchtigkeit die sich in Form eines Rinnsals über ihre Unterlippe entlang Richtung Kinn bahnte. Ohne es sehen zu müssen wusste das Mädchen um was es sich handeln musste. Ein wahrlich inniger Kuss.

Leichter Eisengeschmack zerging auf ihrer Zunge, mit der sie sich zuvor vorsichtig über die Lippen gefahren war.

Einige der Tanzenden waren kurz verwundert stehen geblieben, als Lilli sich abrupt aus den Armen ihres Partners stieß und kopflos aus dem Saal rannte.
 

Noch in der kühlen Nachtluft, welche ihr Sekunden später um die Nase wehte, hörte sie Ilias' leises Lachen, dass ihr nachzujagen schien.

Lilli stand schluchzend vor der großen Eingangstür des Gebäudes, kümmerte sich nicht um die dort positionierten Wachmänner und eilte dann nach wenig reiflicher Überlegung auf die verlassenen Straßen. Es war bitterkalt und ihre Füße hielten die Tortur in den Schuhen kaum aus, aber das war nun mehr nebensächlich.

Weg, sie musste auf der Stelle weg. Fort von etwas, dass sich nur als Verderben bezeichnen ließ. Ihr Verderben.

Zu beschäftigt mit dem Leid des Abends war es Lilli unmöglich die ihr folgenden Augen wahr zu nehmen, deren Lider sich sofort zu Schlitzen verengten. Sie nicht und die auf den ersten Blick zerlumpte Gestalt nicht, die zu ihnen gehörte. Eine Gestalt, die sich ungewöhnlich behände aus einer alten, verdorrten Ulme in die tiefdunklen Schatten der Häuser begab. Um das schwach nach Blut duftende Wesen nicht noch einmal entkommen zu lassen.........
 

Fortsetzung folgt!

Geschnappt

Man ;_; jetzt erst kann ich ein neues Kapitel hochladen. Aber die Pause war letztes Mal länger^^ (welch Entschuldigung -.-)

Ich kann nur mutmaßen, dass ich nächstes Mal vielleicht schneller bin. Allerdings werden im Juli wohl Klausuren anstehen, auf die man lernen sollte......könnte natürlich auch sein, dass ich gerade da ein bisschen Schreibabwechslung brauche, hehe.

Auf alle Fälle versuche ich mein Bestes, danke ich wie immer meinen Lesern und hoffe (ebenfalls wie immer), dass euch das neue Kapitel gefällt!
 

Mit extra vielen Grüßen ;p

Fany

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Das Gefühl eines eben durch lebten, grauenvollen Tagtraumes ließ sich nicht abschütteln. Es mag daran gelegen haben, dass dieser Traum viel mehr Realität als etwas anderes war.

Lilli lief bereits seit mehreren Minuten hastig stur der Straße entlang und fuhr sich dabei wieder und wieder über die Lippen. Wann immer sie glaubte, Ilias' Kuss auf ihnen brennen zu fühlen. Samt der kleinen Verletzung nahe dem Mundwinkel, dessen Zahnschrift er eindeutig trug.

Noch häufiger wie sich über die Lippen strich jedoch, fragte sich das Mädchen, wie ihr so etwas hatte passieren können. Nicht schlimm genug, dass sie dem simpelsten Trick der Vampire erlegen war indem sie sich arglos von einem Bann betören ließ, sie hatte sich auch noch von einem küssen lassen. Dem Ärgsten von allen, wie ihr schwante. Andererseits, was hätte sie schon tun können? Hätte sie überhaupt etwas tun wollen?

"Nein!" ,rief Lilemour in die schneidend kühle Luft, die ihrem viel zu leicht bekleideten Körper längst zu schaffen machte.

"Du blutrünstiger Gigolo! Mephistopheles! Menno...."

Tief Luft holend blieb sie schließlich stehen, die letzten Tränen der Wut waren bildlich gesehen in Eiskristallen auf dem Teer zerschellt als die Vernunft sich leise zu melden begann.

"Klasse" ,fing Lilli wieder an, "Klasse. Als Madame beleidigte Leberwurst laufe ich davon wie das kleinste Kind in die verflucht kalte Nacht, in der sogar Eskimos bibbern würden. Das verdammt noch mal mit nicht mehr als....als dem!"

Sauer zog sie an dem dünnen Abendkleid, da riss ihr der linke Träger. Lilli fuhr sich nervös über die Lippen, packte ihre Schuhe von denen Blasen an den Füßen abzusehen waren und schleuderte sie an eine nahe gelegene Hauswand.

Unter unbändigem Hass auf die Welt und im Besonderen ihre Unvorsichtigkeit, rannte sie Barfuss weiter ins Ungewisse. Der Trotz regierte. Irgendjemandem musste geschadet werden und wenn sie ihr eigenes Opfer war.
 

Ah! Nicht mehr ganz eine Minute und er würde das Mädchen eingeholt haben. Zeitweise hatte sie sich schneller bewegt als eingeplant und doch machte diese Tatsache am Ende keinen Unterschied. Denn da würde er sie haben.

Das menschenähnliche Wesen keuchte plötzlich hektisch vor sich hin, mit klagenden Begleitlauten, die von starken Schmerzen eines Tieres herrühren könnten.

"Fein, fein, fein, fein......." ,brachte es in Stößen heraus, nachdem es sich gefangen hatte und der Spur lächelnd folgte.

"Kann es gleich haben. Oh, gleich kann ich es haben, haha, gleich. Fein, fein, fein...."

Er lauerte in den Schatten der Bäume mit denen seine Erscheinung verschmolz, während er den Menschen gierig beobachtete und vor sich hin wisperte.

Seine langen mageren Klauen bearbeiteten dabei unablässig seine ohnehin schon verfallene Kleidung. Er mochte es, den Moment hinauszuzögern. Liebte es, sich mit aller masochistischen Macht zurückzuhalten bis er innerlich zu zerreißen glaubte.

Längst hätte er sie sich holen können, dann aber, wäre ihn das köstliche Gefühl der angenehmen Schauer entgangen, jedes Mal wenn der leichte Wind eine Brise ihre Geruches zu ihm trug.

Ach, wie es sein würde wenn ihr zartes Fleisch unter ihm nachgab und das Blut wie ein reißender Strom seine Kehle hinab, über Kinn und Kleidung sprudelte. Oh ja, er wusste wie es sein würde! Es würde sein wie es immer war, Augenblicke wahnsinniger Euphorie.

Aber selten, oh so selten war es ihm vergönnt.

Wenn und weil man ihn jagte, bis zum letzten dunklen Winkel der Erde. Heute nicht, nein. Nicht heute. Er hatte Erlaubnis, Sicherheit. Lizenz.

Es hatte ihn noch nicht einmal bemerkt. Schön.
 

"Sollte ich mich jetzt nicht sofort wie ein erwachsener Mensch verhalten" ,murmelte Lilli, "dann bekomme ich in den nächsten Tagen einen extra Zeitungsartikel mit dem Titel : ,Frau teilt Schicksal des Mädchens mit den Schwefelhölzern'"

Fröstelnd rieb sie sich über die nackten Arme, stand mal auf dem einen, mal auf dem anderen Fuß, als sie atemlos innehielt.

"Was....?" Nun jammerten ihr schon die Katzen in den Büschen etwas vor. Schulterzuckend aber etwas nervöser beschleunigte Lil ihren Schritt auf der Suche nach einem noch geöffneten Gasthaus. In einer puren Wohnsiedlung der weniger luxuriösen Art kein leichtes Unterfangen.

Ihre Nerven lagen blank, ihre Reaktionen waren lächerlich. Schließlich konnte man nicht vor jedem minimalen Geräusch Reiß aus nehmen. In ihrer Berufssparte schon gar nicht. Eine Umschulung war zwingend nötig! Eine Unart nur, dass der Staat in diesem Fall nicht zahlen würde. Sie hatte einen Phantomberuf. Lilli fuhr sich über die Lippen.
 

War es ihr Instinkt oder die Anspannung des Abends, die sie zwei Wimmerlaute später pausenlos über die Schulter sehen ließ? Handelte es sich hier um eine beherzte Katze?

Das relativ gewöhnliche Umfeld sah tatsächlich wenig mehr als gewöhnlich aus. Es brannten nur wenige Laternen zu dieser Stunde in unbekannten Nebenstraßen eines wiener Vorortes.

Der bleiche Mond erleuchtete Häuser, Vorgärten mit ihren Pflanzen und einer provisorischen Vogelscheuche nur spärlich. Es war Lilemour nicht möglich mit jetziger Präsentation der Umgebung mehr zu erkennen als die bloße Oberfläche bot. Doch strömte eine fremde Empfindung auf sie ein, die keine bloße Oberfläche aussenden konnte. Sie machte das Mädchen stutzig, aufmerksam und zu tiefst aufgewühlt mit brennend negativer Vorahnung.

Die Stille wurde lebendig. Mit Furch genährt und Hilflosigkeit aufgezogen.
 

Es stand außer Frage dass ihr etwas nachlief. Der Gedanke an ein durchschnittliches Haustier verwandelte sich sofort. Verdrängt, ausgeblendet oder vergessen, kehrte die Erinnerung an den zerrupften Gesellen zurück, dessen wahrscheinlich ununterbrochen versteckte Anwesenheit sie schon seit Tagen quälte. Ihn hier außer Acht zu lassen war ein elementarer Fehler gewesen, das war klar bevor Lilli es am eigenen Leib zu spüren bekam.

Sie bat zu allen guten Geistern des Erdballes und der nachbarschaftlichen Planeten, man möge ihr die grenzenlose Unachtsamkeit noch einmal Mal verzeihen. Ihr Leben wie es jetzt war, zeigte sich als beispiellose Misere, aber sollte es ihr deshalb gleich genommen werden?
 

Die Kälte schien zu schwinden, in einem erneuten Anflug von höchster Aufregung, die ihrer eigenen in keinster Weise ähnelte und sie doch gleichermaßen stark beeinflusste.

Seltsam kraftlos sah sich Lilli wie in aneinandergereihten Filmschnitten davonhetzen, das Kleid wehte ihr um die zitternden Beine. Es zeigte sich alles wie kurz vor dem Höhepunkt eines romanhaften Spannungsbogens.

Dann endlich, packte es sie. Der Feind war körperlich geworden. Beinahe breitete sich Erleichterung durch das Verpuffen der Ungewissheit aus. Wenn es sich bei dem mutmaßlichen Angreifer wohl nicht genau um den Verdächtigen gehandelt hätte.

Der Einfluss des erwarteten Schreckens war so immens, dass das Mädchen aus Leibeskräften in traditioneller Manier zu Schreien anfing.

"Hilfe! Hilfe!" Hastig versuchte sie sich wegzureißen, wobei sie einen Gelenkbruch würde in Kauf nehmen müssen.

"Hilfe! Hört mich denn keiner?! Bitte! Hilfe!"

Die Kälte der Außentemperatur hatte sich in ihr Herz geschlichen und lähmte von diesem Zentrum aus alles andere. Erneute Schluchzer erstickten Lillis Stimme, da sah sie es zum ersten Mal aus unmittelbarer Nähe.

Lächelnd wie ein Lottogewinner rann ihm langsam gelblicher Speichel aus dem rechten Mundwinkel, die Augen bewegten sich wild und ziellos in den Höhlen. Sein fauliger Atem verursachte ihr Übelkeit.

"Oh" ,jammerte er glücklich, "oh, fein, fein, fein....."
 

Das Erlebnis des halb von einer Laterne, halb vom Mondschein beleuchteten Gesichts ließ Lilli kurz still halten und im einfachsten Sinne starren. Sie fuhr sich über die Lippen.

Es war noch bestialischer als sie es von den flüchtigen Begegnungen im Gedächtnis hatte.

Hätte er ihr Handgelenk nicht brechend fest zwischen seinen Krallen und strahlte seine Aura nicht die reinste vernichtende Gewalttätigkeit aus, er täte ihr leid.
 

"Leid tust du mir" ,lachte es abgehackt, kurzen Hustenanfällen ähnlich. "Leid dass du mir gehörst!"

Keine Lichter entflammten in keinem Haus, nachdem Lilli wiederholt gellend um Hilfe geschrien hatte. Nahmen die Menschen hier Schlaftabletten oder waren sie nächtliche Notrufe so gewohnt, dass sie sie ignorierten? Es sollte ohnehin ihr Letzter werden.

Seine Statur war wie angenommen von magerer Gestalt unter der viel zu großen, von Ungeziefer zerfressenen Kutte und doch warf er sie mit einer Kraft von zehn Löwen im besten Alter zu Boden.

Oft schon hatte sich Lilli die Konfrontation, die nicht hatte ausbleiben sollen, mit ihm derartig ausgemalt. Dennoch war die wirkliche Erfahrung von ganz anderer Natur.

Es war unrealistisch zu parieren, geschweige denn selbst anzugreifen. Ihre letzte Stunde durfte noch nicht geschlagen haben. Nicht ehe der Orden sich über die im Rollen liegenden Dinge vollständig im Klaren war.

Mit Bewegungen die Lilli selbst wie in Zeitlupe vorkamen, drückte sie sich ruckartig auf um nach einem nahegelegenen Stein zu greifen.

Nicht nur die Liebe sondern auch die Gier schien blind zu machen. Wie anders war es zu verstehen, dass sich der entartete Mann den Stein mit aller Wucht einer menschlichen Kraft zwischen die Augen schleudern ließ. Der Aufprall war dumpf.

Mit einem ungläubig verzweifelten Aufkeuchen musste das Mädchen jedoch feststellen: Gier machte auch schmerzresistent. Ohne den geringsten Effekt kam es ihr wieder nahe, in unkontrollierten, hüpfenden Schritten.

Die Chance dann kam ganz unverhofft. Mag es den Kontakt mit ihrem Geschoss nicht gespürt haben, so waren doch nicht alle Auswirkungen ausgeblieben.

Dunkles Blut rann dem Verletzten unaufhaltsam der Nase entlang und in die Augen.

"Nasenwurzel höchst empfindlich und unvergleichlich gut durchblutet. Paragraph 104. Lehrbuch für effiziente Notwehr auf schwache Körperstellen, bei Lebenden und Toten" ,erklärte Lil ihm leise mit aufgerissenen Augen, während sie erneut die Flucht ergriff. Darüber hatte sie einmal ein Referat halten müssen.

Wie friedvoll und weit entfernt ihr diese Zeiten doch erschienen, so endlos weit.
 

Wild und wutschnaubend rieb sich das Ding mit seinem vor Dreck stehendem Ärmel wieder und wieder über das Gesicht, doch der Blutstrom war nicht zu stoppen.

"Sei offen, sei offen!" ,bat Lilli bei dem Versuch eine schwere Kirchentür aufzudrücken. Die Aufschrift : ,Wegen nächtlicher Randalen ab 18 Uhr geschlossen' bemerkte sie leider zu spät.

Genau wie die Person, welche allzu plötzlich wenige Schritte neben ihr aufgetaucht war. Von Panik erfüllt, kollidierte Lilli mit ihr, verlor vor schierer Freude fast die Stimme. Und wäre dieser jemand Darth Vader persönlich gewesen, alles besser als das Andere.

"Ah, Sie! " Lilemour hängte sich aufgeregt an den Ärmel einer nur wenig größeren Frau.

"Wohnen Sie hier? Bitte, helfen Sie mir! Da vorn! Wir müssen fort, bitte!"

Woher die Dame kam, wohin sie ging, das war in Anbetracht der Lage höchst zweitrangig. Beide waren in Gefahr. Lilli fuhr sich über die Lippen.

Da die offenbar Hellhaarige nicht antwortete, zog Lilli sie mit aller Gewalt nach sich. Das Ziel würde man erst definieren können, wenn man dort war. Hier konnten sie nicht bleiben.

"Haben sie ein Haus in der Nähe?!" ,wollte die Gehetzte wissen, da die Fremde sich nur widerwillig mitziehen ließ. Die hatte ja keine Ahnung was ihnen blühte, sollte das Vieh wieder scharf und deutlich sehen können wo sein Leckerli war.

Wiederum aber...."Vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben" ,stellte Lilli atemlos sicher, "bitte lassen Sie uns gehen. Ein Irrer! Er....er muss hier ganz in der Nähe sein, verstehen Sie?! Do you speak english?"

Leichte Hysterie machte sich in Lillis Stimme breit, die mit ihrem beschmutzen, dünnen Kleidchen ohne Schuhe oder sonst etwas einen verdächtigen Eindruck machen musste.

Sah man die Wahrheit denn nicht in ihrem angstverzerrten Gesicht? Hatte man der Frau denn die Zunge entfernt?
 

Ein gurgelnder Laut des Triumphes riss Lilemour aus den Gedanken und Sekunden später auch von dem Arm der Anderen. Aus die Maus.

Sie roch mehr als dass sie sah, welch bedrückende Gegenwart ihr erneut zu Teil geworden war. Heiß schlug ihr der Atem der Mensch- Bestie ins Gesicht. Tropfen warmem Blutes benetzten ihre Stirn. Sie befanden sich mitten auf der total verlassenen Straße.

Schwer presste es sein dürres Knie in den Bauch ihrer liegenden Gestalt.

"Fein, fein, fein, fein........." , sein Lächeln über ihr ließ keinen Zweifel mehr offen. Es handelte sich doch um einen Vampir. Mutiert oder nicht, sein Begehren war deutlich.

"Lauf!" ,rief Lil erstickt der Frau zu, "lauf bevor es mit mir fertig ist! Holen Sie Hilfe. Sagen Sie genau was Sie gesehen haben, hören Sie?!"

Vielleicht würde der Orden durch ihren Tod und einen Zeugen darüber durch die Medien (die alles natürlich falsch auffassen würden) doch noch alarmiert.

Ihre Hoffnungen starben jedoch, da die Henne unter bewegungsunfähig machendem Schock stehen musste, oder weshalb rannte sie nicht um ihr Leben?

Warum zur Hölle näherte sie sich ihnen?!

"Flossen weg!" Erstaunt über den Irrsinn der Frau war nur Lilli, die bei deren ersten Worten verwirrt aufsah. Das Gesicht der Frau lag in den Schatten der Nacht über ihnen. Das der Frau mit der Männerstimme. Auch das noch, ein Möchtegern Transvestiten -Held.

Das angesprochene Vieh sah sie unverwandt aus verlangenden Augen an, reagierte wie erwartet nicht. Rieb seine Hakennase an ihrer Wange.
 

"Hörst du schlecht" ,wollte das offenbar männliche Wesen schärfer wissen, während der Selbstmörder noch näher kam. Ungläubig erkannte Lilli die langsam größer werdende Unsicherheit des Untiers, der seine Körperhaltung änderte ohne den Druck auf sie zu lockern.

"Was willst du? Sie gehört mir! Allein!" ,fauchte es zurück. Das auf seiner Haut glänzende Blut gab seinem übrigen Aussehen den psychopatischen Rest.

Wie um sein Recht zu untermauern, hieb er unvorhergesehen auf die Schläfe des Mädchens ein, welches augenblicklich das Bewusstsein verlor.

"Oktavian hat es gesagt. Du musst ihm gehorchen" ,stellte das Vieh siegessicher fest, wobei er drauf und dran war, Lillis Kleid zu zerlegen bis der andere ihm Einhalt gebot.

Mit einer unsichtbaren Bewegung scheuchte der Blonde den aufmerksamen Gegner von dem leblosen Körper des Menschen fort.

"Oktavian ist bedauerlicher weise nicht hier" ,antwortete er humorlos, wobei er Lil problemlos vom Boden aufsammelte. "Ihm bedeutet sie nichts außer der Personifikation eines Störfaktors. Mir allerdings kann sie nützlich sein......Mag sein dass du sie nach Ablaufdatum ihrer Verwendungsmöglichkeiten zerlegen kannst. Jetzt noch nicht."

Mit dieser äußerst dürftigen Erklärung drehte der Mann sich um und ging ungerührt seines Weges. Sich im Klaren darüber dass er die von Grund auf, auf Abneigung basierende Beziehung zum Paradebeispiel eines Horrorblutsaugers ohne erotischen Einschlag nicht eben verbessert hatte.
 

Einem hungrigen Vampir die Beute streitig zu machen zählte nicht nur zu einem Kapitalverbrechen unter ihnen, es zeugte auch von schlechtem Geschmack.

Damit hatte er sich genau angepasst, denn was war mehr von verirrterem Geschmack als das Auftreten und Verhalten der abstoßenden Gestalt. Man zerfetzte seine Opfer nicht, man fiel sie nicht einfach an und leerte sie. Sie waren da um mit ihnen zu spielen, während man sich über Monate, vielleicht Jahre, vielleicht ewig an ihnen nährte.

Das persönliche Vorhaben war ihm wichtiger denn eine auf schwachen Beinen stehende Regel. Was kümmerte ihn dies halb vermoderte Geschöpf, dass ihm krächzend hinterher rief:

"Ich werde es ihm sagen! Oktavian wird das nicht durchgehen lassen, er hat es mir versprochen! Sie muss weg und mir wollte er sie geben! Mir allein! Dann wird er dich bei lebendigem Leib zerstückeln, bevor er deine vergifteten Einzelteile in die heiße Sonne zum Verdorren wirft! Für die Vögel des Tages!"

Außer sich vor Zorn und einer verhassten Ausweglosigkeit, spuckte das Vieh ihm Blut nach und schrie seinen Hass hinaus, dass ihm der Geifer nur so das Kinn hinunterrann.

Heute Nacht hatte es für ihn kein gutes Ende genommen, doch wer zuletzt lachte, lachte am Besten, am Gewaltigsten und am Siegreichsten!
 

"Petze" ,artikulierte Valentin unbeeindruckt vor sich hin und trug das zukünftige Ärgernis für Ilias fort. "Du wirst doch wieder angekrochen kommen wenn du merkst, dass es das Beste für dich ist."
 

Mit dröhnendem Schädel, tränenden Augen, und quälenden Halsschmerzen begrüßte Lillis Körper seine Wiederauferstehung.

Bemühte sich dabei behände, nicht an die vergangenen Ereignisse und ihren Ausgang zu denken.

Irgendwann jedoch, war ein stechend ekelerregender Odeur in nächster Nähe nicht mehr auszublenden. Lil kannte diesen Geruch, weshalb sie zu eigenem Grauen die Augen aufschlug. Sie waren halb verklebt und brannten. Gleichsam wie der auf sie gerichtete Blick aus weit geöffneten Pupillen.

Es rumpelte und zuckelte unter ihr, neben ihr, überall. Ein gleichmäßig rauschender Geräuschpegel verriet ihr, dass sie fuhren. Schnell war das Gefährt als Zug identifiziert.

Zu viele Gedanken überschlugen sich, stellten fest, werteten aus, verstanden nicht. Verstanden nicht weshalb die Bestie regungslos neben ihr kauerte um sie ungebrochen anzusehen. Verstanden nicht, warum sie selbst noch lebte. War diese Tatsache gut oder wollte er sie nur bei Bewusstsein richten, nachdem er wohl Hackfleisch aus dem hellhaarigen Mann gemacht hatte?

Stetig, in rhythmischen Bahnen von zwei Minuten, tropfte Speichel des Viehs neben Lilli auf den Boden. Nur wenn der Zug besonders holperte, bekleckerte er die muffige Decke, die um sie geschlungen war.
 

"Du solltest mich doch benachrichtigen wenn sie aufwacht!"

Missmutig betrat Valentin den leicht schwankenden Raum. Lilemour erkannte ihn hier auf der Stelle als den erklärten Widersacher Ilias'. Damit auch den schwerwiegenden Verwechslungsfehler mit einer Frau ein paar Stunden zuvor, denn länger konnte sie nicht geschlafen haben. Die feuchte Kälte war noch immer in ihren Knochen.

"Pah" ,fauchte der hässliche Vampir, "eben erst passiert."

"Erkennst du mich" ,wollte Valentin ausdruckslos von Lil wissen, ohne auf die zerlumpte Gestalt weiter einzugehen.

Benommen nickte Lilli, während sie ihr Umfeld wahrnahm und sich über die Lippen fuhr.

Der Waggon sah nicht besser aus als eine Absteige der übelsten Sorte. Ihre Decke passte auffällig gut zum restlichen Design. Sie kratzte, roch staubig und hatte Mottenlöcher. Sie lag in mitten diversester Kisten mit verschiedensten Aufschriften von Tomatensoße bis zu Autoteilen.

"Denkst du etwa ich gebe auch nur einen Cent für ein stinkendes Ungetüm und ein Menschenkind aus?" Valentin hatte ihre Gedanken erraten.

"Ja" ,grölte das Ungetüm dann, "gib sie mir, mir! Sie stellt zu hohe Ansprüche!"

"Nein, nein! Ich.....ich wollte schon immer als blinder Passagier in einem Güterzug mitfahren, wie Enid Blytons ,Fünf Freunde'" , beeilte sich Lilli, "das ist doch aufregend!"

Valentin hatte augenscheinlich die Oberhand, ihn zu verärgern würde nicht zu den besten Vorgehensweisen führen. Trotzdem kannten sie wohl ,Die fünf Freunde' nicht. Sollte sie ihm ein Kompliment zu seinem wuchtigen Ohrring machen?
 

"Ehe du fragst was ich mit jemandem wie dir will, außer der herkömmlichen Nutzung die Vampire nun mal für Menschen haben" ,fuhr Valentin fort, "spar dir das, es ist vergebene Liebesmüh. Du wirst es sehen."

"Was ist mit.....ihm?" Lilemour deutete zu dem sabbernden Anwesenden, wobei sie tiefer in die Decke rutschte. Zu Recht.

"Ich bin hier bis er dich nicht mehr braucht" ,lachte dieser unmelodiös. So etwas war zu befürchten gewesen.

"Beachte ihn nicht weiter" ,bestimmte der androgyne Blonde, "er ist nicht mehr und nicht weniger als ein wilder Vampir. Ausgerissener des Paktes, Ausgestoßener der Gemeinschaft, keinen Regeln unterworfen und doch nicht frei."

Niemand erwiderte etwas darauf.

"Wohin gehen wir" ,wollte Lilli vorsichtig wissen und unterdrückte ein Kältezittern.

"Weit weg."

"Ach so."

Die Unterhaltung erinnerte stark an Ilias' Sprechfreudigkeit. Kein Wunder dass sie sich nicht verstanden, sie war sich zu gleich.
 

Schweigen. Über Stunden hinweg in denen Lilli nicht wusste ob es Tag oder Nacht war, hier war es immer dunkel.

Obwohl sie zugedeckt war, wurde es kälter und kälter. Nur ihre Wangen waren warm. Man brauchte kein Arzt zu sein um festzustellen, dass sie sich eine gehörige Grippe eingefangen hatte, wenn nicht Ernsteres.

Ab einem bestimmten Zeitpunkt schlief sie die meiste Zeit, wachte nur ab und zu durch ein starkes Ruckeln kurz auf, sah in die Fratze des ewig an ihrer Seite hockenden Viehs und hielt es für besser wieder in das Reich der Fieberträume zu sinken.
 

"Sie ist so heiß" ,jammerte der mit getrocknetem Blut von Jahren beschmutzte Vampir, "kann ich nur ein kleines Bisschen probieren, nur ein wenig? Wo mir doch so kalt ist. Fein, fein, fein,......."

Valentin rollte in Gedanken mit den Augen. Keinerlei stolz rührte sich in einem Wilden wie ihm. Von einer auf die andere Sekunde schwanke er von unbändig wütend auf schmeichelnd untergeben. Das wurde also aus jemandem, der nur von sich selbst kontrolliert wurde. Wie hatte Oktavian ihn nur für sich gewinnen können, was hatte er ihm versprochen?

Er legte schwebend eine Hand über die Stirn des Mädchens und fühlte die Hitze bis in jede seiner Poren, obwohl der Rest ihres Körpers kühl war.

Seit geraumer Zeit atmete sie immer öfter schwer durch den Mund, wälzte sich unter Seufzern hin und her.

Zum zahllosesten Mal nahm er die vorsorglich mit Leitungswasser irgendeines Toilettenwaschbeckens gefüllte Flasche und zwang sie zu trinken.

Wäre Valentin sein Anliegen nicht so relevant erschienen, er hätte sie blutleer aus dem Zug geworfen. Sie machte mehr Aufwand als er es eingeplant hatte. Ihre Bewegungen und die Laute dazu reizten ihn, seinem immer bestehenden, blutigen Verlangen nachzugehen. Er wunderte sich ob der schweigenden Zurückhaltung seines Artgenossen. Apropos.......
 

"Du Idiot hast sie krank gemacht."

"Was?!" Der Lumpensack schreckte aus seinen Stofffalten hoch und beäugte das Weibergesicht eingeschnappt.

"Sie war schon fast nackt als sie aus dem hellen Haus kam" ,verteidigte er sich, zunehmend wütender. "Der ist Schuld, der sie so nach draußen schickte. Der ist Schuld, der sie so fein, fein, fein gehen ließ."

"Sei froh dass es so war, du hast lange genug gebraucht um sie zu fangen."

"Weil er immer da war. Immer!"

Mit verschleiertem Blick, die Pranken in seiner Kutte zusammengepresst, beugte er sich über Lilemour und verlor sich in einem Strudel der Gier. Wie er sie sich wünschte!

Früh genug jedoch, bemerkte der Blonde den doppelt erwachten Drang des anderen, zog ihn barsch zurück, so dass er gegen die Waggonwand prallte.

"Noch einmal und ich vergesse mich!" Ein drohender Blick seinerseits mäßigte den Zorn und das unerfüllte Verlangen des wilden Vampirs, dass sich in ihm selbst widerspiegelte.

Valentin bezweifelte, ob er ihn wirklich so ohne weiteres würde niederstrecken können, sollte es zum Eklat kommen. Solange der Lumpensack mit seinem rückentwickelten Gehirn, dass allein aufs Überleben getrimmt war, nicht auf die Idee des körperlichen Widersetzens käme, war alles in bester Ordnung.
 

"Ich benötige sie für Ilias. Für seinen Stolz, sein aus übertriebener Selbsteinschätzung geborenes Verantwortungsgefühl, sein neurotisches Eigentumsbewusstsein an diesem Mädchen."

"Ilias liebt nichts" ,würgte das Vieh heraus. Er kannte ihn, war unliebsam mit ihm zusammengestoßen, vor langer Zeit.

"Aber er besitzt" ,antwortete Valentin, "das da. Er passt auf sein Zeug auf wie der Adler auf seine Eier, ob er es braucht oder nicht. Was ihn auch mit ihr verbinden mag muss stark sein, denn sie lebt."

Der Andere grunzte abwertend vor sich hin, als er sich den Speichel vom Mund wischte, der einfach nie ausbleiben wollte. "Nicht mehr lange wenn sie so weitermacht. Sie wird verglühen, erfrieren, sterben, dahinsiechen, abkratzen...." Er fing an sich auf dem Boden zu suhlen und gurgelnde Geräusche von sich zu geben. Es juckte so furchtbar, überall.

"Genug" ,befahl Valentin angewidert.

"Was für eine Verschwendung. Wenn sie tot ist macht es keinen Spaß mehr. Dann ist sie nicht mehr so fein, fein, fein, fein........"

"Sie stirbt nicht. Menschengesocks stirbt nie so einfach."

"Du bist nicht das, was Menschen von einem Lebensretter verstehen." Valentin sah auf und in die abschreckendste Visage, die man über Jahrhunderte zu sehen bekam. Ein Wanderzirkus wäre der richtige Ort für solch ein Geschöpf.

"Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis Ilias kommen wird und dann....."

"Dann wird er nicht lustig sein......"

Valentin lächelte in sich hinein und sagte mehr zu sich als zu ihm : "Nein, das wird er sicherlich nicht." Damit drückte er seine Lippen auf die des Mädchens, auf ihre Wangen, ihre Stirn, ihre Schultern, ihr Dekolleté. So warm, so weich und so begehrenswert, von mehreren Aspekten aus gewertet.

Sein starker Wille hielt ihn von mehr als schon geschehen ab. Ilias sollte seinen Geruch an ihr wahrnehmen, mit jedem Atemzug spüren, dass er nicht Eigner von allem war, was ihm in den Schoss fiel. Lilemour seufzte.

Da warf sich das Vieh, dass dem Szenario vor Lust bebend zugesehen hatte, in eine angespannte Haltung. Es sog die Luft scharf ein und glich nun mehr denn je einem Tier. Seine Krallen zerkratzen mühelos die Oberfläche des Bodens, als es sich zu einem möglichen Absprung bereit machte.

"Ja, er kommt." Valentin nahm das kranke Bündel in die Arme, genoss und widerstand ihrer Natur und lehnte sich zufrieden an eine der Kisten. Nein, Ilias würde nicht lustig sein, aber es würde lustig werden.
 

Fortsetzung folgt!

Bettlägerig

Die Sonne scheint, die Vögel pfeifen

und.......draußen da quietschen die Reifen und....ich sollte das Dichten anderen überlassen -.-

Zumindest bin ich jetzt mit dem - nicht gereimten- neuen Kapitel fertig (Wunder werden wahr^^), zur Feier des Beginns meiner Semesterferien -was nicht heißen soll, dass ich nicht noch blöde Hausarbeiten zu schreiben habe ;_;

Tja, man kann nicht alles haben.

Was ich allerdings habe, das sind, wow, eine Menge Kommentare von euch. Ich hätte nicht gedacht dass noch so viele die Geschichte verfolgen, das macht mich natürlich wirklich glücklich. Wahrscheinlich habe ich deshalb die letzten Tage ständig geschrieben^^ Und weil ich doch tatsächlich etwas krank geworden bin. Hoffentlich nicht weil ich von einer kranken Lilli geschrieben habe O.o Jedenfalls hatte ich keinen Vampir der sich um mich gekümmert hat ;_; Genaugenommen musste ich in der Zeit noch eine Klausur schreiben, welch Tortur.

Aber wen interessiert das schon, ich wollte nur ein wenig einseitige Unterhaltung mit euch ;p
 

Also vielen, vielen Dank für die Kommentare und bleibt dabei ;-)

Sonnige (viel zu heiße eigentlich) Grüße,

Fany

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"Du scheinst mir über deine Prinzipien hinauszuschreiten."

Der wilde Vampir zuckte keuchend zurück um seine Rückseite schützen zu können, ohne den plötzlich Aufgetauchten aus dem Blickfeld zu verlieren.

"Was weißt du schon über meine Prinzipien? Abgesehen davon habe ich dich erwartet" ,gab Valentin zu verstehen, der an Ilias' ,sogar für märchenhafte Erzählungen ungewöhnliche Schnelligkeit gewohnt war.

"Wirklich?" Ilias lehnte lässig, mit verschränkten Armen an der vom Fahrtwind wackelnden Waggonwand. "Das überrascht mich über alle Maßen, Valentin. Du legst es darauf an mich zu reizen, enteignest mir etwas, steigst damit in einen Zug der tief in die Taiga fährt und dann erwartest du mich? Wo du doch eine solch gesellschaftstaugliche Begleitperson im Schlepptau hast."

Der Schwarzhaarige ließ seinen undeutbaren Blich kurz über das knurrende, miefende Wesen gleiten, bevor er seine volle Aufmerksamkeit zurückschwenken ließ.
 

"Da hast du aber etwas durcheinander gebracht" ,behauptete der Angeklagte, der anfing mit den Haaren des schlafenden oder ohnmächtigen Mädchens in seinem Schoss zu spielen, "sie ist uns in die Arme gelaufen. Geflohen vor.....hm.......wer weiß wem."

"Sie ist krank."

"Ich merke du schwängst das Thema, dann will ich dir mal nicht auf die Schnürsenkel treten. Durchaus ist sie das. Welcher Mensch, dazu weiblicher Natur, begibt sich im Frühwinter, spät Nachts, mit einer fast durchscheinenden Garderobe auf die Straße? Allein?"

"Du hast sie berührt."

"Durchaus. Erkrankte benötigen heilende Körperkontakte. Hast du etwa etwas dagegen? Ich hab' lediglich dein Inventar in Stand gehalten."

"Ich erkenne deinem Körperkontakt die Fähigkeit ab, etwas der Genesung näher zu bringen."

"Sag bloß."

"Gern geschehen."

"Habe ich mich bedankt?"

"Noch nicht."
 

Wenn es einen Zugwaggon auf Erden gab, der nahe einer ultimativen Großexplosion stand, dann handelte es sich um diesen. Die stickige Luft knisterte, angefüllt mit Missachtung und höchster Abneigung.

Die übergroße, modrige Stoffkutte schliff den Staub mit sich, als der animalische Nosferatu sich zu Zwecken des Selbstschutzes vorsorglich in eine der dunklen Ecken zurückzog. Er war nicht schwach, hatte sich bereits gegen einige Widersacher durchsetzen können, manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich. Doch existierte er noch. Diese Existenz jedoch war bedroht, sollte der Dunkelhaarige siegreich aus diesem Clinch hervorgehen.

Falls der angestrebt diplomatische Weg nicht fruchtete.

Die Beiden waren unberechenbar, nicht einzuschätzen, mächtig ohne dass man es ihnen ansah. Man fühlte es nur und so spürte er auch die unmittelbare Gefahr. Wenn er sich recht erinnerte, dann war eine offene Konfrontation jener überspitzen Art nicht in Oktavians Sinn gestanden als er sie losgesandt hatte. Genauso wenig, wie dass sie dieses Mädchen am Leben ließen.

Valentin entschied sich trotz einer Routinefolgsamkeit seinem Erschaffer gegenüber viel zu häufig für seine eigenen Pläne.

Es wäre sein Recht und sein böser Wille, dem blonden Schönling seine eigenmächtige Handlung zu sanktionieren in dem er in auf gutdeutsch verpetzte. Bedauerlicherweis stand es nicht in seiner Macht und das war der entscheidende Punkt. Er konnte über diesen Entfernung unmöglich Kontakt zu Oktavian aufnehmen, außer über die Medien der Menschen. Die Nutzung dessen wiederum ließ sein verkommenes Äußeres plus Analphabetismus nicht zu. Ein tröstender Umstand, der ihn Oktavian nicht als Verbündeten, sonder als Handelspartner definieren ließ. Er war außerhalb der Abmachungen keinem etwas schuldig und wenn er dem arroganten Metrosexuellen schon keine reinwürgen konnte, dann wenigstens dem Albinovampir, indem er ihn nicht über die vom Kurs abgekommenen Dinge informierte. Informieren konnte.
 

"Weg!"

Lilli zuckte zusammen. Gerade hatte sie geträumt, irgendjemand hätte ihr grob mit diversen Tüchern über das Gesicht gerieben. Mit einem Ernst als ginge es um das Ausfüllen eines hoch angesetzten Überweisungsformulars.

Wieso suchten einen die unangenehmen Träume verstärkt heim, wenn eines ganze Verfassung unangenehm war? Denn das war sie gewiss, wie Lilemour feststellte nachdem sie tatsächlich erwacht war.

Sofort kehrten ihre verpennten Sinne zurück. Es rüttelte leicht, das Fortbewegungsmittel hatte sich demnach nicht wesentlich geändert, wohl aber das Umfeld.

"Oh, mein Schädel" ,murmelte Lilli, rieb sich fahrlässig über die schmerzenden Augen, presste die Finger an ihre Schläfen und registrierte die bleierne Schwere, die in ihren Knochen hauste. Selbst ohne Fiebermessgerät war ihre erhöhte Temperatur wahrnehmbar, einmal ganz abgesehen von dem Kratzen im Hals. Alles war vorhanden um das Paradebeispiel einer Grippe zu demonstrieren, oder schlimmer: Angina. Jeder wusste doch dass eine derartige Erkrankung nach wiederholten Malen auf das Herz schlug. Sorgenvoll legte das Mädchen die Hand schützend auf ihr schwerfällig pochendes Organ, als sie ihr Abteil mit wenig Konzentration begutachtete.
 

Es handelte sich allem Anschein nach um ein bescheidenes Privatabteil für längere Zugreisen. Warum sonst lag sie einsam in einem ausklappbaren Bett? Der Rest der ungewohnten Räumlichkeit war vollkommen im Dunkeln. Die Gardienen des kleinen Fensters waren äußerst akribisch zugezogen um allen Lichteinfall zu verhindern. Als hätte sich eine Kreatur der Nacht hier als Zimmermädchen verdingt.

Da fing Lilli leise und schwach zu lachen an. Ein Lachen dass dem Weinen nicht fern lag, sich im Grunde gar nicht entscheiden konnte was es denn nun ausdrücken wollte. Vielleicht verlor sie auch nur langsam den Verstand. Den und die partielle Gewalt über ihren restlichen Leib. Die Krankheit ließ ihre Muskeln und das Fleisch in einem unmenschlichen Grade erschweren. Es drückte sich schier selbst in die Matratze von mittelmäßiger Qualität.

Das Atmen machte ihre jedoch keine Probleme und allein dafür war Lilli dankbar, gab es doch wenig Störenderes unter den alltäglichen Volkskrankheiten als eine verstopfte Nase samt einem Amboss auf dem Brustkorb. Ja, man wurde bescheiden.
 

"Was.....?......" Ihre nun mehr lebendig umherschweifenden Augen gewöhnten sich langsam an die vorherrschende Finsternis und waren in der Lage Umrisse zu erkennen. Da gaukelten sie ihre etwas Unglaubliches vor. Ein Phantasma.

Denn beinahe unmittelbar vor ihrer Nase, genau neben der Hand die noch immer vergessen auf ihren Herzen ruhte, stand, saß oder lag.......

"Samson?" Lilli flüsterte verwirrt in die Stille. Das war nicht witzig, ganz im Gegenteil sogar!

Ein ,Verwandter' von ihr hatte in seinem Fiebertrauma schon Soldaten mit Röcken auf der Vorhangstange marschieren sehen. Das alarmierte seiner Zeit sogar Evgeni, der dem Kranken eigenhändig Antibiotika besorgte.
 

Zögernd ließ sie ihre Finger zu der Wahnvorstellung wandern, die stur nicht wegzublinzeln war. Sich an sich ziehen ließ.

Selbstverständlich wäre Lilli das alles furchtbar peinlich gewesen, hätte sie jemand so gesehen. Da liegend wie ein nasser, lieblos hingepfefferter Waschlappen mit einer Fata Morgana, die sie sich ins Gesicht drückte. Dabei wahrscheinlich dümmer lächelnd als ein betrunkener Jim Carry, saugte Lilli den altbekannten Geruch ihres Kuscheltieres in Kamelform ein. Es hatte die ein oder andere Geruchsnuance von Staub, Teer und was man sonst noch so alles auf der Straße finden konnte, aber what shell's, wie der Franzose sagt.

Wenn auch nur fiktiv vorhanden, hatte Samson die Macht, sie ungemein zu trösten. Sie das frisch Geschehene besser verarbeiten zu lassen, ihr Halt zu geben. Er war ein letzter Fixpunkt in ihrem unsteten Leben, dass nach Lage der Dinge ständig auf der Kippe zum Hades stand.
 

Jetzt war es an Lilemour ein echtes kurzes Lachen in den ruhigen Raum zu werfen, obgleich sie das Gefühl nicht losließ, der auch auf ihrem Bauch haftende Druck erlaube keine weitere Anstrengung.

Voller kindlicher Liebe presste sie das Kuscheltier fester an sich und redet ihm sinnlos zu.

"Mein Lieber, warum bist du nur so schwer geworden, was hast du nur für große Augen, Ohren und Zähne?"

Tief einatmend so weit es durchführbar war, unterdrückte Lil den glücklichen Schluchzer nicht. Zu gerne trieb sie im Meer der Fantasie.

Bis sie ihren anderen Arm ausstreckte und zu Eis erstarrte.

Unschlüssig über ihr weiteres Vorgehen, machte sich ihr Tastsinn selbstständig, nahm ihr die Entscheidung ab. Haare glitten durch ihre neugierig zitternden Finger. Die Spitzen von Rapunzel, denn wo Lilli auch hinfasste, alles war voll von Haaren.
 

Nun ergab es sich, resultierend daraus natürlich, dass es sich hier um vieles drehen konnte, mit höheren und weniger höheren Wahrscheinlichkeiten Vieles war behaart. Allen voran, und das war es was zählte, dieses widerliche Ding von einem sabbernden Vampir, der noch Arnold Schwarzenegger mit MG zu Tode erschrecken könnte.

Es gab nur wenige Fehler in dieser Analyse aus dem Stehgreif, aber die waren schwerwiegend. Es stank nicht nach der Kreatur und dessen fettige Zotteln hatten allerdings nicht so weich ausgesehen.

"Valentin.....?" ,brachte das Mädchen nach Minuten des Zögerns endlich doch hervor, wobei ihre Stimme vor Angst und Unsicherheit brach.

Antwort gab ihr zunächst nur eine Bewegung, die ihrem Knie auf längere Sicht hin Meniskusschwierigkeiten bereiten würde.

"Ich kann mich nicht erinnern in den letzten 200 Jahren zugenommen zu haben, mit ungewöhnlich großen Augen würde ich mich nicht beschreiben, meine Ohren sind im Vergleich zu ihrer Geräuschaufnahmefähigkeit klein. Über das Ausmaß meiner Zähne lässt sich sagen, dass ich sie mir selbst ausgesucht habe, ohne es auch nur einen Moment bereut zu haben. Eine Gegenfrage wenn möglich: Was, wenn ich Valentin wäre?"
 

"Sie......Sie? Wo kommen Sie her?"

"Also gut, ich sehe mich geneigt dazu, die Verwechslung auf Grund deines gesundheitlich eher mäßigen Befindens zu übergehen."

"Sie....",versuchte Lilli ohne nennenswerte Stimmgewalt zu drohen, "gehen Sie auf der Stelle von mir herunter, Sie Nachtmahr! Bin ich eine Couch für Gästezimmer?!"

"Du scheinst zu vergessen, wer hier den Status eines Gastes inne hat. Es ist mir abgesehen davon unmöglich mein übliches Quartier zu beziehen. Ich toleriere dich hier und nicht du mich."
 

Niemals würde Lilli ihm oder sich selbst eingestehen, welch perverse Erleichterung es war zu wissen, mit wem sie ihre Gegenwart tatsächlich teilte. Wie auch immer es von sich gegangen war.

"Ich verstehe Ihren Standpunkt nicht und werde mir auch nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen, das kann er nämlich sehr gut alleine. Darf ich Sie trotzdem höflichst dazu auffordern, mir zu sagen woher sie mein Kuschel.......woher sie das erinnerungsträchtige Kamel haben und dass sie Ihren Ruheplatz irgendwo anders beziehen mögen. Bitte."

"Mir fehlt jegliche Ambition dazu, ich muss dich enttäuschen."

Lilli fühlte sich auf einmal noch erschlagener als zuvor, der Hammer auf ihrem Kopf hatte gerade einen stärkeren Besitzer bekommen und ihr Hals wurde von einer Kratzbürste behandelt.

"Möglich dass ich Ihnen für Sams......für das erinnerungsträchtige Kamel danke, nicht aber akzeptabel, dass Sie mich mit Ihren 70 Kilo einer Dampfwalze gleich plätten. Ihre Schulterblätter drücken Kerben in meine Rippen."
 

Stoff raschelte, als Ilias sein Gewicht verlagerte, sich umdrehte und sich einer Spinne ähnlich auf gleiche Höhe mit ihr schob. Er lehnte über ihr, vollkommen unspürbar, der Schwerkraft nicht mehr unterlegen. Seine Gesichtszüge waren nur schemenhaft auszumachen.

"Ohne mich wärst du jetzt nicht viel mehr als ein totes Stück Fleisch für die ratlose Polizei."

"Wären Sie nicht" ,zischte Lil, wobei sie trotzig ihren Kopf zur Seite drehte, "dann wäre ich erst gar nicht gezwungen worden von Zu Hause fort zu gehen, dann hätte ich den stinkenden Vampir und Ihren blonden Kumpel nie getroffen, dann wäre ich nicht hier. Kurz, dann wäre ich noch zufrieden!"

Von dem aufgedrückten Kuss, der sie noch immer beschäftigte - den sie aber niemals mehr erwähnen würde- ganz zu schweigen.

"Dann wärst du in einer Scheinwelt, die langsam um deine Zufriedenheit herum abbröckeln würde wie ein faules Fresko, nur um dich nach dem unaufschiebbaren Verfall mit nichts zurückzulassen. Glaubst du es würde sich auch nur eine Führungsperson des Ordens um euch scheren, sobald ihr ihnen nutzlos geworden seid? Nimm es hin oder nicht, aber ihr seid nur Werkzeug, nicht mehr als das Mittel zum Zweck."

Zu wahr gestalteten sich seine ungeschönten Worte, die es nach allem was sie erfahren hatte ohne Umschweife auf dem Punkt brachten, das Ergebnis formulierten.

Für einen flüchtigen Moment schien es Lilli, auch wenn sie es nicht sah, als wäre Ilias bei seinen eigenen Worten in ein kurzes Nachdenken versunken, als hätte ihn ein kleiner Anflug von Emotion gestreift. War es möglich? Und wenn, dann welche?

"Was rede ich" ,lachte Besagter plötzlich trocken, "wenn sie euch alle in den Orient als Sklaven veräußern würden, keiner würde euch jemals vermissen und wir hätten ein wenig mehr Platz hier."
 

Das reichte! Die Hoffnung starb zuletzt.

"Sie und keiner Ihrer verfaulten, kastrierten Freunde werden überhaupt je gewinnen! Nie, nie, nie und wenn ich sie eigenhändig mit einem Zahnstocher erledigen muss!"

Das Mädchen verbiss sich ein schmerzerfülltes Aufstöhnen, als Ilias brutal ihr Kinn umfasste und ihren Kopf damit zu ihm zurückriss. Überheblich starrte sie ihm vermutlich in die Augen, zur Abwechslung kein Problem, denn sie sah ja nicht wirklich mehr als Dunkelheit.

"Es gefällt mir nicht wie du mit mir sprichst." Eine Stimme, die jedem Eissturm Konkurrenz würde machen können. Sie würde schon nicht erfrieren.

"Und mir gefällt es nicht dass sie auf mir schweben, habe ich das durch Zufall schon erwähnt?"

Ein "das können wir wieder ändern" war der einzige Warnschuss bevor Ilias sich mit der Gesamtsumme seiner Masse zurückmeldete, so dass ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Luft wegblieb.

Zumal Körper und Haut in immungeschwächtem Zustand jede Berührung -und in diesem Falle eine Penetration- hochsensibilisiert aufnahm. So auch seine schmale Antikennase, die sich freilich ungefragt über ihre Wange tastete. Lilemour gab ihrem Hustendrang nach und bemühte sich dabei sorgfältig, ihre Viren und Bakterien den Feind inhalieren zu lassen.

Der darauf gar nicht erst reagierte und statt dessen anfing, mit einem Tuch über ihr Gesicht zu fahren.

"Was soll das, sind sie noch bei Sinnen?" ,klagte Lilli, erntete aber lediglich ein missfälliges Lachen.

"Du stinkst nach der blonden Syphilis."

"Weg mit dem Tuch" ,verlangte Lilli noch im Fieberwahn, nicht einsehend weshalb sie nach Valentin riechen sollte.

"Wer weiß was Sie mit dem Fetzen schon alles gemacht haben" ,ereiferte sie sich und dachte an ein Lätzchen für ausgedehnte Blutmahlzeiten.
 

Deutlich bis in die Glieder schockiert, richtete sie sich halbherzig auf. Nicht ohne Grund, da Ilias' überraschend weiche Zunge plötzlich über ihre rechte Gesichtshälfte fuhr. Sie schlug augenblicklich nach ihm, getroffen hatte sie nicht.

"Ok, ok! Gott, her mit dem Tuch, ich mache es selbst" ,hörte Lilli ihre von Panik erfüllte Stimme. Worauf die schnippische Antwort nicht lange warten ließ.

"Danke für die Auszeichnung mit einem solch hohen Titel, nur muss ich dich leider enttäuschen, denn ich fürchte, du verwechselst mich."

So gründlich es ging absolvierte Lilli ihre lächerliche Aufgabe. Bekloppten, die gleichzeitig gefährlich waren durfte man nichts abschlagen. Außer vielleicht die ganz dreisten Dinge.

"Da das geklärt wäre, könnten sie sich nun nach einer neuen Bleibe umsehen?"

"Nein. Ich mag das Gefühl heißen, pulsierenden Blutes unter mir, es gibt mir das Gefühl lebendig zu sein."

Das war ja etwas ganz Neues.

"Dann" ,knirschte Lil mit den Zähnen und fühlte eine doppelte Ladung Hitze in ihren Kopf schießen, "dann könnten Sie wohl Ihren Kopf verlagern, Ihre Haare kitzeln mich" ,schwindelte sie hinterher.

"Nein. Ich mag das Geräusch eines schlagenden Herzen so nahe als möglich bei mir und die Empfindung weiblicher......."

"Hören Sie" ,verzweifelte die Kranke beinahe völlig, "ich fühle mich, nein ich bin nicht in bester Verfassung. Ich weiß nicht warum das zerlumpte Vieh mich angegriffen hat, warum ich bei Valentin wieder zu Bewusstsein kam, nur um schließlich wieder am Ausgangspunkt zu landen, aber bitte. Bitte lassen sie mich schlafen. Einfach schlafen!"

"Du bist frei es zu tun" ,bot Ilias ihr großzügig an. Erleichterte ihr den Wunsch allerdings eher spärlich mit seiner keineswegs schüchternen Anwesenheit.

Wie sie ihn doch hasste!
 

"Ich habe lange überlegt ob es klug wäre dir deine Kleidung zu lassen."

"Was war an dem Satz ,lassen Sie mich schlafen' denn unverständlich?"

"Du warst kalt."

Täuschte sie sich oder wurde seine Stimme leiser und undeutlicher?

"Und da dachten sie" ,vermutete Lilli von der einen auf die andere Sekunde unendlich müde, "dass Sie mit ihrer flauschig warmem Gestalt eine Termodecke ersetzen, ich verstehe."

Ilias Worte drangen nur noch gewispert an ihr Ohr. "Die beste Kleidung und die dickste Decke haben keinerlei Wärme und Leben in sich und doch sind sie es, die bei Zeiten die Menschen schützen, ohne die sich nicht auskämen.

Das Mädchen gähnte, "die Menschen laden sie schließlich erst mit Wärme auf. Ob Sie's glauben oder nicht, so eine Decke wäre mir lieber gewesen."

"Wen kümmert es was du bevorzugst."

Lilemour schlief. Zumindest hatte er ihr Samson zurückgegeben.
 

"....Entwicklung........vermutet hätte......"

"Darum sind.......keine Unpässlichkeiten....."

"....der wilde Vampir, den du bei dir hast."

"Keine Ahnung weshalb und wie er uns nutzen kann, seine Anwesenheit ist eine Anordnung mit der ich nichts zu tun habe."

"Sei es wie es will, ich halte es für übertrieben mich aufzusuchen."

"Interessiert es dich nicht brennend wie sich der neueste Sinn deines Lebens, oder soll ich besser sagen, Todes, auszufüllen beginnt?"

"Ich hätte es spätestens bei der Ankunft in Stawrogins Anwesen erfahren, warum diese Eile?"

Auf der Seite gelegen, Samson zwischen ihren Armen, lauschte Lilli den Beiden hinter sich mit weit offenen Augen. Über was sprachen sie? Was war so wichtig, dass sich Valentin und Ilias unterhielten und das im selben Raum? Ob sie wussten dass sie wach war und darum ihr Gespräch einstellen würden? Andererseits war sie ohnehin Zeuge von Beginn an, was machte es da für einen Unterschied wenn auch ihre Wenigkeit die neuesten Neuigkeiten erfuhr? Keinen. Nur leider war es außer den immerwährenden Fahrtgeräuschen still im Raum geworden.
 

"Sag bloß du hast sie trotz Krankheitsschwäche geliebt."

Dieses Thema hätten sie auch ohne ihr Bewusstein behandeln können, wenn sie es denn tun mussten. Wovon Ilias glücklicherweise nicht überzeugt war.

"Ich wüsste nicht was es dich angehen würde" ,sagte er daraufhin bedrohlich nachdrücklich.

"Im Grunde" ,lamentierte Valentin, "im Grunde sollten wir als neue Partner dieses Projekts doch keine Geheimnisse voreinander haben. Ich meine, sie stinkt zum Himmel nach dir."

"Das ist doch die Höhe" ,fuhr Lilli herum, wobei sie unsanft an die Auswirkungen ihrer Grippe erinnert wurde. Die Decke faltete sich um ihre Knie. Ihr halb kaputtes Kleid war hoffnungslos verknittert und verdreckt.

"Ich stinke nicht, Sie......sie blonde Syphilis! Was ist hier überhaupt los?!"

Gelassen wandte sich Valentin Ilias zu, der mit verschränkten Händen hinter dem Rücken zum Fenster heraus sah. Es war Nacht, nur das Licht im Abteil brannte.

"So hast du ihr wenigstens neue Ausdrücke beigebracht. Respekt Herr Lehrer. Komm Mädchen, sprich mir nach: schwarze Pest. Ganz einfach, S.C.H.W......."

Der Blonde verstummte. Lilli duckte sich unwillkürlich nach hinten. Ilias fast beiläufiger Blick hatte nicht im Entferntesten mehr etwas mit Humanität zu tun. Es war ein Blick, der in der anmutigen Gelassenheit eines unbescheidenen Selbstbewusstseins die Vernichtung versprach. Oder etwas das dem nahe kam.

Dann durchbrach er die eigens geschaffene Stille.

"Wenn das alles ist was du zu sagen hattest, dann belästige mich nicht länger mit deiner Anwesenheit."
 

Der Blickkontakt zwischen den beiden Untoten war gebrochen. Das ließ Valentin schnell wieder zu seiner alten Form auflaufen. Er strich sich seine Locken aus dem Gesicht, wirkte wie der Engel der Verkündigung mit Ohrring und lächelte süffisant.

"Das war in der Tat alles was ich dir auszurichten hatte, nicht aber deiner reizenden Wärmeflasche. Weißt du" ,begann Valentin und setzte sich ungefragt auf das Bett, überschlug galant seine Beine. "Ich reise in der ersten Klasse und habe eine Sarg aus dem edelsten Holz das man von hier bis nach Neuseeland finden kann. P.S.: Er war einst in Ilias' Besitz."

Okeeeee.

Lilli konnte, eingeschüchtert durch seine unmittelbare Präsenz nichts wirklich Produktives darauf antworten, außer vielleicht: ,und ich habe ein Kuscheltier plus einem schicken Vampir zum Knuddeln.'

Sie schluckte es hinunter.

Als hätte er Teile ihrer Gedanken aufgeschnappt (womöglich hatte er das), krallte er sich Samson und hob ihn mit zwei Fingern hoch.

"Was ist das? Ein Dromedar?" Er ließ es angeekelt auf den Boden fallen, wobei das arme Wesen ein Bein verlor. Seine besten Tage hatte er wirklich schon hinter sich.

"Ich nehme an es dreht sich um das Kultobjekt einer fremdländischen Kultur" ,mutmaßte Valentin, sah Lilli dabei mit seinen verschiedenfarbigen Augen abschätzend an. Die jedoch, starrte auf Samson und dessen abgefallenes Bein. Sie hörte nur noch mit einem Ohr zu was Kuscheltiermörder weiter von seinem Herzen zu reden hatte.
 

"Da du hier ganz offenbar eine Zentrale Rolle einnimmst" ,fing er mit einem unüberhörbar abwertenden Tonfall an, "will ich Ilias die Aufgabe abnehmen dir gleich zu sagen woher der Hahn kräht.....Leg das Dromedar weg und hör mir zu wenn ich mit dir rede!......Gut. Dein Liebster hier zu meiner Linken mag an Ignoranz seiner Artgenossen gegenüber beinahe unschlagbar sein, aber, oh Staune! Auch für ihn ist es besser wenn er sich zu gegebenen Anlässen fügt. Es brächte ihm nämlich ungemeine Schwierigkeiten ein, sich in dieser Sache Oktavian zu widersetzen. Natürlich könnte er, welch Frage. Doch wäre das auch im Sinne seines stets vorrangigen Planes, den wir alle hier doch so gut kennen?"

Der Sprecher sah aus den Augenwinkeln zu dem verhassten Bekannten, seine Blicke schienen Bände zu sprechen, "und so bin ich im Auftrag hier um zu garantieren, dass die Mission nicht scheitert."

"Das Bein! Sie haben sein Bein abgerissen!" Lilli überlegte sich, wie man das wieder annähen könnte. Valentin ballte eine Faust.

"Nicht zu vergessen Oktavians Forderung, dich ins Jenseits zu befördern. Er geht keine Risiken ein. Risiken die nun einmal zu viel wissen. Vielleicht sollte ich es gleich hier tun...."
 

"Das reicht" ,unterbrach die ruhige Stimme des anderen, ließ in ihrer Entschlossenheit aber keinen Widerspruch zu. Er kam einige Schritte näher, die dazu ausreichten um Valentin hastiger als würdevoll aufzustehen.

"Stimmt ja" ,lachte dieser boshaft, während er rückwärts die Tür ansteuerte, "du hast mich schließlich gerade erst für ihre Aushändigung bezahlt. Behalte sie und erkläre du dich vor ihm, falls er Wind davon bekommt."

Ilias zeigte sich unbeeindruckt.

"Ich mag mich der Situation anpassen, sollte sie dem Fortschritt dienen. Auch wenn sie mir nicht gänzlich zusagt und doch lasse ich mir meine volle Entscheidungsgewalt von niemandem untergraben. Ungleich anderen, die es nur hin und wieder verstehen ein paar wenige eigene Variationen in den doch gleich bleibenden Auftrag zu integrieren. Die sich unverdient äußerst gewitzt und unverschämt erhaben vorkommen."

Die Türe fiel ins Schloss, der Zug durchfuhr einen Tunnel.
 

"Sein Bein" ,jammerte Lil. Sie hatte das schreckliche Gefühl, dass Samsons Glasaugen sie angklagend ansahen. Er schaute wahrlich mitgenommen aus, was er wohl alles hatte erdulden müssen? Ob er ganz allein und hilflos in Ilias' dunklem Sarg reisen musste? Moment! Anamnesis, die Wiedererinnerung.

"Sie haben ihm ihr Schlafutensil mit Sonnenschutzfaktor 30 überlassen?! Weshalb um Himmels Willen! Wollen Sie verkokeln wenn es hell wird? Also, nicht dass es mir nicht sehr recht wäre wenn Sie das täten, aber Sie.....Sie wissen schon, warum Valentin?!"

Ilias glich einer okkulten Statue, so unbeweglich stand er mit seinem Profil zu ihr, unbetroffen von den Vibrationen der Zugräder auf den Gleisen. Gespenstisch.

"Der Wille des Himmels hat damit nichts zu tun" ,riss der Vampir sie aus ihren Überlegungen, während denen sie ihn pausenlos angestarrt haben musste.

"Ich gab ihm für dich was er verlangte und doch nicht wollte. Die Eitelkeit in ihm hoffte lediglich auf einen offenen Zusammenstoß unserer Kräfte, den ich ihm nicht gewähren wollte. Den er ohnehin verloren hätte."

Wer von den Beiden arroganter war, konnte Lilli zu diesen Zeitpunkt noch nicht genau feststellen.

"Für mich?" Musste sie sich jetzt etwa auch noch bedanken? Verdammt!

Kaum merklich zuckte der Vampir mit den Schultern, "er wird es hassen in der ersten Klasse zu sitzen und den Sarg hat er wohl schon zerstört. Ich habe ihn mit seinen eigenen Anforderungen bestraft."

"Aber....aber ohne? Wie können Sie denn ohne hölzernen Schlafsack.....?"

"Ich erinnere mich dir bereits gesagt zu haben, dass er nicht zwingend ist" ,belehrte er sie gelangweilt, "ein Luxusmittel, die Bewahrung eines Mythos, Gewohnheit. Die Dunkelheit zählt und nicht wie man sie schafft. Als du vor Stunden das erste Mal erwachtest, war es Tag und es gab kein Problem."
 

Na toll. Was wollte er damit sagen? Doch wohl nicht, dass sie mit ihm die ganze Reiseroute in einem Zimmer auskommen musste?!

"Fein" ,sagte Lilli, "Sie sind den Tag über hier drin und ich Nachts, abgemacht? Abgemacht!"

"Wenn es etwas zu entscheiden gibt, dann entscheide ich."

Mecker, mecker. Auf der einen Seite tat er, als wäre ihm alles relativ gleichgültig, aber wehe ,man ritzte seine Autorität an. Da konnte er bockig werden. Lilli vermutete wiederholt, dass Ilias zu Lebzeiten ein verwöhntes Balg gewesen war. Warum wurde ausgerechnet diesen Exemplaren die unglaublichste Macht eingeräumt?

"Es gibt ja nichts zu entscheiden" ,bestimmte Lil und ließ sich erschöpft von nichts auf das Bett zurückfallen, "es ist doch wohl klar dass wir es so machen."

"Klar ist, was ich dazu deklariere!"

"Klar ist, dass Sie sich zu wichtig nehmen." Die Worte halb nuschelnd (waren sie doch von der gewagten Sorte) wurstelte sich Lilli automatisch tiefer in die Decken. Nichts geschah. Nach einiger Zeit wandte sie sich langsam um, niemand war mehr da. Unmerklich atmete sie auf. Hatte Sie ihn nun beleidigt? Oh je, das arme Männlein.

Als sie sich jedoch zufrieden zurückdrehte um ihre Grippe wegschlafen zu können, starb sie tausend Tode und mehr. Der Fortgeglaubte erschien wie aus dem Nichts unter ihrer Decke, lächelte dies verflucht von sich eingenommene Lächeln und biss einfach zu.

"Ich bin wichtig."
 

Nicht einmal schreiend vor Schreck und Ungläubigkeit riss sich Lilli los und wich zurück bis ihr Hintern hart mit dem Boden kollidierte. Der Aufprall war wie ein Stromschlag durch ihren angeschlagenen Körper, hinauf zum Kopf.

Mit bebender Hand fasste sie sich an den Hals. Nur wenig Blut klebte an ihren Händen, aber es war ihres.

"Ein kleiner Aderlass hat noch niemals jemandem geschadet und das war wenig mehr als ein Fingerhut voll" ,lächelte Ilias, wobei er eines seiner schlanken Beine anwinkelte. "Ich werde bald mehr brauchen. Wenn du nicht möchtest dass ich mir die anderen Passagiere auf dieses Ziel hin ansehe, dann gewöhne dich dran und genese schnell. Wozu habe ich dich schließlich eingetauscht?"

Die schwarzen Haare flossen wie Seide über die Kissen, die Decke war wie die Serpentinata um seine Mitte geschlungen, sein herausfordernder Blick gab dem Bild die Krönung.

Er sah aus wie die männliche Muse eines Leonardo da Vinci.

"Sie sehen aus wie eine Fledermaus, die sich aus Dummheit unglücklich in einem Tuch verfangen hat. Haben Sie schon mal ,Dracula- Tod aber glücklich' mit Leslie Nielsen gesehen?"

"Es gibt Neuigkeiten" ,überging Ilias Lilli, die sich wegen der grippalen Einwirkungen hinlegen musste und sich dabei entschied, über die eben eröffnete Ungeheuerlichkeit sehr viel später als jetzt nachzudenken.

"Dein Orden hat all seine Bewacher zurückgezogen. Es scheint, als würden sie die Gefahr allmählich nicht mehr ignorieren können. Sie gehen auf die Barrikaden, ist das ist interessant?"
 

Fortsetzung folgt!

Zwischenstopp

Hey :-)

Was soll ich sagen? Natürlich fühle ich mich rundum schlecht, unzuverlässig und so wie ich nie sein wollte. Ich hasse es wenn sich Pausen zwischen den Kapiteln über Monate hinwegziehen, hab mich immer bemüht eben dies zu vermeiden. Und nun schaut mich an ;_; Es tut mit leiheheidddddddd!

Ich weiß, ihr wendet euch gerade zu recht sauer ab aber....macht Verzeihen nicht groß und stark wie der Spinat von Popeye?

Schon gut, schon gut, ich will meine Argumente überdenken und mir für's nächste Mal was Besseres einfallen lassen. -.-

Ich hoffe trotz allem, dass ihr mir nicht alle abgesprungen seid und einen Blick auf das neue Kapitel werft! Ich würde mich natürich wie immer freuen (das hat sich nicht geändert ;P) eure Meinung zu hören beziehungsweise zu lesen :-)

P.S.: Da ich das auf irgendeinem ominösen neuen Programm verfasst habe, mit dem man die Fehler im Geschreibsel nicht sieht, entschuldigt jene, die noch da sind obwohl ich die Chose drei Mal durchgelesen habe.

P.P.S.: Versprechen will ich nichts -das wäre ja noch schöner, verantwortungsbewusst wie ich bin- aber ich denke doch, dass das nächste Kapitel schneller da sein wird, da ich bereits daran herumbastle.
 

In diesem Sinne, herzliche Grüße und viel spaß beim Lesen!

Eure, sich schämende Fany^^

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Zwei Tage. Zwei geschlagene Tage plus die dazugehörigen Nächte.

Lilli lag einwandfrei gelangweilt in ihrem Bett und spielte gedankenverloren mit Samson herum, dessen Bein äußerst provisorisch mit einem Taschentuch am verbliebenen Körper festgebunden war. In dieser wirklich langen Zeit hatte sie allerhand nachdenken können. Vor allem darüber, wie man es bewerkstelligen könnte, möglichst lange möglichst krank zu erscheinen. Es war ihr ganz und gar ein gräulicher Gedanke dem guten Ilias als Nahrungsquelle dienen zu müssen. Das Schlimmste daran war, dass der Gedanke daran nicht halb so gräulich war wie sie das gern gehabt hätte. Ihre Erinnerungen an derartige Vorkommnisse waren nicht verblasst und ließen ihr bei jedem neuen Aufkommen geradezu unverschämt wohlige Schauer durch den Körper rieseln. Aber das gehörte sicherlich zu seinem schnöden Einwicklungs- Versuch ihrer Person, dessen Sinn sie bis heute nicht verstand. Niemals würde sie sein wie Charlotte, Sophie oder eine andere seiner Opfer, sollte er das denken. Alles was Lilli tun musste war einfach nur, dem zu widerstehen. Ha! So einfach war das.

Das Mädchen seufzte tief und schwang die Beine aus dem Mal zu Mal empörender quietschenden Bett.

"Weißt du Samson, wenn jetzt nicht gerade Nacht wäre und unser Chef nicht wieder auf Achse anstatt für alle Zeit verschwunden, dann könte ich mich doch fast wohlfühlen."
 

Nachdem Ilias aus ihr unbekannten Gründen alle ihre, beziehungsweise Charlottes Kleidung in Wien zurückgelassen hatte, trug sie eine ihr ebenso unbekannte blaue Jeans mit einem roten Rollkragenpullover der aktuellen Wintermode von Esprit. Das war verworfen. Verworfen weil geklaut. Leider kam ihr das nicht verworfen genug vor, um mit zerissenem Penner- Cocktailkleid oder gar unbekleidet unter die Leute zu gehen. Sollte sie duschen?

"Nein" ,dachte Lilli laut, "das wäre dann das dritte Mal heute."

Obwohl sie tatsächlich befürchtet hatte, Ilias würde sich als ihr Zimmergenosse auf Dauer hier einrichten, war sie nicht sonderlich überrascht, dass er kaum da war. Wahrscheinlich bewohnte er am Tage längst die Kabine einer liebestollen Dame von Welt. Und Nachts? Da würde er tun was die Verdorbenen eben tun.

"Kann mir ja egal sein! Solange es mir gut geht" ,entschied Lil, drehte sich mit einem selbstermutigenden Lächeln um und verlor es wieder.

"Schön zu hören, dass es dir gut geht" ,sagte Ilias in einer Art und Weise die keinen Zweifel daran ließ, warum das so schön war. Lilli schnaubte.

"Ich bin noch lange nicht auf dem Damm!So schnell erholt man sich nicht von einem vermeintlichen Mordversuch und einer darauf folgenden Grippe mit kriminellen Auswirkungen! Ich brauche mein Blut noch, ansonsten werde ich an Anämie eingehen wie nach einer Malaria!"

"Zum Ersten" ,fing der Vampir an ekelhaft überzeugt zu belehren, "hast du in den letzten Tagen deine, sowei meine großzügige Portion an Essen verschlungen was deiner versuchten Krankheitsvortäuschung einen kleinen Riss einbrachte. Zweitens" ,lächelte er, wobei er mit geschlossenen Augen etwas zu sehen oder hören versuchte, "kenne ich restlos jeden Milliliter deines Blutes, auf den Tropfen genau und das ist weit entfernt von wenig."

Oh, verflucht war er und das war er hoffentlich wirklich!
 

"Hören Sie" ,versuchte es Lilli wie so oft mit Diplomatie, "kann man das nicht anders regeln, ich meine...."

"Wenn du möchtest dass ich mich anderweitig nach Unschuldigen deiner Art umsehe, dann..."

"Ja! Machen sie mir nur Schuldgefühle!" Dieses Spiel hatte sie auch drauf. "Das haben sie doch schon Ihr ganzes Leben getan und dann soll es mir plötzlich etwas ausmachen?! Mir, die ich nicht das Geringste mit Ihnen zu tun habe?!"

Problematischer weise machte es ihr eine ganze Menge aus. Völlig unbegründbar fühlte sie sich schuldig, für jeden Menschen den Ilias in ihrer Anwesenheit angriff. Sie war einfach zu weich!

"Hast du nicht?" Ilias spielte den Überraschten schlecht.

"Dann frage ich mich, wer die Pflicht des Bewachers in meinem Fall hätte übernehmen sollen. Solltest du am Ende die Falsche gewesen sein? Nein wie töricht vn mir."

Lilli ging auf, dass der Typ ihr unerhört grenzenlos auf der Nase herumtanzte. Wenn er sie beim Tanzen nicht gerade küsste.

"Sie killen ohnehin alle die man Ihnen zustellt" ,giftete sie.

"Du maßt dir an, das zu behaupten, ohne Beweise?"

Mulmigkeit machte sich in Lil`s Magen breit. Ihre Langeweile hatte sie ziemlich vorwitzig werden lassen. Ein Rückzieher sähe allerdings noch blöder aus. Also begnügte sie sich mit dem Mittelweg und hielt die Klappe, die manchmal ein Eigenleben an den Tag legte.

"Ich nehme nicht an, dass es dich stören wird wenn ich auf meinen Kreuzzügen der Nahrungssuche von der ein oder anderen mehr fordere als es einem sterblichen Leben gut tut. So werde ich dich aufs Erste verlassen. Ruhe sanft."

Dieser fragwürdige Abschiedsgruß konnte sie auch nicht mehr aufhalten.

"Sehen Sie! Das meine ich! Genau das! Sie sind ein...ein..."
 

Das war's. Sprachlos. Bewegungslos. Ein bekanntes Gefühl der Auslieferung durchflutete sie, wie ein Beutetier im Würgegriff einer Schlange. Mit der Abwandlung, dass sie blendend gut atmen konnte und vor Wut oder Furcht oder beidem scharf den Atem einsog.

Ilias drehte sich ihr gemächlich mit einem widerlich zufriedenen Lächeln wieder zu, legte den Kopf leicht schief und wartete.

Bis es Lilli zu dumm wurde, dümmer als es ihr sowieso schon vorkam. Also fing auch sie mit Altbekanntem an.

"Was wollen Ihre Majestät? Sie haben mir selbst triumphierend bekundet, wie der Orden just dabei ist, die weiße Fahne herauszuhängen. Was wollen Sie da noch von mir? Ich bin eben das selbe wie jeder andere Mensch, furchtbar ersetzbar, stinknormal un durchaus funktionslos."

Ilias schien nicht überzeugt, oder vielleicht doch, aber das konnte man bei ihm beim besten Willen nicht feststellen. Dann erbarmte er sich.

"Ich sagte, der Orden zieht sich zurück, von einer Aufgabe war keine Rede. Weißt du was passiert wenn Wellen sich zurückziehen? Sie verflüchtigen sich nicht im Meer, sie bäumen sich auf um mit gesammelter Kraft zurückzuschlagen."

"Was ist mit den Vampiren? Wenn es ist wie Sie sagen, dann sind sie nun alle unbehelligt!" Oh, wie reizend, er ließ sie sprechen. Und antwortete noch dazu, das musste ihr Glückstag sein.

"Keiner von ihnen der auch nur einen Funken Verstand hat, und das dürfte auf die Meisten zutreffen, wird aus der Reihe tanzen wie man es so nett formulieren kann. Sie wissen nicht was sie davon halten sollen, möglicherweise verstehen sie es als eine Probe ihrer Folgsamkeit. Vielleicht auch als Chance, wer kann das schon sagen. Es wird Zeit vergehen, bis sie merken was die Uhr tatsächlich geschlagen hat, wie viel mehr Macht sie bereits wieder in den Händen halten und handeln. Wir werden diese Zeit verkürzen. Zufrieden?"

"Nein!"

"Jetzt wird es erst spannend, die wahre Herausforderung. Die Vergeltung. die vollkommene Freiheit!" Die Frage über Lillis Bedeutung im ganzen Treiben hatte er wie gewöhnlich ignoriert. Würde er sich in diesem Augenblick wilde, blaue Streifen ins Gesicht schmieren, Mel Gibson als William Wallace könnte einpacken. Seine Augen wiesen einen beunruhigenden Glanz auf, der aus einem Blick in die siegreiche Zukunft zu kommen schien.
 

Langsam machte sie sich ernsthafte Sorgen, um was genau, das konnte sie später entscheiden. Gesetz dem Fall, der Orden verlöre -und danach sah es nach ihrem kargen Wissensstand aus- würden die Vampire leben wie vor hunderten vor Jahren? Unerkannt von der Bevölkerung und doch da? Oder könnten sie ohne Halt und Zügel mit der neugewonnen Freiheit nicht mehr umgehen? Immerhin hatte sich die Gesellschaft rasant gewandelt. Selbst der kleinste Fehltritt vom unscheinbarsten Vampir war in der heutigen Zeit ohne Hilfe nicht mehr zu verstecken. Was glaubte Ilias würden die Medien sagen wenn plötzlich irgendwo eine blutleere Leiche aufgefunden würde. Mit den zwei obligatorischen Bisslöchern und allem drum und dran. Ganze Geschichtsbücher würden geändert werden müssen und das war noch das Unwichtigste. Das würde sich doch keiner entegehen lassen! Arger noch, Verlage, Forscher, Privatabenteurer würden ein Wettrennen starten, wer dem zuerst auf die Schliche kam. 'Vampir oder Ammenmärchen? Was ist dran, am toten Mann?'

In etwa so versuchte das Mädchen diesen Sachverhalt ihrem Gegenüber klar zu machen, der nur verächtlich abwinkte.

"Die Menschen werden sich fügen, wie sie sich immer fügten, egal welches Aufsehen einer von uns auch erregen mag."

Damit war die Sache für ihn abgehakt und für jeden Weiteren, der nur an sich selbst zu denken pflegte.
 

Da änderte sich plötzlich spürbar die Atmosphäre. Man konnte eine aufsteigende Spannung geradezu riechen, sogar wenn man Lillis noch leicht verstopfte Nase hatte. Bestätigt wurde sie durch das sonst so gelassene Gesicht des Schwarzhaarigen, welches leichten aber vorhandenen Argwohn aufwies. Seine dunklen Augen verengten sich als er Lilli mit einer unbedeutenden Handbewegung wie nebenebei von dieser nicht sichtbaren Kette erlöste und langsam, tatsächlich fast vorsichtig auf das Fenster zusteuerte. Dann ging es auch schon los! Ohne die minimalste Vorwarnung.

Mit einem gewaltigen Knall fing der Waggon spektakulär zu schaukeln an. Lilli musste sich festhalten, griff geistesgegenwärtig nach dem Wichtigsten. Samson.

Zu behaupten, sie verstünde hier irgendetwas wäre maßlos übertrieben gewesen. Im Angesicht von allem was sie in ihrem doch recht jungen Leben hatte durchmachen müssen und der Überzeugung, nichts könne sie mehr umhauen, wurde Lilemour eines Besseren belehrt.

Ein nächster Schlag gegen den Waggon a la Herkules in blinder Wut ließ sie zu Boden gehen. Ilias stand ungerührt von einer Erschütterung am selben Fleck. Keine Emotion durchwanderte seine Züge, Lilli fand in ihnen keinen Tipp für das momentane Geschehen. Verstört sah sie ihn an.
 

"Sie sind da!" Gänzlich ohne Audienz sprengte Valentin in schönster Rambo Manier die Türe. In seinem Gefolge das Vieh, welches Lilli jedes Mal aufs Neue schrecklicher aussehend und stinkender denn je vorkam.

Dass irgendjemand da war, das wollte sie wohl glauben, nur wer?

Bevor ihr auch nur eine dieser drängenden Fragen entschlüpfen konnte, wurden panische Stimmen lauter. Der Zug war pfeifend und ächzend zum Stehen gekommen. Man musste nicht sonderlich lange darüber nachdenken was als Nächstes passieren würde. Die Menschen- viele auf Grund später Stunde aus ihren Träumen gerissen- wollten aus der Gefahrenzone. Raus, raus in die Nacht, tief in die Pampa der russischen Taiga. Falls sie schon in Russland waren. Lilli hatte den Überblick veroren. Offenbar über mehr als nur die geographische Lage.

"Was..." Vorbeirennende Frauen, Kinder und dessen Väter stürmten, zum Teil noch in ihren Schlafanzügen und wehenden Nachthemden mit angstverzerrten Gesichtern an der offenen Schiebetür vorbei. Sie sahen sich bereits als Opfer eines großangelegten Raubüberfalls. Einige weinten, viele jammerten.

"Was...."

Das Vieh knurrte einem gereizten Grizzli gleich und stürtzte zur fortschreitenden Verwirrung kopflos nach draußen, über die Häupter der drängelnden Reisenden hinweg, die dies später as Angsthalluzination auffassen würden. Sie hoffte inständg dass es ein Später gab.
 

Von Null auf Nichts packte Ilias Lillis Handgelenk um ebenfalls mit ihr in die fliehenden Massen zu gelangen, was nicht gerade gut für ein Später aussah. Valentin ging ihnen voraus, soviel war sicher. Er schob sich galant aus den Zugtüren als jemand schrie "Frauen und Kinder zuerst!"

"Was ist denn bloß los?!" ,brachte Lilemour hervor, während sich Ilias so tief als möglich zwischen die Leute begab. Dies passte wenig zu seinem gewöhnlichen Benehmen und die Abneigung gegen Menschenaufläufe. Wohl war es ihr schon lange nicht mehr, die Unruhe steigerte sich außerdem in rasantem Tempo, wobei sie über in der Hast verlorene Gegenstände stolpern musste.

"Dein Orden" ,wusste Ilias beiläufig, "sie haben Kämpfer geschickt."

"Bewacher?"

"Wenn du es so nennen willst. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht."

War das überhaupt möglich, so fühlte sich Lil noch verwirrter. Töricht kam sie sich vor. Natürlich bestand der Orden nur aus zwei Kategorien, den Oberhäuptern und den Bewachern, die gleichzeitig Mädchen für alles waren. Ausgezeichnet in Gruppenstärke ausgebildet, weil sie nur so überhaupt eine Chance hatten, sollte es zu einer Auseinandersetzung mit Übernatürlichem kommen.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie hatten die hier her gefunden? Wen jagten sie? Nur Ilias? Suchten sie womöglich sie selbst, Lilemour? War vielleicht Emilie dabei? War das nicht ihre große Chance?!
 

Einem dem Überlebenstrieb folgenden Reflex, riss sie sich von dem Vampir los, der damit im ungewohnten Tumult durch Zufall einmal nicht gerechnet hatte und rannte gegen den aufgebrachten Strom.

"Danke für den Zimmerservice der vergangenen Tage" ,rief sie ihm noch hinterher, ohne sich dabei umzudrehen.

Ihre Rettung war nahe und gerade darum war es nicht nachvollziehbar, weshalb sich in ihrem Inneren etwas sträubte und zurückkehren wollte. Sie verdrängte das Gefühl. Am Ball bleiben hieß es, sonst verpatze sie die vielleicht einzige Möglichkeit der Freiheit! Warum nur blieb das Freudegefühl aus und bildete sich ein Knoten in ihrem Bauch? Alles die Aufgregung, nur die Aufregung!

Kein Ilias und kein Valentin waren ihr auf den Fersen, die Sterne standen gut. Jedoch....warum verfolgte er sie nicht? War sie ihm also doch nur bloßer, unsinniger Zeitvertreib gewesen? Oh, sie hate es doch gewusst! Ärgerlich dass sie ärgerlich war, verschob Lil diese Überlegung. Vor ihr lag ohnehin etwas, das ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte.
 

Sie erkannte auf den durch die Lichter des Zuges leicht erhellten Schienen eindeutig die Uniformen des Ordens. Hässliche Teile wie zu Zeiten Kaiser Franz Josephs, die sie nur bei Großversammlungen trugen um die eigenen Leute erkennen zu können. Das war auch schwer von Nöten! Es wuselte nur so von Gestalten, die alle samt Freund oder Feind darstellen könnten.

Nun, sie war jedenfalls Freund!

"Hallo! Hallo!" Lilemour hängte sich leidenschaftlich weit aus einem Fenster um die Aufmerksamkeit einiger, dirket in ihrer Nähe stehender Ordensmänner zu erregen! Sie ignorierten sie, aber das würde sie nicht aufhalten können!

Nach einigen verzweifelten "...sie werden uns töten...!" , "...Wollen nur unser Geld und die Frauen....!" , "...hab doch noch so viel vorgehabt....!" , "...ruft doch jemand die Polizei..!" ,und vielen fremdsprachigen Flüchen, hatte sie sich endlich aus dem Menschenstrom herausgekämpft und sprang aus einer der vielen geöffneten Zugtüren. Der Boden war trocken und steinig, das verrieten sogar die dicken Winterstiefel die sie trug. Besser hätte sie eine Jacke mitgenommen, es war eiskalt!

"Hallo! Oh Gott sei Dank, hallo!" ,keuchte sie, als sie die ersten Ordensmitglieder erreicht hatte.

"Ich.....ich bin eine von euch! Ein Ordensmitglied, Lilemour Escapat! Was..was macht ihr hier? wie habt ihr uns gefunden? Was....."

Sie überhäufte die beiden ernst aussehenden Männer mit Fragen und fuchtelte dabei wild in der Gegend herum so aufgebracht war sie.
 

"Go back" ,befahl ihr einer von denen streng und machte eine unmissverständliche Geste Richtung Zug, "hush, hush!"

Entgeistert sah Lilli die Beiden an und musterte ihre im halb dunklen gelegenen Gesichter, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Natürlich! Sie verstanden kein Wort, sie waren nicht aus ihrer Heimat, sie kamen aus dem zweiten existierenden Ordenshaus. Aus dem nach Stawrogins Auskünften kürzlich in Brand gesetzten Ivanovo!

Verdammt, daran hätte sie auch früher denken können, sie waren dem ja schließlich auch näher als ihrem. Bedeutend näher! Fein, das war ein Grund aber kein Hinderniss!

"Ähm, my name is Escapat! The same as yours!" Sie hasste Englisch nicht von ungefähr und wäre sie nicht eindeutig in Zeitbedrängnis, sie würde sich in Grund und Boden schämen.

"Ähm, I was a prisoner and....! No! Wait!" Dieser Entenklemmer von einem dummen Ross hörte ihr gar nicht zu und schob sie stattdessen zum Zug zurück, da konnte sie ihnen versichern was sie wollte. Er sagte etwas zu seinem Kumpel, worauf beide anfingen zu wiehern. Suspendieren sollte man die! Sie war eine Informationsquelle! Sie kannte mehr Vampire als die in ihrem ganzen Leben zu Gesicht bekommen würden.
 

"Hey Igor" ,brüllte sie so energisch sie konnte, ohne zu wissen wie er wirklich hieß, "what do you want? Stawrogin maybe? You will never find him! He isn`t here!"

Irgendwie hatte sie gerade äußerst wirksam einen Nerv der Beiden getroffen, denn sie hatten es nun nicht mehr so eilig sie loszuwerden. Sie schafften es, noch furchterregender auszusehen wie Evgeni in seinen besten Zeiten.

"You know where he is?" ,wollte einer ungeduldig wissen. Lilli war froh, dass der Typ hier noch schlechter englisch sprach als sie. Beinahe tat es ihr gut ihn zu enttäuschen, diesen Rüpel!

"No. The last time I saw him, he was in Vienna. Days ago!"

"Unwana!" Der Bärtige, der sie noch immer fest im Griff hatte, verlangte ohrenbetäubend laut nach einer stämmigen Frau, die sich aus einer weiter entfernt stehenden Ordensgruppe löste, die dabei war die Menschen mit einer Lüge zu beruhigen. Sie kam mit riesigen Schritten auf sie zu, eine höchst selbstsichere Frau, die genau wusste was sie wollte. Ein Mannsweib, entschied Lilli, als die Dame mit den herben Gesichtszügen mürrisch den Bärtigen anschnauzte.

Eine Weile lang war nichts zu verstehen, dem Ton nach handelte es sich aber nicht um das Verlbleiben des mitternächtlichen Imbisskorbes. Es hörte sich ernst an und verflucht das war es auch! Lilli verlor die Geduld und erwischte sich immer häufiger bei dem Gedanken an Ilias und ob er verduftet war bevor man ihn entdeckte. Denn wenn sie ihn entdeckten, dann erkannten sie ihn auch als das was er war.
 

"Du, Ordensmitglied?" ,wollte Unwana dann endlich in schlechtem Deutsch wissen.

"Ja! Ja!" Erleichtert wollte Lilli sich erklären, was die Frau mit einer weiteren Frage unterband.

"Stawrogin sein wo?"

"Keine Ahnung! Ich hab denen Beiden da schon gesagt, dass er jetzt überall sein könnte und....Au!"

Unwana schüttelte sie hart und beäugte sie dabei sehr misstrauisch: "Wo?"

War die taub?

"Er das Ordenshaus verbrannt hat!"

Nein, sie war nur wutschnaubend und das konnte Lil nur zu gut verstehen. Nun wussten es die Mitglieder also auch, die sogenannten Oberhäupter hatten es ihnen nicht mehr verheimlichen können. Aber was konnte sie bitte dafür? Wenn man sie nur einmal ausreden lassen würde, so war sie ihr Geld wert! Es konnte doch nicht so schwer sein an der ultimativen Quelle ihre Erfahrungen und das Erlebte loszuwerden, zum Wohle aller - außer vielleicht Ilias und Seinesgleichen.

Die Tussnelda wollte nichts davon hören, wie oft Lilli auch ansetzte. Sie brüllte Befehle, so dass die noch meilenweit entfernt zu hören sein mussten! Dagegen war Evgeni ja das reinste Lamm.

"Warum du hier?"

Das war doch schon mal ein guter Anfang. Mehr konnte daraus aber nicht werden, denn Teile eines Waggondaches explodierten wie in den schönsten Actionfilmflammen.
 

Unwana raste sofort zum Ort des Geschehens und übertönte sogar die herunterfallenden Dachstücke sowie das wieder lauter gewordene Gejammer der draußen kauernden Menschen. Lilemour beobachtete die Frau, die gerade einen Jüngeren zusammenschiss, der scheinbar auf das Dach geschossen hatte. Die Gerätschaften dazu waren nicht zu unterschätzen, Lilemour kannte sie natürlich auch. Es waren kleine pistolenartige Gebilde, nicht größer als eine moderne Digitalkamera aber mit dreifach gewaltigeren Auswirkungen als ein durchschnittliches Geschoss. Vampire waren schließlich auch dreifach gewaltiger als der durchschnittliche Mensch, wenn das nur reichte.

Lilli bemerkte, wie sie sich tatsächlich Sorgen machte. Erschreckender weise nicht um die Ordensmitglieder. Da war der Beweis, und doch konnte sie sich durchaus nicht damit abfinden, dass Ilias ihr Herz nun auch erwischt haben sollte. Das war natürlich alles Unsinn, sie war reizlich nur überfordert, da hatte man eben Angst um alles und jeden.

Dieser Gedanken konnte nicht weiterverfolgt werden.
 

Der Bärtige neben ihr brüllte ihr fast das Ohr weg, als er Lilli auch schon auf den harten Boden stieß und mit schweißüberströmtem Gesicht in Gefechtsstellung ging. Dabei schützte der andere seine Flanke, nicht weniger angespannt. Sie hatte es langsam aber sicher satt immer nur herumgeschubst zu werden ohne eine Idee von der Lage zu haben. Und wie als hätte man Lil erhört, sah sie den Blicken der anderen folgend vor dem Dunkel eines Waggons eine gleichsam farblose Gestalt lehnen, beinahe nicht zu sehen, aber vorhanden. Sie rappelte sich auf und stopfte Samson mit kleinen Gewissensbissen brutal in ihre enge Hosentasche. Opfer mussten sein.

"Wait! Wait" ,hörte sie sich schreien, als sie auf ihre beiden "verwandten" zuging und dem einen die gezückte Schusswaffe zu entreißen versuchte. Unglaublich was sie da tat, das würde noch einen Prozess geben, bei dem sie aus dem Orden ausgeschlossen werden konnte. Zu ihrer Überraschung war diese Überlegung keineswegs mit Trauer oder Reue behaftet.

"He is harmless!" Damit war Lil auch noch zur größten Lügnerin des Kosmos mutiert. Was bitte sollte sie sonst tun, die würden ihn mit ihrem Temperament glatt weg abknallen und das war doch keine Lösung wie sie im Buche stand! Man würde ihn doch noch brauchen um....um den anderen auf die Spur kommen zu können! Oktavian und Stawrogin und wie sie alle hießen! Oder das war es dann mit ihrem Verstand gewesen. Das fand der Bärtige auch, denn er beschmipfte sie übel auf russisch, soviel war klar. Gut dass sie die Einzelheiten nicht verstand.
 

"Vrykolaka!"

Hä? Unwana- Mannsweib kam angerauscht und sah nicht gerade nach dem aus, was man freundlich nennen könnte. Ganz im Gegenteil. Lilli fasste es kaum, musste es aber spätenstens dann, als sie den Schmerz in ihrer Wange spürte. Sie hatte ihr eine geknallt, mit ihren riesigen, menschenunwürdigen Pranken!

"Vampirhure!" ,schrie Unwana und machte sich damit zur ungeliebtesten Verwandten die Lilemour je gehabt hatte und je haben würde. Ihrer Wut Luft zu machen, dazu kam die Beleidigte nicht mehr, denn Unwana richtete ihre Miniboom (so der entehrende Spitzname der besonderen Geschosse im Kreise ihrer Angehörigen) geradewegs auf den noch immer unbeweglich am Waggon verharrenden Ilias.

Auch der Bärtige und sein Freund konnten jedoch den gut gezielten Fußtritt Lillis nicht mehr stoppen, mit dem sie Unwana gegen die Hand schlug, so dass diese ihre Miniboom fallen lassen musste.

"Ihr müsst ihn doch nicht gleich endgültig über den Jordan schicken!"

Lil sah wohl ein, dass dieser Satz auf keinen Fall eine besänftigende Wirkung hatte und sichtete den einzigen Ausweg in einer erneuten Flucht. Was hatte sie dem Schicksal nur angetan, dass es sie so bestrafen musste? Sie schrie die Frage erneut in den finsteren Himmel, als ein Schuss sie verfehlt hatte.

"Sie schießen auf mich! Sie schießen auf mich!" Tränen der Enttäuschung und nackter Angst rannen ihr über das Gesicht und ihr wurde klar, dass sie es sich jetzt mit restlos allem verscherzt hatte. Nun konnte sie nirgendwo mehr hin! Falls sie sie nicht doch noch gleich erwischten und umnieteten, dann würden sie ein Kopfgeld auf die ansetzen und sie als ruchlose Verräterin suchen lassen. Zurück zum Orden würde sie nach dieser Einlage nicht mehr können, auch wenn sie sich noch so gut erklärte. Sie hatte einem Vampir geholfen, daran war nicht zu rütteln und nur das war letzten Endes ausschlaggebend. Die Regeln waren hart. Dieser Dummkopf! Was war er auch so cool da herum gestanden als wäre er unverwundbar?!
 

Lilli versteckte sich sitzend in einer Schar Reisender, die sich eng um ein Feuer gesetzt hatten (jemand musste also einmal ein Survival Training absolviert haben) und aufgeregt in allen möglichen Sprachen miteinander schnatterten. Eine blonde Frau bot ihr einen Keks an. Lilli wollte schon dankend ablehnend, als sie die Frau auch schon identifizierte.

"Valentin" ,zischte sie leise und bekam vor Ungläubigkeit den Mund nicht mehr zu.

"Sicher keinen Keks?"

"Nein. Was....was ist mit....mit? Wo ist Ilias? Auch hier?" Sie sah sich um.

"Warum? ist dir das wichtig?"

Lilli fühlte sich auf den Schlips getreten und versuchte höhnisch zu klingen.

"Sie sollten es besser wissen! Natürlich nicht! Ich hoffe bloß dass die ihn allsbald fangen damit hier wieder Ruhe einkehrt und die armen Leute zurück in die Wärme kommen!"

Valentin drehte das für ihn reizlose Gebäck in seinen langen Fingern hin und her, "fragt sich bloß wen sie jetzt dringender suchen, dich oder ihn."

"Oder dich und deinen stinkenden Freund" ,antwortete Lilli scharf, der es gar nicht gefiel, dass er bereits so viel wusste.

"Äußerst aggressiv deine Freunde, äußerst" ,sagte er in einer Weise, bei der man glauben könnte, er hatte einen für ihn längst klaren Beweis gefunden der zeigte, dass Menschen schlimmer als Vampire waren. Bald platze Lilli der Kragen.

"wie würden Sie sich denn fühlen wenn man Ihre Bude abfackelte?! Mit samt jungen Auszubildenden."

"Ich kann mich nicht erinnern irgendetwas in Brand gesteckt zu haben."

"Na...na vielleicht nicht Sie persönlich aber ihr seid doch alle...alle gleich und....."

"So" ,nickte Valentin plötzlich zustimmend, "wir sind alle gleich. Moment! Dann bist auch du gleich den deinen, den Wilden da draußen, die einiges dafür geben würden dich in die Finger zu bekommen und, nimm es mir nicht übel, aber Gleiches und Gleiches sollte doch zusammen kommen."
 

Da tat er ganz Unglaubliches, wofür sie ihn auf ewig zumindest immer ein wenig hassen würde. Er schleuderte sie hinter sich und machte dabei einen Radau, dass man ihn und vor allem sie unmöglich übersehen konnte. Es dauerte keine Minute bis sie auch schon die rauchig tiefe Stimme Unwanas hörte, die sich erschreckend schnell näherte und kein bisschen netter als zuvor klang.

"Die Frau" ,schrie Lilli während sie dabei war sich wieder einmal auf und davon zu machen, "schnappt euch die blonde Frau mit dem Ohrring! Sie hat Lepra, die Beulenpest und Syphilis! Außerdem ist sie ein Mann und frisst eure Kinder!"

Hoffentlich waren die Leute fähig dazu, Valentin nun wenigstens in Bedrängnis zu bringen.
 

Mit rasselndem Atem kam Lilemour hinter einem verlassenen Waggon am Ende des Zuges an, sie hustete leise. Das war absolutes Gift für die ordnungsgemäße Abheilung der Grippe und gleichzeitig das kleinste Problem. Was zum Teufel sollte sie jetzt noch tun? Sie war geächtet! Wie die Dalton Brüder in Lucky Luke. Wie Jack the Ripper in London. Wie...

"Ahhhh!" Lillis Schrei kam viel zu spät. Es hatte einen Schuss gegeben, gerade als sie sich einer vagen Ahnung gehorchend umdrehte und den Bärtigen auf sie zielen sah. Alles spielte sich in Sekunden ab. Sie wusste noch nicht ob sie schon tödlich getroffen worden war und dem zu Folge langsam in die Knie gehen sollte, oder ob sie verfehlt wurde, oder noch gar nicht geschossen worden war, da nahm ihr ein gigantischer schwarzer Schatten die Sicht.

Geräusche wie bei Gladiatorenkämpfen brachten Lilli kurz dazu die Augen zusammenzukneifen. Darüber war sie rückblickend ziemlich froh, denn was sie anschließend sah, schien ihr nicht wie ein gesund aussehender, schlafender Mann.

"Oh komm schon...." Vorsichtig ging sie an den Zusammengesackten heran, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie offenbar wieder allein auf weiter Flur waren. Aber hatte er sie wirklich töten wollen? Ganz unwiderruflich?

Es war der Bärtige. Er jedenfalls, war tot, das sah man sofort. Seine Augen starrten unbeweglich ins Nichts, kein Puls schlug mehr in seinem Handgelenk. Es waren keine auf den ersten Blick sichtbare Spuren eines Verbrechens zu sehen. Wer hatte ihn umgebracht? Wieso war der Täter nicht mehr hier?
 

Lilemour war sich noch nicht ganz schlüssig ob ihr nun schlecht werden sollte, oder ob sie in einem Glückstaumel über ihr gerettets Leben ein Dankesgebet starten sollte. Ihr blieb zu keinem von Beidem die Zeit. Jemand näherte sich, es waren mehrere. Später konnte sie nicht mehr sagen, ob sie die aufgebrachte Stimme Unwanas gehört hatte, oder doch nur einfach eine beliebige, die sich später traumatisiert von einem Psychologen müsste betreuen lassen.

Es konnten nicht viel mehr als zehn Minuten gewesen sein, in denen sie nun schon in einer Art Graben kauerte und sich so klein als möglich machte, um nicht alle Wärme aus ihrem Körper strömen zu lassen. Trotzdem zitterte sie. Dinge wie diese hatte sie sich nie erträumen lassen und das im eindeutig negativen Sinne. Würden die erst aufgeben wenn sie sie gefunden hatten? Wenn sie alles erreichten was sie sich vorgenommen hatten? Hätte sie sich jemals vorstellen können, dass sie einmal vor ihrem eigenen Orden Angst haben könnte? Ob oder ob nicht, sehr viel länger würde sie hier nicht bleiben können, wenn sie nicht einen Erfierungstod steben wollte.
 

Fortsetzung folgt!

Katzenjammer

Haha! Endlich bin ich scheinbar wieder in der Lage meine nicht zu ernst zu nehmenden Versprechen zu halten. Wenn dieses Kapitel nicht verhältnismäßig schnell nachgerückt ist, dann weiß ich auch nicht. Bin gerade irgendwie in einem Schreibfieber (welches hoffentlich noch eine Weile anhalten wird^^) darum nehme ich einfach mal an, dass der nächste Teil auch nicht sehr lange auf sich warten lassen wird.

Hoffe wie immer, das Kapitel wird euch gefallen. Diesmal habe ich auch nicht ganz so gemein aufgehört ;P
 

Viel Spaß also und eine Menge Grüße,

Fany
 

Das wichtigste P.S. überhaupt: Vielen Dank an die Kommentarschreiber!

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"Miau." Beinahe wäre ein simpler Herzinfarkt Lillis Ende gewesen. Bis zur Unendlichkeit angespannt lag sie da, wartend auf eine Besserung der Situation, wie die auch aussehen mochte und dann quietschte sie eine Katze blöd von der Seite an. Diese Idioten vom Orden hatten den Waggon mit den Tierkäfigen beschädigt. Dafür hatte sie nun wirklich keinen Nerv. Man konnte Dank des flachen Landes sogar noch die Umrisse des langen, stillgelegten Zuges und die Lagerfeuer sehen, von denen es jetzt vier gab. In ihrer Furcht war die Mieze wohl so zielstrebig wie sie selbst geflüchtet. Mit dem kleinen Unterschied dass man sie nicht um die Ecke oder wenigstens vor das hauseigene Gericht für Hochverrat bringen wollte.
 

Lilli überging die Anwesenheit der Katze. Vorerst. Das Tier schien sie als Mount Everest zu missbrauchen und dachte nicht daran zurückzugehen.

"Ach geh weg" ,maulte Lilli die kleine Bestie an, weil sie schon jetzt wusste, sie würde es nicht allein hier zurücklassen können. Dorthin würde sie es jedoch auch nicht bringen können.

"Verschwinde! Immer den Lichtern nach, Mieze, oder eine Familie wird demnächst untröstlich sein über deinen Verlust. Sicher weint sich ein kleines blondes Mädchen mit Zöpfen schon jetzt die Augen aus. Willst du das?"

Die Katze schien keine besonders große Bindung zu solch einem Mädchen zu haben, denn sie machte sich weiter geschäftig daran über Lillis Hüfte zu kraxeln und dabei die süßen kleinen Krallen als Bergsteigerwerkzeug zu nutzen. Schade nur, dass die süßen kleinen Krallen besonders scharf durch die Jeans drangen und einige Kratzer hinterlassen würden.

"Miau." Die Katze ließ ihre Haken widerstandslos von Lilli aus deren Fleisch ziehen und nach vorne zu ihrem Kopf zu heben.

"So, nun lass dich wenigstens mal ansehen, wenn du mir schon so unter die Haut gehst."

Sie streichelte das dunkle Fell. Man konnte nicht erkennen welche Farbgebung es genau hatte, aber es war weich und gepflegt.

Auch abgemagert war sie nicht, wie vermutet eine geliebte Hauskatze.
 

"Alles scheiße gelaufen! Sie sind hinter mir her! Kannst du dir das vorstellen? Hinter mir! Als befürchten sie, ich könne zu einer Atombombe werden. Bloß weil ich nicht fürs Abknallen von Vampiren bin. Nicht dass die Sorte sehr umgänglich ist, aber nun mal im Ernst. Wie viele schwer umgängliche Leute trifft man in seinem Leben? N' haufen. Und macht man sie gleich einen Kopf kürzer? Nein!" Es tat ihr seltsam gut sich mit einer Katze zu unterhalten, die wollte nicht wissen warum genau sie einem Monstervampir mit ziemlich weltlichen Gelüsten geholfen hatte. Und das, obwohl es vielleicht noch nicht einmal etwas gebracht hatte. Sie wusste es ja selbst nicht. Aber kalt war es, das wusste hier jeder.

"Ich hoffe bloß, er hat sich gerettet! Sonst wäre ja alles umsonst gewesen und ich läge hier für nichts und wieder nichts im Staub vor Unwana und ihrer Crew. Valentin hat mich verpetzt, wie findest du das, hä? Das bekommt er noch ab, das sag ich dir und wenn ich ihm seinen Ohrring abreiße!"

Lilli hustete und machte sich um Frostbeulen überall an ihrem Körper ziemliche Sorgen. Bald würde sie ihre Finger nicht mehr spüren können. Lillis Nase lief, sie putze sie zum hundertsten Mal mit ihrem Ärmel ab. So konnte das nicht weitergehen. Entschlossen packte sie die Katze und schob sie unter ihren Rollkragenpulli bis er so präpariert war, dass ihr Kopf neben dem Hals des Mädchens herausschaute.
 

Tief im Inneren war ihr klar, dass sie das Tier weniger um dessen Willen als viel mehr ihretwillen mit sich nahm. Lilli würde jemanden oder etwas brauchen in diesen schwer werdenden Stunden, auch wenn sie jemandem das Haustier stahl. Es war eine egoistische Handlung durch und durch.

Tief seufzend richtete Lilli wieder einen Blick zu den Feuern. Unwana würde heute Nacht sicherlich nicht mehr abziehen und bis zur Vergasung nach etwas suchen, dass sie würde umbringen können. Nur wo sollte sie hin? Nahm jemand streunende Mädchen und Katzen auf, wenn es hier überhaupt Häuser gab? Zu sehen waren noch keine, das Gebiet war steppenartig leergefegt. Trotzdem machte sie sich auf den Weg frei nach Schnauze und kraulte dabei die Katze um zumindest ihre Finger vor dem Absterben zu bewahren.

"Warum schnurrst du eigentlich nicht? Du bist eine recht undankbare Katze! Ich trage dich hier durch die Gegend und sehe dabei aus wie ein schwangeres Frettchen, während du dir gemütlich die interessante Landschaft ansiehst."

"Ich würde sagen dass du deine Wanderstunden für heute beenden kannst und mir in die Bruchbude zehn Minuten östlich folgst."

Lillis armes Herz musste einen gewaltigen Sprung gemacht haben als Valentin vor ihr auftauchte, denn die Katze sah mit ihren leuchtenden Augen zu ihr hoch.
 

"Wie kannst du es wagen mich auch nur anzusprechen?!" Trotz eiskalter Nase war Lilli nahe daran, außer sich in lodernden Zornesflammen aufzugehen.

"Ich werde einen Teufel tun und Ihnen auch nur einen Schritt folgen! Die hätten mich eben gerade töten können und Sie wussten nichts Gescheiteres als mich ihnen auszusetzen!"

"Ja und wenn du jetzt nicht mitkommst wirst du auf jeden Fall über kurz oder lang den Löffel abgeben."

Sie verspürte große Lust dem blonden Racheengel an die Kehle zu springen. Nicht zuletzt weil sie merkte, dass sie auf eine geheimnisvolle Weise mit Ilias gerechnet hatte, der sie fand. Es ärgerte sie maßlos, denn er wäre der Logik nach keineswegs besser gewesen! Dennoch musste sie einsehen, wie Recht Valentin hatte und das ärgerte sie fast noch mehr.

"Und eins sag ich Ihnen, die Katze gehört mir! Ich habe sie gefunden und werde sie behalten, ganz egal was Sie dazu sagen!"

Ansonsten wortlos ging sie hoch erhobenen Hauptes in die gewiesene Richtung. Am Liebsten hätte sie fragen wollen, weshalb er ihr half. Sie war schließlich das Spielzeug seines Intimfeindes. Oder war es gewesen.

"Manchmal muss ich Ilias' Unverfrorenheit schon bewundern" ,lachte der Blonde leise, worauf Lilli keine Antwort gab. In Wirklichkeit jedoch, hoffte sie auf jedes weitere klärende Wort. Sie hatte doch gewusst dass er nicht gänzlich tot war, es wäre auch viel zu einfach gewesen, wenn sie es sich gut überlegte.

"Seine Dummheit in mancher Hinsicht macht das allerdings wieder wett" ,hängte er an.

Das Mädchen fing an ihre Katze zu streicheln, da diese es sich aus dem Stehgreif wohl vorgenommen hatte, ihr ein bisschen Haut vom Körper zu fetzen. Vielleicht hatte sie Hunger.
 

"Jetzt reg dich nicht gleich so auf" ,beschwichtigte Valentin. Lilli hatte keine Ahnung wie er darauf kam dass sie sich aufregte, sie war in Daueraufregung und das nicht erst seit ein paar Minuten.

"Obwohl ich es natürlich genieße dich in dieser haarigen Verfassung zu sehen."

Vielleicht hatte Unwana samt ihrem Gefolge Valentin aufgespürt und er hatte nur mit einer schweren Gehirnerschütterung plus Wahnvorstellungen entkommen können. Lilli entgegnete mit der nötigen Bitterkeit.

"Ich danke Ihnen so redlich wie ich kann, denn wie wäre es ohne Ihre Hilfe so weit mit mir gekommen? Ich hätte es nie alleine geschafft. Merci, das es Sie gibt!" Ob er die Werbung kannte? Wohl nicht, er ging seine eigenen Diskussionswege.

"Hat es dir ein Loch in die Rippen geschlagen?"

Oh, er war mit seinem selbstgefälligen Lächeln ganz eindeutig hinüber.
 

Tatsächlich, wenige Minuten später betrachtete sie die Unterkunft, die mit dem Betreff "Haus" absolut übertrieben war. Es war eine Scheune. Verlassen von vor Jahren. Sie sah ungemütlich aus, aber immerhin schien sie wind und wasserfest zu sein.

"Hast du das Stroh aus dem Weg geräumt?!" Grunzend kletterte das sabbernde Vieh an einem Vordach herunter. Es war also auch da, na dann war die Nachtruhe ja gesichert. Es fühlte sich nicht verpflichtet darauf zu antworten. Lilli war es ohnehin ein Rätsel wie und wieso der äußerlich um einiges schwächer wirkende Valentin das Vorrecht hatte, Quasimodo etwas zu sagen.

In der Scheune war es wie erwartet unwohnlich karg. Verfaulte Latten lehnten an den Wänden, Stroh war in der hintersten Ecke Meterhoch aufgetürmt. Es war viel besser als draußen.

"Miau."

"Ach, ich weiß schon dass du Angst vor den Beiden ungeheuren Gesellen hast" ,flüsterte Lilli ihrer Katze lieb und verständnisvoll zu, "aber glaube mir, dich bekommen sie nur über meine Leiche!"

Dieses Versprechen gab sie laut genug, um Valentin zu verdeutlichen wie wenig sie sich aus seinen permanenten Einschüchterungsversuchen machte, denen sie in Wahrheit einige graue Haare verdankte. Mit offen gezeigter Furcht jedoch, würde sie ihn lediglich weiter herausfordern.

"Ich bin mir sicher und wenn ich sicher sage, dann meine ich absolut sicher, dass ich an medizinballgroßem Magengeschwür zu Grunde gehen würde, sollte ich dieses verlauste Vieh auch nur anknabbern" ,wusste der Blonde zu beruhigen.

Mit zurückgelegten Ohren und gefletschten kleinen Reißzähnen, kämpfte sich der Vierbeiner ohne sichtbaren Grund aus Lilemours Pulli, wobei er ihn fast vernichtete und sprang den Vampir bedingungslos an. Das Mädchen hielt die Luft an, dies war das kurze Leben Garfields gewesen. Hätte sie sie doch festgehalten! Doch wie vorausschaubar das nächste Bild auch war, es kam ganz anders. Der feminine Valentin wich nicht zurück, doch sein Blick verriet nicht die Coolness auf die er doch sonst so zählte. Er ertrug zu Lillis grenzenlosem Erstaunen vorerst das aggressive Verhalten der Katze, die sich nicht zu fein war sich in hohem Bogen an dem Hosenbein des Vampirs zu erleichtern.
 

"Das war zuviel!" Gut, vielleicht ertrug er es doch nicht so ritterlich. In weniger als zwei Sekunden hatte er sich mit einer der halbverfaulten Latten bewaffnet und schlug unter Lillis Protestschrei schonungslos auf die Stelle, an der kurz zuvor noch die Katze stand. Ruhig saß diese zwischenzeitlich auf einem Balken während sie sich äußerst elegant die Pfote leckte.

"Eines Tages bring' ich dich um" ,drohte Valentin, dessen feiner Rotschimmer auf den Wangen seine Weißglut verraten würde, hätte man ihn in der Dunkelheit erkennen können. Lilli, die schnell ihre arme Katze auf den Arm nahm und mit ihr angesichts der misslichen Lage noch viel schneller eine trockene Ecke der Scheune bezog, verstand nicht wie sich der Übermächtige an etwas Kurzlebigem wie einem Haustier dermaßen aufregen konnte.

Das Stroh auf dem sie lagen und mit dem sich Lilli notdürftig zudeckte, war ungemütlich stechend und roch nach der Einfuhr von 1900. Sie war zu erschöpft um noch über irgendetwas nachzudenken.
 

"Und die? Ich meine, woher haben die gewusst dass einer von zig Zügen auf dieser Strecke ein paar Vampire beherbergt? Zufall?!"

Es war bereits mitten am Tag. Valentin und das Vieh, welches sich wieder in den Räumlichkeiten befand als Lilli erwacht war, konnten von Glück sagen, dass die Scheune, bruchfällig wie sie war, einem dunklen Loch glich und sie damit hervorragend vor dem Sonnenlicht bewahrte.

Lilemour hatte nach Entbehrung eines Frühstücks angefangen, den Blonden endlich auszufragen. Schließlich hatte auch sie ein Recht auf Aufklärung, und wenn dies nur in ihren Augen bestand. Er hatte vor sie zu ignorieren.

"Guten Tag, Mister" ,reizte das Mädchen ihn mutig, wobei sie als seelische Unterstützung dem Kater (ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und erkannten so manches mehr als zuvor) fast alle Luft aus den Lungen drückte.

"Wie haben die uns da gefunden und was wollten sie überhaupt? Wissen sie von Ihnen und Ilias?" Noch immer hatte Valentin keinen Hinweis darauf fallen gelassen wo sich sein alter Feind befand. So war Lilli guter Dinge, durch recht häufige Erwähnung derselben Person etwas aus ihm herauszuquetschen ohne dass es zu offensichtlich klang. Nun, er war ein eiserner Gegner, aber er antwortete.

"Woher zum Kuckuck soll ich das wissen? Bin ich Satan?! Das ist dein Orden, weshalb weißt du es nicht?!"

"Weil mich gewisse Geschöpfe davon abhalten den dafür notwendigen Kontakt zur Außenwelt zu haben!"

"Dann lass dich überraschen. Wir werden es erfahren sobald wir in Novgorod ankommen."

"Bei Stawrogin?!"

"Nein, beim Christkind."

Lilli hätte nicht gedacht dass Valentin sich für Humor erwärmen könnte. Es war schwer sich nicht davon entmutigen zu lassen, aber Lilli gewann den Kampf gegen sich.

"Und wie werden wir dahinkommen? Trampen? Ich habe kein bewohntes Dorf in der Nähe gesehen und wenn es eines gibt dann bezweifle ich, dass irgendwer hier ein Auto besitzt. Wahrscheinlich gibt es hier nur Nomaden in Zelten, die es dann auf ihre Esel laden."

"Gut dass du es ansprichst." Der Vampir sah aus als hätte er sich endlich an etwas erinnert, dass er lange Zeit für vergessen geglaubt hatte. "Du wirst dich jetzt mit deinen entzückenden Menschenfüßen auf den Weg machen und genau dieses Problem lösen. Wenn du nicht völlig blind bist wirst du fündig werden, oder denkst du diese Hütte wurde ohne Bezug freistehend ins Nichts gebaut?"
 

"Woher soll ich wissen in welche Richtung ich gehen muss, Sie sind ja total verrückt!" Lilli hatte keine Ahnung, dass er unter Realitätsfremde litt.

"Komm her" ,diktierte er daraufhin dem Vieh, dass nach einigem Überlegen und Gesabber tatsächlich seinem Wunsch folgte. "Hast du Hunger?"

"Ich habe und werde keine zehn Schritte gehen, ohne etwas im Magen zu haben" ,versicherte Lilli, die so tat als hätte sie die Anspielung nicht bemerkt. Dies bedurfte geradezu unverschämtes Können, denn der animalische Vampir -der nicht verstanden hatte worum es Valentin ging- machte vor Vorfreude und Verlangen beinahe zirkusreife Saltos. Er wurde enttäuscht.

"Ach ja." Gelangweilt und ansatzweise genervt kramte er unter seiner seltsam blauen Jacke, von der er nicht zu wissen schien dass sie aus der Damenabteilung war, einen Beutel hervor und warf ihn ihr vor die Füße. Darin ein zermalmtes Brötchen mit Frischkäse und Gurkenscheiben, deren Frische eindeutig zu wünschen übrig ließ. Alles in allem sehr unappetitlich.

"Selbstverständlich bekommst du auch etwas ab, Schneckchen."

Lilli wollte ein Stück des Brotes für ihre Katze abreißen und hielt inne. Für einen Moment war es ihr, als verstumme die Scheune samt Insassen vor Perplexivität.

"Was ist? Soll ich's nun essen oder nicht?"

War sie nun auch verrückt oder hatte Valentin ein Lächeln auf den Lippen als wäre er just heilig gesprochen worden?

"Tu damit was du willst, doch ich nehme an, Schneckchen wird das Zeug nicht akzeptieren."

Als hätte er je in einer Tierhandlung gearbeitet um zu wissen was Katzen mögen und was nicht. Doch er sollte Recht behalten, der Kater wandte sich beinahe beleidigt von dem ab, was sie ihm geben wollte, da half alles schön reden nichts.

Das Vieh hatte sich zwischenzeitlich noch nicht von dem Gedanken erholt, Lilli nun doch nicht anzapfen zu dürfen und strich wie ein verzweifelter Panther in seinem Käfig wieder und wieder um sie herum.
 

"Ich habe es nicht nötig zu leugnen dass ich es hasse den Nachrichtenübermittler zu spielen, aber er befiehlt dass du dich sofort auf den Weg machen sollst um nicht zu viel Zeit zu verlieren", sagte Valentin.

Es war schlimmer um den Vampir bestellt als Lilli es gedacht hatte, er nahm Befehle eines Phantoms an.

"Also gut" ,beschwichtigte sie ihn zaghaft, "also gut, wir werden gehen und schauen was sich machen lässt."

Valentin lachte nur, die darin lauernde Boshaftigkeit war nicht zu verkennen.

"Lass dir gesagt sein, dass es uns keinerlei Schwierigkeit kostet die Gestalt zu ändern und doch ist dieser Vorgang unter uns verpönt. Sein menschliches Äußeres wandelt nur, wer keine andere Möglichkeit mehr sieht, wer zu schwach ist seinen eigenen Körper zu tragen."
 

Valentins blutender Arm durch einen unvorhergesehenen Angriff des Katers ließ das Vieh gierig aufstöhnen. Es fehlte nicht mehr viel und es wand sich auf dem strohigen Boden vor lauter unbefriedigter Lust auf das satte Rot. Lange würde es sich bestimmt nicht mehr hinhalten lassen, schon gar nicht bei einem verrückt gewordenen Vampir der von Gestaltwandlung sprach. Diagnose: Eine Überdosis Harry Potter.

Hastig wollte Lilli mit Schneckchen nach Draußen um dem zwei Vampiren wenigstens für einige Zeit zu entkommen, aber es kam anders.

"Ja, bitte, geh nur. Ilias liebt Sonnenbäder, auch wenn er es für gewöhnlich nicht zugeben mag. Tu seiner blassen Nase etwas Gutes."

Lilli hörte auf. Was hat er gesagt? Ilias? Wo? Natürlich konzentrierte sie sich peinlichst genau auf das Kraulen der Katze, während sie besonders uninteressiert tat: "Ihm etwas Gutes tun? Das wird schwerlich gehen ohne die Anwesenheit desjenigen, aber darüber kann man hinwegsehen, schätze ich."

Jetzt hatte sie ihn, nun würde er ihr sagen müssen wo Ilias sich aufhielt.

"Stumpfsinniger Mensch! Sperr jetzt gut deine Lauscher auf." Da war der Punkt an dem Valentin gemeingefährlicher werden könnte als er es so oder so schon war.

"Ilias, in seiner grenzenlosen Torheit wohlgemerkt, befand es als besonders erstrebenswert in einer Nacht wie gestern eine vollkommen sinnlose Aktion zu starten."

Lilli drückte die Ohren des Katers etwas zu liebevoll an dessen zierlichen Kopf, "haben die ihn geschnappt?" Sie konnte eine leicht besorgt klingende Frage nicht verhindern. Würde es nicht so unvorteilhaft aussehen, hätte sie sich dafür längst in den Hintern getreten.

"Ich an seiner Stelle, wäre dich schon vor langer, langer Zeit losgeworden, wohlgemerkt. Frag mich nicht warum er es tat, denn dafür gibt es keine logische Erklärung, aber er rettete dein jämmerliches Leben."
 

"Er war natürlich der Schatten der das bärtige Ordensmitglied tötete" ,verstand sie.

"Er war vor allem der Tor, der den Schuss abfing."

Mit einem Mal fühlte sich Lilli schlecht. Abgrundtief schlecht und böse. Sie war Schuld an seinem Verschwinden und schlimmer noch, an seinen Verletzungen. Möglicherweise lag er nun irgendwo hilflos in einem Graben, schrie, jammerte, fluchte und weinte. Lilli schüttelte energisch den Kopf.

"Wenn.....wenn er mich nicht gezwungen hätte ihm zu folgen" ,versuchte sie sich vor Valentin und sich selbst zu rechtfertigen, "dann hätte er mich auch nicht abschirmen müssen. Und überhaupt hat ihn keiner darum gebeten!" Ihr war zum Heulen zu Mute. Sie hob die Katze hoch und kuschelte ihr Gesicht in deren weiches Fell (nur falls sich besonders ungestüme Tränen einen Weg bahnen wollten, die nicht gesehen werden sollten).

"Er ist ganz allein daran schuld."

"Richtig" ,gab Valentin zu ihrer Überraschung zu, "er hat viel zu lange auf heilsames und stärkendes Blut verzichtet. Andernfalls wäre dieser Schuss nahezu spurlos an ihm vorübergegangen." Lilli sah auf. Es hatte beinahe so geklungen, als empfände er gewisse Ehrfurcht für seinen Widersacher.

Tatsächlich zuckte sie bei seinem folgenden, abfälligen Geschnaube zusammen, "aber du bist ja dabei ihm die Zeit der Schwäche so angenehm als möglich zu gestalten. Man kann damit rechnen, dass er in einigen Tagen seine wahre Gestalt zurückerlangen wird. So lange kannst du ihn betütteln bis kein einziges Haar mehr auf seinem Körper wächst."

Im ursprünglichen Sinne ruckartig, schob Lilli, deren Brett vor dem Kopf sich zumindest weiter von ihr entfernt hatte als die vergangenen Stunden, die Katze von sich und konnte nichts anderes tun, als sie äußerst misstrauisch anzusehen. Misstrauisch blieb sie nicht lange. Nun da es ihr dämmerte, schienen die Augen des Tieres unverkennbar die höhnischen Augen Ilias' zu sein, ihr Fell so schwarz und weich wie seine Haare. Natürlich war er es, und war es die ganze Zeit gewesen. Sie ließ ihn wie ein Stück heißestes Eisen fallen, unfähig den nächsten Zug zu machen, unfähig überhaupt zu sprechen. Nach einiger Erholungszeit, die ihr keiner hatte nehmen wollen, stand sie ansatzweise paralysiert auf, und verließ die Hütte.
 

"Hallo?" Keiner reagierte. "Hallo?!" Lilemour klopfte mit einer Brutalität an die morsche Haustür, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie sie besaß. Anders war die Wut, die in ihrem Magen und eigentlich in ihrem kompletten Sein waberte nicht zu verarbeiten. Endlich öffnete jemand zögernd und Lilli sah in das runzlige Gesicht einer alten Frau, die aus der gleichen Zeit wie das Stroh in der Hütte zu kommen schien. Und wenn sie aus der Steinzeit käme, Lilli würde nach zwanzigminütiger Suche an der freien Luft, welche sich als nicht wesentlich weniger kalt wie in der Nacht herausstellte, ihre Aufgabe erfüllen. Sie tat es nur für sich. Hatte sie erst was sie wollte, würden die Verdammten (in welcher Form auch immer) höchstens noch den Staub ihres Verschwindens in die Augen bekommen.

Zuckersüß kreierte sie ein Lächeln, dass sogar den von Geburt aus misstrauischen Evgeni hätte täuschen können, "Hello! Can I....."

Nach weiteren zwanzig Minuten, in denen die Alte nicht den westlichen Anstand hatte, Lilli in das sicherlich wärmere Haus zu beten, hatten sie sich mit Händen und Füßen so weit verständigt, dass die Frau verstanden hatte wo das Mädchen herkam. Aus einem Zug. Darum konnte es als glückliche Fügung betrachtet werden, als der Mann des eher schäbigen Anwesens von irgendwo zurückkehrte, wohin Lilli nie würde gehen wollen. Seine Kleider waren von der Sorte, die man in Europa in Altkleidersäcken für wirklich unpassable Stoffe finden würde. Das Hemd war Neongrün, verziert mit Aufdrucken allerlei Hamburger die es jemals in Mc Donald gegeben hatte. Seine ausgewaschene Hochwasser Hose passend in militärischen Tarnfarben gab ihm ein höchst respektvolles Aussehen. Es mussten seine einzigen Kleider sein. Ein grauer Vollbart, seine schmutzigen Hände, die ein paar tote Hasen an den Ohren hielten und überhaupt seine faltige, dunkle Haut, ließen ihn wie einen durchgeknallten Alpen- Extrem- Bergsteiger mit schlechtem Modegeschmack wirken. Einer, der wundersamer weise ein paar Brocken ihrer Sprache konnte.

"Ahhh, Mädel, Mädel, von weit weit her!" Lächelnd schwang er die Hasen in einem makaberen Kreis zum Gruß. Er musste sofort begriffen haben worum es geht.

"G...genau..." ,grinste Lilli unsicher, womit ihre stockende Unterhaltung eine ehrbare Einleitung fand.

Ganz im Gegensatz zu seiner noch immer argwöhnischen Frau, lotste der Alte, der sich wenig später als Irwin von der Apfelplantage in München vorstellte, Lilli in die kleine Küche. Kein Floh hätte außer ihnen Dreien noch hineingepasst.
 

"....und darum wollte ich Sie bitten, mich ein Stück mitzunehmen, wohin auch immer es sie in der nächsten Zeit treibt" ,endete Lilemour mit einer simplen Lüge um einen Zug, der sie bei einer kleinen, nicht weiter erwähnenswerten Panne einfach vergessen hatte.

"Glück" ,versicherte er ihr ausschweifend, "Glück für Mädel, das zu uns fand."

"Ja....ja sicher. Also, wollen Sie mich nun mitnehmen?"

"Draußen...schlimm!"

"Ja, sicher doch, aber...."

"Draußen....Tote, die töten."

"Ja, das weiß ich doch, aber...was?!" Das brachte Lilli doch aus ihrem Konzept und Irwin kam sich angesichts dessen ausgesprochen informativ und wichtig vor. Er machte eine bedeutungsschwere Miene, die nach einer ausschweifenden Geschichte aussah. "Lange, lange Zeit vor meinem Vater" ,begann er fast träumerisch, "als noch keine Arbeit bei Äpfeln, nur Acker hier, da kamen sie. Jaaaaa."

Er machte eine Pause um die Spannung zu steigern. Das wirkte wie das Gift der schwarzen Witwe, er zeichnete sich als eingefleischter Erzähler aus, für den Lilli jetzt keine Geduld aufbrachte.

"Und da" ,er deutete mit einer knorrigen Hand hinaus in ihren mägerlich angebauten Garten, "da haben sie den Pakt geschlossen. Der Mensch und die Toten. Sie wollten sich vertragen und jedes Wochenende zusammen Wodka trinken, ja, ja und tanzten ganze Nacht mit viel Wein und Blut, ja, ja. Bis Sonne kam."
 

Lilli klappte der Mund offen. Die alte Frau pellte seelenruhig Bohnen aus den Schalen, wobei sie Lilli jedoch nie aus ihren wachsamen Augen ließ. Natürlich hatte sie nicht verstanden was Irwin gesagt hatte und darüber konnte sie wahrscheinlich froh sein. Wie konnte er davon wissen? Niemand wusste von dem Pakt! Es war unmöglich!

"Hahaha, kleines Mädel, angsti, angsti, he? Nein! Ist ein Sage von altem Tatterkreis der war mein Vater. Ahh, ein bisschen meschugge, ja, ja, meschugge." Und er lachte leise vor sich hin über das Gesicht des Mädchens, dass sich nicht im Geringsten sicher war, dass der Vater so meschugge war. Immerhin war nie ein Wort darüber gefallen, wo der Pakt geschlossen worden war. Dass hieß, sie wusste es nicht und das war nicht gerade eine gültige Messlatte, wo Geschichte doch ihr langweiligstes und gleichzeitig miserabelstes Fach gewesen war.

"Och, komm! Nicht angsti, angsti! Nix is' da draußen, nur Hasen, schau!" Er hielt ihr grinsend einen der toten Karnikel hin, der sie aus leeren Glubschern anstarrte und sie wohl noch blasser machte, denn Frau Irwin schenkte ihr mit besorgtem Ausdruck etwas Heißes ein, dass sie wie automatisch hinunterleerte.
 

Was auch immer es war, es bewirkte eine bessere Gehirntätigkeit. Angenommen, nur hypothetisch angenommen, Irwins Vater hatte aus einem Kern Wahrheit eine abenteuerliche Mär mit tanzenden und saufenden Vampiren und Menschen gemacht, die sich glücklich lallend in den Armen gehalten hatten, hier an diesem Ort, dann......

"Unwana" ,murmelte Lilli käsebleich vor sich hin. Vielleicht war es kein Zufall gewesen, dass sie den Zug gerade hier in der Nähe angehalten hatten. Vielleicht haben sie nach dem ganzen Durcheinander jeder Partei mit der Ankunft Unsterblicher gerechnet, die sich auf Grund der verwirrenden Tatsache, dass ihnen von Knall auf Fall keine Bewacher mehr auf den Versen waren an die einzige Adresse hielten, an der sie jemals zusammengetroffen waren. Nur um der Information willen, nur um zu sehen....zu verstehen. Was wenn sie wirklich....
 

"Ah! Unwana!" Ein Strahlen ging über das wettergegerbte Gesicht Irwins, dass den ganzen Raum erleuchtete. "Du kennst Unwana- Liebling?"

Übelkeit wallte unwillkürlich in Lilli auf, das hörte sich nicht gut an. "Ja, nun, ich, ja. Ja, tatsächlich habe ich sie mal getroffen. Lange her, oh wirklich lange her!"

"Wie wunderbares Schicksal!" Er klatschte so abrupt in die Hände, dass seine Frau launisch murrend eine Bohne fallen ließ.

"Heute sie kommt her! Oft in letzte Zeit sie besucht uns, bringt Kuchen und Kaffee, will wissen wie es uns und unserem Dorf geht! Ist in der Nähe, ja, will uns heute besuchen! Wird sich freuen dich zu sehen, ja!" Irwin war der glücklichste Äpfelpflücker unter der trüben Novembersonne. Lilli war die unglücklichste Flüchtende in einem ausgebeulten Sessel, der nach Lammfell roch. Sie hatte also Recht gehabt mit ihrer Vermutung ins Blaue, schon hat sich der Orden auf die Einöde hier konzentriert. Der Zug war demnach nicht wegen Ilias oder gar Valentin gefilzt worden, nein, sie meinten dem nächsten Schritt der Vampire zuvorgekommen zu sein. Und vielleicht waren sie das. In ihrem Falle sicherlich. Der Orden war lange nicht so harmlos und schwach wie Emilie ihr versichert hatte, denn ihm waren ganz eigene, wirksame Mittel zur Hand.

"Oh!" Lilli sprang auf, von einer plötzlichen Eile getrieben, "meine Katze, gütiger Himmel, ich habe meine Katze vergessen, die muss auch mit! Nun, ich bedanke mich vielmals bei Ihnen" ,erklärte sie dem verdutzten Ehepaar und verschwand unvermittelt Richtung Tür.

"Moment!" Das war wohl nicht zu vermeiden gewesen. "Nun bleib, bleib" ,bat Irwin verständnislos, "Unwana jeden Moment hier, dann holt ihr zusammen Katzi, Katzi, he?"

"Ähm, wissen Sie....." Wo hatte sie sich da wieder rein geritten?! Von etwas dass dem Gefühl Panik an den Gedanken einer fuchsteufelswilden Unwana und Ratlosigkeit sehr nahe kam getrieben, drückte Lilli fest die Hand des Alten, bedankte sich noch einmal und rannte davon. Wohl wissend dass das seltsame Mädchen aus dem Zug bei Brot und Wein Gesprächsthema Nummer Eins sein würde und den Alten daraufhin die verlockende Gesellschaft Unwanas entreißen würde.
 

Hastig schlug Lilli den Weg zu Hütte ein, die Sonne war bereits unter gegangen und zeigte sich nur noch als rote Linie über dem Horizont. Sehr gut, sie konnten handeln. Ihren Plan alleine zu fliehen konnte sie jetzt voll und ganz über Bord werfen. Sie hatte weder eine Art sich weit genug fort zu bewegen bevor der Orden sie aufgespürt hatte, noch die Rücksichtslosigkeit Ilias und Valentin unwissend zurückzulassen.

Keuchend bog sie um eine verlassene Ecke in einer verlassenen Straße. Die Zeit war hier wahrlich stehen geblieben, keiner der sicherlich unter zweihundert Einwohner begab sich jetzt noch nach draußen und dies bestimmt nicht aus begründetem Aberglauben- bis jetzt war es nicht begründet. Es wurde wieder kälter, der Wind schnitt ihr ins Gesicht und Lilli verfluchte wie so oft, dass sie keine winterfeste Jacke hatte. Die frische Erinnerung an Unwanas gnadenloses Gebaren beschleunigten ihre Schritte als sie aus heiterem Himmel mit jemandem zusammenstieß. Jemand der der Arnold Schwarzenegger des Dorfes sein musste.

"Sorry..." ,murmelte Lilli geistesabwesend, in Gedanken längst bei der Überlegung wie man hier verschwinden konnte. Dies war so ungefähr der letzte Vernünftige, den sie zu Stande brachte. Ein Mann, so schön und voller vollendeter Grazie wie es nur ein Engel fertig bringen konnte, hielt ihren Arm fest. Mit Händen, die zierlicher geformt und weicher waren als die eines Fingerringmodels. Seine Augen in der aufkommenden Dunkelheit leuchteten sie geradezu mit einem Versprechen auf etwas an, dass sie unbedingt und auf der Stelle haben wollte. Die feinen, goldenen Haare wehten in einer sanften Brise um seine unsterblichen Gesichtszüge.

Er sagte etwas in einer ruhigen, doch festen Stimme, die alles Harmonische übertraf, dass sie jemals gehört hatte.

Lilli lächelte selig, erwiderte aber nichts, denn sie konnte seine Sprache nicht verstehen. Eine unsichtbare Magie schlich sich darauf den Weg in ihr Gehirn um alles abzutasten, wie auf der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen, die sie offenbar auch gefunden hatte. Plötzlich verstand sie diesen Gott und sein fast perfektes Deutsch.

"Wohin des Weges? Gehören hübsche Mädchen wie du es bist nicht längst in die Sicherheit des Schoßes der Familie?"

"Hmmh" ,nickte sie zustimmend, während sie immer noch lächelte. Bei ihm würde sie viel sicherer sein. Auch das Wunder einer verbotenen Vollkommenheit schenkte ihr ein verhaltenes verziehen der Mundwinkel. Mehr brauchten sie sich auch nicht zu sagen um genau zu sein, sie verstanden sich ganz ohne Worte. Ohne wirklich zu wissen, was sie tat, lehnte sich Lilemour an die (tadellos trainierte) Brust des Mannes, dem sie mit Haut und Haaren gehören wollte. Sie seufzte glücklich, als sie spürte, wie er sich zu ihr hinunter beugte, wohl um sie endlich zu küssen. Das war nur Recht, nach der langen Zeit in der sie sich nun kannten.

"Oh, Stawrogin" ,wisperte sie in höchster euphorischer Erwartung, die nicht erfüllt werden sollte. Der Russe zog sich langsam zurück. Es dauerte einige Sekunden bevor sie die Augen öffnete und enttäuscht bemerkte, dass er sich mit dem Kuss ein bisschen mehr Zeit ließ als es üblich war. Forschend sah er sie an wobei Lilli fühlte, wie sich eine verräterische Hitze in ihren Wangen ausbreitete. Er hatte so wunderbare Röntgenaugen!
 

"Du kennst mich?"

"Wie könnte ich dich je vergessen?" ,wollte sie träumerisch wissen und presste sich wieder an ihn als würde sie andernfalls nicht mehr stehen können, oder überhaupt noch weiter existieren.

"Woher?"

"Sie riechen einfach fabelhaft nach Sandelholz!"

"Woher kennst du mich, Mädchen?" Sanft aber bestimmt schob er sie von sich. Lilli wusste dass sie eine Ewigkeit auf einen Kuss würde warten müssen, wenn sie ihm nicht befriedigende Antworten gab. Also lächelte sie wieder.

"Erinnern Sie sich denn nicht? Ilias und ich, wir waren doch auf ihrem wundervollen Ball, auf dem ich endlich ihre Bekanntschaft machen durfte. In Wien. Sie erscheinen mir fast noch schöner als damals...Ich möchte....."

Lilemour senkte ihren Kopf, sie hatte vergessen was sie hatte sagen wollen. Einer beunruhigenden Idee folgend, sah sie auf und in das ihr bekannte Gesicht Stawrogins, der sie an beiden Armen festhielt und ihren Blick erwiderte. Nicht böse, nicht neugierig, nicht lüstern, nicht nett. Nichts. Einfach nur erwidernd auf eine völlig anormale Weise. Dann erinnerte sie sich an die vergangenen Minuten. Sie war sehr beschäftigt damit purpurrot anzulaufen und sich zu fragen wie er es wiedereinmal geschafft hatte sie zu umgarnen in einer Heftigkeit, die ihr Bewusstsein komplett fraß. Die Erkenntnis dass er auf dem Ball in dieser Hinsicht noch gnädig gewesen war, hob ihre Stimmung nicht im Besonderen.

"Ist Ilias hier?"
 

Der Zauber war gänzlich verschwunden. Lilli sah den Vampir an und fühlte nicht das Geringste außer purer Erleichterung. Der Drang ihn zu küssen kam ihr auch bei seiner natürlichen Anziehungskraft, die er zweifellos besaß nicht in den Sinn. Er hatte den Bann fallen gelassen und sie somit zum ersten Mal sehen lassen, wer er wirklich war und was sie wirklich für ihn empfand. Nichts. Er hätte genauso gut Valentin sein können.

Valentin! Ilias! Die Hütte!

"Ja!" ,sagte Lilli aufgeregter als sie es vorgehabt hatte, "ja in der Tat und Unwana! Ich meine, kennen sie Unwana? Sie ist, boah, so riesig und sie kommt, sie kommt, weil da drüben, in dem.....dem Garten, da......"

"Ich weiß" ,unterbrach Stawrogin sie gelassen, der den Wunsch verspürte ein wenig Ordnung in die Konversation zu bringen. "Ich weiß wer sie ist und ich weiß von welchem Ort du sprichst. Ich hatte sie früher oder später hier erwartet und ich muss zugeben, sie hat sich keine Zeit gelassen."

"Die Vampire" ,keuchte das Mädchen, "sind Vampire hier?" Immerhin war er hier und das hatte nach allem was sie über ihn gehört hatte wohl einiges zu sagen.

Der Russe sah sie mit einer undefinierbaren Miene an, die sie sonst nur an Ilias kannte und wandte sich, die Frage offen lassend zum Gehen.

"Führe mich zu ihnen."
 

Selbst wenn Lilli es nicht hätte tun wollen, sie hatte gar keine andere Wahl, die im Falle der Situation nicht die Schlechteste war. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Ab und zu erwischte Lilli sich, wie sie mit einem ordentlichen Maß an Ehrfurcht zu dem so einflussreichen Vampir herüberschielte, der es nicht bemerkte oder wenigsten den Takt hatte so zu tun als würde er es nicht bemerken.

"Weshalb haben Sie Ilias und Valentin nicht gespürt?" ,wollte Lilli in einem ihrer gefährlichen Neugieranflüge wissen. "Können Sie ihre Anwesenheit nicht irgendwie...naja....fühlen?"

"Valentin?"

Richtig, konnte er Ilias nicht orten, würde er den anderen auch nicht bemerken können.

"Sie unterdrücken ihre Aura" ,antwortete Stawrogin auf seine Frage folgend, "sie müssen wissen, dass sie sich in potenzieller Gefahr befinden. Dennoch..." Er machte eine kaum sichtbare Geste mit den Händen, "dennoch gibt es noch etwas dass hier ist. Zu schwach oder zu dumm und ungebildet um seine Aura verstecken zu können. Er ist mir unbekannt, entzieht sich allen mentalen Kontakten."

"Oh!" , grinste Lilli cool, wissend, dass sie in diesem Punkt etwas beisteuern konnte (nicht zu fassen dass sie das überhaupt wollte!)

"Das Vieh, ganz klar."

"Bitte?" Der Vampir hob leicht seine Augenbrauen. Schick war er eben doch.

"Valentin hat ihn mitgebracht, aber ich glaube, keiner kann den anderen so richtig leiden, genau wie bei Valentin und Ilias. Sie sollten mal sehen wie die sich in Haare bekommen, DAS ist wirklich gruselig!" Kaum getroffen plauderte Lilli doch tatsächlich einfältig aus dem Nähkistchen. Sie realisierte es und fand es als vorteilhafter den Mund zu halten, bis auf eines noch.

"Könnten Sie nicht eine Maus für mich fangen?" Sie schluckte, "tot, bitte?"

Es schien, als husche ein kleiner Schatten an Unverständnis über Stawrogins Züge, während Lilli ihn ernst ansah und darüber nachdachte, ob sie nun zu dreist geworden war. Erstaunlicher weise tat er ihr den Gefallen, indem er sich einige Meter weiter

wie ein nahezu unsichtbarer Pfeil zu einem Gebüsch hinunterbeugte und sehr offensichtlich etwas erwischt hatte. Desinteressiert an seinem Fang aber doch höflich, reichte er Lilli die verendete Maus am Schweif. Fingernägel von Vampiren waren wirklich lang, das stellte sie immer wieder neu fest, obwohl sie sie oft genug sah.

Nachdem Lilli mehrmals versucht hatte ihr Tempo ein wenig anzukurbeln, da sie schon imaginäre, schreiende Ordensmitglieder hinter ihnen befürchtete und Stawrogin entschlossen seinen gemächlichen aber zielstrebigen Schritt beibehielt, erreichten sie die finstere Hütte.
 

Fortsetzung folgt!

Gegenleistung

Ok. Ich war wieder lahm, habe dafür aber wieder einigermaßen viel :-) Kommt wenigstens rechtzeitig zu Weihnachten (so in etwa). Wie immer werde ich mich zumindest bemühen schneller zu schreiben!! Schon weil ihr mir so viele liebe Kommentare geschrieben habt. Vielen, vielen Dank dafür, sie treiben meinen Stift an- oder meine tippenden Finger^^!

Hoffe natürlich, dass euch das Kapitel gefällt. Man, ich erzähle jedes Mal dasselbe, aber es ist auch jedes Mal gleich wahr^^

In diesem Sinne, frohe Weihnachten und einen guten Rutsch- falls ich nicht noch vorher ein Kapitel hochlade!
 

Viel Spaß und viele Grüße,

Fany :-)

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Trotz des ungewöhnlichen und hohen Besuches den Lilemour mitbrachte, reagierten die Anwesenden enttäuschend lasch. Das Vieh lag in einer der dunkelsten Ecken, zufriedener als man es die letzten Tage hatte sehen können, Valentin saß an einen Balken gelehnt, die Augen geschlossen und die Katze, äh, Ilias war nicht zu sehen. Keiner sprach ein Wort. Ihr Stolz und ihre gegenseitige Antipathie, die wohl jedem Vampir im Angesicht des anderen angeboren war, würde sie viel wertvolle Zeit kosten.

"Sie kommen" ,sagte Lilli kühl, entschlossen dazu diesen unnötigen Austausch, der keiner war zu beenden. Sie jedenfalls wollte Unwana nicht zum Opfer fallen oder überhaupt jemandem.

Lässig und als ginge ihn alles im Grunde genommen gar nichts an, rümpfte Valentin nur die Nase.

"Bei Zeiten wäre es klüger ihn nicht nach seinem unüberlegten Willen verfahren zu lassen" ,riet Stawrogin schließlich, womit er zumindest Lilli bewies, dass er der eindeutig Einsichtigere und Schlauere war. Er deutete mit einem Nicken in die Richtung des Viehs, welches sich keineswegs angesprochen fühlte.

"Es trägt niemals zur Sicherheit Unsereins bei, wenn man unappetitlich zugerichtete Leichen bei Einbruch der Dämmerung auf den Dorfplätzen findet" ,schloss er.

Es war schwer ein Schaudern zu unterdrücken, kein Wunder dass der wilde Vampir sich momentan von nichts und niemandem die Laune verderben ließ. Wütend starrte Lilli den halbwegs Verantwortlichen an und hob die Stimme.

"Fein Valentin! Lass das Teil doch mordend durch ein kleines Dorf wandern, in dem ohnehin jeder den andern kennt. Bleib doch wo der Pfeffer wächst und lass dich vom Orden aufspießen, gefangen nehmen, foltern, was auch immer sie mit Wesen wie euch vorhaben. Wahrscheinlich hast du es verdient und dein widerlicher, abartiger Freund genauso!"

Für eine Antwort waren sich beide Parteien zu schade.

"Ilias. Willkommen im Tollhaus" ,versetzte Stawrogin auf einmal unamüsiert und ebenso unüberrascht in den Raum hinein.

Dann erblickte auch Lilli den schwarzen Kater, der sich durch einen abgebrochenen Balken auf Augenhöhe mit dem Russen begeben hatte. Einige Zeit bewegte sich keiner, von Sprechen einmal ganz abgesehen. Doch Lilli wusste, irgendwie verständigten sie sich dennoch, auf mysteriöse Weise, die nie ein Mensch würde begreifen können.

Zum wesentlichen Glück verstanden sich die Beiden merklich besser als mit dem sturen, beohringten Blondschopf und seinem Haustier.
 

"Ich bin gewillt euch meine Unterstützung anzubieten" ,räumte der Russe einige Zeit später ein, wobei er Valentin wie es schien äußerst ungern mit einschloss. Eben der verbesserte seine Lage nicht nennenswert indem er abfällig vor sich hin grunzte und es nicht als nötig erachtete, seinen Retter auch nur anzusehen.

"Wirklich?" Lilli brauchte man nicht zweimal ein Angebot machen, dass sie vor Unannehmlichkeiten dieser Größe bewahren könnte, "Sie sind ja mal ein Schatz! Keiner in den ich mich verlieben könnte selbstverständlich, aber doch ein Schatz. Lassen Sie uns gehen! Ach ja" ,fiel ihr ein, "für Sie" ,womit Lilli Ilias, mit dem sie noch immer beleidigt war, die Maus hinwarf. "Der können Sie das Blut aussaugen, sie benötigt es nicht mehr, nehme ich an." Zufrieden lächelnd ging sie auf die Tür zu, wissend, dass sie ihm soeben nicht die kleinste Möglichkeit gelassen hatte, sein Gesicht zu wahren. Manchmal war es einfach herrlich, schäbig zu sein.
 

Holpernd, das war gar kein Ausdruck. Lilli war damit beschäftigt sich am Holzrand eines zerbrechlich wirkenden Heuwagens ohne Heu festzuklammern, um nicht auf den steinigen Boden zu segeln, während sie ihren Hoffnungen auf eine angenehme Reise Ade sagte. Wie war sie auch darauf gekommen, Stawrogin wäre mit einem First Class Helicopter hier gelandet? Viel zu auffällig natürlich, viel zu auffällig. Mit diesem Klappergerüst an schepperndem Wagen hatte er sich bestens in die Klasse der Durchschnittsverdiener des Dorfes eingereiht. Lilli wusste nicht ob sie froh sein sollte nicht in zwickendem Heu zu sitzen oder traurig darüber, dass ihr Hinterteil bald wund gefahren war. So häufig wie es sie bei besonders großen Steinen ein Stück in die Luft hob. Mürrisch war sie allerdings darüber, dass sie mit einem nicht weniger verdrossenen Valentin und seinem Schoßtier hier verweilen musste, wobei ein blöder Kater vorne auf dem Kutschbock neben dem Lenker Platz nehmen durfte. Die Pferde zumindest waren sogar für ein ungeübtes Auge als jung und kräftig einzustufen. Sie brachten sie gut voran, wohin, da musste Lilemour sich wohl oder übel überraschen lassen.

Nach einer knappen Stunde wusste das Mädchen nicht mehr wie sie den penetranten Stößen des Wagens und seiner Fahrweise am Besten entgegentreten konnte. Ein Körperteil welches noch nicht blau geschlagen war, gab es ihrer Meinung nach nicht mehr. Es wurmte sie außerdem die nicht zu übersehende Tatsache, dass die Beschaffenheit des ungleichmäßigen Steppenbodens keinen der anderen beeinflusste. Sie saßen da, ruhig wie der berühmte Fels in der Brandung, von keiner noch so leisen Bewegung erschüttert. Nur den Wind hielten sie nicht davon ab mit ihren Haaren zu spielen und Lilli hegte keine Zweifel, dass sie auch dies hätten tun können. Der Wagen näherte sich einem in der Nacht undurchdringlich aussehenden Wald.
 

"Ich bin nicht gerade für meine Neugierde bekannt" ,ließ sie plötzlich eine Stimme direkt neben ihr aufschrecken, "und doch würde mich die noch immer unbeantwortete Frage interessieren, weshalb du uns mit deiner Anwesenheit bereicherst." Kaum merklich versuchte Lilli sich etwas weiter von Valentin zu entfernen, der unter 'bereichern' vielmehr 'im höchsten Grade störend' verstand.

"Würde ich ehrlich auch gerne wissen" ,gestand sie ihm aus Mangel an eigenen Ideen, wobei der Vampir nicht länger zuzuhören schien. Seine Präsenz wurde beunruhigend aufdringlich und setzte Lillis Gefahrenmelder in Alarmbereitschaft. Sie war dabei sich auszurechnen, wie lange auch Valentin wahrscheinlich schon auf Diät lebte. Er würde doch nicht! Vorsorglich schloss sie die Augen um nicht vielleicht einem einnehmenden Bann wie schon bei Stawrogin zu erliegen. Da sprang etwas auf ihren Kopf und verstrubbelte ihre Haare noch mehr, als sie es ohnehin bereits waren. Es war der schwarze Kater, der Valentin aus schmalen Pupillen unbeirrt ansah. Der Blonde lachte leise, "mein Freund, mein Freund, wärest du nicht wer du bist, du tätest mir fast leid."

In diesem Moment, in dem Lil nicht wirklich mehr als nichts verstand, sahen die Vampire ruckartig uns bemerkenswert synchron auf den Weg, der hinter ihnen lag. Wenige Augenblicke danach konnte auch Lilli feine, helle Staubwolken in der Dunkelheit erkennen. Auf der Stelle knotete sich ihr Magen zusammen. Die sofortige Reaktion der anderen bestätigte ihre finstere Ahnung einer gewissen Lady, die die längste Zeit Gast im Hause Irwin gewesen war.
 

"Nein" ,keuchte Lilli des Flüchtens müde, als sie einen Schuss hörte, der knapp neben dem Wagen in den Boden donnerte und die beiden Pferde aufschreckte. Sie hatten keine Chance, der Orden besaß eine nicht zu verachtende Auswahl an Fortbewegungsmitteln, die für allerlei Untergründe konstruiert waren. Dem bloßen Geräusch nach nahm sie an, dass es sich um die bulldozerstarken Geländeautos der Marke Subaru handelte. Ihr war ganz und gar danach, Gott um ein Alround Auto a la Kid von Knight Rider zu beten, da fiel der Heuwagen geräuschvoll um und hätte sie um ein Haar unter sich begraben. Ihre schnelle Reaktionsfähigkeit ließ sie jedoch nicht im Stich, wenn man einmal von den Mächten absah, die ein Mensch angeblich entwickelte, wenn es ihm an den Kragen ging. Sie war oft genug in der Situation gewesen um dieses Gerücht zu bejahen. Die beiden Pferde brannten aufgeregt wiehernd durch. Auf einem saß unverkennbar Stawrogin, der wirkte, als gehöre er zur Mähne des Tieres.

Von weitem schon konnte man Unwanas Geschrei (Kampfgeschrei? Diese Nymphe!) vernehmen, der jeden in kürzester Zeit dazu brachte, die Beine unter die Arme zu nehmen und die Fliege zu machen. Alles in allem taten sie das auch, denn der nur wenige Meter entfernte Waldrand versprach doch einige Versteckmöglichkeiten, die das offene Land nicht zu bieten hatte.
 

Ohne sich um die anderen zu kümmern, von denen Lilli sicher war, dass diese rein von ihren Fähigkeiten her in einer weitaus besserer Lage waren, bahnte sie sich wie ein besonders schaffensfreudiger Bagger den Weg ins Unterholz. Nur der erhöhte Adrenalinausstoß verhinderte ein verzweifeltes Zusammenbrechen mit anschließender Hände über den Kopf Aufgabe. Über die Schulter geschaut und die Vehikel des Ordens waren beinahe schon am Waldrand zu sehen. Wenn sie sich nur noch ein bisschen tiefer in das Dickicht schlagen konnte, würde sich Lilli geschickter verbergen können.

"Ja" ,flüsterte Lilli triumphierend. Sie hatte durch das peinliche Stolpern über eine Wurzel eine Art Höhle entdeckt, die erstklassig für ihre Zwecke geeignet schien. Ein anderer Ausweg blieb ihr sowieso nicht wenn sie die herannahenden Stimmen einiger entschlossen wirkender Menschen hörte.

Vom Regen in die Traufe, so sah ihr Schicksal jedoch aus, dessen war sie sich bombensicher. Totenbleich vor Angst und Zitternd wie Espenlaub, presste sich Lilli an die kühle Wand der engen Höhle, die sie zu ihrem Leidwesen nicht allein bewohnte. Eine Schnauze mit hochgezogenen Lefzen und rasiermesserscharfen Zähnen die aus der Saurierära stammen mussten, kam knurrend aus der Finsternis des ausgehöhlten Steins.
 

Lilemour war durchaus klar, dass ihr Ende nun gekommen war. Immerhin hatten nicht viele die Möglichkeit sich auszusuchen wie es denn geschehen sollte. Sie jedenfalls entschied sich gegen ein Zerfetzt werden und stürzte sich so schnell es ging aus der Versenkung, was sich bald als ziemlich misslungen herausstellte. Bevor Lilli noch wusste ob sie wieder in Sicht der Ordensmitglieder war, fand sie sich unter den gewaltigen Pranken eines gewaltigen schwarzen Wolfes, der sie gewaltig hungrig ansah. Wäre Ilias nur nie zur Katze geworden, dann hätte sie vielleicht auf eine Rettung hoffen können. Mit einem blonden Vampir, der sie verachtete, einem der nicht zögern würde sie ebenfalls auszunehmen wie einen Truthahn und einem, der mit Fury davon geritten war, sahen ihre Ausweichmöglichkeiten mau aus.

Über ihnen raschelte das Laub. Und wenn sie dank dem Orden in ewige Gefangenschaft geriet, es musste alles versucht werden um überleben zu können. Lilli schrie. Das hatte sie zumindest vorgehabt, ehe das große Raubtier ihre Kehle zwischen seine Zähne nahm und mit Sabber ihren Pullover befeuchtete. Diese Maßnahme war extrem stimmenraubend. Der Genickbruch jedoch oder das wilde Sprudeln ihres Lebenssaftes durch großflächiges Aufreißen der Haut, blieb aus. Der eigene, unregelmäßige Atem war für das einzige Geräusch verantwortlich. Heiß breitete sich der des Wolfes über sie aus. Lilli dachte an die Geschichte von Mogli aus dem Dschungelbuch und hoffte inständig dass dieser Wolf darauf aus war, sie als sein eigenes Junges aufzuziehen. Ob er den kleinen Altersunterschied zwischen ihr und Mogli merkte?
 

Zu ihrem grenzenlosen Entsetzen machte er es sich postwendend an ihrer Seite bequem, legte seinen mächtigen Kopf jedoch so, dass er sie jeder Zeit doch problemlos von ihrem Hals würde trenne können. Sollte sie eine ihm zuwidere Tat begehen. Der einzig positive Punkt war der, dass sie auf diese Weise nicht erfror. Sehr tröstlich. Denn es mussten Stunden vergangen sein, in denen Lilli sich nicht einen Millimeter bewegte und der Tobsucht nahe auf das Geschehen außerhalb ihres persönlichen Albtraums lauschte. Zu ihrem Unmut, waren außer wenigen weit entfernten Schüssen und Geschrei dann und wann nichts zu hören.

Endlich aber, gab es den glorreichen Moment, indem sie mit Tränen der Hoffnung zusehen konnte, wie sich das Tier gemächlich erhob, neben ihr sitzen blieb und sie zäh anstarrte. Aus dem Nirgendwo warf er ihr eine ausgetrocknete Maus in den Schoß. Sie begriff sofort.

"Sie!" Außer sich über das zweite Mal, in dem Ilias sie nun schon zum Narren gehalten hatte, stieß sie ihn in seine fellige Seite. "Ich sehe, Sie haben aufgetankt und verwandeln sich schrittweise zurück. Als nächstes wird mir dann wohl ein schnaubender, pechschwarzer Bulle gegenüberstehen."

Ilias - Wolf zeigte keine Anzeichen sie aufhalten zu wollen als sie mit einem "sind sie weg?" aus der Höhle kroch, wütend auf sich selbst und dass sie ihn nicht erkannt hatte.
 

Stawrogin, Valentin und das Vieh, sie waren nicht auffindbar. Falls auch Ilias sie suchte bemerkte Lilemour nichts davon, denn er trottete wie der König aller Tiere neben ihr her. Dafür wurde es ihr nicht erspart über drei verstreut liegende Leichen zu waten, deren pathologische Akten von 'wie schlafend' bis hin zu 'übelst zugerichtet' reichen würden. Es waren Ordensmitglieder, aber Unwana war nicht dabei. Auch die Autos waren verschwunden. Lilli hatte keinen Anhaltspunkt was genau sich hier oben abgespielt hatte, doch sie war sich sicher, es hatte sich ganz im Sinne des Viehs zugetragen.

"Wohin?" ,wollte sie schlecht gelaunt wissen, nicht im Mindesten in der Stimmung dazu mit Ilias irgendetwas zu besprechen. Es war nicht einmal bewiesen ob er in seiner jetzigen Form sprechen konnte und einfach nur keine Lust hatte, oder lediglich zu Jaulen vermochte.

Tatsächlich reagierte er nicht, worauf sie zwangsweise schweigend fortfuhren durch immer tieferes Gestrüpp zu wandern.

Lilli konnte sich nicht daran hindern sich zu überlegen was passieren würde, wenn es Tag würde. Ihre innere Uhr ließ mächtig zu wünschen übrig, aber auch sie wusste, dass Ilias bald einen Zufluchtsort aufsuchen musste. Er sah nicht so aus, als läute der Aufgang der Sonne den Schluss seiner Existenz ein, nein, er war überzeugt von sich wie eh und je. Sie war jedenfalls ganz und gar nicht für ihn verantwortlich und lief statt dessen einigermaßen schmollend hinter ihm her! Durch den Wald, wieder auf die offene, windige Steppe.
 

Fast zu ihrem Verdruss dass er wie gewöhnlich alles im Griff hatte, konnte sie bibbernd in wenig Entfernung die Umrisse einiger Häuser erkennen. Je näher sie kamen, desto bekannter kamen Lilemour die Dächer, die ungeteerten Straßen, ja sogar die Wände der Häuser vor.

"Also, wenn Ihnen daran liegt können wir das Ordenshaus auch gleich aufsuchen, dann müssen sie sich die Mühe nicht machen uns hier einzukreisen!" Lilli bemühte sich gleichgültig zu klingen nachdem sie das Dorf als das identifiziert hatte, welches sie in der Dämmerung so überstürzt verlassen hatten. Unwana hatte vielleicht die Verfolgung der drei anderen aufgenommen, doch Lilli bezweifelte stark, dass ein Mensch, ob er nun vom Orden kam oder nicht, die Spur der Vampire aufnehmen konnte. Die einzige Möglichkeit ihnen etwas anhaben zu können, verliefe in einem Vis à vis Kampf, der offenbar schon vorbei war. Unwana konnte sich, sich diesem Umstand bewusst, aber auch wieder hier her zurückgezogen haben.

Es blieb Lilli jedoch nichts anderes übrig als auf das knurrende Geheiß Ilias' hin, leise an einer noch bruchfälligeren Haustür als die Irwins zu klopfen und die Bewohner aufzuwecken.

Keineswegs verschlafen wurde sie nach einigem Warten einen Spalt breit geöffnet. Der Mann mittleren Alters samt seinen verhärmten Gesichtszügen wirkte verständlicherweise angespannt, verunsichert und zu tiefst skeptisch.

"Hello! We......" Gerade als Lilli einen schwachen Versuch machen wollte nach einer Bleibe zu fragen, riss der Mann plötzlich nahezu begeistert lachend die Tür auf und zog sie an ihrer kalten Hand herein. Um sich über sein Verhalten zu wundern, dazu hätte das Mädchen schon von gestern sein müssen. Ein Blick in die dunklen Augen des Wolfes an ihrer Seite und der Mann, der der Einrichtung der Räumlichkeiten nach ein Junggeselle sein musste, stand unter dem alles umhüllenden Einfluss des Untoten. Dass der Ärmste nicht noch begann Ilias' Fell liebevoll zu bürsten, das war auch schon alles. Selbst als Tier hatte er seine Macht nicht einbüßen müssen.
 

Beglückt wie ein Honigkuchenpferd raste der Mann durch sein schrulliges Häuschen (viel mehr war es nicht), entfachte Feuer in einem verrußten Kamin und breitete das große Fell eines hoffentlich längst verendeten Tieres in einer Nische daneben aus.

"Nun, machen Sie sich doch keine Mühe, Sie......." Lilli hatte kurz vergessen dass der Mann kein Wort verstand und sich auch sonst nicht darum gekümmert hätte. Er kam nach lautstarkem Geklapper aus etwas ähnlichem wie einer Küche mit einer dampfenden Tasse auf sie zu und nötigte Lilemour fast mit aufgeregten Gesten den Tee zu trinken. Sein gutmütiges Lachen als sie sich die Zunge verbrannte ließ einige Zahnlücken erkennen. Diese hielten ihn nicht davon ab Lilli einen deftigen Eintopf aus irgendwas zu kochen, von dem sie froh war, das irgendwas nicht benennen zu können und der Vorstellung der wahren Inhalte zu entkommen. Dennoch war sie diesem Fremden dankbarer als sie es zeigte, denn der nagende Hunger hatte ihre halben Eingeweide auf dem Gewissen gehabt. In höchstem Maße unangenehm und aufdringlich kam sich Lilli allerdings vor nachdem sie bemerkt hatte, dass der Mann für sie mit Leidenschaft erhitztes Wasser in einen runden Holzwaschzuber leerte.

Böse sah sie Ilias von der Seite an. Selbstverständlich war die Aussicht auf etwas wie ein warmes Bad für ihre kalten Glieder verlockend und doch würde der ohnehin nicht besonders gut betuchte Mann wahrscheinlich seine halben Ersparnisse für sie aufbrauchen.

Es hatte keinen Sinn ihn davon abbringen zu wollen, er lachte nur freudig und winkte dem auf dem Fell liegenden Beobachter zu. Seine unbewusste Unterwürfigkeit Ilias gegenüber brachte Lilli zur Weißglut. Nur mit Mühe und durch den Gedanken daran dass sie all diese Stärkungen auf ihrem weiteren Weg brauchen würde, war es ihr möglich sich zu beherrschen und die Zähne ob dieser Ungerechtigkeit zusammen zu beißen. Sollte sie jemals auf redliche Weise an Geld kommen, wüsste sie wem sie es zuerst zukommen lassen würde!
 

Die staubige Uhr mit einem abgebrochenen Stundenzeiger schlug zwei Uhr nachts, als der Mann sich mit einer Verbeugung die seine Knochen knacken ließen in sein Schlafzimmer zurückzog und Lilli mit Ilias endlich ihrem im Augenblick nicht so schlechten Schicksal überließ. Reuevoll ging ihr auf, dass sie sich nach dem ,gestohlenen' Essen und dem Bad so wohl wie schon seit Langem nicht mehr fühlte und das, obwohl es erst die zweite Nacht außerhalb des Zuges war. Schaudernd zog sie das gigantische weiße Tuch fester um sich, welches als Nachthemd fungieren sollte (und dem Ausmaß nach wohl einmal eine Stoffplane für einen Erntewagen war), während ihre kalt- feuchten Klamotten vom Feuer bis auf weiteres erwärmt wurden.

"Jetzt bellen Sie mir doch mal vor, wo Sie denken, dass die anderen hin verschwunden sind! Was es mit diesem Dorf im Hinblick auf dem Pakt so auf sich hat und...ach ja, wie es überhaupt weiter gehen soll. Bitte jaulen Sie langsam und verständlich!"

Er gähnte und ließ seine Zunge seitlich aus dem Maul heraushängen. Sie seufzte.

"Also" ,räumte sie ein, eine Auseinandersetzung kommen sehend, "ich merke schon, heute kommen wir nicht weiter. Wer darf auf dem Fell schlafen?" Ilias bewegte sich nicht, doch Lilli fand es nach allem zu was er den Besitzer des Hauses für sie gezwungen hatte nur logisch, wenn sie nicht auf dem zweifelsohne harten Boden schlafen musste. Ein Wolf hingegen tat so etwas immer -zumindest konnte er es ohne vor einer Blasenentzündung Angst haben zu müssen. Der Vampir sah unbeeindruckter denn je aus seinen wachen und doch desinteressierten Augen zu ihr auf.

"Nun denn, machen Sie gefälligst Platz" ,orderte das Mädchen an, wobei sie sich zum hundertsten Mal blöd vorkam ein Tier zu Siezen. Manchmal war Lilli von sich selbst überrascht, doch nach allem was in so kurz bemessener Zeit geschehen war, hatte sie einen guten Batzen Furcht vor Ilias verloren. Valentin wunderte sich nicht umsonst weshalb der Schwarzhaarige Lilli nicht umgebracht, sondern sogar vor einem frühen Tod bewahrt hatte. Natürlich sagte dies im Leben eines Vampirs nichts aus. Gut möglich dass sie für ihn doch nur ein temporäres Spiel gegen die Langeweile der Ewigkeit war und doch verstand es ihr Unterbewusstsein anders.
 

Mutig schob sie den ziemlich schweren Wolf mit aller Kraft an das hintere Ende der flauschigen Unterlage. Er wog Tonnen. Sie kuschelte sich in ihr Tuch und legte sich zufrieden in die Nähe des gemütlich vor sich hinprasselnden Feuers. Es war wunderbar warm. Selbstverständlich hätte sie wissen müssen, dass es ganz unmöglich war in der Gegenwart eines Biestes ruhig einschlafen zu können.

"Was? Nein! Verschwinden Sie!" Äußerst uneinverstanden versuchte Lilli den Wolf davon abzubringen über sie zu klettern in der eindeutigen Absicht, es sich auf ihrer Rückenpartie gemütlich einzurichten. Er kannte als Tier, Vampir und wie sie annahm auch als Mensch, keine ordentlichen Grenzen. Seine Tonnen trieben ihr die Luft aus den Lungen.

"Gehen Sie auf der Stelle runter da, ich kann kaum mehr atmen" ,versicherte sie mit erstickter Stimme. Doch musste sie es hilflos akzeptieren, wie er anfing mit seiner furchteinflößenden Schnauze zerstörerisch an ihrer molligen Erntewagenplane zu zerren. Sie konnte seine Pranke neben ihrem Gesicht sehen, deren in das Fell gegrabene Krallen verhinderten, von ihr weggedrückt zu werden. Alles drehen und wenden half nichts als sie ahnte, dass ihm die Maus am Vortag als Nahrung nicht gereicht hatte und er schließlich seine längst angekündigte Drohung wahr machte. Sie zum Futter degradierte. Bevor sie jedoch den bestätigenden Biss von sicherlich zwanzig spitzen Reißzähnen spüren konnte, verfrachtete er sie gnädigst in eine Besinnungslosigkeit.
 

Diese ließ mächtig zu wünschen übrig, wie Lilli bald feststellen konnte. Nach wenigen Minuten erwachte sie mit dem seltsamen Gefühl besonderer Glückseligkeit und ungekannter Erregung, als sie frontal in die dunklen Augen Ilias' sah. Wie am Rande einer unwichtigen Tatsache bemerkte sie seine wieder menschliche Gestalt, deren unendlich leichteres Gewicht als die des Wolfes auf ihrer ruhte. Ihr Verstand ließ keinerlei ohnehin unbedeutende Warnungen auf Grund der nicht mehr anzuzweifelnden Absicht des Vampirs zu ihr dringen. Vielmehr erlag er dem sanften Willen eines Zaubers, der ihr zuflüsterte wie sehr sie sich dies hier gewünscht hatte. Wie sehr sie es genoss in seiner Umarmung zu liegen da er der einzige war und es jemals sein würde, den ihr Geist gleichermaßen wie ihr Körper begehrte. Maßlos. Wie in einem erstrebenswerten Traum und doch in gestochen scharfer Klarheit bemerkte Lilli ihre Arme, die sich tatsächlich um Ilias' Hals gewunden hatten um ihn noch näher an sich pressen zu können. Wie das bei Metamorphosen nun einmal so zu sein pflegte, hatte seine Rückverwandlung keinen Gedanken über eine Kleidergebung verschwendet und so spürte das Mädchen die weiche, wieder gänzlich haarlose Haut seines Oberkörpers. Wie schmählich von ihm sie unter diesen erniedrigenden Bann zu ziehen, dachte Lilli, der es unmöglich zu leugnen war, dass sich eines ihrer im Tuch verborgenen Beine wie von selbst um seine Hüfte geschlungen hatte.

"Wie können Sie es wagen?" ,wollte Lilli wissen. Ihre Anklage jedoch konnte nicht allzu überzeugt vermittelt werden, da ihre Atmung von Mal zu Mal schwerer wurde, je intensiver sie sich in seinen wissenden Augen verlor. Sie konnte nicht wegsehen. Er lächelte, beugte sich viel zu langsam zu ihr hinunter und streifte ihre leicht geöffneten Lippen mit seinen. Es war eine Herausforderung sich ihm nicht vollends entgegenzurecken und die tiefe Sehnsucht nach seinen Berührungen offen zu zeigen. Die ihm eigenen seidig langen Haare fielen über seine Schultern auf ihre, die aus irgendeinem irrelevanten Grunde nicht mehr mit dem Tuch bedeckt waren. Der Hauch seines Atems war warm als er ihr ins Ohr flüsterte und damit einen wohligen Schauer durch sie jagte.
 

"Als Wiedergutmachung für all jenes, was ich für dich tat." Es war erschreckend wie reizvoll seine Stimme klang, nachdem sie sie die vergangene kurze Zeit nicht hatte hören können. Er küsste ihre Wange und fuhr mit dem Mund an ihr herunter bis zu dem magischen Ort, an dem die Hauptschlagader heftig pulsierte.

"Außerdem" ,grinste er gegen ihre heiße Haut und genoss die Lebendigkeit unter der dünnen Schicht, "tue ich es für mein Wohl und das deine."

"Meines?" ,keuchte Lilli fragend auf, als Ilias mit seiner Zunge gegen den empfindsamen Punkt ihres Halses stieß und gleichzeitig mehr und mehr Stoff von ihrem Oberkörper zog. Die langen Fingernägel waren deutlich zu spüren womit sie Lilli eine Gänsehaut bescherten, die sich über ihren ganzen Körper ausbreitete und fast zum Erzittern brachte.

"Ganz ohne Zweifel" ,wisperte er noch bevor seine Zähne die gewünschte Stelle mühelos durchstießen und Lilli aufstöhnen ließen. Der milde Schmerz aber, war ebenso rasch verschwunden wie er gekommen war. Eine nie erfahrene tiefe Erfüllung durchströmte ihr Dasein, als ihr Herz in einem verführerischen Rhythmus mit dem Ilias' zu schlagen schien. Ruhig und kräftig. Lilli konnte fühlen wie er Schluck für Schluck ihres Blutes verlangend in sich auf nahm um seine Mächte ins Grenzenlose zu steigern und zumindest die eine Lust des Vampirs zu befriedigen. Ihre vollkommene Kooperation mit ihm überraschte Lilemour nicht mehr. Wer würde diesen geradezu entzückenden Gefühlen schon entsagen, die tief in das Bewusstsein gelangten. Nach einer Zeitspanne von der sie nicht wusste wie lange sie gewesen war und von der es sie nicht im Geringsten gestört hätte wenn sie ewig angedauert hätte, fing Ilias an, ihre Beine von der Decke zu befreien. Eine schwindelerregende Hitze stieg in Lilli auf. Sie konnte nicht glauben, dass ihr jemals auch nur eine Sekunde kalt gewesen sein sollte. Dennoch legte sich eine unwillkommene Mattheit auf ihre Glieder von der sie sich auch in diesem beispiellosen Zustand leicht den Ursprung ausrechnen konnte.
 

"Zu bedauerlich" ,hörte sie Ilias nahe ihrem Gesicht in einem Tonfall sagen, der seine Worte keinerlei Lügen strafte, "mein Bedarf an flüssiger Energie war nach den letzten kräfteraubenden Vorkommnissen zu hoch um dich dieses mal nicht merklich zu schwächen."

Lilli hielt es nicht für nötig zu nicken, doch sog sie scharf die Luft ein, als er sein Becken nachdrücklich gegen ihres schob und dabei schamlos ihren linken Busen umfasste. Beide wussten woher die Wärme seiner Hand kam. Im Affekt des Augenblicks warf das Mädchen seufzend den Kopf zur Seite. Ilias' schmutziges wie triumphierendes Lächeln war geradezu spürbar, auch wenn man es nicht sah.

"Was du bekamst ist nur ein Bruchteil von dem, was ich dir noch geben kann." Er legte einen langen Finger unter ihr Kinn und zwang sie ihn anzusehen, wobei ihm die Röte in ihren Wangen unmöglich entgehen konnte. Ihrem, ihn auf fremde Weise einnehmenden Wesen verdankte sie es, dass er es sich nicht wie sonst allzu einfach machte und seinen niederen Trieben jetzt freien Lauf ließ. Aus einem undefinierbaren Grund wollte er sie bei völlig freien und wachen Sinnen, auf dass er jede ihrer natürlichen Reaktionen würde in sich aufnehmen können.

Kurz überlegte sie sich was der Vampir wohl gerade dachte, als er mit einer Mischung aus Gier und etwas wie Zurückhaltung in ihre Augen sah. Sie hatte ihn ohne den kleinsten aller Widerstände schon viel zu weit gehen lassen. Und doch würde Lilli ihn, ganz gleich was er jetzt auch tun würde, gewähren lassen und das mit dem größten aller Vergnügen. So dämmerte es ihr reuevoll.

"Sie sind eben doch ein gemeiner, hinterlistiger Mann, der sich nicht zu schade dafür ist seine Magie gegen hilflose Personen einzusetzen" ,kritisierte Lilli ihn, worauf ihr Gegenüber belustigt auf sie herab sah.

"Heute und hier war nicht der Hauch einer Magie im Spiel und dass, obwohl ich sie jedes weitere Mal mit Können und Hingabe einsetze. Vor allem bei den hilflosesten aller Personen. Wenn sie mir notwenig erscheint."

"Das tut sie hier nicht?"

"Nein."

Ihr Protest dagegen ging in einem Kuss unter, mit dem Ilias sie effektiv zum Schweigen brachte. Seine weiche Zunge verlangte bald den Eintritt zu ihrer, für deren leidenschaftliches Treffen Lilli die Lippen bereitwillig öffnete. Die Süße und Intensität einer Art Vereinigung, die sie unter gänzlich anderen Umständen schon einmal geteilt hatten, wunderten sie nicht und überkam sie doch mit angenehmen Staunen.

Den Konsequenzen dieser Nacht würde sie später entgegentreten müssen, so beschloss sie kurz, ehe der Vampir sich von ihr löste und ihre Augen beinahe im selben Moment erschöpft zufielen.
 

"Ich darf es mir wohl nicht erlauben, mir ein Glas zu füllen?"

"So ungern ich es tue, da muss ich dich tatsächlich enttäuschen."

Ilias verlagerte seine Position nicht, denn er wusste längst um den Besucher der bisher beharrlich geschwiegen hatte.

"Ich hatte es befürchtet" ,ließ ihn Stawrogin wissen, der sich neben ihn und Lilli auf das Fell nieder ließ.

"Zu befürchten gibt es nichts."

"Bist du dir da sicher?"

"Vollkommen."

"Die Infizierten neigen dazu, ihre Lage zu verharmlosen."

Ilias lachte leise. "Die Infizierten! Das hast du schön gesagt, Goldkehlchen."

"Danke" ,kam die trockene Antwort, "ich freue mich, dich mit ernsten Dingen erheitern zu können. Wie lustig findest du es wenn ich dir sage, dass die Ordensmitglieder gegen Morgengrauen zurück sein werden. Vielleicht früher."

"Natürlich werden sie das. Sobald sie merken, uns nicht finden und Valentin nicht einholen zu können. Sie können es sich nicht erlauben ganz so dämlich zu sein. Wie viele andere von uns sind hier?"

"Mehr als ich zu hoffen gewagt hatte." Scheinbar gedankenverloren starrte Stawrogin auf das schlafende Mädchen, wurde dabei aber kritisch beobachtet.

"Was hast du also vor?" ,wollte Ilias wissen.

"Ich habe einen Hubschrauber kommen lassen. Binnen zwei Stunden wird er hier sein und uns nach Novgorod bringen."

"Einen Hubschrauber?" Stawrogin konnte geradezu grässlich modern sein. Die Widerwilligkeit in Ilias Worten war deutlich zu hören, doch hatte er nichts weiter einzuwenden. Er wusste wohl wann es an der Zeit war Opfer zu bringen.

"Ich nehme an, du hast mit den anderen gesprochen" ,mutmaßte er stattdessen und erntete ein gemächliches Nicken. "Die, die ich finden konnte, ja. Natürlich konnte ich nicht viel mehr tun als ihnen die Lage viel zu kurz zu schildern. Es reichte jedoch aus, um die Meisten ohne Aufwand dazu bewegen zu können, ebenfalls in Kürze nach Novgorod zu kommen."

"Sieh an. Womit habe ich es unter allen anderen verdient in deiner Flugmaschine Gast zu sein?"

"Dein Einsatz, deine Führungs- und Überzeugungsqualitäten" ,zählte der Russe schulterzuckend auf, "Erinnerung an vergangene Zeiten. Ich habe dir Kleidung besorgt. Pack deinen Mensch, ohne ihn wirst du ja doch nicht gehen. Liebe ist eine gefährliche Infektion."

Ilias lachte leise.
 

Fortsetzung folgt!

Novgorod

Ah ;_; Muss ich noch etwas sagen außer: Tut mir leeeiiiiidddd!

Ich werde euch nicht lange aufhalten. Bis auf eine ungeheuere Wichtigkeit die nie fehlen darf: Vielen, vielen Dank für die Kommentare und ENSen (ist das die Mehrzahl von ENS? Manch einer könnte meinen, ich bedanke mich unter einem Rechtschreibfehleranfall für Enten O.o). Hab mich wie immer sehr gefreut und obwohl es scheinbar zur Regel geworden ist, dass ich in Äonen- Abständen hochlade, treibt mich eure Resonanz doch an! Wer weiß wann ich sonst zum Laptop gegriffen hätte. Vor allem -das habe ich auch schon einigen geschrieben- wusste ich nicht, wie ich die Dinge in "Die Revolution" weiter lassen laufen sollte. Was noch geschieht ist relativ klar, aber wie man sich dort hin arbeitet, das musste ich erst ausknobeln -und das hat mich aufgehalten^^ Sogar meine rechte Hand (Vater meiner selbst)ließ mich im Stich: "Papa, jetzt hast du nicht eine Idee für den weiteren Verlauf meiner Geschichte, hechel, hechel?" (auf dem Trimm dich Pfad)

"Um was ging es da noch mal, hechel, hechel?" (-.-)

"Vampire!"

"Genau! Haben sie schon miteinander geschlafen?"

"......."

Ich denke, dass ich jetzt ein schönes Stück weiter bin und es darum nicht soooo lange bis zum nächsten Kapitel dauern wird. Ja, ich gebe nicht auf darauf zu pochen :p Außerdem hat das Kapitel ein fieses Ende.....

Jetzt habe ich euch doch aufgehalten -.-

Nichts desto trotz wünsche ich viel Spaß beim Lesen, dass ihr nicht allzu sauer auf die ultimative Verspätung seid und, äh, dass ihr mich auch weiterhin zum Schreiben animiert :-)
 

Viele liebe Grüße,

Fany

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"Sie müssen sich irren!"

"Wir wünschten, wir täten es." Trudlinde, eine der obersten Fünf des escapatischen Ordens, seufzte schwer und fragte sich, was sie in ihrem alten Leben wohl noch alles würde ertragen müssen. "Alles, aber das hätte ich diesem Kind nicht zugetraut!" Jean-Luc nickte ihr geknickt zu. "Stille W'asser sind tief."

Emilie konnte es nicht fassen. Sie hatte den Orden vor Kurzem verlassen, weil der ihre beste Freundin Lilemour aufgegeben hatte, obgleich sie Mitglied der sogenannten Familie gewesen war. In den Fängen eines gnadenlosen Vampirs war sie zurückgelassen worden. Emilie wettete, dass es da eine Liste gab, auf der Lilemours Name mit einem ,nicht mehr verfügbar' daneben versehen worden war. Sie hatten sie abgeschrieben. Ihr absolut Möglichstes hatte Emi auf eigene Faust getan um Lilli ausfindig zu machen, aber alle Versuche scheiterten. Ihre Spur war wie ausgelöscht. Selbst Toni, seines Zeichens Vampir und ihr fester Freund, hatte keinen Anhaltspunkt finden können wie man es von übernatürlich begabten Wesen gerne erwartete. Deshalb war Emi umso überraschter gewesen, als man sie beim Einkaufen im Lebensmittelmarkt abgefangen hatte um sie von einer unerhört dringlichen Nachricht aus dem einzigen anderen Ordenshaus außer ihrem in Kenntnis zu setzen.

"Deine Freundin hat den Orden verraten" ,hatte Evgeni ihr bei ihrer Ankunft sofort barsch klar gemacht und dabei mit den Knochen seiner massigen Finger geknackt. Selbst die dicke, gemütliche Roberta hatte ihr Strickzeug zur Seite gelegt. "Unwana persönlich hat es uns gebrüllt" ,erklärte sie Emi, bei der die rabiate Ordensführerin des slawischen Pendants ihres eigenen Ordenshauses kein unbeschriebenes Blatt war. "Das Mädchen hat einen Vampir verteidigt, wobei......wobei ein Ordensmitglied sein Leben lassen musste."

"Das ist sicherlich ein Missverständnis" ,versuchte Emilie sie händeringend zu überzeugen, "Lilli würde nie.....sie würde nie......"

"Sie h'at!" Verdrießlich rieb Jean Luc sich die Schläfen, "keiner weiß wo sie sisch gerade auf'alten. Sie und ihre.....Kompagnons. Auf der Suche h'at Unwana noch mehr Männer an die Vampire ver'loren. Mehr als in den letzten zehn Ja'ren."
 

"Es entwickelt sich genau so, wie wir es befürchtet und nicht zu verhindern gewusst haben" ,stellte Trudi traurig fest. "Ich weiß nicht ob du es mitbekommen hast Emi Kind, aber es gibt keine Überwacher mehr. Wir haben sie alle eingezogen um nach der letzten, uns verbliebenen Chance zu greifen." Sie stöhnte aus voller Brust, "wir müssen die Untoten gemeinsam einschüchtern, ehe sie merken wie wenig wir gegen sie ausrichten können. Sonst wird der Pakt keine Überlebensmöglichkeit mehr haben."

"Das fällt uns ehrlich gesagt ziemlich schwer, wenn da ein Vampir durch die Gegend stolziert, der meint er wäre so etwas wie Luther und predigt von Revolution, Reformation, was weiß ich." Evgeni wurde laut, "deswegen unsere Luftsprünge hier. Da kommt uns dies liebreizende Mädchen natürlich gerade recht, dass Ilias treu zur Seite steht und ihn bestätigt! ,Oh ja, mein Schatz! Natürlich haben sie keinerlei Macht über euch, mein Liebling! Macht sie nur kräftig zur Schnecke und verbreitet Angst und Schrecken!'"

Lilemours Stimme zu kopieren gelang Evgeni äußerst schlecht, wenn nicht gar nicht. Womit er es schaffte, Emilie ziemlich wütend zu machen. Doch tief in ihr fühlte sie einen kleinen Spross an Genugtuung aufkeimen. Hatten sie das nicht verdient? Alle fünf wie sie hier mit ihren Sauertopfmienen saßen? Sie setzte ein geschäftliches Gesicht auf, welches ihre Aufregung verbergen sollte. "Was hat das mit mir zu tun?" ,wollte Emi wissen, "ohne Grund werden Sie mich wohl kaum ins Vertrauen gezogen haben."

"Nun...." Garreth ergriff zur Überraschung aller Anwesenden das Wort. Er sprach nicht gern und wenn, dann nur sehr einsilbig und leise. "Es gibt Hinweise darauf, dass Ilias und das Mädchen sich Stawrogin angeschlossen haben. Nicht ungewöhnlich. Er hat weltliche Macht inne, die nicht bloß unter Umständen sehr nützlich sein kann."
 

"Stawrogin? Dieser russische Vampir?" Angestrengt sammelte Emilie alle Erinnerungen im Kopf zusammen, über diesen Namen und die Person dahinter. Er hatte viele Ländereien und wurde besonders gut vom Orden überwacht. Mehr wollte ihr nicht einfallen, falls sie überhaupt je mehr gewusst hatte.

"Nein" ,stieß Evgeni ironisch aus, "Stawrogin von der Metzgerei um die Ecke! Natürlich der verdammte Russe! Du gehst zu seinem verdammten Haus und ziehst deine verdammte Freundin da raus wenn dir ihr Leben lieb ist! Unwana ist es das nicht!"

"Was Evgeni pädagogisch so wertvoll zu sagen versucht hat" ,beschwichtigte Roberta mit

einem bösen Blick auf ihren Kollegen, "ist, dass du die Einzige bist, die Lilemour möglicherweise umstimmen kann. Welche Gründe sie auch immer für dieses Handeln hatte, sie sind nicht relevant genug dafür das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Das tut sie allerdings, denn da sie sich längst auf Unwanas Gebiet befindet, fällt uns auch das Urteil über das Mädchen nicht in die Hände. Wir können nicht viel mehr unternehmen als zu versuchen, Unwana zu besänftigen und das ist bei Leibe kein Zuckerschlecken."

"Wenn das Mädschen zu üns zurück'kehren würde" ,schaltete sich Jean- Luc wieder ein, "so wäre es zwar nischt möglich sie weiter'hin als Mitglied des Ordens zu tragen, doch wäre sie außer Gefahr. Verstehst du?" Er hielt Emilie daraufhin mit ermutigendem Blick die Adresse Stawrogins hin.

Sie verstand sehr gut. Sie verstand dass es in erster Linie darum ging, Lilli aus dem Einflussbereich der Vampire zu ziehen, der sich wenn es sehr dumm lief, sehr ungesund auf den Pakt würde auswirken können. Die Sicherheit ihrer Freundin war sozusagen ein schieres Nebenprodukt.

"Emilie" ,warf Trudi eindrücklich ein, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. "Diese Entscheidung entspringt nicht nur unserem Nutzen, auch wenn es dir so erscheinen mag. Glaub mir, jetzt da wir Lilemour vielleicht ausfindig gemacht haben, bestehen wieder Chancen sie zu....."

"Genug!" ,presste Emi bitter durch die zusammengebissenen Zähne und nahm die Adresse entgegen. "Ich werde sie suchen. Ich tue es nicht für Sie und schon gar nicht für den Pakt! Nur ihretwegen und ich bin mir sicher dass ich da allein auf weiter Flur bin!" Dann ging sie.
 

Kaum dass Emi die Tür hinter sich geschlossen hatte, rannte sie den ganzen Weg zu Tonis Wohnung. Es war unglaublich! Bald würde sie Lilli wiedersehen können wenn es nicht sehr dumm lief, was sich als sehr ungesund weisen würde! Lilli lebte. Noch. Sie, Emilie, würde dieses Noch verteidigen bis zum letzten Atemzuge. Da gab es keinen Augenblick der zeitfressenden Überlegung.

"Toni!" Schnell schlug sie die Türe hinter sich zu, durch die das Sonnenlicht in den abgedunkelten Raum geflutet war. Ihr Liebster hatte sich in die Ecke mit der roten Ikea Couch gedrängt. "Willst du mich rösten?" ,wollte er beleidigt wissen. "Was ist denn so wichtig dass du mich beinahe ans Messer geliefert hättest wenn ich keinen Salto Montale von meinem Stuhl aus gemacht hätte!"

"Stawrogin! Novgorod! Wir müssen hin!" ,erklärte sie außer Atem und fing an, einen Haufen Kleidungsstücke aus dem Schränken zu wühlen. "Lilli ist möglicherweise dort!"

"Das hat dir wohl der Orden gesteckt, was?" Toni gelang es vor Sarkasmus so zu Triefen, das es ihm aus Ohren und Nasenlöcher zu tropfen schien. Emilie raffte gerade zwanzig Unterhosen zusammen, die Toni interessiert betrachtete (obwohl er sie in und auswendig kannte). "Sie wollen dass ich sie zurückbringe weil Lilli sich angeblich mit Ilias verbündet haben soll. So ein Humbug! In diesem Fall helfen wir uns gegenseitig, der Orden und ich. Er und ich wollen Lilli zurück, nur aus verschiedenen Gründen. So lange die Vorgehensweise die selbe bleibt, kann es doch gar nicht besser laufen."

"Du meinst, wir" ,fügte Toni hinzu, "der Orden und wir. Wenn du Lilli finden willst, dann will ich es auch. Schon vergessen?" Grinsend warf ihm Emilie einen ihrer BH's entgegen, "stimmt. Du würdest dich mit einem aus deiner Unbereitwilligkeit resultierenden Liebesentzug ohnehin nicht zurechtfinden können! Hab ich das schon mal erwähnt?" Sich fast selbst überschlagend, eilte Emi zum Telefon um in Erfahrung zu bringen, mit welchem Flug sie am Schnellsten und Besten Novgorod erreichen könnten. Die Auskunft des Reisebüros war ganz offenbar mit der hastigen Stimme der Blonden überfordert, denn Toni hörte wie Emi genervt das Meiste zweimal sagen musste. Doch schließlich legte sie den Hörer mit zufriedener Miene auf. "Morgen Nacht können wir los!" Voller Tatendrang schälte sie sich einen Apfel. Aufregung machte hungrig. "Wir fliegen erst nach Minsk. Dort müssen wir uns den Tag über eine Unterkunft suchen. Abends darauf fliegen wir direkt mit der Russian Airlines nach St. Petersburg. Novgorod hat leider keinen Flughafen. Darf ich am Fenster sitzen?"

"Weißt du was man sich erzählt" ,überlegte Toni, wobei er Emis BH als Spinnwebenfänger in der Ecke über der Couch missbrauchte. "Dieser Stawrogin, mächtig hohes Tier, aber er ist nicht mehr so ganz vollständig."

"Hä?"

"Na ja, du weißt schon. Man hat ihm mal was abgesäbelt. Üble Sitten früher."

"Oh." Emi machte ein betroffenes Gesicht, das ihr mit dem Apfelschnitz im Mund nicht so recht gelingen wollte. "Wenigstens ist an dir noch alles dran und jetzt pack deine geliebte und genauso unsinnige Sonnenbrille ein, ehe ich sie vergessen könnte. Ich weiß nicht wie lange wir fort sein werden."

"Eins kannst du aber voll vergessen" ,prophezeite Antonio, "ich werde kein Wort mit einem von denen Hypervampiren reden, klar! Die stehen nicht auf so coole Typen wie mich."

"Werden wir sehen" ,antwortete Emi, die ihren Freund gut genug kannte um zu wissen, wie galant er über seinen Schatten springen konnte sobald es nötig wurde. Sie hatte außerdem das Gefühl, es würde sehr nötig werden. Der Vampir spanischer Herkunft sah mit seiner nachdenklichen Miene so aus, als stehe er einen inneren Disput aus, ehe er fragte: "was ist wenn ich auch am Fenster sitzen will?"
 

Vollkommen klar. Lilli musste nicht etwa überlegen was in der Nacht zuvor geschehen war, sie konnte sich vollkommen klar an alles erinnern. Wie ein Film lief es ständig vor ihren Augen vor und zurück, auf Wiederholung gestellt.

"Was habe ich mir da nur geleistet?" ,fragte sie sich immer und immer wieder, obgleich sie sich im Grunde vorbildlichst passiv verhalten hatte. Es war jedoch eindeutig Beihilfe gewesen, das war nicht zu leugnen. Kein Gesetz hätte sie da raus hauen können.

Gute Filme sah man sich Dutzende von Malen an. Kurz um, sie schämte sich in Grund und Boden. Dieses Gefühl ließ nicht etwa nach als ein Diener Stawrogins fragte, ob sie ihren Orangensaft mit oder ohne Fruchtstückchen haben wollte.

Aufgewacht war Lil erst vor wenigen Stunden. Beruhigenderweise in ihrer Erntewagenplane, doch in einem komplett fremden Umfeld. Es handelte sich der Inneneinrichtung nach um das etwaige Gegenteil des Häuschens am Rande des kleinen Steppendorfes, in dem sie eingeschlafen war. Ihr jetziges Zimmer wo sie momentan auf ihr Essen wartete, war mindestens so groß wie das von Präsident Putin persönlich. Zwar hatte sie keine Ahnung wie das aussah, aber groß musste es ja sein, das stand wohl fest. Die Sonne schien nicht, es war trüb in Novgorod.

"Was habe ich mir da nur geleistet?" Der Ausblick aus dem ovalen Fenster bot einen kilometerweiten Garten. Erst ganz entfernt waren die Türme einiger Dächer ausfindig zu machen. Stawrogins Anwesen war riesig und ähnlich eingerichtet wie das von Ilias, was nicht verwunderlich war, waren sie doch Kinder derselben Epoche. Nun, etwas zeitgenössischer sah es hier doch aus. Trotzdem hatte sie ein Bett wie König Ludwig der Vierzehnte aus Frankreich. Das musste ja auch groß gewesen sein, denn im Alter war er ziemlich fett geworden. Leise klopfte jemand an.

"Herein?" Es war der Diener, aber ohne ihren Orangensaft. Wortlos zündete er ein Licht an und zog mit ausdruckslosem Gesicht alle Vorhänge zu, die ausnehmend tiefdunkel gefärbt waren. Gerne hätte sie ihm auf den Hinterkopf geschlagen, aber sie war Gast. Oder etwas ähnliches und sie hatte es immer so gehalten, ein guter etwas ähnliches zu sein. Doch Lilli wollte ihn nicht sehen. Noch ehe sie die Vorhänge wieder aufreißen konnte nachdem der zugeknöpfte Bedienstete gegangen war, stand Ilias schon im Raum. Wie immer schien er diesen fast ganz einzunehmen, obschon er nur eine schmale Gestalt auf viele Quadratmeter war. Er lächelte. Natürlich tat er das. Mit bewundernswerter Selbstgefälligkeit schmiss er sich auf das Bett.

"Es ist fast so groß wie das des Sonnenkönigs" ,sagte er, "nur nicht so robust. Stawrogin lädt selten fette Gäste ein."
 

"Wenn Sie was zu sagen haben, dann machen Sie's schnell." Lilli bemühte sich an Ort und Stelle stehen zu bleiben. Wie befürchtet wäre sie Ilias am Liebsten um den Hals gefallen als sie ihn gesehen hatte. Genau wie Sophie und Charlotte ihrer Zeit. Erniedrigend. Sie wollte sich nicht ausmalen welche Folgen ihre lachhaften Gefühle vielleicht nach sich ziehen würden, sollte sie tatsächlich frei von jeglichem Bann sein. Ignorieren war vielleicht die beste Variante. Vielleicht die einzige. Vielleicht waren das etwas viele Vielleichts.

"So? Du hast heute noch etwas vor?" ,vermutete er spöttisch, "infiziert wie du bist."

Das riss Lilli nun doch aus ihrem sorgsam aufgebauten Anti- Ilias- Schutzwall. "Infiziert?" Ob er wusste dass sie hypochondrische Neigungen besaß? "Der Eintopf" ,fiel ihr siedend heiß ein, "der Eintopf von gestern Nacht! Er war verdorben, richtig? Ich habe mich die ganze Zeit schon so komisch gefühlt!"

"Ich fürchte nein." Ilias hörte sich nicht so an, als handle es sich um etwas Gefährliches. Andererseits verriet seine Stimme nie ob sie in völliger Sicherheit oder nahe dem Tode waren. Überhaupt konnte man nichts seinem Gebaren entnehmen. Wenn er nicht von sich aus sagte was Sache war, dann tappte man im Dunkeln.

"Ich war es" ,gestand er gelassen und Lilli wünschte sich, sie hätte sich damit zufrieden gegeben im Dunkeln herumzutappen. Viel Wahl hatte sie eigentlich nicht gehabt.

"Sie waren es?.....Aids! Ich habe Aids! Sie haben mich veraidst! Das kommt davon wenn man mit Blut hantiert!" Das Gesicht in den Händen verbergend sank sie auf die Knie. Das große weiße Tuch, welches sie noch immer trug raschelte.

"Wie konnten Sie mir das antun? Sie werden der Überträger sämtlicher Krankheiten sein, die ihnen nichts ausmachen, aber den anderen dahinraffen. Sie....Sie rücksichtsloser, eigen......."

"Derart neumodische Unflätigkeiten lade ich mir nicht auf." Desinteressiert sah Ilias sie von oben herab an. "Das ist es also nicht" ,seufzte Lilli erleichtert vor sich hin, "aber was sonst? Syphilis? Nein, das kann's nicht sein. Ist eine Geschlechtskrankheit. Wenn es nun..."

"Syphilis kann es nicht sein?" ,intonierte der Vampir, "warum nicht?"

"Weil ich....na, weil ich nicht...." Bleich hielt Lilli inne. Schadenfroh bis in das letzte Atom seines Körpers griff Ilias sich eine Strähne von Lilemours Haaren und drehte sie in seinen langen Fingern. "Du warst ziemlich lange bewusstlos und ich gebe zu, mich schnell zu etwas Morallosem hinreißen zu lassen. Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen."

Auf der Stelle glaubte sie ihm und horchte in sich hinein, ob nicht irgendein Hinweis auf seine Schandtat zu finden war. "Keine Sorge" ,versicherte er weiter, "ich nehme an ihr habt gelernt dass Wesen wie wir keine Kinder zeugen können. Sei dankbar, du bist völlig unbelastet." Lilli glaubte ihm mehr und mehr.
 


 

"Ich glaub Ihnen kein Wort" ,schimpfte sie halbherzig, "und was heißt hier unbelastet? Ich bin eine dort ausgestoßene und hier gefangene Blutkonserve mit Syphilis in einer Erntewagenplane! Nenne mir eine Person die belasteter ist! Jawohl! Ich duze Sie, äh dich. Das steht mir jetzt wohl zu du schamloser Situationenausnutzer!" Hätte er ihr nicht amüsiert zugesehen, wäre sie postwendend in einen Sturzbach an Tränen ausgebrochen. Ilias berührte die beiden minimalen Beweisrückstände an ihrem schmalen Hals aus seiner Tat zwei Nächte zuvor. Lilli verdrängte den Stromstoß einer desaströs aufwallenden Begierde nach seinen Berührungen, die allein seine kühlen Finger verursachten.

"Du liebst mich abgöttisch" ,stellte er befriedigt fest, worauf Lilli sich auf den Boden warf und herzerweichend dramatisch zu weinen anfing. "Ich habe Syphilis!" ,schluchzte sie. Offenbar hatte Ilias für Sorgen wie diese keinerlei Mitleid übrig. Grob packte er Lilli am Kragen ihres Tuches, welches sie dabei beinahe im Stich ließ und warf sie in die Kissen.

"Ich rate dir dein grundloses Plärren einzustellen oder ich besorge dir die Syphilis noch. Irgendwo greife ich sie selbst heute noch auf, das garantiere ich dir." So sprechend beugte er sich drohend wie eine dunkle Gewitterwolke über sie. Lilli blieb wenig anderes übrig als sofort die Tränendrüse für dieses Mal zu versiegeln. "Dann bin ich doch nicht krank?" Das beharrliche Schweigen des Vampirs wurde als positive Antwort gewertet.
 

"Ich denke allerdings, dass dir etwas fehlt" ,vermutete Lil frei heraus, der erst jetzt langsam dämmerte, was der Vampir diagnostiziert hatte. "Du leidest unter Wahnvorstellungen. Wie käme ich dazu dich zu lieben und das auch noch abgöttisch!"

Ilias fuhr mit dem Mund über die wunde Stelle ihres Halses. So schnell jedoch, dass ihr nur eine vage Vermutung blieb ob er es wirklich getan hatte und das war ihr Glück. Vermutlich hätte sie sich ihm sonst ganz im Zeichen eines bis zur Blindheit geblendeten Opfers rückhaltlos entgegengebogen wie ein aufgehender Hefeteig.

"Kannst du dir vorstellen mich nicht zu lieben?" ,fragte er in einem Anflug entsetzlicher Arroganz, die Lilli empört Luft holen ließ.

"Ich kann mir nicht vorstellen Ihnen, äh, dir auch nur den Hauch einer sympathischen Gemütsregung entgegen zu bringen" ,log sie. "Geschweige denn alles andere! Ich bin keine von deinen dich endlos verehrenden Sophies und Charlottes!"

"Nein" ,stimmte er zu, "du verehrst mich ungleich mehr als beide zusammen mal zehn im Quadrat genommen."

Sie überging seine mathematischen Leidenschaften, "Syphilis hin oder her, wir haben nicht miteinander geschlafen, richtig?"

"Das wird sich ändern."

"Sehr witzig. Und wenn du glaubst, ich falle wieder in die formelle Anrede zurück, dann hast du dich geschnitten! Bei der kleinsten Gelegenheit werde ich abzischen, das lass dir gesagt sein! Raus aus diesem Haus, raus aus Novgorod, raus aus Russland!"

"Du kannst nicht entkommen" ,entgegnete er ernst. So ernst dass sie ihn gerne geküsst hätte. Lilli schüttelte sich diesen irrwitzigen Gedanken aus dem Kopf.

"Denn du willst nicht entkommen. Du möchtest hier bleiben" ,fuhr er in seinem gelangweilten Ton fort, "hier bei mir." Der Chef hatte gesprochen und dem Untergebenen fehlten die Worte. In diesem Moment war es allerdings nicht nötig etwas zu erwidern. Erstens weil Ilias seiner ewig unumstößlichen Meinung war, ganz gleich was sie dem auch entgegen zu setzen hatte und zweitens, weil Stawrogin plötzlich neben ihnen stand. So plötzlich, dass Lilli vor Schreck Schluckauf bekam.
 

"Wäre es möglich deine Absichten zu verschieben?" ,wollte der Russe höflich von Ilias wissen, während er einen abschätzenden Seitenblick auf Lilli warf, die den Schluckauf zu unterdrücken suchte. Er ließ ihre Kleidung auf einen nahegelegenen Stuhl fallen.

"Ungern" ,sagte der Schwarzhaarige, wobei er leicht durchblicken ließ dass er meinte was er sagte und diesmal niemanden im Dunkeln tappen ließ. "Doch mir werden nicht viele befriedigende Varianten übrig bleiben wenn du uns schon höchstpersönlich einen Besuch abstattest." Stawrogin nickte so beiläufig, dass es auch eine bloße unbewusste Kopfneigung hätte sein können. Wie der Durchschnittsmensch sie tausend Mal am Tag machte.

"Wie du weißt sind bereits vergangene Nacht einige von uns eingetroffen" ,verkündete Stawrogin, "sie warten jetzt in der großen Halle auf uns."

Stumm und geräuschlos erhob sich Ilias um dem Blonden zu folgen. "Wie können sie schon hier sein -Hicks-" ,entfuhr es Lilli. "Ihr Page hat mir erklärt dass wir mit ihrem Hubschrauber gekommen sind. Hicks. Da können die anderen doch unmöglich mithalten wenn sie nicht gerade eine Concord gechartert haben! So wie ich euresgleichen kenne- Hicks- wäre ihnen das doch eh zuwider."

"Tote reisen schnell wenn sie niemanden im Schlepptau haben" ,ließ Ilias sie wissen, ohne eine Ahnung davon zu haben was eine Concord sein sollte. Er fand aber, dass das hier nicht besonders auffiel. "Abgesehen davon hast du beinahe zwei Tage geschlafen." Als sich die Tür hinter den beiden gutaussehenden (dieses Adjektiv verbannte Lilli gleich wieder im Bezug auf Untote)Vampiren geschlossen hatte, wunderte sie sich nicht zum letzten Mal, welch seichte Hemmschwelle das Tageslicht tatsächlich für sie war. Abgedunkelte Räume reichten aus und die Bleichlinge waren fitt wie die neuartigsten Nike Turnschuhe.

"Die große Halle" ,murmelte Lilli vor sich hin als sie in ihre frisch gewaschenen und darum wunderbar duftenden Kleider schlüpfte, "stimmt, ich kenne nur dieses Zimmer hier. Ist vielleicht an der Zeit mich ein wenig umzusehen. Nur eben lieber nicht in der großen Halle, kann wirklich auf noch mehr von denen verzichten!"
 

Sie kam sich vor wie Sherlock Holmes auf Verfolgungsjagd, auf der er unter keinen Umständen gesehen werden durfte. Oder wie einer der bedauernswerten Verfolgten, denen naturgemäß noch mehr daran lag unbemerkt zu bleiben.

Vorsichtig schob sich Lilemour aus den für sie wahrscheinlich sichersten vier Wänden des Hauses und schlich den Flur entlang. Grimmig bemerkte sie, dass der Diener nicht rechtzeitig mit dem Essen zurück gewesen war, ehe sie sich ins häusliche Abenteuer aufgemacht hatte. Eins war ihr auch mit leerem Magen einleuchtend. Der Pakt war in der bisher allergrößten Gefahr. Das Problem bestand nur darin, dass sie nicht mehr wusste welcher Seite sie angehörte. Gehörte sie überhaupt einer an? War sie möglicherweise ein Neutrum welches zwischen die Fronten gekommen war? Derartige Grenzgänger hatten nichts zu lachen, das versicherte jeder Film und jedes anständige Buch. Andererseits war Lilli nicht immer ein Zwischending gewesen. Nein, ihr Platz war eindeutig auf Seiten des Ordens gewesen- diese Überlegung brachte sie nicht im Geringsten weiter. Sie musste sich darüber klar werden, wo sie sich jetzt befand. Auf jeden Fall nicht in den charmanten Fängen des ruchlosen Ilias. (Das hoffte sie, aber irgendwie fühlte sie diese Hoffnung schwinden).

"Ziemlich pompös eingerichtet" ,sagte sich Lilli leise, der das vorherrschende Rot überall in die Augen stach. Ein paar dickliche Barockengel hingen an der Decke und lächelten sie an. Oder spielten ein Instrument oder aßen etwas. Ihr Magen knurrte. Alle Fenster waren hinter dichten Gardinen verborgen, doch Hunderte von Kilo schweren Kronleuchtern in einem drei Mann starken Durchmesser erhellten jeden Winkel. So angestrengt Lil auch lauschte, nirgends waren Stimmen zu hören und sie nahm nicht an, dass sich die Vampire gerade anschwiegen und Löcher in die Luft starrten. Außer einem, den sie fast zu spät entdeckte.

"Hicks!" Erschrocken hielt sie sich nach dieser Schluckauf- Nachwehe die Hand vor den Mund, aber natürlich war es zu spät. Es war auch vorher zu spät gewesen, da der Vampir nicht unter einer verschnupften Nase oder sonstigen Sinnenseinschränkungen litt. So schnell sie ihre Beine tragen konnten, hastete sie ziellos eine riesige Treppe hinunter, passierte zahllose verschlossene Zimmertüren und schlitterte um labyrinthwürdig viele Ecken. Ihre Reaktion musste nicht heißen, dass dieser Milchbubi mit anzunehmenden Monsterkräften ihr nun etwas anhaben wollte. Es war nur so, dass man besser sicher ging. Ungefähr da prallte sie gegen den Vampir, der wohl schon längst auf sie gewartete hatte.
 

"Verzeihung -Hicks -" ,keuchte sie, als wäre sie eben nur einmal kurz vorbeigejoggt um ihre Figur zu halten, "hab Sie nicht gesehen."

Damit gab er sich nicht zufrieden. Er hielt sie mühelos an einer Gürtelschlaufe fest, so dass nicht an ein Fortkommen zu denken war. Kein Laut kam über seine Lippen als er ihren Kopf mit einem Finger zur Seite drehte und anfing an ihrem Hals zu schnuppern. Es war schlecht einem fremden Vampir in die Augen zu sehen, das war wie mit Hunden. Sie fühlten sich auf der Stelle herausgefordert. Darum wandte sie ihren Blick konzentriert an die Decke.

"Die Kronleuchter sind doch wirklich eine Augenweide -Hicks - nicht wahr?" Lilli bemühte sich furchtlos zu klingen, als wäre sie diese und ähnliche Behandlungen gewohnt. Es galt ihn davon zu überzeugen, dass sie mit der vampirischen Szene durchaus vertraut war und als ein Kenner kein argloses Opfer darstellen konnte. "Sie suchen bestimmt die große Halle, wie?" ,fuhr sie fort, als der Typ etwas für sie völlig unverständliches brabbelte. Verwirrt rang sie sich dazu durch, auf sein Gesicht zu schielen und musste feststellen, dass er wahrscheinlich aus den hintersten Winkeln Asiens kam. Sein weißes, schmales Gesicht mit den noch schmaleren Augen, die von dunklen Haaren umgeben waren, ließen ihn ein wenig wie eine leicht abstrahierte Picasso Figur aussehen. Wieder sagte er etwas, auf chinesisch, japanisch, koreanisch oder vielleicht philippinisch.

"Immer gerade aus" ,schätzte sie um ihn los zu werden und deutete in die nächstliegende Richtung. Bis sie merkte, dort war eine Wand. Es war nicht zu erkennen ob er langsam die Geduld verlor oder ob seine Nerven aus Granit waren, denn er sprach nur ein Wort. Wieder und wieder in sämtlich Sprachen, auch auf Deutsch. Er sagte selbstredend "Hunger" ,aber Lilli tat, als verstehe sie überhaupt keine irdische Sprache. Dabei überlegte sie sich, wie schlecht es um Ilias' intime Pläne mit ihr stand und dass er lieber auftauchen sollte wenn ihm tatsächlich etwas daran lag.

Als könnte es nicht noch schlimmer kommen, gesellte sich ein weiteres Exemplar auf die Seite des asiatischsten Asiaten der ihr je unter die Augen gekommen war und er sah absolut identisch aus. Und es war eine Frau. Das hörte Lil an der Tonlage wie auch sie "Hunger" verkündete. Nicht auszumalen wie weit sie in ihrer Verwirrung gereist waren. Gerade als Lilli sicher war auf der Schwelle zum Abgrund zu stehen, vernahm sie eine dritte, sehr bekannte Stimme. Sprach chinesisch, japanisch, koreanisch oder vielleicht philippinisch.
 

Die beiden Picasso Models schienen weder enttäuscht, noch besonders erfreut. Sie waren einfach plötzlich weg, ohne den geringsten Beweis zurückzulassen der besagte, dass sie je da gewesen waren. Benommen ließ sich Lilli von Valentin in ihr Zimmer zurückbegleiten.

"Ich habe ihnen gesagt, du wärst keine der auf dem Speiseplan stehenden Menschen" ,berichtete er gütigst, "das haben sie allerdings auch nicht angenommen. Man müsste schon ein Strohhirn von einem Menschen sein um nicht zu bemerken dass du bereits......" Er machte eine Pause um nach dem richtigen Wort zu fischen, "....abgestempelt bist." Er hatte einen stinkenden Schuh geangelt.

"Unwana also doch entkommen. Sind Sie auch mit der Concorde gereist?" Verärgert verschränkte Lilli die Arme, obgleich sie dem Blonden Erzfeind ihres Abstemplers zu tiefst dankbar war.

"Das ist ein Flugzeug" ,stellte er mehr fest als das er es fragte und nahm den Faden weiter auf. "Oktavian hat mich und seinen stinkenden Untergebenen unterwegs aufgegabelt. Diese Matrone von einer Ordenswalze hätte uns ohnehin nichts anhaben können. Viel zu plump."

"Oktavian?" Nun zeigte Lilli doch großes Interesse. Zu viel hatte sie schon über diesen Vampir gehört, der augenscheinlich viele Kontakte verschaltete, und doch stets im Hintergrund blieb. "Ist er auch hier?"

Valentin kam ihr seltsam unentschlossen und nachdenklich vor. Ob er sich im Unklaren darüber war wie viel oder ob er ihr etwas erzählen sollte? Denn etwas zu Erzählen hatte er unzweifelhaft.

Er rang sich ein, "Nein" ,ab, "aber ich muss mit unserem speziellen Freund reden." Valentin hatte die Begabung den speziellen Freund in einer Art und Weise zu betonen, dass kein Irrtum daran bestand von wem er sprach. Lilli war es nicht möglich ein leichtes Erröten zu verhindern. "Speziell im negativen Fall" ,fügte sie hinzu.

"Speziell negativ in meinem Fall" ,berichtigte er. So konnte Lilli das nicht stehen lassen, wurde einer Entgegnung jedoch beraubt.
 

Alle Lichter gingen mit einem leisen Klicken aus, völlige Dunkelheit umgab sie von einem Moment auf den Nächsten. Durch das plötzliche Fehlen jeglicher Lichtquelle, tanzten blaue Funken vor Lillis Netzhaut, ehe sie dann gar nichts mehr sah. Fast augenblicklich darauf waren Schüsse zu hören, Geschrei in mehreren Tonlagen und Stimmen wurden laut. "Hicks!" Lilli sprang auf, Valentin fluchte. "Verdammt!" ,zischte er, "zu spät!"

"Zu spät? Zu spät wofür?"

"Zu spät für dieses Mal." Er packte Lilemour bei den Handgelenken und zog sie aus dem Zimmer. Einige Teppiche waren ihnen im Weg. Über die stolperte Lilemour, wohingegen sich Valentin fast schwebend bewegte. Wer konnte schon sagen dass er nicht genau das tat? Die Schüsse und Rufe schienen näher zu kommen. Draußen auf dem ebenso lichtarmen Flur konnte sie die Schemen einiger Diener ausmachen, die irritiert an ihnen vorbei hasteten. Dabei stießen auch sie gegen allerlei Gegenstände und architektonisches Zubehör. Lilli erhaschte nur deshalb einen Blick auf verschiedene, bewaffnete Personen, weil diese sämtliche Vorhänge herunterrissen. Dem Tageslicht wurde Eintritt verschafft. Andere stießen Türen nach draußen auf, durch die die Dienerschaft in höchster Alarmbereitschaft zu verschwinden versuchte. Die Finsternis wurde so, gleich einem leuchtenden Gitter, durch mehrere Lichtstrahlen durchbrochen. Ab und an meinte Lilli zu erkennen, wie ein Schatten an der Grenze von Licht zu Schatten vorbeihuschte.

"Valentin! Valentin, sagen Sie mir jetzt nicht dass die feiern!" Angespannt ließ der Vampir seine übernatürlich scharfen Augen über das Geschehen schweifen. "Der Strom. Jemand hat den Strom abgeschalten."

Die junge Frau brachte es fertig sarkastisch zu klingen, "ach was Sie nicht sagen."

"Die Gemäuer hier gleichen einer Festung" ,entgegnete er scharf, "ich habe selten geschützeres Gelände betreten. Der einzige Schwachpunkt ist diese verdammte Maschinen-Elektrik- Technologie, oder wie immer es der Fachmann nennt. Mit Türstehern aus Fleisch und Blut hätte das hier verhindert werden können. Vielleicht."
 

Ohne Frage konnte sich Lilli Stawrogins Anwesen als eine Art verdeckter Bunker vorstellen, den entweder nur Lebensmüde oder aber Profis würden erstürmen können. Da ging der Hammerschlag der Erkenntnis auf sie nieder. Im selben Moment, in dem sie die Uniformen des Ordens erkannte. Sie hätte es sich denken können. Ihre Schwerfälligkeit musste auf ihrem akuten Nahrungsmangel gründen. Nun musste man es endgültig einsehen: Die Schüsse waren keine Startschüsse für ein Leben nach dem Pakt gewesen. Bei dem Geschrei handelte es sich nicht um Triumphrufe, die Diener waren nicht auf der Flucht vor ekstatisch feiernden Vampiren und das Zerschleißen der Gardinen war auch nicht geplant gewesen. Sie waren Zeuge eines Angriffes, den es in der hundertjährigen Geschichte des Ordens so noch nie gegeben hatte. Niemals in all den Jahren hatte sich eine der beiden Seiten formiert Handgreiflichkeiten hingegeben. Blut spritze gegen eine bisher blütenweiße Wand.
 

Fortsetzung folgt!

Überfall

So. Erst einmal ein riesiges Dankeschön an euch alle, die ihr mich nicht verlassen habt, obwohl ich in so großen Abständen hochlade, dass ich es kaum mehr wage ins Animexx zu gehen. Ja, ja, ich habe zumindest Schuldgefühle. Ein großes Danke auch an die, die mir wieder einmal "Ansporn- Ensen" geschrieben haben- Merci dass es euch giiiiiibbbbt ;-)

Ich hoffe natürlich, dass dieses Kapitel nach so langer Zeit wenigstens gut geworden ist und freue mich schon auf eure Meinungen dazu!

Ich werde jetzt nicht schreiben, dass ich mich bemühe bald ein neues Kapitel hochzuladen. Nein, ich werde dazu überhaupt nichts sagen und wer weiß, vielleicht bin ich dann auf diese Weise schneller (ein Versuch ist's wert).
 

Habe noch einen kurzen Ausschnitt vom letzten Kapitel übertragen, damit man wieder ungefähr weiß woran sie sind^^
 

Viel Spaß beim Lesen also und noch mehr Grüße,

Fany :)

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......(Ohne Frage konnte sich Lilli Stawrogins Anwesen als eine Art verdeckter Bunker vorstellen, den entweder nur Lebensmüde oder aber Profis würden erstürmen können. Da ging der Hammerschlag der Erkenntnis auf sie nieder. Im selben Moment, in dem sie die Uniformen des Ordens erkannte. Sie hätte es sich denken können. Ihre Schwerfälligkeit musste auf ihrem akuten Nahrungsmangel gründen. Nun musste man es endgültig einsehen: Die Schüsse waren keine Startschüsse für ein Leben nach dem Pakt gewesen. Bei dem Geschrei handelte es sich nicht um Triumphrufe, die Diener waren nicht auf der Flucht vor ekstatisch feiernden Vampiren und das Zerschleißen der Gardinen war auch nicht geplant gewesen. Sie waren Zeuge eines Angriffes, den es in der hundertjährigen Geschichte des Ordens so noch nie gegeben hatte. Niemals in all den Jahren hatte sich eine der beiden Seiten formiert Handgreiflichkeiten hingegeben. Blut spritze gegen eine bisher blütenweiße Wand.)

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"Mit dem Strom sind die Alarmanlagen und elektrisch verschlossenen Türen außer Gefecht gesetzt worden" ,erklärte Valentin Lilli unnötigerweise. Sie war jetzt nicht aufnahmefähig für Erklärungen irgendwelcher Art. Nicht wenn eine Wand aussah, als hätte sie ein moderner Möchtegern Künstler mit einem dunkelroten Farbballon beworfen. Auf dem Boden daneben lag der zusammengesackte Schemen einer Figur, die ganz augenscheinlich zur Farbgewinnung verwendet worden war.

"Ist der da tot?" ,wollte Lilemour aus rein kulturell bedingen Normen wissen. In Rio de Janero mochte es vielleicht auf der Tagesordnung stehen, jemanden mit einer Kugel im Kopf umfallen zu sehen. Hier startete man schon bei Vermissten großangelegte Suchaktionen und verurteilte jeden, der auch nur den Hauch eines Mordes im hintersten Winkel seines Gehirns mit sich trug. Und das war gut so. Dennoch wäre die Kripo hiermit leicht überfordert gewesen. Valentin packte sie und wich weiter in die Düsternis zurück.

"Was weiß ich" ,zischte er, "momentan ist es mir unmöglich alle Gerüche zu sondieren, die mir um die Nase fliegen. Hauptsache ich liege nicht dort."

"Sehr barmherzig und frei von jedwedem Egoismus" ,würgte Lilli heraus, unfähig ihren Blick von der rotmelierten Wand zu nehmen. Zwischenzeitlich hatte sie so viel erkennen können um festzustellen, dass es sich bei dem zusammengesackten Bündel nicht um Ilias handelte. Der Tote hatte kurzes Haar. Ein summendes Geräusch ließ sie aufhorchen. Valentin schien es nicht zu registrieren, oder hatte es in die Liste der auf ihn einströmenden Geräusche und Gerüche in die Kategorie ,Ferner liefen' sortiert. Angespannt überprüfte er fortwährend ihr näheres Umfeld. Für Lilli hinterließ er damit den Eindruck eines in die Enge getriebenen Raubtiers.
 

Das summende Geheimnis lüftete sich allerdings schnell, das Notstromaggregat hatte sich angeschaltet. Auf einen Schlag gingen alle Lichter in und um das Haus wieder an. Das Grauen konnte sich nun messerscharf eingeprägt werden. Das Opfer auf dem Boden an der Wand war kein Einzelfall geblieben. Mehrere Ordensmitglieder lagen mehr oder weniger vollständig in der Halle verstreut.

"Entzückend." Der Vampir lachte freudlos. "Die Fenster unverdeckt, die Türen sperrangelweit offen. Die verfluchte Sonne wartet hinter den Wolken. Und uns geht ein Lichtlein auf." Lilli fand Valentins Witzelei angesichts der tatsächlich sehr ernst zu nehmenden Lage ziemlich deplaziert. Auch dann noch, als plötzlich eine Schicht des riesigen Daches des Gebäudes, wie eine ausfahrbare Markise ebenfalls zurückwich. In allem Durcheinander noch, war es den beiden daraufhin möglich, eine Premiere zu feiern. Die Premiere des ersten verbalen Ausfalls, den Valentin sich je zu Schulden hatte kommen lassen. "Ach du große Scheiße" ,fluchte er, "arschgesichtige Elektrizität!" Das war das Zeichen. Alle Coolness und Erhabenheit war aus den Gesichtszügen des Vampirs verschwunden. Lilemour war schlecht, Hunger hatte sie keinen mehr.
 

Immer mehr trübes Sonnenlicht flutete die Gänge und Räume. Der blonde Vampir presste sich mit verzerrtem Gesicht gegen die Wand und Lilli mit ihm. "Das kommt davon wenn man sich den Luxus erlauben will, Nachts die Sterne zu betrachten und ein irrsinnig teures Glasdach baut" ,stieß er aus, "tagsüber büßt es seine Romantik ein. Lässt sich sein eigenes Grab errichten! Kastrierte Russen haben einen Dachschaden."

"Im wahrsten Sinne des Wortes!" Entsetzt sah Lilemour, wie eine Frau einen Stock tiefer von mehreren Ordensmitgliedern niedergeschossen wurde und in die Helligkeit des zwischenzeitlich gänzlich freigelegten Dachfensters taumelte. Sie sagte nichts, schrie nicht und tat nichts aus eigener Kraft heraus. Viel Blut sammelte sich und rann aus den tiefen Einschusswunden, ehe das Licht des Tages die Vampirin vernichtete. Leise und unspektakulär, aber grausam endgültig. Lilli brachte es nicht fertig an das Treppengeländer zu gehen, um besser hinuntersehen zu können. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie vergrub ihr Gesicht in Valentins Jacke. Das erschien ihr das eindeutig kleinere Übel. Sie nuschelte: "Was glauben Sie, wo sind Stawrogin und Ilias? In Sicherheit?" Beinahe schnürte die Furcht vor der Antwort Lil die Kehle zu und das, obschon es gegen alles sprach, was sie noch verteidigte. Selbstbetrug hatte in einer Situation wie dieser keinen Platz. Sie betete, Ilias möge mit einem ,Ich habe alles voll im Griff- Ausdruck' auf dem Gesicht, irgendwo unversehrt und unerkannt in der undurchdringlichsten Dunkelheit sitzen. Ein verächtliches Schnauben Valentins drang an ihre Ohren, als er sie mit zwei Fingern von seiner Jacke pflückte. "Und wenn das Gebäude einstürzen würde, wir alle der Sonne ausgesetzt wären und Tausende von Ordensmitgliedern mit gezückten Waffen die Trümmern nach uns durchsuchten. Glaube mir, wenn es einer überlebte, dann dieses eingebildete Stück ehemaliger Mensch."
 

"Auch wenn dieses Stück ehemaliger Mensch das Haus auf der Suche seines Noch-Menschen durchstreift. Umsonst wohlgemerkt."

Ehe Lilli auf den aus dem Nichts aufgetauchten Ilias reagieren konnte, zog er sie von Valentin fort und funkelte ihn feindselig an. "Wenn ich sehe in wessen Gesellschaft er ist, kein Wunder."

"Sei lieber froh, dass du mich hast" ,konterte Valentin, "denn ich habe interessante Neuigkeiten, die mit diesem Chaos zusammenhängen könnten. Über Oktavian. Ich gedenke sie dir zu übermitteln."

Wieder Schüsse. "Das können Sie jemandem übermitteln wenn wir das hier überhaupt hinter uns bringen" ,schrie Lilemour aufgebracht, als sie von einem Sonnenstrahl umhüllt wurde. Jemand hatte eine weitere Gardine aus ihrer Verankerung vor einem Fenster gerissen. "Seht ihr denn nicht, dass ihr überrannt worden seid?!"

Die beiden Vampire, die nahe genug an der Wand standen um mit keinerlei natürlichem Licht in Berührung zu kommen, sahen sie an als würde auch Lilli sich gleich auflösen.
 

"Es sind zu wenige von ihnen" ,schien sich Valentin zu amüsieren. Lilli konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass Ilias' Anwesenheit das Selbstvertrauen des anderen Vampirs wieder stärkte. "Mehr als einen oder zwei von uns werden sie nicht erwischen, ehe wir ihre kleine Überraschungsparty verdaut haben" ,grinste er, offenbar völlig kuriert von seiner Unsicherheit.

"Zu wenige? Na, eine von euch ist ja schon Geschichte!" Mit viel Mühe schaffte sie es, dass sich ihre Stimme nicht überschlug: "Es sind unzählige Ordensmitglieder!" Valentin lachte, "aber nur, weil sie nicht stillstehen um sich brav nummerieren zu lassen."

"Komm aus dem Licht" ,verlangte Ilias ruhig von Lilli.

Lilemour konnte nicht glauben, wie locker die beiden Exemplare theoretisch toter Materie die Vernichtung einer Artgenossin sahen. Wie kam es, dass sie sich bei all dem Licht und den Schüssen nicht in die Hosen machten? Lilli war nahe daran. Die Lage besserte sich nicht erwähnenswert, als drei bewaffnete Männer die Treppen hoch und den Gang entlang auf sie zu rannten. Sie hatten es in etwa so eilig, wie die kreischenden Fan-Girlies einer Boygroup, die alle unbedingt ein Autogramm wollten- und wenn sie über Schwerverletzte und Leichen gehen mussten.
 

"Komm aus dem Licht" ,befahl ihr Ilias erneut, noch immer die Ruhe in Person. Ob er so gelassen bleiben würde wenn er merkte, dass Lilli vor Schreck am sonnigen Boden festgefroren war? Die Ordensmitglieder passierten in Windeseile einen schmalen Schattenstreifen, der einem von ihnen seine Existenz kostete. Lilli hatte nicht gesehen wer ihn sich geschnappt hatte. Es war ihr noch nicht einmal möglich festzustellen, ob es ein ihr vertrautes Gesicht gewesen war. Ilias konnte ausgeschlossen werden, er befand sich reglos ihr gegenüber und streckte die Hand nach ihr aus. Ein gewaltiger Drang ihm zu folgen wob sich dichter und dichter um Lilemour und er war viel stärker als die Macht, welche sie an den Boden fesselte.

Sie streckte ihm so willig wie das leidenschaftlichste aller Fan- Girlies ihre Hand entgegen. Die verbliebenen zwei Ordensmänner hatten sie fast erreicht, als plötzlich das Vieh auftauchte. Es baute sich hinter den rennenden Männern auf. Trotzdem war es schwer, es sich als Helden in schimmernder Rüstung vorzustellen, der mal wieder knapp, aber zur rechten Zeit auftauchte um sein Schwert zu schwingen.

"Einmal doch noch zu gebrauchen!" Schon stahl sich ein Lächeln auf die Lippen des Mädchens, die die außer Gefechtsetzung der Feinde in unmittelbarer Zukunft erwartete. So sehr sie dem stinkenden Ungetüm auch misstraute, es blieb doch ein Vampir und damit der ärgste Widersacher des Ordens. Er würde sich mit seinem bereits blutverschmierten Mund um die Beiden kümmern, in deren Haut Lil jetzt nicht stecken wollte. Den Augenkontakt zu Ilias dadurch verloren, zog sie ihre Hand zurück. Sie musste die Sabberfäden abwehren, die das Vieh bei einem Rekordsprung in alle Himmelsrichtungen verspritzte.

"Gib mit deine Hand" ,forderte der dunkelhaarige Vampir Lilli erneut und diesmal nachdrücklicher auf.
 

"Nicht!" ,hörte sie Valentin jedoch vom schattigen Ende der Treppe rufen und wandte sich ihm zu. Er hatte den dritten Ordensmann auf dem Gewissen. Schneller als das Auge es erfassen konnte, kam der Blonde wieder auf sie zu. Das Problem lag in der ebenbürtigen Geschwindigkeit, in der das Vieh sich von der Seite auf Ilias warf. Es geschah völlig unerwartet, auch für Ilias. Der vermeintliche Verbündete hatte entweder die Seiten gewechselt, war noch verrückter geworden als er es ohnehin schon war, oder hatte im Blutrausch ganz einfach vollkommen den Überblick verloren. Ohne die für ihren Verstand zuständigen Gehirnwindungen einzuschalten, tat Lilemour einen Schritt nach vorne und packte den vermotteten Umhang des Durchgedrehten. Dieser schien noch immer von seinem Überraschungsangriff zu profitieren, denn Ilias hatte während des Abblockens der gewaltigen Attacken mit Klauen und Zähnen noch keine Möglichkeit, selbst zurückzuschlagen. Ilias war stark, aber auch der Feind hatte nichts von seinen animalischen Kampfinstinkten eingebüßt, seit sie ihn das letzte Mal auf der Flucht vor Unwana gesehen hatten.

"Lass los, du widerliches, speicheltriefendes Monstrum, oder ich reiße dir deine Nasenhaare einzeln raus!" Immerhin brachte es Lilemour fertig, das vor Dreck stehende, klebrige Cape von seinen Schultern zu reißen. Und das sicherlich nicht durch ihre furchteinflößende Drohung. Unglücklicherweise brachte Quasimodo es wiederum zu Stande, eine krallenbehaftete Hand zu entbehren, mit der er der jungen Frau einen Hieb verpasste. Der Schlag bescherte ihr geschätzte drei gebrochene Knochen. Doch gewann Ilias durch die Unaufmerksamkeit seines Gegners die Oberhand. Das Vieh schrie markerschütternd. Als Lilli rücklings über das Treppengeländer flog, konnte sie gerade noch erkennen, wie die zwei Ordensmitglieder einen Kugelhagel auf Valentin niederprasseln ließen, bevor auch sie es mit dem Leben bezahlten. Stark blutend ging der blonde Vampir in die Knie. Er sah nicht aus, als könne er die nächste Zeit mehr unternehmen, als unbeweglich dazuliegen um die Wunden heilen zu lassen. Wenn sie denn die Chance bekamen zu heilen. Weitere Ordensmitglieder passierten bereits den Gang auf ihn zu.

Im Fallen noch, streckte Lilemour ihre Hand nach Ilias aus. Sie konnte ihn nicht sehen, das Vieh war noch immer da. Ihre Chance hatte sie zuvor verstreichen lassen.
 

"Einen Tomatensaft bitte."

"Aber gerne. Hier bitte schön."

"Danke" ,sagte Emilie freundlich der topp gestylten Stewardess, die ihren Job gut machte und noch freundlicher zurücknickte. Das tat sie schon etwa dreißig Reihen lang drei Mal pro Reihe. Obwohl ihr sicher nicht entgangen war, dass sie noch mindestens genauso viel vor sich hatte. Emilie wusste, dass sie nie in einem Flugzeug arbeiten wollte. Es war 23 Uhr Abends.

"Wusstest du, dass Tomatensäfte für den normalen Gebrauch kaum nachgefragt werden, in Flugzeugen aber zu den Lieblingsgetränken der Gäste zählen?" Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete Toni Emilies dickflüssigen Saft. Er schwappte auf Grund leichter Turbulenzen hin und her. Sie seufzte, "Toni, je mehr ich darüber nachdenke, desto seltsamer erscheint mir die Bitte des Ordens. Weshalb sollte ich mehr Glück dabei haben Lilli zurückzuholen, als sie selbst mit ihren Wegen und Mitteln? Weshalb glauben sie, dass Lilli nicht von selbst zurück möchte? Weshalb um alles in der Welt sind sie der Meinung, sie stecke mit Ilias unter einer Decke? Und wenn es gegen all meine Überzeugungen denn so wäre, wie sollte gerade ich eingreifen können?"

"Darauf habe ich nur eins zu sagen" ,erwiderte Antonio, "bei dem Geruch dieses Flugzeug Fertigessens, wird mir schlecht."

Emilie boxte ihn in die Seite, worauf ihr linker Nebensitzer lächelnd etwas von "was sich liebt das neckt sich" und "die Kotztüten stecken in der Tasche im Vordersitz" brabbelte.

"Ich meine ja nur" ,flüsterte Emi ihrem vampirischen Freund nun zu, "dass wir möglicherweise Schwierigkeiten entgegenfliegen."

"Darauf kannst du wetten" ,nickte Toni, der sich ein Taschentuch an die Nase drückte um den unliebsamen Geruch so gut es ging zu verbannen. "Deinen Ordensvorsitzenden habe ich nie getraut. Am wenigsten diesem Evgeni. Der ist doch voll Panne. N' ganz krasser Choleriker."

"Du hast sie kein einziges Mal gesehen, Toni, geschweige denn mit ihnen gesprochen" ,erinnerte Emi ihn kopfschüttelnd, während sie den Tomatensaft in ihrer Hand fixierte. Der Vampir zuckte mit den Schultern, "jahrelang habe ich deinen sehr ausführlichen Schimpftiraden lauschen dürfen. Da wäre es ja eine Schande nichts davon mitgenommen zu haben. Roberta strickt immerzu und versucht zwischen der linken und rechten Schlaufe Evgeni an der Leine zu halten. Jean-Luc, Franzose und stolz darauf, unterhält eine Romanze mit der steinalten, vergesslichen Trudlinde und Garreth ist sowieso strange. Eine verschüchtert- verklemmte Führungsperson. Emi, ich denke es wird gleich eine total lahme Hähnchenkeule mit matschigem Kartoffelsalat und Butterbrötchen geben."

"Wir haben jetzt die Hälfte der Flugzeit hinter uns" ,ertönte eine Computerstimme zuerst in russisch und dann in englisch aus den Lautsprechern. "Wir werden St. Petersburg in weniger als zwei Stunden erreichen. In Kürze wird das Bordpersonal Ihnen eine warme Mahlzeit reichen. Wir wünschen Ihnen weiterhin einen angenehmen Aufenthalt auf Ihrem Russian Airlines Flug. Dankeschön."

"Toni. Abgesehen davon, dass du denkst, du wüsstest was es gleich zu essen geben wird, denkst du auch, dass wir überhaupt etwas in Novgorod erreichen? Denkst du, wir bekommen Lilli und uns da wieder lebend raus?" Nachdenklich sah Emi in Tonis schmales Gesicht, mit den trotz Blässe unleugbar spanischen Zügen. Seine Herkunft konnte er nicht verbergen. Nur sein Alter. Er gab der Blonden ein paar spielerische Küsse und wuschelte durch ihre lockigen Haare. "Wir werden sehen was wir tun können. Und jetzt sei stark, es gibt essen."
 

Gegen all ihre Erwartungen, prallte Lilli nicht im unteren Stockwerk auf. So vergaß sie den kurzen Gedanken daran, welche Karriere ihr als Matschkunstwerk in einem Museum für neue Kunst hätte bevorstehen können. Möglicherweise hätte sie den Platz neben der Blutwand bekommen. Sie fühlte mehr als sie es sah, dass ihr Fall abgefangen wurde. Von jemandem, dessen Sprungkraft weit über die der Weltmeister im Hoch- und Weitsprung ging. Von jemandem, dessen Haut so kühl war wie ein Stück Fensterglas. Von jemandem, der ihren Hals noch im freien Fall hin und her wendete bis er zufrieden schien. Es war der asiatische Vampir, vor dessen Hunger Valentin sie kurz zuvor bewahrt hatte. Möglicherweise lernte man nie aus Zufall irgendwelche Personen kennen, später bekam man es auf irgendwelche Weisen wieder mit ihnen zu tun. Sie entführten einen.

"So sieht man sich wieder. Den großen Saal mit dem Büffet gefunden?" ,lachte Lilli ihn schwach an. Es wäre töricht gewesen auch nur einen Augenblick anzunehmen, dieser Typ hätte ihren vergleichsweise zerbrechlichen Körper vor dem harten Aufschlag bewahren wollen. Ihm fehlten nebenbei alle Ambitionen sich zu unterhalten, denn er steckte ihr einen Knebel in den Mund. "Sind wir beim Staffellauf?" ,hätte Lil ihn gerne gefragt, als er sie kurz nach dem federleichten Aufkommen auf einem Perserteppich, seinem eineiigen Zwilling übergab und im Tumult verschwand.

Lilemour hatte ein höchst ungutes Gefühl was die Absichten des Asiaten gegenüber Ilias und Valentin angehen mochten. Es gab keine zwei Seiten mehr die sich bekriegten, es musste sich eine Dritte gebildet haben. So viel konnte sich Lilli in ihrer misslichen Lage noch zusammenreimen.

"Zappel nicht, oder ich reiße dir deine Beine aus!" Und Lilli bekam einen Beweis dafür, dass Frauen mit Frauen wesentlich härter umgehen konnten, als Männer mit Frauen. Die schmale Zwillingsschwester des Asiaten zog sie nach dieser unappetitlichen Warnung unsanft hinter sich her. Sie hatte es ziemlich eilig. Wieder und wieder drehte sich Lilli im Rennen nach der Treppe um. In der Hoffnung mit einem Blick etwas über den Ausgang des Kampfes in Erfahrung bringen zu können. Kurze Zeit später wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. An der Stelle, an der das Vieh sie hinuntergestoßen hatte, erkannte sie schon die bleiche Gestalt des Asiaten, der etwas auf dem Boden vor ihm anstarrte. Valentin? Ilias?

Die Vamipirin zog sie eiskalt über eine weitere Leiche. Nur im vorbeigehen erkannte Lilli in dieser Unwana. Sichtbar im Kampf gestorben, wie sie es sicherlich bevorzugt hätte.
 

"Das wurde aber auch Zeit, verdammt!" Nur schwer konnte sich Lilli mit ihren schmerzenden Knochen und dunklen Befürchtungen von der Fragen-aufwerfenden Treppenszene wegreißen.

"Wieso hat es so lang gedauert?" ,zischte eine Lilli unbekannte Stimme.

"Weil er noch bei ihr war." Die Asiatin brachte es fertig, den Tonfall des Fremden an Schärfe noch zu überbieten, ehe auch sie wieder in den Schatten des Hauses verschwand. Der Fremde packte Lilli am Kragen, zog sie nach draußen und schleuderte sie in ein Auto. Dann legte er ihr eiskalte Handschellen um. Seine Sonnenbrille verdeckte den Großteil seines Gesichts, welches ohnehin nicht sonderlich ansehnlich schien.

"Ich denke nicht, dass ich dir beibringen muss wie man sich am Besten verhält, sofern man keine auf die Fresse will." Er hatte Recht. Wenn Superman nicht in der Nähe war, bekam der Widerstand leistende meistens eins auf die Rübe und sei es nur um die Sache dramatischer aussehen zu lassen. In ihrem Fall sah die Sache nicht nur dramatisch aus, sie war es. Unwillkürlich und genauso unwillentlich kam ihr ein Lied in den Sinn: ,Alles vorbei Tom Doolie, noch vor dem Morgenrot...' Wären sie in der Nähe einer Straße gewesen, wären einige Passanten nicht umhin gekommen zu sehen, wie ungern Lilli in dieses abgedunkelte Auto stieg. Stawrogins Anwesen hatte jedoch die Ausmaße eines hauptstädtischen Stadtparks und war weit entfernt von jeglichen öffentlichen Aufenthaltsräumen.

"Genieße die Ausfahrt, es könnte deine letzte sein" ,riet ihr der Fremde, kurz bevor er den Wagen anließ. ,...ist es vorbei, Tom Dooly, morgen da bist du tot.....' Lilli saß auf dem Rücksitz, der vom vorderen Teil des Autos mit einem Gitter abgetrennt war. Auf eine Ausfahrt, auf der man außer dunklem Glas nichts sah, hätte sie gern verzichtet. Waren sie in einem Leichenwagen? In ihrem? Zumindest dauerte die Fahrt nicht allzu lange.
 

Unwirsch zerrte der Typ Lilli auch schon wieder aus der Autotür, so dass sie ihm beinahe zu Füßen gefallen wäre. ,...keiner wird um dich weinen, Tom Dooly, auf deinem letzten Gang...' Er führte sie wortlos in ein unscheinbar wirkendes Haus, das allerdings allein auf weiter Flur stand. Lag wohl im ländlichen Teil der Stadt. Drinnen angekommen, nahmen sie ihr endlich die Handschellen ab und den ekelhaft feuchten Knebel aus dem Mund. Vorsichtig bewegte Lilli ihren Mund, um wieder ein Gefühl zu bekommen. Das Innere des Hauses strotze nur so vor viktorianischem Prunk. Es war gemütlich, wie Lilemour fand, und doch mit dem unheimlichen Glanz längst vergangener Zeiten behaftet.

"Ich kann's nicht glauben" ,wisperte Lilli bei dem Gedanken vor sich hin, "jetzt werde ich auch noch poetisch! ...Hinter den blauen Bergen, wartet ein kleines Haus, oh Tom Dooly, hinter den blauen Bergen, da bist du nie mehr zu Haus..."

"Wenn du deine Klappe nicht hältst" ,drohte der Fremde mit dem ausgezeichneten Gehör, "dann besorge ich dir blaue Berge. Auf deiner Haut!"

Er führte sie in einen Wohnraum, dessen einzige Beleuchtung ein paar weit heruntergebrannte Kerzen darstellten. Sie merkte nicht, wie sich der unfreundliche Geselle zurückzog. Nur, dass sie plötzlich allein war.

"Oh Tom Dooly, nie wieder mehr im Leben, siehst du das Sonnenlicht, Gnade die kann's nicht geben, Gnade die gibt es nicht..."

"Ja, da kann ich ihn verstehen. Es gab Zeiten, da dachte ich nicht viel anders."

Etwas strich um Lillis Beine und es sprach offenbar mit ihr. Sie zwang sich an ihr hinunter zu sehen und entdeckte eine schneeweiße Katze, die sie aus wachsamen Augen fragend ansah.

"Sie wird gern gestreichelt" ,sagte der Mann, der auf einmal in einem dunkelgrünen Samtsessel ganz in der Nähe saß. Sie hätte schwören können, dass er vorher noch nicht da gewesen war.

"Wer war dieser Tom Dooly? Ein Freund?" Lilli war natürlich auf der Stelle klar, wem sie die Ehre hatte gegenüber zu stehen. Zu viele Beschreibungen von ihm durch Ilias und Valentin waren ihr schon zu Ohren gekommen. Seine Augen waren wirklich blassrot.

"Herr Oktavian" ,flüsterte sie mit einer Mischung aus Entsetzen, Ehrfurcht und Verwunderung. Er war tatsächlich hier. Hier in Russland. Sie war dazu verdammt, den ganzen namhaften Vampirclan kennen zu lernen.
 

"Ich wünschte, unsere Bekanntschaft hätte unter anderen Bedingungen stattgefunden, Frau Lilemour." Das wünschte sie sich allerdings auch. Trotz seinen blinden Augen, die unverwandt und leer in ihre Richtung blickten, hatte Lilli das Gefühl, dass er sie sah. Sie zumindest, sah ein Gespenst. Seine langen, fast durchscheinend weißen Haare, flossen einem Sturzbach gleich über seinen Oberkörper, den Sessel, bis fast auf den weichen Teppich. Auch sein Outfit schien freilich wie aus einem uralten Gemälde entsprungen. Das Gesicht sichtlich unmenschlicher als alles was sie bisher gesehen hatte. Ilias und Valentin hielten dagegen dem Vergleich mit sonnengebräunten Windsurfern aus Mittelamerika stand.

"Ich verstehe" ,sah Lilli ein, "Oktavian ist also ihr Vorname, hätte ich auch selbst drauf kommen können. Wie ist Ihr Nachname also dann?"

"Es will mir im Moment nicht einfallen, welchen ich gerade verwende. Er ist neu. Nennen Sie mich doch bitte bei meinem Vornamen. Den habe ich lange genug um mich daran erinnern zu können." Obgleich er deutlich sprach, schienen sich seine Lippen kaum zu bewegen. Außer den Augenlidern bewegte sich genaugenommen überhaupt nichts an ihm.

Gerne hätte sie ihn zur Schnecke gemacht. Ihn zur Rede gestellt, weshalb man sie unfreiwillig und äußerst grob hier her geschleppt hatte. Warum er so ruhig hier saß, während man seine Genossen in Stawrogins Haus überfiel. Und doch brachte sie nicht ein einziges, anklagendes Wort über die Lippen. Die Katze verließ sie, auf Grund mangelnder Aufmerksamkeit für ihre hocherhabene Person. Leichtfüßig sprang sie auf Oktavians Schoß und fing zu schnurren an, als er sie mit seinen glasigen Fingernägeln zu streicheln begann. Er deutete beiläufig auf den Boden, worauf sich Lilli wie von fremder Hand getrieben hinsetzte. Nun war sie doch noch vor jemandes Füßen gelandet. ,...Willst du noch etwas sagen, Tom Dooly, bald ist der Tag erwacht. Hörst du die Turmuhr schlagen, das ist die letzte Nacht...'
 

Schmerz fuhr beim Hinsitzen in ihre Glieder. Die dritte Rippe von oben tat gemein weh, aber gebrochen konnte sie nicht sein, höchstens verstaucht. Das galt auch für ihren Oberarm und ihr Schlüsselbein. Brutales Vieh!

"Ich halte nicht besonders viel von Geheimnistuerei" ,fing Oktavian ruhig an, wobei seine Worte vom Schnurren der Katze untermalt wurden. "Darum werde ich hier und jetzt all deine Fragen im Keim ersticken."

Lilli nickte leise. Sie wusste, dass der Vampir es merken würde. Sie wusste aber auch, dass sie Fragen in Bezug auf Ilias hatte, die er ihr niemals würde beantworten können.

"Du bist hier, weil es von Vorteil wäre Ilias an meiner Seite zu haben" ,fuhr er tatsächlich fort. "Ganz an meiner Seite. Entweder das, oder ich muss seine vollständige Vernichtung veranlassen. Ich kann Rebellen nicht gebrauchen solange sich ihre Aktionen gegen mich richten und ich nehme an, das würden sie. Sobald ihm klar wird, was ich mir in meiner vielen freien Zeit so ausgedacht habe." Er hielt nicht inne zu erzählen, als einige Bedienstete hereinkamen und Stück für Stück ein ganzes Menü von Köstlichkeiten auf dem Tisch ausbreiteten. So wie sie gekleidet waren, hätten sie sofort einen Job am Hofe des spanischen Königs bekommen. Des spanischen Königs von 1650.
 

"Ich lasse dich frei heraus wissen, dass ich es beabsichtige, meinen Einfluss auf Mensch und Vampir gleichermaßen erheblich zu steigern. Hier und überall auf der verkommenden Welt, die all ihre Mysterien und Wunder in der Wissenschaft erstickt hat. Bis auf uns."

Lilli verstand das schon. Sie hatte auch Geschichtsbücher gewälzt und Texte über die Wiederverzauberung und Entrationalisierung der industrialisierten Gesellschaft gelesen. Sie kannte aber auch die weißen Labormäuse "Pinki und Brain". Um es in Brains Worten zu sagen: er wollte die Weltherrschaft an sich reißen. Oder wenigstens etwas, das dem nahe kam. Seltsamerweise überraschte sie das wenig, Vampire neigten nicht eben zu Bescheidenheit. Da spielte es wohl keine Rolle wie alt sie werden mussten.

"Alle alten Bande müssen vernichtet werden." Oktavian machte eine galante Kopf ab Bewegung. "Damit neue errichtet werden können. Für den Pakt ist kein Platz in meinen Plänen. Er wird bald nicht mehr existieren, Ilias hat wie erwartet gute Leistungen erbracht. Findest du nicht auch, dass er alles was er tut sehr überzeugend durchführt?"

Lilli fand das auch.

"Unglücklicherweise nur, wird er sich mir sowenig unterwerfen wie den Bedingungen des Paktes und das macht mir ein bisschen Sorgen." Der weißhaarige Vampir sah nicht im Mindesten so aus, als würde ihm noch irgendetwas auf dieser Welt Sorgen machen können. Seiner Katze auch nicht. Oktavian machte den unheimlichen Versuch, Lilli ein aufmunterndes Lächeln zu schenken. Jedes einzelne Härchen an ihrem Körper stellte sich auf, während sie sich an das unhöfliche Skelett mit der Weinflasche auf dem Schrank im Film ,Das letzte Einhorn' erinnerte.
 

"Da reihtest du dich ganz vorzüglich in meine Überlegungen ein" ,eröffnete er ihr. "Vorzüglich und durchaus überraschend. Ilias hat nicht viel, das ihm etwas bedeutet. Er benutzte und entsorgte. Seit ich ihn kenne und ich kenne ihn lang. An dir scheint er jedoch zu hängen, auf eine sehr eindeutige Art und Weise. Das macht es mir zweifellos leichter, denn wem etwas wichtig ist, der geht dafür auch Kompromisse ein. Dein Leben hängt von unseren Verhandlungen ab. Falls mein zukünftiger Vertragspartner noch lebt..."

,Alles vorbei Tom Dooly....'

"...woran ich nicht zweifle. Du hast doch sicher Hunger?"

"Sie wollen ihre eigenen Leute verraten und unterdrücken?" ,brachte Lilemour schockiert heraus. Ihn schien das keinesfalls so zu erregen wie sie. "Ich sehe es nicht gerne auf diese Weise" ,antwortete er, "doch wird es wohl darauf hinauslaufen. Zu Beginn. Mach dir keine Sorgen, alles wird sich zu ihrem Besten wenden. Iß jetzt." Reue ließ sich in seinen Zügen vergebens suchen. Jeder Idealist glaubt, dass sein Weg des Beste ist. Die Toleranz anderer Meinungen gegenüber kommt dabei aber stets zu kurz. Wie eine Marionette stand Lilemour nach eben gehörtem, steinharten Tobak auf und wankte an den Tisch. Das Wort Hunger hatte sie aus ihrem Vokabular gestrichen und dennoch würde sie ihm die Haare vom Kopf fressen. Wenn sie Brain nur würde ansatzweise Unannehmlichkeiten bereiten können.

"Ich habe viel Geld" ,bemerkte Oktavian, "ich könnte dir die komplette mitteleuropäische Ernte anbieten."

Lilli griff nach einer Hähnchenkeule, kaute lustlos darauf herum und zwang sich, es zu schlucken. Sie musste essen, wenn sie das hier überleben wollte. Sie wollte unbedingt.

"Versuche die Kartoffeln dazu."

Es war wohl unsinnig sich zu überlegen wie Oktavian erkannt hatte, welches Gericht sie aus all den vor ihr stehenden Möglichkeiten gewählt hatte.

"Ich höre anderen gern beim Essen zu" ,erklärte er, worauf Lilli sich bemühte leiser zu kauen als ein Tier, das etwas Verbotenes zwischen den Kiefern hatte und seine Entdeckung befürchtete. Sie gab es aber auf, nachdem Oktavian ihr geraten hatte den Rosenkohl, den sie im Mund hatte, mit einem Stück Kalbsfleisch zu veredeln.
 

Während ihres heruntergewürgten Mahls, hatte Lilemour Zeit gehabt zu überlegen. Wenn sich ihre Gedanken auch im Kreis drehten. Oktavian war praktisch nicht anwesend, obwohl er natürlich immer noch still da saß und seine Katze in gleichmäßigem Rhythmus streichelte. Fein, nun hatte Oktavian Ilias also dazu benutzt den Pakt zu brechen, der nach dem letzten Stand jedoch noch existierte. Obgleich sich durch das Geschehnis in Stawrogins Anwesen alles geändert haben könnte. Sie konnte es nicht wissen, war sie vor dem Ausgang des Kampfes doch hierher ,eingeladen' worden. Die Frage war bloß, wie dieser verrückte Albino es schaffen wollte, den Vampiren wie den Menschen seinen Willen aufzudrücken. Einige Mitstreiter hatte er und unter ihnen das Vieh sowie die asiatischen Zwillinge. Trotzdem, das war nicht genug. Sie musste es herausfinden. Schließlich hielt er nichts von Geheimnistuerei. Es kostete das Mädchen einige Überwindung Brain und sein Haustier anzusprechen.

"Wie....." ,begann Lilemour doch, wurde aber unterbrochen.

"Mit mir." Ihr Glas mit dem Mineralwasser fiel auf den Boden, als sich Lilli ruckartig zur Tür dehte. Sofort hatte sie die neue Stimme im Raum erkannt. Man schien ihr die Luft zu rauben, augenblicklich wurde ihr schwindelig. Das konnte nicht sein, sie musste sich einfach irren. Doch auch als sie die Augen schloss und wieder öffnete, war es noch dasselbe Bild.

"Nein." Verzweifelt krallte sie ihre Hände in die Stuhllehne. Die letzten Ereignisse wurden auf der Stelle plausibler. Es gab nicht nur einen Verräter, auf nicht nur einer Seite.

"Doch, doch. Ich bin es."
 

Fortsetzung folgt!

Verrat

Ich zitiere mich:

„Wie immer werde ich mich zumindest bemühen schneller zu schreiben!!“ <-- das hat nicht funktioniert
 

„Ich werde jetzt nicht schreiben, dass ich mich bemühe bald ein neues Kapitel hochzuladen. Nein, ich werde dazu überhaupt nichts sagen und wer weiß, vielleicht bin ich dann auf diese Weise schneller (ein Versuch ist's wert).“ <-- das auch nicht
 

Deshalb bestrafe ich mich selbst, indem ich jetzt (22.16 Uhr, 4. Juli!) an der Fortsetzung dieser FF schreibe. Ja, es läuft Fußball, Deutschland gegen Italien.

Na gut, ich ertrage es nicht zuzusehen (;_;). Es ist derart nervenaufreibend (besonders nach dem Frings Skandal), dass ich.... es einfach nicht kann.

So viel dazu. Jetzt zu etwas viel wichtigerem als Fußball^^ Eure Kommentare. Mensch, dass ich nach so langer Pause noch welche bekomme (Sniff!).

Ich wurde des öfteren darauf hingewiesen, schon sein einem guten viertel Jahr nichts mehr hochgeladen zu haben. Und genau so was brauche ich! Leute die mir ständig im Nacken liegen, nur weiter so!!!!!!

Denn ich habe natürlich nicht vor die Geschichte versumpfen zu lassen, zumal so viele Kapitel nicht mehr folgen werden. Habe diesmal auch wieder schön viel getippt und freue mich wie immer über euer anspornendes Urteil :)
 

An dieser Stelle wird es auch einmal wieder Zeit mich namentlich bei den Kommentarschreibern des letzten Kapitels zu bedanken. Nämlich, crm, crm,

Mystery -Vampire, Playa, Cinamon, Jaenelle, Krylia, Kendra, il_gelato, fiZi, Endellion und alle, die sonst noch so mitlesen natürlich (falls es da noch welche gibt ;)

Ein herzliches Willkommen im vampirischen Reigen an dat_vege, iara-san und Chiyo!

Vielen, vielen Dank für eure lieben Kommentare!
 

So viel habe ich schon lange nicht mehr ins Vorwort gebracht. Na ja, das Fußballspiel geht ja auch noch mindestens zehn Minuten ohne Verlängerung. ;p Deutschland vor! :)
 

Viel Spaß nun beim Lesen und einen Haufen Grüße,

Fany

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P.S.: hier noch einmal den abschließenden Absatz des letzten Kapitels
 

Die Frage war bloß, wie dieser verrückte Albino Oktavian es schaffen wollte, den Vampiren wie den Menschen seinen Willen aufzudrücken. Einige Mitstreiter hatte er und unter ihnen das Vieh sowie die asiatischen Zwillinge. Trotzdem, das war nicht genug. Lilli musste es herausfinden. Schließlich hielt er nichts von Geheimnistuerei. Es kostete das Mädchen einige Überwindung ihn und sein Haustier anzusprechen.

„Wie.....“ ,begann Lilemour, wurde aber unterbrochen.

„Mit mir.“ Ihr Glas mit dem Mineralwasser fiel auf den Boden, als sich Lilli ruckartig zur Tür drehte. Sofort hatte sie die neue Stimme im Raum erkannt. Man schien ihr die Luft zu rauben, augenblicklich wurde ihr schwindelig. Das konnte nicht sein, sie musste sich einfach irren. Doch auch als sie die Augen schloss und wieder öffnete, war es noch dasselbe Bild.

„Nein.“ Verzweifelt krallte sie ihre Hände in die Stuhllehne. Die letzten Ereignisse wurden auf der Stelle plausibler. Es gab nicht nur einen Verräter, auf nicht nur einer Seite.

„Doch, doch. Ich bin es."

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Vielleicht hätte sie doch nichts essen sollen. Lilli hatte den Verdacht auf eine eben vertilgte, jetzt aber rückwärts strebende Hähnchenkeule.

„Roberta“ ,stieß sie fassungslos aus. „Das ist doch nicht wahr, oder? Sag dass es nicht wahr ist!“ Das dickliche, stets vernünftige und strickende Oberhaupt des Escapatischen Ordens trat vollends durch die Tür. Mitleidsvoll schüttelte Roberta langsam den Kopf. „Aufforderungen wie diese sind flüssiger als Wasser. Überflüssig. Du weißt sehr wohl dass es die Wahrheit ist, auch wenn sie dir im ersten Moment bitter erscheinen mag.“

Bitter? Die Wahrheit war jenseits von erträglich und keineswegs annehmbar! Jedes einzelne Mitglied des Ordens wurde scharfen, sich stets wiederholenden Untersuchungen ob ihrer Treue und Verlässlichkeit gegenüber der Gemeinschaft unterzogen. Das betraf Leute wie Lilemour, als wie auch die Obrigkeit des Ordens, und gerade diese. Trugen sie doch das Schicksal der anderen auf ihren Schultern. Roberta war seit Lilli zurückdenken konnte mit dabei gewesen. Sie hatte einen Treue Eid abgelegt. Genauso wie Jean-Luc, Trudlinde, Garreth und Evgeni. Alles in Lillis Innerem widerstrebte zu glauben, was doch ersichtlich war. Roberta war es gewesen, deren weise Worte so oft die Sorgen der Mitglieder gelindert hatten. Auch Lilemours schon. Deren Ruhe und Besonnenheit sich selbst der aufbrausende Evgeni nicht entziehen konnte. Sie war freundlich, ehrlich, vertrauensvoll und nicht ersetzbar gewesen. Und kein Verräter. Das passte nicht zu ihr, das passte nicht in die Logik, es passte nirgendwo hin!
 

„Grüß dich Oktavian“ ,lächelte Roberta dem Vampir zu, der sie mit einem äußerst verhaltenen Kopfnicken empfing. Mit einer Selbstverständlichkeit, bei der Lilli die Kinnlade herunterklappte, drückte sie das vermeintlich aus Glas bestehende Gesicht des regungslos sitzenden Oktavian an ihre monströse Oberweite. Oktavians weiße Katze miaute beleidigt, als sich Robertas umfangreicher Bauch gegen sie schob. Sie sprang vom Schoß ihres Besitzers und strich erneut zum Streicheln motivierend um Lillis Beine. Die Hähnchenkeule war jetzt am Anfang ihres Halses angelangt und kletterte hobbymäßig mit Seil und Pickel ihre Speiseröhre herauf.

„Das ist für dich, Oktavian!“ Geschäftig wühlte Roberta in ihrer großen, aus dunkelrotem Krokodilsleder bestehenden Tasche. Sie zog einen langen, schwarzen Schal daraus hervor. Gefolgt von einer gleichfarbigen Mütze und zwei Fäustlingen. „Habe ich für dich gemacht“ ,sagte sie und drückte ihm die gestrickte, winterliche Ausstaffierung in die Hände. Wenn die Hähnchenkeule nicht schon in der Nähe ihres Kehlkopfes gewesen wäre, hätte sich Lilemour bei dem Gedanken eines bemützten Oktavian vor Lachen vom Stuhl fallen lassen. Doch saß sie wie versteinert da und verfolgte das Geschehen kommentarlos. Was hätte sie dazu auch sagen sollen? ‚Roberta, schäm dich was, du hast den Orden hintergangen, gelogen und betrogen’?

Oktavian bedankte sich nicht, doch das war Roberta gewohnt. Gut gelaunt nahm sie sich eine Banane vom Tisch und begann, sie summend zu schälen.

„Hätte nicht gedacht, dass du dich tatsächlich mit Ilias verbündet hast, Lilemour“ ,warf sie zwischen zwei Bissen ein. „Nachdem du den Orden verlassen hast, habe ich ernsthaft mit deinem Ableben gerechnet. Aber wie Oktavian schon sagte, du wirst uns eine große Hilfe im Bezug auf Ilias sein können.“

„Was hast du mit den anderen gemacht?“ Mühsam hielt Lilli die Hähnchenkeule zurück. Sie wusste, wenn Roberta ihr in diesem Moment heimtückische Morde gestand, würde sie sich über ihren breiten Füßen erbrechen.
 

„Oh, die. Die Nachricht des Überfalls auf Stawrogin durch das russische Pendant zu unserem Orden wird sie bald erreichen. Wir boten ihnen selbstverständlich an, sich Oktavian anzuschließen. Hm, ich werde ihre entgleisten Gesichter noch vor meinen Augen sehen, wenn die Sonne erlischt und den Planeten in ewige Dunkelheit hüllt. Ich glaube, Trudi war einem Herzinfarkt nahe. Nun ja, noch ist unser Geniestreich ganz in ihrem Sinne wie du dir vorstellen kannst. Seit Wochen zermartern sie sich das Hirn darüber, wie man die nicht vorhandene Übermacht des Ordens den Vampiren wirkungsvoll demonstrieren könnte.“ Sie legte die Bananenschale auf ein Tablett, welches ein Diener lautlos hereingetragen hatte. „Eine Aktion wie diese wäre niemals in unserem Möglichkeitsbereich gelegen, hätte ich nicht die Unterstützung Oktavians gehabt. Oder besser gesagt, er meine.“ Ein sehnsuchtsvoller Blick, der Lilli nicht entging, streifte den Vampir. „Darf ich?“ Auf Oktavians ausbleibende Proteste hin, holte Roberta tief Luft.

„Der Orden ist schwach und ist es immer gewesen. Oktavian hat Recht, es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, ehe alle es erkannt hätten. Man kann einige Menschen alle Zeit und alle Menschen einige Zeit zum Narren halten, aber nicht alle Menschen alle Zeit. Das gilt auch für solche, die ihre Menschseins Phase bereits hinter sich haben. Doch Oktavians Pläne könnten vielversprechender nicht sein. Mit Hilfe von Unwanas aufopferungsvollem Durchsetzungsvermögen war es uns möglich, den ganzen hier in Russland gelegenen Orden auf unsere Seite zu ziehen. Einer rebellischen Minderheit blieb keine andere Wahl. Mit ihm wird sich Oktavian alle noch existierenden Vampire unterstellen können. Er und die Vampire, die sich bereits auf seine Seite schlugen, kennen die Schwachstellen ihrer Artgenossen verständlicherweise besser als sonst jemand. Unsere Ordensmitglieder brauchen nur zu handeln. Beide zusammen halten wir die Untoten in Schach. Mit der Befehlsgewalt über die vorstellbar mächtigsten Wesen der Erde, wird uns die Menschheit in einer Popcornschachtel dazuserviert. Denn sie wären chancenlos, ganz gleich wie viel Militärgeschick sie aufbringen würden. Keine Bombe trifft einen lautlosen Schatten mit der übernatürlichen Schnelligkeit eines Augenzwinkerns. Der Angriff auf Stawrogins Anwesen und der dort Versammelten war der erste schritt in Richtung neue Ära. Da ist der Pakt vollkommen nutzlos, auch wenn die andere Hälfte des Ordens um Trudlinde und Co. noch besteht und sich an ihm festklammert. Sie werden ihn nicht mehr lange aufrecht erhalten können.“
 

Die Hähnchenkeule machte es Lilli unnötig schwer Roberta zu folgen und doch war sie nach einigen Minuten des schweigsamen auf den Tisch Starrens voll im Bilde. Nur mühsam verbarg sie ihre Erleichterung darüber, die anderen Ordensvorsitzenden unter den Lebenden zu wissen. Nicht nur das. Sie hatten es geschafft, die Mitglieder von Lillis Heimatordenshaus in Messkirch trotz dieses unglaublichen Komplottes zu halten. Obgleich man zugeben musste, dass Oktavian mit Robertas Hälfte die eindeutig erstrebenswertere Ausgangsposition inne hatte. Fürsorglich legte Roberta den dunklen Schal als stechenden Kontrast um den bleichen Hals des Toten. Lilli fühlte, die Frau war im Grunde ihres Herzens die geblieben, für die Lil sie stets gehalten hatte. Sie würde die Hand dafür ins Feuer legen, dass Roberta immer nur das Beste für den Orden im Sinn gehabt hatte. Bis zu dem Tage, an dem sie dieses weißhaarige Monster getroffen haben musste. Roberta liebte Oktavian, obschon sie wissen musste, wie einseitig diese starken Gefühle waren. Lilli verdrängte den Gedanken daran, wie Oktavian das Ordensoberhaupt vielleicht Tag für Tag mit seinen übernatürlich überzeugenden Fähigkeiten neu an ihn band und den längst gedrehten Strick jedes Mal mächtiger und unzerreißbarer werden ließ. Wenn er sie dann nicht mehr benötigte, würde er nicht nur das Winterset loswerden...Die Hähnchenkeule war so gut wie auf der Zunge.
 

Stimmen wurden lauter. Gequält schloss Lilemour die Augen, als sie in nur wenigen Sekunden das Organ des englisch Sprechenden erkannte. Abgespannt erzählte Valentin einem ihr noch Unbekannten, dass jemand anderes vernichtet worden war. Es fiel kein Namen und Lilli wünschte sich mit letzter Kraft, es möge so bleiben. Viel mehr würde sie nicht ertragen können, ohne nicht sofort einen Psychologen aufsuchen zu müssen. Zumindest fühlte sie sich so. Der blonde Vampir, ewiger Gegenspieler Ilias’, betrat den Raum. Mit grausamer Genugtuung stellte Lilemour fest, dass er wirklich lädiert aussah. Seine an manchen Stellen blutdurchtränkte Kleidung war nicht einmal mehr gut genug um als Putzlumpen verwendet zu werden. Die Haare hingen ihm wie Sauerkraut am Kopf herunter und dort wo sein linkes Auge war, begegnete man einer leeren, dunklen, blutverkrusteten Höhle. Wütend starrte er Lilli an. Sie vergaß sich zu übergeben, als Garreth sich hinter Valentin aus der Tür schob. Dem schmalen, stets einen scheuen Eindruck machenden Iren war nichts aus dem Gesicht abzulesen.

„Nicht auch noch Sie!“ Dem Orden treu geblieben waren also nur noch Jean-Luc, Trudlinde und Evgeni. Lilli konnte auf die Beweggründe des Verrates dieses Oberhauptes gut und gern verzichten. Womöglich war Garreth vom anderen Ufer und Oktavian strahlte auf ihn dieselbe Anziehungskraft wie auf Roberta aus. Allerdings registrierte Lilli die abweisende Haltung des Iren zum immer noch ruhig auf dem Sessel sitzenden Oktavian. Er mied die eigentlich nicht vorhandenen Blicke des Vampirs wo er nur konnte und machte den größtmöglichen Bogen um ihn. Auch Lilli beachtete er nicht.
 

„Wie konnte das passieren?“ ,wollte Garreth mit seiner dünnen Stimme wissen, die sie schon früher nur so selten gehört hatten. Er sprach noch immer in Englisch. Valentin, der sich offenbar auf den Schlips getreten fühlte, antwortete auf einem halsbrecherisch schnellen Französisch.

„Wie wohl, Sie überschlaues Menschlein? Sie möchte ich sehen, wenn Ilias Ihnen entgegentritt. Ich habe euch von vorne herein gesagt, dass ein einzelner, versabberter wilder Vampir nicht das Geringste wird ausrichten können! Guter Rat ist teuer, aber geschenkt will ihn dann doch niemand. Ich habe euch gewarnt ihn nicht zu unterschätzen!“

Lilli fiel ein gigantischer Stein vom Herzen und sie hoffte, man möge den Aufprall im Raum nicht allzu gut hören.

„Ich kenne deinen Wunsch nach seiner Vernichtung“ ,schaltete sich Oktavian ein. Sobald er den Mund leicht geöffnet hatte, hatte sich eine erdrückende Stille über den Raum gelegt. „Doch weißt auch du, wie nützlich er uns noch sein kann. Nimm es als Reifeprüfung. Hätte der wilde Vampir Ilias’ Existenz ein endgültiges Ende setzen können, wäre er für mich nicht weiter von Bedeutung gewesen. Zu schwach. Jeder hier hat mit seinem Überleben gerechnet, es handelte sich lediglich um eine Art unnötige Bestätigung. Abgesehen davon begann die ungehaltene, streng reichende wilde Abart von uns immer häufiger, sich mir zu widersetzen. Ein störender Charakterzug dieser freiheitsliebenden Gattung. Die Zeit dafür ihn loszuwerden war gekommen. Gut.“

„Das hätte nicht unbedingt ausgeschlossen, dass diese hirnlosen Ordenstölpel genauer unterrichtet worden wären, wen sie hätten abschießen sollen und wen nicht“ ,kritisierte der durchlöcherte Valentin. Doch Oktavian zeigte nur wenig Mitleid: „Ich sagte schon, jeder muss auf sich selbst achten. Du warst wie mir scheint, zur falschen Zeit am falschen Ort.“

„Oder hätten dir Fingerhandschuhe besser gefallen?“ Mit gerunzelter Stirn betrachtete Roberta die Fäustlinge auf Oktavians Sessellehne. Der weißhaarige Vampir hob behäbig einen Spinnenfinger, worauf Valentin in einem der besagten Augenzwinkern neben Lilli stand und sie unsanft von ihrem Platz zog. In einem erbarmungslosen Griff schleppte er sie zur Türe.
 

„Ich wünsche euch, dass man euch einmauert! Allein, verlassen und...und essen sollt ihr auch nur noch alle vier Tage bekommen. Jeden Morgen und Abend soll man euch zwei Stunden lang in gleichbleibendem Rhythmus Wassertropfen auf den Kopf fallen lassen. Bis ihr wahnsinnig werdet! Ansonsten Daumenschrauben und Streckbank! Den grausamsten Tod für euch!“ schrie Lilemour aus die versammelte Verräterfraktion an. Sich wohl bewusst wie wenig ihnen ihr sinnloses Gebrüll imponierte.

Valentin hielt ihr den Mund zu, beschmierte sie dabei mit dem Ärmel voll feuchtem Blut und führte sie in einen dunklen Gang. Jede ihrer Bewegungen unterband er auf der Stelle mit reichlich übertriebener Brutalität. So erreichten sie ein abgelegenes Zimmer, zu dem sie unzählbar viele Treppen und Flure passiert hatten. Vor Wut und Enttäuschung über die unglückliche Entwicklung der Dinge, waren Lilli schon auf der dritten Treppe die Tränen in die Augen gestiegen. Oder weil Valentin ihr den rechten Arm auf den Rücken drehte, der ihr noch von dem Schlag des zwischenzeitlich in die ewigen Jagdgründe gereisten Viehs weh tat. Er drehte Lilli zu sich und sah sie mit dem verbliebenen Auge eindringlich an, als wolle er ihr etwas sagen. Dabei fiel ihr auf, dass er seinen über alles geliebten Ohrring verloren hatte. Angesichts seiner immerwährenden Treue zu Oktavian, über die sich Ilias bei mehr als einer Gelegenheit lustig gemacht hatte jedoch, war Lilli bar allen Mitleids. Sie verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.

„Sie tun mir leid“ ,zischte sie leise, aber deutlich, „denn Ilias hatte recht. Sie sind nichts weiter als eine kleine, unselbstständige, armselige Marionette an den Fäden eines ehrlosen, größenwahnsinnigen und deshalb genauso armseligen Stärkeren.“

Für einen kurzen Moment dachte sie, er würde ihr einfach den Kopf abreißen, sie verbuddeln und danach behaupten, sie wäre an einem Herzschlag gestorben. Weil sie die ganzen Informationen auf einem Haufen nicht hatte verkraften können. So abwegig war das auch nicht. Er sagte: „Du mieses, unwürdiges, schwaches, jämmerliches, verknalltes Saukind. Was fällt dir ein so mit einem dir Übergestellten zu sprechen?“

„Damit Sie’s wissen, ich bin weder etwas von alledem, noch betrachte ich Sie als einen mir Übergestellten. In keinster Weise!“ Ob sie verknallt war oder nicht, diese Antwort mochte sie Valentin nicht überlassen. Mutig hielt sie seinem Blick stand, ertrug heldenhaft den Anblick seines fehlenden Auges (es war das Grüne gewesen) und der blutverklebten Haare. Sie fragte sich unwillkürlich, ob er verletzt genug war, damit man ihn eventuell würde übermannen können. Denn eines war ja wohl klar. Vorteile konnte man sich nur verschaffen, indem Lilli weitergab, was sie hier gehört hatte. Dazu musste sie freilich zuerst entkommen.
 

Lieblos warf Valentin sie über die Türschwelle auf den kühlen Fliesenboden. Lilli konnte nicht einordnen ob sie sich Folgendes als Wunschdenken einbildete, oder ob es tatsächlich so war. Der Vampir stand leicht gebeugt da, die Wangen eingefallener als sonst, seine Hände zitterten unmerklich. Er hatte mit Sicherheit viel Blut verloren. Um herauszufinden wie angeschlagen er wirklich war, musste Lilli das Risiko eingehen. Nachdem er sie auf den Boden geworfen hatte, reagierte sie sofort. Bewegungslos blieb sie mit geschlossenen Augen liegen, so verdreht sie mit ihren gemarterten Knochen nur konnte. Angestrengt zwang sie sich, ihren Herzschlag auf ein Normalmaß zu reduzieren. Er musste ihr einfach abnehmen dass sie das Bewusstsein verloren hatte. Lilli zählte die Sekunden, die sich wie zähflüssiger Leim dahinschlichen. Kein einziger, hörbarer Laut drang bis zu ihr. Da spürte sie, wie der Vampir sie mit einer Marmorhand am Kinn packte und nach oben drehte. Seine Sinne waren tatsächlich ziemlich im Eimer. Auf diesen Moment hatte Lilli gewartet. So schnell es ihr möglich war, trat sie den vor ihr hockenden Valentin mit dem Knie in den Bauch (Plan A). Sie musste feststellen, dass nicht nur seine Hände Marmorqualitäten hatte. Er wich nicht einen Millimeter zurück. Als Lilli aufspringen wollte und ihn mit aller Kraft zur Seite schubste (Plan B), brachte sie ihn zu einem gehässigen Lachen. Das war bitter (Plan nicht durchführbar). Er drückte sein knochiges Knie darauf sehr viel wirkungsvoller in ihren ohnehin gereizten Magen, bis ihr die Luft wegblieb. Lautlos schreiend strampelte sie so gut es ging mit Beinen und Armen und kam sich dabei vor wie ein auf den Rücken gefallener Käfer. Über ihr brabbelte Valentin fröhlich in seiner Muttersprache vor sich hin. Das Problem war nur, sie verstand ihn nicht mehr. Gerade wollte ihm Lilli mit Handzeichen verständlich machen, dass sie an ihrem bald auftauchenden Erbrochenen ersticken würde, da ließ er gnädig ab von ihr. Wie betäubt blieb sie liegen.
 

„Das war ganz schön dämlich, gekreuzt mit viel dürftiger Körperkraft.“ Ein Wort noch und Lilli würde ihm trotz aller Chancenlosigkeit versuchen, eine zu knallen.

„Du bist ebenso ein Verräter wie die anderen“ ,beschuldigte sie ihn mit knirschenden Zähnen. Valentin strich sich über eine Augenbraue, die danach eine rötliche Färbung aufwies. „Wann habe ich je behauptet auf irgendeiner Seite zu stehen, oder gar auf der des ritterlichen Ilias? Manchmal bin ich sicher, dass er an Geschmacksverirrung leidet und manchmal denke ich, ich verstehe seinen Hang zu dir. Kann sein dass er versuchen wird mich dafür umzubringen, aber versuchen garantiert ja nicht gleichzeitig ein Gelingen, n’est pas?“

Rapide schlang er seine Arme um ihren Rücken, zog sie zu sich hoch und biss ihr rotzfrech in die Schulter. Er bemühte sich nicht, einen alles verherrlichenden Bann um sie zu legen. Ebenso wenig wie es Ilias getan hatte. Mit einem grundlegenden Unterschied. Valentin rief keinerlei echte positive Gefühle in ihr hervor, die sie Ilias zu Hauf entgegenbrachte. Geahnt hatte Lilli es lange schon, doch jetzt wurde ihr unumstößlich und endgültig klar, dass sie wie Roberta fühlte. Nur für einen anderen. „Du liebst mich abgöttisch“ ,hatte Ilias ihr orakelt,

„du kannst nicht entkommen, denn du willst nicht entkommen. Du möchtest hier bleiben, hier bei mir.“ Er hatte einwandfrei recht gehabt und das nahm Lilli einwandfrei mit. Wusste sie doch nicht, inwiefern ihre (reichlich selbstzerstörerischen ) Empfindungen erwidert wurden, oder ob überhaupt! Nun, zumindest schenkte Ilias ihr mehr Aufmerksamkeit, als sie Roberta von ihrer unentzündbaren Flamme zu Teil wurde. Andererseits würde eine Abweisung Lilemour dafür umso härter treffen. Es war ihr rundherum schleierhaft, wie sie nach all den unverschämt anmutenden Annäherungen von Ilias auf diesen reagieren sollte. Was meinte Valentin mit der Aussage, Ilias hätte einen Hang zu ihr? Einen Hang von welcher Sorte? Die Möglichkeit, dass er nicht mehr in ihr sah als eine vorübergehende Zeitvertreibung, war ungleich höher als das, was sie sich wünschte. Mit der Option Zeitvertreibung würde sie nicht leben können und die würde entweder eine ewige Trennung von Ilias oder aber ihren Tod zur Folge haben müssen. Wenn Valentin sie nicht noch hier und jetzt leerte wie ein Glas Wasser. Er zitterte vor Gier, während er ihren roten Lebenssaft in sich hineinsog. Seine Lippen waren kalt wie Eis. Die Wunde an Lilemours Schulter brannte nicht mehr, als er kurz mit seiner Zunge darüber fuhr. Es schien erneut, als wolle er etwas sagen, doch schließlich ließ er sie einfach los, ging wortlos hinaus und schloss die Tür hinter ihr ab. Mit schwabbeligen Beinen stand Lilli auf. Ihr war nicht einmal schwindelig, Valentin hatte sich offenbar sehr zurückgehalten. Man würde sie schließlich lebend brauchen. Noch.
 

„Das ist albern.“ Mit überschlagenen Beinen und einem Weinglas in der Hand, saß Ilias Stawrogin gegenüber auf einem der unbeschädigten Stühle. Es war Nacht geworden.

„Denkt Oktavian tatsächlich, ich würde ihm bei seinen unverfrorenen Hirngespinsten zu Diensten sein? Für das Leben eines Menschenmädchens? Lächerlich!“

„Ich will dich nicht in die Verlegenheit bringen, meine Infiziertentheorie wieder auszugraben“ ,sagte Stawrogin, „denn so abwegig ist seine Idee wahrlich nicht, wenn ich mir die Feststellung erlauben darf.“ Ilias stand auf, ungreifbar wie der Schatten der er war und schleuderte sein Glas in den prasselnden Kamin. Das Feuer loderte kurz auf, wie um sich für die neue Nahrung zu bedanken.

„Ich bitte dich. Hör endlich auf so geschwollen zu reden als wäre ich einer deiner internationalen Großkunden. Oktavian dieser Schleimfürst ist dabei uns alle zum Narren zu halten!“

„Bisher ist es ihm ausgezeichnet gelungen“ ,gab Stawrogin gelassen zu. Er sah auf die bis zur Unkenntlichkeit entstellte Leiche des wilden Vampirs, der versucht hatte Ilias zu töten. Pathologen hätten echte Schwierigkeiten ihn überhaupt noch der Gattung Mensch zuordnen zu können. Sie würden ihn jedoch nie zu Gesicht bekommen. Er hatte das Hauptstromkabel gekappt und damit den Angreifern den Eintritt in Stawrogins kleine Festung ermöglicht. Das Innere von Stawrogins Haus glich einem Trümmerhaufen. Bei Anbruch der Dunkelheit war es ihm relativ leicht gelungen die im Tumult entflohenen Diener zurück zu ordern, die sich seit Stunden mit den Aufräumarbeiten abmühten. Die Gardienen waren wieder aufgehängt oder gegebenenfalls ersetzt worden, die Böden waren gereinigt, die blutbespritzten Wände neu gestrichen. Nur die Teppiche machten einige Schwierigkeiten. Man würde sich neue aus Indien bestellen müssen. Ebenso, wie die Einrichtung neue Tische, Stühle, Sofas, ja sogar einen Kronleuchter benötigte.

Der Angriff der Ordensmitglieder hatte sich hauptsächlich in der großen Halle abgespielt, wo man sie überrascht hatte. Sowie im ersten Stock, in den sie durch mehrere Eingänge gedrungen waren. Sie hatten sich nicht getrennt, um alle Zimmer des Hauses nach Vampiren durchsuchen zu können. Das wäre ihr Tod gewesen. Die einzig halbwegs erfolgreiche Strategie bestand darin, in großen Gruppen anzugreifen und das war den Feinden bewusst gewesen. Nachdem sich die im Verhältnis wenigen anwesenden Vampire von dem zugegebenermaßen gelungenen Überraschungsangriff erholt hatten, war es ihnen schnell gelungen die Oberhand zu gewinnen. Aber auch das hatten sich die Ordensmitglieder ausmalen können. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Meisten von ihnen in ihre großen Allzweckwagen geflüchtet und waren feige durch das von Wolken überschattete Sonnenlicht davongefahren. Aber auch die anderen Vampire hatten sich allzu bald in unbekannte Gefilde zurückgezogen. Stawrogin und Ilias hatten vor dem Überfall kaum Zeit gehabt, ihnen den neuen Sachverhalt um den Orden darzulegen. Jetzt war die Versammlung im Chaos untergegangen und die Zukunft ungewiss. Selbst Stawrogin war sich unschlüssig darüber, wie die Vampire auf die Situation reagieren mochten. Ignoranz? Rückzug? Aggressivität?

Aus dem Kampf zurück blieben zwei Vampire, die durch die Ordensmitglieder ihr totes Leben lassen mussten. Eine ärgerliche Sache, wenngleich eine geringe Anzahl, die zehn toten Angreifern gegenüberstand. Stawrogin hatte sie verbrennen lassen. Unter ihnen ihre Führungsperson Unwana. Sie war Stawrogin lange schon ein Dorn im Auge gewesen. Hatte ihn beschatten lassen wo es ihr möglich war, hatte im Geheimen kontrolliert wer in seinem Anwesen aus und ein ging und war auch sonst eine unglaubliche Nervensäge gewesen. So war er nicht besonders unglücklich über ihr Schicksal. Nur über das seines nahezu unbezahlbaren, komplett zerschlissenen Mammutfells von einem Schamanen aus der Wüste Nevadas. Er würde ihm wieder einmal einen Besuch abstatten müssen. Wenn die Hitze dort nur nicht so unerträglich wäre.
 

Langsam rammte Ilias seine Faust in eine mehrfach von Kugeln durchbohrte Wand. Risse bildeten sich. Dann lachte er. „Weißt du was Goldkehlchen? Das war eine richtige Glanzleistung unseres guten Oktavian. Wer hätte das gedacht? Niemand, nicht einmal ich und das ist der Beweis seiner Genialität. Abgesehen davon, dass er sich einbildet ich würde mich von ihm erpressen lassen. Das ist verrückt. Die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn ist allerdings bekanntlich äußerst schmal. Genau dort wandelt er, man muss nur darauf warten auf welche Seite er driftet.“

Stawrogin sah auf seine mit Fresken verzierte Decke. „So viel Zeit wird dir nicht bleiben. Dein Mädchen ist ihm nichts wert. Sollte er merken wie wenig Ambitionen du hast um auf seine Forderung anzuspringen, wird sie die Bedeutung für ihn verlieren.“

„In Oktavian fand sich die Krönung aller Eremiten. Sogar ich unterhielt mich bis jetzt nur flüchtig mit ihm. Du redest als wärst du schon Jahrhunderte mir ihm befreundet und würdest die gesamte Spannbreite seiner Taktiken kennen.“

„Durchaus nicht“ ,konterte der Russe, „ich gehe von mir aus. Von mir und von dir und von den meisten unserer Sorte. Wir alle würden handeln wie er, um unsere gesteckten Ziele zu erreichen. Ist es nicht so?“ Fragend hob er eine Augenbraue, worauf Ilias lächelte. Er ging zum Fenster und beobachtete eine Eule, die unbeweglich auf ihrem Ast saß und die Augen nicht von einer Stelle am Boden nahm. Dann stieß sie zu. Die Feldmaus hatte keine Chance.

„Ebenso verhält es sich mein alter Freund. Genau darum ist Oktavian nicht der einzige mit Zielen, die er mit allen Mitteln zu erreichen gedenkt. Unglücklicherweise stoßen sich die unseren an einem bestimmten Punkt, der für mich unumgehbar ist.“

Stawrogin nickte. „Er wird nicht nachlässig sein und das Mädchen gut bewachen.“

„Ich werde mich niemandem unterwerfen und schon gar nicht ihm!“ Unter Ilias’ ruhiger Haltung erkannte Stawrogin dessen inneren Aufruhr, geboren aus Hass und einem Anflug von Besorgnis. Er vermied es strikt, seinen kleinen Menschen zu erwähnen. In Wahrheit jedoch, beinhaltete jede seiner Aussagen einen Gedanken an sie. Stawrogin hätte es nicht für möglich gehalten, noch eine neue Seite an Ilias kennen zu lernen. Er hatte sich nie auch nur die geringsten Gedanken um jemand anderes außer sich selbst gemacht. Tja, wo die Infektion eben ausbrach. Nur Stawrogins eigene Stärke und die alte Bekanntschaft zu Ilias bewahrte ihn vor einem sichtbaren Zurückweichen. Zornerfüllt verzog der Schwarzhaarige seinen Mund, so dass er für einen Augenblick viele menschliche Züge einbüßte. „Mein Einsatz war maßgeblich dafür, dass der Pakt mehr als nur zu schwanken begonnen hat. Oktavian hat mich benutzt. Der Pakt muss scheitern, ohne dass ein neuer entsteht, der den Alten an Unannehmlichkeiten noch übertrifft! Wie kann er es wagen mir auch nur den Vorschlag zu machen!“

„Du wirst in eine Falle laufen, wie du es auch drehst und wendest“ ,erläuterte Stawrogin, der einen Diener herbeiwinkte, um ihn eine Spinnwebe in der Fensterecke wegwischen zu lassen. Ilias’ Gesichtsausdruck nahm eindeutig an Monströsität zu. „Ich werde der Falle bewusst entgegengehen, sie zuschnappen lassen und doch überwinden. Er schränkt mich nicht ein. Abgesehen davon, haben wir noch einen Trumpf.“ Er hielt Valentins Ohrring mit seinen langen, schmalen Fingern hoch und betrachtete ihn. „Vergiss nicht, dass wir Oktavians Aufenthaltsort kennen. Sowie mehr Details seines Planes als ihm lieb sein kann. Wir werden sehen, wer sich als der bessere Verräter entpuppt.“
 

„Scheiße ist das groß! Was wollte er hier bauen? Ein Freiwildgehege für Elefanten, Nashörner und Nilpferde, verziert mit Giraffen, Zebras, Löwen und Hyänen?“

Toni überschattete seine Augen mit der Hand und blickte durch das immens hohe Gitter in die mit Bäumen und Sträuchern übersäte Weite von Stawrogins Anwesen. Nur undeutlich waren die Giebel vom Haus des erfolgreichen Unternehmers zu sehen. Emilie sah in der Dunkelheit nur den Boden zu ihren Füßen und Tonis Hemd, das mit schimmernden Neonstreifen durchzogen war. Sie zog ihn am Ärmel. „Der hat da drin bestimmt eine ganze Horde von blutrünstigen Wachhunden.“

„Nee“ ,entgegnete der Vampir, „keine. Selbst wenn es so wäre, mit denen könnte ich spielend leicht fertig werden. Eins auf Schnauze und gut is’.“

„Angeber.“

„Wieso, das ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit!“

Seufzend klammerte sich Emilie an den massiven Zaun. Sie hatte das Gefühl, dass sie von tausend und mehr Augen argwöhnisch beobachtet wurden. „Meinst du, der hat Überwachungskameras?“

„Ich seh’ keine.“ Angestrengt spähte Antonio in die Richtung des Hauses, „allerdings...“

„Allerdings?!“ Die Blonde schaute alarmiert auf, „was ist allerdings? Rück schon raus mit der Sprache!“

„Es scheint eine Auseinandersetzung gegeben zu haben.“ Toni blähte anschaulich seine Nasenflügel auf, „bei dem mehr als eine Hand voll Menschen blutig zu Tode gekommen ist. Mindestens auch ein Vampir.“

„Und was...was sagt dir das?“ ,wollte Emilie hart schluckend wissen.

„Dass ich Durst habe. Au! Ständig ziehst du mir eins über die Rübe. Sei froh dass du einen Deppen wie mich ausgegraben hast, der sich von seiner Frau verprügeln lässt. So einen findest du nie mehr! Hoffe ich.“

Die Situation war schon schwer genug ohne dass die Vampire um Lilemour offenbar durch Kämpfe aufgeheizt waren. Wie so oft in der letzten Zeit, verkrampfte sich Emilies Magen bei dem Gedanken an den möglichen Zustand ihrer besten Freundin. Es gab nicht den leisesten Hinweis auf ihr Befinden, ja man wusste noch nicht einmal, ob sie noch am Leben war. Doch daran glaubte Emilie felsenfest und diesen Glauben ließ sie sich von nichts und niemandem nehmen. Lilli war vielleicht nicht gerade quietschvergnügt, aber sie musste da drin sein! Lebend! Nachdenklich beobachtete Toni das Mienenspiel seiner Angebeteten. Er hätte Spanien nicht verlassen sollen, denn dann wäre er Emilie nicht begegnet und von ihr abhängig geworden. Und doch konnte er sich nichts anderes mehr vorstellen.

„Du würdest voll drauf stehen wenn ich mir jetzt die Hosen zurecht rücken würde, die Klingel am Tor betätigen würde und da drinnen mächtig auf die Pauke haue, stimmt’s?“

Emilie umarmte ihren misstrauisch dreinschauenden Freund. „Quatsch, ich weiß doch dass sie dich in wenigen Sekunden zu Sushi verarbeiten würden.“ Toni stieß einen unverständlichen, aber ziemlich aufgebrachten Ton aus. „Woah, krass!“ Er hielt sie zu tiefst beleidigt von sich weg. „Ich habe nicht nur eine Frau, die mich verprügelt, sie hält mich auch noch für ein Schrankkind! Mach deine Glubscher jetzt nur gut auf!“ Er rückte sich die Hose zurecht und ging mit großen Schritten auf das mit messerscharfen Spitzen versehene Haupttor zu. Kurz bevor er an der kleinen Klingel mit der Sprechanlage ankam, machte er jedoch kehrt. „Oder“ ,schlug er vor als er ihr wieder gegenüber stand, „lass uns noch mal genau festlegen was ich denen sagen soll. Das mit ‚rückt gefälligst Lilemour raus, oder ihr werdet um einen Satz heiße Ohren nicht umhinkommen’ finde ich irgendwie nicht so gediegen.“
 

Lilli fühlte sich unwohl, betrogen, angeknabbert wie ein Stück Fingerfood und auch sonst in der Klemme. Das Zimmer in das man sie verfrachtet hatte, glich nicht gerade einer Gefängniszelle, aber sie hätte wetten können, dass Dornröschens und Rapunzels Turm geschmackvoller eingerichtet gewesen war. Sie befand sich auch nicht in einem Turm, sondern in einem hoch gelegenen, halbrunden Erker. Es war ihr ein Bett, eine Kommode mit Spiegel darüber und ein Schrank gestellt worden, den sie nicht brauchte. Mehr als das, was Lilli am Leibe trug, besaß sie nicht mehr. Nicht hier und nicht anderswo. Die Bilanz des Tages war unübertrieben verheerend. Der Orden hatte den Orden betrogen und die Vampire die Vampire, alles hatte sich vermischt, Grenzen waren nicht länger vorhanden. Oktavian wollte die Welt beherrschen, indem er Vampire und Menschen gegeneinander ausspielte und in diesem Zuge beide Seiten mit Hilfe der anderen bedrohte. Zur Seite standen ihm Roberta, Garreth, Valentin, die asiatischen Zwillingsvampire und wer wusste wer sonst noch. Und Ilias? Wie mochte es ihm gehen? Würde er auf Oktavians Angebot eingehen? Ihretwegen? Wohl kaum. Seufzend ließ sie sich auf das Bett fallen. Es quietschte. Trotzdem war Lilli bald vor unglaublicher Erschöpfung eingeschlafen, dankbar dafür, dass die Hähnchenkeule den Berg nicht bis zum Ende erklommen hatte.
 

„Seltsam. Ich hätte nicht vermutet, dass er dich den unsicheren Bahnen eines normalen Schlafes überlässt. In diesem Fall hätte es auch schneller gehen können. Was hast du die ganze Zeit gemacht?“

Lilli zuckte zusammen. Aufrecht saß sie auf ihrem schwer protestierenden Bett. Nur wenige Meter vor ihr, stand Ilias. Ruhig wie eine Salzsäule.

„Ilias?“ Sie widerstand dem immensen, frevelhaften Drang, sich kopflos in seine Arme zu werfen. Wahrscheinlich heulend vor Erleichterung. Leise klatschte er in seine Hände, wobei die langen Nägel gegeneinander klackten. „Volltreffer.“ Er machte keine Anstalten sich ihr zu nähern, weshalb auch sie sich nicht bewegte.

„Wie bist du hierher gekommen?“ ,fragte sie endlich. Ilias schenkte ihr ein unwiderstehliches Lächeln, auf Grund dessen Lilli den Kopf senkte.

„Durch deine sehnsuchtsvollen Gedanken an mich natürlich.“

„Sehr witzig, ich mein’s ernst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du so einfach in Oktavians Sicherheitsbereich eindringen kannst. So doof kam er mit nicht vor.“

„Ich meine es nicht weniger ernst.“ Nun kam er doch auf sie zu. Lilli hielt die Luft an und wusste nicht wieso. Der Vampir berührte sie an der Stirn, doch sie fühlte nichts. Seine Hand ging durch sie hindurch.

„Oh Gott, du bist komplett tot! Ein Geist?!“

„Mit Nichten. Ich wartete bis du schliefst. Denn ich wusste, dass deine letzten wachen Gedanken bei mir sein würden. Das macht es mir möglich, in deinen Träumen zu erscheinen.“

Lilli ließ sich das durch ihren schlafenden Kopf gehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wollte unbedingt einen selbstbewussten Eindruck machen. Es fiel ihr schwer, sich noch über etwas zu wundern. Auch nicht über träumerische Vampirheimsuchungen. Äh, vampirheimgesuchte Träume.

„Ja, ich habe mir überlegt wie scharf du darauf sein wirst, dich unter Oktavians Scheffel stellen zu lassen. Hör jetzt gut zu, ich weiß was er vor hat, er..“

Ilias hob gebieterisch die Hand und sie verstummte.

„Ich weiß alles.“

„Woher?“

„Valentin.“ Er brachte den Namen noch immer nicht ohne eine gewisse Abneigung über die Lippen, aber wesentlich neutraler als gewöhnlich.
 

Lilli war verwirrt, ihre lädierte Schulter juckte. „Valentin? Aber er ist hier, er...er ist Oktavians Verbündeter, er hat...er war nicht besonders nett zu mir.“ Sonderbarerweise war sich Lilli nicht mehr so sicher ob es von Vorteil wäre, Ilias jetzt zu sagen, wie unnett Valentin im Genauen zu ihr gewesen war. Das Abbild des Schwarzhaarigen wusste darauf hin nichts Motivierenderes, als seine Hände ineinander zu verschränken und sie mitleidsvoll anzugrinsen. „Ach Herrje, das ist ja schlimm.“ Im Traum war er jedenfalls nicht liebenswürdiger als sonst.

„Fakt ist, Valentin scheint sich Angesichts der ihm unsympathischer werdenden Entwicklungen seines Schöpfers Oktavian, von jenem zu lösen. Ein Ding, das ich schon beinahe für unmöglich gehalten hatte. Er wird erwachsen und beginnt selbst zu denken.

Ende gut, alles gut, nicht wahr?“

„Willst du damit sagen, er ist auf unserer Seite?“ An diesem schicksalsschweren Tag, fiel ihr ein zweiter Brocken vom Herzen. Mindestens genauso groß wie der erste.

Gespielt überrascht sah Ilias sie an, „wir sind jetzt also auf einer Seite, du und ich? Welch fulminante Wandlung. Ja, er ist auf unserer Seite.“ Das Wort ‚unserer’ betonte er dermaßen, dass Lilli ernsthaft überlegte, ihn ihres Traumes zu verweisen.

„Wir sind dabei ein Vorhaben auszuarbeiten, mit dem wir Oktavian in seine Schranken weisen werden. Es wird nicht leicht, Oktavian ist uralt und nur leidlich zu durchschauen. Dennoch wird es effektiv sein. Alles woran ich mitwirke ist effektiv.“

Lilli dachte an den überragend auftretenden Albino Vampir, der an Unheimlichkeit alles bisher von ihr Gesehene in den Schatten stellte. Ebenso an zwei ihrer einstigen sogenannten Zieheltern. Da war sie sich trotz Ilias’ Optimismus nur wenig sicher.

„Wenn du schon alles weißt und ihr alles so super toll geplant habt, warum bist du dann hier? Nur um mir zu sagen, dass alles woran du mitwirkst effektiv ist?“

„Das und...“ ,er beugte sich zu ihr bis sich ihre Nasen fast berührten und es doch nicht konnten, „das und weil ich dich beruhigen wollte.“

„Das wäre damit ja dann erledigt. Danke.“ Sie ließ sich auf das Bett zurückfallen, erstaunt darüber, dass sich ihre Glieder im Traum so leicht lenken ließen. Auch der Vampir hatte seine Bewegungsabläufe voll unter Kontrolle. Er ließ sich zu ihr herabsinken. Seine nicht wirklich anwesende Erscheinung verschmolz bis auf einen Teil seines Oberkörpers mit ihrer.

„Nein“ gab er zum Besten, „ich wollte dir versichern, dass du keine Furcht zu hegen brauchst, in der Zukunft auf mich verzichten zu müssen. Auf mich nicht und auf meinen Körper auch nicht.“

Ungläubig sah Lilli in sein Gesicht, das einen geradezu beängstigend wollüstigen Ausdruck angenommen hatte. Viel erschrockener noch war sie über sich selbst. Sie wünschte sich, er wäre jetzt sofort wirklich bei ihr, um sein Versprechen wahr zu machen.
 

„Wie lange würde diese Zukunft für dich dauern?“ ,versuchte sie so gelangweilt als möglich in Erfahrung zu bringen. Keine zehn Pferde würden Lilemour dazu treiben, ihm die Frage aller Fragen zu stellen, die auch bei tot ernsten Problemanhäufungen rund herum zu dem bedeutungsvollsten Thema für sie gehörte. Seine spitzen Eckzähne wurden sichtbar, als er den Mund zu einer Antwort öffnete, doch er hielt in seiner Bewegung inne. Ilias’ Blick schien auf einmal auf etwas zu ruhen, das weit weg war. Lilli musste sich zurückhalten, nicht einfach ihre Hände um seinen Hals zu legen und ihn zu würgen (natürlich völlig sinnlos). Sie fühlte sich, als müsse sie zerbersten wenn dieser Mistfink ihr nicht noch in diesem Augenblick Klarheit verschaffte. Ihr sagte, ob er sie nur vielleicht ein bisschen liebte oder nicht, verflixt und zugenäht! Wenigstens etwas, das auf eines der beiden Dinge schließen ließ. Seine Gestalt wurde zusehends durchsichtiger. ‚Warte!’ ,wollte Lilli schreien, ‚warte und antworte, ehe ich den Mut verliere! Bitte! Antworte damit ich weiß, wie viel der Mühe es noch wert ist, mich über Wasser zu halten. Sollte das Schlimmste eintreten, sollte euer Plan fehlschlagen und ich hier zurückbleiben. In den Händen der Feinde meiner ursprünglichen Feinde.’

Doch sie sah Ilias kaum noch. „Jemand kommt“ ,erklärte er ihr gelassen. „Ein junger Vampir und eine Menschenfrau. Ich muss sie gebührend willkommen heißen.“ Er lachte mit einer mitklingenden Nuance an Gemeingefährlichkeit. Erweckte außerdem nicht den Eindruck als wüsste er, was in Lilli vorging. Obwohl er bereits deutlichst hatte durchblicken lassen, wie sehr er sich ihrer Gefühle sicher war. Worauf wartete er noch? Nur drei oder vier Wörter und es wäre getan.

„Es dauert nicht mehr lange, ehe ich dich mit Haut und Haar in meinen Besitz bringe. Das schwöre ich uns. Ich hätte es längst tun sollen. Scheint, als wäre ich auf einer Welle der Selbstkasteiung geritten“ ,hörte sie seine Stimme verzerrt um sie herum echoen. Er war ein Sadist, das war der springende Punkt. Der verschwommene, dunkle Schemen der von ihm übrig geblieben war, ließ sich fallen und fuhr durch sie hindurch. Lilli gab sich alle Mühe sich einzubilden, sie hätte eine seiner Berührungen gespürt, doch sie wusste wie unwahrscheinlich das war.
 

Unsanft erwachte Lilli aus ihrem Traum. Jemand schlug ihr brutal ins Gesicht. Kaum zu sich gekommen, erkannte sie die asiatische Vampirin, deren Zwilling bestimmt nicht weit war. Sie hatte sie am Kragen gepackt und stieß sie dann angewidert zurück auf die Matratze, als wäre Lilli eine Kakerlake.

„Er hat mit ihr gesprochen.“ Ihr Tonfall war ekelhafter als zehn Kakerlaken zusammen.

„Niemand hat sich die Mühe gemacht sich mit mir zu unterhalten“ ,verteidigte sich Lilli, „ich habe tief und fest geschlafen.“

„Eben.“ Erst jetzt sah sie Oktavian. Seine Gestalt wirkte stehend sehr viel einschüchternder als sitzend mit der Katze auf dem Schoss. Obwohl er nicht ganz so groß wie Ilias und Valentin war. Aber er lächelte. „Ich wusste er würde Kontakt zu dir aufnehmen. Ilias ist ein Phänomen, das jedoch nicht frei von immer gleichen Verhaltensweisen ist. Seine Arroganz verbietet es ihm auf Dinge zu verzichten, die er haben will oder tun möchte. Egal welche Konsequenzen es nach sich ziehen mag. Ich scheue mich nicht zu diagnostizieren, dass er in dieser Beziehung nicht über das Alter eines verwöhnten, fünfjährigen Bengels aus reichem Elternhaus herausgekommen ist.“

Wo er Recht hatte, da hatte er Recht.

„Du hast ihm alles erzählt, nehme ich an?“ Lilli schwieg verbissen, woraufhin Oktavian nur gemächlich seine Katze streichelte, die plötzlich in seinen Armen schnurrte. „Natürlich“ ,fuhr er fort, „so wie es gedacht war. Er soll begreifen wie wenig er selbst mit dem umfassendsten Wissen jetzt noch erreichen kann. Lege einen Bann über sie. Besetze ihren Geist mit irgendwelchen Bildern, durch die sie nicht zu Ilias dringen kann“ ,wandte er sich dann an die Asiatin. „Das reicht.“

„Wird er jetzt nicht wissen, wo wir zu finden sind?“ ,wagte sie anzumerken, doch der alte Vampir drehte sich nur um. „Sie konnte ihm nicht sagen, was sie selbst nicht weiß.“

Einen Augenblick später war er verschwunden.

Lilli würde nichts gegen die übermächtige Frau tun können. Schon befiel eine bleierne Schwere ihre Glieder, die sie wie eine Narkosespritze lähmten. Der Gedanke an Valentin jedoch, tröstete sie in dem Bewusstsein, Ilias heute Nacht nicht mehr sehen zu können. Oktavian mochte an vieles gedacht und vieles einkalkuliert haben. Ein Verräter aus den eigenen Reihen aber, schien ihm undenkbar. Dabei war es ein solch weit verbreitetes Konzept, mit den eigenen Waffen attackiert zu werden. Eines, dass er offensichtlich nicht kannte. Ehe Lillis Augen von fremder Macht getrieben zufielen betete sie, Valentin möge Informationen beschaffen können, die Oktavian nicht hatte preisgeben wollen und die Ilias unterstützten. Schließlich blieb zu hoffen, dass Valentin wenigstens ihnen die Treue hielt.
 

Die Nacht verbrachte Lilemour mit nicht zu verscheuchenden Pseudowerbebildern von den Vampirzwillingen, wie sie die Vergnügungsmeile von St. Pauli entlang wandelten. Szenen, die sie bei einer mondbeschienenen Strandwanderung zeigten, oder bei Einbrüchen, weil sie neue Outfits benötigten. Bilder der Frau, wie sie sich in einem Irish Pub von zukünftigen Opfern anmachen ließ. Eindrücke des identisch aussehenden Mannes, der sich lediglich mit einer Unterhose bekleidet auf einem zerknüllten Bettlaken räkelte. Er hatte zwei Frauen im Arm, die beide fast das Doppelte von seiner klapperdürren Figur waren.

Lilli hoffte inständig, Ilias möge sich beeilen und wenn er seine ganze Unanständigkeit und Arroganz dazu benötigte.
 

Fortsetzung folgt!

Besuche

Primärer Punkt: Vielen, vielen Dank für all die netten Kommentare und insbesondere denen, die nicht aufgegeben haben und mich auf Trab gehalten haben (wenn es auch ein ziemlich langsamer Trab, also ein Zeitlupenschleichen war).

Doch ehrlich, ich hatte schon immer Angst das ENS- Zeichen zu sehen, kaum dass ich Animexx betreten habe, so oft waren es Aufrufe zum Weiterschreiben und ich muss mich wiederholen: So ist’s richtig! Fördert mein schlechtes Gewissen und ich schreibe viel(nach einer Weile ;_;) In der Tat hatte ich noch nie so viel Kommentare zu einem einzigen Kapitel dieser FF O.o Ich bin gerührt ^///^

Deshalb einen fetten Kuss und ordentlichen Händedruck an Krylia, Kendra, Playa, MissKitty, MissVictoria, Cinamon, Mystery- Vampire, dat_vege, Kumiko-chan, Endellion, FiZi, Chiyo, il_gelato, Jaenelle und lupida!
 

Punkt, der in seiner Relevanz etwas weiter hinten anzusiedeln ist: Obwohl ich ein Lahmarsch bin, werde ich gegen Ende der Geschichte (ca. noch 2, höchstens 3 Kapitel) wohl eine neue Erzählung beginnen. Das heißt, ich werde natürlich erst einmal sehen müssen, ob sich jemand dafür interessiert. Nur so viel zu einer seichten Vorankündigung. ;)
 

Jetzt aber endlich zu meinen guten alten Vampiren!

Ich danke für das lange Ausharren und wünsche viel Spaß beim Lesen!

Grüße zu Hauf, Fany

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„Ich nehme an, das Mädchen und der junge Vampir sind eingereist?“

Roberta sprang von ihrem Stuhl und antwortete eifrig. Sie war glücklich ein paar an sie persönlich gerichtete Worte Oktavians zu hören. Es kam ja so selten vor. Umsichtig strich sie ihren Rock glatt. „Selbstverständlich, Oktavian! Einige unserer Leute haben sie seit ihrer Abreise im Visier. Die letzte Information bekam ich vor zwei Stunden. Wie angenommen waren sie auf dem Weg zu Stawrogins Anwesen. Sie müssten längst dort sein.“

Der weißhaarige Vampir kraulte den Hals seiner schnurrenden Katze. Er blickte auf Roberta, die errötete. Zwar wussten alle hier, dass er sie nicht sehen konnte und doch war sie überzeugt davon, wie viel mehr der Vampir mit seinen übrigen Sinnen aufnehmen konnte als die anderen.

„Sie hängt an Lilemour. Dass sie sich auf den Weg machen würde, sobald sie nur den Hauch einer Ahnung hatte wo sich ihre Freundin befindet, war von Beginn an unzweifelhaft. Vor allem nachdem sie sich selbst vom Orden losgesprochen hatte.“

Die leise Stimme Garreths klang fast laut in der Stille des Raumes, in dem sich die beiden ehemaligen Ordensmitglieder, sowie Valentin, die asiatischen Vampirzwillinge und Oktavian befanden. Es schien, als wären selbst die natürlichen Geräusche der Natur, die durch die Fenster zu dringen pflegten, unterbunden worden. Das Haus stand weit ab von jeglicher Straße.
 

„Es war wirklich sehr einfach Trudlinde, Jean-Luc und Evgeni davon zu überzeugen, Emilie nach Russland zu schicken, um Kontakt mit Lilemour aufnehmen zu können“ ,erklärte Roberta. „In ihrer Bedrängnis würden sie nach jedem noch so dünnen Strohalm greifen. Natürlich wussten wir längst von Emilies Verhältnis mit Antonio Fernandez. Somit war es nicht schwer sich auszumalen, wie gut die Chancen standen ihn ebenfalls in diese Kälte zu locken.“ Sie rieb anschaulich ihre Arme und schüttelte sich.

Als Valentin ein grunzendes Geräusch von sich gab, wandte sich Roberta mit vernichtenden Blicken um. Sie hatte keine Schwäche für Vampire. Sie hielt sie im Allgemeinen für arrogant, weltfremd, grausam, verlogen und treulos. Bei Oktavian war das allerdings ganz anders.

„Was versprecht ihr euch von ihm? Er ist doch vollkommen grün hinter den Ohren“ ,warf Valentin geringschätzig ein, „er ist noch immer mehr Mensch als Vampir.“

„Das ist sein Wert.“ Wie immer senkte sich bleierne Ruhe auf die Anwesenden wenn Oktavian sprach. Selbst seine Katze hörte ehrfürchtig zu schnurren auf und spitzte die Ohren.

„Seine Weltverbundenheit, sein Wissen um die heutigen Verhaltensweisen der Gesellschaften. Der Stand der Künste, der Kulturen, der Politik, der Bildung. Er weiß Bescheid. Um die Menschen zu führen, muss man sie im Umfeld ihrer Epoche begreifen.“ Langsam drehte er den Kopf zu seiner Katze, die ihn erwartungsvoll, aber auch mit einem Funken Misstrauen ansah. Ihre großen, glänzenden Augen spiegelten sein Gesicht nicht wider.

„Ich bin dessen vor langer Zeit müde geworden. Ich benötige ein Medium. Jemandem von meiner Art, der mir diese Aufgabe als ein Leichtes bewerkstelligen kann.“

Valentin beobachtete den Mann, der ihn zu dem gemacht hatte, was er heute war. All die vielen Jahrhunderte über, hatte er außer seinem Nachnamen nichts an sich und um sich herum geändert. Dennoch war Valentin über die Worte seines Schöpfers erstaunt. Oktavian war trotz seiner manchmal autistischen Art und Dubiosität keineswegs verklärt oder gar naiv. Immer hatte er Botschafter gehabt, durch die er sich mit der Außenwelt in Verbindung setzte. Wenn dies nicht unbedingt nötig war jedoch, so hatte er sich komplett vor dem Fortschritt verschlossen. Mehr als jeder andere Vampir dem Valentin jemals begegnet war, hatte er sich abgeschottet. Und nun wollte er die Tore wieder öffnen, so tief hatte er sich in seinem utopischen Ideal verbissen. Valentin überlegte sich, in wie vielen tausend Jahren diese Idee wohl in Oktavian herangereift war.
 

„Stawrogin wird im momentanen Schwebezustand der Dinge niemanden voreilig hinrichten, der noch etwas mit dem Orden zu tun haben könnte. Der junge Vampir und die Frau werden sein Haus lebendig verlassen.“ Lautlos erhob sich Oktavian. Geschickt kletterte die Katze an ihm hinauf, so dass sie sich wie das Fell eines Nerzes um den Nacken des Vampirs schlingen konnte. „Darum unterbreitet Antonio Fernandez meine Zukunftsvorstellungen von ihm. Erst wenn ihr sicher seid, dass keine lebende oder untote Seele sonst in der Nähe ist. Sollte er von meinem Angebot nicht erbaut sein...“ Er wandte sich den asiatischen Vampirzwillingen zu, „dann bringt mir seine Partnerin.“

Sein schmaler Mund machte kurz den Eindruck eines Lächelns, das Roberta wimmernd aufseufzen ließ. „Auch wenn wir bald das ganze Haus voller weiblicher Menschenkinder haben. Da höchst selten, aber doch und unglücklicherweise auch Vampire den unerbittlichen Ketten der Liebe erliegen, ist es bisweilen das Einfachste. Abgesehen davon wollen wir einem Treffen guter Freundinnen doch nicht im Wege stehen.“ Wie ein Geist, der mehr zu schweben satt zu laufen schien, verließ Oktavian das Zimmer. Mitternacht war nahe und er verspürte das uralte, so bekannte, drängende Gefühl, welches sich schleichend in seinem ganzen Körper ausbreitete. Die einzige Empfindung, der er bis heute nicht Herr werden konnte. Hunger.

Valentin ärgerte sich darüber, wie auch die anderen im Vorbeigehen des alten Vampirs leicht den Kopf zu senken. Doch selbst wenn er sich dem Autoritätszeichen hätte widersetzen wollen, er wäre zu schwach dafür gewesen.
 

„Emilie. Mir is’ irgendwie nicht so wohl in der Magengegend.“

„Nicht wohl?“

„Kotzübel wenn du’s genau checken willst.“

Emilie teilte dieses Gefühl, war aber nicht wehleidig genug es wie Toni nach außen zu tragen. Einen schönen Helden in schimmernder Rüstung hatte sie sich da geangelt. Sie hatten Schere, Stein, Papier gespielt um auszulosen, wer an der Haustüre klingeln musste. Toni hatte verloren. Es waren noch ganze zehn Minuten verstrichen, in denen er die Tür umkreiste wie ein hungriger Wolf. Dabei war er sich immer wieder durch die kurzen, blondierten Haare gefahren und hatte seltsame Dinge auf spanisch gemurmelt. Auch für Emilie war dies ein harter Gang, aber wenn sie Lilemour jemals wieder sehen wollte, dann führte keine Möglichkeit an Stawrogins Anwesen vorbei. Der Orden hatte ihr die Information gegeben, dass sich Ilias hier aufhielt und damit angeblich auch Lilemour. Wie sie den für seine Grausamkeit bekannten Vampir dazu bringen sollten ihre Freundin freizugeben, war ihnen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Schließlich hatten Toni und sie sich schweren Herzens dazu entschieden, alles einfach auf sich zukommen zu lassen und das Beste daraus zu machen. Was blieb ihnen denn anderes übrig? Der Orden hatte ihnen seine Hilfe nicht angeboten, das Schicksal Lilemours war ihm den Aufwand nicht wert. Sich dies in Erinnerung rufend, straffte Emilie die Schulter. Sie zog Toni am Arm, der neben ihr Würgegeräusche von sich gab. Ihr Herz pochte bis zum Zerbersten als die Tür langsam aufging.
 

„Womit kann ich den Herrschaften dienlich sein?“ Toni glotzte den geschniegelten Bediensteten ebenso fassungslos an wie Emilie. Sie hatten schlicht und einfach vergessen, dass keiner von ihnen auch nur einen Brocken russisch beherrschte. Beim Anblick Tonis flackerten die Augen des Mannes unsicher auf. Emilie betrachtete er mit weniger Argwohn.

„Ich geh jede Wette ein, dass der Pinguin uns grad gefragt hat, ob wir rein kommen und ne’ Runde chillen wollen“ ,raunte Toni ihr zu, ehe er sich wichtig nach vorne schob.

„Wir...“ ,er deutete auf sich und Emilie, „...Kumpels von...“ ,wobei er auf das Haus zeigte und seine schlangenähnlichen Zähne zur Schau stellte. „Ich hoff du raffst das Alter und hey, deine Frisur ist so gruselig wie die Nasenhaare die dir da bis zur Oberlippe hängen.“

Der Mann hob die Hand um ihnen deutlich zu machen zu warten und verschwand im Dunkel der Villa. Emilie stieß ihrem Freund den Ellenbogen in die Rippen.

„Au!“

„Wenn er nun ein Russlanddeutscher war oder so und dich verstanden hat?! Wie kannst du nur so unhöflich sein?“

„Ist doch egal! Er wird nicht reingehen und einen Vampir mit ‚da draußen stehen welche, die meine Nasenhaare uncool finden’ ansprechen.

Emilie hatte keine Zeit zu kontern, denn der Mann kehrte zurück. Jetzt fielen ihr die Nasenhaare auch auf, sie waren wirklich lang. Sie musste sich zwingen, nicht andauernd darauf zu starren. Er winkte ihnen, ihm zu folgen. Emilie atmete tief ein, und los ging die Geisterfahrt. Toni umfasste ihre Hand mit seiner. Er krallte sich etwas fester wie sonst ein. „Mach dir nur keinen Stress, okay? Denen reiß ich noch mehr als die Nasenhaare aus wenn sie uns blöd kommen!“ Emilie fehlte der Glauben um zuversichtlich zu nicken. Sie fühlte sich außerdem von der enorm großen Eingangshalle erschlagen. Unmerklich schnüffelte Toni vor sich hin.

„Ich hatte recht, vor vielleicht nicht einmal einem halben Tag gab es hier ein Blutbad der Luxusklasse. Siehst du die Reste des Tisches da hinten? Ein rot sehender Stier mit Lanzen im Rücken hätte Schwierigkeiten gehabt ihn so zuzurichten.“

„Danke Toni“ ,entgegnete Emi sarkastisch, „ich weiß nicht wie es dir geht, aber bei mir kommt da nicht der geringste Stress auf.“

Tatsächlich passierten die mehr oder weniger unfreiwilligen Gäste noch einige Möbelstücke, denen noch nicht einmal Sperrmülljägern noch einen Blick zuwerfen würden. Ganz zu Schweigen von dem ein oder anderen Portrait, welches verräterisch rote Flecken aufwies, die so gar nicht in die Komposition des Bildes passen wollten. Emilie vertrieb sich die Zeit damit für Lillis Wohlergehen zu beten, denn der Diener lotste sie offenbar durch das ganze Anwesen, bis er endlich stehen blieb. Sie hoffte, Toni möge sich die Treppen und Gänge gemerkt haben die sie zu nehmen hatten, falls eine plötzliche Flucht von Nöten sein sollte.

Mit wichtiger Miene legte der Bedienstete die behandschuhte Hand auf die Türklinke.

„Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt“ ,sagte er in einwandfreiem Deutsch, bevor er die Türe für sie öffnete. Emilie schaffte es gerade noch, dem verdächtig interessiert an die Decke schauendem Toni einen rügenden Blick zuzuwerfen. Dann betraten sie den Raum.
 

Lilemour war nicht hier, das ließ sich sofort festmachen. Obwohl das Zimmer ziemlich groß war. Groß und unberührt vom Zerstörungschaos des Eingansbereichs. Still und leise hatte Emilie damit gerechnet, ihre Freundin hinter dieser Mahagonitür zu finden. Das wäre natürlich viel zu einfach gewesen, aber wie oft klammerte man sich in auswegslosen Situationen an Illusionen fest. Antonio drückte noch einmal ihre Hand. Dann ließ er sie los und machte ein paar schwungvolle Schritte nach vorne.

„Hi Jungens! Alles fit im Schritt, oder was?“

Keiner der beiden Vampire erhob sich von seiner Sitzgelegenheit. Keiner entgegnete irgendetwas. Der Blonde mit der stahlblauen Iris saß kerzengerade in einem Sessel. Er hielt ein Glas mit roter Flüssigkeit in der Hand, dessen Anblick Emilie Schauer über den Rücken jagte. Sie hatte Stawrogin noch nie zuvor gesehen, ebenso wenig wie Ilias. Doch handelte es sich dabei ganz ohne Zweifel um den Mann mit den schwarzen Haaren, die so lang und glänzend über seine Schultern fielen. Lilemour hatte ihr soviel von ihm erzählt. Seine ausnehmende Schönheit hatte sie nicht erwähnt. Nie war Emilie ein Wesen, ob Mensch oder Vampir begegnet, das so fernab aller Durchschnittlichkeit lag. Auf eine grausame Art und Weise. Hätte sie nicht gewusst was er war und hätten ihn seine tiefschwarzen Augen nicht verraten, sie hätte ihn für einen Engel gehalten. Mit überschlagenen Beinen saß er da, böse, selbstgefällig, unnahbar, unbeweglich, dennoch mit einer ausdrücklichen Körpersprache. Er hatte nicht im Mindesten etwas für Toni und sie übrig, das über penetrant summende Mücken in einer lauen Sommernacht hinaus ging.
 

„Was führt euch her?“

„Ist das nicht deutlich, Stawrogin“ ,säuselte Ilias, „er wollte auf eine gänzlich vulgäre Weise deine Zwangskastration ansprechen.“

Hätte Emilie die Augen von Ilias nehmen können, hätte sie gesehen wie Toni vor Scham rote Flecken im Gesicht bekam. Eine alte Angewohnheit, die ihm schon zu Lebzeiten angehaftet war. Zu ihrer beiden Erleichterung, fing er sich bald. Er trat vor Stawrogin.

„Wenn ich mir eine Berichtigung erlauben dürfte: das ist völliger Quatsch! Ich bewundere Männer mit hohen Singstimmen! Hätte ich Sie nur einmal auf der Bühne gehört, ich schwöre, ich wäre Ihr Groupie geworden!“

Emilie konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, sich mit der Hand vor den Kopf zu schlagen. Tonis Unbeholfenheit nach 68 jähriger Lebensgeschichte war manchmal schlicht erschreckend. Viel mehr Mühe kostete es sie aber, das Wort zu ergreifen. Ihre Stimme hörte sich in ihren eigenen Ohren dünn und wackelig an. „Sie zu belästigen liegt uns fern. Wir suchen nur eine Frau namens Lilemour Escapat. Neueste Erkenntnisse haben ergeben, sie würde hier in Novgorod weilen. Als Gast eines gewissen Stawrogins, zusammen mit einem gewissen Ilias.“

So wie sie die Namen zögernd aussprach, sah sie in die Gesichter der Vampire. Sie waren kalt und leer. Bis der Dunkelhaarige seinen Mund zu einem Lächeln zwang.

„Neu sind diese Erkenntnisse bei Leibe nicht“ ,stellte er fest. „Dazu hin überholt. Was bringt euch auf die törichte Idee von uns eine Auskunft zu erwarten? Man soll mir keine Ungnade vorwerfen, also bitte, das Mädchen ist nicht hier. Goldkehlchen“ ,richtete er sich übertrieben beleidigt an den Russen, „mach sie weg. Sie stören.“ Damit drehte sich die Ausgeburt der Unhöflichkeit um. Bedächtig schritt er zum Fenster und sah hinaus. Die Anwesenheit der anderen schien er vergessen zu haben.
 

Stawrogins geschäftstüchtiger Verstand aber stellte seinem Besitzer Fragen, die nicht unwichtig genug waren, sie zu ignorieren.

„Was ist mit dem Mädchen?“

„Was soll schon sein?! Sie wissen’s doch! Er da hat sie entführt!“ Die Wut, die sich in Emilie all die turbulente Zeit aufgestaut hatte, entlud sich in einer lautstarken Anschuldigung. Unverholen deutete sie auf Ilias, der sich nicht darum kümmerte.

„Er hat ein unbedarftes, gutgläubiges, unschuldiges Mädchen mitgenommen. Gegen ihren Willen!“

„Was du da aufzählst mag einmal so gewesen sein.“ Ilias’ freche Andeutung brachte Emis kochendes Blut nicht zum Abkühlen. Sie steigerte sich mehr und mehr in ihren Zorn hinein. Bald war sie nahe genug an Ilias herangetreten, um ihn von Hinten würgend zu können. Da schlang Toni seine Arme und die Freundin.

„Entschuldigen Sie den Ausfall.“ Langsam zog er sie von dem Vampir zurück. Dessen in ihm wohnende Macht brach wie die idealen Surferwellen über Tonis geschärften Sinnen zusammen. Eine kaum sichtbare Bewegung von dem unheimlichen Untoten und Emi würde wie es ihm passte zu Staub zerfallen. Toni würde nicht schnell genug reagieren können.

„Kurz bevor sie ihre Tage bekommt, wird sie übermütig. Ich sag Ihnen, da hab ich schon Sachen erlebt! Bei einigen Geschichten würden sich Ihre Fingernägel aufrollen! Aber gut. Sie sagen Lilemour flackt nicht bei Ihnen rum, so wird uns nichts anderes übrig bleiben als das hinzunehmen. Haltet die Reißerchen aufrecht und entschuldigt uns, wir...“
 

„Sie ist ein Ordensmitglied.“ Sobald der Herr des Hauses zu sprechen begonnen hatte, beruhigte sich Emilie unter seinen Blicken. Ihre Wut verpuffte als hätte sie nie von ihr Besitz ergriffen. Wie von fern hörte sie Toni gekünstelt lachen.

„Das ist schon so lange her, da haben die Kinder noch an den Mann im Mond geglaubt. Der Orden kann uns mal, er hat in unseren Augen so richtig saftig abgekakt!“

Zu Tonis Enttäuschung, ließ den Russen das unheilvolle Thema um den Orden nicht los. Er kam ihnen entgegen, wobei der jüngere Vampir unmerklich Schritt um Schritt zurückwich. Gleich würde sich entscheiden, ob sie lebend wieder vor die Tür gesetzt werden würden, oder aber in kleinen Häppchen, nicht viel besser als Hundefraß. Plötzlich drückte etwas gegen seine Waden. Er fiel mit Emilie in einen breiten Sessel. Die Szene mit dem blonden Vampir über ihnen, erinnerte Toni an seine unbeschwerte Kindheit in Spaniens Ebenen. Wenn er etwas angestellt hatte, pflegte seine Mutter ihn auf eben diese Weise einzuschüchtern. Schnell setzte sich Toni aufrecht. Seine Versuche, den Blicken des anderen standzuhalten blieben nicht erfolglos. Nun, er war kein Kind mehr. Nur Emi zuckte noch leicht zusammen, als Stawrogin sie erneut ansprach.

„Dann werdet ihr sicher wissen, dass sich die Obrigkeit eures Ordens gespalten hat.“

Dies riss Emilie vollkommen aus ihrer Lethargie. „Ge...gespalten?“

„Sie wissen nichts“ ,ertönte Ilias’ belustigte Stimme vom Fenster aus. „Das heißt, sie bringen uns auch nichts. Wenn du sie nicht loswerden willst, mach ich es für dich. Ich habe ein wenig Lust dazu.“
 

Toni dankte allen Gottheiten die die Menschen jemals angebetet hatten, dass sich Stawrogin offensichtlich anders entschied. Ruhig setzte er sich neben sie. Nur schwer konnten sie seinen plötzlich kommenden Ausführungen folgen, zu abstrakt klangen sie in ihren Ohren.

Garreth und Roberta sollten den Orden verraten haben? Und nicht nur das, sie und der russische Orden hatten sich angeblich dem scheintoten Vampir Oktavian angeschlossen, der mächtig scharf darauf war, Stück für Stück den Erdball einzunehmen. Vampire gegen Menschen aufzuhetzen und umgekehrt, nur um sie im Hintergrund alle zusammen unter Kontrolle zu haben. Wer besaß solch kranke Gedankengänge, die zumindest im Anfangsstadium zu funktionieren schienen?

Erschlagen nippten Emi und Toni an einem Glas Wasser. Ilias hatte Stawrogin empfohlen das Nass zu vergiften, Letzterer hatte allerdings längst tiefschürfendere Pläne mit den Neuankömmlingen.

„Oktavian hat Vampire und Menschen auf seiner Seite, die um die Stärken und Schwächen unsereins wissen“ ,merkte Stawrogin bedächtig an. „Die einzig momentan durchführbare Option dieser Tendenz entgegen zu wirken wäre, Feuer mit Feuer zu bekämpfen.“

„Ich wüsste nicht, dass wir den ersten April hätten“ ,warf Ilias scharf ein. „Auf Scherze kann ich getrost verzichten.“ Geschmeidig wie eine Katze schloss auch er zu ihnen auf. Emilie konnte nicht anders, als sich bei seinem Nähern, noch fester an Toni zu drücken. Wie eine schwarze Wolke verdunkelte seine Ausstrahlung die Umgebung. Er hätte ein böser Gott sein können, oder ein Tier, eine Luftgestalt oder bloß eine Illusion. Womit man ihn auch verband, letzten Endes war er doch nur ein Mann, der einmal sterblich gewesen war. Vor langer, langer Zeit.
 

„Wie kannst du auch nur mit Gedanken spielen?“ ,wollte Ilias wissen. Der Russe antwortete ebenso emotionslos wie die Frage gewesen war. „Es ist mehr als ein Gedanke und ich spiele nicht mehr nur mit ihm.“

„Sie sind unsere Feinde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du vergessen hast wie sie es wagten uns über hundert Jahre wie Kettenhunde an der kurzen Leine zu halten. Wie sie sich einbildeten, auf einer Stufe mit uns zu stehen. Wie sie uns der schrankenlosen Freiheit beraubten, als eins der wenigen Dinge, die wir durch unsere ewige Existenz neu gewonnen haben. Stawrogin ich rate dir, bleibe dir selbst treu.“

Emi und Toni, die in eine Art ehrfürchtige Stummheit gefallen waren, schauten von einem Vampir zum anderen. Ilias hielt wenig genug von ihnen, dass er sie einer grundlegend brisanten Unterhaltung beiwohnen ließ, wie man es höchstens verständnislosen Haustieren zugestehen mochte.

Obgleich keiner ein weiteres Wort sprach wusste Emilie, die beiden sich fixierenden Vampire verstanden sich doch.

„Lilli ist also...sie ist also bei diesem Oktavian.“ Nur wage erinnerte sich Emi an die Abschnitte in einem ihrer alten Geschichtsbücher, die von einem weißen Vampir mit roten Augen handelte. Seine Aktivitäten, wie auch immer sie ausgesehen haben mochten, mussten die letzten hundert Jahren auffällig unauffällig gewesen sein. Es gab ein Buch, welches ständig erneuert worden war und ebenso regelmäßig von den Ordensmitgliedern eingesehen werden musste. Es war in der Eingangshalle zu den Lehreinrichtungen des Ordenshauses auf einem Pult aus Eichenholz gelegen und beinhaltete Listen mit allen Vampiren, die mit Vorsicht zu genießen waren. Jedes Mitglied hatte ihre Namen zu kennen. Oktavian war nicht verzeichnet gewesen, dessen war sich Emilie sicher. Ilias sehr wohl.

„So ist es, sie...“

„Wenn ich mich nicht irre, und ich irre mich nie, dann tendierst zu etwas, das ich unter keinen Umständen akzeptieren werde“ ,unterbrach Ilias den Hausherrn.
 

Emi konnte nicht verstehen, worüber Ilias erzürnt war und was er nicht zu akzeptieren gedachte. In seinen Augen jedoch erkannte sie, dass er seine Meinung nicht ändern würde, niemals. Er hatte sich endgültig entschlossen, wofür auch immer.

Stawrogin stand auf. Er war nur wenig kleiner als Ilias, strahlte aber dieselbe ungeheure Macht aus. Emilie fragte sich, wie sich Toni fühlte. Besaß er doch die hohe Sensibilität für die Dinge, die für das Auge vielleicht unsichtbar waren, deshalb aber nichts desto weniger statt fanden. Dinge jenseits dem Horizont des menschlichen Wahrnehmungsvermögen. Die Aura, die die beiden Vampire umgab, jede für sich und sich nun von Angesicht zu Angesicht, war so stark, dass selbst Emilie es spürte. Es war dieses seltsame Gefühl das einen überfiel, wenn sich von einer Seite tiefdunkle Gewitterwolken näherten, während sich die andere noch nichts ahnend mit dem hellen Mittagsblau schmückte.

„Ilias.“ Die Worte Stawrogins waren so leise wie das Flüstern des Windes, trotzdem reichten sie bis in die letzte Ecke des Raumes. Jedenfalls verstand ihn Emilie einwandfrei.

„Deine Verbohrtheit bessert unsere Lage nicht. Die Situation hat sich verändert und so wie sie sich änderte, so anders müssen wir darauf reagieren.“

Die Augen des dunklen Vampirs waren wie glühende Kohlen, ebenso unversöhnlich.

„Stawrogin. Es ist doch sehr aufmerksam von dir mir eine Lektion zu erteilen, aber lass dir eins gesagt sein.“ Unbewusst hielt Emi die Luft an. Es sah aus, als würde Ilias dem anderen jeden Moment ins Gesicht spucken.
 

Ilias tat nichts dergleichen.

„Meine sogenannte Verbohrtheit mag unsere Lage nicht bessern, meine sehr wohl. Um etwas anderes war es mir nie gegangen. Meine persönliche Freiheit, Stawrogin. Ich hätte sie nur erlangen können, wenn der Pakt zerstört worden wäre und der Pakt war leidlicher weise nur zu stürzen, indem wir uns alle der Revolution angeschlossen hätten. Tatsächlich ist es mit dem Pakt nicht mehr weit her, soviel haben wir erreicht und soviel ist für meine Zwecke genug. Jetzt, wo der Orden von selbst auseinander fällt, ist frei, wer weiß dass er frei ist. Du und ich, wir wissen es. Schade nur, dass Oktavian eine so problematische Freizeitbeschäftigung wählte. Er versucht uns an neue Ketten zu legen. Es ist nun Aufgabe jedes Einzelnen sich zu entfesseln. Du und ich, wir können es und so sollten wir unsere eigenen Wege gehen. Wir brauchen die anderen nicht mehr.“

Emi und Toni wussten noch immer nicht um was es wirklich ging, doch sie verstanden eines: Ilias war nicht nur besonders mies, er war auch noch ein Kameradenschwein.

Natürlich verloren sie kein Wort darüber.

Stawrogin verzog keine Miene als er sprach.

„Sagtest du nicht vor wenigen Stunden, es gäbe einen Punkt, an dem dein Weg den des Oktavian kreuzt? An dem ihr nicht aneinander vorbeikommt ohne euch zu stoßen?“

Ilias und Stawrogin wussten wohl welcher Punkt zur Sprache gekommen war. Die anderen beiden hatten dagegen nicht den blassesten aller Schimmer, dass es um die so bitter umkämpfte Lilemour ging. Wie hätten sie auch darauf kommen sollen?
 

Zum ersten Mal fühlte sich Ilias offensichtlich von der Anwesenheit der beiden Gäste belästigt. Dies löste selbstverständlich endlose Spekulationen in den Köpfen des Paares aus, welcher ominöse Punkt denn nun gemeint war. Von Spielschulden bis hin zu einer alten Blutfehde war alles drin.

„Bitte!“ Emilie war aufgesprungen noch ehe Antonio sie zurückhalten konnte. Sie ließ sich vor Stawrogin auf die Knie fallen und sah ihn an. Mit ihren Engelslocken und den wunderbaren grünen Augen, die seine Eisblauen suchten. „Bitte, wenn Sie wissen wie wir Lilemour befreien können, dann helfen Sie uns! Wir wissen doch nicht wo, oder wie! Wir sind bereit für Ihre Unterstützung zu zahlen, was immer wir zahlen können! Nicht wahr Toni?“

Ziemlich entgeistert versuchte der, Emi’s Finger zu lockern, die sich an Stawrogins Hosenbein geklammert hatten. Er hätte ihr viel mehr beibringen müssen. Zum Beispiel, dass diese Masche vielleicht bei Türstehern einer Disko zog, nicht aber bei (im Großen und Ganzen) unbestechlichen Geschöpfen der Nacht.

Freudlos lächelnd legte Stawrogin eine Hand auf Emilies Locken. Toni befürchtete bei diesem Anblick, wirklich kotzen zu müssen. Er hatte Muffesausen wie er es nicht mehr hatte, seit man ihn dabei erwischt hatte, wie er mit seinem Freund Luca ein paar zu Stierkämpfen gezüchtete Tiere freigelassen hatte.

„Tatsächlich alles was ihr zahlen könnt? Alles was du zahlen könntest?“

„Naja, nun wollen wir mal nicht abgehen wie ein Schnitzel“ ,brachte Toni aus trockenem Mund hervor. „Das was Sie denken kann sie natürlich nicht zahlen, sie gehört nämlich schon ein bisschen mir allein, Sie verstehen?“
 

Emi sah alle Felle dahinschwimmen. Ohne diesen reichen Russen wären sie aufgeschmissen und Lilli unwiderruflich verloren. Stawrogin war der Einzige, mit dem sich eine Verhandlung lohnen könnte. Da sich seine Ziele sicher mit ihren koppeln ließen, dürfte er nicht ganz abgeneigt sein.

Ein Stuhl krachte zusammen. In seinen Trümmern hing Toni, Blut lief ihm aus einer Wunde an der Stirn. Er stöhnte.

Vor Schreck bemerkte Emilie den mit mildestem Interesse fragenden Blick nicht, den Stawrogin seinem dunkelhaarigen Artgenossen zuwarf. Der zuckte mit den Schultern. „Er wurde mir zu frech.“

Panikerfüllt rannte Emi zu Antonio, der sich wieder halbwegs hatte aufrappeln können. Sie stützte ihn. Feindselig wie sie ihn nie zuvor gesehen hatte, sah er Ilias an.

„Ich war tatsächlich um einen guten Ton bemüht“ ,ließ Toni ihn wissen. „Aber glauben Sie mir, wenn sie auch nur einen ihrer Guinnessbuch- der- Rekorde- Fingernägel an meine Emilie legen, dann bekommen Sie ernsthafte Schwierigkeiten, auch wenn ich nicht so stark sein mag wie Sie.“

Ilias legte einen seiner Guinnessbuch- der- Rekorde- Fingernägel an sein bleiches Kinn.

„Verblendet bist du nicht, das muss ich dir lassen. Ich hatte nicht vor dein Fräulein mit dem Schafskopf anzurühren. Deine mittellose Drohung aber, verführt mich fast dazu mir den Spaß zu gönnen.“

Mit knirschenden Zähnen drückte Toni Emi an sich. Die Sache hier entwickelte sich eindeutig zu ihren Ungunsten und vor allem weit von der Sache, wegen der sie gekommen waren. Ilias lachte und es hörte sich an, als lache der Herrscher der Unterwelt persönlich. Emi schluckte hart. Lilli hatte bestimmt nicht einen Augenblick daran gedacht, sich mit ihm zu verbünden. Diese Information des Ordens musste eine grausame Falschinformation gewesen sein.

Da geschah etwas sehr seltsames. Es klingelte. Es waren schrille, penetrante Töne von der Sorte, wie sie alte Wecker machten.
 

Selbst Ilias drehte sich zu Stawrogin um.

„Entschuldigung“ ,sagte der, „falscher Knopf.“

„Wie geil! Ein Nokia 2652 bluish silver!“ Toni stürzte sich förmlich auf Stawrogin, wobei er die verdutzte Emi hinter sich herzog. Ehrfurchtsvoll sah er auf das schmucke Handy.

„TFT-Farbdisplay mit 4096 Farben. 128 x 128 Pixel“ ,erklärte er Emilie. „Polyphone Klingeltöne, SP-MIDI mit bis zu 4 Stimmen. XHTML-Browser über WAP-Stack 1.2.1, Vibrationsalarm, Speicher für bis zu 50 SMS Mitteilungen und noch viel mehr! So eins wollte ich schon immer!“

Wahrscheinlich hatte er das alles auch Stawrogin erklärt, denn der sah nicht aus, als hätte er etwas davon gewusst. Stawrogin räusperte sich und fügte sachlich an: „Das Gehäuse ist aus Weißgold. Die Vorderseite besteht aus Saphir-Kristallglas, die Tasten sind auf Rubinen gelagert. Ich wollte mir nicht das Teuerste leisten, dieses hier erfüllt seinen Zweck vollkommen.“ Hätte Toni den Mund offen stehen gehabt, dann hätte er auf Stawrogins Handy gesabbert.

Ilias ging wortlos auf seinen Platz am Fenster zurück, wo die Welt noch in Ordnung war. „Mir mögen alle anderen egal sein, aber du bist eine Schande für alle anderen. Ganz zu Schweigen von dem Großmaul mit den gelb angemalten Haaren und der schrecklichen Garderobe.“ Das ließ er sie dann doch noch wissen.

Der junge Vampir und seine Begleiterin würden nicht mehr als ein Klotz am Bein für ihn, Ilias, darstellen. Aus diesem Grund erwähnte er sein Vorhaben nicht, welches ihn spätestens in der nächsten Nacht zu Oktavian führen würde. Abgesehen davon hatte er nicht die Pflicht ihnen gegenüber irgendetwas zu erwähnen, das ihre Herzen leichter machen würde und ihre Hoffnung größer.
 

Ilias hörte, wie Stawrogin eine seiner Visitenkarten aus der Jacke holte und etwas darauf schrieb. Dem Kratzen des Schreiberlings nach, eine Nummer. Danach ein kurzer Satz.

„Ruf mich an“ las Toni verwundert vor.

„Euer Ordenshaus ist telefonisch nicht zu erreichen und obwohl nicht nur ich den Standort kenne, hat es auch keine offizielle Adresse, nicht wahr?“

„N...nein. Aus Sicherheitsgründen nicht“ ,antwortete Emi wie automatisch auf die Frage des Russen.

„Also fällt der Postverkehr weg. Ich werde jemanden von meinen Leuten schicken müssen.“

Er fischte in einem naheliegenden Schrank nach einem Umschlag, schob die Karte hinein und wartete. Kurz darauf kam, ohne dass er gerufen wurde, der Diener mit den Nasenhaaren. Schnell sprachen die Beiden auf Russisch zueinander. Emi verstand nur den wohlbekannten Namen ‚Trudlinde Escapat’. Der Diener verschwand sogleich mit dem Umschlag.

„Da das geklärt wäre, rate ich den beiden Herrschaften, das Haus nicht mehr ohne angemessene Begleitung zu verlassen.“

Verwirrt sammelte Emi ihre Gedanken. Stirnrunzelnd betrachtete sie ihre Hände. Hätte sie eine Bürste zur Hand gehabt, dann hätte sie aus Nervosität angefangen, ihre Haare zu kämmen. „Begleitung? Wir müssen sofort los! Sie sagten doch, Oktavian und...es zählt jede Sekunde! Wer weiß was er gerade mit Lilli anstellt und...“

„Die Vorsitzenden des Ordens schickten euch zu mir und Ilias“ ,wandte Stawrogin ein, „so ist sicher, die beiden Verräter und also auch Oktavian wissen von eurem Aufenthalt hier. Überdies ist nicht auszuschließen, dass gerade er euch hier haben wollte. Ich weiß nicht ob dem so ist und wenn, dann wüsste ich nicht weshalb. Dennoch sollten wir das Risiko nicht eingehen. Spielen wir ihm nicht in die Hände, was für ihn einen Wert haben könnte.“

„Verstehen Sie denn nicht? Ich muss zu Lilemour! Ich werde sie keinesfalls aufgeben!“ Schon erhob sich Emi zum Gehen, da nickte Stawrogin kurz mit dem Kopf an das Fenster, an dem der schwarze Schatten stand.

„Er wird gehen“ ,eröffnete er ihnen. „Wenn er es nicht schafft, dann niemand. Ihr nicht, ich nicht, niemand.“

Emi erstarrte zur Salzsäule. „Er? Weshalb sollte er?“

„Frag ihn“ ,empfahl der Herr des Hauses gleichgültig, wollte ein zartes Grinsen jedoch nicht verbergen.

„Ich tue es“ ,entgegnete Ilias notgedrungen, wenn er die Nervensägen jemals wieder loswerden wollte. „Das muss euch genügen.“

Es ging völlig gegen Emilies Verstand. „Aber Sie... Sie werden sie töten oder was weiß ich für Dinge tun!

„Das geht euch nichts mehr an“ ,verkündete Ilias mehr dem Fenster als Emilie. „Sie wird glücklich sein, sollte euch diese Auskunft beruhigen. Wenn ich es mir recht überlege, dann gehen euch meine Taten überhaupt nichts an.“

Emilie beruhigte das nicht im Geringsten. Doch noch ehe sie einen weiteren Einwand bringen konnte, erschien eine schmale blasse Hand von Ilias, die auf Toni zeigte. „Verbiete ihr den Mund Spanier, oder ich garantiere für nichts. Eure geschätzte Lilemour wird sich mit euch in Verbindung setzen und ihr werdet selbst hören können was sie zu sagen hat. Das ist mein letztes Wort.“

„Komm, Emi“ ,drängte Toni, „Stawrogin hat Recht. Wenn er es nicht schafft, dann niemand. Wir können nichts tun, außer ihm Glauben zu schenken. Er wird uns schon nicht linken. Er hat ja noch nicht einmal Nasenhaare.“

Nur mit allergrößter Mühe und einer Selbstdisziplin, von der sie nicht wusste, dass sie sie aufbringen konnte, nahm Emilie einen Kompromiss hin, der kein echter war.
 

„Sie haben Ihre Handynummer auf der Visitenkarte Trudlinde geben lassen?“ Um sich abzulenken, sprach Emi den weitaus angenehmeren Vampir an. Dieser spielte mit seinem Weißgold- Handy in seiner Hand. Unerwartet schaltete sich Ilias ein.

„Ich kann nicht zählen wie viele Liebesnächte er mit ihr verbracht hat.“ Es mochte angehen, dass er noch immer säuerlich wegen Stawrogins Anspielung Lilemour betreffend war. Das wusste aber keiner der stumpfsinnigen Fremden.

Der einzig amüsante Augenblick der Nacht zeigte sich für Ilias jetzt, da das Paar schockiert die Luft einsog. Es tat sich das Bild einer kleinen, alten, verschrumpelten Frau mit grauen Haaren und einem unvorteilhaften Nasenwuchs vor ihnen auf.

Als wären die Bilder auch in Stawrogins Kopf erschienen, steckte er sein Handy wieder in die Hosentasche. „Vor langer, langer Zeit. Sie war zierlich, mit einem hübschen Gesicht und einer weichen Stimme.“

„Stimmt es was man hörte? Musste sie dir vor dem Einschlafen immer Märchen vorlesen, nachdem ihr euch miteinander vergnügt hattet?“ So geschäftlich sich Ilias’ Frage anhörte, so deutlich übermittelte sie auch den hämischen Unterton.

„Sie wird sich an mich erinnern“ ,insistierte der blonde Vampir nur, „sie wird sich mit mir kurzschließen und sie wird verstehen.“

Ilias zweifelte. „An jemanden, der mir das Herz gebrochen hätte und wegen dem ich in einen bestimmten Orden eingetreten wäre, würde ich mich auch erinnern. Ob ich verstehen würde, wäre eine andere Frage.“

„Der Franzose hatte zu dieser Zeit längst begonnen ihr den Hof zu machen.“ Diese Verteidigung kam ungewöhnlich schnell für den bedachten russischen Vampir.

„So ist ein Vampir selbst der Förderer eines beachtlichen Teils des Führungspersonals des Escapatischen Ordenshauses von Messkirch. Und so ist es beschlossene Sache.“

Emilie stellten sich bei den düsteren Worte Ilias’ die Nackenhaare auf.

„Du wirst dich mit dem verbliebenen Teil des Ordenshauses verbrüdern“ ,fuhr Ilias fort.

„Ja“ ,bestätigte Stawrogin.

„Du wirst denen zur Seite stehen, die dich über Hundert Jahre auf Kosten deiner Freiheit und deines Stolzes als das was du bist beschatten ließen.“

„Zum Besten für die von uns, die ihre neue Freiheit nicht Oktavian opfern wollen. Für die, die nicht wissen, wie und dass sie ihm entgegentreten könnten. Diese verlorenen Seelen, ich und der Orden bedeuten eine gleichgewichtete Gegnerseite.“

„Oh barmherziger Stawrogin. Mutter Theresa unter den Vampiren. Meine Glückwünsche kann ich dir dazu nicht übermitteln, wenn ich nicht heucheln soll.“

„Du sollst es nicht. Ich weiß.“

„Nun denn.“ Toni schob Emilie geistesgegenwärtig ein wenig hinter sich, als Ilias wie eine schwarze Rauchsäule an ihm vorbeiglitt. Er würdigte sie keines weiteren Blickes. „Ab Morgen nehme ich an, trennen sich unsere Wege bis auf weiteres, mein alter Freund.“

Stawrogin verbeugte sich leicht. „Auf dass sich deiner mit Oktavians kreuzen kann. Vielleicht wirst du ihn töten und all unsere Gespräche heute wären umsonst gewesen.“

An der Tür wandte sich Ilias noch einmal um. Auch er verbeugte sich. Emi hatte mehr denn je das Gefühl mit einem gruseligen Fabelwesen einen Raum zu teilen. Doch war er so echt wie sie selbst.

„Ich habe nicht vor seinem Dasein ein Ende zu setzen“ ,bemerkte Ilias. „Es wäre mir weitaus zu anstrengend. Dies überlasse ich mit Verlaub den verlorenen Seelen, dir Stawrogin und dem Orden. Ihr entschuldigt, der Hunger und eine liederliche Verabredung treiben mich nach draußen.“

Nachdem die Türe hinter Ilias ins Schloss gefallen war, holte er Valentins Ohrring aus den verborgenen Tiefen seines Mantels. Der einzige Pfand, der ihm Valentins Treueversprechen zumindest annähernd garantieren konnte. Nichts war ihm je so wichtig gewesen wie das lächerliche Stück Schmuck. „In der Tat“ ,wisperte Ilias vor sich hin, „eine liederliche Verabredung.“
 

„Es war schrecklich! Setz dich dafür ein, dass sie es nicht mehr tun!“

„Was glaubst du bin ich hier? Der Leithengst?“

„Bloß weil Ilias angedeutet hat, du wärest möglicherweise auf unserer Seite, muss ich das noch lange nicht glauben!“ Lilli verschränkte die Arme ineinander.

Die ganze Nacht hatte sie dank des Zaubers der asiatischen Vampirin unter Alpträumen gelitten, damit Ilias nicht in ihre Träume dringen konnte. Sie war froh, als der Tag angebrochen war. Oder sie musste es ahnen, denn ihr Zimmer war dunkel. Da Valentin plötzlich erschienen war, rechnete sie mit einem rund um verdunkelten Haus wie das von Stawrogin, indem sich die Vampire auch tagsüber bewegen konnten.

Valentin sah sehr viel besser aus als am Abend zuvor. Missmutig rechnete Lilli dies seiner Attacke auf sie und den darauf folgenden Blutentzug an. Sein fehlendes Auge wurde von einem schräg über den Kopf laufenden Verband geschützt. Die meisten der blutigen Schnitte und Wunden die er sonst noch davongetragen hatte, waren bereits zu feinen, rosigen Narben geworden. Lilli zweifelte nicht, dass auch die im Laufe der zeit völlig verschwinden würden.

„Was du glaubst ist mir so egal, wie als ob ein Reissack in China umfällt!“ Eine moderne Redenswendung hatte er wenigstens aufgeschnappt.

„Glaub mir oder nicht, aber ich habe mich vergangene Nacht mit Ilias getroffen. Treffen müssen trifft es wohl eher.“ Finster blickte Valentin sie an.

„Ich nehme an, er erfreut sich blendender Gesundheit.“ Nur schwer konnte Lilli ihr wahres Interesse vertuschen. Sicher, als sie Ilias in ihrem Traum gesehen hatte, wirkte er überaus heil. Wer konnte denn wissen, ob dies nun immer noch so war?

„Er ist in meinen Armen gestorben“ ,bedauerte Valentin. „Zu spät!“ Er lachte triumphierend. „Auch wenn der Trug oberflächlich und leicht zu durchschauen war, konntest du doch nicht deinen ersten Gesichtsausdruck ungeschehen machen. Du solltest ihn nicht lieben.“

„Wer sagt, dass ich so etwas absurdes täte?“
 

Lil’s Ohren wurden unerträglich heiß. Valentin ging nicht darauf ein. Er wickelte eine seiner Locken um den Finger. „Du weißt gar nicht von wem, oder was du dich hast fangen lassen, kleines Jungfräulein. Den Titel hast du übrigens die längste Zeit getragen und es wundert mich über die Maßen, dass du ihn überhaupt noch hast. Ilias ist nicht der Mann, der besonders lange herumfackelt.“

Die Hitze ging von ihren Ohren auf den Großteil des Gesichtes über, wahrscheinlich auf alles.

„Ich eigentlich auch nicht.“ Tot ernst saß Valentin auf einmal neben ihr auf dem Boden. Er hatte ihr den Pullover von den Schultern gezogen und küsste die Male, die er am Abend zuvor hinterlassen hatte. Lilli unterdrückte einen Schauder. Dann stand sie auf, als hätte sie die ganze Zeit schon vor gehabt aufzustehen und nicht erst, als Valentin ihr für ihren Geschmack zu nahe kam. Er lachte. Sie hatte das Gefühl, er spielte mit ihr wie die Katze mit der Maus und sie hatte das Gefühl, alle Vampire waren so.

„Du hättest dabei sein müssen“ ,sinnierte Valentin, „hm, war es 1496? Irgendwie so. Papst Alexander VI unterhielt mal wieder eine seiner berüchtigten Orgien, an denen er selbstredend auch teil nahm. Es gab alles sag ich dir! Tiere, Kinder, Männer, Frauen. Massenhaft Frauen, bestimmt fünfzig Konkubinen. Und alle waren sie den geistlichen Amtsträgern zu Diensten.“

Lilemour ahnte bereits was er ihr damit sagen wollte, war schon mit einem Themenwechsel gewappnet, einem beliebigen Themenwechsel, da sagte Valentin: „Ilias war auch dabei. Oh es war köstlich. Einmal, da wurden Hunderte von Kastanien auf dem Boden verteilt, welche von den unbekleideten Mätressen eingesammelt werden mussten. Währenddessen durfte jeder der Lust hatte...“

„Was willst du eigentlich hier, verflucht?“

„Dir ein bisschen was über Ilias erzählen.“

„Hab ich gesagt, ich wollte etwas hören?“

„Gegen etwas Schönes, Heldenhaftes, hättest du wohl nichts gehabt. So ist er eben nicht.“

„Wem sagst du das. Und jetzt sprich, was hat er dir gesagt?“

„Du glaubst mir also doch?“

„Es bleibt mit nichts andres übrig. Mein Tod kann genauso gut auf dein Konto gehen wie auf das Oktavians. Es macht keinen Unterschied, ich kann kaum verlieren.“
 

Einen Moment dachte Lil, Valentin würde wieder von den Konkubinen anfangen (er sah so träumend an die Wand), da wurde er ernster. Er fing an zu erzählen.

Sie merkte sich jedes Wort, dass er ihr dann sagte. Bis auf die letzte Silbe saugte Lilli alles ein, damit ihr auch ja kein Fehler unterlaufen würde. Die kommende Nacht musste alles so funktionieren, wie Ilias es mit Valentin ausgemacht hatte und Valentin mit ihr. Sie hatte Angst es könnte etwas schief gehen, sie fürchtete, jemand Liebes würde sterben. Auch sie könnte sterben, schneller als es ihr lieb sein konnte. Aber all diese Empfindungen und dunklen Überlegungen konnten mit dem warmen Gefühl nicht konkurrieren, das sich in ihr ausbreitete, wenn sie daran dachte ihn wiedersehen zu können. Was er auch tat und was er auch sagte, mehr als ihn wiederzusehen wollte sie nicht verlangen. Nicht jetzt.

Noch lange nachdem Valentin sie allein gelassen hatte, saß Lilemour still auf ihrem Bett und dachte nach. Nicht an ihre Zukunft, noch nicht einmal mehr besonders viel an die nächste Nacht. Sie grübelte über sich und ihn und sie haderte nicht mit den Fragen, wieso er eigentlich unbedingt ein Vampir sein, oder Orgien mitfeiern musste. Es war ihr egal, schlicht und einfach egal. So sicher Lilli die Liebe bisher nicht kennen gelernt hatte, so sicher liebte sie jetzt. So bestimmt wusste sie es, dass der baldige Einbruch des Winters daneben eine bloße Wahrscheinlichkeit darstellte. Sie fühlte sich nackt und verletzlich und sie hoffte, diese Liebe nicht bald aus ihrem Herzen herausschneiden zu müssen. Denn das war unmöglich.
 

„Ihr versteht euch? Natürlich tut ihr das, ihr kennt euch schließlich schon etwas länger.“

Valentin war ein Vampir, der schon viel erlebt und viel gesehen hatte. Dennoch verspürte er häufig genug den Drang zusammenzufahren, wenn Oktavian ihn aus dem Nichts ansprach. Gerade war er aus dem Zimmer des Mädchens gekommen, da stand sein Schöpfer auf der Treppe. Argwöhnisch trat Valentin näher. Für Oktavian war es ungewöhnlich, sich zu dieser Stunde nicht in seinem eigenen Zimmer aufzuhalten. Er hatte die Angewohnheit den ganzen Tag über zu schlafen. Warum war er jetzt hier?

Doch Valentin war geschickt, er verwischte jede Spur der Überraschung.

„Verstehen?“ Er lachte gehässig. „Ich will zugeben, ich hatte gehofft ihr ein wenig Blut abschwatzen zu können. Es handelt sich immerhin um den Besitz meines Erzfeindes, da ist selbst das winzigste Tröpfchen eine Kriegserklärung. Ihr werdet mir darum doch nicht sauer sein?“

„Ihr Blut klebte schon die Nacht zuvor an deinen Lippen, teurer Schüler. Womit ich keineswegs andeuten möchte“ ,er hob kaum merklich die Hand, als Valentin sich rechtfertigen wollte, „dass ich dir nicht traue. Wir sind viel zu lange Vater und Sohn gewesen, als dass ich von dir etwas befürchten könnte.“

Andächtig nickte Valentin. Er fühlte keine Reue.

„Danke, ich weiß Euer Vertrauen zu schätzen.“

„Sag mir eines. Bestätige mir, was sich mein Gehirn nicht vorstellen kann.“ Die weißen Haare berührten den Boden. Oktavian bückte sich nach seiner Katze, die miauend um seine Beine strich. „Bist du wirklich der unumstößlichen Meinung, Ilias läge soviel an dem Mädchen, dass er sich mir beugen würde?“

„Ja.“ Valentin sprach die Wahrheit. „Das wäre sie ihm wert und ich wage zu behaupten, alles darüber hinaus. Trotzdem denke ich nicht, dass er sich Euch jemals beugen wird. Ich weiß, er wird es anders versuchen, drum seid auf der Hut, Vater.“

Lange sahen sich die beiden Vampire stumm an. Genauso stumm ging Valentin an Oktavian vorbei, die Treppe hinunter.

„Du hast deinen Ohrring verloren“ ,stellte Oktavian fest, ohne sich nach ihm umzudrehen, „das tut mir leid.“

„Ja“ ,entgegnete der blonde Vampir, „mir auch.“
 

Oktavian sah zu der verschlossenen Tür, hinter der sich das Mädchen befand. Sie atmete ruhig und gelassen. Beinahe, als wäre sie keine Gefangene hier unter blutsaugenden Monstern. Beinahe, als spüre sie die Nähe ihrer Freiheit. Sie war klein und schwach und doch, sich gänzlich unbewusst, stark und durchsetzungsfähig. Nicht anders konnte sein, wer Ilias mit freiem Willen mehr entgegenbrachte, als körperliche Liebe. Er besaß eine Persönlichkeit, die zu lieben äußerst viel forderte. Oktavian hatte sich Valentins Worte nicht durch den Kopf gehen lassen müssen, zu sicher war er sich der Antwort längst gewesen. Allein die Tatsache, dass Ilias das heimatlose Mädchen nicht irgendwann auf seinem Weg hierher losgeworden war, symbolisierte mehr, als er brauchte. Aber er zweifelte auch nicht an Valentins Überzeugung. Ja, Oktavian war gespannt darauf, wie Ilias ihm gegenüber treten wollte. Oder auch nicht, je nachdem wie dem Trotzkopf der Sinn stand. Je nach dem.

Etwa zehn Minuten bevor Roberta die Treppe hinaufkeuchte, hörte Oktavian sie. Er nahm auch wahr, wie sie auf der obersten Stufe stehen blieb um ihre Lungen zur Ruhe kommen zu lassen. Sie wollte ihm gegenüber kein Zeichen von Schwäche zeigen.

„Es ist geschehen“ ,sagte sie, noch immer ein wenig keuchend. „Wir haben Stawrogins Boten abgefangen.“ Sie hielt den Umschlag mit Stawrogins Visitenkarte in der Hand. Er war mit verräterisch roten Flecken übersäht. „Trudlinde wird die Nachricht nicht erhalten.“

Oktavian antwortete nicht und er tat auch sonst nichts. Roberta hatte oft stundenlang so neben ihm gestanden. Am Ende war nichts dabei herausgekommen. Wenn er nicht sprechen wollte, sprach er nicht. Sie machte Anstalten noch etwas zu sagen, doch sie verwarf den Gedanken und suchte ihr Zimmer auf. Kaum dass sie weg war, erschienen die Vampirzwillinge mit gebeugten Köpfen neben Oktavian.

Der nickte. „Folgt ihm sobald die Nacht anbricht und er das Haus verlässt. Der Judas ist in ihm erwacht.“
 

Fortsetzung folgt!

Feuer

Es tut mir leiheiheiheiheiddddddd!

Ihr denkt jetzt sicher: ‚Ja klar, das sagt die Schnalle halt immer nur, aber in Wahrheit ist es ihr wurscht, dass wir ihr ständig Erinnerungs-Ensen und GB- Einträge schicken.’

Das stimmt nicht! J Um euch das zu zeigen, habe ich wieder ein fettes Kapitel geschrieben, das ich euch jetzt nicht mehr vorenthalten will!

Und damit sich mein Gelaber mit dem ewig gleichen Inhalt bis hierher nicht noch hinzieht, danke ich euch auf der Stelle viel, vielmals für die lieben Kommentare und Ensen und GB-Einträge!! Was wäre ich ohne euch? T^T

Vielen „extra“ Dank an meine lieben Schreiberlinge lupida, Kumiko-chan, fluffchen, Cinamon, Endellion, il_gelato, MissKitty, DragonDAngel, dat_vege, Krylia, Mysterie-Vampire, CryBloody, Chiyo, Eileen- Shiana, Gene und Aikuko!

Ich hoffe, ich hab niemanden vergessen und wenn doch, dann dürft ihr mich ruhig bedrohen^^- es mir zumindest zu sagen!
 

So, dann wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen und bis zum nächsten Mal!

Grüße,

Fany

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Gerade waren die letzten wirklichen Sonnenstrahlen versunken. Nur noch das farbenfrohe Abendrot zeugte von einem hellen Tag, der jetzt zur Neige ging. Endlich. Wie ein Pastellaquarell sah er aus, der Himmel. Das fand Lilemour wenigstens. So friedlich und geordnet umspannte er die Erde als wollte er sagen ‚hey, das Leben, wie es auch sei, es ist gut.’ Manchmal konnte ein Mensch, der gerade ein wenig unter Glücklosigkeit litt, nicht glauben wie alles so friedlich daliegen konnte, wo er doch die größten Probleme hatte. Ein sturmumwölkter Himmel schien Lilli angemessen. Einer, der mit ohrenbetäubenden Donnern und gleißend hellen Blitzen jedem übermittelte, dass es heute Nacht noch um Leben und Tod gehen würde. In Wahrheit aber, würde keiner erfahren welches Schicksal Lilli ereilen würde. Außer einer handvoll Menschen und Ex-Menschen würde niemand merken, wenn sie von dieser Welt verschwinden würde, oder stillschweigend weiterlebte. Es würde ja niemanden kümmern, weil keiner davon wusste und darum war Lilli dankbar. Wie Oktavians Pläne sich auch weiterentwickeln würden, noch hatten die Menschen ihren Frieden. Noch ahnten sie nichts. Nichts von der leisen Gefahr, die auf sie zukommen könnte. Könnte wohlgemerkt, denn noch immer schien Lilli Oktavians Hirngespinst so undurchführbar wie das Schlittschuhlaufen auf einem See im Hochsommer. Er könnte einfach untergehen. Blubb!

„Mich interessiert nicht was du denkst und doch kann ich es den Bewegungen deiner Gesichtszüge ablesen.“
 

Lilemour fuhr herum. Fort von dem Fenster, wo die Welt noch in Ordnung war.

Oktavian stand an der Tür. Der blinde Oktavian, dem Lilli durchaus zutraute noch mehr als nur die Bewegungen ihrer Gesichtszüge wahrnehmen zu können. Möglich, dass er direkt in ihren Geist sehen konnte. So gut es ging schob sie die Gedanken an diese Nacht davon und konzentrierte sich nur auf die roten Augen. Die roten leeren Augen.

„Man muss kein Genie sein um zu erfassen, womit sich die Gedanken einer Gefangenen beschäftigen.“ Lilli lächelte ein wenig, ihr Satz war klasse gewesen. Irgendwie schlagfertig. Wenn der Vampir der gleichen Meinung war, so wusste er sie gut zu verbergen. Er tat nämlich gar nichts. Fünf Minuten lang, so kam es Lilli vor. Wollte man es genau nehmen, dann könnten es auch zehn Sekunden gewesen sein. Ob Sekunden oder Minuten des Schweigens, sie zehrten an Lillis Nerven.

„Wollen Sie hier Wurzeln schlagen?“

Er antwortete nicht.

„Sie werden vertrocknen, ich werde sie nicht gießen.“

Wieder hielt Oktavian keine Erwiderung von Nöten. Er machte erschreckender weise tatsächlich den Eindruck, als hätte er nicht vor die nächsten...schätzungsweise hundert Jahre von diesem Fleck zu weichen. Das war ziemlich ungünstig, da es nur noch wenige Stunden dauern sollte, bis Ilias sie befreien würde. Würdevoll versuchte Lil ihre Torschlusspanik zu überspielen.

„Was versprechen Sie sich davon mich ohne Unterlass anzustarren, wo Sie mich doch eh nicht sehen können?“
 

„Was ist, wenn er nicht geht ehe die Uhr neun schlägt?“ Keinen Schritt bewegte sich Oktavian. Dennoch schien es Lilli, als wäre er ihr so nahe, wie ihr keiner je nahe gekommen war. Fast, als wären sie durch ein unsichtbares Band miteinander verwoben.

„Das denkst du jetzt“ ,hallte Oktavians Stimme in ihrem Kopf wider. Sie schlug die Hände an die Ohren. Ein übermächtiges Gefühl bemächtigte sich ihrer. Das Gefühl das man hatte, kurz bevor der Wagen einer gigantischen Achterbahn den höchsten Punkt erreichte und man genau wusste, es gab kein zurück. Man musste wieder hinunter und zwar nur auf dem einen Weg, der den Körper mit einem Vielfachen des eigenen Gewichtes belud. Aber Lilli kreischte nicht und sie hob auch nicht die Hände aus dem Wagen. Sie blieb einfach stehen an ihrem Fenster und schaute wieder hinaus. Es war alles wie nur Augenblicke zuvor, doch alles hatte sich verändert. Klein und eingeengt fühlte sich Lilli. Gefangener als jemals zuvor. Man hatte ihr den Körper geschnürt, die Seele gefesselt, das Herz eingesperrt. Wenn auch noch etwas von ihr übrig geblieben war dann, so fürchtete Lilli, war es nicht einmal mehr der Schatten ihrer selbst. Was sie sah, sah sie nicht mehr aus ihren eigenen Augen, sie sah es aus dem Blick eines Fremden. Sie sah nichts.
 

Dann drehte sie sich um und obwohl sie blind war, empfand sie die Anwesenheit der asiatischen Vampirzwillinge im Raum. Sinne, die sie nie besessen hatte malten ihr ein Bild, auf dem der Mann den leblosen Körper des weißhaarigen Vampirs vom Boden aufhob. Bleich, zerbrechlich, zweifelsohne tot. Die beiden gingen vor ihr in die Knie und sie legte eine ihrer kleinen Frauenhände auf Oktavians Kopf. Ihre Fingerspitzen fuhren durch sein seidiges, farbloses Haar. Seine Augen waren geschlossen. Oktavian der Vampir aber, war nie mehr so wirklich lebendig gewesen, wie in den Stunden, die folgen sollten. Dies begriff Lilemour. Sie wusste es, weil er in ihrem Körper existierte, das Blut und den Atem mit ihr teilte. Weil er sie war und sie er. Allen freien Willen hatte er ihr genommen, über keine Bewegung, war sie auch noch so klein, über kein Wort, war es auch noch so belanglos, konnte sie noch entscheiden. Nur die Gedanken waren ihr geblieben und die lagen vor Oktavian wie ein offenes Buch. Er hatte Lilemour in einen winzigen Teil ihres Bewusstseins zurückgedrängt und die vollständige Kontrolle übernommen. Er war übermächtig.

„Passt auf“ ,hörte sie sich sagen. Die Stimme weiblich, aber so tonlos als hätte sie in ihrem Leben niemals Emotionen erfahren. „Mein Leib ist mir teuer. Bringt ihn fort von hier, an einen sicheren Ort.“

Die Katze kam. Ohne Oktavians Körper auch nur zu beachten, sprang sie auf Lillis Arme, stupste sie mit der Nase an das Kinn und schnurrte.
 

Noch als das Abendrot die Menschen erfreute als wären sie nicht, unwissend, in größter Not, hatte Valentin die temporäre Bleibe Oktavians verlassen. Wie immer wenn er auf die Jagd ging. Es war nichts ungewöhnliches an seinem Tun. Niemand würde Verdacht schöpfen. Wäre es nicht um seine eigene Freiheit gegangen, er hätte sich nie mit Ilias verbündet. Wie stets zuvor verband ihn nichts mit dem arroganten Mann außer einer deftigen Portion gegenseitiger Abneigung, gewürzt mit der Feinschmecker Brise Verachtung, ach ja und mariniert mit ewigem Konkurrenzdenken. Ilias mochte –freilich kaum erwähnenswert- stärker sein, aber nur weil er älter war. Im Vergleich war Valentin sicherlich schon jetzt mächtiger, als es Ilias in der gleichen Anzahl toter Jahre auch nur annähernd gewesen war. Jawohl! So war es und nicht anders!

„He Süße! Komm rüber, wir wollen dir was zeigen! Nur kurz!“

Er war an den Ausläufern Novgorods angekommen. Oktavian hatte säuberlichst darauf geachtet, sich weitab vom Schuss niederzulassen und Valentin hatte diese Entscheidung begrüßt. Sie waren abstoßend, die Menschen von heute und vor allem ihre Bälger. Noch nicht einmal sechzehn, in Pullovern die größer waren als zwei dieser Nichtsnutze zusammen, mit schweißbehafteten Kappen die verkehrt herum auf dem inhaltslosen Kopf saßen, Händen in den an den Kniekehlen hängenden Hosentaschen und Zigarettenstummel im Mundwinkel. Sie konnten noch nicht einmal die Geschlechter unterscheiden. Er ignorierte sie und die nach Urin stinkende Bushaltestelle an der sie auf eine Mitfahrgelegenheit in die Innenstadt warteten.

„Jetzt zier dich doch nicht so, Süße! Kannst heut mit uns rumhängen, auch wenn du im ‚Fluch der Karibik’- Fieber meinst eine Augenklappe tragen zu müssen. Wir gehen ins Duala. Voll angesagter Schuppen!“

Sie waren dumm und lächerlich. Er war zwei Köpfe größer als die Meisten von ihnen, was bildeten sie sich ein? Und er hasste die harte, russische Sprache. Sie hörte sich an wie eine Axt, mit der man unablässig gegen einen Baumstamm schlug. Was gäbe er für eine Frau, die ihm verführerische Worte in einem französischen Singsang zuraunte.

„Bist wohl zu schüchtern, he?“

Er würde sich nicht die Finger schmutzig machen. Nicht an denen.

„Kussi! Kussi! Kussi Schmusi!“

Oh, wie weit, weit er über ihnen stand, diese armen Irren. Ihr Gelächter klang ihm noch in den empfindsamen Ohren, als er schon ganz in der Nähe von Stawrogins Anwesen war. Die ganze Zeit über wusste er nichts von den beiden Schatten die ihm in sicherem Abstand folgten.
 

„Schön dass du die Muße hast doch noch in dieser Nacht zu erscheinen.“

„Ich bin gekommen so schnell es ging ohne auffällig zu wirken.“

Schon zwei Straßen zuvor hatte Valentin gerochen, dass Ilias bereits auf ihn wartete. Er hatte gut überlegt was er sagen würde, doch der andere kam ihm wie so oft zuvor. Valentin hätte sich dafür selbst ohrfeigen können. Ilias bedachte ihn mit einem herablassenden Blick, während der Wind ihm ein paar schwarze Haarstränen ins Gesicht blies. 1798 waren die Damen in Schweden ihm allein dafür zu Füßen gelegen.

„Mein Ohrring!“ Valentin streckte seine Forderung untermauernd die Hand aus. Doch Ilias ließ nur seinen langen Finger, der in einem dunklen Handschuh steckte, leicht hin und her wanken. „Du bekommst ihn zurück wenn ich an meinem Ziel bin, ohne dass mir ein Hinterhalt die Ehre macht.“

„Ich pflege es, meine Abmachungen zu halten!“ Valentin bemühte sich, nicht mit den Zähnen

zu knirschen, als Ilias vorausschritt wie der Imperator der er nicht war. Die beiden Schatten waren längst auf dem Rückweg zu ihrem Herrn. Schneller als es das menschliche Auge erfassen konnte. Manch einer der sie sah glaubte vielleicht, zu lange geblinzelt zu haben.

„Du?“ Ilias lachte leise. “Das ist ja etwas ganz Neues. In dieser Angelegenheit rate ich dir trotz allem Ehrlichkeit. Es geht um zuviel, als dass du dir kindische Spielereien erlauben

könntest. Ich hoffe, das ist dir klar.“

„Es geht um zuviel? Das Mädchen ist nicht viel.“

„Ich rede von unserer Freiheit. Stawrogin gibt sie auf, für ein höheres Ziel wie er meint, nun gut. Von uns aber soll Oktavian wissen, dass wir ihn weder fürchten, noch ihn mit unserem Schicksal jonglieren lassen wie es ihn amüsiert. Lass mich das erste und wahrscheinlich letzte Lob an dich aussprechen. Die Zeit um sich von Oktavian zu lösen, hätte nicht besser gewählt sein können.“

Valentin schnaubte, „ich danke untertänigst, oh Meister der großen Zugeständnisse. Gib nur acht dass du dich nicht noch in einen echt netten Kerl verwandelst.“

„Keine Sorge, davon wirst du mich schon abhalten.“
 

Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her. Sie wählten Seitenstraßen, die von kleinen Häusern gesäumt waren. Kaum jemand schlenderte um diese Zeit noch freiwillig im kühlen Freien herum. Schon gar nicht wenn es schneite. Leicht und sanft fielen vereinzelte Schneeflocken auf die Vampire und schmolzen trotz deren temperaturlosen Haut fast sofort nachdem sie sie berührt hatten.

„Hey, hast es dir doch noch anders überlegt, was Süße?“

Keiner hatte die Tramper an der Bushaltestelle mitgenommen und Valentin hegte keinen Zweifel daran warum. Er hielt es weiterhin für das Beste sie zu ignorieren. Der schadenfrohe Blick den Ilias ihm zuwarf, war jedoch nicht zu übersehen.

„He sie dir das an, sie hat ihren Macker mitgebracht. Freakige Klamotten, Alter!“

Autos hupten. Ilias lief selenruhig über die voll befahrene Straße. Jeder Autofahrer war sich sicher, den suizidgefährdeten Mann überrollt, oder wenigstens krankenhausreif angefahren zu haben. Umso größer die Verwunderung, als er unversehrt an ihrem Auto vorbeigekommen war. Ebenso wie an allen anderen. Die Jungs an der Bushaltestelle klatschten, wenn einige von ihnen auch unsicher zurückgetreten waren. Einige mit mehr Hirn.

„Krasse Show, Kumpel und ne coole Perücke! War sicher arsch teuer. Ist das Echthaar aus Hinterindien?“

Noch ehe sie den Satz vollends zu Ende bringen konnten, fühlten sie plötzlich die düstere Vorahnung, die ihr Netz gemächlich um sie gesponnen hatte. Sie waren sich nicht mehr so sicher, ob es zu den besten Ideen des Abends gehört hatte, das seltsame Pärchen anzupöbeln. Aber da war es schon zu spät.
 

„Er war ein guter Mann. Friede sei für alle Zeit mit ihm.“

„Was...was tun Sie da?“

„Psst, Emilie!“ ,rügte Toni. „Man darf einen Vampir nie nach dem Sinn seiner Taten fragen! Entweder er sagt von selbst was er tut, was ungewöhnlich ist, oder er sagt eben nicht was er tut, was schon eher der Fall ist.“

Stawrogin stand mitten Raum, hielt das Kreuz, welches er abstruser weise immer um den Hals trug fest und murmelte fragwürdige Worte vor sich hin.

„Schon gut“ ,sagt er, als er sich ihnen zuwandte. „Es geht auch euch an.“

Da erkannte Emilie einen weiteren der unzählbaren Unterschiede zwischen dem Hausherrn und dem unmöglichen Ilias. Dieser war nicht im mindesten der Meinung, dass Emi und Toni überhaupt nur irgendetwas anging. Vor nur wenigen Stunden hatte Ilias das Anwesen verlassen. Emilie war froh gewesen.

„Leb wohl“ ,hatte Ilias zu Stawrogin gesagt. „Vielleicht liegen unsere Wege von heute an so weit auseinander, dass wir uns nicht wieder sehen.“

„Ja“ ,hatte Stawrogin geantwortet. „Vielleicht aber doch.“

„Vielleicht.“ Mit diesem Vielleicht war Ilias gegangen, ohne sie auch nur mit einem Blick zu streifen. Das war eine Kunst, denn Emi und Toni waren unübersehbar direkt neben ihnen gestanden. Die ganze Zeit.

„Er ist tot“ ,ließ Stawrogin sie nun wissen. Das waren die drei Worte, die gleich nach ‚ich liebe dich’ auf der Liste der berühmt berüchtigsten Phrasen Platz nahmen. Emilie schluckte. „Ilias?“
 

Um Ilias täte es ihr nun wahrlich nicht leid, oh nein. Nur bedeutete sein Untergang auch Lillis Untergang, weshalb sie betete, der schreckliche Mann möge wohlauf seinem mysteriösen Plan folgen. Stawrogin sah sie an. Ein wenig mitleidig, wie Emi fand.

„Nach all der Zeit die du in seiner Gegenwart verbracht hast, ist dir nicht klar geworden wie fähig er ist.“ Es war mehr eine Feststellung, denn eine Frage, die Emi ein wenig giftig werden ließ. „Die zusammengerechnet ein ein halb Stunden meinen Sie? Nun die haben gerade mal so dafür ausgereicht um sich klar zu werden, was für ein brutaler Typ hinter der hübschen Fassade lungert!“

„Du findest ihn hübsch?!“ Toni gab sich keine Mühe, seine mit sofortiger Wirkung eintretende Eingeschnapptheit zu verbergen. Emi aber, besaß nicht die Güte ihn zu beruhigen. Sie konnte gar nicht erst glauben, dass er auch nur auf den Gedanken gekommen war, sie würde Ilias ihm vorziehen. Im Grunde war jeder andere Ilias vorzuziehen. Was sie immer und immer wieder auf die Vorstellung zurückbrachte, welche Beziehung Lilli zu ihm hatte. Denn dass sie eine –sicherlich gänzlich banale- hatte, das war leider unumstritten.

„Der Botschafter.“ Stawrogin nickte. „Vor über einer Stunde hätte er sich melden müssen. So war es abgemacht. Bis jetzt hat er sich nicht geregt, also gibt es nur eine Möglichkeit. Die Botschaft wird niemals in Messkirch ankommen. Nicht auf dem Pfad, den ich bevorzugt hätte.“

„Der Mann mit dem Nasenhaar und der Nachricht an Trudlinde ist nicht mehr?“

Emi stieß Toni in die Seite. „Dann ist es wahr. Oktavian und seine Leute beschatten uns. Und sie haben Ihren Diener abgefangen.“

„Ich hege kaum Zweifel.“

„Voll assi!“ Antonio ließ sich breitbeinig in einen der Sessel fallen. Stawrogin hatte womöglich recht gehabt. Ohne große Schwierigkeiten, möglicherweise überhaupt nicht, würden sie die sicheren Mauern des Hauses nicht verlassen können. Emi und er. Sie, die jetzt genauso gut einen gemütlichen Abend zu Hause vor dem Kamin verbringen könnten.

„Wartet hier. Ich werde in wenigen Minuten zurückkehren, jedoch nur für kurz. Das Schicksal leitet meinen Weg nach Messkirch, auch wenn ich es gern verhindert hätte. In die Hallen des Escapatischen Ordens. Ihr könnt mir folgen, oder nicht.“

Dann war Stawrogin gegangen, so wie Vampire gingen, plötzlich. Keine Ahnung habend, was er in Emilies langsamem Menschengehirn für ein Tohuwabohu anrichtete. Toni schien damit keine Probleme zu haben. „Jetzt mal echt, Emi. Du findest Ilias doch nicht wirklich attraktiver als mich oder?“
 

Das Haus stand an einem Waldrand, an einem sehr dicht bewachsenen Waldrand. Unter den vor Feuchtigkeit gegen den Boden hängenden Ästen verharrten zwei Gestalten mit Gesichtern wie aus Alabaster. Licht drang durch einige der Fenster, im oberen wie im unteren Stockwerk.

„Es bleibt wie abgemacht?“ ,wollte Valentin wissen.

„Würde es nicht so sein, hätte derjenige von uns der eine Änderung im Sinn hatte, sie spätestens jetzt erwähnen müssen.“

Am Liebsten hätte Valentin Ilias nachgeäfft. Wenn der Erfolg des Kommenden nur nicht auch von diesem abhängen würde! Es brauchte kein weiteres Zeichen zwischen ihnen, sie trennten sich. Keiner von ihnen würde im Zweifelsfalle um den anderen trauern, allerdings rechnete keiner von ihnen damit, auch nur in die Nähe einer echten Gefahr zu kommen. Ihr Vorhaben hatte den Glanz eines ganz und gar hinter den Kulissen stattfindenden Manövers. Niemand würde etwas merken wenn alles glatt lief und obwohl vieles darauf hindeutete, konnte sich weder der eine noch der andere Vampir eines Gefühls des Argwohns erwehren.

Schon befand sich Ilias an der großen, unliebsam verputzten Hauswand und sah an ihr hinauf. Nach Valentins Beschreibung musste dies das Zimmer sein, in welchem man Lilemour festhielt. Kurz bewegte sich eine Silhouette hinter den zugezogenen Vorhängen am Fenster vorbei. Es war ihre Silhouette.

„Feuer!“ Valentin schrie nicht laut genug um irgendeinen Menschen im näheren Umkreis zu alarmieren, die Hausinsassen sehr wohl. Das war der Startschuss gewesen, die Partie konnte beginnen.
 

Ohne große Schwierigkeiten kletterte Ilias auf das Stichwort die Hauswand empor. Durch den groben Putz musste er sich noch nicht einmal darauf konzentrieren, wo er als nächsten Halt suchen konnte. Er konnte das Feuer und den Rauch bereits riechen. Die Flammen hatten sich trotz der vereinzelten Schneeflocken unbarmherzig ausgeweitet. Stück für Stück fraßen sie sich die Wände entlang. Erst außen, dann nach innen, über den Fußboden, an den Möbeln empor. Vampire hassten die Sonne, ihren sicheren Tod, aber auch das Feuer konnte ihnen gefährlich werden. Es strahlte eine Hitze aus, die der unerträgliche Pol zur Kälte ihrer Existenz bedeutete. Wie eine lauernde Gottesanbeterin hockte Ilias nun vor dem geschlossenen Fenster. Mehr als dort zu warten brauchte er nicht. So war es immer gewesen, in all ihrer menschlichen Stumpfsinnigkeit hatten sie doch stets seine Anwesenheit gespürt. Sie, die Mädchen die er gewollt und bekommen hatte. Ilias lächelte, als eine schmale Hand den Vorhang beiseite schob und gleich darauf hastig, aber leise das Fenster öffnete.

„Ilias!“ , hauchte Lilemour. Er hatte ihre Stimme vermisst. Das registrierte er eben so deutlich wie er wusste, dass er bisher nie eine Stimme vermisst hatte. Noch nicht einmal eine, die so schön war wie Stawrogins.

„Valentin hat also die Wahrheit gesprochen!“ Glücklich trat sie zur Seite um ihm den Einlass zu gewähren, den er sich ohnehin verschafft hätte.

„Bis jetzt sieht es so aus“ ,sagte Ilias. Sein Gesichtsausdruck verriet nicht, wie sicher er sich Valentins bleibender Treue war.

„Denkst du, er wird die anderen lange genug ablenken können?“ Unsicher beäugte Lil die Tür als fürchte sie, jeden Moment einen ihrer Peiniger hereinstürzen zu sehen und alles zu Nichte zu machen.
 

Lilemour schrie. Sie schrie und schrie und schrie. Doch Ilias konnte sie nicht hören, denn in Wirklichkeit kam keiner der Laute über ihre Lippen, die ihr Bewusstsein formten. Auch Oktavian ließ sich nicht von ihrem revoltierenden Sein beeindrucken. Es war, als bemerkte er ihre Anwesenheit in ihr selbst nicht und doch wusste sie, dass er sie genau hören konnte.

„Er kommt“ ,hatte er sie nur wenige Minuten zuvor wissen lassen. Lilli hätte alles darum gegeben, Ilias von ihr abhalten zu können. Nein, von ihm.

Hilflos hatte sie jedoch mit ansehen müssen, wie der männliche asiatische Vampir dem Oktavian in ihr zuvor einen langen dünnen Dolch gegeben hatte. Er steckte sicher an der Seite ihres Hosebundes. Sie spürte das kühle Gewicht, das sich gegen ihre Haut presste.

„Ich denke“ ,hörte Lilli Ilias sagen, „du solltest mich meiner Aufopferungsbereitschaft wegen gebührend willkommen heißen.“

Für Lilli war er nicht sichtbar, doch die scharfen Sinne Oktavians ließen sein Gesicht vor ihrem inneren Auge entstehen. Sein schönes Gesicht mit den dunklen Augen, der aristokratischen Nase und dem anmaßenden Grinsen. Anmaßendes Grinsen?! Was hatte er eben gesagt?! Nein! Er würde doch nicht hier und jetzt und vor allem nicht Oktavian! Sie mobilisierte all ihre Kräfte um sich von Ilias ein paar Schritte zu entfernen. Es lag aber nicht in Oktavians Willen sich zu bewegen und so taten sie es nicht.
 

„Feuer! Feuer! Oktavian, wo bist du?“ Robertas vor Angst schrille Stimme hallte durch das Treppenhaus. Es hörte sich an, als wolle sie die Treppen mit ihren schweren Schritten erklimmen, doch Garreth zog sie mit wütenden, englischen Ausrufen zurück.

„Stay back!“

„Nein lass mich. Ich muss ihn finden! Vielleicht ist er irgendwo in den Flammen eingeschlossen. Vielleicht weiß er nicht dass fast das ganze Untergeschoss brennt!“ Ihre Stimme wurde leiser, klang aber nicht weniger verzweifelt. Dies schien Garreth noch ungeduldiger werden zu lassen. „Damn, be quiet! Er ist ein verdammter Vampir“ ,schimpfte er weiter. „Wenn einer überlebt dann er und glaube mir, es ist ihm scheiß egal was mit uns passiert! Ob wir hier flambiert werden oder nur Verbrennungen dritten Grades erleiden!“

„Wo er recht hat, hat er recht.“ Ilias streckte eine Hand nach Lilemour aus. Sie konnte sich noch so sehr darauf konzentrieren ihn nicht berühren zu wollen, ihre Hand legte sich doch in seine.

„Sieh an, sieh an“ lachte Ilias. „Der guten alten Roberta scheint ja ziemlich etwas an unserem Albino zu liegen. Und das ganz ohne Bann, ich bin gelinde gesagt beeindruckt. Wie bringt es nur jemand über sich, Oktavian zu lieben?“

„Wer brächte es über sich, dich zu lieben?“ Entgeistert über ihre eigenen Worte, die doch

allein Oktavians waren, schien das letzte Fünkchen Widerstand gegen den Eindringling in Lilli zu bröckeln. Nie waren diese Worte ihr auch nur in den Sinn gekommen, so falsch waren sie. Doch Oktavian übermittelte sie in einem Ernst, der sie sie beinahe selbst glauben ließ.
 

Was tat Oktavian? Er würde alles zerstören was sie sich aufgebaut hatte und damit ihre letzten Hoffnungen. Dann war da noch etwas. Für einen Moment, den nicht nur ein Vampir hätte einfangen können, fiel Ilias’ sonst so undurchsichtige Maske in sich zusammen. Für kurze Zeit war sein Gesicht ein Gesicht voller sichtbarer Emotionen. Es spiegelte nicht nur ein menschliches Gesicht wider, es war eines. Was zeigte es? Verwunderung und Ungläubigkeit? Oder Trauer und Leid? Der Augenblick war zu kurz, als dass Lilli es hätte erkennen können. So schnell wie er gekommen war, verschwand er und Ilias schien wieder nichts mehr als der Vampir zu sein. Völlig beherrscht und durchdacht.

„Ein beachtenswerter Sinneswandel. Und gelogen“ ,entschied Ilias ohne mit der Wimper zu

zucken. Lillis eingesperrtes Herz blieb nur wenig Zeit erleichtert aufzuatmen. Oktavian zog den Pullover über ihre verletzte Schulter. Wie nebenbei streiften Ilias’ Augen den Biss Valentins. Betreten wie es Lillis Art gewesen wäre, sah Oktavian auf den Boden und flüsterte unsicher: „Vielleicht gibt es da jemand anderen für mich. Tut mir leid.“
 

Lilemour wand sich innerlich. Sie drückte, schlug und trat gegen ihr Gefängnis. Nichts auf der Welt war noch von Bedeutung, außer sich von Oktavian zu lösen. Sie musste wieder sie allein werden, sie musste Ilias die Wahrheit sagen. Er durfte nicht näher kommen! Rauch quoll unter der Türe hervor, es wurde immer wärmer. Schweiß trat ihr aus den Poren, als die ersten

Flammen sich durch das Holz fraßen. Ilias schaute alldem mit abgeklärtem Desinteresse zu.

Denn er sah Lilli an, seine Augen wurden schmaler. Schüchtern wich Oktavian seinem Blick aus.

War es beabsichtigt, oder ein Versehen? Lil schnappte einen kleinen Gedanken von Oktavian auf. In ihm sah sie Ilias in eindeutigen Absichten näher kommen und sie fragte sich, ob er tatsächlich Gewalt anwenden würde. Aber dann. Dann als Ilias ihr gerade nahe genug gekommen war, riss sie den Dolch aus der Hose und stach es ihm mit aller Gewalt ins Herz. Überrumpelt von ihrem Verrat wehrte er sich nicht, als Lilli ihn in das Feuer schubste, welches die Tür bereits zerfressen hatte. Er streckte noch eine Hand nach ihr aus, doch der Dolch und das Wissen um den Verrat im Herzen hatten ihn genug geschwächt, dass er dem Stoß nicht mehr entgegenwirken konnte. Wie das schwarze Segel eines kippenden Mastes verschwand er in der gelb-roten Glut. Lilli wurde übel, sie hatte furchtbare Angst um ihn.
 

Oktavian ließ sie nicht zusammenzucken, als Ilias schon bei ihnen war. Der hielt sie mit nur einem Arm um Lillis Rücken eng an sich gepresst. So hatte Oktavian noch keine Chance an den Dolch zu kommen. Ilias fuhr leichter als die Berührung eines Schmetterlings mit dem Mund über Lillis Schulter. Er wusste wer es gewesen war, er hatte es längst gewusst.

„Das akzeptiere ich nicht.“ Ilias Flüstern war leise aber bestimmt. Wenn er nur bloß seinen Griff nicht um sie lockerte. Oktavian versuchte ihre Hand zu der Stelle zu führen, an der sie den Dolch stecken wusste. Die Gegenwart des Feuers brannte Lilemour schwer auf der Haut, noch mehr dem der Wärme entwöhnten Oktavian. Sie verbarg den Kopf an Ilias’ Schulter. Wie gerade er dieser Hitze so sorgenfrei entgegensehen konnte, war ihr ein Rätsel. Er ergriff ihr Gesicht mit beiden Händen und zwang sie, ihn anzusehen. Wieder formte sich ungesehen das Bild seiner Gestalt vor ihrem und Oktavians geistigem Auge. Ilias’ so dunkle Augen bohrten sich in ihre als suchten sie nach einem Hinweis, der alles was sie gesagt hatte negieren würde. Er suchte so gründlich und so tief, dass Lilli das Gefühl hatte, er wäre bis an die Ketten gestoßen, die Oktavian ihr auferlegt hatte. So wie sie dort in sich kauerte. Klein, nackt und keines Willens mehr fähig. Wohl war alles was sie fühlte reines Wunschdenken. Sie spürte, wie sich Oktavian an ihrer Stelle vor Ilias verschloss, wie um das Gesagte zu unterstreichen. Um ihn ein für allemal abzuweisen.
 

Ilias schloss die Augen langsam und lächelte. Es war ein aufgesetztes, zynisches Lächeln. Eines, welches gruseliger wirkte als das eines Clowns. Er lockerte den Halt um sie. Nein! Nein, er durfte ihn nicht lockern! Er durfte Oktavian keinen Handlungsspielraum geben! Es krachte, Teile des Gebälkes stürzten funkensprühend nieder. Ilias nahm seine Blicke nicht von ihr, obgleich alles um sie herum einzustürzen drohte. Es wurde heißer und heißer. ‚Lass mich nicht los!’ ,rief Lilli ihm tonlos zu. ‚Lass mich nicht los oder geh weit fort!’ Am Besten war, er würde nicht wieder kehren, denn sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie Ilias informieren wollte und ob Oktavian sie jemals wieder frei geben würde, ohne sie zu töten.

„Wir sollten uns beeilen“ ,hörte sich Lilli hektisch sagen. Ängstliche schaute sie um sich, „schnell, oder willst du, dass wir hier verbrennen?“
 

Oktavian frohlockte. Es war nun wirklich schon eine Zeit her, dass er hatte frohlocken können. Den anderen Vampir hatte er genau dort wo er ihn haben wollte. Ilias hatte sich geweigert sich ihm zu unterstellen, also musste er sterben. So einfach war das.

Der harte Griff um den Rücken des Mädchens wurde sanfter. Langsam führte Oktavian die Finger wieder an seinen Gürtel. Durch die Hand seines geliebten Wesens getötet zu werden, würde Ilias trotz all seiner Abgebrühtheit schwer treffen. So schwer, dass Oktavian genügend Augenblicke blieben, um ihm dem Feuer zu übergeben. Ob Ilias dann noch die Kraft und im Besonderen den Willen aufbrachte sich zu retten, blieb dahingestellt. Oktavians Chancen standen gut. Bis zu diesem Moment.

Er stutzte. Etwas geschah, etwas Unbekanntes und zu allem Überfluss konnte er nichts dagegen tun. Tatsächlich brauchte er einige Atemzüge bis er verstand.

„Lass...lass uns gehen, Ilias! Schnell!“ Beinahe versagte ihm die Stimme. Oktavian fuhr mit der Hand an seine Kehle und hustete.

Ilias hob das Kinn des Mädchens neugierig an. Mit aller Macht die Oktavian aufbringen konnte, versuchte er den aufkommenden Drang zu bezwingen. Was passierte war unmöglich.

Seine Kehle wurde enger und enger, sein Brustkorb schnürte sich selbst zu. Sogar seine Nase fing leicht zu jucken an. Oktavian hatte längst vergessen wie es ging. Jetzt weinte er. Nein, das Mädchen weinte und er vermochte es nicht, sie zu stoppen.

„Du brauchst nicht zu weinen. Ich wusste sehr wohl dass du niemals etwas für Valentin, oder für einen anderen empfinden würdest, solange es mich gibt.“

Ilias fing damit an ihre Tränen abzulecken, wo sie auch ihre Bahnen gezogen hatten. Oktavian hatte nicht viel Erfahrung mit der Traurigkeit, aber er verstand die Notwendigkeit bei einer solchen Äußerung seines Widersachers Tränen zu vergießen. Auch fühlte er Lillis Furcht, ihre letzten Kräfte umsonst mobilisiert zu haben. Ilias schien nicht verstanden zu haben was sie ihm hatte sagen wollen.
 

Plötzlich fuhr ein Ruck durch den Körper den Oktavian beherrschte und er machte das Geräusch, das dem Weinen zuzuschreiben war. Er schluchzte. Das Mädchen legte nun ihre verbliebene Macht darauf an zu sprechen. Er musste die Nase hochziehen. Verzweifelt formte sie ihre durch die Tränen feuchten Lippen zu Worten, die nicht kommen würden. So weit würde Oktavian es nicht kommen lassen. Seine Kraft schwappte wellengleich erneut durch ihren Körper. Weinend und immer weiter weinend zwang Oktavian Lilemour, sich an Ilias zu schmiegen. Sie zitterten im erbitterten Kampf darum die Kontrolle über den Körper des Mädchens zu übernehmen.

Ilias schien ihr Verhalten nicht weiter verwunderlich zu finden. Oktavian hatte recht gehabt, das Mädchen war stark. Er hatte sie sogar unterschätzt. Trotzdem war sie nur ein Mensch, kaum geboren und er ein Vampir, Jahrtausende alt. Mit der einen Hand klammerte sich Oktavian an Ilias’ Mantel, die andere bewegte sich auf den Gürtel zu.

„Ich fürchte mich nur vor dem Feuer“ ,sagte der Blinde stockend.

„N...Nicht!“ ,würgte Lilli heraus. Oktavian hatte es nicht aufhalten können, er konnte nur noch die Lippen zusammenpressen um weiteres zu verhindern. Wenn etwas stärker war als das Mädchen selbst, so waren es ihre Gefühle für den schwarzhaarigen Vampir. Er würde sie beide umbringen müssen wenn er den vollen Erfolg genießen wollte. Das lag ihm jedenfalls im Sinn.

„Nicht? Darf ich dich daran erinnern, dass du dich an mir festkrallst und nicht ich dich dazu nötige?“ ,fragte Ilias amüsiert.

Wieso verstand er sie nicht? Wieso? Er war doch sonst nicht auf den Kopf gefallen! Lilli stieß einen Schrei aus, der das Prasseln des Feuers übertönte. Doch sie war ein Mensch und Oktavian ein Vampir. Er riss den Dolch aus ihrem Gürtel und stach mit aller Gewalt auf Ilias ein.
 

Das hatte ihm jedenfalls im Sinn gelegen.

„Ich muss schon sagen, Oktavian. Die beste Einlage war das nicht gerade. Geradezu jämmerlich. Du hast schwach angefangen und schwer nachgelassen.“

Ilias hatte den Dolch in ihrer Hand kurz vor dem Eindringen in die linke Hälfte seiner Brust gestoppt und drückte nun nachdrücklich das Handgelenk zusammen. Er tat ihnen weh.

Verbissen versuchte Oktavian, die Waffe dennoch zu ihrem verdienten Blut zu führen. In diesem Körper aber, erreichte er gar nichts. Ilias schubste ihn mit unverschämter Beiläufigkeit auf das Bett, zu dem das Feuer noch nicht vorgedrungen war.

„Deine Wangen haben nicht einmal diese reizende Röte angenommen, als ich dich umarmte. Ich vermisste deine niedlichen Seufzer, als ich meinen Mund auf deine Schulter legte. Das war nur der Anfang einer Aneinanderreihung deiner Fehler. Kein Beileid für deinen Misserfolg, Oktavian, und deine Dreistigkeit mir jemanden vorspielen zu wollen, den ich ausgesprochen gut kenne. Ich hätte dich für klüger gehalten.“

Oktavian zuckte gleichgültig mit ihren Schultern, „was tut’s, schon das Spiel war es wert.“

„Raus da, oder ich ziehe deinen Geist persönlich aus der menschlichen Hülle.“ Ruhig stand Ilias vor ihnen, doch seine Augen sprühten hellere Funken des Zorns als es der Brand um sie herum tat. Oktavian lachte humorlos, worauf er sich mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf der Matratze räkelte. „Du kannst mich nicht vertreiben und das weißt du.“
 

Lilli fand, dass sich das ziemlich ehrlich anhörte und auch so anfühlte.

„Wie wäre es wohl“ ,fuhr Oktavian fort, „wenn ich für immer hier bliebe? Es gibt schlimmeres, ich könnte mich eingewöhnen. Was deine Zuneigung zu dem Menschen betrifft will ich dir kein Hindernis sein. Komm doch her! Komm her und nimm was du dir nehmen möchtest. Nimm sie und mich.“

Ilias’ Gesichtsausdruck verzog sich nicht angeekelt, wie es Lillis getan hätte.

„Bist du wahrhaftig der Meinung ich würde, ob du nun da bist oder nicht, auch nur einen Augenblick zögern wenn ich lediglich ihren Körper besitzen wollte?“

Auch er zuckte nun mit den Schultern, „ja, ich will ihn. Doch ohne den Rest von ihr, einfach alles, ist er mir nichts weiter wert als flüchtiger Spaß. Wie bei den anderen. Darum wirst du sie verlassen. Ich fordere dich nur dieses eine mal noch auf!“

Ilias kam näher. „Du bist zu lange isoliert gewesen. Du hast keine Ahnung wie man sich anständig bewegt um den Beischlaf zu begünstigen. Es sei denn, du verbindest ihn mit einem zuckenden Aal, der an rheumatischen Beschwerden leidet.“

Oktavian ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und Lilli hoffte inständig, er möge endlich aufhören ihre Hüften hin und her zu schieben, als traten sie bei einem Bauchtanzwettbewerb auf. Besser gemacht hätte sie es wahrscheinlich auch nicht, weshalb sie Ilias’ Aal-Vergleich ein wenig verschreckt hatte.

„Hochmut kommt vor dem Fall“ ,sagte Oktavian einfach und schob Ilias herausfordernd ihren Oberkörper entgegen. Lil fragte sich, was ihr noch alles zugemutet werden würde. Die peinliche Situation rettete lediglich, dass Ilias über den toten Eindringling in ihr Bescheid wusste. Das Blatt würde sich wenden können. Alles würde gut werden können.
 

„Ein Hinterhalt! Sie wussten dass wir kommen, sie...“

Valentin stürzte sich mit den Armen vor dem Gesicht durch dir brennende Tür. Dicht hinter ihm, einer der asiatischen Zwillinge.
 

Fortsetzung folgt!

Flucht

Können wir heute einen Rekord feiern? Ich habe gerade gelesen dass es auf die Halbjahresgrenze zu geht! Es stimmt! ;_;

Der „Rekord des lange nicht mehr hochladens?“ Guinnessbuch, ich komme und das, obwohl ich nicht stolz bin, nein, nein! Schlagt mich mental, werft mit Steinen nach mir, ich habe es verdient.

Vielen, vielen dank an alle Kommentarschreiber und die, die mich immer wieder zum Weiterschreiben angestupft haben^^ Am Ende hat es gefruchtet.

Das nächste Kapitel wird sehr wahrscheinlich das Letzte sein und ich werde am Besten gleich damit anfangen, damit ich nicht erst wieder alles durchlesen muss um den Faden wieder zu finden^^;(P.S.: Aller Logik nach müsste es dann wesentlich schneller gehen, auch wenn ich mit der Logik manchmal nicht auf ganz so gutem Fuß stehe ;))

-> Mal sehen wie lang es dann wird, wo mir Richtung Schluss doch meist noch ein Haufen einfällt, hehe.

Darum bitte ich euch, bleibt mir gewogen wenn es nun ein letztes Mal „Fortsetzung folgt“ heißt! (;_;)
 

Danke und viele Grüße,

Fany

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Letztes Mal:
 

„Ich muss schon sagen, Oktavian. Die beste Einlage war das nicht gerade. Geradezu jämmerlich. Du hast schwach angefangen und schwer nachgelassen.“

Ilias hatte den Dolch in ihrer Hand kurz vor dem Eindringen in die linke Hälfte seiner Brust gestoppt und drückte nun nachdrücklich das Handgelenk zusammen. Er tat ihnen weh.

Verbissen versuchte Oktavian, die Waffe dennoch zu ihrem verdienten Blut zu führen. In diesem Körper aber, erreichte er gar nichts. Ilias schubste ihn mit unverschämter Beiläufigkeit auf das Bett, zu dem das Feuer noch nicht vorgedrungen war.

„Deine Wangen haben nicht einmal diese reizende Röte angenommen, als ich dich umarmte. Ich vermisste deine niedlichen Seufzer, als ich meinen Mund auf deine Schulter legte. Das war nur der Anfang einer Aneinanderreihung deiner Fehler. Kein Beileid für deinen Misserfolg, Oktavian, und deine Dreistigkeit mir jemanden vorspielen zu wollen, den ich ausgesprochen gut kenne. Ich hätte dich für klüger gehalten.“

Oktavian zuckte gleichgültig mit ihren Schultern, „was tut’s, schon das Spiel war es wert.“

„Raus da, oder ich ziehe deinen Geist persönlich aus der menschlichen Hülle.“ Ruhig stand Ilias vor ihnen, doch seine Augen sprühten hellere Funken des Zorns als es der Brand um sie herum tat. Oktavian lachte, worauf er sich mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf der Matratze räkelte. „Du kannst mich nicht vertreiben und das weißt du.“

...

„Ein Hinterhalt! Sie wussten dass wir kommen, sie...“

Valentin stürzte sich mit den Armen vor dem Gesicht durch die brennende Tür. Dicht hinter ihm, einer der asiatischen Zwillinge.

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„Du hast sie ermordet! Ermordet!“ Die Stimme des asiatischen Vampirs hallte ungewohnt kraftvoll von den Wänden wider. In seinen Augen glitzerte die wilde Verzweiflung die ihn dazu trieb, einen brennenden Holzbalken durch den Raum zu schleudern. Valentin wich ihm ohne Schwierigkeiten aus.

„Wer wollte hier wen ermorden?“ ,rief er dem anderen zu. „Ich bin nicht mit gewetzten Krallen um die Ecke geschossen und habe euch angegriffen. Hätte ich sie nicht getötet, hätte sie mich getötet! Ist das logisch oder was? Und was tut ihr überhaupt noch hier?!“

Valentin wandte sich an Ilias, der dessen Auftritt mit mildem Interesse verfolgt hatte. Verwirrt sah er von ihm auf die auf dem Bett lungernde Lilemour.

„Wenn dir das Mädchen aus den zweifelsohne hirnverbranntesten Gründen so abartig wichtig ist, hättet ihr besser daran getan längst aus dem Haus zu sein! Ich erinnere mich dunkel daran, dass es auch so verabredet gewesen war“ ,nörgelte Valentin weiter. Diesmal wich er der auf ihn gezielten Kommode nur knapp aus.

„Sacre bleu! Ihr könnt machen was ihr wollt, aber ich verschwinde hier! Der schlitzäugige Kerl hier kriegt den Rappel!“

Noch ehe Valentin die Worte zu Ende gesprochen hatte, erschütterte die Anwesenden ein ohrenbetäubender Knall.

„Der Sprengstoff“ ,grinste Lilemour. Oder treffender, Oktavian tat es, dessen Geist sich noch immer in Lilli befand und seinen Wirt gnadenlos unterdrückte.

„Sprengstoff?“ Dem Gesicht Valentins war etwas wie leichte Irritation abzulesen. Lilli stützte sich mit den Unterarmen auf, gelassen wie zuvor, als wäre das glühend heiße Feuer um sie herum nicht im Stande sie alle mit seinen Flammen zu verzehren.

„Du wusstest es nicht“ ,klang Lil’s Stimme tonlos zu Valentin vor, „doch ich habe es den uns verschworenen Mitgliedern des Escapatischen Ordens gestattet, die hiesigen Kellergewölbe als Waffenlager zu benutzen. Wenn ich nicht irre, hat das Feuer nur eine von vielen Fässern Dynamit erreicht. Nun“ ,sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, „Menschen versuchen ihre Schwäche im Kampf nun einmal mit Hilfsmitteln auszugleichen.“

Der asiatische Vampir stürzte sich mit einem schmerzerfüllten Heulen auf Valentin. Sein Hemd hatte bereits Feuer gefangen, doch darauf schien der bleiche Mann der seine Schwester verloren hatte, nicht mehr zu achten. Seine Hände waren zu Klauen geformt, die Zähne gebleckt wie bei einem bis auf’s Blut gereizten Hund. Wenig unterschied er sich noch von dem wilden Vampir, der einst Oktavian gedient hatte und nun nicht mehr existierte. Genauso wie die zum Feind übergelaufene Unwana, Oberhaupt des hiesigen Ordens, und so viele andere.
 

„Das Mädchen ist hinüber!“ ,zischte Valentin Ilias zu, wobei er den Angriff des Asiaten nur mit Mühe parierte. „Ihr Verstand ist flöten gegangen. Sie haben sie in den Wahnsinn getrieben, eine unserer leichtesten Aufgaben. Hab doch gleich geahnt, dass die exotischen Brüderlein und Schwesterlein noch perverser sind als du. Vielleicht steht sie auch unter Rauschgift. Jedenfalls weckt es in mir nicht gerade Vertrauen wenn sie von Menschen spricht als wäre sie nicht selbst einer. Wirf sie ins Feuer!“

Ja, so war er. Erst knabberte er Lilli an und im nächsten Moment würde er sie ohne mit der Wimper zu zucken ins Feuer werfen, ohne sich überhaupt erst Gedanken darüber gemacht zu haben, ob es noch eine andere Erklärung für ihr Verhalten als den Wahnsinn gab.

„Erkennst du nicht wen du vor dir hast?“ ,wollte Ilias mit abwertendem Blick wissen. Valentin antwortete ihm nicht, er schien ihn nicht einmal bewusst gehört zu haben.

Lilli konnte Valentin in dieser angespannten Situation jedoch nicht verübeln, dass er seinen ansonsten scharfen Verstand etwas schleifen ließ. Abgesehen davon war sie sich beim besten Willen nicht sicher, ob es nicht wirklich die beste Lösung wäre, sie zusammen mit Oktavian den Flammen zu übergeben. Einfacher als jetzt würden sie ihren Widersacher niemals wieder los werden können. Er lebte jetzt nur durch sie, war dafür aber ebenso körperlich schwach wie sie. Oktavian würde seine Position ausnutzen so lange er konnte, da war sich Lilli hundertprozentig sicher. Bis zum bitteren Ende. Die Frage war, wie lange Ilias mitspielen würde, bis es ihm zu blöd wurde. Denn Lilli wusste noch immer nicht ob er Gefühle für sie hegte und wenn, welcher Natur sie waren. War sie ihm nicht wenigstens ein bisschen etwas wert, wenn er jetzt noch da war? Oder zeigten sich seine bloße Besitzgier und sein grenzenloses Überlegenheitsgefühl so krankhaft, dass er dafür alles in Kauf nahm?

Die halb auf dem Boden hängende Bettdecke hatte Feuer gefangen. Lilli und Oktavian spürten die Hitze an ihren Beinen, Oktavian zog sie zu sich an den Körper. Es knallte erneut, dieses mal bröckelte Putz von den Wänden.

In jedem anderen Fall, wäre Lilli erschrocken aufgesprungen und hätte gemacht dass sie davon kommt, wie es jedem gesunden Menschen in den Sinn gekommen wäre. Jetzt saß sie nur da und die lodernden Flammen spiegelten sich in ihren leeren Augen.
 

„Lass mich endlich los! Fils de pute! Folge deiner missratenen Schwester und geh mir nicht länger auf die Nerven!“ Valentin packte den Vampir, der die Nerven seinerseits längst verloren hatte, an der einzigen Stelle die noch nicht brannte. Er warf ihn Richtung Lilli. Obwohl sie im eigentlichen Sinne nichts Visuelles aufnehmen konnte, sah sie den schwarzen Mann mit dem rot- gelb glühenden Mantel aus Glut durch Oktavians Sinne doch auf sie zu kommen. Lilemour verstand nicht, weshalb Oktavian ihren Körper nicht wenigstens zur Seite warf, oder die Hände vor ihrem Kopf verschränkte. Nein, er sah dem Feuerball entspannt entgegen, als hätte er eine der ruhigeren Kinoszenen aus Notting Hill vor sich und nicht etwa einen potenziellen Verbrennungstod. Eine zweite schwarze Masse tauchte plötzlich seitlich ihres Wahrnehmungsfeldes auf. Sie kollidierte mit der anderen. Jaulend krachte der asiatische Vampir in die brennenden Ruinen der ehemals dicken Wände.

Einen Wimpernschlag später spürte sie den unbarmherzigen Druck von Ilias’ Hand um ihr eigenes Handgelenk. Er zog sie vom Bett auf die Füße, doch Oktavian überließ alle Glieder sich selbst. Lillis Körper baumelte wie eine Marionette neben dem dunkelhaarigen Vampir. Oktavian hatte gewusst dass Ilias sie, die er für sein eigen hielt, nicht so einfach aufgeben und ihn, mit dem er noch eine Rechnung offen hatte, nicht so einfach davonkommen lassen würde.

Jetzt reizte Oktavian ihn.

Valentin lachte auf, kurz und scharf. „So kenn ich dich gar nicht, Ilias. Ich hätte die Arbeit sie sauber zu entsorgen gerade so selbstlos für dich übernommen und ich kann mich nicht erinnern, dich jemals nach Arbeit schreien gehört zu haben. Wie ich sagte, das Weib ist hinüber, sieh sie dir doch an. Aber gut, was kümmert’s mich. Ist mir scheiß...hey!“
 

Fragend hielt Valentin die wie leblos in seinen armen hängende Lilli im Arm. Er war gelinde gesagt erleichtert, dass Ilias zu beschäftigt war um bemerkt zu haben, wie ärmlich seine Reaktionsfähigkeit nach den herben Verletzungen im Hause Stawrogins noch waren. Er hatte den asiatischen Vampir weder angreifen gehört, noch gesehen, noch gerochen, oder gespürt. Die Ausweglosigkeit machte Oktavians Helfer zu einem Berserker. Er war unmittelbar aus den Flammen gesprungen. Die Oberfläche seiner Haut war völlig verbrannt, Kleidung trug er nicht mehr. Er sah aus wie ein Skelett, dem die letzten Reste an Fleisch und Muskeln wie verschieden große, nasse Waschlappen von den verkohlten Knochen hingen. Valentin hatte in seinem Leben und dem was folgte viel gesehen, aber dieser Anblick ging selbst den Hartgesottensten gehörig an die Nieren. Das Skelett war widerlich. Widerlich und ganz nebenbei kräftig genug Ilias in Schach zu halten. Es war das Feuer. Kein Vampir hatte jemals das Feuer zu unterschätzen. Es war heiß, fast so heiß und zerstörerisch wie die Sonne. Ilias wusste das. Ilias wusste alles was er für sich zu wissen als wichtig empfand. Trotzdem hatte er Feuer gefangen. Seine Hose brannte.

Es gab wieder einen ohrenbetäubenden Knall, der Valentin zum Fenster stürzen ließ. Das Mädchen hatte er fallen lassen. Es bewegte sich nicht mehr, aber es war auch nicht verletzt. Er würde gehen und beide ihrem wohlverdienten Schicksal überlassen. Ilias und sie. Sein Ziel war erreicht. Er hatte getan was er konnte um Oktavian klar zu machen, dass er sich nicht länger an ihn zu binden gedachte. Der weißhaarige Vampir war nirgends ausfindig zu machen, was Valentin nicht wunderte. Vielmehr hätte es ihn erstaunt, wenn sein jahrelanger Mentor seelenruhig in seinem Sessel das vermaledeite Katzenvieh verwöhnt hätte, während um ihn herum alles zerbrach. Natürlich hatte Oktavian den Braten rechtzeitig gerochen und trotzdem hatte er nichts verhindern können. Valentin hatte keinerlei Grund mehr hier zu bleiben. Er fühlte den Boden erbeben und das Haus in sich zusammenfallen. Sein Fuß stand bereits auf dem Fenstersims, bereit um sich nach draußen abzustoßen, da sah er sich noch einmal um. Ilias’ Augen schienen ihn aus dem Feuer heraus anzustarren und ihm irgendetwas überbringen zu wollen, ehe eine neu emporzüngelnde Flamme den Anblick wieder wegwischte. Noch hatte Ilias den Kampf gegen den dem sicheren Tode Geweihten nicht gewonnen. Es würde ihm nur nicht mehr viel Zeit bleiben sich aus den Klammern des Asiaten zu winden.

Die Fußbodenbretter fielen knarrend und knisternd ineinander zusammen.
 

„Ach Scheiße!“ Flink sprang Valentin vom Fenstersims, packte das Mädchen unter den Armen und zerrte es mit sich. Mit einem schützenden Arm vor dem Gesicht durchbrach er mit ihr die Fensterscheibe und stürzte in die Tiefe. Ohne einen Laut kamen sie sehr viel weiter unten wieder weich auf. Lilemour berührte nicht einmal den Boden.

„Einmal einen Deal mit diesem seiner Meinung nach ach so unfehlbaren Ilias eingegangen, und schon bin ich so balla balla wie du es selbst seit Neuestem zu sein scheinst“ ,schnorrte Valentin, „ich kann nicht glauben, dass ich dich wirklich gerettet habe.“

Lilli hörte sich trostlos husten. Ein Nacheffekt des aufgewirbelten Rußes.

„Gerettet hast du mich erst, wenn du mich so weit wie möglich von diesem seiner Meinung nach ach so unfehlbaren Ilias weggebracht hast.“

Für einen Moment sah Valentin richtig dumm aus der Wäsche, das zeigten Lilli Oktavians seltsam scharfe Sinne ohne Augenlicht. Das Gesicht des Blonden erschien ihr vor schwarzem Hintergrund, ohne sich von einer Landschaft oder Gegenständen ablenken zu lassen.

Steine lösten sich aus dem Mauerwerk und krachten wie Regentropfen auf den Boden hinunter. Untermalt von herrlich anmutenden Flüchen, warf sich Valentin Lilli über die Schulter und hechtete aus dem Gefahrenbereich. Lil schlug kaum einmal mit dem Kopf gegen Valentins Rücken, da hatten sie den Waldrand passiert. Sie hörte wie sich das Haus endgültig und im wahrsten Sinne des Wortes in Schutt und Asche verwandelte.

„Wo ist Ilias?“ Lilemour wurde erneut von einem starken Hustenanfall geschüttelt. Dies mal jedoch, hatte es keinen Reiz gegeben. Oktavian hatte sie nur zum Schweigen gebracht. Valentin pfiff durch die Zähne. „Erst behauptest du weg von Ilias zu wollen und nun schwingen schon wieder die höchsten Sorgentöne um ihn in deiner Stimme mit. Aber bitte. Er wird nicht sterben. Leider, er hätte es verdient.“
 

Oktavian spürte die Erleichterung die den Körper seines Wirtes durchfuhr. Er hätte ihn nicht spüren dürfen. Spüren sollte er allein das, was von ihm, Oktavian, ausging und nicht die Regungen des Mädchens. Gar nichts von ihr. Er sollte ihr Herrscher sein. Doch war er nicht die Person dazu sich etwas vorzumachen, denn Oktavian erkannte wie viel er an Kraft verlor. Mit jeder Minute die er noch in ihrem Körper war. Niemals zuvor war er auch nur annähernd so lange in einem Menschenleib gewesen wie jetzt. Die einzigen Erfahrungen die er bei einem ausgedehnteren Aufenthalt gemacht hatte, waren jene in diesem Moment. Er würde seinen Einfluss verlieren, das Mädchen wieder die Oberhand gewinnen. Sie war stark genug. Er musste über kurz oder lang in seinen eigenen Körper zurück. Eine einigermaßen unglückliche Wendung. Oktavian war dies bewusst, dem Mädchen nicht und darin lag sein Vorteil. Auch sie hatte viel Kraft aufgewendet um Ilias zu warnen, auch sie war schwach. Oder, sie glaubte schwach zu sein und diesen Glauben würde Oktavian zu unterstützen wissen.

„Nein...nein, ich möchte weg.“ Flehend ließ er Lilli Valentin anblicken. „Ja du hast recht! Meine Stimme war voller Sorge, als ich nach Ilias fragte. Aber nicht um ihn. Ich sorgte mich weil ich fürchtete, er wäre dort drinnen nicht gestorben! Meine Sorge war begründet. Er ist nicht tot, aber ich wünschte er wäre es. Lass uns bitte gehen!“

Jedes Wort aus dem Geist Oktavians schnitt Lilli ins Fleisch, doch sie konnte sich nicht dagegen wehren. Nicht mehr. Sie hatte sich eben ein letztes Mal gegen den Vampir aufgebäumt. Sie hatte erfahren wollen, müssen, ob wenigstens Ilias überleben würde. Er würde. Wohl war ihr schmerzlich klar, dass sie den Gedanken an das Ende seiner Existenz nicht ertragen hätte. Und das gerade wegen dem, dessen Existenz nur mit äußerster Mühe von der Welt zu tragen war. Dort, in dem hintersten Winkel ihres Bewusstseins, wo Lilli zusammengepfercht auf den endgültigen Todesstoss wartete, begriff sie nicht zum ersten Mal eines: Sie hatte nen’ totalen Knall! Nicht umsonst ließen sich die Vorgänge im Gehirn eines Verliebten mit denen eines psychisch Kranken vergleichen.
 

Valentin lehnte sie nicht zu umsichtig an einen Baum. „Du hast nen’ totalen Knall! Gib von dir was du willst, aber willst du wissen was ich glaube? Ich glaube, dass mit deinem Gehirn etwas nicht stimmt. Irgendwo zwischen unserer letzten Unterhaltung und dem Feuer ist bei dir da oben was ausgeklinkt!“

Er deutete vielsagend auf seine Schläfe, die noch zur Hälfte mit der Augenbinde verdeckt war.

„Sagst gerade du, wo du selbst wie ein aus der geschlossenen Anstalt geflohener Patient aussiehst!“

Lilli stockte. Sie hatte gesprochen! Es war ihr Satz gewesen, sie allein hatte ihn gesagt und nicht Oktavian. Die Grenzen des Winkels in dem sie kauerte, schienen sich ein wenig auszudehnen, sie fühlte sich, als bekäme sie mehr Luft als noch Sekunden zuvor. Das Erstaunlichste jedoch war, es hatte sie kaum Mühe gekostet zu sprechen. Ehe sie sich über die möglichen Bedeutungen und Folgen des eben Geschehenen einen Kopf machen konnte, schoss eine gewaltige Druckwelle aus Oktavians Willen durch sie hindurch. Der Schmerz bei Berührung eines unter Hochspannung stehenden Kuhzauns bohrte sich in alle Poren ihres Körpers. Sie stöhnte auf.

„Bist du verletzt?“ Es klang mehr beiläufig als auch nur ansatzweise wirklich besorgt. Valentin hob ihre Arme hoch, drehte Lilli hin und her und verkniff den Mund zu einem schmalen, missbilligenden Strich. „Dir fehlt überhaupt nichts, außer im Kopf.“

Oktavian ließ sich davon nicht aufhalten. Er ließ die Energie wieder durch ihre Glieder strömen und mit ihnen das Leben. Er setzte sich auch gleich voll in Szene, denn er warf sich in Valentins Arme. Wenigstens genau so leidenschaftlich wie die Beautys einer Seifenoper. „Ich weiß dass du weg gehst“ ,sagte er mit leiser Stimme, „weit weg! Jetzt, da du mit Oktavian gebrochen hast. Nimm mich mit!“

„Ich...“

„Schnell, bevor Ilias wie der Phönix aus der Asche aufersteht!“ Scheinbar voller Furcht blickte Oktavian blind in Richtung des Hauses und erzitterte.

„Erstens, unterbrich mich gefälligst nicht!“ Valentin schob sie von sich, „und zweitens, wie der Phönix aus der Asche? Hast du mal einen Drama Theaterkurs besucht oder warum redest du wie ein abgehalfterter Poet?“

Oktavian senkte bedauernd den Kopf. „Hast du mein Blut denn nicht gern gehabt?“

„Was?“

„Was?!“ ,entsetzte sich nach Valentin auch Lilli selbst. Sie schlug die Hand vor den Mund. Wieder hatte sie gesprochen ohne nachzudenken, oder sich anzustrengen. Etwas seltsames passierte, aber was?

„Was?“ ,wollte Valentin wieder wissen.

„Wie was?“ ,schaltete sich Oktavian erneut ein. Offenbar konnte selbst er der Situation nicht mehr völlig Herr werden. Der Stromstoß den er Lilli nun verpasste, kam ihr nicht mehr ganz so brutal vor wie die letzten, aber vielleicht gewöhnte sie sich nur langsam an seine Torturen. Es musste etwas an der Weisheit dran sein, dass einen wirklich all das stärker machte, was einen nicht umbrachte.
 

„Ich...ich“ ,brachte Oktavian mit gekonnt erstickter Stimme hervor, „bevorzuge dich unendlich mal vor diesem...diesem arroganten, selbstverliebten, herzlosen, menschenverachtenden, grausamen, rechthaberischen, schwarzhaarigen Monster!“

Valentin überlegte nicht lange. „Du hast meine volle Zustimmung. Dir ist es nur entgangen, seine Rücksichtslosigkeit, seinen Egoismus und seinen ungesunden Stolz zu erwähnen.“

“Danke, ich wusste du...“

„Seine zahlreichen Laster waren dir aber schon lange bekannt, wahrscheinlich bereits vom ersten Moment an und trotzdem war deine Liebe zu dem schwarzhaarigen Monster vor wenigen Stunden noch groß. Du wiedersprichst dir in einem fort. Ich hatte es nie für möglich gehalten dies einmal irgendwen zu fragen, aber, was ist los verdammt noch mal!?“

„Oktavian lässt mich nicht mehr frei, das ist los!“ Da war es wieder! Sie hatte sich erklären können, und nur sich, nicht ihn. Verlor Oktavian langsam aber sicher seinen Einfluss auf sie? Wenn dem wirklich so wäre...

Valentins Augen verengten sich. „Falls du es noch nicht mitbekommen hast, wir haben dich gerade von ihm befreit. Von meiner Seite her war es mehr ein Versehen, aber passiert ist es doch.“

„Lass uns jetzt endlich gehen! Bitte!“

Der Schnee unter Lillis Füßen knirschte als Oktavian aufstand. Es war kalt. Schade dass Oktavian nicht an eine Daunenjacke gedacht hatte. Musste an der Hitze im Gebäude gelegen haben. Er lief los.

„Komm“ ,forderte er Valentin auf.

„Nein b...bleib“ ,presste Lilli hervor. Waren die zufälligen, impulsiven Sätze zuvor noch leicht aus ihr herausgedrungen, so merkte sie nun wie schwer es war Valentin Dinge zu sagen, über die sie zuvor nachdenken musste. Ihre Gedanken waren eins mit Oktavian, weshalb er brutal dagegen steuerte, sobald er merkte wenn sie zu Sprechen vor hatte.

Bei dem Versuch Valentin ihre Misere zu erklären und durch Oktavians üble Angriffe auf ihr Sein, drückte sie die Hände gegen ihr Herz und krümmte ihren Oberkörper. Lilli betete, dass Oktavian es nicht auch noch schaffte einen Herzstillstand herbeizuführen. Diagnose: Unerklärbarer Sekundentod.
 

„Oktavian ist...ist...“ Lilli würgte, doch der Ton wollte und wollte nicht weiter über ihre Lippen kommen. Dafür erbebte ihr Bewusstsein in einem tiefen, unversöhnlichen Befehl. Vor ihrem inneren Auge formte sich ein Bild zusammen. Sie sah, wie sie röchelnd und aus allen nur erdenklichen Körperöffnungen blutete. Oktavian hätte Horrorfilmregisseur werden sollen.

Seine unausgesprochene Drohung, ihre Eingeweide von innen heraus platzen zu lassen, kam furchtbar echt rüber.

„Wo würdest hin wenn ich sterben würde? Ohne mich bist du nur noch ein Lufthauch aus Bosheit!“ Nach wie vor, so stellte Lilli fest, vermochte Oktavian ihre spontanen, ungedachten Worte nicht mehr zu stoppen. Dafür konnte Lilli sie nicht kontrollieren.

Valentin packte sie an der Schulter. Er fühlte sich angesprochen. „Lufthauch aus Bosheit? Danke für die Blumen. Ich hoffe es verletzt dich nicht zu sehr zu erfahren, dass ich ohne dich immer relativ gut ausgekommen bin. Um nicht zu sagen blendend. Ich würde dann nach Hawaii, oder vielleicht auch Korea gehen. Aufbrechen würde ich, lass mich nachdenken...genau jetzt und zwar ganz sicher ohne dich!“

„Nein!“ Lilli schrak zusammen als sie merkte, sie und Oktavian hatten synchron gesprochen. Mit einem wahrhaft gewaltigen Aufgebot an Jahrhunderte lang geübtem Willen, zwang Oktavian sie nieder. Mit einer Unerbittlichkeit, die ihren Körper in die Knie gehen ließ.

„Nimm mich nur ein Stück mit“ bat er Valentin, „nur bis ich weit genug von Ilias weg bin!“

„Glaubst du immer noch, du könntest ihm entkommen?“ Valentin stützte die Hände in die Hüften. „Viel elementarer noch, warum willst du ihm so plötzlich entkommen? Sag mal, bist du schizophren?“

Oktavian folgte der Bewegung die Valentin auf einmal machte: aufmerksam sah er an ihnen vorbei.

„Roberta...“
 

Tatsächlich hörten sie nur kurze Zeit später ein angestrengtes Keuchen.

„Valentin?“ Hoch und abgehakt piepste Roberta durch den schneebeladenen Waldrand.

„Valentin, du...!“ Sie hatte ihn erkannt. Hustend kam sie vor ihnen zum Stehen. Ihr Mantel aus Kaninchenfell hatte an manchen Stellen Brandlöcher, ihre Haare waren leicht angekokelt. Sie trug ein selbstgestricktes Set aus Mütze, Schal und Handschuhe.

„Du...du Verräter!“ Furchtlos und damit ziemlich sicher suizidgefährdet, riss sie Valentin an der Jacke. „ Wo ist Oktavian? Was habt ihr mit ihm gemacht, du verfluchter Froschfresser?“

Roberta war aufgeregt und völlig außer Atem. Das kratzte Valentin nicht sonderlich.

„Keine Ahnung, Spaniockel. Ich hoffe er ist nicht mehr, was ich bezweifle. Wo ist überhaupt dein irisches Gegenstück? Abgehauen?“

„Du! Du! Bei dir war Oktavian zuletzt ehe das Feuer ausbrach! Wo ist er, sprich!“ Roberta schüttelte Lilli verzweifelt. Tränen standen ihr in den Augen und obgleich Lilemour sie für ihren Verrat am Orden hassen sollte, schwappte eine Welle puren Mitleides für das ehemalige Oberhaupt durch sie hindurch.

„Ich habe ihn überall gesucht, überall“ ,fing Roberta zu schreien an. Als Antwort darauf drangen von der Ferne Stimmen, die nach ihr riefen, doch Roberta ignorierte sie. „Aber ich kann ihn nicht finden.“

„Eine Schande aber auch“ ,Valentin wandte sich unbekümmert zum Gehen. „Schick mir eine Postkarte wenn er sich gemeldet hat. Badet sicher gerade in einer heißen Quelle und entspannt sich. Das solltest du auch tun wenn du nicht hyperventilieren willst.“
 

Zitternd griff Roberta unter ihren Rock. Sie zog eine Schusswaffe heraus und richtete sie auf Valentin. Ihr Züge waren verbissen und gar nicht so unähnlich denen des verbliebenen Vampirzwillings. „Du bist an allem Schuld! Du und Ilias! Ja, ohne euch hätte alles wunderbar funktioniert.“ Ihre Stimme bebte wie ihre Hände. „Und ohne dich!“ Die Waffe zielte nun auf Lilli. „Ilias ist gekommen um dich abzuholen, nicht wahr Lilemour? Hätte Valentin ihm nicht gesagt wo du bist, hätte er sich Oktavian beugen müssen um dich lebend wiedersehen zu können. Alles hätte so gut funktioniert.“

Roberta ließ die Pistole leicht sinken und schien sich selbst für einen kurzen Moment in Gedanken verloren zu haben. Bis Valentin sich bewegte. „Mir ist das alles zu blöd, Menschen sind mir im Allgemeinen zu blöd. Au revoir.“

„Bleib stehen oder ich schieße!“ Robertas Stimme überschlug sich, doch sie meinte es ernst.

Der blonde Vampir zeigte sich gänzlich unbeeindruckt, zuckte mit den Schultern und lief davon. Roberta schoss. Die Kugel war zu langsam, Valentin verschwand in den Baumwipfeln. Robertas Augen blickten noch eine Weile suchend umher, bevor sie sich wieder Lillis Anwesenheit bewusst wurde. Für einen Moment sprach keiner. Man hörte nur die leisen Stimmen der Leute, die nach Roberta suchten, und den rasselnden Atem der Frau.
 

„Für dich ist er gekommen“ ,flüsterte Roberta dann. Sie riss sich die Mütze vom Kopf und schleuderte sie Lilemour ins Gesicht. Oktavian in ihr rührte sich nicht. „Wenn man es Glück nennen kann von einem Vampir geliebt zu werden, dann besitzt du es. Oktavian wäre nie für mich gekommen. Ich weiß dass es nichts an allem ändern würde, aber wenn ich ihn jemals wieder sehe, dann werde ich ihm sagen was ich für ihn empfinde! Und es ist mir egal ob er mich dann ansieht oder aus dem Fenster schaut und dabei seine Katze streichelt. Es ist mir egal, hörst du?!“ Mitten in ihrem Weinen, fing Roberta wieder zu schreien an. Lilli wünschte sich mit ihr reden zu können, sie wünschte sich, sie zu trösten, doch Oktavian verhinderte alle Aktivitäten ihrerseits.

„Du sollst...sollst nicht glücklicher sein als ich.“ Oktavian ließ Lilli den Eindruck erkennen, wie Roberta erneut die Waffe hob, den Finger am Abzug. Da brach Lillis Stimme wieder frei, doch sie konnte nicht mehr als ein entsetztes „Nein, warte!“ rufen. Lilemour spürte und sah in Gedanken, wie Oktavian ihren Fuß hob. Er drehte sich um die eigene Achse, duckte sich dabei und entrann so dem Schuss. Lilli hätte es nicht für möglich gehalten in dieser Kälte dermaßen beweglich zu sein. Wahrscheinlich war sie es auch nicht und morgen würde sie die vielen Muskelrisse zu spüren bekommen. Vorausgesetzt sie überlebte das Heute.

Sie spürte, wie ihre Verse Robertas Handgelenk traf und die Waffe in die Luft geschleudert wurde. Oktavian richtete sich auf und fing sie. In der selben Sekunde drückte er ab. Lilli hatte nicht die Möglichkeit gehabt ihn aufzuhalten. Roberta starrte sie verdutzt an, saugte Lillis völlig ausdruckslose Gesichtzüge in sich ein. Dann lächelte sie. Mit den gefrorenen Tränen auf den Wangen fiel zur Seite. Hatte sie ihn erkannt?
 

Lilli weinte. Sie dachte nicht darüber nach was sie tat, die Tränen flossen von selbst und Oktavian ließ sie laufen. Dennoch entdeckte Lilli in ihm keine Empfindung, die auf das Geschehene reagiert hatte. Es schien alles wie zuvor.

„Pas mal, Pascal!“ (Anm. : Nicht schlecht, Herr Specht!“) Valentin hing kopfüber vor Lilli vom Baum. „Ich wusste gar nicht dass du Kenntnisse im Kampfsport besitzt. Und ich wusste nicht, dass du eine Mörderin bist.“

„Sie hat mich angegriffen“ ,sagte Oktavian, „bring mich jetzt fort.“

„So gleichgültig?“ Valentin kam mit verschränkten Armen vor ihr auf. „Es ist mehr als eine Geisteskrankheit. Oder etwas anderes. Hätte ich die Muse, würde ich schon herausfinden was sie mit dir gemacht haben. Aber was hätte ich davon?“

Es hatte wieder zu schneien begonnen.

Oktavian warf die Waffe in den Schnee und taumelte auf Valentin zu. „Ilias liebt mich nicht“ ,erklärte Oktavian, die Stimme noch immer vom Weinen belegt. „Und ich dich nicht. Aber ich begehre dich. Hilf mir zu vergessen!“

Hätte Lilli wieder etwas mehr Gewalt über ihren Körper, wäre ihr jetzt schlecht geworden. Was zur Hölle hatte dieser kranke Albino nur vor? Was versprach er sich von dieser äußerst plumpen Anmache?

„Dass du mich begehrst könnte ich noch glauben und außerdem verstehen, den Rest jedoch nicht“ erklärte Valentin, der heute ein Bad in Bescheidenheit genommen haben musste.

„Ich schaue in deine Augen“ ,fuhr er fort, „und sehe dich doch nicht.“

So angestrengt Lilli auch versuchte Oktavians Namen hervorzupressen, so übermächtig unterband derselbe ihr Vorhaben. Er stellte sich stattdessen auf die Zehnspitzen und gab Valentin einen Kuss auf den Mund. Lilli fühlte, wie er dabei in ihre Augen sah um das Rätsel das sie umgab zu lösen.

„Deinen kostbaren Ohrring“ ,flüsterte Oktavian. „Ilias hat ihn danach lachend auf den Boden geworfen und ihn zertreten. In tausend Stücke. Ebenso wie er es mit meinem Herzen getan hat. Wir beide, du und ich, wir sind Leidensgenossen. Der Groll gegen ihn wird uns verbinden.“

Die Stimmen, die nach Roberta riefen kamen immer näher. Die Tote war bereits von einer dünnen Schneeschicht bedeckt.

Valentin löste sich von Lilli und ging. Er ging dabei jedoch langsam genug, dass Lilli ihm folgen konnte. Sie liefen schweigsam tief in den Wald hinein.
 

„Was ist das?! Seht euch das an, oh Gott, ein Überlebender! Ich fass es nicht! Kommt schnell hier her!“ Ein Feuerwehrmann, der an den Wagen geschickt worden war um einen weiteren Schlauch zu organisieren, bekam große Augen. Jetzt wedelte er seinen Kollegen mit den Händen zu. Sie bemerkten seine Kontaktversuche nicht, da sie vollauf damit beschäftig waren, den Brand zu löschen, der noch immer auf den Trümmern des ehemals stattlichen Anwesens wütete.

„Geht...geht es Ihnen gut? Wie...“

Der Arbeiter hatte sich nicht geirrt. Ein Mensch trat aus den Trümmern, aus dem Rauch, aus den Flammen. Erst war es nur eine dunkle Silhouette, doch die erwies sich schnell als ein Mann aus Fleisch und Blut. Seine Kleidung wies mehrere Brandschäden auf. Der Feuerwehrmann stürzte ihm mit Löschdecken entgegen. Doch er zögerte, als der Überlebende näher kam. Der Mann mit den Augen, die einen wie die schwarzen Löcher im All hineinziehen wollten, wies keinerlei sichtbare Verletzungen auf. Seine Haut war weiß und makellos, die schwarzen Haare hingen ihm in wilden Strähnen ins Gesicht und flossen weit hinab. Erst jetzt erkannte der Feuerwehrmann etwas Weißes in der Hand des Überlebenden. Der Anblick packte sein Herz mit blinder, unerklärlicher Angst und drückte es zusammen. Er ging rückwärts davon, dann warf er die Decken auf den Boden, drehte sich um und rannte so schnell er konnte. Es war nicht schnell genug. Der schwarze Schatten legte sich über ihn und er wurde bewusstlos.

Ilias ließ den Mann kurz darauf auf den Boden fallen. „Keine Angst um dein mickriges Leben, Mensch“ ,sagte er. „Von dir habe ich nur genommen was ich wirklich brauche, alles andere zähle ich zum Genuss.“ Seine Brust bewegte sich leicht, als würde er in sich hinein lachen, „und den hole ich mir irgendwo anders.“

Der Vampir stieg über den Ohnmächtigen hinweg und steuerte auf den Wald zu.
 

Hinter einem riesigen Haufen aus über die Zeit angeschwemmtem Geröll, lag ein See. Mitten im Wald. Seine glatte Oberfläche war mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Der Schnee fiel nur in kleinen Flocken auf die Erde, so dass sie bald Teil des Sees wurden.

„Ich kann nicht mehr“ ,jammerte Oktavian. Er log. Doch Valentin blieb tatsächlich stehen. Lilemour ließ sich in den Schnee fallen. Sie war sich sicher dass es nicht mehr lange dauerte, bis ihre Eingeweide vereist waren, aber Oktavian schien sich dessen nicht zu kümmern. Abschätzend sah Valentin auf sie herab. „Du solltest Zuflucht bei den Menschen suchen, sonst wirst du in absehbarer Zeit erfrieren. Russische Winter sind hart und du trägst nicht mehr als einen Pullover.“

„Dann wärme mich doch.“

„Wenn ich dir die Richtung in das nächste Dorf weise, habe ich schon viel für dich getan. Mehr als ich wollte und viel zu viel als ich sollte.“

Oktavian ließ ihre steifen, bläulich gefärbten Finger an den Ausschnitt ihres Pullovers wandern. Er zog ihn über ihre Schulter, so dass die letzten Rückstände des Bisses sichtbar wurden, den Valentin vor kurzem dort hinterlassen hatte.

„Nimm mehr“ ,bat Oktavian, worauf Valentin sich mit forschendem Blick zu ihnen hinunterbeugte. „Du musst verrückt sein.“

„Ja ist er!“ Oktavian verzichtete darauf, Lilli für diesen Ausruf zu züchtigen. Statt dessen packte er Valentin am Kragen und zog ihn vollends zu sich hinab.

„Bitte“ ,hauchte er ihm entgegen und festigte Lillis Vermutung. Oktavian hatte wohl abgeschieden von der Zivilisation gelebt, doch musste er stapelweise Videos mit Liebesschnulzen zu Hause liegen haben. Er drückte Lillis Hals an Valentins Mund. In diesem Augenblick erhaschte sie einen Blick auf die Gedanken des blinden Vampirs. Kurz aber deutlich sah sie, wie sich Valentin und Ilias bis aufs Blut bekämpften und schließlich gegenseitig umbrachten. Sie selbst, nein Oktavian, stand daneben und lächelte. Das war der Plan! So schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Feind und der Verräter töteten sich gegenseitig, womit sie ihm alle Arbeit abnahmen. War Ilias denn so angeschlagen, dass er tödlich verletzt werden konnte? Immerhin waren beide nicht in Top Zustand und damit wieder ebenbürtig.
 

„Du riechst gut“ ,murmelte Valentin gegen ihre Kehle, was Lilli innerlich gequält aufschreien ließ. Oktavian legte die Arme um den Hals des anderen Vampirs und schnurrte: „Komm, tu es, aber töte mich nicht. Dann kann ich lange, lange bei dir bleiben.“

Noch einmal löste sich Valentin von ihr um sie anzusehen. „Ich weiß, du bist nicht du selbst, aber ich weiß nicht warum und ich weiß nicht wie lange. Aber es geht mich nichts an, denn ich bin nicht dein Freund und auch nicht so dumm nicht zuzugreifen, wenn mir etwas wiederholt angeboten wird.“

Oktavian schenkte ihr die Sicht auf ein paar gierig glänzende Augen und scharfe Zähne, die, obgleich sie stets da waren, nun viel deutlicher zum Vorschein kamen. In diesen Situationen erst, offenbarten sie ihre wahre Funktion. Lilli presste aus eigenem Antrieb heraus die Augen zu, als sich Valentin schlussendlich zu ihr beugte. Ihre eiskalten Finger krallten sich durch Fremdsteuerung in Valentins Locken um seinen Kopf näher an sich zu pressen.
 

Im nächsten Augenblick knallte ihr eigener Kopf auf den Boden. Valentin war fort. Aber er war nicht weit. Auch er lag rücklings über ein paar Steinen. Und er ächzte. Nach diesem kurzen Beweis vergangener Menschlichkeit, hatte er sich wieder vollkommen im vampirischen Griff. Er stand in Verteidigungsposition, ihm gegenüber: „Ilias! Ein Glück dass du hier bist!“

„Ja, das hört sich furchtbar hasserfüllt an“ ,keifte Valentin Lilli ironisch an, nachdem er ein wenig Blut ausgespuckt hatte. Seine Unterlippe war aufgesprungen. War Lil wieder einen Moment sie selbst gewesen, so ließ Oktavian ihren Blick nun wieder gleichgültig und tot wirken.

„Ilias“ ,sagte er, emotional aufgeladen wie eine Rolle Toilettenpapier, „hast du nun gesehen wie wenig Ehrfurcht Valentin vor dir hat? Er hätte sich deinen Menschen genommen, im Bewusstsein dass du noch lebst. Es war ihm ganz gleich.“

Valentins Finger, der so klein und schmal wie der einer Frau war, richtete sich mehr als nur vorwurfsvoll auf Lilemour. „Jetzt redet sie von sich auch noch in der dritten Person, horrible! Sie hat praktisch darum gebettelt ihr Blut an den Mann zu bringen!“ Er lachte beinahe herzhaft, „was für ein linkes, schizophrenes Stück. Doch sei es wie es war, ich habe es nicht nötig mich vor dir zu rechtfertigen“ ,spie er Ilias an. „Sie ist nicht dein Mensch, sie ist irgendein Mensch. Frei zugänglich für alle!“

Lilli fand in ihrem Bewusstseinswinkel, dass Valentin sich überaus fragwürdig ausgedrückt hatte.

„Dass du dämlich bist wusste ich ja schon lange, aber ich hatte keine Ahnung dass deine Dämlichkeit sich nicht von Grenzen aufhalten lässt.“

Nun ja, wie immer nahm auch Ilias kein Blatt vor den Mund. „Du hast es tatsächlich nicht erkannt. Wie erbärmlich.“
 

Wie es geschehen war, wusste Lilli nicht, ihr war nur klar, dass sie plötzlich dicht vor Valentin stand. Ilias hielt sie am Kragen ihres Pullovers fest. Dann drückte er ihr etwas Weiches, Fellbesetztes in die Hand. Automatisch schlossen sich ihre Finger um die Leiche von Oktavians schneeweißer Katze.

„Sieh sie dir genau an, Valentin“ ,verlangte Ilias, wobei er Lilemours Körper unnötig grob hin und her schüttelte. Sie merkte, wie Oktavian ihren Mund zu einem kalten Lächeln verzog und spürte unwillkürlich, wie Valentin zu begreifen begann. Er ging einige Schritte rückwärts, fassungslos, keiner Worte fähig. Bis auf eines.

„Ihgitt!“ Wie besessen rieb der Blonde sich mit seinem Ärmel wieder und wieder über den Mund. Er sprang zum See hinüber, hieb seine Faust durch das Eis und spritzte sich das kalte Nass ins Gesicht.

„Du hast ihn geküsst?“ Valentin schlug nach Ilias, der zwischenzeitlich neben ihm stand.

„Halt deinen Mund! Ich habe sie geküsst, sie, hörst du?!“ ,raste er, was Ilias nicht dazu veranlasste sich zurückzuhalten.

„Was ist das?“ ,amüsierte er sich, „sollten sich deine Wangen röten? Bist du am Ende peinlich berührt? Ich habe noch nie Farbe in deinem Gesicht gesehen, Schneewittchen.“

Wie ein Pfeil schoss Valentin in die Höhe. Er verlor keine Zeit mit seinem Angriff und Ilias nicht mit seiner Gegenwehr. Das war das erste und letzte Mal, dass Lilemour jede der unmenschlich schnellen Bewegungen der Vampire verfolgen konnte. Es waren die Sinne Oktavians, die sie Zeuge seines Triumphes werden ließ.
 

Fortsetzung folgt!

Frivolitäten

Meine lieben treuen Leser (man stelle sich einen sentimentalen Unterton vor)!
 

Die Geschichte ist jetzt ihrem –trotz 6 seitiger Vorarbeit meinerseits mal wieder lang erwarteten- 24. Kapitel am Ende angekommen. Jetzt bin ich traurig. Aber ich bin auch glücklich, dass ihr, obwohl ich mir zwischen den Kapiteln so wahnsinnig viel Zeit gelassen habe, dabei geblieben seid. Ein fettes Danke dafür, eine saftige Umarmung und ein Küsschen links und rechts, wie es Valentin getan hätte, wenn er kein Vampir der distanzierten Art geworden wäre.
 

Zum Kapitel selbst lässt sich vorausschicken, dass ich es möglicherweise hätte verschlüsseln können/sollen. Aber nachdem ein paar Stimmen nach dem Adult Chap. aus „Alles fließt“ angemerkt haben, der Teil, der ja ohne explizit beschriebene Sexszenen (ich nehme an, eine gewisse Wortwahl war gemeint) ausgekommen war, hätte ruhig unverschlüsselt bleiben können...hab ich es diesmal so gemacht. <- hab die Kontrolle über meinen eigenen Satz verloren.

Dabei hätte ich es gern allein deshalb verschlüsselt um zu sehen, wer denn die Geschichte noch bis zum Ende verfolgte –denn viele von ihnen hätten mich ja um das Kapitel bitten müssen, muahahaha. Aber ich Faultier habe euch immer so lang auf die Folter gespannt, da kann ich mich auf diesem Weg doch entschuldigen, dacht ich mir und tat’s ;). Was ich eigentlich sagen wollte war: es ist nicht drastisch (dieses Wort wird euch heut noch öfter begegnen) genug, um es zu verschlüsseln.
 

Und da es das letzte Kapitel ist, ist es, wie man sehen kann, auch entsprechend umfangreich geworden. Jetzt bleibt mir nicht viel anderes übrig, als mir und euch zu wünschen, dass es ein würdiges Ende geworden ist! Hab mich jedenfalls ordentlich bemüht...jetzt werde ich mal echt sentimental. ;_; Das schreit förmlich nach einem kurzen und schmerzlosen Adieu.
 

Also vielen, vielen Dank an euch alle und ein kleines Lebewohl!
 

Stefanie

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Sie kämpften. Ilias und Valentin kämpften gegeneinander, wie es Oktavian gewollt hatte. Und sie, Lilemour, war nicht fähig ihnen zu sagen, wie einwandfrei sie unbewusst Oktavians Willen erfüllten. Vielleicht wussten sie es auch und es war ihnen gleichgültig. Vielleicht würden sie sich einfach umbringen, weil jeder der Beiden der Meinung war, dem anderen überlegen zu sein.

Oktavian hatte Lilli in den Stunden, die er nun in ihrem Körper weilte, nie etwas von ihm offenbart. Er hatte sie beeinflusst, durchschaut, verdrängt, er kannte sie, ihre momentanen Gefühle und Gedanken. Doch niemals war eine Empfindung von ihm selbst zu ihrem Bewusstsein durchgedrungen. Bis Lilli schließlich sicher gewesen war, dass er keine hatte. Ja, er tat nicht nur so als hätte er keine Gefühle, er hatte wirklich keine. Wie so oft hatte sich Lil da geirrt.

Oktavian ließ sie erst einen Bluttropfen von einem der kämpfenden Vampire auf dem schneebedeckten Boden wahrnehmen. Es wurden jedoch immer mehr und immer größere. Da überrollte Lilli eine Woge tiefer Zufriedenheit, die geradewegs aus Oktavians Herzen gekommen sein musste, so rein war sie. Ein einziges Gefühl in all der Zeit.

Sie hörte jeden Schlag, den einer der beiden dem anderen versetzte und jeden Angriff ins Leere. Sie waren so unglaublich schnell.
 

„Ich werde das Mädchen töten, ob es dich juckt oder nicht“ ,schrie Valentin, „ich vernichte Oktavian mit ihr zusammen! Er ist schutzlos! Die Chance war nie besser und wird nie besser sein!“ Die Beherrschung, die all die Taten und Worte Valentins stets begleitet hatten, ließ nach. Je schwächer er wurde, desto menschlicher gebärdete sich sein Verhalten. Beinahe reichte er in seiner unsterblichen Stärke Ilias das Wasser. Aber nur beinahe, denn Valentins verhältnismäßige Jugend auf der Vampir-Jahres-Skala, machte ihn unerfahrener als seinen Gegner.

„Das würde dir nichts nutzen“ ,antwortete Ilias. Er stieß sich von einem Stein ab und landete mehrere Meter entfernt von Valentin. „Du bist wohl noch nie in einem fremden Köper gewesen, wie? Ha, das hätte ich mir denken können. Lerne und lass dich aufklären, Grünschnabel. Noch ehe sie den letzten Atemzug machen würde, verließe Oktavian ihren Körper, um in seinen eigenen zurückzukehren. Sonst würde er mit ihr sterben. Ist der Wirt einst tot, ist es für einen wandernden Geist nicht mehr möglich ihn zu verlassen.“

Der blonde Vampir riss einen halben Baum aus und schleuderte ihn gegen Ilias.

„Und wo ist sein Körper!? Weißt du das etwa auch, du verfluchter Oberlehrer?! Von dir brauche ich mich nicht aufklären lassen!“

„Nein, ich weiß es nicht. Andernfalls hätte ich ihn mit dem leblosen Leib seiner Katze her gebracht. In mundgerechten Einzelteilen versteht sich. Zudem bräuchte keiner einen Lehrer nötiger als du.“

Oktavian ließ Lilli auf ihre Hände schauen, die sich noch immer in das weiße Fell des Katzenkadavers verkrallt hatten. Er drückte ihn an sich. Nicht aus Liebe, wie Lilli vermutete, sondern weil er die Kälte nicht mehr ignorieren konnte, die in jeden einzelnen ihrer Muskeln gedrungen war. Möglicherweise schwebte sie sogar in Lebensgefahr. Tatsächlich schwebte sie in mehr als nur einer Lebensgefahr. Tatsächlich würde es fast an ein Wunder grenzen, würde sie überleben. Lilli spürte, wie bleierne Müdigkeit mehr und mehr Besitz von ihr ergriff. Oktavian störte es nicht. Sie könnte wetten, dass er sich gerade etwas dachte wie: ’Körper! Du hältst mir gefälligst noch ein paar Minütchen durch, und zwar bis sie alle tot sind. Dann darfst auch du zusammenfallen wie ein erschüttertes Haus aus Bierdeckeln.’
 

Aus eigener Initiative heraus, lachte Lilli leise vor sich hin. „Hört doch auf ihr totalen Deppen! Ihr habt euch ins falsche Ziel verrannt. So falsch.“ Sie ließ sich an einen der Steine sinken und stützte den Kopf in die Hände. Ihre Fingernägel hatten sich bläulich verfärbt. Obgleich Lilli nur geflüstert hatte, so war sie doch von jedem der Anwesenden gehört worden. Ilias warf einen kurzen Blick auf sie, bevor er wieder auf seinen Gegenüber zu ging.

„Valentin. Du bist mächtiger geworden seit dem letzten Mal, als ich das Vergnügen hatte gegen dich zu kämpfen. Oder sollte ich sagen, die Pflicht?“

Aus einem nicht zu überwältigenden Gefühl der Dringlichkeit heraus, setzte Valentin wenige Schritte zurück. Der Schnee verriet mit keinem Knirschen, dass jemand ihn berührt hatte. Dennoch stand Ilias plötzlich dicht vor Valentin. Der Schwarzhaarige nahm die Hand des wie versteinert Wirkenden, öffnete seine Finger und legte den großen roten Ohrring hinein, den Valentin ihm als Pfand seiner Treue hatte überlassen müssen. Dann tätschelte er ihm die Wange. „Doch du bist noch weit davon entfernt mich zu besiegen.“

Mit einem Hieb in die Magengrube, von dem man nur ahnen konnte, dass er Beton durchschlagen hätte, brachte Ilias Valentin zu Fall. Als er aber hinzufügte: „mit deinen blonden, auf dem Boden aufgefächerten Löckchen, wirkst du wie eine Jungfrau in Nöten“ ,drehte Valentin ein wenig durch. Genug zumindest, um Ilias die Sache nicht einfacher zu machen.

Ob Ilias ihm letztendlich nun überlegen war oder nicht, dieser Kampf, so schien es, würde nicht in der nächsten Zeit entschieden werden können. Auch Ilias war verwundet, der Schnee trug auch Spuren seines Blutes. Das alles wegen Oktavian. Lilli war verzweifelt. Die Zufriedenheit des weißhaarigen Vampirs wurde von einer Wand aus Hass um Lilemours Bewusstsein begrüßt. Als er nicht einmal den Anstand hatte selbst hierauf zu reagieren, stand ihr Entschluss fest. Wenn Oktavian ihren Körper nicht auf der Stelle verließ, dann würde sie den Verstand verlieren. Egal wie, es musste schnell gehen, wenn sie sich nicht selbst verlieren wollte. Schließlich war es viel schneller gegangen, als Lilli es sich vorgestellt hatte.
 

Die Gegenwehr Oktavians schien zu einem Nichts zu verpuffen. Es war ihm nicht mehr möglich den Handlungen des Mädchen entgegenzusteuern. Bis zum Ende hatte sie nicht begriffen, dass sie ihn auf Grund seiner schwindenden Kraft besiegt hatte. Was sie tat, tat sie ohne nachzudenken. Denn wenn jemand nachdachte, dann pflegte er so etwas nicht zu machen. Dieser Mensch aber, kroch an den Rand des zugefrorenen Sees und darüber hinaus. Keiner der anderen Vampire bemerkte es, sie hatten die Arena auf die verästelten Baumkronen ausgeweitet und waren weder zu sehen, noch zu hören. Sie kroch einfach weiter, die noch dünne, knarrende Schicht auf dem Wasser hatte längst Risse bekommen. Oktavian bereitete sich darauf vor, den Körper zu verlassen. Viel länger hätte er sich ohnehin nicht in einer sterblichen Hülle aufhalten können. Diverse Schäden wären die Folge gewesen.

Als das Knacken des nachgebenden Eises lauter wurde, spürte er, wie sich der Mensch seiner Tat bewusster wurde. Sie begann zu überlegen, zu zögern. Ihr Geist strebte gegen ihr Tun in Richtung des angeborenen Überlebenstriebs. Es war dazu allerdings ein wenig spät. Oktavian konnte nicht anders als den Gedanken aufzuschnappen, denn sie ihm praktisch um die Ohren schlug: Ich bin vielleicht eine Niete, eine Flasche, ein Schwächling und Weichei und möglicherweise alles zusammen, weil ja alles dasselbe ist...aber bitte, da hast du’s! Jetzt gehst du unter!“
 

Das Eis brach. Die ultimative Kälte lähmte all ihre, wie seine Sinne und sie sanken fast sofort gänzlich lautlos unter die Eisdecke. Oktavian hatte durch den unmittelbaren Kälteschock damit gerechnet, dass ihr Herz stehen blieb. Er schützte es darum so lange, bis er bereit war sie zu verlassen. Dennoch fühlten beide im Körper wohnenden Seelen, dass das Sterben begann. Das Mädchen schloss die Augen. Sie ließ sich in die Tiefe ziehen, weil es viel einfacher war sich treiben zu lassen, als einen von vornherein verlorenen Kampf zu bestreiten. Oktavians Innerstes fing an, sich aus seiner Ruhestätte zu arbeiten. Gerade in diesem Moment legten sich brennende Fesseln um seinen Geist. Er krümmte sich zusammen wie eine Spinne, die man mit dem Stock anstieß. Seine angespannten Sinne erfassten den Auslöser sogleich. Zum ersten Mal seit unzähligen Jahren empfand er wirkliches Erstaunen und Irritation. Eine zweite Wesenheit hatte sich trotz des zerfallenden Körpers Zutritt verschafft und hinderte Oktavian am Entkommen.

Ilias hatte seine Hülle gerade erst verlassen, in ihm steckte noch die ganze, unbefleckte Kraft eines Vampirs. Er war Oktavian jetzt weit überlegen, trotzdem würde der endgültige Tod auch ihn erfassen wenn er blieb. War Ilias bereit dafür seine Existenz aufzugeben, nur um ihn, Oktavian, zu vernichten? Nein, das war er nich!

Unsagbare Schmerzen breiteten sich im Geist des blinden Vampirs aus. Es schien ihm, als wolle Ilias sein Wesen zerquetschen. Er tat es langsam. Langsam, grausam und genüsslich. Oktavian brachte all seine verbliebene Energie auf um sich zu retten. Auf Dauer würde er Ilias niemals Stand halten können, doch die Zeit war auf Oktavians Seite. Die Herzschläge des Mädchens hallten immer unregelmäßiger und mit stets größer werdendem Abstand durch sie alle. Das Bewusstsein hatte sie verloren. Entweder Ilias musste sie alle töten, oder sie alle verschonen. Das hieß, Oktavian würde entkommen. Nun würde sich zeigen, wie wahr Ilias’ Liebe zu dem Menschen wirklich war und welches Ausmaß ein einziges Gefühl annehmen konnte. Ilias umfing das Herz des Mädchens mit der dreifachen Energie von der, die Oktavian noch geblieben war und bewahrte es so vor dem Aufgeben.
 

Um sie herum wurde es dunkler und immer kälter. Kaum etwas war vom Leben Lilemours noch übrig geblieben. Fast hätten sie den Körper nicht mehr verlassen können. Aber nur fast. Mit einem Ruck durchfuhr Ilias Oktavians unvorbereiteten Geist und zerstörte, was er in diesen Sekundenbruchteilen zerstören konnte. Für einen kleinen Augenblick war sich Oktavian nicht einmal mehr sicher, ob er noch in der Lage war sich selbst zu steuern, ob er noch so weit Herr seiner Sinne war, um in die Freiheit zurück kehren zu können. Er sah nichts und er hörte auch nichts mehr. Trotz allem schaffte er es. Er war frei. Ilias hatte sich für das Mädchen entschieden. Doch bis zum Ende seiner Existenz, oder dem Ende der Welt, würde er nicht vergessen, wie Ilias ihn erniedrigt hatte. Oktavian entschwand Lillis Körper. Er hatte das erste und einzige Mal in seinem Leben von der Lächerlichkeit der Liebe profitiert.
 

Valentin sah nur verschwommen. Er lag auf der Seite am Ufer des Sees. Sein Arm war ganz und gar taub. Neben ihm befand sich Ilias. Nein, es war nur der Körper von Ilias, völlig leblos. Valentin hätte heulen können, was der Volksmund Krokodilstränen nannte. Ein nicht unerheblicher Teil seines hilflosen Erzfeindes lag in greifbarer Nähe, aber Valentin war nicht fähig danach zu greifen. Er war mit ein paar Lianen gefesselt und durch seinen hohen Blutverlust aller Fähigkeiten beraubt worden. Egal wer ihn jetzt finden würde, wenn er wollte, würde er leichtes Spiel haben. Obgleich Valentin beinahe zu schwach war seine Augen offen zu halten, sah er sie aus dem Wasser kommen. Das Eis zerbarst, als der Körper des Mädchens von unten dagegen schlug. Dann tauchte sie auf, aber sie schnappte nicht nach Luft. Was natürlich daran liegen könnte, dass Ilias nicht unbedingt Luft benötigte, sich das Atmen wie die meisten anderen Vampire jedoch nie völlig hatte abgewöhnen können. Sie schwamm auf das nicht weit entfernte Ufer zu und watete schließlich aus dem Wasser. Ihre Lippen waren blau und sogar die helle Haut hatte eine leichenhaft ungesunde Farbe angenommen. Ihre Augen waren dunkel wie die Nacht. Im selben Augenblick, in dem sie begann in sich zusammenzusacken, regte sich Ilias’ Körper zu Valentins Seite. Noch ehe Lilli auf dem Boden aufschlug, fing der dunkelhaarige Vampir sie auf. Mit dem offensichtlich mehr als halbtoten Menschen in den Armen, hob er einen Stein auf.

„Tut mir leid dich so ausgebeutet zu haben Valentin, aber ich benötigte dein Blut in diesem Moment dringender als du und nun ja, was soll ich sagen. Du warst das einzige Objekt in der Nähe, das in Frage kam.“ So sprach Ilias, worauf der Stein hart Valentins Schläfe traf und ihn in die Ohnmächtigkeit führte.
 

Das Privatflugzeug Stawrogins hatte nicht mit Turbulenzen zu kämpfen gehabt und die Limousine Stawrogins nicht mit Stau. Ohne Behinderungen oder Zeitverzögerungen und mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten, die man auf einer Reise nur haben konnte, waren sie schließlich in Messkirch angekommen.

Emilie, Toni und Stawrogin saßen mit den verbliebenen Führern des Escapatischen Ordens, Trudlinde, Jean-Luc und Evgeni, um einen riesigen Tisch aus Ebenholz herum und tranken Tee. Das hieß, Emi und die anderen Menschen tranken Tee. Stawrogin verweigerte ihn vollkommen und Toni nuckelte lustlos daran herum, wie ein mit Milch schon abgefülltes Baby an der Mutterbrust.

„So weit ist es nun also gekommen.“ Die alte Trudi seufzte tief, „verraten von den eigenen Ordensmitgliedern.“

„Isch wüsste es immer. Dieser Garreth war mir gleich nisch ge’euer! Weißt du nisch mehr was isch zu dir sagte, als er zu üns stieß?“ Jean-Luc fuchtelte vielsagend in der Luft herum, „Trüdi, sagte isch, der ist mir nischt ge’heuer, der Garreth. Aber Roberta, ach die gute Roberta ünd ihre wünderbaren Strickschals! Den blauen mit den Bären drauf hab isch immer noch.“ Traurig nahm er Trudis verschrumpelte Hand in seine verschrumpelte Hand und schüttelte den Kopf. „Welsch Tragödie!“

„Verraten sind auch wir.“ Wie immer wenn Stawrogin sprach, herrschte eine alles dominierende Stille im Raum. Emi ertappte sich immer wieder dabei, wie sie die Luft anhielt und den blonden Vampir anstarrte. Wenn sie ihm zu sehr an den Lippen hing, kniff Toni sie allerdings jedes Mal in den Oberschenkel. Begleitet von einem leicht beleidigten aber auf jeden fall anklagenden Blick.

„Die Freiheit ist unser aller Begehr“ „fuhr Stawrogin fort. „vom Pakt erlöst...“

„Wer sagt, ihr wärt vom Pakt erlöst!“ Die zierliche Teetasse zerbarst fast in der Hand des ewig aufgebrachten Evgeni. „Der Orden existiert noch, die Vampire existieren noch und somit hat auch der Pakt zwischen diesen beiden Parteien keinen Verfallsstatus! Was soll das ganze Gerede?! Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand zu mir gekommen wäre und in ganz offizieller Form bestimmt hätte: Evgeni, der Pakt ist Geschichte!“

„Evgeni, der Pakt ist Geschichte“ ,kamen ihm alle Anwesenden entgegen. Abgesehen von Stawrogin, der weitersprach, als hätte ihn nie jemand unterbrochen. “...sind wir nicht dazu bereit, uns neue Ketten anlegen zu lassen und sei es von einem von uns. Oktavian muss in seine Schranken gewiesen werden.“

„Ich bin voll deiner Meinung, Stawi!“ So hart wie sie in ihrem ansehnlichen Alter noch konnte, schlug Trudi mit der Faust auf den Tisch. „Oktavian stehen Vampire, sowie abtrünnige Ordensmitglieder zur Seite. Mit ihnen will er Vampire und Menschen unter seine Führung stellen. Aber nicht mit uns! Auch uns stehen Ordensmitglieder zur Seite und nun auch du, Stawi! Zusammen sind wir ihm ebenbürtig!“
 

„Du nennst ihn Stawi?“

Jean-Lucs misstrauischen Blick ignorierend, tätschelte Trudi Stawrogin die marmorne Hand. Im Griff einer für die anderen unsichtbaren Erinnerung, schlich sich ein breites Lächeln auf die Lippen der Alten. „Wie schön du doch bist, Stawi! Schöner noch als damals. Und ich bin so alt, so alt! Ach ja! Im Alter kommt die Weisheit, nicht wahr, Stawi und weise wie ich bin weiß ich, dass es für viele kein Segen ist wie du zu sein. Für mich zumindest, wäre es eine Strafe.“ Ihre Hand wanderte von der blassen, beblosen Hand des Vampirs zu der zitternden Jean-Lucs und umfasste sie fest. Jetzt war es an ihm, selig zu lächeln.

Evgeni grunzte abwertend, brabbelte etwas von einer brünetten Schönheit, die sich mit ihm verabredet hätte und trank einen Schluck Tee.

„Ist das romantisch, Emi? Ich find solche Szenen total toll! So wie Trudi und Jean-Luc sind wir auch mal wenn wir alt sind, nur ohne Falten und insgesamt viel schöner! Gib mir einen Kuss!“ Toni überraschte seine Freundin mit einem ordentlichen Schmatz. Er kuschelte sich an sie, bis er Stawrogins kalten Blick traf, der ihn augenblicklich wieder an seine gerade verloren gegangene Coolness erinnerte. Sich räuspernd schlug Antonio die Beine übereinander und legte lässig den Arm um Emi.

„Dann ist es jetzt beschlossene Sache! Wir und die anderen.“ Emilie sah von einem Gesicht ins andere. Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können. „Die Revolution der Vampire hat uns in eine neue Epoche überführt. Ob sie besser ist, das wird uns allein die Zeit zeigen.“

Trudi nickte zustimmend. „Die Zeit, so wird es sein. Ich befürchte, einige in diesem Raum werden die Entwicklung nicht lange genug überleben, um den Ausgang dieser Angelegenheit noch erfahren zu können. Aber so lang ich lebe, das schwöre ich, soll kein Mensch eines Vampirs Untertan sein.“

„Und kein Vampir der eines Menschen.“ Damit besiegelte Stawrogin die Zusammenarbeit zwischen ihnen zum Wohle eines höheren Zieles. Selbst Evgeni war eine gewisse Erleichterung anzusehen. Das laute in die Hände Klatschen Trudis, riss die anderen Menschen (und Toni, der sich immer so fühlte, wie sich Emi fühlte) aus ihrer Anspannung. „Und nun“ ,posaunte Trudi, „ehe wir alles Nähere debattieren, zur Feier des Tages, sing uns doch bitte ‚Que faro senza Euridice’ vor, ja Stawi?“
 

Das erste was Lilli sah, als sie die Augen öffnete, war ganz und gar undefinierbar. Wenn es auf dem Grund der russischen Seen Meerjungfrauen gab, dann hatte ihre in den Himmel emporsteigende Seele noch eine erblicken dürfen.

„Ich habe Hunger“ ,patzte die Meerjungfrau. Sie hatte eine ziemlich tiefe Stimme. „Gib mir etwas zu trinken! Unser aller Blut ist ohnehin vermischt, da wäre es doch nur fair, wenn sich der Kreis wieder schließt.“

„Nein“ ,schnurrte es gegen Lilemours Nacken. „So etwas“ ,amüsierte sich Ilias, wobei sein Atem auf ihre Haut traf. „Eine Gänsehaut. Die erste Regung seit zwei Tagen.“

Lilli wusste nicht was sie sagen sollte. Sie versuchte sich angestrengt zu orientieren. Nachdem sie ausgiebig geblinzelt hatte, erkannte sie, dass sie in einem Bett lag. Es stand mit mehreren gepolsterten Korbmöbeln in einen Raum aus Holz. An den Wänden hingen Teppiche und große Bilder von Blumen. Ihr gegenüber prasselte ein Feuer in einem offenen Kamin, über dem sie ein ganzer Hirschschädel angrinste. Auch der Boden war mit dicken Teppichen und Fellen belegt. Auf einem lag die Meerjungfrau und sah sie forschend an. Sie trug einen großen roten Ohrring.

„Valentin“ ,stellte Lilli mit einem Stimmchen fest, das man bestenfalls einer Maus zugeordnet hätte. Sie fuhr sich mit der Zunge über ihre Lippen. Sie waren warm, ebenso wie der Rest von ihr. Das merkte sie nun, da sie sich ihrer Glieder und anderen Körperteile erinnerte. Was jedoch noch viel einschlägiger war; im Geiste war sie allein. Ihr Bewusstsein konnte sich frei und ungehindert in ihr bewegen, wohin und wann es wollte. Sie vermochte es wieder mit den Augen zu sehen. Ihr Herz schlug höher, Oktavian war fort! Er war wirklich fort!

„Na, na, wenn es einer verdient zuerst genannt zu werden, dann ist es dein wiederholter Lebensretter.“

Ilias legte einen Finger unter ihr Kinn und zwang Lilli damit, sich von der Seite auf den Rücken zu drehen. Ihre steifen Glieder ließen sich noch etwas schwerfällig bewegen, doch ansonsten schien ihr nichts zu fehlen. Sie sah in das schöne Gesicht des Vampirs, was ihren Herzschlag noch einmal erheblich beschleunigte. Wie hatte sie es sich gewünscht ihn wieder zu sehen! Ihn wirklich zu sehen und nur als sie selbst.

„Du fühlst dich gut, nicht wahr.“ Wieder einmal war sich Ilias seiner Sache so sicher, dass er die Stimme nicht erst zu einer Frage anhob. Sie lauschte noch einmal in sich hinein und nickte dann. Was war passiert nachdem sie ins Wasser gegangen war?
 

„Natürlich tust du das, wer fühlt sich schon schlecht in meiner Gegenwart“ ,fragte sich Ilias nicht ernsthaft. Vom Boden her ließ sich ein verächtliches „Tss“ vernehmen.

Ilias vergrub sein Gesicht unaufgefordert unter Lillis Kinn und küsste sie dort. Dabei legte sich einer seiner Arme über ihre Brüste, damit seine Hand ihr auf der anderen Seite ein paar verirrte Haare hinter das Ohr streichen konnte.

Aber Moment.

Wenn Lilli noch ein zweites Mal in sich hineinlauschte, was sie in diesem Fall als höchste Notwendigkeit verstand, dann bemerkte sie etwas, das ihr bis jetzt entgangen war. Ihre Augen weiteten sich unwillkürlich. Valentin schien sich verpflichtet zu fühlen, etwas anzumerken.

„Ich glaube, es dämmert ihr.“

Ilias schien sich verpflichtet zu fühlen, nichts Sinnvolles beizusteuern. „Ich weiß, ich fühle es an ihrem Herzen, ihrem Puls und höre es am Rauschen ihres Blutes.“

Lilli war vollkommen nackt. Wenn das mal kein Grund für ein ordentliches Rauschen des Blutes war! Einem Rauschen, wie man es in den Wäldern bei stürmischem Wind zu hören bekam. Der Umstand, dass auch Ilias der Freikörperkultur frönte, erhöhte das ganze auf einen schweren Sturm. Orkanwarnung war spätestens dann angesagt, als Lilli realisierte, wie nahe sie sich waren. Sie spürte seinen Vampirkörper an ihrer unmittelbaren Seite.

„Geh sofort weg!“ Lilemour handelte aus purem Schreck und nicht zuletzt der Gewohnheit wegen. Sie stemmte ihre Hände gegen die Schultern von Ilias. „Was hast du getan?“

„Dich gerettet, wie ich bereits erwähnte.“

„Und was noch?“

„Nichts“ ,mischte sich Valentin in das Gespräch ein, „und das ist das, was einem Mann, ob tot oder nicht, mehr Kraft abverlangt als es gesund sein kann. Ich finde das dämlich, ich hätte dich gepackt. Aber du bedeutest mir ja auch nichts.“

Lilli blieb die Spucke weg. Immer wenn sie dachte, ein Vampir könne sie nicht mehr schocken, ob mit Worten oder Taten, wurde sie eines Besseren belehrt.

„Verzeih ihm seine Ausdrucksweise. Er kann einfach nicht leugnen, dass er aus einer Bauernfamilie stammt.“

Noch ehe Valentin auf Ilias reagieren konnte, versuchte Lilli aus dem Bett zu steigen.

„Ich muss aufs Klo“ ,stammelte sie, weil ihr kein anderer guter Grund einfiel, sich aus dieser Lage zu befreien. Den Egoismus beider anwesender Vampire imitierend, zog sie die Bettdecke mit sich. Splitterfasernackt ließ sie Ilias auf der Matratze zurück und schaffte es irgendwie, ihn mit keinem weiteren Blick zu streifen. Sie hatte Angst, ihn dann unverhohlen begaffen zu müssen als wäre er ein seltenes Tier. Diese Blöße würde sie sich keinesfalls geben. Es war schon schlimm genug, seine Blicke in ihrem Rücken zu spüren.
 

„Ich wette“ ,hörte sie Valentin geifern, „er hat darauf gewartet, dass du ihm die Decke wegziehst. Musstest du ihm denn den Gefallen tun, wo du doch so gut wie ich weißt, wie gerne er angibt.“

„Oh“ ,entgegnete Ilias schnippisch, „du findest ich kann angeben?“

„Wo sind wir denn?“ ,wollte Lilli wissen. Weniger aus echter Neugier, als vielmehr um das morallose Thema schwer narzisstisch veranlagter Vampire zu wechseln.

„Keine Ahnung“ ,verriet Valentin. Er tat nun, als wäre Ilias nicht hier. „Ich bin vor knapp zwei Tagen auch erst hier aufgewacht. Wahrscheinlich irgendeine Hütte, dessen Besitzer unten im Keller liegen. Oder besser, deren Leichen.“

„Das Jagdhaus hat keinen Keller und die Besitzer befinden sich im Ausland. Das Gebäude gehört Stawrogin und das Badezimmer ist rechts von dir um die Ecke.“

Ohne sich umzudrehen, folgte Lilli Ilias’ Instruktionen. Entgegen ihren Befürchtungen, fühlte sie sich weder kränklich, noch schwach. So, wie es nach einer Randbegegnung mit dem Tod zu erwarten gewesen wäre. Die hatte sie mit Sicherheit gehabt. Sie hatte sich und Oktavian ertränken wollen. Lilli konnte sich nicht vorstellen, wie Ilias sie gerettet haben sollte und doch hatte er es getan. Ilias war hier. Valentin hatte ihn nicht umgebracht und er Valentin nicht. Oktavian war fort. Sie brauchte Zeit, um das alles erfassen zu können.

Gern hätte sie vor Freude geschrien, einen Breakedance veranstaltet, etwas Lautes, Verrücktes getan, um ihrer Erleichterung Luft zu machen. Momentan aber, fühlte sich Lilli wie in Trance. Das Glück war ihr näher als je zuvor, seit sie vom Orden als Bewacher eingesetzt worden war. Natürlich, es gab noch vieles was offen war. Was war mit dem Orden, dem Pakt, den anderen Vampiren? Ging es Emi und Toni gut? Was würden sie in Zukunft tun und wie würde Lilemours eigene Zukunft aussehen? Dies waren Fragen, die sie sich später zu stellen vornahm. Wie würde sie ihren Weg weitergehen können, wenn sie nicht die Zwischenerfolge zu schätzen wusste. Ihnen war sogar mehr als nur ein Zwischenerfolg gelungen. Erst langsam, das wusste Lilli, würde sie begreifen. Vielleicht morgen, vielleicht erst in einer Woche, aber vielleicht auch schon in wenigen Stunden.
 

Die großräumige Dusche war topmodern. So topmodern, dass Lilemour zehn Minuten nach dem Duschhahn suchen musste. Es war ein Knopf. Einer von vielen auf einem eisernen Viereck, das in die Wand eingearbeitet war. Stawrogin war in der Tat ein Freund technologischen Luxus! Dankbar ließ Lilemour das lauwarme Wasser auf ihre Haut prasseln. Es tat unendlich gut, deutlich fühlbar entspannte sich Muskel für Muskel. Ein wenig Wehmut nur mischte sich in die Dankbarkeit, da sie das Gefühl hatte, Ilias’ Nähe mit abzuwaschen. Ganz zweifelsohne hatte er ihren unterkühlten Körper mit seinem in den Normalzustand von wenigstens 36 Grad zurückversetzt. Diese Gewissheit ließ Lilemour die Hitze in den Kopf steigen, auf wenigstens 37 Grad. Dass Valentin offenbar die ganzen beiden Tage dabei gewesen war und sich womöglich als Spanner betätigt hatte, das wiederum schmeckte ihr nicht sonderlich.

Zwei Tage. Wieder rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie nach zwei Tagen ohne Nahrung in die Dusche hätte kriechen müssen. Warum plagte sie weder Müdigkeit noch Schwäche? Prüfend dehnte und reckte Lilli ihre Muskeln, wippte hin und her, stemmte sich gegen die Duschwand. Auch dabei musste Ilias seine Finger im Spiel gehabt haben, sie konnte es sich nicht anders vorstellen.
 

„Ich habe dich mit meinem Blut genährt.“

„Hey“ ,schallte es vom anderen Raum, „es war auch mein Blut. Du hast es mir kurz vorher schließlich abgezapft. Weißt du noch? Unser Rendevouz am See?“

Doch Lilli hörte gar nicht richtig was Valentin zur Sprache brachte. Genaugenommen hörte sie gar nichts mehr, sie fühlte nur noch. All ihre Sinne hatten sich mit einem Schlag auf die Arme Ilias’ fixiert, der sie von hinten um ihren Bauch geschlungen hatte. Er drückte Lilli an sich. Es war ihr unmöglich, sein Fleisch gewordenes Verlangen nicht zu spüren. Das Herz rutsche ihr in die betrüblicherweise nicht vorhandene Hose.

„Ach, darum fühle ich mich wie der junge Morgen“ ,versuchte sie zu scherzen und hoffte, dass das Geräusch des unablässig auf sie treffenden Wasserstrahls, das leichte Beben in ihrer Stimme übertönen möge. Ilias befand es nicht als notwendig ihr zu antworten. Er küsste ihren Hals, hinauf zu den Kieferknochen und legte seine Wange an ihre. Strähnen seiner langen schwarzen Haare flossen über ihren Oberkörper. Durch ihre Nässe kam es Lilli vor, als wollten sie sich wie die Tentakeln eines Tintenfisches an ihrer Haut festsaugen. Genau dieser Aufgabe wandte sich auch der Mund des Vampirs zu. Lilemour verspürte den sachten Druck seiner Lippen auf ihrem Hals und den bisher kaum merklichen Sog. Seine Zähne hatte er nicht eingesetzt. Dennoch fühlte sie sich plötzlich doch so schwach auf den Beinen, wie sie sich ohne Ilias’ fragwürdige Aufpäppelung hätte fühlen müssen. Sie umfasste ihrerseits die Hände des Mannes, die sich zweifelsohne auf Erkundungstour der Tal – und Bergpfade ihres Körpers hatten aufmachen wollen.
 

„Wo ist Oktavian?“ Etwas anderes war ihr auf die Schnelle nicht eingefallen, aber irgendetwas hatte ihr ja einfallen müssen. Lilli wollte nicht zugeben, wie heillos überfordert sie mit der Situation war. Sie wusste rein gar nicht was sie tun sollte. Dastehen wie ein Stock? Umhertorkeln wie eine Bauchtänzerin? Ohnmächtig werden? Ihr war nur klar, dass sie etwas anderes nicht zu Stande bringen würde, ohne es lächerlich wirken zu lassen und, dass sie Ilias auf keinen Fall würde abweisen können. Oder wollen. Mühevoll unterdrückte sie ihren hastiger werdenden Atem. Seine Hand konnte sie jedoch nicht aufhalten, die zielstrebig zu ihrem Schoß hinabglitt.

„Hm, menschliche Erregung ist etwas Köstliches“ ,wisperte Ilias in ihr Ohr, „im Besonderen die Sexuelle.“

„Wo ist er denn nun abgeblieben, der Oktavian?“ ,quietschte Lilli fast. Die langen Finger des Vampirs hatten sie tatsächlich berührt. Aus einem Reflex heraus, kniff sie ihre Schenkel zusammen, bis es fast zu einer sportliche Anstrengung ausartete. Das hieß viel, war die sportliche Ausbildung doch ein bedeutender Teil der Gesamtleistung, die ein Ordensmitglied erbringen musste.

Lilli wusste nicht wie ihr geschah. Ein heftiger Ruck war alles was sie mitbekam, ehe sie sich mit dem Rücken gegen die Duschwand gepresst wieder fand. Ihre Schenkel lagen um Ilias’ Hüften und sie sah in seine dunklen Augen, deren Wimpern von schimmernden Wassertropfen umrahmt waren. Er nahm eine ihrer Hände und küsste deren Handinnenfläche. Seine eigenen Hände schienen trotz ihrer Feingliedrigkeit beinahe doppelt so groß zu sein. „Oktavian? Wahrscheinlich ist er zurück in seinem Körper, wo auch immer das verkümmerte Ding sein mag“ ,musste er zugeben, was ihm nicht allzu schwer fiel. Unter seinen Liebkosungen, die sich nun auf Lillis ganzes Gesicht ausgeweitet hatten, ließ er beiläufig fallen: „allerdings weiß ich nicht, wie viel sein Leben ihm jetzt noch wert ist, nachdem ich seinen Gehörsinn vernichtet habe. Blind und nun auch taub zu sein, ist eine Einschränkung Oktavians, mit der ich mich zufrieden geben kann.“

„Taub, was ist das schon? Er kann uns noch erschnüffeln wenn er will, das sag ich dir! Ich hätte ihm endgültig den Garaus gemacht.“ Valentin stand von einer auf die andere Sekunde außerhalb der Duschkabine. Das hätte Lilli nicht halb so viel ausgemacht, wenn das Gebilde nicht aus Glas gewesen wäre. Augenblicklich versuchte sie sich aus Ilias’ Griff und dieser mehr als peinlichen Lage zu befreien, doch der hielt sie unerbittlich an Ort und Stelle fest. Zumindest besaß er den Anstand, Lilli mit einem seiner Arme von Valentins Blick abzuschirmen. Er fühlte sich von dessen Anwesenheit jedoch nicht dazu veranlasst, seine Küsse einzustellen.
 

„Deshalb vergöttere ich wie jeder anständige Vampir Jungfrauen.“ Offensichtlich hatte Ilias das loswerden müssen und offensichtlich hatte Valentin etwas dazu zu sagen. „Warum? Weil ihr Blut angeblich heilende Kräfte haben soll? Alors, ich habe das auch ein paar Mal ausprobiert und bei Leibe nichts außergewöhnlich Heilendes erfahren.“

„Natürlich nicht.“ Ilias nahm Lillis vor allgemeinem Schock lahme Arme und legte sie um seinen Nacken. „Ich vergöttere sie, weil sie Teil meiner Lebens-, sowie Todesphilosophie sind, überall eine Art Vormachtstellung genießen zu können. Das heißt, in der Premiere eine Sonderloge zu besitzen. Du wirst mich nicht verstehen, Vampire aus der Bourgeoisie haben keinen Sinn für Geschmack. Sie nehmen sich was sie kriegen können.“

Lilli konnte fühlen, wie sich der geschmeidige Körper des Vampirs in ihren Armen anspannte. Zwar hörte er nicht auf damit, seine Hände aufreizend über ihre Hüften streifen zu lassen und doch war Lilli bewusst, dass er auf einen neuerlichen Angriff Valentins vorbereitet war. Das aber, hatte sich der gebürtige Franzose selbst ebenso ausrechnen können. Durch die nur wenig reflektierenden Scheiben konnte Lilli sehen, wie die Augen des Blonden erbost aufloderten. Nicht nur, dass er wiederholt von seinem Widersacher vernichtend geschlagen worden war, nun musste er sich auch noch dessen Beleidigungen anhören.

„Es übersteigt meinen Verstand“ ,begann Valentin kühl, „warum du mich vor dem Ende meiner Existenz bewahrt hast, Ilias.“

„Mach dir darüber keine Gedanken“ ,antwortete der Angesprochene, „es gibt zu viel was deinen Verstand übersteigt. Möglicherweise habe ich es nur getan, um dich mit einem weiteren Rätsel zu quälen, mein vertrauter Feind. Und nun entschuldige meine allzu barsche Unhöflichkeit und scher dich davon.“
 

Ungewohnt frei von jedem Widerstand, verbeugte sich Valentin spöttisch vor dem anderen Vampir. „Ich wiederhole mich. Überlege dir gut wem du aus freien Stücken deine Liebe schenkst“ ,riet er Lilli dann. „Nicht dass es mich was anging, aber du bist ein wenig erträglicher als all die anderen Menschen. Wenn du bei ihm bleibst, so nehme ich an, werden wir nicht umhin kommen uns in der Zukunft wieder zu sehen.“

Valentin machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Badezimmer. Wahrscheinlich würde er sich auf Nahrungssuche begeben, wahrscheinlich in einem Bordell.

„Auf Wiedersehen!“ , rief Lilli ihm nach, bei der Abschiede auf unbestimmte Zeit weit oben auf ihrer persönlichen Hass-Liste standen. Vorausgesetzt, es handelte sich bei den Fortgehenden nicht gerade um Oktavian oder Konsorten.

Kaum konnte sie den kindlichen Drang unterdrücken, Valentin, der längst fort sein musste, zu winken. Da packte Ilias ihr Handgelenk und sah sie aufmerksam an. Aus dem Hahn tropfte nur noch wenig Wasser, Ilias hatte ihn abgeschalten. Lilli war sich nicht sicher, ob er etwas zu Valentins Kommentar sagen würde, ob er schweigen wollte, oder von einem gänzlich anderen Thema anfing. So nutzte Lil die seltsame Pause, die zwischen ihnen entstanden war, nahm all ihren Mut zusammen und umarmte Ilias. Seine Haut war glatt und fest, die Haare samten. Würde Ilias für eine Kosmetikfirma werben, sie würde binnen Wochen die besten Absätze machen.
 

„Ich hab mir genau und gut überlegt, wem ich aus freien Stücken meine Liebe schenke“ ,nuschelte Lilli in die schwarzen Haare ihres Gegenüber. Sie konnte ihm nicht ins Gesicht sehen, nicht jetzt. „Auch wenn es völlig irrational ist und bestimmt bemitleidenswert, weil sich ja geradezu alle in dich verlieben und auch wenn du 1496 mit dem Papst eine Orgie gefeiert hast“ ,schloss sie. Langsam lockerte Ilias seinen Griff um sie, Lillis Füße konnten wieder selbst den Boden berühren. Es fiel ihr nicht ein ihm zu gestehen, dass sie das ziemlich schade fand, wo sie sich gerade an die Position gewöhnt hatte.

„Geradezu alle verlieben sich in mich, das ist wohl wahr“ ,erzählte er in bekannter Bescheidenheit, „aber keinem war es gelungen, eine Erwiderung in mir hervorzurufen. Bis mir der Orden einen seiner ungeschicktesten Bewacher auf den Hals hetzte. Völlig irrational und bestimmt bemitleidenswert, aber unbedingt zu empfehlen.“

Lilli schaute ein paar durchsichtigen Tropfen nach, die ohne Hast am Oberarm des Vampirs herabrannen. Das Glück war ihr nicht näher als je zuvor, seit sie vom Orden als Bewacher eingesetzt worden war, es war ihr näher als je zuvor in ihrem ganzen Leben.

„Ich nehme rundheraus an, du redest von der Orgie des Papst Alexander dem VI Borgia, den fünfzig Konkubinen und den Kastanien und, dass Valentin dir das berichtet hat“ ,fügte Ilias plötzlich in belustigtem Unterton an. Er wartete nicht bis Lilli nickte.

„In der Tat war ich Zeitzeuge.“ Wieder rief er Gänsehaut bei ihr hervor, indem er begann, ihr unerwartet zärtlich über den nassen Rücken zu streicheln. „Ich saß neben dem einzigen Mädchen im ganzen Raum, dass ihre Unschuld noch nicht verloren hatte. Unglücklicherweise musste ich das junge Ding entgegen meiner Pläne dem Papst abtreten. Ich hatte keine besonders große Lust darauf, mich mit der Inquisition anzulegen. Ich musste mich also darauf beschränken, mir das unlautere Spektakel anzusehen. Um keinen Preis der Welt hätte ich die anderen geladenen Frauen angefasst, beschmutzt von der Gier hunderter Sterblicher.“

Er schob Lilli von sich, nur um sie vor sich her aus dem Bad heraus zu schubsen. Als sie jedoch nach einem Handtuch greifen wollte, unterband Ilias ihre Handlung bestimmt. So stolperte Lilli in den Hauptraum, immer auf der sinnlosen Suche nach etwas, hinter oder unter dem sie ihre Blöße verstecken konnte. Auch hier regierte die reine Macht der Gewohnheit.

„Valentin hingegen, hatte sich als Kardinal verkleidet und eine Wette mit dem Sohn des Papstes abgeschlossen, wer an diesem Abend wohl die meisten Frauen besitzen könne. Ich erinnere mich nicht“ ,machte Ilias seinen Standpunkt klar, „aber es würde mich wundern, wenn Valentin sich einem Menschen gegenüber die Demütigung einer Niederlage gegeben hätte. Und nun sprich dich schon aus wenn es denn nicht anders geht, oder ich stopfe unser Nachtlager mit deinen Locken aus.“
 

Zuerst wunderte sich Lilli. Aussprechen, ja das hätte sie sich noch können, aber Locken hatte sie keine. Doch als vom Fenster her durch das Glas nur eine allzu bekannte Stimme erklang, überwand Lilli ihre Verwunderung und verbarg sich kurzerhand hinter einem der gigantischen Bettpfosten.

„Weil ihr gerade dazu ansetzt“ ,kam es Valentin mit Schnee auf dem Kopf in den Sinn, „ist es nicht zu leugnen, dass das Mädchen überaus anziehend aussieht. Meinen vertrauten Feind würde ich um nichts in der Welt berühren und dennoch könnten wir unter Umständen auch zu dritt...“

Mehr hörte Lilli nicht mehr, denn Ilias schloss mit einer gelassenen Geste die vier Meter entfernten Fensterläden. „Bourgeoisie“ ,zischte er vor sich hin, „ekelhaft.“

Dann kam er auf Lilli zu, die diesen Augenblick ebenso gefürchtet, wie herbeigesehnt hatte. Ihr Herz klopfte wie wahnsinnig, sie hätte am Liebsten die Augen geschlossen und nur gewartet, auf was immer kommen mochte, doch dann hätte sie ihn nicht mehr ansehen können. Er war schön wie die Verführung selbst und...legte sich ins Bett, mit dem Rücken ihr zugewandt.

Verdutzt schaute Lilemour vom züngelnden Feuer im Kamin auf Ilias und zurück. Aus Mangel an Ideen und einer Überdosis Hilflosigkeit, schlüpfte sie neben ihn unter die Decke und starrte auf seine noch immer feucht schimmernde Haut. An welcher Gemeinheit er wohl feilte? Denn etwas anderes als eine Gemeinheit spielte sich hier nicht ab. Eine ungeheure Spannung hatte sich in ihrem Innersten aufgebaut. Nicht zuletzt durch die Behandlung, die sie nur wenige Minuten zuvor durch Ilias erfahren hatte. Es verlangte sie jetzt wie nichts anderes, diese Spannung zu entladen. Wie, das war ihr ganz egal. Nur eins leuchtete ihr ein, so würde das nicht funktionieren. Sie wünschte sich, er würde ihre Qual beenden und das tun, was er ihr durch unzählige Worte und Gesten schon so oft versprochen hatte. Recht gründlich überlegt, war es geradezu seine Pflicht. Aber er tat gar nichts. Er tat auch nach fünf Minuten nichts, die Lilli wie wenigstens fünf Stunden vorkamen. Überall in ihrem Körper verspürte sie ein merkwürdiges Ziehen der Nerven, das immer schlimmer wurde, je länger sie tatenlos verharrte. Um das Gefühl auszubalancieren, bewegte sie ihre Beine, als wolle sie durch die Reibung Wärme erzeugen. Sie erreichte das Gegenteil ihrer Absichten. Was sie dann sagte, so war sich Lilli sicher, sprach keinesfalls ihr Verstand, höchstens vielleicht ihre verzweifelten Urtriebe.
 

„Schläfst du jetzt mit mir?“

In diesem Augenblick wölbte sich ihr die Matratze an der Leistengegend entgegen. Gleich darauf an den Armen, den Beinen. Fast so, als liege Lilli schwerelos auf einem Topf voll blubberndem Wasser. Erschrocken setzte sie sich auf. Das nächste was sie wahrnahm, war ein Schauer von schwarzen Haaren, mit denen sie seitwärts vom Bett rollte und auf den Boden fiel. Wären die Teppiche nicht so weich gewesen, hätte ihr Steißbein ziemlich gelitten. Es war nur so, dass sie gar nicht auf einem Teppich aufgekommen war. Vielmehr saß sie rittlings auf Ilias, mit den Händen auf seiner Brust. Theoretisch brauchte er nicht zu atmen, Lilli hatte aber schon oft beobachtet, wie er es dennoch tat und nun hob und senkte sich sein Brustkorb schneller als gewöhnlich.

„Habt ihr gelernt, dass es keine vampirischen Aktivitäten gibt, ohne den Wunsch des Opfers, vampirisiert zu werden?“ Er grinste, während er Lillis Hüften umfasste.

„Aha“ ,war ihr hochwissenschaftlicher, ja nobelpreiswürdiger Kommentar. Der reichte Ilias aus, seinen Teil des unausgeglichenen Dialogs weiter auszuführen. „Obschon ich weiß wie sehr du dir wünscht von mir vampirisiert zu werden, hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, dieses Geständnis aus deinem eigenen Mund hören zu wollen. Wieder einmal habe ich bekommen was ich wollte. Ich muss mich ungeachtet dessen dazu bekennen, dass ich wenige Momente später darauf verzichtet hätte, denn“ ,er drückte seine entsetzlich langen Fingernägel nachdrücklich in ihr Fleisch, „ich wünsche mir sehr, dich zu vampirisieren. Auf alle mir offen stehenden Varianten.“

Als wäre Lilli leicht wie eine Stoffpuppe, vertauschte Ilias ihrer beider Aufenthaltsorte und drehte sie mühelos auf den Rücken. Ihre Hautoberfläche war, so schien es Lilli, durch die immense Hitze im Inneren ihres Körpers, getrocknet. Dies bemerkte sie im betäubenden Einfluss ihrer Gefühlsregungen, an dem Punkt, an dem der Vampirleib ihren eigenen fast vollständig bedeckte.

„Ich beschlafe dich. Jetzt“ ,kündigte Ilias an, was Lilemour unter seinem einnehmenden Kuss nur unbewusst mitbekam. So richtig und lieblich fühlten sich seine Lippen auf ihren an, so sanft und doch auf eine bestimmte Weise unbarmherzig besitzergreifend. Unerwartet traf sie darum der Schmerz, den Ilias verursachen sollte. Der Vampir hob ihre Hüften an und sank mit einer fließenden Bewegung in Lilli hinein.

„Ich merke schon, du hast keinen Zauber der Hypnose über mich gelegt.“ Lilemour stöhnte auf und bäumte sich ihm entgegen. Halb vor Pein und halb vor Entzücken über den fundamentalen Ansatz, ihre Sehnsucht endlich zu stillen.

„Ein hypnotisierter Mensch dient immer der Bedürfnisbefriedigung, niemals der wahren Satisfaktion. Es gibt wenig vergleichbar Triumphales, weder physisch, noch psychisch, als sich jemanden zu nehmen, der in vollem Bewusstsein seine Einwilligung gegeben hat“ ,behauptete Ilias.
 

Anstatt den Weg weiterzubeschreiten, den sie eingegangen waren, zog sich Ilias damit gemächlich aus ihr zurück. Ihr Protest ging in einer neuen Empfindung unter, für die sich wiederum Ilias verantwortlich zeigte. Lilemour fühlte nur allzu deutlich, wie seine Zunge gegen und in ihren Ort der Vereinigung mit ihm stieß. Er nahm das Blut auf, welches als Konsequenz seiner Penetration entstanden war. Ilias’ Keuchen hörte sie kaum noch über ihr eigenes. Es verstärkte sich mit jeder gekonnten Berührung ihres Geliebten. Auch seine Hände waren nicht untätig geblieben, denn seine Finger verwöhnten ausgiebig die Innenseiten ihrer Schenkel und nahmen schließlich den Platz und die Aufgabe seiner Zunge ein. Begeistert nahm Lilli diesen Umstand auf, da er stets genau zu wissen schien, welche Stelle in jedem Moment am Empfindsamsten bei ihr war. Selbst das neuerliche Stechen, mit dem sich Ilias kurz darauf wieder mit ihr verband, hieß sie willkommen. Dieses mal nur, verweilte er. Durch den Schleier einer Lust, die Lilli in diesem Ausmaß restlos unbekannt war, sah sie in die so schwarzen Augen des Vampirs. Als er sich weiter zu ihr hinab beugte, erkannte sie ihr eigenes Gesicht in seinen weit geöffneten Pupillen.

„Jetzt bin ich keine Jungfrau mehr“ ,erkannte Lilli scharf, „wo du die als anständiger Vampir doch so magst.“ Sie wollte noch anmerken, er solle sich doch bitte in Erinnerung rufen, dass er an dieser Diagnose nicht ganz unbeteiligt war, doch ihre Worte gingen im eigenen Aufseufzen unter. Ilias hatte begonnen sich zu bewegen, was ihren noch immer vorhandenen Schmerz mit etwas anderem vermischte. Etwas Neuem, Schönem, das ganz nah war, gleich um die Ecke sozusagen.

„Wenn es einen Status gibt, der dem des Unberührten vorzuziehen ist, dann ist es der von mir berührte. Einzig und allein von mir.“ Womit Ilias recht klar gemacht hatte, dass es fern seiner Toleranz lag, Lilli jemals teilen zu müssen. Und so lange sie von ihm dasselbe verlangen konnte, war es ihr unmöglich, sich eine glänzendere Einigung vorzustellen. Ganz abgesehen davon war es ihr ebenfalls unmöglich, sich glänzendere Empfindungen vorzustellen. Ständig wiegten sie Lilli in der Erwartung, dass etwas ganz Drastisches passieren würde. Sie schloss die Augen, als Ilias seine anfängliche Sanftheit in eine deutlich grobere Behandlung umschwingen ließ. Zwischenzeitlich aber, konnte sich Lilli auch seinen heftigeren Bewegungen anpassen. Hätte er die nicht selbst eingeführt, so hätte sie ihn in der Tat darum gebeten.
 

Die Sorgen um ihr Unwissen und die Befürchtung etwas Falsches zu tun, waren unbegründet gewesen. Lilli fand heraus, dass sich alles von ganz allein gab. Automatisch reagierte ihr grundehrlicher Körper auf den des Vampirs. Sie fügte sich seinen unausgesprochenen Anweisungen, die ihr das drastische Ereignis immer näher brachten. Dabei konnte sie sich nichts Drastischeres vorstellen, als das gegenwärtige Geschehen. Während Lilli zunächst versucht hatte, die Kundgebungen ihres äußersten Vergnügens durch eher urtümliche Laute zu unterdrücken, so fand sie sich dessen nun außer Stande. Auch Ilias ließ sie stimmlich wissen, wie hochzufrieden er mit der Sachlage zwischen ihnen war. Wenn er sie nicht küsste, saugte er an den Spitzen ihrer Brüste oder fuhr mit seinen Fingerkuppen von ihren Rippen zu ihrem sich ihm immer neu entgegenpressenden Becken. Schließlich war es nur eine weitere winzige Veränderung in der Art, wie sich ihre Körper trafen, die das Drastische der Angelegenheit voll zur Geltung brachte. Das Gefühl, die Welt bliebe für einen Moment stehen, verharmloste Lillis Drastik-Begriff nicht eben. Sie grub ihre Fingernägel in Ilias’ Rücken und warf ächzend den Kopf in den Nacken. Ilias spürte, wie sich Lillis Muskeln um ihn herum zusammenzogen, er wusste von der Ekstase ihres Höhepunktes. Vorbehaltlos ließ er sich davon mitreißen und hielt sich nicht länger zurück. Selbst vom begehrenswerten Rausch seiner Sinne betäubt, setzte er sich in übernatürlicher Geschwindigkeit auf, noch immer tief mit Lilli verbunden. Ilias hob das federleichte Mädchen um die Taille an, so dass ihr Oberkörper weit nach hinten lehnte. Er hörte ihr Herz flattern, sah ihren Körper beben, ihre süßen Lippen leicht geöffnet. Dann neigte er sich weit nach vorne, presste Lilli an sich und legte den Mund auf ihre pulsierende Halsschlagader. Seine Zunge stieß mehrmals an den vampirischen Hauptangriffspunkt, wenn man es denn so nennen wollte. Wie im Wahn umspülte ihn das Geräusch des pochendes Blutes, das ihn an Lillis noch unversehrter Haut saugen ließ. Trotz allem nahm er wahr, wie sich Lillis Hände in seinen Haaren verfingen und sie ihn so noch fester an ihren Hals drückte. Auch ohne die unmissverständliche Auforderung, hätte er getan, wozu ihn sein Naturell dringlichst trieb.
 

Seine Zähne drangen endlich, wie vor viel zu vielen Tagen zuvor, mühelos durch die feine Haut Lilemours. Im Geiste längst vereint, fühlten sie atemlos die zweite innige Körperverbindung zwischen ihnen. Ilias trank aus der kleinen Wunde, nahm jedoch nicht so viel, als dass Lilli das Aufkommen von Schwäche verspürt hätte. Kaum hatte der Vampir die letzten Tropfen des roten Lebenssaftes in sich aufgesogen, zog er Lilli zu sich hoch. Mit den um seine Hüften gewundenen Beinen, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und belud ihn mit ihrem ganzen Gewicht, wofür er keinerlei Kraftaufwand benötigte. Lilli schmiegte sich an Ilias und ließ die Nachbeben der sexuellen Wonnen ausgedehnt über sie beide hinwegfegen.

„Siehst du nun ein, dass du dich mir viel früher hättest hingeben sollten.“ Leise säuselte Ilias’ Stimme an Lillis Ohr. Sie nickte verträumt, obwohl sie ihm eigentlich hätte klar machen sollten, wie wenig sie von überstützten Liebesaffären hielt. Vor allen Dingen mit Vampiren. Nein, überstürzt hatte sie wirklich nichts und das war gut so. Erst über die Zeit hatte sie lernen müssen, seine Denkstrukturen auszuloten und seine Absichten allerlei Dingen gegenüber zu verstehen. Seine Absichten ihr gegenüber waren wahrscheinlich mit Abstand die positivsten, die er je gehegt hatte. Ruchlos war er freilich nichtsdestotrotz. Unablässig strichen seine Hände über ihre Seiten, ihren Po, ihre Beine, bis sie plötzlich wieder neben ihm auf dem Bett lag. Sie brauchte immer ein wenig Zeit, um sich von seiner Schnelligkeit zu erholen. Kaum war das geschehen, kam Lilli sein Fortgehen wie ein betrauerbarer Verlust in ihrem Innern vor.

„Lass uns diesen Akt noch einmal vollziehen. Jetzt.“ Ilias grinste sie unverschämt an, wobei er die Hände über den Kopf legte und sich wie eine Katze reckte. Wie er da so lag, hätte ihn Lilli furchtbar gern abgezeichnet. Leider konnte sie gar nicht zeichnen und er blieb auch nicht lange genug in dieser Position, als dass es einen Sinn gemacht hätte, zu Stift und Papier zu greifen. Ilias hatte bereits wieder ein Bein zischen ihre eigenen geschoben. Doch Lilli wandte sich von ihm ab. Der Schmerz war in ihren Schoß zurückgekehrt, dumpf und drückend. So wie es sich anfühlen musste, wenn man zwei Tage ohne Pause auf einem Pferd ohne Sattel geritten war. Ungeübt und im Sausewind.

„Ich verstehe“ ,verstand Ilias, ganz ohne dass er es verstehen konnte. „Das Blut von Jungfrauen hat keine heilende Kraft, aber das Blut der Vampire“ ,legte er dar. „Oder zumindest etwas, das dem gleichkommt. Glaubst du, du wärest nach deinem erfrischenden Seebad sonst jemals wieder aufgetaut?“ Er bettete seinen Kopf auf ihre Brust, was seine Stimme in Lillis Ohren vibrieren ließ. „Ich bin, nur so ganz nebenbei, in der Lage dazu, dich mit meinem Blut für unbestimmte Zeit jung zu halten. Jung und am Leben. Dieser Gedanke scheint dir zuzusagen“ ,amüsierte er sich, weil Lillis Herz bei dieser Nachricht wieder schneller schlug. Weniger wegen der Vorstellung auf immer jung zu sein, oder gar unsterblich, sondern an Ilias’ Seite.
 

„Mein Blut wird stärker werden, je länger ich existiere. Ich ziehe dich mit mir, in das umgekehrte Reich der Toten, ohne dass du sterben musst, Lilemour. Vielleicht...“ Lilli fuhr kurz zusammen, denn Ilias hatte leicht in ihre linke Brust, nahe des Herzens gebissen. „...Vielleicht mache ich dich eines Tages zum Vampir. Andererseits genieße ich deine weite Unterlegenheit. Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass du jemals auch nur in die Nähe meiner Fähigkeiten kämst, Vampir hin oder her. Mal sehen wie mir der Sinn danach steht, dich doch noch irgendwann zu töten.“ Ilias lachte auf seine eigene durchtriebene Art und Weise auf Lillis entsetzen Gesichtsausdruck hin.

„Wehe dir du fragst mich vorher nicht“ ,drohte Lilli mit erhobenem Finger, „oder ich...ich verweigere mich dir!“ Weil sie errötete, entschlüsselte der Vampir die Kernaussage der Botschaft und sagte: „das kannst du gar nicht, wenn du nicht gegen dich selbst arbeiten willst“ ,womit er sicherlich Recht hatte.

„Ich werde dich also fragen, sollte es je dazu kommen“ ,gestand er ihr zu. „Ich will mich auch jetzt herablassen in Erfahrung zu bringen, ob du nicht Zeuge von etwas Erstaunlichem werden möchtest.“

Lilli war sich bei seinem Anblick hundertprozentig sicher, dass sie Zeuge von etwas Erstaunlichem werden wollte. Sie hatte aber nicht damit gerechnet, dass das Erstaunliche damit anfing, dass sich Ilias in zwei Finger biss. Dunkelrotes Blut rann seinen Mittel- und Zeigefinger hinab.

Lilemour würde sich wirklich, wirklich an die nahezu unsichtbaren Bewegungen von Ilias gewöhnen müssen, wenn sie nicht jedes Mal aufs Neue blöd aus der Wäsche schauen wollte. Momentan schaute sie von oben auf die Bettdecke herab. Sie hatte sich auf allen Vieren wiedergefunden und nahm erst jetzt zur Kenntnis, dass sich Ilias hinter ihr befand. Er legte eine Hand um ihre Mitte und animierte sie dazu, die Beine weiter zu öffnen. Sie spürte seine samtweichen Küsse nun auch auf ihrem Rücken. Darum ließ sich schlecht sagen, wie lange sie in dieser Stellung würde bleiben können, ohne von einer neuen Welle der Erregung niedergedrückt zu werden. Das wurde vor allem fraglich, als Ilias’ blutgetränkte Finger in sie hineinglitten und sich so gar nicht untätig gebärdeten. Lilli biss sich auf die Lippen, denn Ilias sollte Recht behalten. Tatsächlich verflüchtigte sich der dortige Schmerz bald, bis sie nur noch das wahrnahm, was Ilias ihr im Augenblick schenkte. Sie betete, er möge noch immer den eben angekündigten Plan verfolgen, denn sie fürchtete, sonst einfach zu explodieren. Jedenfalls würde etwas Drastisches passieren. Lilli seufzte, wie sie beschämt merkte, erleichtert auf. Ilias hatte seine Finger mit etwas weniger Spitzem, dafür wesentlich Umfangreicherem ersetzt.
 

Alle Fenster des Jagdhauses waren fest verschlossen, um jedes Eindringen von Tageslicht zu vermeiden. Noch waren es zwei Stunden bis Sonnenaufgang. Aber das wusste Lilli nicht. Es war auch einerlei. Wichtig war, dass das Feuer im Kamin prasselte und dass sie in den Armen des unmöglichsten Vampirs lag, unter dem die Menschheit je zu leiden gehabt hatte. Schläfrig drückte sie ihre Nase in seine warme Halsbeuge. Über die Nacht hatte sie doch mehr Blut einbüßen müssen, als es beim ersten Mal den Anschein gehabt hatte. Doch Ilias entschied, dass es für sie beide nicht sonderlich tragisch war, ein wenig vom Tag zu ruhen, wie es für einen Vampir erholsam war, aber nicht notwendig. Solange das Licht die Untoten nicht berührte, genossen sie auch Tags über in den Räumen volle Bewegungsfreiheit. Wenn sie es denn wünschten.

„Wohin gehen wir, wenn die nächste Nacht hereinbricht“ ,wollte Lilli wissen. Sie spielte mit einer seiner langen Haarsträhnen. Ilias malte mit seinen Fingernägeln unsichtbare kryptische Zeichen auf ihren Bauch und gab nichts von sich. Bis auf: „ich würde dafür plädieren, ein wenig Urlaub zu machen. Eben hier. Mir gefällt die Einrichtung des Hauses, mir gefällt die Besetzung und Stawrogin wird mir das nicht übel nehmen. Wenn ich angestrengt darüber nachdenke, dann ist er mir sicher noch etwas schuldig. Irgendwas wird sich schon finden lassen.“

„Und dann?“

„Menschen planen zu viel“ mokierte sich Ilias scherzhaft, „lass es einfach auf dich zukommen.“

„Ich meine doch Oktavian.“ Lilli veränderte ihre Position, so dass sie Ilias in die Augen sehen konnte. „Wird er keine Vergeltung suchen?“

Ilias lächelte fies. „Oktavian sucht Vergeltung seit ich ihn kenne, er ist wenig mehr als ein rachsüchtiges Phantom. Gesetz dem Fall, er würde sich erholen, so soll er doch kommen, soll er doch jemanden schicken. Es würde nicht fruchten. An mir beißt er sich noch die schärfsten Zähne aus und er weiß es. Er tut besser daran uns in Frieden zu lassen.“

„Was ist denn eigentlich aus deiner Revolution geworden?“

„Die hab ich durchgebracht, würdest du nicht auch sagen?“

„Und d...“

„Die Revolution frisst immer ihre eigenen Kinder, hast du nie davon gehört?“ ,unterbrach Ilias sie. „Ehe das geschieht, steige ich aus. Ich habe was ich wollte. Was jetzt noch passiert ist mir egal, so lange es uns nicht persönlich betrifft, was es nicht tut. Wir sind frei. Ah, Stawrogin wird den Laden schon schmeißen, in ein, zwei Jahrhunderten wird ihm wahrscheinlich ohnehin die halbe Welt gehören.“ Ilias sah Lilli an, bis sie der absoluten Überzeugung war, dass es gar nichts anderes mehr geben könne als ihn.

„Wir könnten in einigen Tagen nach Indien fahren“ ,fiel ihm ein. Seine Hand umfasste Lillis Hinterkopf, damit er sie zu sich hinunter ziehen konnte. Sacht küsste er sie auf den Mund, doch etwas daran schien ihn jedes Mal so zu entzücken, dass er binnen kürzester Zeit viel fordernder wurde. Lilli entdeckte, dass sie gar nicht genug davon haben konnte.

„In China war ich die letzten sechzig Jahre auch nicht mehr.“ So bemerkte Ilias in einer Unterbrechung, die auf Grund Lilli’s vorübergehender Atemknappheit entstanden war. Jemand, der keine Luft brauchte, konnte das natürlich nicht nachempfinden. Ilias drehte sich und begrub Lilemour unter sich. „Wie wäre es mit Neuseeland? Andererseits wird mich Georg zu Hause sicherlich schmerzlich vermissen. Eins steht fest, wir fahren mit derjenigen Eisenbahnlinie, auf der man reichlich Fahrkarten entwerten lassen muss.“
 

„Glaubst du, wir sehen sie je wieder?“

Emilie stand am größten Fenster von Antonios Wohnung und sah nachdenklich hinaus. Ihr Freund war seit etwa zwei Stunden damit beschäftig, nach einem Rezept von Evgeni extra dünne Pfannkuchen zu kreieren. Das mit dem Hochwerfen, Wenden und wieder in die Pfanne segeln lassen, hatte er ebenso wenig drauf, wie das Pfannkuchen machen an sich. Mit einer Schürze, auf der Emi Sponge Bob entgegenlachte, kam Toni aus der Küche. Teig klebte ihm in den Haaren. Er schaffte es, ein betretenes Gesicht zu machen.

„Ich weiß es nicht, Emi, meine Knutschkugel.“ Er grinste frech, aber die Blonde verzog nur säuerlich ihre Miene. „Ich meine es ernst.“

„Ich auch. Ich weiß es wirklich nicht.“ Und dieses Mal, das wusste Emi, meinte es Toni wirklich ernst. „Wenn es das Schicksal so will“ ,hängte er unnötig pathetisch an, „dann sitzen du, Lilemour, Ilias und ich einst einmal bei einer beschaulichen Runde Vampir ärgere dich nicht zusammen und erzählen uns Schwänke aus unseren toten und lebenden Leben.“

Gern würde sich Emilie diese Szene vorstellen. Besser noch, aber unmöglich, ohne Ilias, dem sie nun wirklich keine Sympathien entgegenbringen konnte. Bis auf die freilich, dass er mit ihrer besten Freundin rumhing. Sollte Emi Stawrogin Glauben schenken, so würde sie sich keine Sorgen machen müssen. Wortkarg wie immer hatte der Vampir sie auf ihre Frage hin wissen lassen, dass Lilemour bei Ilias ganz trefflich versorgt sei. Sie seufzte tief.

„Meinst du, wir sollten Stawi einladen? N’ bisschen was von den Pfannkuchen wird er schon runterkriegen, ich mein, ich schaff’s ja auch.“ Toni kratzte sich nachdenklich am Kopf.

Emi stützte die Hände in die Hüften. „Ich bin sicher, wir werden sie wieder sehen, jawohl!“

„Guck mal, ich hab noch viel Teig übrig, würd für einen mehr echt reichen.“

„Und dann werden wir ein riesiges Wiedersehensfest machen!“

„Ihh, ich glaub, ich hab zu viel Eier genommen. Was sagtest du noch? Zwanzig Eier! Oder warn es zwei?“

Emilie lachte. „Jedenfalls bin ich sicher, dass sie glücklich ist! Ich fühle es, so wahr ich die Nachteile von Vampiren kenne.“ Sie fischte die Teigreste aus Tonis Haaren, schmierte sie auf Sponge Bob und umarmte ihren verblüfften Freund stürmisch. „Aber auch die Vorteile.“
 


 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (306)
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Von:  Imilia
2016-09-05T20:00:36+00:00 05.09.2016 22:00
Liebe Fany,

Hättest Du diese Geschichte damals drucken gelassen und auf den Markt geschmißen; ich schwör, ich hätte das Buch gekauft und es hätte noch heute einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal!
Es gibt nur wenige Bücher (und noch viel weniger Fanfics) die man öfters als einmal lesen kann; deine gehören auf jeden Fall dazu, die hole ich alle paar Jahre raus und jedes Mal packen sie mich wieder...
Einfach großartig - großes Kopliment!

Liebe Grüße

Von: abgemeldet
2009-05-12T19:06:01+00:00 12.05.2009 21:06
So ich habe diese FF jetzt in drei Tagen gelesen und war echt wie gefesselt. Wirklich eine sehr gute Idee, die gut verarbeitet worden ist :)
Ich muss echt sagen du hast einen genialen Schreibstil, würde fast meinen kaum jemals hier wirklich einen besserern gelesen zu haben.
Hänge zur Zeit schon bei deiner aktuelen FF und bin gespannt wie es weiter gehen wird. Hoffentlich schreibst du noch eine weile, denn deine Schreibweise ist zum einen faszinierend und langweilt nicht plötzlich und zum anderern köstlich getränkt mit Humor :)
Die Gedankengänge die du deine Charakter manchen lässt sind wirklich einzigartig und haben mich desöfteren wirklich zum schmunzeln gebracht.
Nun ich hoffe du schreibst noch lange weiter, ich werde es dann auf jeden fall lesen :)

Gruß
Engelchendiemaus

Von: abgemeldet
2009-05-12T18:55:51+00:00 12.05.2009 20:55
So ich habe diese FF jetzt in drei Tagen gelesen und war echt wie gefesselt. Wirklich eine sehr gute Idee, die gut verarbeitet worden ist :)
Ich muss echt sagen du hast einen genialen Schreibstil, würde fast meinen kaum jemals hier wirklich einen besserern gelesen zu haben.
Hänge zur Zeit schon bei deiner aktuelen FF und bin gespannt wie es weiter gehen wird. Hoffentlich schreibst du noch eine weile, denn deine Schreibweise ist zum einen faszinierend und langweilt nicht plötzlich und zum anderern köstlich getränkt mit Humor :)
Die Gedankengänge die du deine Charakter manchen lässt sind wirklich einzigartig und haben mich desöfteren wirklich zum schmunzeln gebracht.
Nun ich hoffe du schreibst noch lange weiter, ich werde es dann auf jeden fall lesen :)

Gruß
Engelchendiemaus

Von:  la_estrella
2009-05-12T10:13:08+00:00 12.05.2009 12:13
Ich muss gerade enttäuschend feststellen,
dass meine Wenigkeit damals wohl nie ein Kommentar
hinterlassen hat. Entschuldige und dabei habe ich
deine Ff damals verschlungen, wie noch was!
Ich habe die Nächte durchgelesen, um mir dann nur ein wenig Schlaf zu gönnen, damit ich gleich weiter lesen konnte.
Ungelogen! Ich war nach dieser geilen Story einfach süchtig!!!

Also ein riesen Kompliment an dich.
Das war eine super Story und ich habe sie geliebt bzw.
liebe sie immer noch =)


Lieben Gruß,
*estrella
Von:  --yume--
2008-12-04T16:23:02+00:00 04.12.2008 17:23
hallihallo

ich finde die ff echt klasse und alles

aber, ich finde das da noch ne nachfolge story kommen könnte weil viele dinge noch nicht geklärt sind.
ich weis ja nicht ob du die da schon was überlegt hast in der richtung oder angefangen aber ich fände es klasse wenn da noch was kommen würde....


glg christy
Von:  scippu
2008-04-04T19:41:41+00:00 04.04.2008 21:41
Also mein Kompliment! Das ist wohl eine der besten Geschichten, die ich je gelesen habe. Du hast das wunderbar erfrischende Talent, die Sätze nicht stinohaft von vorn nach hinten zu schreiben, sonder sie am Ende anzufangen, zum Anfang aufzurollen und dann mit der eigentlichen Mitte zu enden...=) ich weiß auch nicht wie ich es beschreiben soll, vielleicht verstehst du ja, was ich damit versuche auszudrücken. Auf jeden Fall gefällt mir deine Art zu schreiben unglaublich gut.
Da treten die Handlung, die natürlich wunderbar phantasievoll und besonders ausgeklügelt ist(ich bewundere diese Menschen, die immer so unglaublich gute Einfälle haben)und die Charaktere, die sehr menschlich gelungen sind(also alle Menschen natürlich) irgendwie sogar ein wenig in den Hintergrund, weil es einfach schon so ein wahnsinniger Genuss ist, die Story überhaupt zu lesen. Wirklich sehr gut gelungen! Ich möchte jetzt auch nicht darüber auslassen, die gut mir einzelne Passagen gefallen haben, da bin ich mit dem Lobpreisen morgen noch nicht fertig.
Auf jeden Fall gehört deine Geschichte zu den besten die ich je gelesen habe und hat den unumstritten ersten Platz der Vampirgeschichten gepachtet. Wahrscheinlich auf unbestimmte Zeit. Du hast "ein Unflug der (un)gewöhnlichen Art", die ich inzwischen etwas sehr kitschig finde, erfolgreich vom ersten Platz vertrieben.
Ich hoffe man wird noch öfter von Dir hören. Ansonsten wäre das sehr schade.
liebe grüße, auf das dir die Freude am Schreiben nie vereht!!!
scippu

Von: abgemeldet
2007-07-18T10:44:38+00:00 18.07.2007 12:44
OH GOTT, die geshcichte war wirklich einer der wenigen gründe, warum ich immer auf diese seite gesehen habe :)
ich fands toll, wie schön du ihre gedanken immer umschrieben hast und dieser ilias ist ein durchtriebenes ding haha.
und dass valentin noch lebt, dass find ich auch toll^^

schae dass die geschichte zu ende ist, aber ich hoffe du schreibst schon an einer neuen und stellst die kapitel davon dann in kleineren abständen online :D

danke =)

*anflausch*
Von: abgemeldet
2007-07-16T22:29:30+00:00 17.07.2007 00:29
hi, die Story war einfach nur toll..genauso wie Alles fließt. Lese eigentlich meist nur Animes...aber dadurch das die andere Story scho so gut war hab ich mir diese auch durchgelesen und es hat sich wirklich gelohnt. :-) Hoffe das du bald wieder was neues Anfängst oder vielleicht auch eine Fortsetzung hierzu schreibst.
Von: abgemeldet
2007-07-12T08:37:53+00:00 12.07.2007 10:37
Ich will nicht das es aufhört! T_T Ich könnt noch 10 Millionen Kapitel drüber hören.
Von:  Sakiko-chan
2007-07-10T19:21:41+00:00 10.07.2007 21:21
Hey!
Das war ja so toll und so traurig das es shwer zu sagen ist ob ich lachen oder weinen soll ^^''
Ich fand die Story klasse und gut zu ende geführt ><''
Nya jetzt werde ich mich wohl mit meiner Vampirsucht woanders weiter nähren müssen xD
Ich wünsche dir weiterhin viel erfolg bei deinen anderen Geschichten und hoffe sie werden genauso gut wie diese hier
bis dann
Sakiko-chan ^_^v



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