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Sherlock Holmes - Im Reiche Morpheus'

von

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Ein Hilferuf Mycrofts

Anmerkung des Autors John H. Watson: Die folgenden Ereignisse finden im August 1894 statt. Wenn Sie diesen Bericht lesen, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder haben Sie ihn in meinem Nachlass gefunden oder Sie sind Teil der britischen Regierung und haben ihn beschlagnahmt. Dieser Bericht wird weder im Strand Magazine noch in irgendeiner anderen Publikation zu finden sein. Ich respektiere die Bitte von Mycroft Holmes, auf eine Veröffentlichung zu verzichten.
 

Es ereignete sich so, dass ich meine Praxis im Sommer 1894 früher schloss, da es sich um einen dieser Tage handelte, an dem meine alte Verletzung am Knie mir mehr zu schaffen machte, als es eigentlich der Fall sein durfte. Aus diesen Gründen beschloss ich, mir einen angenehmen Abend zu gönnen und mich in meine Gemächer in der Baker Street zurückzuziehen. Auf mich wartete eine spannende Lektüre, ein Buch, das ich mir zurechtgelegt hatte und zur Abwechslung mal kein Fachjournal war.

Als ich zu Hause ankam, warf ich einen raschen Blick in die Küche, bis mir schmerzhaft bewusst wurde, dass unsere treue Haushälterin Mrs. Hudson am heutigen Tag mit ihrer Cousine verabredet war und Holmes und ich gezwungen waren, uns selbst zu verpflegen. Nein, diesen Gedankengang musste ich wohl revidieren, angesichts der Tatsache, dass mein Freund sicherlich wieder einmal darauf vergessen hatte, etwas zu sich zu nehmen. Ich überlegte, ob es mir wohl gelang, ihn zu überreden, gemeinsam ein Restaurant aufzusuchen, oder ob er wieder einmal zu beschäftigt sein mochte. Ich trank etwas und schritt dann die Treppe zu den Wohnräumen hoch. Nachdem ich mich meiner Sachen und meines schweren Arztkoffers entledigt hatte, schlenderte ich in Richtung des Büros, das Holmes nutzte, um Klienten zu empfangen. Ich klopfte sachte, wartete jedoch nicht lange, um einzutreten.

Der Detektiv saß, wie erwartet, auf seinem Stuhl und bedachte mich keines Blickes. Ich begann ein eher belangloses Gespräch, um auf mich aufmerksam zu machen, doch Holmes war zu sehr in die Times vertieft, die er vor sich ausgebreitet hatte. Schließlich setzte ich mich ihm gegenüber und machte es mir bequem.

"Und dann sind dem armen Kerl doch tatsächlich zwei Köpfe gewachsen. Und einen davon musste ich dann amputieren", versuchte ich mein Glück.

"Mhm. Sehr interessant", murmelte der Detektiv nur.

Ich seufzte.

"Holmes, erst gestern haben Sie mir anvertraut, im Moment an keinem laufenden Fall zu arbeiten und beschwerten sich über den unverdienten Müßiggang", erinnerte ich ihn.

Mein Freund sah zu mir auf und breitete schließlich die Seite der Zeitung auf dem Schreibtisch aus.

"Ich bin in froher Hoffnung, dass sich dieser Umstand in Kürze ändern könnte. Erinnern Sie sich noch an den Artikel über den Mann, der auf der Treppe zum Parlamentsgebäude zusammenbrach und reglos liegenblieb?"

Nun hatte er mich, musste ich doch einen Moment überlegen. Doch dann begannen sich die Räder in meinem bescheidenen, nicht mit dem von Holmes zu vergleichenden Gehirn zu drehen. Immerhin war der Artikel gerade mal vor zwei Tagen erschienen.

„Ja, ich glaube mich zu erinnern. Ein feinerer Herr brach mitten auf der Treppe zusammen. Allerdings kann ich mich nicht entsinnen, dass der Verfasser irgendwelche Gründe angegeben hatte. Ich weiß nur noch, dass der Mann schnellstens ins Krankenhaus gebracht worden ist.“

Mein Freund nickte bestätigend.

„Haben Sie als Arzt eine Theorie?“, hakte er nach.

Ich räusperte mich. Verlangte mein Freund ernsthaft eine Ferndiagnose? Oder eher eine Spekulation, von welchen er mich doch so häufig abzuhalten versuchte.

„Ohne genauere Hinweise, ist dies schwer zu sagen. Im ersten Moment würde mir ein Schlaganfall in den Sinn kommen.“, gab ich an.

Holmes schien meine Meinung aber nicht zu teilen.

„Eher auszuschließen. Der Mann war erst Mitte 30 und – korrigieren Sie mich, sollte ich mich irren – sind ruckartige Anfälle ein Zeichen für einen Schlaganfall.“

Ich musste ihm rechtgeben.

„Eine andere Möglichkeit wäre eine Gehirnblutung. Eine weniger wünschenswerte Alternative, immerhin würden die Ärzte im Krankenhaus dann nicht mehr an einer Bohrung des Schädels vorbeikommen, um so das Blut abzulassen.“

Diese Theorie verursachte zumindest ein kurzes Brummen seitens Holmes‘.

„Sollte dies der Fall gewesen sein, so scheinen die Ärzte in diesem Fall darauf verzichtet zu haben. Der Mann ist heute in seinem Krankenbett gestorben. Die Todesursache scheint aber mysteriös und unklar zu sein.“

Nun verstand ich, was er mit einem neuen Fall meinte.

„Sie vermuten keinen natürlichen Tod?“, wollte ich wissen, konnte mir die Frage aber eigentlich sparen. Ansonsten hätte dieses Ereignis niemals Holmes‘ Interesse geweckt.

Er wollte bereits dazu ansetzen etwas zu sagen, als die Eingangsglocke läutete.

Ich wollte bereits nach Mrs. Hudson rufen, bis mir einfiel, dass diese nicht zu Hause war.

„Watson, wenn Sie so nett wären.“, sagte mein Freund an mich gewandt.

Ich wollte ihm bereits vorwerfen, dass er zwei gesunde Beine besaß, gab aber wieder einmal nach und schritt die Treppe nach unten.

Ich öffnete und stand einem jungen, schick gekleideten Mann gegenüber.

„Dr. Watson. Es freut mich Sie wiederzusehen. Ist Mr. Sherlock Holmes zu sprechen?“, ließ sich dieser nicht lange Zeit.

Ich musste gestehen ein paar Sekunden zu brauchen um mir das Gesicht des Mannes ins Gedächtnis zu rufen. Schließlich nickte ich mehrmals und ließ unseren Gast ein.

Ich bot ihm an, mich um seinen Mantel zu kümmern, doch dieser lehnte ab.

„Ich bin eigentlich auf dem Sprung. Ich möchte so schnell wie möglich mit Mr. Holmes sprechen.“, drängte er.

Ich nickte und bat ihn mir zu folgen.

Ich führte ihn in die Räume des Detektivs, welcher uns bereit erwartete.

Mr. Woodrow, es ist einige Zeit her. Aufgrund Ihrer Kleidung und Ihres Auftretens schließe ich, dass Sie immer noch für meinen Bruder tätig sind.", sagte Holmes, als Frederic Woodrow auf ihn zukam, um ihm die Hand zu schütteln. Wir hatten Woodrow vor einiger Zeit kennengelernt, als ein Attentäter das Leben unseres Außenministers bedrohte.

"Danke, dass Sie sich Zeit nehmen. Es geht um eine dringende Angelegenheit, die keinen Aufschub erlaubt", sagte Woodrow hastig.

Mein Freund ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen.

"Und damit wollten Sie zum Ausdruck bringen, dass ich wohl alles stehen und liegen lassen soll, richtig?" fragte Holmes.

Woodrow nickte eifrig. "Ja, Mr. Holmes. Das Empire ist in großer Gefahr und Ihr Bruder meint, dass nur Sie in dieser Angelegenheit helfen können.", sagte er.

Holmes verdrehte die Augen.

"Mr. Woodrow, wenn ich jedes Mal einen Penny erhalten hätte, wenn mein Bruder diese Worte an mich gerichtet hätte, könnte ich meine Profession als Detektiv inzwischen aufgeben und mich in Sussex zur Ruhe setzen.", sagte er.

Der Agent setzte erneut an, hielt dann aber inne. Sein Blick fiel auf die ausgebreitete Zeitung vor ihm. Stirnrunzelnd blickte er uns abwechselnd an.

"Sie… arbeiten bereits an dem Fall? Das ist ja großartig! Genau darum wollte ich mit Ihnen sprechen.", klang er nun etwas erfreuter.

Holmes und ich tauschten Blicke aus.

"Eigentlich arbeitet mein Freund gerade an gar keinem Fall. Der Artikel hat jedoch seine Aufmerksamkeit erregt. Kennen… Sie den Mann darin etwa?" fragte ich den Agenten.

Dieser nickte aufgeregt.

"John Hargreaves. Er war einer von uns. Also… er war Agent. Nicht in derselben Behörde wie ich, doch wir hatten miteinander zu tun. Wie Sie bereits der Zeitung entnehmen konnten, brach er einfach zusammen und starb einen Tag später im Krankenhaus."

Nun wurde mir die Verbindung klarer.

„Wir haben es also mit einem Mordanschlag an einem Agenten der britischen Krone zu tun?“, fragte ich verständnishalber.

Woodrow wirkte bedrückt.

„Mit zweien, werter Doktor. George Turner, ein weiterer Agent, der mit Hargreaves zusammenarbeitet, wurde vor wenigen Stunden bewusstlos in seinem Büro aufgefunden. Er zeigt dieselben Symptome wie sein Kollege und wurde umgehend ins Krankenhaus eingeliefert.“

Holmes verfolgte die Schilderungen mit Interesse.

„Ist er ansprechbar? Kann er widergeben was ihm zugestoßen ist?“, wollte er wissen.

Doch Woodrow musste ihn enttäuschen.

„Leider nein. Wie bereits bei Hargreaves versuchten die Ärzte alles um ihn wieder aufzuwecken, doch er ist in ein tiefes Koma gefallen.“, verriet er.

Holmes schien genug gehört zu haben. Er erhob sich und griff nach seinem Mantel. Woodrow wirkte erleichtert und erhob sich ebenfalls.

„Sehr schön. Am besten suchen wir gleich Ihren Bruder…“, begann er, doch Holmes schnitt ihm das Wort ab.

„Zuerst hätte ich gerne, dass Dr. Watson einen Blick auf den im Koma liegenden Mr. Turner wirft. Und am besten die Leiche des ersten Opfers begutachtet.“

Ich gab zu, mich von seiner Bitte etwas in die Enge getrieben zu fühlen. Ich war mir sicher, dass meine Kollegen im Krankenhaus bereits alle möglichen Tests durchgeführt hatten. Also was genau erwartete Holmes von mir? Ich wollte sein Vertrauen jedoch nicht enttäuschen und sagte zu, die beiden zu begleiten.

Woodrow rief uns eine Droschke, die uns einmal erneut ins Sankt Bartholomew‘s Krankenhaus bringen sollte.

Ein neuartiges Gift

Als wir im Krankenhaus ankamen, warteten wir, bis unser Klient den zuständigen Arzt verständigt hatte. Dieser begrüßte uns mit einem Händedruck und führte uns einige Stockwerke nach oben. Zu unserer Überraschung betraten wir einen abgesonderten Bereich, anstatt der Krankenzimmer für die Patienten. Zwei robust aussehende Männer versperrten uns den Weg, bis Woodrow sie anwies, zur Seite zu treten. Wir erhielten Einlass und standen kurz darauf vor einem weiten Glasfenster, hinter dem das Krankenbett des Patienten aufgestellt war.

"Sondern Sie ihn ab? Vermuten Sie, dass er ansteckend ist?" fragte ich besorgt.

Der behandelnde Arzt wollte sich jedoch nicht auf eine eindeutige Antwort festlegen. "Eigentlich tun wir das inzwischen nicht mehr. Dennoch belassen wir es erst einmal bei dieser Vorsichtsmaßnahme. Der Patient ist im Moment stabil, aber wie bereits erwähnt, in einem tiefen Koma."

Holmes bat den Arzt, mich über die bisherigen Untersuchungsergebnisse zu informieren, was dieser ohne Einwände tat. Während ich ihn in sein Büro begleitete, blieb Holmes mit Woodrow zurück und betrachtete den komatösen Mann.

"Mr. Holmes, sowohl Agent Turner als auch Agent Hargreaves waren aufrichtige Männer, die nur dem Wohl des britischen Empires dienten. Ich möchte Sie bitten, den Täter so schnell wie möglich zu finden.", sagte Woodrow.

Der Detektiv wandte seinen Blick nicht ab.

"Sie vermuten also einen Mordanschlag auf die beiden Männer?", hakte er nach.

Woodrow schien sich dessen sicher.

"Wir haben den Kaffee des Agenten untersucht, den wir in seinem Büro entdeckt haben. Er hat einen seltsamen Geruch, und wir vermuten, dass er vergiftet wurde."

Holmes überlegte kurz.
 

„Selbst wenn dies der Fall ist. Das erste Opfer verstarb nach nur einem einzigen Tag. Selbst wenn sie das Gift identifizieren, wird die Hilfe für Agent Turner womöglich zu spät kommen.“, stellte er ihn vor die Tatsachen.

Woodrow war jedoch keineswegs naiv. Natürlich hatte er sich auf diese Option vorbereitet.

"Ich bitte Sie nur, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, Mr. Holmes. Wir müssen den Angreifer identifizieren und stoppen. Es wäre schrecklich, wenn er noch mehr Menschen angreift.", sagte er.

Mein Freund musste ihm in diesem Punkt zustimmen. Es war derzeit unmöglich, die Motive des Angreifers einzuschätzen. Handelte es sich um einen Anarchisten oder einen ausländischen Agenten? Holmes wusste, dass er diese Fragen nicht ohne Weiteres beantworten konnte. Die beiden warteten auf meine Rückkehr. Der behandelnde Arzt kümmerte sich um andere Aufgaben, hatte mich aber mit den Ergebnissen aller bisher durchgeführten Tests versorgt.

"Watson, können Sie eine erste Einschätzung abgeben?", fragte mein Freund.

Ich zögerte und antwortete.

"Ungern, Holmes, sehr ungern. Ich habe nur einen ersten Blick auf die Ergebnisse geworfen und kann im Moment nichts weiter als spekulieren."

"Dann tun Sie es bitte!", forderte Woodrow mich auf.

Ich seufzte und legte die Unterlagen ab.

"Bei beiden Männern scheint das vegetative Nervensystem betroffen zu sein. Sowohl ich als auch der behandelnde Arzt gehen von einem Neurotoxin aus", gab ich meine Einschätzung ab.

Holmes dachte einen Moment nach und fragte dann:

"Ich nehme an, dass man ein solches Toxin nicht einfach in Apotheken oder gewöhnlichen Arztpraxen kaufen kann?"

Ich konnte diese Frage definitiv verneinen. Ich musste zugeben, dass mir ein derartiges Toxin noch nie untergekommen war.

"Watson, ich möchte Sie bitten, die Ergebnisse genauer zu studieren. Ob Sie dies hier oder in der Baker Street tun, überlasse ich Ihnen. Mr. Woodrow, ich bitte Sie, die Tasse Kaffee, aus der das Opfer getrunken hat, ebenfalls in mein Labor zu bringen", sagte Holmes.

"Und was haben Sie vor?", fragte ich den nun sehr motivierten Detektiv.

Holmes richtete seinen Deerstalker-Hut und machte sich bereit zu gehen.

"Ich werde einen Ort aufsuchen, an dem geschwiegen wird. Ich werde das Schweigen in diesem Fall brechen.", antwortete er.

Erst nach Holmes' Rückkehr in die Baker Street erhielt ich eine detaillierte Berichterstattung von ihm. Er hatte sich von mir und Woodrow getrennt und ließ sich von der erstbesten Droschke zu der Person bringen, von der er wusste, dass er definitiv Antworten bekommen würde. Eine Stunde später stieg er aus und trat in den Eingang des Diogenes-Clubs ein. Ich hatte diesen Club bereits in meinem Bericht über den Fall des "Griechischen Dolmetschers" erwähnt, aber ich kann meinen Lesern nicht verdenken, wenn der Zweck dieses Clubs bisher unklar war. Jegliche Art von Kommunikation ist in diesem Club absolut verboten. Kein Mitglied darf auch nur Notiz von einem anderen nehmen, außer im Besucherzimmer ist das Sprechen strengstens untersagt. Drei Verstöße gegen diese Regel führen zum Ausschluss.

Der einzige Sinn des Clubs scheint es zu sein, in bequemen Sesseln die neusten Zeitungen zu lesen. Jedoch scheint dies eine Wohltat für die Mitglieder darzustellen.

Holmes klopfte an und ließ sich vom Butler in den Wartebereich führen. Er gab an, mit welchem Mitglied er sprechen wollte und wurde dann kurz allein gelassen. Kaum eine Minute später kehrte der Butler zurück und bat Holmes, ihm zu folgen. Sie folgten einem Gang, der vor einem abgesonderten Zimmer endete. Darin schienen die gewöhnlichen Regeln des Clubs nicht zur Anwendung zu kommen.

Der Detektiv trat ein und erkannte seine Informationsquelle an einem Tisch sitzend. Mycroft Holmes wies ihm einen Stuhl zu, welchen sein Bruder ohne zu zögern in Anspruch nahm.

„Du warst zuerst im Sankt Bartholomews, um dir einen ersten Blick zu verschaffen?“, wollte sein Bruder wissen. Holmes nickte bedächtig.

„So könnte man es ausdrücken. Sind es deine Agenten, denen so übel mitgespielt wurde?“, fragte er zurück.

Der ältere der beiden Brüder verneinte rasch.

„Nein, eigentlich nicht. Sagt dir der Name Sir Alexander Sisley etwas?“, fragte er erwartend.

Natürlich kannte er die Antwort seines Freundes bereits.

„Selbstverständlich ist mir der Mann ein Begriff. Ein ranghohes Mitglied des SSB, dem Secret Service Bureau“, ging der jüngere Holmes darauf ein.

Mycroft nickte.

„Sir Sisley leitet die Abteilung für Auslandsspionage. Die Agenten Hargreaves und Turner wurden ihm beide unterstellt.“

Der Detektiv lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

„Und wie genau bist du in diese Angelegenheit verstrickt?“

Mycroft Holmes zuckte nur mit den Schultern.

„Du weißt, ich bin nur ein kleiner Beamter im Außenministerium. Mein Einflussbereich ist gering.“

Holmes lachte gekünstelt.

„Natürlich. Und ich bin die Queen höchstpersönlich. Also überspringen wir das und du erklärst am besten von Anfang an, was hier vor sich geht.“

Mycroft rang mit sich, gab am Ende aber nach.

„Was ich dir jetzt erzähle, verlässt diese vier Wände unter keinen Umständen. Auch gegenüber deinem werten Dr. Watson bist du zum Stillschweigen verpflichtet. Es würde sich als Katastrophe herausstellen, würde die Bevölkerung in diesem nicht ernst zu nehmenden Strand-Magazine darüber lesen.“

Der Detektiv erwiderte nichts darauf. Er wusste, dass ihn sein Bruder so oder so ins Vertrauen ziehen würde.

„Watson verdächtigt ein Neurotoxin. Kannst du mir etwas dazu sagen?“, versuchte er sein Glück.

Mycroft nickte langsam.

„Oh ja, das kann ich, Sherlock. Immerhin wurde es von uns entwickelt.“

Eine Überraschung in der Miene seines Bruders blieb jedoch aus.

„Um genau zu sein von der Abteilung für Auslandsspionage. Sir Sisley warb einen brillanten Wissenschaftler an. Der Leiter dieses Projekts war Dr. William Ashford. Ihm und seinen Assistenten wurde ein Labor zu Verfügung gestellt in welchem er besagtes Toxin innerhalb eines Jahres entwickelte.“

Der Detektiv schnaubte.

„Lass mich raten. Dieses Toxin sollte natürlich dazu gedacht sein, Agenten im Ausland auszuschalten“, sagte er.

Mycroft nickte.

„Dem Ministerium war es wichtig, dass der Tod möglichst natürlich aussehen sollte. Das Neurotoxin befällt das vegetative Nervensystem und sorgt für einen sofortigen Fall in ein tiefes Koma. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Aneurysma oder ein Schlaganfall. Ohne eine gründliche Obduktion wäre der Einsatz nicht feststellbar.“

Der jüngere der Brüder verzog verächtlich das Gesicht.

„Ich bin ja so einiges von unserer Regierung gewohnt, aber biologische Waffen? Ich denke nicht, dass wir so ein gutes Beispiel für den Rest der Welt abgeben.“

Mycroft lockerte den Kragen seines Jacketts.

„Sherlock, du kannst dir denken, dass das ganz sicher nicht auf meinem Mist gewachsen ist. Eigentlich kam ich erst dazu, als das Projekt bereits weit fortgeschritten war. Ich und einige andere sprachen uns dagegen aus, woraufhin das Programm, das in den Akten nur unter ‚Projekt Morpheus‘ auftauchte, geschlossen wurde. Sir Sisley war alles andere als erfreut darüber.“

„Was ist mit diesem Wissenschaftler? Ashford, sagtest du?“

Sein Bruder zögerte einen Moment.

„Ja, das… Er war genauso wenig erfreut über die Beendigung des Programms. Also stahl er so viel von dem Toxin aus dem Labor wie er konnte, bevor dieses offiziell vernichtet werden konnte. Das war vor einem Jahr.“

Sein Gesprächspartner faltete die Hände.

„Und jetzt setzt er dieses Toxin gegen unsere Regierung ein. Warum? Aus Rache, dass sein Projekt beendet wurde?“, hakte er nach.

Mycroft schüttelte den Kopf.

„Dem ist nicht so. Dr. Ashford starb nur wenige Stunden, nachdem er das Toxin aus dem Labor geschafft hatte. Angeblich ein Straßenraub“, berichtete er weiter.

Sein Bruder rollte mit den Augen.

„Lass mich raten, das Toxin wurde nirgendwo mehr gefunden.“

Das Schweigen seines Bruders bestätigte seine Theorie.

„Ich weiß nicht, wer das Toxin an sich genommen hat. Jedenfalls hat er es auf Agenten der britischen Regierung abgesehen und das ist etwas, das wir nicht dulden dürfen“, stand für ihn fest.

Der Detektiv überlegte einen Moment und erhob sich dann.

„Du hast von Laborassistenten gesprochen. Kannst du mir ihre Personalien zukommen lassen? Ich werde dort als erstes ansetzen.“

Sein Bruder nickte und versprach, alles Nötige zu veranlassen. Dann verabschiedeten sich die beiden voneinander und der jüngere der Brüder verließ die Club-Räumlichkeiten. Sein Weg führte ihn zurück in die Baker Street.

Es war bereits lange dunkel, als ich die schweren Schritte meines Freundes vernahm. Ich selbst war noch immer über den Unterlagen gebeugt, die mir das Krankenhaus großzügig überlassen hatte. Ich erhob mich und suchte meinen Freund in seinem Büro auf.

„Holmes, ein Bote hat die Tasse Kaffee gebracht, den Sie angefordert haben“, informierte ich ihn.

Mein Freund dankte mir und fragte nach einem Update. Unglücklicherweise musste ich ihm berichten, dass ich bisher keine wirklichen Fortschritte gemacht hatte. Also zog mich mein Freund ins Vertrauen und berichtete von seinem Gespräch mit seinem Bruder im Diogenes-Club.

„Holmes, ich muss gestehen, dass ich von den Bemühungen unserer Regierungen nicht wirklich überrascht bin. Aber ein hinterhältiger Mord mit einem heimtückischen Toxin? Selbst unter Spionen kann ich dies nur schwer gutheißen. Aber vielleicht können wir die Unterlagen dieses Dr. Ashford studieren, um...“

Leider schob Holmes meiner Idee schnell einen Riegel vor.

„Ich muss Sie enttäuschen, guter Doktor. Nachdem das Projekt beendet wurde, sind auch alle Unterlagen und Materialien vernichtet worden. Es existiert keine Probe des Toxins mehr... außer natürlich den Vorräten des Täters.“

Ich verstand. Unsere einzige Möglichkeit, um an ein Gegenmittel zu gelangen, war dem Attentäter die beiden Agenten das Toxin abzunehmen. Doch dafür mussten wir ihn erst einmal finden.

„Ich werde heute noch ein paar Proben mit dem Kaffee anstellen, den Agent Turner getrunken hat. Wir wissen noch nicht, wie der Täter dem ersten Opfer das Gift verabreicht hat, aber konzentrieren wir uns erst einmal auf das, was vor uns liegt. Versuchen Sie weiterhin, die Unterlagen zu studieren. Wenn wir schon kein Heilmittel finden, dann vielleicht eine Möglichkeit, den Prozess zu verlangsamen.“, schlug Holmes vor.

Ich besaß keinerlei Einwände und machte mich wieder an die Arbeit. So auch Holmes, der sich in sein Labor zurückzog und von dem ich bis zum nächsten Morgen nichts mehr hören sollte.

Morpheus

Übernächtigt verließ ich mein Schlafzimmer und war froh, dass Mrs. Hudson zurückgekehrt war und bereits dabei war, das Frühstück anzurichten. Von Holmes fehlte wieder einmal jede Spur. Ich fand ihn schließlich in seinem Büro. Er saß auf seinem Stuhl und studierte einen Stapel von Dokumenten. Er wies mich an, mich zu ihm zu setzen, was ich sofort tat.

„Guten Morgen, Watson. Leider hat die Untersuchung des Getränks nicht viel ergeben. Aber Mycroft hat mir die Unterlagen zu den Laborassistenten zukommen lassen, die unter Dr. Ashford gearbeitet haben“, verkündete er.

Ich nickte verstehend.

„Schließen Sie diese in den Täterkreis mit ein?“, wollte ich erfahren.

Holmes nickte nur.

„Auf jeden Fall. Es waren drei Assistenten, von denen jeder die Gelegenheit hatte, Proben des Toxins aus dem Labor zu schmuggeln. Ich werde alle drei heute aufsuchen und hätte gerne, dass Sie mich begleiten.“

Ich sagte sofort zu und erkundigte mich, ob der Einsatz meines Webley vonnöten sein werde. Mein Freund empfahl mir, ihn zur Sicherheit mitzunehmen. Ich bestand jedoch auf ein Frühstück, das uns für den kommenden Tag stärken sollte. Widerwillig nahm Holmes ein paar Happen zu sich. Bald darauf waren wir ausgehfertig.

„Wo beginnen wir, Holmes?“, wollte ich wissen.

Er zog sein Notizbuch heraus und nannte mir drei Namen: Charles Dalton, Rachel Shaw und Alfred Chapman.

„Den Akten nach haben Dalton und Shaw inzwischen geheiratet und leben in einem Haus in der Nähe des Bahnhofs. Dadurch ersparen wir uns einen von drei Wegen. Chapman bewohnt eine Unterkunft im East End, ihn suchen wir als Zweites auf.“, kündigte er an und bald darauf saßen wir in einer Droschke.

Das Anwesen des Ehepaars Dalton hatten wir in kürzester Zeit erreicht und schritten auf den Eingang zu. Ich übernahm das Klopfen und bald darauf öffnete uns ein Mann. Er war bereits in den 50ern und von eher rundlicher Statur.

„Hallo, Mr. Dalton. Mein Name ist Sherlock Holmes, und das ist mein Partner, Dr. Watson. Wir möchten gerne mit Ihnen sprechen.", sagte Holmes höflich.

Skepsis war im Gesicht des Mannes zu erkennen, doch schließlich gewährte er uns Einlass. Er führte uns durch den Flur in die Küche, aus welcher wir bereits schrille Geräusche wahrnehmen konnten. Wir erblickten eine Frau, etwas jünger als Dalton wie sie verzweifelt versuchte ein kleines Kind zu beruhigen.

„Charles, du wolltest doch einkaufen gehen! Der kleine William hat schon wieder Hunger, ist das zu glauben?“

Die Frau, bei der es sich zweifelsohne um Rachel Dalton, ehemals Shaw handelte, starrte uns perplex an.

Ihr Mann klärte die Lage schnell auf und ich stellte mich und Holmes noch einmal formell vor.

„Ein Detektiv? Wie könnten wir Ihnen weiterhelfen?“, fragte Rachel nun.

Charles bot uns einen Stuhl an.

Holmes begann das Gespräch:

"Mr. Dalton, wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie möglicherweise in einen Anschlag auf zwei Agenten des britischen Empires verwickelt sind, die derzeit im Koma liegen."

Dalton schien überrascht und schüttelte den Kopf.

"Ich verstehe nicht, wovon Sie sprechen, Mr. Holmes. Ich habe nichts damit zu tun."

Holmes nickte verständnisvoll.

"Ich verstehe, dass Sie das sagen, aber wir müssen alle Möglichkeiten ausschließen. Können Sie uns sagen, wo Sie sich in den letzten Tagen aufgehalten haben?“

Dalton überlegte einen Moment.

„Nachdem Rachel und ich unsere letzte Anstellung verlassen haben, trat ich eine Forschungsstelle an einer Universität an. Meine Kollegen dort könnten bezeugen, dass ich die letzten Tage sehr beschäftigt war.“

Holmes nickte und wand sich an seine Ehefrau.

„Es… geht um Dr. Ashford, nicht wahr? Wenn Sie davon sprechen, dass diese Leute im Koma liegen, beziehen Sie sich doch auf das Toxin, das wir damals entwickeln sollten. Nicht wahr?“

Ich erwartete eine Reaktion seitens des Detektivs, doch diese blieb aus. Er starrte weiterhin die ehemalige Laborassistentin an, bis diese fortfuhr:

„Ich war die letzten Tage zu Hause und habe mich um William gekümmert. Mein Mann hält ja nichts davon, auch einmal nach dem Kleinen zu sehen.“

Wie auf Kommando verfiel das kleine Kind erneut in einen Schreianfall, um den sich Rachel Dalton erst einmal kümmern musste.

„Diese Frage mag sich zwar erübrigen, aber haben Sie nach Abschluss des Projekts nie Proben des Toxins mitgenommen?“, versuchte ich erneut.

Beide starrten mich unverhohlen an.

„Nein, das haben wir natürlich nicht. Die Regierung hat strengstens untersagt, dass irgendetwas von Projekt Morpheus überdauern dürfe.“, erwiderte Charles.

Holmes nickte.

„Was können Sie uns zu Alfred Chapman sagen, Ihrem ehemaligen Kollegen?“

Es war Rachel, die darauf antwortete.

„Alfred… erging es nicht so gut. Er fand keine Anstellung mehr und musste umziehen. Er… hat sich mehrfach Geld von uns geborgt. Aber seit einiger Zeit haben wir nichts mehr von ihm gehört.“

Holmes dankte ihnen für die Auskunft und teilte ihnen mit, dass vermutlich noch jemand von der Regierung vorbeikommen würde um sie zu befragen. Das Ehepaar Dalton war jedoch bereit völlig zu kooperieren.

Und so verabschiedeten wir uns und traten wieder ins Freie. Wir legten eine Mittagspause ein um einen kleinen Imbiss zu uns zu nehmen. Danach setzten wir unsere Odyssee fort.
 

Es war nach Mittag als Sherlock Holmes und ich das East End aufsuchten, um den Verdächtigen Alfred Chapman zu befragen. Während der Detektiv sein Notizbuch studierte, sah ich mich um, wo unser Mann untergekommen war. Die Gegend war wirklich miserabel, nur die unterste Gesellschaftsschicht würde sich hier eine Bleibe suchen. Wir schritten auf ein mehrstöckiges Wohnhaus zu und traten durch die bereits geöffnete Eingangstür ein. Holmes murmelte etwas von einem dritten Stock, als uns eine Gestalt die Treppe entgegenkam. Es war ein Mann in den Dreißigern, schmutzige Kleidung, unrasiert und zerzauste Haare. Er und Holmes musterten sich einen Augenblick, dann machte der Mann kehrt. Er beschleunigte seine Schritte immer weiter, bis er schließlich zu rennen begann.

„Ich nehme an, bei ihm handelt es sich um unseren Mr. Chapman?“, fragte ich, ohne eine Antwort zu erwarten.

„Watson, er wird vermutlich versuchen aus einem Fenster zu entkommen. Rennen Sie bitte hinter das Gebäude, so können wir ihn in die Zange nehmen!“, folgte seine Anweisung.

Ich glaubte erst mich verhört zu haben. Ich wollte Holmes erneut auf meine Verletzung am Knie hinwiesen, doch er ließ mir keine Gelegenheit. Er stürmte die Treppe nach oben und ließ mich zurück. Ich seufzte und verließ das Gebäude wieder durch die Vordertür. Ich sah mich um und erkannte eine Seitenstraße, die scheinbar hinter das mehrstöckige Wohnhaus führte. Ich beschleunigte kontinuierlich und verfluchte die Kugel bei jedem Schritt, die mich damals in Afghanistan unvorbereitet erwischt hatte. Dennoch wollte ich Holmes nicht enttäuschen und setzte meinen Weg fort.

Am Ende war ich an einer Sackgasse angelangt. Dann öffnete sich ein Fenster im Stockwerk über mir. Ich erkannte den ungepflegten Mann, der sich einen Fluchtweg ins Freie suchte. Er sprang auf den Beton und machte einen Versuch zu sprinten. Doch er hatte nicht mit mir gerechnet und so machte ich auf mich aufmerksam.

Mit meiner Waffe in der Hand trat ich vor und befahl Chapman, stehen zu bleiben. Chapman zögerte einen Moment, aber als er den Ernst in meinen Augen sah, gab er auf und ließ sich widerstandslos auf der Stelle halten. Holmes kam nun ebenfalls aus dem Fenster gekrochen und kam mir zur Hilfe.

„Sehr gut, Watson! Halten Sie ihn fest, bis ich einen Constable auftreiben kann.“, wies er mich an.

Gesagt getan. Es dauerte nicht lange, bis Holmes in einem Problemviertel wie dem East End einen Vertreter der Polizei aufspüren und ihm die Situation erklären konnte.

Kaum eine Stunde später saß Chapman in einem Verhörzimmer des Yards.

Frederic Woodrow war ebenfalls eingetroffen und ließ sich von uns die Ereignisse erklären.

„Sehr gut! Ich werde diesen Verbrecher selbst verhören. Ihre Arbeit ist getan, Mr. Holmes.“, sagte er.

Ich erkannte jedoch an der Miene meines Freundes, dass er anderer Meinung war. „Halten Sie Chapman also für den Täter?“, fragte er nach.

Woodrow wirkte überrascht.

„Selbstverständlich! Er hatte die Gelegenheit, das Toxin an sich zu nehmen, und ist geflohen. Das sagt bereits alles.“

Doch ich kannte meinen Freund mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass die Dinge nicht immer so waren, wie sie auf den ersten Blick schienen. Deshalb begleiteten wir den Agenten in das enge Verhörzimmer, in das zwei Constables den flüchtigen Mr. Chapman gesetzt hatten. Dieser wirkte nervös, seine Finger zuckten wild umher, und er wich unseren Blicken immer wieder aus. Ich vermutete, dass er möglicherweise von Morphin oder einer vergleichbaren Substanz abhängig war, wollte mich aber nicht festlegen. Woodrow gab dem Verdächtigen nicht viel Zeit und setzte sich ihm gegenüber.

„Alfred Chapman. Sie haben bis vor einem Jahr für Dr. William Ashford gearbeitet. Ist das korrekt?“

Er schien keine Antwort von dem Mann zu erwarten.

„Nachdem Ihre Anstellung aufgelöst wurde, haben Sie keine neue gefunden. Geben Sie der Regierung die Schuld dafür? Ist das der Grund, warum Sie zwei Agenten mit dem Neurotoxin vergiftet haben, das Sie zusammen mit Ihren Kollegen entwickelt haben?“

Chapman starrte ihn entsetzt an.

„Ich... nein! Ich habe niemanden vergiftet!“

Er klang aufgebracht und schien nicht zu glauben, was ihm genau vorgeworfen wurde.

„Sie sind vor uns geflohen“, erinnerte ich ihn nun.

Chapman sah mich schuldbewusst an.

„Ich weiß ja... Sie wollten wegen dem Toxin zu mir kommen. Das... ich damals aus dem Labor mitgenommen habe.“, erwiderte er.

Ich musste zugeben, dass ich nicht so schnell mit einem Geständnis gerechnet hatte.

„Sie geben also zu, etwas von dem Toxin in Ihren Besitz gebracht zu haben, richtig?“, setzte Woodrow sein Verhör fort.

Chapman nickte aufgeregt.

„Ja, aber ich habe niemanden vergiftet, das müssen Sie mir glauben! Ich habe meine letzten Proben verkauft. Ich brauchte das Geld einfach, verstehen Sie?“

Ich konnte sehen, dass Woodrow dem Mann kein Wort glaubte. Ich konnte andererseits nachvollziehen, wie es Chapman innerlich erging. Ich war bereits auf eine Vielzahl von Patienten mit Entzugserscheinungen getroffen, einige hatten sich unter Kontrolle, andere wiederum unternahmen alles, um an Nachschub zu gelangen.

„An wen haben Sie es verkauft?“, fragte Holmes.

Woodrow taxierte ihn musternd, scheinbar konnte er es nicht nachvollziehen, dass der Detektiv ihm dies abkaufte.

„An... Morpheus.“, stammelte Chapman weiter.

Wir sahen uns an und dann wieder unseren Verdächtigen.

„So.… hat er sich genannt! Ich habe ihn nie persönlich getroffen. Ich erhielt nur einen Brief, in dem er mir eine große Summe für meine Proben des Toxins anbot. Ich... willigte schließlich ein.“

„Wie fand die Übergabe statt?“, hakte Holmes nach.

Chapman kratzte sich immer wieder nervös am Hals.

„Ich... sollte die Proben zu einem Lagerhaus bringen. Sie vor der Tür abstellen, dann wurde ein Koffer mit dem Geld durch eine Öffnung geschoben.“

Woodrow reichte ihm etwas zu schreiben. Er sollte die Adresse notieren, an welcher die Übergabe stattfand.

„Ich überprüfe das“, sagte er, stand auf und verließ den Verhörraum.

Holmes und ich blieben noch.

„Woher wusste dieser ‚Morpheus‘, dass Sie im Besitz der Proben waren?“, wollte er wissen.

Chapman zuckte jedoch nur mit den Schultern.

„Ich weiß nicht... vielleicht habe ich geredet. Im Pub, oder so.“, überlegte er laut.

Holmes hatte noch weitere Fragen, doch keine davon konnte der Verdächtige zufriedenstellend beantworten. Schließlich verließen wir den Verhörraum und suchten Agent Woodrow. Als wir ihn nicht finden konnten, baten wir einen der Constables, der für Chapman zuständig war, um Hilfe.

Er verriet uns, dass sich Woodrow erkundigt hatte, wohin er genau müsse, und hatte dann um eine Polizei-Droschke gebeten.

„Holmes, ich kann es nicht fassen! Er ist ohne uns losgefahren!“, beschwerte ich mich.

Mein Freund schien jedoch nicht überrascht zu sein.

„Was erwarten Sie? Wir haben es in diesem Fall mit Elementen der höchsten Geheimhaltung zu tun. Wir sind lediglich Zivilisten.“

Ich wollte ihm widersprechen, da wir eindeutig mehr involviert in diese Sache waren als nur gewöhnliche Zivilisten. Zum Glück war Holmes ähnlicher Ansicht. Er kehrte zu Chapman zurück und ließ sich die Adresse erneut aufschreiben.

Wenig später verließen wir Scotland Yard und riefen nach einer Droschke, die uns zu jenem Lagerhaus fahren sollte.
 

Dort angekommen mussten wir jedoch feststellen, dass wir zu spät gekommen waren. Wir kämpften uns durch eine Menschenmenge, bis wir am Ende einen bewusstlosen Mann am Boden vorfanden. Ich erstarrte, denn es handelte sich um Frederic Woodrow.

„Wie geht es ihm, Watson?“, drängte Holmes, während er die Schaulustigen zurückhielt. Ich kniete mich neben den Agenten und fühlte seinen Puls.

„Er lebt, Holmes! Aber er ist nicht ansprechbar.“

Als sich unsere Blicke trafen, verstanden wir uns ohne Worte. Sofort tastete ich den Körper des Mannes ab, bis ich schließlich auf einen Einstich im Halsbereich stieß.

„Das ist nicht gut, Watson. Ihm wurde vermutlich dasselbe Neurotoxin injiziert wie seinen beiden Kollegen. Wenn dieser Narr nicht ohne Verstärkung losgerannt wäre…“

Ich musste meinem Freund rechtgeben, Woodrows Alleingang war unverantwortlich gewesen, Geheimhaltung hin oder her. Zum Glück hatten einige Passanten bereits ärztliche Hilfe gerufen, und bald darauf traf eine Kutsche ein, die den Agenten ins Krankenhaus transportieren sollte. Ich gab den Sanitätern einen kurzen Überblick und bestand darauf, dass sie ihn ins Sankt Bartholomew's bringen sollten. Dort waren sie immerhin bereits vorbereitet. Woodrow wurde abtransportiert, und einige Constables kümmerten sich um die Schaulustigen.

„Watson, sehen Sie!“, machte mich Holmes auf etwas aufmerksam. Vor uns erhob sich das Lagerhaus, das Chapman erwähnt hatte. Der Eingang war geöffnet, und Woodrow hatte nicht weit entfernt gelegen.

„Denken Sie, dass er da drinnen angegriffen wurde?“, fragte ich.

Holmes antwortete jedoch nicht, sondern betrat das Gebäude als erster. Ich folgte ihm, eine Hand in meinem Mantel, meinen Webley fest umschlungen. Im Inneren des Lagerhauses war es dunkel, was mir unbehaglich war. Hier konnte uns jederzeit ein Hinterhalt erwarten. Holmes wirkte gelassener. Er gab zu bedenken, dass der Täter sicher längst geflohen sei, nachdem ihm der Agent hier aufgefallen war. Die meisten der Räumlichkeiten waren leer, doch im letzten stießen wir auf Überreste einer Laborausrüstung. Ich musste aufpassen, dass ich nicht auf die Scherben trat, die überall am Boden verteilt waren.

„Hier muss der Kerl sein Gift abgefüllt haben.“, überlegte ich.

„Sieht ganz so aus, alter Freund.“, stimmte mir der Detektiv zu.

Wir stellten fest, dass der Großteil der Ausrüstung vernichtet worden war, dies aber auch in großer Eile passiert sein musste. Holmes entdeckte Spuren eines Kampfes, Woodrow hatte den Täter also in der Tat ertappt. Leider vergeblich, denn dieser hatte seinem Angreifer noch das tödliche Gift injizieren können.

„Eine echte Sauerei, findest du nicht, Sherlock?“

Wir wandten uns erschrocken um und starrten auf den korpulenten Mann, der nun auch den Raum betrat.

Der Detektiv schenkte ihm jedoch nur kurz Aufmerksamkeit und sicherte weiterhin Spuren.

„Dr. Watson, könnten hier noch Proben des Toxins sein?“, fragte Mycroft Holmes mich hoffnungsvoll. Ich entschuldigte mich und erklärte, dass ich das nicht so schnell beantworten könne.

„Aufgrund der Verwüstung wären es nur geringe Spuren. Deine Leute können versuchen, die Chemikalien noch zu sichern, doch sie sind bereits in den Boden gesickert“, sagte Holmes seinem Bruder, ohne sich ihm zuzuwenden.

Der Beamte des Außenministeriums holte tief Luft.

„George Turner ist vor einer Stunde gestorben.“, informierte er uns. Ich spürte das Unbehagen, das von dem älteren Holmes ausging.

„Sowohl Hargreaves als auch Turner sind nach knapp 24 Stunden gestorben.“, entgegnete Holmes.

„Was bedeutet, dass Woodrow morgen um diese Zeit tot ist.“, führte ich missmutig zu Ende.

Mycroft trat zu seinem Bruder.

„Sherlock, ich bitte dich! Wenn du irgendeine Idee hast, wie wir an den Täter und das Toxin herankommen, dann sprich sie bitte aus! Du hast meine volle Unterstützung.“

Ich konnte Mycrofts Wunsch durchaus nachvollziehen. Er fühlte sich für die Agenten verantwortlich, insbesondere Woodrow war sein direkter Untergebener. Schon allein, dass der sonst eher zurückhaltende Mycroft Holmes seinen geliebten Diogenes-Club verlassen und sich persönlich an den Tatort begeben hatte, sprach Bände.

Der Detektiv nickte nur.

„Kannst du mir einen Termin mit Sir Sisley besorgen? Ich fürchte, wir benötigen seine Mithilfe in diesem Fall.“

Mycroft bestätigte es ihm und versprach, seinen Einfluss geltend zu machen, damit er noch heute einen Termin organisieren konnte. Immerhin zählte für Woodrow jede Stunde.

Wir verließen das Lagerhaus und überließen die weitere Spurensicherung Mycrofts Leuten.

Die Falle

Es waren kaum drei Stunden vergangen, als wir in dem breiten und sehr formvollendeten Büro des Leiters für Außenspionage Platz genommen hatten. Sir Sisley war ein bereits kahler, aber durchaus einschüchternd wirkender Zeitgenosse. Er hatte zunächst Mycroft und dann uns die Hand geschüttelt.

"Ich habe diesem Treffen nur aufgrund der dringenden Lage zugestimmt, Gentleman.", stellte er sofort klar. Wir nahmen dies zur Kenntnis.

"Wir würden gar nicht hier sitzen, wenn Sie nicht ein derart gefährliches und – entschuldigen Sie – verachtenswertes Programm ins Leben gerufen hätten", sagte ich schließlich. Die Holmes-Brüder tadelten mich mit ihrem Blick, doch Sir Sisley hob abwehrend die Hände.

"Dr. Watson, die Herren Holmes, mir ist inzwischen ebenfalls klar, dass Projekt Morpheus von Anfang an ein Fehler war. Und ich möchte diesen Fehler korrigieren. Wie kann ich helfen?"

Wir bedankten uns für seine Kooperation, und Holmes begann zu sprechen.

"Der Täter hat es eindeutig auf britische Agenten abgesehen, genauer gesagt auf jene der Abteilung für Außenspionage. Gut, er hat auch Agent Woodrow mit dem Neurotoxin vergiftet, doch nur, weil dieser sein Versteck gefunden hat. Da wir seinen neuen Aufenthaltsort nicht kennen, ist es umso wichtiger, ihm eine Falle zu stellen."

Holmes erklärte ihm die Situation und wie wichtig es war, einen Lockvogel zu haben, um den Drahtzieher des Verbrechens zu fassen. Demnach sollte dieser an einem öffentlichen Termin teilnehmen um den Täter, der sich ‚Morpheus‘ nannte so zu stellen. Doch Sir Sisley missfiel diese Idee freilich.

"Mr. Holmes, ich bin ein angesehener Beamter. Ich kann nicht einfach so einen öffentlichen Termin wahrnehmen, nur um Kriminelle zu fangen.", sagte er und lehnte das Angebot ab.

Holmes war jedoch nicht so schnell bereit aufzugeben. Er begann damit, Sir Sisleys Ruf und Ansehen in der Öffentlichkeit zu betonen und wie wichtig es wäre, diesen zu schützen. Er argumentierte, dass wenn der hochrangige Beamte als Lockvogel agieren würde, er nicht nur dazu beitragen würde, Verbrecher zu fassen, sondern auch seine eigene Reputation stärken könnte.

Es dauerte eine Weile, aber Holmes konnte ihn schließlich davon überzeugen, den Termin wahrzunehmen. Sir Sisley war zwar immer noch zögerlich, aber er erkannte die Wichtigkeit der Situation und willigte schließlich ein.

Wir vereinbarten, uns am Morgen des darauffolgenden Tages zu treffen, an dem Sir Sisley in der Öffentlichkeit auftreten sollte. Mycroft schlug vor, Öffentlichkeitsarbeit vorzuschieben und ein Interview über die beiden bisherigen Todesfälle zu geben. Wenn Holmes' Plan aufging, würde der Täter sich unter sie mischen und versuchen, auch auf Sir Sisley einen Anschlag zu verüben.

Der geplante Zeitpunkt der Falle war natürlich gefährlich. Schließlich würden Mr. Woodrow nur noch Stunden bleiben, und es gab keine Garantie, dass wir in der Lage waren, rechtzeitig ein Gegenmittel herzustellen. Aber uns blieb keine Wahl. Der Plan benötigte Vorlaufzeit, und wir durften den Täter nicht überrumpeln. Wenn er eine Falle witterte, konnten wir unser Vorgehen vergessen.

Die ersten Reporter waren bereits eingetroffen. Mycroft hatte zwei Agenten unter sie gemischt und zwei weitere unter die Passanten in der Gegend. Sie würden dem Täter den Weg abschneiden und eine Flucht unmöglich machen.

Sir Sisley würde seine Ansprache auf dem großen Platz vor dem Whitehall-Gebäude halten. Er befolgte Holmes' Rat, zunächst belanglos zu beginnen, um möglichst viel Zeit zu generieren. Dann sprach er von einem Gift, das zwei seiner Agenten das Leben gekostet hatte.

"Sherlock! Doktor!", flüsterte uns Mycroft zu, der neben uns Stellung bezogen hatte. Sowohl ich als auch der Detektiv folgten seinem Blick. Eine eher kleinere Gestalt mit Kapuze war zwischen den Reportern aufgetaucht.

"Jetzt! Gib deinen Leuten ein Zeichen!", raunte der Detektiv seinem Bruder zu.

Das ließ sich dieser nicht zweimal sagen, und ein zuvor vereinbartes Handzeichen besiegelte den Rest. Gerade noch rechtzeitig, denn die Gestalt mit der Kapuze hatte sich bereits zu Sir Sisley vorgekämpft und hielt etwas in ihrer rechten Hand. In Eile entwaffneten sie Mycrofts Leute, und der Gegenstand fiel zu Boden.

"Holmes! Das ist die Spritze mit dem Toxin! Wir...", begann ich, aber beschloss zu handeln, anstatt lange Reden zu halten. Ich stürmte nach vorne und warf mich zwischen die Reporter. Behutsam bedeckte ich die Spritze mit meinem Körper. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn jemand draufgetreten wäre. Jetzt, wo wir unserem Ziel so nahe waren.

Mycrofts Leute scheuchten die Reporter davon, was jedoch wesentlich schwieriger war als erwartet. Jeder verlangte nach Antworten, wurde aber schließlich von ankommenden Polizisten vom Platz verwiesen.

Mycroft und sein jüngerer Bruder eilten nun zu uns.

"Alles in Ordnung, Watson?", erkundigte sich mein Freund.

Ich nickte und hielt die Spritze in die Höhe.

"Ja, aber wir sollten sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen lassen. Mit etwas Glück können sie dort ein Gegenmittel herstellen.", sagte ich rasch.

Holmes stellte sich nun vor den gefangenen Attentäter.

„Ich weiß nicht, ob uns genug Zeit dazu bleibt. Es wäre günstiger, wenn Mrs. Dalton uns das Gegenmittel selbst aushändigt.“, sagte er dann.

Sowohl ich als auch Mycroft sahen ihn perplex an. Dann riss er die Kapuze nach hinten und darunter kam in der Tat das Gesicht von Rachel Dalton zum Vorschein.

„Aber… warum?“, stotterte ich ungewollt.

Keine der Holmes-Brüder wirkte sonderlich überrascht.

„Der Verdacht tat sich mir das erste Mal auf, als wir sie und ihren Mann besuchten. Als ich die Augenfarbe des Kindes betrachtete, wurde mir schnell klar, dass Charles Dalton nicht der Vater sein konnte. Ein weiteres Indiz dafür war der Name William.“, erklärte er.

Ich erinnerte mich nun wieder, dass der Name ihres ehemaligen Arbeitgebers Dr. William Ashford gewesen war.

„Dann… ist Dr. Ashford der Vater des Kindes?“, sagte ich mehr zu mir selbst.

Holmes ging aber großzügig darauf ein.

„Das Alter kommt durchaus hin. Sie war vermutlich bereits schwanger als Dr. Ashford verstarb.“

Wut und Trotz spiegelte sich im Gesicht der ehemaligen Laborassistentin wider.

„So ist es. William ist der Vater. Aber Charles ist ebenfalls eine treue Seele, er hat sich dem Kleinen angenommen, als wäre es sein eigener Sohn. Doch das ändert nichts daran… dass sein wahrer Vater ermordet wurde!“

Ich blickte sie verwirrt an.

„Holmes, haben Sie nicht einen Überfall erwähnt?", fragte ich.

Mein Freund wandte seinen Blick nun zu Sir Sisley.

"Ja, das sind die offiziellen Quellen. Allerdings, warum sollte ein Straßendieb das Toxin stehlen? Er würde nichts damit anfangen können und nur an den Wertgegenständen interessiert sein.", erwiderte er.

Rachel Dalton warf Sir Sisley einen vernichtenden Blick zu.

"Er war es! Er hat William dazu angestiftet, Proben des Toxins zu stehlen! Weil er sich nicht mit dem Befehl zufriedengegeben hat, dass das Projekt eingestellt werden sollte! William war nur ein Sündenbock für ihn, den er am Ende beseitigte! Er und seine Vasallen... sie sind keine Helden. Sie sind eine Plage für unser Empire!", fauchte sie.

Sir Sisley wirkte zuerst ruhig, dann aber empört.

"Das sind alles Verleumdungen! Sie können nichts davon beweisen. Sie werden für das, was Sie getan haben, im Gefängnis schmoren. Führen Sie sie ab!", wies er die Agenten an.

Diese sahen zu Mycroft Holmes, und er bestätigte den Befehl. Dann wandte sich sein Bruder an ihn.

"Ihr müsst so schnell wie möglich das Haus der Daltons durchsuchen. Mit ein wenig Glück finden wir das Gegenmittel dort. Sie hat ihr Labor verloren und hatte bestimmt noch keine Zeit, ein Ausweichquartier zu finden."

Der ältere der Holmes-Brüder nickte und versprach, dies umgehend zu veranlassen. "Holmes, was ist mit ihrem Mann? Könnte er nicht auch darin verwickelt sein?", fragte ich.

Mein Freund schüttelte den Kopf.

"Nein, er hat nicht diesen Eindruck auf mich gemacht. Und vergessen Sie nicht, er hat ein Alibi für die Anschläge. Währenddessen war es Rachel möglich, ihren Sohn in dieser Zeit bei einer Freundin zu lassen."

Ich stimmte ihm zu, und nachdem vor Ort alles geregelt war, begaben wir uns zu Scotland Yard, um dem Verhör von Rachel Dalton beizuwohnen.

Abschließende Worte

Am Abend des darauffolgenden Tages hatte sich Holmes' Bruder Mycroft zum Besuch angemeldet. Ich hatte unserer treuen Mrs. Hudson aufgetragen, etwas Besonderes zu kochen, und sie hatte sich für geräucherten Lachs entschieden. Es war bereits dunkel, und der Beamte des Außenministeriums musste erst vor kurzem mit der Arbeit fertig geworden sein.

Mycroft Holmes erhielt Einlass und begrüßte uns herzlich. Sowohl Holmes als auch mir entging nicht, dass seine Laune im Gegensatz zu anderen Malen äußerst gut war. Ich bot ihm einen Stuhl und ein Glas Sherry an, beides nahm er gerne entgegen.

"Rachel Dalton hat ein umfassendes Geständnis abgelegt.", erzählte er uns.

"Sie erfuhr von den Manipulationsversuchen seitens Sir Sisleys. Da war es leicht darauf zu kommen, dass er ihren Geliebten beseitigen ließ. Zudem hatte sie beobachtet, wie Alfred Chapman heimlich immer wieder Proben entwendete."

Ich knurrte wütend.

"Ich werde diese Geheimdienste nie verstehen. Nur weil das Projekt begraben wurde, wird ein Mensch getötet?"

Mycroft Holmes trank seinen Sherry und erklärte.

"Sehen Sie, Dr. Watson, Sir Sisley besaß schon immer ein großes Ego und zudem eine fast unsichtbare Waffe, die unseren Agenten im Ausland sehr nützlich sein konnte."

Für mich waren das jedoch keine Rechtfertigungen.

"Und wenn schon! Sisley war die ganze Zeit im Besitz des Toxins. Er hätte seine Leute also retten können, beschloss aber, sie zu opfern!", warf ich ihm vor.

Nun meldete sich der andere Holmes zu Wort.

"Und er hätte eingestehen müssen, damals Proben von dem Toxin behalten zu haben. Das hätte ihn seine Karriere kosten können.", führte er mir vor Augen.

Ich zuckte mit den Schultern.

"Aber hat es das nicht ohnehin? Die Wahrheit wird ihm doch hoffentlich das Genick brechen."

Beide Holmes-Brüder wichen meinem Blick aus.

"Die Wahrheit ist immer subjektiv, Dr. Watson. Wir haben lediglich die Aussage einer Doppelmörderin, ansonsten nur kleine Indizien. Und Sir Sisley besitzt immer noch großen Einfluss. Er hat Freunde in hohen Positionen.", erklärte mir Mycroft.

Ich konnte es nicht fassen. Entsetzt lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück.

"Also kommt er davon. Einfach so."

Mein Freund beugte sich zu seinem Bruder.

"Du wirst in Zukunft ein Auge auf diesen Mann haben müssen."

Mycroft trank wenig beeindruckt sein Glas leer.

"Das ist mir durchaus bewusst, Sherlock. Ich hatte schon immer das Wohl des Empires im Sinn. Sollte er sich als Problem erweisen, werde ich handeln.", versicherte er.

Ich unterließ es, genauer nachzufragen, was er denn damit meinte. Stattdessen kam ich auf ein wesentlich wichtigeres Thema zu sprechen.

"Hat sich denn der Zustand des werten Mr. Woodrow weiter verbessert?"

„Ja, bereits nach der ersten Injektion des Gegenmittels, das wir in Rachel Daltons Haus gefunden haben, haben sich seine Werte deutlich verbessert. Inzwischen befindet er sich sogar schon in der Nachsorge. Die Ärzte sind zuversichtlich, dass er sich wieder vollständig erholen wird.“, konnte er uns berichten.

Erleichterung stieg sowohl in mir, als auch in Holmes auf. Mal davon abgesehen, dass meine heldenhafte Aktion die Spritze zu retten umsonst war, war ich dennoch froh, dass wir alles in unserer Macht stehende getan hatten um dem Mann das Leben zu retten.

„Mir tut nur der kleine William leid. Sein Vater wurde ermordet und seine Mutter wird das Zuchthaus vermutlich nie wieder verlassen.“, klagte ich.

Obwohl Rachel Dalton die Täterin in diesem Fall war, fiel es mir schwer, ihr die volle Verantwortung aufzubürden.

„Wir werden Charles Dalton unterstützen. Ob es uns gefällt oder nicht, das Empire trägt die Verantwortung für diese Ereignisse. Es spielt keine Rolle, ob Sir Sisley eigenmächtig gehandelt hat oder nicht.“, sagte Mycroft entschieden.

Sein Bruder schmunzelte leicht und stimmte ihm zu.

„Da stimme ich dir zu. Immerhin sind es die Kinder, die die Zukunft unseres schönen Englands gestalten werden.“



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