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Gestern, heute und für immer

Midnight x Mt. Lady
von

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„Du bist die mit dem festen Einkommen, also übernimmst du auch die Rechnung.“

„Du bist ganz schön dreist, was?“ Die Mundwinkel der jungen Lehrerin zuckten belustigt.

„Wer hat denn hier wen um ein Date gebeten, heh?“, kam es etwas provokant von ihrem Gegenüber. Für einen kurzen Moment blickte die Blondine sie prüfend, beinahe tadelnd, an, dann verwandelte jedoch auch ihre Mimik sich in ein amüsiertes Grinsen.

„Ist ja schon gut, für dich mache ich das gern.“, lachte die Größere der beiden. Auffällig blaue und rötliche Augen trafen sich, hielten einige Sekunden lang Blickkontakt, ehe beide Frauen sich gut gelaunt zublinzelten und die Dunkelhaarige den Kellner heranwinkte.

Wenig später verließen sie das Café wieder. Nach wie vor stand die Hitze des Sommertags wie ein Film, den man schneiden konnte, in der Luft. Grillen zirpten, während der kaum spürbare Wind den warmen, schweren Geruch nach Gras und Flieder herantrug.

Die Sonne, die inzwischen unterging, hatte an Intensität verloren und tauchte den Himmel in ein wunderschönes Orangerot. Gegen Abend waren die sommerlichen Temperaturen bereits viel besser erträglich als tagsüber.

Der nahegelegene Fluss rauschte leise im Hintergrund, während Spaziergänger gemächlich vor und hinter ihnen über den Deich spazierten. Hier und da zog ein Jogger an ihnen vorbei.

Nachdem die gröbste Hitze für heute überstanden war, zog es die Menschen noch einmal auf die Straße. Gefühlt jeder wollte das gute Wetter genießen, seinen Feierabend gemütlich in einem Café verbringen, oder aber den Tag einfach nur mit einem Spaziergang durch die Stadt, oder am Fluss entlang, ausklingen lassen.

Zwischen all den anderen Menschen fielen die beiden Frauen kaum auf.

In diesem Moment war die junge Lehrerin ehrlich gesagt auch ganz froh, einmal nicht die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zu ziehen. Glücklicherweise war bisher noch niemand auf die Idee gekommen sie anzusprechen, um um ein Autogramm zu bitten, oder ähnliches. Vielleicht lag es auch an ihrer zivilen Kleidung, die sie nicht so sehr aus der Menge herausstechen ließ, wie ihr Heldenkostüm. Gut so, denn im Moment konnte sie auf Gespräche mit Fremden verzichten.

Die Aufmerksamkeit der jungen Frau galt einzig und allein ihrer Begleiterin, der sie einen Arm um die Schultern gelegt hatte und mit der sie sich ganz ungezwungen über Gott und die Welt unterhielt.

Wie perfekt die Jüngere durch den nicht zu übersehenden Größenunterschied in ihren Arm passte und sich dabei entspannt an ihre Seite schmiegte. An dem hübschen Gesicht und besonders den rötlichen Augen konnte sie sich kaum sattsehen. Ihre Begleiterin war temperamentvoll, sagte was sie dachte, war jedoch gleichzeitig auch wirklich gut gelaunt, humorvoll, locker und doch dann und wann auch ein wenig schüchtern, was sie unglaublich niedlich machte.

Der Sommerabend war herrlich, ihre Begleitung so süß und lebhaft zugleich. Kurz gesagt: alles war ganz einfach perfekt.

Es war wirklich verrückt. Die Lehrerin kannte viele Leute und viele würden alles stehen und liegen lassen, um ein Date mit ihr zu bekommen und doch hatte ausgerechnet sie das Internet gebraucht, um ganz unverhofft die Person zu finden, die wie für sie gemacht zu sein schien.

Zugegeben, lange kannten die beiden sich noch nicht. Vor etwa zweieinhalb Wochen hatten sie begonnen miteinander zu schreiben, heute hatten sie sich zum ersten Mal getroffen und doch fühlte es sich so an, als würden sie sich schon viel länger kennen.

Yu Takeyama, gerade 18 geworden, studierte im ersten Semester Modedesign und war nicht nur erfrischend jugendlich, sondern auch unglaublich selbstbewusst. Zu keinem Zeitpunkt des heutigen Abends, hatte sie das Gefühl gehabt, die Blondine heute erst zum ersten Mal persönlich zu sehen.

Nemuri war sich dem Altersunterschied zwischen ihnen zwar bewusst, doch störte sie sich nicht groß daran. 18 und 23 Jahre, das war legal und die fünf Jahre fielen ihrer Meinung nach nun auch wieder nicht groß ins Gewicht.

„...Morgen finden die diesjährigen praktischen Aufnahmeprüfungen an unserer Schule statt. Ich bin wirklich schon gespannt darauf, welche Schüler dieses Jahr angenommen werden.“, erzählte sie der Jüngeren gerade.

„Du bist nicht nur gespannt auf die Schüler an sich, du bist ganz besonders gespannt, weil du die Klassenlehrerin von einer der Unterstufen wirst, gib es ruhig zu.“ Yu blickte schmunzelnd zu ihr hoch.

Die beiden Frauen blieben stehen, als sie eine Bushaltestelle erreicht hatten. Von hier aus würde die Blondine am besten wieder nach Hause kommen.

„Das kommt noch dazu, stimmt schon. An der UA zu unterrichten ist an sich schon etwas ganz besonderes, aber nach einem Jahr die erste eigene Klasse zu bekommen, ist nochmal etwas vollkommen anderes.“ Um ehrlich zu sein konnte sie es kaum noch abwarten, endlich ihre Klasse kennenzulernen.

Die Lehrerin ließ den Arm von den Schultern ihrer Begleiterin sinken, stellte sich dicht vor sie und strich ihr sanft über die Wange. „Aber nicht nur für mich ist Morgen ein besonderer Tag, du hast erzählt, dass du Morgen auch eine wichtige Prüfung schreibst?“, wollte sie wissen.

Yu schmiegte ihre Wange etwas mehr an die Hand der Älteren, was diese zum Schmunzeln brachte.

„Genau so ist es. Ich bin auch schon ziemlich aufgeregt.“, bestätigte die junge Studentin, sah für einen kurzen Moment wirklich etwas nervös bei dem Gedanken an ihre bevorstehende Klausur aus, grinste dann jedoch schon wieder munter ihre Begleiterin an. „Hey, was hältst du davon, morgen Nachmittag zu telefonieren? Dann können wir uns sicherlich schon erzählen, wie der Tag gelaufen ist.“, schlug sie vor.

Die Dunkelhaarige nickte. „Sicher, wieso nicht.“

Aus dem Augenwinkel bemerkte die Kleinere ein herannahendes Fahrzeug und nickte in dessen Richtung. „Schade, da kommt mein Bus. Ich würde ja gerne noch etwas bleiben, aber ich will mich noch einmal auf meine Prüfung vorbereiten.“

Auch Nemuri bedauerte es, dass der Bus immer mehr in Sichtweite rückte, jedoch hatte sie auch vollstes Verständnis dafür, dass es wichtig war, vor einer anstehenden Prüfung noch einmal zu lernen.

„Mach dir keine Gedanken. Du willst die Prüfung immerhin gut bestehen.“ Ihre blauen Augen ruhten für einen Moment auf ihrem Gegenüber. „Lass uns uns bald wieder treffen.“, schlug sie vor.

„Gerne.“, stimmte Yu dem Vorschlag zu. Ihre rötlichen Augen strahlten vor Freude, was die Kleinere unglaublich niedlich aussehen ließ.

Der Bus, der zuvor von einer roten Ampel aufgehalten worden war, welche nun jedoch wieder auf Grün umgeschlagen war, hatte die Bushaltestelle inzwischen fast erreicht.

Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. Zumindest für heute war es an der Zeit sich zu verabschieden. Für die Lehrerin bestand kein Zweifel daran, wie genau sie das tun wollte.

Da ihre Hand noch an der Wange ihrer Begleiterin lag, ließ sie ihre Finger zu deren Kinn wandern und schob dieses ein Stück weit hoch. Kurz stutzte die Blondine, wirkte nun fast schon wieder schüchtern und wurde leicht rot, doch dann schloss sie die Augen und reckte sich der Größeren etwas entgegen.

Für den Moment blendete Nemuri den heranfahrenden Bus vollkommen aus, als ihre Lippen sich trafen. Sie küsste die Studentin ganz sanft, dennoch erwiderte diese den Kuss im ersten Augenblick fast schon unsicher, ehe sie sich entspannte und sich wirklich auf den Kuss einließ.

Schließlich gingen sie wieder ein Stück weit auf Abstand. Die Blondine war noch ganz rot im Gesicht. Zu süß.

„Also dann, ich muss jetzt los, damit der Bus mir nicht am Ende noch wegfährt. Wir telefonieren dann morgen.“, verabschiedete Yu sich.

„Sicher. Aber heute bereitest du dich noch auf deine Prüfung vor, damit mir Morgen keine Klagen kommen.“, scherzte Nemuri.

Die beiden verabschiedeten sich, ehe die Jüngere gerade noch so in den Bus sprang, dessen Türen sich nun schlossen. Das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung und die junge Lehrerin blieb allein zurück.

Der Weg bis zum Gelände der UA und dem sich darauf befindenden Lehrerwohnheim war nicht weit und war bei dem guten Wetter zudem auch noch sehr angenehm zurückzulegen.

Die Dunkelhaarige lief wieder los. Auf ihren Lippen lag noch der leichte Geschmack nach heißer Schokolade und erinnerte sie an den heutigen Abend und den Kuss zum Abschied. Ihr Magen kribbelte angenehm. Sie schmunzelte. Takeyama war wirklich unglaublich süß. Sie freute sich schon darauf die Kleine wiederzusehen.

Als das Gelände der UA langsam näher rückte, wanderten ihre Gedanken weiter zu den bevorstehenden Aufnahmeprüfungen am morgigen Tag. Sie war wirklich schon gespannt.

Das war nun ihr zweites Jahr als Lehrerin an der UA. Im vorherigen Jahr hatte sie noch keine eigene Klasse bekommen, um sich erst einmal daran gewöhnen zu können in einer Heldenschule zu unterrichten, doch dieses Jahr würde sich das ändern. Sie konnte es kaum abwarten, als Klassenlehrerin endlich ihre ersten eigenen Schüler begrüßen zu dürfen. Auch wenn es bis zum Beginn des Schuljahrs noch ungefähr drei Wochen dauern würde, so würde sie Morgen zumindest schon einmal sehen, welche jungen Talente sich dieses Jahr an der Aufnahmeprüfung versuchen würden und sie könnte gemeinsam mit dem Direktor und den anderen Lehrern entscheiden, wer von den Jugendlichen voraussichtlich das Zeug zum Helden hatte.
 

Der Raum, von welchem aus die Lehrer der UA die Bewerber während der Prüfung beobachten würden, lag hinter getöntem Fensterglas. Von dem höher gelegenen Gebäude hatten sie einen wunderbaren Ausblick auf das Trainingsgelände, welches an eine Mischung aus Sportplatz und Stadtviertel erinnerte. Die 'Straßen' des Trainingsgeländes, welche nicht so leicht einzusehen waren, waren mit Überwachungskameras ausgestattet.

Generell schwirrten kleine Roboter mit Kameras daran über das gesamte Gelände, sodass zu jeder Zeit gewährleistet war, die Heldenanwärter ideal im Blick behalten zu können.

Gemeinsam mit dem Direktor der Schule und ihren Kollegen Vlad King, Snipe und Zementos, stand Midnight vor den getönten Scheiben und betrachtete die Menschenmenge unten im Hof.

Bereits an der schriftlichen Prüfung hatten sich Hunderte versucht. Viele hatten den Test nicht bestanden. Die Schüler in Spe, die die schriftlichen Prüfungen bestanden hatten, tummelten sich nun im Hof und warteten auf den Beginn der praktischen Aufnahmeprüfung. Immer noch handelte es sich dabei um so viele Jugendliche, das man ihre Anzahl vom Überwachungsraum aus auf den ersten Blick nur grob schätzen konnte.

„Also dann, meine lieben Heldenanwärter! Es geht los! Die von euch, die die schriftliche Prüfung bestanden haben, erwartet heute noch ein weitaus härterer, praktischer Test! Ich hoffe ihr habt alle ausreichend Energie und Motivation mitgebracht, denn die diesjährige Prüfung hat es in sich! Na, seid ihr schon gespannt?! Yeeeaaah!“

Present Mic saß als einziger im Raum vor einer Art Schaltpult und gab den Moderator. Der blonde Lehrer konnte seine Begeisterung über das heutige Event kaum verbergen.

Nemuri erging es nicht besser. Auch sie war wirklich gespannt auf den Start der diesjährigen Prüfung. Sie wollte die möglichen Schüler in Spe endlich in Aktion sehen. So unruhig, wie die Prüflinge waren, wussten wohl auch die Teenies kaum wohin mit ihrer jugendlichen Energie.

„Und hier die Regeln der heutigen Prüfung: in der nächsten halben Stunde habt ihr die Aufgabe, möglichst viele der sich auf dem Gelände befindenden Roboter aufzuspüren und sie zu zerstören. Natürlich ist der Einsatz eurer Quirks dabei erlaubt! Die Robotor gibt es in drei verschiedenen Kategorien, drei Schwierigkeitsgrade sozusagen. Wie genau die aussehen, werdet ihr gleich am eigenen Leib herausfinden dürfen! Für jeden zerstörten Roboter gibt es Punkte. Einen Punkt pro zerstörtem Kategorie 1 Roboter, 2 Punkte für Kategorie 2 und ganze 5 Punkte für unsere Kategorie 3, von der es auf dem Gelände allerdings nur zwei Exemplare gibt. Ziel ist es möglichst viele Punkte zu sammeln, aber Vorsicht: die Roboter schlagen auch zurück! Verletzte finden sich zum Ende der Prüfung hin bitte bei Recovery Girl ein, aber versucht Verletzungen zu vermeiden. Ansonsten gibt es nur noch zu sagen, dass die Gebäude hier zwar unbewohnt sind, Schäden aber dennoch vermieden werden sollten. Also dann, are you ready?! Es geht looos!“, schallte Mics Stimme durch das Mikrofon.
 

Der Startschuss fiel und die Prüflinge rannten los. Aktuell glich die Menge noch einem gesichtslosen Mob, doch das würde sich sicher gleich ändern, sobald die Jugendlichen auf die ersten Roboter getroffen wären und die Kämpfe beginnen konnten.

Gespannt beobachtete die junge Frau die Prüflinge durch die Glasscheibe, wurde jedoch kurz abgelenkt, als sich die Tür zum Überwachungsraum öffnete und Aizawa das Zimmer betrat.

„Du bist ganz schön spät dran. Der Startschuss ist gerade schon gefallen.“, tadelte Nemuri den anderen Lehrer. Mic und er waren eine Klasse unter ihr gewesen, als die drei selbst noch Schüler an der UA gewesen waren. Später dann hatten sie eine Weile lang als Sidekicks in der gleichen Agentur gearbeitet, ehe Nemuri sich selbst dafür entschieden hatte Lehrerin zu werden und die beiden geringfügig jüngeren Helden einige Monate später nachgeholt hatte.

„Von euch hat immerhin niemand daran gedacht, die Karteikarten der Schüler zu holen.“, grummelte Aizawa vor sich hin, der mit einem riesigen Aktenstapel beladen war.

„Warte, ich nehme dir ein paar ab.“, bot Nemuri an, mit dem Ziel, dass sie die Akten dann leichter auf den Tisch stapeln konnten... doch da war es auch schon zu spät. Der Stapel rutschte zur Seite und verteilte sich großflächig auf dem Boden.

„Es musste ja so kommen.“, murrte Eraser Head genervt und blickte kurz zum Fenster, ehe er sich bückte und damit begann die Aktenblätter vom Boden aufzusammeln. Snipe und Midnight gesellten sich zu ihm, um ihm zu helfen.

„Whoa, der Wahnsinn! Seht euch mal die Kleine an, Leute! Die macht unsere Roboter platt wie nichts und hat dazu auch noch ein paar Mitprüflinge gerettet!“, machte Mic die restlichen Lehrer auf eine der Heldenanwärterinnen aufmerksam.

„Kleine trifft es nicht wirklich, meinst du nicht?“, kommentierte Vlad amüsiert und verfolgte aufmerksam die Prüfung.

„Mit ihrer Quirk dürfte es ihr kaum schwerfallen die Roboter zu besiegen.“, merkte Direktor Nezu an, ehe er nachdenklich eine Tasse Tee schlürfte.

Nemuri sah von den Akten, welche sie gerade vom Boden pflückte, auf und rüber zum Fenster.

Einige Rauchschwaden stiegen in der künstlichen Stadt auf. Ein einzelner Roboterarm flog gerade am Fenster vorbei.

Nemuri zog fragend eine Augenbraue hoch, dann fiel ihr Blick auf auf die Prüfungsteilnehmerin, welche Mic soeben noch erwähnt hatte und welche wahrlich schwer zu übersehen war.

Der Prüfling, eine schöne Blondine, welche aktuell einen schwarzen, sportlichen Jumpsuit aus scheinbar sehr elastischem Material trug, zerquetschte gerade einen Kategorie 2 Roboter in einer Hand, als wäre die Maschine nicht sehr viel mehr als eine alte Blechdose.

Sie war riesig, überragte die meisten normalen Gebäude, welche Wohnhäusern nachempfunden waren, um einiges. Gigantification war zwar keine besonders seltene Quirk, aus der Nähe hatte die Lehrerin einen Nutzer dieser Quirk jedoch schon lange nicht mehr gesehen.

Midnight erstarrte in der Bewegung. Die Akten, die sie gerade noch aufgesammelt hatte, rutschten ihr aus der Hand und landeten wieder auf dem Boden. Ungläubig blickte sie nach draußen auf den Prüfplatz.

Es war nicht die Quirk der Teilnehmerin, die sie so ungläubig reagieren ließ, es war die Tatsache, dass sie die junge Frau kannte.

„D-dieses Mädchen...welche Akte gehört zu ihr?“, wollte sie leicht stockend wissen.

Nachdem Snipe den Blick kurz über das Chaos auf dem Boden hatte schweifen lassen, griff der Lehrer zielsicher nach einer der Akten und reichte sie ihr. „Yu Takeyama, Quirk Gigantification. Beeindruckend, nicht?“

Draußen vor dem Fenster lief die Prüfung unbeirrt weiter, die Schüler in Spe gaben ihr bestes, um sich durch genügend Punkte einen Platz an der UA zu sichern. Nemuri hingegen hatte gerade keine Augen für die Prüfung an sich.

Mit einem mehr als seltsamen Gefühl in der Brust, nahm sie ihrem Kollegen die Akte ab und schlug diese auf. Der Lebenslauf, mehr brauchte es für den Moment nicht.

Mit dem Blick überflog sie Vor- und Nachname und blieb schließlich am Geburtsdatum der Blondine hängen. Heiße und kalte Schauer jagten ihr im Wechsel über den Rücken und durch Mark und Bein. 15 Jahre! Das Mädchen war 15! Gerade so, wohlgemerkt.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. In dem Glauben mit einer 18jährigen Studentin auszugehen, hatte sie den Tag gestern mit einer 15jährigen Schülerin verbracht, die sie auch noch zum Abschied geküsst hatte. Um Himmels Willen! So sehr die Lehrerin Jugend auch schätzte, sie wusste, dass sie das Kopf und Kragen kosten konnte. Gott sei Dank waren es nur eine einzige harmlose Verabredung und ein einziger Kuss gewesen, doch selbst das könnte sie bereits in Teufels Küche bringen.

Mechanisch hob Nemuri einige der Akten vom Boden auf, legte sie auf dem Tisch ab und gesellte sich dann wieder zum Fenster.

„Und seht mal da, der Junge mit seiner Psycho-Quirk. Ebenfalls gar nicht schlecht!“, machte Mic seine Kollegen gerade auf einen anderen Prüfling aufmerksam, der ihm zuvor aufgefallen war.

„Der Schüler mit der Magnetkontrolle hat ebenfalls großes Talent.“, mischte Zementos sich ein und deutete auf einen anderen Jugendlichen.

Das alles mochte ja sein, doch diese Schüler interessierten Nemuri gerade herzlich wenig, so gespannt sie zuvor sie auch noch auf die Prüfung gewesen war. Diese Schülerin...wenn das rauskam. Ihre Gedanken kreisten um ihre Verabredung und ihre neuste Erkenntnis. Sie war der festen Überzeugung gewesen, dass die Kleine erwachsen wäre, immerhin hatte sie das auch behauptet. Aber einer Lehrerin sollte so etwas trotzdem nicht passieren.

Dann wieder: wer kontrollierte bitte den Ausweis seiner Verabredung? Niemand. Aber hätte sie nicht trotzdem zwischen einer gerade erst 15-Jährigen und einer jungen Erwachsenen unterscheiden können müssen? Gott, wenn das jemals rauskam...

Sie war zwar für Skandale bekannt, aber eine Minderjährige zu daten, auch wenn das Date noch so harmlos verlaufen war, war noch einmal eine ganz andere Hausnummer, als mit so wenig Kleidung am Leib durch die Stadt zu laufen, das deshalb eine extra Kleiderordnung für Helden herausgebracht wurde.

Gerade in ihrem Beruf konnte ihr so etwas das Genick brechen. Als Lehrerin arbeitete sie immerhin mit Schülern und wenn man ihr am Ende nachsagte... verdammt, verdammt, verdammt!

Die letzte Minute der Prüfung war angebrochen. Zwar verfolgte Nemuri durchaus auch die Leistungen der anderen Schüler, doch hauptsächlich drehten ihre Gedanken sich immer und immer wieder im Kreis.

Einerseits suchte sie ganz automatisch nach Rechtfertigungen, die die Verabredung und den Kuss vertretbar und nachvollziehbar machten, andererseits war da auch immer wieder diese Stimme, die ihr flüsterte, dass es nicht entschuldbar war, sich mit einer Minderjährigen getroffen zu haben und das sie dies den Job kosten könnte, sollte es jemals herauskommen.

„Aaaaaaand STOP!“, krakelte Mic gerade durch das Mikrofon. „Die Zeit ist um! Die Prüfung ist vorbei!“

Die letzten noch intakten Roboter sanken auf dem Prüffeld zu Boden und die Prüflinge hielten ebenfalls inne. Einige Jugendliche halfen anderen zu dem provisorischen Zelt, welches Recovery Girl eingerichtet hatte, die meisten begaben sich jedoch auf direktem Weg zurück auf den Haupthof.

„Zuerst einmal: auch dieses Jahr haben viele, sehr talentierte Heldenanwärter an unserer Prüfung teilgenommen. Vielen Dank dafür! Das Personal wird sich nun zurückziehen, um eure erreichten Punkte zusammenzuzählen und sich darüber zu beratschlagen, wer die diesjährige Aufnahmeprüfung bestanden hat. Das Ergebnis bekommt ihr dann in spätestens einer Woche per Brief mitgeteilt.“, leitete Mic das Ende der Veranstaltung ein.

Nemuri warf nachdenklich einen Blick durch das Fenster. Manche der Prüflinge machten sich allein auf den Heimweg, andere bildeten kleine Grüppchen und unterhielten sich, auch wenn sie sich noch gar nicht kannten.

Der Lehrerin fiel auf, dass Yu gleich von einer ganzen Schar anderer Prüflinge umringt war. Die Jugendlichen unterhielten sich aufgeregt und machten sich als Gruppe langsam auf den Weg, das Gelände der UA zu verlassen.

Immer noch fühlte ihr Mund sich seltsam trocken an, nach der Erkenntnis, dass sie sich gehörig mit dem Alter ihrer Verabredung getäuscht hatte. Aber wie hätte sie ihren Irrtum bemerken sollen? Die 18 hatte sie der Kleinen durchaus abgekauft. Sie hatte ihre Aussage schlicht und ergreifend nicht hinterfragt. Die Blondine war so selbstbewusst gewesen und auch vom Körperbau her, hätte sie durchaus erwachsen sein können. War sie nur nicht.

Nemuri beobachtete die Heldenanwärterin, welche aktuell gut gelaunt mit einigen anderen Prüflingen plauderte und gerade dabei war das Gelände zu verlassen. Sie ertappte sich dabei, dass sie sie erneut gemustert hatte, wie sie sie nicht mustern sollte. Die Kleine war keine Studentin, sondern eine Schülerin, verdammt! Eine Schülerin, die sich für einen Platz an der UA beworben hatte.

Dann fiel ihr plötzlich noch etwas ein. Was, wenn Yu am Ende noch in ihrer Klasse landete?

Sie schüttelte den Kopf, wandte sich vom Fenster ab und folgte den anderen Lehrern zu der anstehenden Besprechung.

Aber ganz gleich, ob die Jugendliche nun in ihrer eigenen Klasse, oder aber in der Parallelklasse landen würde, unterrichten würde sie sie so oder so. Und genau hier lag das Problem.

Was, wenn Yu in der Schule etwas von der Verabredung mit der Heldin erzählte? Was, wenn es der Lehrerin schwerfallen würde, ihr Date vom Vortag zukünftig zu behandeln wie eine ganz normale Schülerin? Sie hatte sie immerhin unter den falschen Vorgaben kennengelernt und mochte sie... als 18-Jährige Studentin, die sie nicht war. Was, wenn sie am Ende noch etwas ganz Dummes anstellen sollte, wenn die Kleine hier Schülerin wurde? Das die Blondine ihr zugetan war, war gestern immerhin deutlich geworden.

Nemuri hätte schreien, oder sich die Haare raufen können. In die Situation, in der sie unverhofft gelandet war, hatte sie nie geraten wollen!
 

„Diese 50 Prüflinge haben mit Abstand die meisten Punkte gesammelt. Lasst uns also über die besten 50 sprechen.“, entschied Nezu, nachdem er es sich auf seinem Platz gemütlich gemacht hatte. Der Direktor deutete auf die Akten, welche in der Mitte des runden Tischs aufgeschichtet waren, um den die Lehrer nun saßen.

Und so begann die Besprechung, welche mehrere Stunden in Anspruch nehmen sollte.

Der Schüler mit der Magnetkontrolle würde aufgenommen werden, da waren sich schnell alle einig. Eine Schülerin, deren Heilungsquirk Ähnlichkeiten mit der von Recovery Girl aufwies, würde ebenfalls einen Platz angeboten bekommen. Es folgten ein Fuchs-Mensch, ein Schüler mit Flammenquirk, ein Prüfling, der seine Arme in Bohrer verwandeln konnte und eine Schülerin, welche dazu in der Lage war ihre Gegner kurzzeitig zu paralysieren.

„Also gut, reden wir als nächstes über die junge Takeyama.“, befand Nezu, nachdem nun die Akte der Blondine, die nächste auf dem Stapel war.

„Sie hat eine der höchsten Punktzahlen überhaupt heute erreicht.“, wusste Vlad King zu berichten.

„Und sie hat einige der anderen Prüflinge beschützt.“, ergänzte Snipe. „Eine wirklich beeindruckende Leistung. Das Trainingsgelände der UA ist groß, sodass wir auch in der Lage sein sollten, ihrer Quirk im Training gerecht zu werden.“, sprach der Scharfschütze weiter.

In Midnights Kopf rauschte alles. Es stimmte. Takeyama hatte in der praktischen Prüfung ein beeindruckendes Ergebnis erzielt, trotzdem... die Kleine würde ihr das Genick brechen.

Verdammt, sie würde nicht in der Lage sein, sie zu unterrichten, auch wenn eine Lehrkraft eigentlich über so etwas stehen sollte. Sie konnte sie nicht guten Gewissens unterrichten und hier an der UA wissen, wenn sie gleichzeitig nicht wusste, ob nicht am Ende doch noch etwas passierte, was nie passieren sollte. Und solche Gedanken als Pädagogin. Wie sehr sie sich schämte.

Es war nicht so, dass sie Jugendlichen grundsätzlich dieses ungesunde Interesse entgegenbrachte, das Problem lag viel mehr darin, dass sie Takeyama als angebliche Studentin kennengelernt hatte. Es fiel ihr schwer die Jüngere nun als Schülerin zu sehen und das die Blondine sie ganz offensichtlich mochte, machte es weder besser noch leichter.

Wenn sie wirklich Schülerin der UA werden sollte, dann würde die Kleine ihr ganz sicher das Genick brechen. Das Ende ihrer Karriere.

„Es stimmt schon, das ihre Ergebnisse überdurchschnittlich gut waren, dennoch halte ich es für keine besonders gute Idee, sie an der UA aufzunehmen.“, hörte Nemuri ihre eigene Stimme sagen.

Fragend blickten die anderen Lehrer sie an.

„Sie hatte zwar leichtes Spiel mit den Robotern, aber habt ihr euch die Gebäude in der Prüfungsumgebung mal angesehen? Wäre das die echte Stadt, wäre da eben ein enormer Sachschaden entstanden.“

„Dafür unterrichten wir unsere Schüler doch. Sie müssen es erst noch lernen, ihre Quirks perfekt zu meistern und auf dem Übungsgelände ist der nötige Platz dafür.“, gab Vlad King zu bedenken.

„Trotzdem, nein!“, hielt Midnight an ihrer Meinung fest. „Vielleicht haben wir hier genug Platz, aber die Schüler trainieren nicht allein. Hat jemand mal daran gedacht, was passiert, wenn sie im Training versehentlich auf einen Mitschüler tritt? Ich möchte nicht diejenige sein, die den Eltern einer unserer Schüler erklären muss, dass wir die sterblichen Überreste des Schülers leider nur noch mit viel Mühe vom Asphalt kratzen konnten!“

„Kayama...“, kam es überrascht über diese mehr als deutlichen Worte von Mic.

„Meinst du nicht, jetzt übertreibst du ein wenig?“, wollte Zementos verblüfft wissen.

„Das ist keine Übertreibung, sondern ein reales Risiko. Bereits die Übung heute war brandgefährlich.“ Ruckartig erhob die Lehrerin sich von ihrem Platz und stemmte die Hände auf den Tisch. „Ich weigere mich diese Schülerin zu unterrichten!“, brauste sie auf. „Es... es tut mir wirklich leid für die Kleine, aber das Risiko für die Mitschüler ist einfach zu groß. Wenn ein Unfall passiert, dann ist es zu spät und das zuzulassen, wäre unentschuldbar. Außerdem denke ich, dass eine Heldenschule in der Stadt der falsche Platz für eine Schülerin mit einer solchen Quirk ist.“

Die Runde wirkte ehrlich überrascht von der heftigen Reaktion der Lehrerin. Für einen Moment herrschte allgemeines Schweigen.

„Nun... ich denke ich stimme Kayama zu. Das Risiko, das ein anderer Schüler zu Schaden kommen könnte, ist in diesem Fall wirklich sehr hoch. Das kann unsere Schule nicht verantworten.“, tat Aizawa schließlich seine Meinung kund. Wie dankbar Nemuri ihm in diesem Augenblick war, das er Partei für sie ergriff.

„Direktor Nezu...?“, hakte sie nach.

Die Maus schlürfte eine weitere Tasse Tee und blickte nachdenklich drein. „Nun, ganz ohne Risiko wäre es wirklich nicht die junge Dame zu trainieren. Und wenn du so strikt dagegen bist, dann denke ich, das wir auf deine Meinung hören sollten, Kayama.“, lenkte der Direktor schließlich ein.

Nemuri nickte ihm zu. Ihr fiel ein Stein vom Herzen und gleichzeitig fühlte sie sich schlecht. So unglaublich unprofessionell.

Um das Thema abzuschließen, blätterte Nemuri noch einmal kurz die Akte durch, die vor ihr auf dem Tisch lag. Die schriftliche Prüfung hatte Takeyama mit Ach und Krach bestanden, die praktische Prüfung war dafür wirklich gut gelaufen. Und die letzte Seite der Akte... dort sollten die Schüler in einem Fragebogen ausfüllen, was für ein Held sie in Zukunft werden wollten.

»Ich möchte eine genau so starke und schöne Heldin werden wie Midnight. Sie ist mein Vorbild, schon seit der Unterstufe.«, stand dort in einer mädchenhaften Handschrift und zwei Rechtschreibfehlern gratis, geschrieben.

Der Lehrerin zog sich der Magen zusammen. Hatte sie eben schon gedacht, dass sie sich schlecht fühlte? Jetzt fühlte sie sich erst richtig mies. Die Prüfung hatte Takeyama ganz eindeutig als eine der Besten bestanden. Die Gefahr beim Training war nur ein vorgeschobener Grund gewesen, sie nicht anzunehmen. Der eigentliche Grund dafür war, dass sie sich nicht in der Lage sah diese Schülerin zu unterrichten, wie jeden anderen Schüler auch. Sie wäre nicht in der Lage sie als ganz normale Schülerin zu sehen und befürchtete, über kurz oder lang eine furchtbare Dummheit zu begehen, die kein Lehrer je begehen sollte. Innerlich seufzte sie. Eine schöne Lehrerin war sie, wirklich. So unglaublich unprofessionell und egoistisch, dass sie ihre Karriere über die einer Schülerin stellte, da sie befürchtete, dass ihr ein Ausrutscher passieren könnte, obwohl sie nun wusste, wie alt die Kleine wirklich war. Sie schämte sich in Grund und Boden. Was es noch schlimmer machte war, dass Takeyama sie auch noch als Vorbild sah. Ein schönes Vorbild war sie...wirklich.

Als die Besprechung vorüber war, verließ Midnight als Letzte das Lehrerzimmer.

Gerade wollte sie den Flur entlanglaufen, als Eraser Head ihr in den Weg trat, der vor der Tür auf sie gewartet hatte.

„Das eben in der Besprechung, der kleine Gefühlsausbruch hatte doch nichts mit ihrer Quirk zu tun, oder liege ich falsch? Das war etwas persönliches, oder?“, wollte ihr Kollege und guter Freund von ihr wissen. „Was hast du angestellt, Kayama? Ich gehe doch recht in der Annahme-“

„NICHTS! Herrgott nochmal! Ich habe gar nichts angestellt!“, blaffte die junge Heldin ihn an, schob sich an Eraser vorbei und lief eilig ins Treppenhaus.
 

Eine Woche war seit der praktischen Prüfung vergangen. Die Ergebnisse sollten die Bewerber der UA inzwischen erreicht haben. Auch die beiden Klassen der zukünftigen Unterstufe waren bereits gebildet worden, sodass zumindest die Lehrer schon einmal wussten, was sie in Zukunft erwartete.

Nemuri hatte die Akten ihrer zukünftigen Schüler bereits genau studiert und freute sich auf den Beginn des Schuljahrs. Zum ersten Mal würde sie Klassenlehrerin sein und eine neue Generation von Helden, von Tag 1 an der UA an anleiten. Ein wirklich schöner Gedanke.

Dennoch, ein bitterer Beigeschmack blieb. Die junge Lehrerin stieg aus dem Bus, blieb kurz stehen, um sich zu orientieren und lief schließlich über einen Zebrastreifen.

Das Haus, welches etwas zurückgesetzt hinter einer Grünfläche lag, war wirklich riesig. Wenn sie die Balkons betrachtete, schätzte sie, dass hier gut und gerne 50 Familien lebten.

Sie hatte die Haustür erreicht, blieb erneut stehen und betrachtete die Beschilderung der Briefkästen und Klingeln.

Einige Augenblicke lang musste sie suchen, dann hatte sie den richtigen Nachnamen entdeckt. Wenn die Anordnung der Klingeln mit der Anordnung der Wohnungen im Hochhaus übereinstimmte, wäre ihr Ziel die 7. Etage.

Und nun? Sie zögerte. Sollte sie einfach anklingeln? Nur damit sie durch die Gegensprechanlage nach ihrem Namen gefragt wurde. Ihr Magen verkrampfte sich. Nein, das fühlte sich irgendwie falsch an. Generell war sie sich nicht sicher, ob das, was sie hier tat, wirklich richtig war.

Letztlich legte die junge Frau ganz einfach die Hand aufs Klingelbrett und wartete, bis sich irgendjemand meldete.

„Ja bitte?“, hörte sie die Stimme einer alten Frau durch die Gegensprechanlage krächzen.

„Paketpost!“, antwortete sie. Eine glatte Lüge, doch diese erzielte den gewünschten Effekt. Mit einem Surren wurde die Haustür geöffnet.

Nemuri betrat den Hausflur, welcher trotz der Größe der Wohnanlage gepflegt wirkte. In einer Nische neben dem Aufzug war ein Kinderwagen abgestellt worden, eine Treppe führte hinunter in den Keller. Schenkte man der Beschilderung Glauben, so lägen auf der linken Seite Waschküche und Fahrradkeller, auf der rechten Seite die Privatkeller.

Doch die Aufteilung des Hauses war nicht wirklich von Interesse. Da sie darauf verzichten konnte zu Fuß sieben Etagen zu laufen, rief sie den Aufzug, musste kurz darauf warten und betrat die sich öffnende Kabine schließlich mit gemischten Gefühlen.

Als sie die siebte Etage auswählte, betätigte sie den Knopf dafür nur zögerlich.

Die Türen schlossen sich wieder. Die Fahrt in dem kleinen Aufzug kam ihr endlos vor, dennoch bedauerte sie es ein wenig, als der Aufzug sich schließlich wieder öffnete.

Mit jedem Meter, den sie zurücklegte, fühlten ihre Schritte sich schwerer an, fast so, als würde jemand mehr und mehr Bleiplatten an ihre Schuhe binden. Ihr Griff schloss sich etwas fester um die Unterlagen, welche sie bei sich trug.

Schließlich hatte sie die gewünschte Wohnungstür erreicht. Ein Blick auf das Klingelschild bestätigte ihr noch einmal, dass sie hier richtig war.

//Hier lebst du also.//, stellte sie in Gedanken fest. Nemuri zögerte. Sie war sich durchaus bewusst, dass ein so unschlüssiges Verhalten absolut untypisch für sie war, aber diese Situation war auch alles andere als alltäglich.

Schließlich gab sie sich einen Ruck, klingelte und wartete.
 

Die Sekunden, die verstrichen, fühlten sich an wie kleine Ewigkeiten. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt und immer wieder fragte sie sich, was sie hier eigentlich tat und ob es wirklich die richtige Entscheidung gewesen war.

Aber für einen Rückzieher war es nun auch zu spät. Nemuri konnte bereits hören, wie jemand durch die Wohnung lief und sich der Tür näherte.

Schließlich wurde die Wohnungstür geöffnet. Yu trug ein weinrotes T-Shirt und eine bequem wirkende schwarze Jogginghose. Die Blondine trug nur dezentes Make-Up und wirkte heute doch etwas jünger, als an dem Abend vor ungefähr einer Woche. Wie sehr Kleidung und Make-Up doch in die Irre führen konnten.

Die Schülerin blinzelte, erst fragend, dann ehrlich überrascht. „Nemuri, du?“, hakte sie ungläubig nach, hatte sie doch nicht mit dem Besuch der Lehrerin gerechnet.

Die Ältere nickte ihr zu. „Sieht ganz so aus.“, antwortete sie etwas stockend und zwang sich zu einem schiefen Lächeln. Weiterhin war sie sich nicht sicher, ob dieser Besuch eine gute Idee gewesen war.

„Warum bist du nicht ans Handy gegangen und hast jede einzelne Nachricht ignoriert?“, wollte die Blondine wissen. Ihre Stimme klang halb verletzt, halb anklagend.

„Kannst du dir das nicht denken?“, antwortete die Lehrerin mit einer Gegenfrage.

„Die Prüfung... ja, ich weiß, damit habe ich dich wohl ganz schön überrascht.“ Yu zog ein ertapptes Gesicht.

Dann trat sie aus der Wohnung heraus, zog ihr Gegenüber in eine Umarmung und schmiegte das Gesicht an das Schlüsselbein der Lehrerin. „Ich habe dich vermisst.“, gab sie ganz unverblümt zu. „Bist du böse auf mich?“

Hitze und Entsetzen stiegen in der Heldin auf. Hitze, weil die Kleine so unglaublich niedlich war, dass sie ihr am liebsten sofort versichert hätte, dass sie ihr nicht böse war und auch, weil die Nähe der Jüngeren ihr Herz schneller schlagen ließ. Gern hätte sie die Umarmung erwidert und das Kinn auf den blonden Schopf ihres Gegenübers gelehnt... aber hier kam nun wieder das Entsetzen ins Spiel. Entsetzen über sich selbst. Wieso reagierte sie immer noch so stark auf die Kleine, obwohl sie doch inzwischen wusste, dass sie nicht mehr als eine Schülerin war? Das war eindeutig nicht gut. Gar nicht gut. Die Entscheidung, sie nicht zu unterrichten und die Aufnahme an die UA zu verhindern, war eindeutig richtig gewesen. Aus persönlicher Sicht. Doch wenn sie nur das Talent der jungen Blondine betrachtete und dann an ihre eigene Unfähigkeit dachte, ihre Gefühle ganz einfach bei Seite zu schieben, kam ihr die Entscheidung gleichzeitig auch wieder so falsch vor. Ein Grund, warum sie heute hier war.

Nachdem sie einige Sekunden lang wie erstarrt war, legte Nemuri der Jüngeren nun sanft die Hände auf die Schultern und schob sie von sich. Auf Abstand, so wie es sich gehörte. So wie es sein sollte.

„Hör auf damit, Yu.“ Sie seufzte. „Ob ich dir böse bin? Sagen wir lieber, ich bin entsetzt. Ich bin fast vom Glauben abgefallen, als ich dich an dem Tag bei der Auswahlprüfung gesehen habe. Du hast dich mir gegenüber vorher als erwachsen ausgegeben... wie hast du dir das vorgestellt?“

Die roten Augen der Blondine blickten leicht verletzt drein, jedoch schien die Jugendliche die Situation und das damit verbundene Problem noch nicht ganz erfasst zu haben.

„Hätte ich mich im Internet nicht drei Jährchen älter gemacht, hättest du sicher niemals mit mir geschrieben und mich ganz sicher nicht treffen wollen. Aber so konnten wir Zeit miteinander verbringen und uns kennenlernen, ohne das du dir Gedanken darüber machen musstest.“

„Aber das schafft das Problem doch nicht aus der Welt. Ich hätte mich um ein Haar strafbar gemacht! Du weißt, das Lehrer-Schüler Geschichten weder funktionieren, noch sein sollten, oder?“

„Was das betrifft, musst du dir doch jetzt keine Gedanken mehr machen. Die Aufnehme an die UA ist immerhin nicht so gelaufen, wie gehofft, also besteht das Problem in der Form nicht mehr.“

„Ob du nun Schülerin der UA, oder Schülerin einer anderen Schule bist, an deinem Alter ändert das trotz allem nichts.“, erinnerte Midnight. Sie konnte es nicht fassen. Einerseits schockierte es sie, wie leichtfertig die Blondine mit diesem Thema umging, andererseits sollte sie sich vielleicht auch nicht zu sehr wundern. Das war nun einmal die Denkweise einer Jugendlichen. In Situationen wie dieser wurde es deutlich.

„Aber mal ganz davon abgesehen, ist der Beruf des Superhelden denn wirklich dein Traum, oder hast du dich nur aus einer Laune heraus an der UA beworben?“

Glücklicherweise ließ Yu sich durch diese Frage vorerst von dem Problemthema ablenken.

„Ich habe zwar viele Interessen, aber ja, ich möchte unbedingt Heldin werden. Aus diesem Grund habe ich mich auch an der UA beworben. Die Schule hat immerhin den besten Ruf.“

„Tut mir leid, das es nicht geklappt hat.“ Die Lehrerin seufzte. „Aber es gibt noch weitere Heldenschulen mit wirklich gutem Ruf und die Bewerbungsfrist für dieses Jahr ist noch nicht abgelaufen.“

Fragend blickte Yu zu ihr hoch. „Eigentlich hat mir eher die schriftliche Prüfung Sorgen bereitet, aber die scheine ich bestanden zu haben. Was war es denn, was mir bei der praktischen Prüfung das Genick gebrochen hat?“, wollte sie wissen.

Nemuri zögerte, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. „Deine Quirk ist wirklich zerstörerisch, weißt du? Wenn es im Training zu Unfällen kommt, könnte das für deine Mitschüler schlimme Folgen haben. Und Heldenanwärter der UA arbeiten nach ihrem Abschluss zumeist auch in der Stadt. Meinst du wirklich, dass die Stadt der richtige Arbeitsort für dich ist? Auch auf dem Land werden Helden gesucht, aber dort würdest du mit deiner Quirk weitaus weniger Zerstörung anrichten...“ begann sie zu erklären.

Die Blondine hatte ihr bis zu diesem Punkt zugehört, dann wurde ihr Blick plötzlich skeptisch, fast so, als wäre ihr soeben ein Licht aufgegangen. „Halt, stopp. Warte mal.“, forderte sie.

Nun war Nemuri es, die die Kleinere fragend anblickte, sich jedoch auch unterbrechen ließ.

„Einerseits erzählst du mir gerade, dass meine Quirk eine echte Gefahr für meine Mitschüler darstellen könnte und im gleichen Atemzug machst du mich darauf aufmerksam, dass es neben der UA auch noch andere Heldenschulen gibt, deren Bewerbungsfrist noch läuft?“, hakte sie nach.

Yu verschränkte die Arme vor der Brust. Die Ältere fühlte sich ein wenig ertappt. Warum musste die Kleine ausgerechnet jetzt so scharfsinnig sein?!

Für einen Moment schien die Blondine ihre eigenen Worte zu überdenken, dann legte sich ein fast schon anklagendes Funkeln in ihre Augen, ehe sie fortfuhr: "Die Ablehnung an der UA, das hatte nicht wirklich etwas mit meinen Leistungen zu tun, oder? Hast...hast du die Entscheidung am Ende etwa getroffen, Nemuri?“, wollte sie wissen. „Weil dir nicht wohl dabei war eine Beziehung mit einem Mädchen zu beginnen, das am Ende noch in deinem Unterricht sitzen könnte?“

Autsch. Damit hatte sie den Hauptgrund einigermaßen auf den Punkt gebracht. Zwar kam nach der Erkenntnis, das ihr Gegenüber noch minderjährig war, weder ein weiteres Treffen und schon gleich gar keine Beziehung mehr in Frage, doch die Befürchtung, dass Yu an der Schule etwas davon erzählen, oder sie am Ende doch noch auf dumme Gedanken bringen könnte, saß tief.

„Yu, jetzt hör mal, ich glaube du verstehst das Problem nicht.“, begann die Lehrerin. „Du hättest von Anfang an nicht mit deinem Alter flunkern dürfen. Dieses Date hätte niemals stattfinden dürfen. Ob du nun Schülerin an der UA oder einer anderen Schule bist, das Problem bleibt das selbe. Du bist minderjährig, wenn ich mich weiter mit dir treffe, bricht mir das das Genick. Ich habe ganz bestimmt nicht vor mich strafbar zu machen!“, verdeutlichte die Ältere noch einmal, was sie ihr eben bereits zu erklären versucht hatte.

Die Blondine zuckte leicht zusammen, wirkte jetzt ehrlich betroffen und verletzt, wo die Erkenntnis endlich zu ihr durchdrang. „Nemuri, aber das-“, begann sie, doch diesmal fiel die Lehrerin ihr ins Wort und redete weiter.

„Nein, nicht aber. Das ist eine Sache, die einfach unmöglich ist.“, stellte Midnight noch einmal klar. „Es ist für uns beide deutlich angenehmer, wenn wir gar nicht erst in die Situation geraten, uns plötzlich als Schülerin und Lehrerin in ein und der selben Klasse wiederzufinden. Wie sollte ich dich denn von einem neutralen Blickpunkt aus benoten? Ich will meinen Job nicht gefährden und auch für dich wird es angenehmer sein, wenn du in einer anderen Heldenschule deine Lizenz erwirbst.“

Einerseits gab sie damit zwar in gewisser Weise zu, dass die Ablehnung der Schülerin an private Gründe und ihre eigene Karriere geknüpft war, andererseits sollte das doch auch logisch und nachvollziehbar sein.

Die Jugendliche machte jedoch einen betroffenen und verletzten Eindruck. Das sie nun überhaupt erst in dieser Situation waren, tat Nemuri leid. Das sie sich aus pädagogischer Sicht nicht in der Lage gesehen hatte, die Blondine zu unterrichten und daher dafür gesorgt hatte, dass sie trotz eigentlich bestandener Prüfung abgelehnt worden war, ebenso.

Aber genau aus diesem Grund war sie ja hier. Schadensbegrenzung. Zugegeben, Yu selbst war nicht unschuldig an der aktuellen Gesamtsituation, immerhin hatte sie sich gleich zu Beginn fälschlicherweise als 18jährige Studentin ausgegeben, doch zumindest was den Traum von der Heldenschule betraf, kannte Nemuri eine Lösung.
 

„Wie ich vorhin bereits sagte, laufen die Bewerbungsfristen einiger anderer Heldenschulen noch. Ich will dir keine Steine in den Weg legen und denke, dass ich dir zumindest was die Schule betrifft, trotz allem ein wenig unter die Arme greifen kann.“

Die Dunkelhaarige hielt ihrem Gegenüber die Mappe mit den Unterlagen entgegen, welche sie mitgebracht hatte. „Die Shiketsu Oberschule ist die beste Heldenschule im Westen. Vom Ruf her kann sie mit der UA mithalten. Um sich dort zu bewerben, ist es noch nicht zu spät und ich kenne dort einige Lehrer von gemeinsamen Schulungen.“, setzte Nemuri an.

Anstatt Interesse, spiegelte Yus Blick plötzlich jedoch nur noch Kälte und Ärger.

„Spar dir das!“, blaffte die Jüngere sie an. „Du verbaust mir die Aufnahme in die UA, nur weil du glaubst mich nicht unterrichten zu können und deine Karriere nicht von Privatem trennen kannst und jetzt willst du mich mit Vitamin B in einer anderen Schule unterbringen?! Das... das ist einfach armselig!“

Überrascht suchten auffällig blaue Augen Blickkontakt zu den vor Ärger funkelnden roten Gegenstücken. „Was redest du da bitte? Denk doch mal nach, Yu! Ich gebe dir hier gerade die Möglichkeit, deine Ausbildung an einer ebenso guten Schule wie der UA zu absolvieren! Andere Jugendliche wären froh über diese Möglichkeit. Wenn du Superheldin werden willst, dann solltest du diese Chance ergreifen!“

„Chance?!“, schnappte die Jüngere. „Du meinst wohl eher den Schulplatz, den du mir aus Mitleid verschaffen willst und natürlich auch, um dein eigenes Gewissen zu erleichtern!“

„Aber-“, setzte die Lehrerin an, wobei ihre Stimme nun auch etwas lauter und verärgerter klang, dennoch unterbrach Yu sie.

„Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass ich nicht aus Mitleid irgendeinen Schulplatz bekommen möchte, nur damit du dich damit besser fühlst?! Wenn ich einen Platz an einer Heldenschule annehme, dann einen, den ich mir aus eigener Kraft verdient habe. Glaubst du, dass ich mich jetzt noch an der Shiketsu bewerben könnte, so wie ich es als Plan B eigentlich vor hatte?! Jetzt kann ich mir doch nicht mehr sicher sein, ob ich den Platz durch eigenes Können bekomme, oder nur, weil einer der Lehrer dir einen Gefallen tun wollte. Vielen Dank dafür!“

Nemuri starrte die Blondine ungläubig an. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit, dass die Kleine die Chance, die sie ihr bot, in erster Linie aus Stolz ablehnen würde. Statt Dankbarkeit reagierte das Mädchen mit Wut.

„Sei nicht so engstirnig, verdammt! Was bringt dir der falsche Stolz am Ende?!“

„Das muss ich mir von dir nicht anhören!“, blaffte Yu. „Es stimmt schon, ich hätte mit meinem Alter vielleicht nicht flunkern dürfen, aber was bist du bitte für eine unfähige Lehrerin, dass du mit so etwas nicht umzugehen weißt und im Unterricht nicht über dieser Sache stehen kannst?! Einen Schulplatz, den du mir verschaffst, will ich nicht! Und jetzt verschwinde bloß von hier!“

Zum Ende hin war die wütende Stimme der Schülerin immer lauter geworden. Yu war wieder zurück in die Wohnung getreten und schlug verärgert die Tür zu.

Bei dem Knall der zuschlagenden Tür, zuckte Nemuri unwillkürlich, dann starrte sie die nun verschlossene Wohnungstür an.

„Wie kann man nur so dumm sein?! Glaubst du, dass du besonders erwachsen wirkst, wenn du ein gut gemeintes Gespräch so beendest?!“, rief sie verärgert, doch die Tür öffnete sich nicht erneut.

„Yu? Was ist los? Wer ist da an der Tür?“, konnte die Lehrerin eine Frauenstimme im Inneren der Wohnung fragen hören.

„Ach, niemand, Mom! Nur so eine komische Frau, die Tiefkühlgemüse verkaufen wollte. Ich hab sie weggeschickt.“

Tiefkühlgemüse? Nemuri glaubte nicht recht zu hören. //Dummes Gör, ich hab nur versucht nett zu sein und dir eine Alternative zur UA zu bieten.//, kommentierte sie in Gedanken.
 

Das das Gespräch so verlaufen könnte, hatte sie wirklich nicht gedacht. Zwar hatte sie durchaus bereits mitbekommen, dass Yu sehr temperamentvoll war, doch das ihr Ärger sich so schnell gegen sie richten könnte, damit hatte sie nicht gerechnet.

Nemuri zögerte. Das war nicht so gelaufen wie geplant. Und jetzt? Ihr Blick fiel auf die Unterlagen, die sie noch in der Hand hielt. Sollte sie die Mappe wieder mitnehmen? Nein, am besten sie ließ die Unterlagen auf der Fußmatte liegen. Es konnte immerhin gut sein, dass Yu noch einmal über ihr Angebot nachdenken und die Chance ergreifen würde, wenn sie sich wieder beruhigt hatte. Solche Temperamentsausbrüche waren bei Teenies immerhin nicht weiter ungewöhnlich. Und auch, wenn sie die Blondine anders kennengelernt hatte, sie durfte nicht vergessen, dass Yu trotz allem nur ein 15jähriges Mädchen war. Eine Jugendliche, die nach diesem Gespräch und den verletzten Gefühlen eventuell eine Weile brauchen würde, bis sie sich in so weit wieder beruhigt hatte, als das sie noch einmal ganz logisch über den Platz an der Shiketsu Oberschule nachdenken würde.

Kopfschüttelnd drehte die Lehrerin bei und machte sich auf den Weg zurück zum Aufzug. Noch länger vor der geschlossenen Tür zu stehen, würde keinen Sinn machen, zumal sie nun wirklich nicht die Person war, die wie ein verlassener Hund an Ort und Stelle sitzen bleiben und abwarten würde. Auch Nemuri hatte ihren Stolz.

Während sie mit dem Aufzug wieder zurück ins Erdgeschoss fuhr, um das Gebäude zu verlassen, dachte sie über das Gespräch nach. Yu war so wütend gewesen. War es wirklich ihre beste Idee gewesen, vor einer so impulsiven Person indirekt zuzugeben, warum die UA sie abgelehnt hatte?

Würde die Kleine nun am Ende noch aus Wut und verletzten Gefühlen über die notwendige Zurückweisung, dem Date und dieser Geschichte an die Öffentlichkeit gehen? Hoffentlich nicht.

Doch ob all das noch unschön werden würde oder nicht, darauf hatte sie aktuell kaum noch Einfluss. Ob es ihr gefiel oder nicht, sie würde abwarten müssen.
 

~
 

So zogen die Jahre ins Land. Glücklicherweise wuchs Gras über das Date, welches so nie hätte stattfinden sollen. Obwohl sie bei ihrem letzten Gespräch an der Haustür so verärgert reagiert hatte, hatte Yu nie einen Versuch unternommen, der Lehrerin zu schaden. Um ehrlich zu sein, hatte Nemuri nach diesem Tag nie wieder etwas von der kleinen Blondine gehört.

Ganze acht Jahre war der Vorfall inzwischen her und die Dunkelhaarige zerbrach sich nicht mehr wirklich den Kopf darüber. Sie lebte ihr Leben. Bekannte kamen und gingen, die Beliebtheit der UA stieg von Jahr zu Jahr und ihre Erfahrung als Lehrerin wuchs. Inzwischen hatte sie Routine in ihrem Beruf und hatte mehr als nur eine Klasse bis zum Abschluss unterrichtet.

Mit einer Tasse Kaffee in der Hand, lief die junge Frau von der Teeküche im Lehrerwohnheim geradewegs in den Aufenthaltsraum, wo sie Kurs aufs Sofa nahm.

„Mach dich noch etwas breiter, dann findet niemand mehr einen Sitzplatz.“, tadelte sie Mic amüsiert, welcher aktuell auf dem Sofa lag und gelangweilt von einem Fernsehsender zum nächsten zappte.

Ihr Kollege streckte sich träge, ehe er sich wieder aufsetzte und ein Stück rückte, sodass auch Midnight einen Platz auf dem Sofa fand.

„Heute ist einfach nichts los. Vlad und Eraser sind mit ihren Klassen auf Klassenfahrt, auf mich wartet noch ein gutes Dutzend Englischklausuren, die korrigiert werden müssen und im Fernsehen kommt auch nichts Gescheites.“, murrte Mic vor sich hin. Ihn einmal nicht aufgekratzt und munter zu erleben, war schon fast eine Seltenheit.

„Mal ein paar Stunden frei zu haben, ist doch auch nichts schlechtes. Moderierst du nicht heute Abend schon wieder im Radio?“

Angesprochener nickte. „That's right! Aber bis dahin ist es noch ein Weilchen.“

Nemuri zuckte mit den Schultern. „Wenn dir langweilig ist, dann fang doch schon mal damit an die Klausuren zu kontrollieren. Dadurch, dass du sie aufschiebst, erledigt sich die Aufgabe immerhin auch nicht.“

Der Blonde zog ein Gesicht. „Das aufzuschieben hat System. Ich habe noch nie eine Klasse erlebt, die so schlecht in Englisch ist, wie die aktuelle 2-A.“

„Hey! Mach meine Klasse nicht schlecht!“, protestierte die junge Frau sogleich. Über ihre Schüler hörte sie nur ungern Negatives.

Mic, der nicht darüber nachgedacht hatte, womöglich in ein Fettnäpfchen zu treten, hob entwaffnend die Hände ein Stück weit und grinste schief.

Gerade wollte Nemuri noch etwas sagen, da zog der Fernseher ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Sie stellte ihre Kaffeetasse auf dem Wohnzimmertisch ab und deutete in Richtung Fernseher.

„Stell das mal lauter.“, verlangte sie.

„Eh?“, fragend sah Mic sie an, griff dann jedoch nach der Fernbedienung, stellte die Lautstärke nach der Aufforderung vielleicht etwas zu laut und blickte nun selbst zum Fernseher. Gerade liefen die Nachrichten.

»Eine junge Heldin feierte heute ihr Debüt und katapultierte sich praktisch von 0 auf 100 in die Herzen der Fans «, trug die Nachrichtensprecherin vor.

Das Bild wechselte vom Nachrichtenstudio zum aktuellen Beitrag. Zu sehen war Kamui Woods, welcher dabei war einen Schurken zu bekämpfen. Die Arme des Profihelden hatten die Form von verschlungenen Ästen angenommen. Gleich würde er den zu groß geratenen Schurken, welcher eine Bank ausgeraubt hatte, mit Sicherheit angreifen und fixieren, bis die Polizei eintraf.

In dem Augenblick, als der Profiheld zuschlagen wollte, um den Kampf für sich zu entscheiden, rauschte jedoch eine weitere Person ins Bild. Noch ehe Kamui seinen Angriff ausführen konnte, hatte die junge Frau dem Schurken im Sprung einen Tritt versetzt, welcher ihn praktisch sofort auf die Bretter schickte. Kein Wunder, immerhin war die Blondine, die Kamui da gerade den Auftritt ruiniert hatte, wahrlich riesig.

Selbst so hoch wie ein Haus, beugte die junge Frau sich für einen Moment zu dem Schurken runter und überprüfte, ob von diesem noch eine Gefahr ausging, doch den Gegner hatte sie ins Reich der Träume geschickt. Sie stellte sich wieder aufrecht hin und posierte für die Kameras und Schaulustigen, wobei die Heldin so schamlos war, sich ein Stück weit vorzubeugen, sodass ihr Hintern es heute zweifelsohne auf die Titelseite der Zeitungen und auch in die Nachrichten schaffen würde. Das hautenge, halb lilafarbene, halb hautfarbene Heldenkostüm machte es nicht gerade leichter, den Blick abzuwenden.

Die Blondine schien die Aufmerksamkeit der Medien und der Zivilisten mehr als zu genießen.

Gut gelaunt lächelte sie in die Kameras. Auf die Frage nach ihrem Namen, antwortete sie ohne zu zögern: „Mein Name ist Mt. Lady und heute feiere ich mein Debüt.“

Das Video wechselte und zeigte noch einmal die junge Heldin in ihrer nun wieder normalen Gestalt, welche glücklich in die Kameras winkte, als sie den Schurken schließlich der Polizei übergab. Die Zivilisten jubelten ihr zu, während Kamui Woods ein wenig bedröppelt neben seiner Heldenkollegin stand, welche ihm ganz dreist den Auftritt gestohlen hatte.

„Sieh mal einer an, ein neues Gesicht in der Stadt.“, kommentierte Mic den Beitrag. „Ich habe so das Gefühl, dass sie schnell große Beliebtheit erlangen dürfte. Woran das liegen könnte, war wohl kaum zu übersehen.“, grinste er schief.

Nemuri, die den Beitrag ebenfalls aufmerksam verfolgt hatte, war als erste Reaktion der Kiefer heruntergeklappt. Nicht, weil ausgerechnet sie mit dem gewagten Heldenkostüm der jungen Frau nicht klar käme, sondern weil sie die Heldin sofort erkannt hatte.

Die ganzen letzten Jahre hatte sie nicht mehr wirklich über Takeyama nachgedacht, nun war die Blondine plötzlich wie aus dem Nichts in den Medien aufgetaucht und das ganz offensichtlich als Profiheldin.

„Hey, Kayama? Alles gut bei dir?“, sprach ihr Kollege sie an und knuffte ihr gegen den Arm, um sie aus den Gedanken zu reißen.

Nemuri blinzelte und blickte schließlich zu Mic. „Diese Mt. Lady, erinnerst du dich noch an sie?“, wollte sie von dem anderen Lehrer wissen.

Mic dachte einen Moment lang über die Frage nach, dann hellte sich seine Mimik auf. „Of course! Das ist doch die Kleine, die du damals abgelehnt hast, oder nicht?“

„Arg! Kein Grund mir ins Ohr zu schreien...!“, beschwerte Midnight sich und rückte sicherheitshalber ein Stück weit von dem Lehrer mit der lauten Stimme ab.

Sie griff nach ihrer Tasse und trank einen Schluck Kaffee. „Aber ja, das ist sie. Die Heldenmaske verfremdet ihr Gesicht etwas, aber ich meine, sie hat sich kaum verändert.“

„Na komm, jeder sieht im Heldenkostüm ein wenig anders aus, als zivil.“, steuerte Mic bei. „Ich frage mich, an welcher Schule sie wohl ihre Lizenz erworben hat.“

Nemuri zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Wenn ich mich nicht ganz irre, sind inzwischen fast 8 Jahre vergangen. Es wundert mich, dass sie heute erst ihr Debüt feiert.“

Takeyama nach all den Jahren so plötzlich im Fernsehen wiederzusehen, hatte die Lehrerin wirklich überrascht. Die Blondine wirkte insgesamt etwas älter als damals, aber alles in allem immer noch sehr jugendlich. Ihr Kostüm war gewagt und der Auftritt, den sie da hingelegt hatte, einem Helden in den Top 10 einfach so die Show zu stehlen,... ja, das passte irgendwie zu Yu.

Nemuri schmunzelte. So überraschend, wie der Auftritt der Jüngeren gerade auch gewesen war, sie konnte nicht leugnen sich dennoch für sie zu freuen, dass es mit ihrem Berufswunsch doch noch geklappt hatte. Auch nach dem eher unschönen letzten Treffen an der Haustür, gönnte sie es der jungen Frau doch, dass sie ihren Traum hatte wahrmachen können.

Mt. Lady also, das war ihr Heldenname. Ziemlich passend, wenn man bedachte, wie groß die sonst eher kleine Frau von einer Sekunde zur anderen dank dem Einsatz ihrer Quirk werden konnte.

Was sie die letzten Jahre wohl so alles angestellt hatte? Vielleicht irgendwo in einer anderen Stadt als Sidekick gearbeitet? Zumindest vermutete Midnight das. Niemand machte sich immerhin so urplötzlich und vor allen Dingen direkt als Profiheld selbständig und startete seine Karriere wie aus dem Nichts. Zumindest ging Nemuri davon aus, dass auch Yu das nicht getan hatte.

Dann war mit ihrem Debüt vermutlich gemeint, dass sie nun den Schritt in die Selbständigkeit gewagt hatte und nicht länger als Sidekick arbeitete?

Auch wenn sie 8 Jahre lang keinen Kontakt mehr gehabt hatten und die Gefühle, welche sich damals zu entwickeln begonnen hatten, nach all der Zeit verklungen waren, die Kleine hatte mit diesem doch sehr gewagten Auftritt eindeutig ihr Interesse geweckt. Sie würde die Heldin vielleicht später einmal Googlen und die Nachrichten zu ihr in nächster Zeit verfolgen.

Draußen im Hof klirrte irgendetwas. Kurze Zeit später konnte man Schüler hören, welche sich lauthals stritten.

Midnight und Mic wechselten einen genervten Blick. „Ernsthaft?“, murrte die Lehrerin. „Sag mir jetzt nicht, dass das wieder die Oberstufe ist, die nichts besseres zu tun hat, als sich auf dem Schulhof die Zähne einzuschlagen.“

„Da hilft nur nachsehen, würde ich sagen.“, beschloss Mic.

„Beeilen wir uns besser!“ Die Dunkelhaarige ließ ihren Kaffee stehen und stand eilig vom Sofa auf.

„Yeah!“, stimmte Mic lautstark zu und folgte seiner Kollegin in Richtung Tür.

Drei Wochen zogen ins Land. Es war später Vormittag, als Nemuri in den Flur Richtung Lehrerzimmer bog. Sie trug einen ganzen Stapel Klausuren unter dem Arm, welche ihre Klasse soeben in der letzten Doppelstunde geschrieben hatte. Na hoffentlich hatten ihre Schüler ausreichend gelernt, sodass die Noten nicht all zu schlecht ausfallen würden. Einerseits wäre ihr das lieber, da gute Klausuren schneller zu korrigieren waren, andererseits gönnte die Lehrerin ihren Schülern gute Noten und Erfolg zweifelsohne auch. Vielleicht würde sie schon heute nach Unterrichtsschluss mit der Korrektur beginnen. Zumindest dachte sie darüber nach dies zu tun, sollte ihr sonst nichts dazwischenkommen.

Um diese Uhrzeit war im Schulgebäude angenehm wenig los. Die meisten Schüler hatten sich inzwischen auf den Weg zur Cafeteria gemacht, um sich ein Mittagessen zu gönnen und die Pause zu nutzen, um mit Klassenkameraden zu plaudern, ehe die Mittagspause beendet wäre und der heutige Unterricht fortgesetzt werden würde.

Für Nemuri stand in den kommenden zwei Schulstunden auf dem Plan, ihre eigene Klasse in Kunstgeschichte zu unterrichten, ein Fach, welches ihr selbst und auch den Schülern meist Freude bereitete. Doch vor dem nächsten Unterricht, wollte auch sie ihre Pause genießen und rasch etwas essen, nachdem sie die Klausuren ins Lehrerzimmer gebracht hätte.

Vielleicht ließen sich einige Kollegen auch zu einer gemeinsamen Mittagspause rekrutieren. Nicht nur die Schüler unterhielten sich in ihrer Freizeit gern.

Als Midnight die Tür zum Lehrerzimmer öffnete und den Raum betrat, entdeckte sie Ektoplasma, welcher an seinem Schreibtisch saß und durch den Finanzteil der Tageszeitung blätterte. Eraser Head lungerte in seinem Schlafsack auf dem Boden herum und befand sich im Halbschlaf, während Nr. 13 am Fenster stand und interessiert in einer Zeitschrift blätterte. Mic stand hinter der jungen Lehrerin und überflog den Artikel ebenfalls. Seine Mimik spiegelte Überraschung und einen gewissen Unglauben wieder.

„Hallo zusammen!“, grüßte Nemuri in die Runde, ehe sie die Klausuren auf ihrem eigenen Schreibtisch ablud und sich dann zu Thirteen und Mic gesellte. Was auch immer die beiden da gerade für eine Zeitschrift ansahen, der Artikel schien interessant zu sein, wenn man ihren Mienen Glauben schenken konnte. Dies wiederum machte auch die Lehrerin neugierig.

„Was lest ihr beiden da? Ihr starrt die Zeitschrift ja an wie ein Weltwunder.“ Die Dunkelhaarige stieg über den am Boden dösenden Eraser hinweg und blieb schließlich neben ihren beiden Kollegen stehen.

„Hallo Midnight.“, begrüßte Thirteen die Ältere freundlich, wirkte seltsamerweise aber auch etwas nervös. „Ach, eigentlich nichts besonderes. Wir blättern bloß ein wenig durch die Artikel.“

Die Heldin im Astronautenkostüm klappte die Zeitung etwas mehr zu.

„Genau, gar nichts besonderes. Vollkommen uninteressant.“, stimmte ihr blonder Kollege praktisch sofort zu, doch auch seiner Stimme war anzuhören, dass irgendetwas mit dem zuletzt gelesenen Artikel sein musste.

„Klar, was auch sonst?“, kam es ironisch von Midnight. „So sehr wie ihr euch bemüht den Artikel als nichts besonderes abzustempeln, aber gleichzeitig so seltsam nervös klingt, stimmt hier doch irgendetwas nicht.“ Noch ehe ihre Kollegin reagieren konnte, hatte Nemuri ihr die Zeitung abgenommen.

„Les es nicht.“, kam es wenig motiviert und monoton von Eraser, von dem sie eigentlich gedacht hatte, dass er lediglich vor sich hindösen würde.

Das Verhalten der anderen Lehrer war wirklich suspekt und trug nicht gerade zu ihrer Glaubwürdigkeit bei. Der Artikel in der Zeitschrift wiederum, wurde dadurch nur noch spannender.

Nemuri ignorierte, was ihre Kollegen zuvor gesagt hatten, drehte sich mit der Zeitschrift etwas weg, damit niemand ihr diese so schnell wieder abnehmen konnte, und begann damit den Artikel, um den es gehen musste, zu überfliegen.

Sie blinzelte. Ein Interview mit Mt. Lady. Aber was sollte denn bitte mit dem Artikel sein, dass die anderen Lehrer versucht hatten, sie davon abzuhalten, das Interview zu lesen? Das Verhalten ihrer Kollegen ergab keinen Sinn.

Midnight begann damit das Interview zu überfliegen, während es im Lehrerzimmer seltsam still geworden war. Alle Anwesenden schienen die Luft anzuhalten.

»Ein exklusives Interview mit Mt. Lady. Lesen Sie hier, was Sie schon immer über die junge Profiheldin wissen wollten.«, lautete der Titel des Interviews.

Neben dem Artikel befand sich ein Foto der jungen Blondine, welche gut gelaunt und motiviert in die Kamera lächelte. Wieder fand Nemuri, dass die Heldenmaske der Jüngeren ihre Gesichtszüge etwas verfremdete, doch gleichzeitig gab das Heldenkostüm ihr auch etwas Offizielles.

»Sie haben nun vor ein paar Wochen Ihre eigene Agentur in der Stadt eröffnet. Haben Sie sich inzwischen gut eingelebt?«, lautete die erste Frage des Interviews.

»Aber ja, das habe ich. Diese Stadt ist immerhin meine Heimat. Hinzu kommt, dass die anderen Profihelden hier wirklich nett sind und meine Fans mich gleich von Anfang an so lieb unterstützt haben. An dieser Stelle: vielen Dank dafür! Ihr seid einfach die Besten!«

»Das ist schön zu hören. Sie sind noch sehr jung und haben sich direkt selbständig gemacht, ohne zuvor in einer anderen Agentur als Sidekick gearbeitet zu haben. Bringt die Selbständigkeit nicht manchmal auch Komplikationen mit sich?«, lautete die nächste Frage.

Überrascht zog Nemuri eine Augenbraue hoch. Sie war davon ausgegangen, dass Yu in einer anderen Stadt mit Sicherheit zuvor als Sidekick gearbeitet hatte, doch das war scheinbar nicht der Fall. Wer um alles in der Welt machte sich denn direkt selbständig, ohne zuvor wenigstens ein paar Jahre lang Erfahrung gesammelt zu haben?

»Im Großen und Ganzen ist es recht unproblematisch eine eigene Agentur zu führen. Das war immerhin auch schon seit Ewigkeiten mein Traum. Und wenn ich doch mal nicht weiter weiß, speziell was das Organisatorische betrifft, kann ich mich an Kamui Woods wenden. Er war so nett und hat mir angeboten, das ich ihn im Notfall fragen kann. Er ist immerhin schon seit einigen Jahren Profiheld und hat entsprechende Erfahrung sammeln können.«

»Sie haben also seit Ihrem Debüt Kontakt zu ihm?«, hakte der Interviewer noch einmal nach.

»Ja, genau so ist es.«, bestätigte Mt. Lady.

»Dann ist an den Gerüchten also etwas Wahres dran? Das Kamui und Sie ein Paar sind?«

»Kein Kommentar.«, wich die Blondine aus.

Erneut zog Midnight interessiert eine Augenbraue hoch. Anstatt eine klare Antwort zu geben, wich Yu der Frage aus. Tat sie das, weil sie ganz einfach nicht antworten WOLLTE, auch um ihr Privatleben zu schützen, oder aber beantwortete sie die Frage nicht so direkt, um die Neugier der Medien und der Stadtbewohner nur noch zusätzlich anzufachen? Das sie die Aufmerksamkeit der Menge genoss wie keine Andere, hatte die junge Heldin in den vergangenen Wochen bereits mehr als einmal gezeigt.

Und was war mit Kamui Woods? Die Kleine hatte ihm neulich den Auftritt gestohlen und trotz allem hatten sie nun scheinbar regelmäßig Kontakt und er hatte ihr sogar seine Hilfe angeboten, sollte die eigene Agentur die junge Heldin gerade anfangs doch etwas überfordern. Wirklich interessant. Vielleicht war an den Gerüchten also wirklich etwas dran?

»Aber genug davon, etwas ganz anderes dürfte unsere Leser ebenfalls interessieren: jeder hat irgendeinen Lieblingshelden, zu dem er aufsieht. Ist es wahr, das Midnight so etwas wie Ihr großes Vorbild ist?«

»Midnight? Oh, nein, nein, das stimmt so nicht ganz. Es stimmt schon, dass sie sich einen gewissen (zweifelhaften) Ruf aufgebaut hat, aber sie ist nie über den Rang eines Sidekicks hinausgekommen und die Blüte ihrer Jugend hat sie inzwischen auch bereits hinter sich gelassen. Vielleicht trete ich als junge Heldin gewissermaßen in ihre Fußstapfen, aber ich löse sie viel mehr ab und werde meinen ganz eigenen Weg gehen. Wenn wir von Vorbildern sprechen, dann würde ich eher Hawks als ein Vorbild bezeichnen. Er ist auch noch so jung und bereits seit einer ganzen Weile selbständig. Außerdem schätze ich auch Edge Shot und Kamui Woods als erfahrene Profihelden sehr...«

Der Griff um die Zeitung verstärkte sich und zerknickte das Papier. Nemuri glaubte sich verlesen zu haben. Bitte was?!

„Dieses dumme Gör nennt mich allen Ernstes ALT?!“, blaffte sie verärgert. Die anwesenden Kollegen zuckten kurz zusammen und tauschten Blicke aus.

„Genau aus dem Grund solltest du den Artikel nicht lesen.“, murrte Aizawa vom Boden aus, ehe er die Augen wieder schloss und versuchte weiterzuschlafen.

„Du bist nicht alt, das weißt du genau und alle anderen wissen es auch.“, versuchte Mic seine Kollegin zu beruhigen, wusste er doch, wie empfindlich sie darauf reagierte, als alt bezeichnet zu werden. 30 zu werden hatte Nemuri zu schaffen gemacht, als aus der 30 eine 31 geworden war, war sie darüber auch nicht unbedingt erfreut gewesen.

„Mt. Lady ist da ein wenig übers Ziel hinausgeschossen.“, versuchte auch Nr. 13 zu beschwichtigen. „Vielleicht hat sie es gar nicht so gemeint, oder aber sie hat es nie so gesagt und die Presse hat ihr die Aussage in den Mund gelegt. Was in die Zeitung gedruckt wird, darauf hat Mt. Lady letztlich immerhin keinen Einfluss.“

Einerseits hoffte Nemuri, dass an der Überlegung ihrer Kollegin wirklich etwas Wahres dran war, andererseits änderte das nichts daran, dass sie in diesem Artikel nicht gerade gut weggekommen war.

Dann musste sie wieder an die Vergangenheit denken. Das letzte Treffen mit Yu vor deren Tür und wie sie damals reagiert hatte. Sollte die Blondine immer noch etwas gegen sie haben, würde sie das nicht wundern und äußerst temperamentvoll und direkt war die Kleine auch damals schon gewesen.

Im Fragebogen der UA, hatte Yu Midnight zwar noch als ihr Vorbild bezeichnet, aber das hatte sich ganz eindeutig geändert. Woran das lag, konnte die Dunkelhaarige sich ziemlich genau denken. Und wenn die Blondine weiterhin nicht gut auf sie zu sprechen war, dann traute sie ihr so eine Aussage in einem Interview durchaus zu.

Dieser verdammte Grünschnabel! Nemuri war so verärgert, nachdem sie den Artikel gelesen hatte, dass sie nicht übel Lust hatte, die Blondine am Kragen zu packen und zu schütteln.
 

Erneut vergingen zwei Wochen. Normalerweise arbeitete die junge Frau inzwischen seit Jahren als Lehrerin, dennoch konnte es vorkommen, von Fernsehsendern eingeladen zu werden.

Am heutigen Abend stand einer dieser Fernsehauftritte bevor, bloß dass das heutige Live-Interview sich von den Interviews unterscheiden würde, die sie bisher gegeben hatte.

Die Dunkelhaarige saß bereits im Fernsehstudio hinter einem Tisch und konnte die Angestellten dabei beobachten, wie letzte Vorbereitungen getroffen wurden. Die Position einiger Kameras und Lampen wurde noch verändert, während Personal des Fernsehsenders geschäftig durch das Studio flitzte.

Nemuri war nicht wirklich aufgeregt, denn sie war nicht zum ersten Mal als Gast in einem Fernsehstudio, dennoch würde der heutige Abend sich von bisherigen Interviews unterscheiden und sie wusste auch schon ganz genau woran das lag.

Die Tür des Studios wurde geöffnet und herein kam ein weiterer Angestellter des Studios, den Grund für die Annahme, dass es heute stressig werden könnte, im Schlepptau.

„Vielen Dank für das Autogramm!“, redete der Mitarbeiter gerade enthusiastisch auf die Person ein, welcher er nun einen Sitzplatz zuwies. Er deutete dabei auf den Platz genau neben der Lehrerin. „Setzen Sie sich doch bitte. Wir gehen dann bald auf Sendung.“

„Keine Ursache, das hab ich doch gern gemacht.“, plauderte der andere Gast des heutigen Abends munter mit dem Angestellten und blieb schließlich genau neben ihr stehen.

„Kann ich vielleicht noch etwas zu trinken bekommen?“, bat die Blondine.

„Natürlich. Ich bringe gleich noch Wasser vorbei.“, versicherte der Mitarbeiter. „Für Sie natürlich auch, Midnight. Entschuldigen Sie, dass hier nicht schon längst Getränke stehen, aber ich fürchte, hier geht es heute etwas drunter und drüber.“

Die Lehrerin winkte ab. „Halb so wild. Innerhalb von 5 Minuten ist außerdem noch nie jemand verdurstet.“

Der Angestellte lief eiligst los, um sich um die Getränke zu kümmern, während Yu noch vor dem ihr zugewiesenen Platz stehen blieb und die andere Heldin musterte.

Auch Nemuri ignorierte die Mitarbeiter des Studios, welche noch mit der Organisation der Sendung beschäftigt waren vorerst und blickte hoch zu der Profiheldin. Blaue und rötliche Augen trafen sich. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie.

8 Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen und nun stand die Blondine wieder vor ihr. Aus der Jugendlichen von damals war eine junge Erwachsene geworden. Gesichtszüge und Frisur hatten sich kaum verändert, allerdings unterstrichen die Dominomaske und das Heldenkostüm der Jüngeren, dass sie inzwischen keine Schülerin mehr war, sondern erfolgreich ihren eigenen Weg eingeschlagen hatte. Ein seltsames Gefühl Yu nach all den Jahren so plötzlich wiederzusehen.

Obwohl Takeyama sich insgesamt kaum verändert hatte, so bemerkte Nemuri eine Änderung dennoch sofort. Damals, als sie mit der Blondine ausgegangen war und sie noch für eine junge Studentin gehalten hatte, hatten deren rötliche Augen ihr warm und freundlich entgegengesehen. Die Kleine hatte zu ihr aufgesehen. An der ungewöhnlichen Augenfarbe der jungen Frau hatte sich nichts geändert, dafür jedoch an ihrem Blick. Kühl und arrogant blickte Yu auf sie herab.
 

„So sieht man sich also wieder.“, begrüßte die Jüngere sie, ehe sie neben ihr Platz nahm.

Unerwartet begannen Nemuris Emotionen Ping-Pong zu spielen, obwohl sie sich so lange nicht mehr gesehen hatten und sie lange Jahre noch nicht einmal mehr einen Gedanken an die damalige Jugendliche verschwendet hatte.

Sie hatte die Karriere der Profiheldin nach deren Debüt interessiert verfolgt und sich wirklich für sie gefreut. Ja, sie hatte sogar gehofft, ihr noch einmal zu begegnen, um vielleicht ein paar friedlichere Worte wechseln zu können, als bei ihrer letzten Begegnung, dann jedoch hatte sie neulich das Interview in der Zeitschrift gelesen und hätte der Kleinen am liebsten den Hals für diese Dreistigkeit umgedreht.

Nun, wo sie sich wieder gegenüberstanden und musterten, war die Arroganz in Yus Blick nicht zu übersehen. Auch wenn sie sich äußerlich nicht sehr stark verändert hatte, charakterlich schien sie dafür sehr wohl einen Wandel durchgemacht zu haben. Nicht unbedingt zum Positiven, wagte Nemuri zu behaupten.

„Sieh an wer Karriere gemacht hat. Ein ungewohnter Anblick, dich in einem Heldenkostüm zu sehen.“, begrüßte nun wiederum Nemuri die Jüngere, wobei auch ihre Stimme nicht gerade wie die Freundlichkeit in Person klang.

„Ich hatte nicht vor mir Steine in den Weg legen zu lassen. Von niemandem.“, kam es kühl von der Jüngeren.

„Niemand hatte vor deiner Karriere im Weg zu stehen. Das solltest du eigentlich wissen.“

„Was das betrifft, ist dein Erinnerungsvermögen wohl getrübt.“

Warnend funkelte Midnight die Profiheldin an, beschloss ihren Ärger jedoch noch einmal herunter zu schlucken. Des lieben Friedens Willen. Vielleicht auch, weil das Fernsehteam in unmittelbarer Nähe war und natürlich auch, weil sie tief in ihrem Inneren nach wie vor der Meinung war, dass sie das Problem damals anders und vor allen Dingen professioneller hätte lösen sollen.

„Du hast dich kaum verändert. Täusche ich mich, oder bist du in den letzten Jahren fast nicht mehr gewachsen?“ Einerseits stichelte Nemuri nun doch selbst etwas, andererseits hatte sie das problematischste Thema gewechselt.

Kurz zuckte Yus Mimik missfallend. „1,62m sind vielleicht nicht die Welt, aber dafür habe ich ja meine Quirk.“ Sie musterte die Lehrerin nun genauer, kaum das sie neben ihr saß. „Dir sieht man die vergangenen Jahre dafür ziemlich deutlich an. Du Ärmste. Die Schüler zu unterrichten muss stressig sein.“, stellte die Blondine fest und klang mitleidig, ihr Blick war jedoch unverkennbar provokant.

Midnight glaubte sich verhört zu haben. Hatte dieses kleine Biest sie eben etwa schon wieder als alt bezeichnet?! So eine Unverschämtheit!

„Ich hör ja wohl nicht recht! Wen nennst du hier alt?!“, blaffte sie Yu an.

Unbeeindruckt blinzelte diese ihr entgegen. „Du hörst nicht recht? Dabei habe ich doch gar nicht so leise gesprochen. Aber keine Sorge, heutzutage gibt es auch Hörgeräte, die man gar nicht mehr sieht.“

Diese...diese verdammte, kleine...! Die Lehrerin stemmte die Hände auf den Tisch und sprang auf.

„Ich geb dir gleich Hörgeräte! Bei dir hackt's wohl!“, fuhr sie die junge Frau an.

Ihr Aufbrausen zog die Aufmerksamkeit der Fernsehmitarbeiter auf sich. Bis eben hatten die beiden Frauen in Zimmerlautstärke einige Worte gewechselt und waren nicht weiter beachtet worden, da alle hier beschäftigt waren, als Nemuri nun jedoch die Stimme erhob, wanderten schlagartig alle Blicke zu den beiden Heldinnen.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte einer der Mitarbeiter fragend wissen.

Nemuri und Yu warfen sich giftige Blicke zu, trafen jedoch die stille Übereinkunft hier im Studio erstmal kein großes Drama zu veranstalten.

„Alles bestens.“, murrten die beiden Frauen wie aus einem Mund.

Missfallend nahm Midnight wieder Platz, zwang sich zur Ruhe und musterte Yu aus dem Augenwinkel.

Die Andere war als Jugendliche einfach nur unglaublich süß gewesen, nun, als junge Erwachsene und in ihrem hautengen Heldenkostüm, sah die Blondine unverschämt gut aus, das ließ sich nicht abstreiten. Und sie mochte ihr Parfum, das konnte sie ebenfalls sagen. Leider nur hatte Takeyama sich charakterlich scheinbar stark verändert.

Aus dem schon damals sehr selbstbewussten, aber gleichzeitig auch anschmiegsamen und liebevollen Teenie war eine junge Frau geworden, die zwar ohne jeden Zweifel wirklich heiß war, aber leider gleichzeitig auch so unverschämt, dreist und arrogant, wie kaum eine Andere.

Und sie liebte die Aufmerksam der Medien und ihrer Fans, das war ebenfalls unstrittig. Seit ihrem Debüt schaffte diese kleine Tussi es praktisch täglich in die Zeitung, oder aber in die Nachrichten. Interviews und Fotos fanden sich in fast jeder Zeitschrift. Die Blondine liebte die Medien, und scheinbar liebten die Medien sie. Kein Wunder. Welcher normaldenkende Profiheld schenkte den Kameras denn bitte so viel Zeit und Aufmerksamkeit? Hatte dieser Grünschnabel denn sonst nichts zu tun?!

Nachdem die Getränke verteilt und alle auf ihren Plätzen waren, konnte das Interview schließlich beginnen.

„Willkommen bei Hero-TV! Unsere Themen heute sind der Wandel der Heldenkostüme mit der Zeit und die Frage, wie wichtig gutes Aussehen ist, um in der heutigen Zeit erfolgreiche Heldin zu sein. Und wer sollte darüber besser Bescheid wissen, als unsere Gäste des heutigen Abends.“, begann der Moderator der Sendung zu sprechen, ehe die Kamera den beiden Heldinnen zugewandt wurde.

„Liebe Zuschauer, begrüßen wir doch zuerst einmal unsere heutigen Gäste. Midnight, Sie haben sich in Ihrer Zeit als Sidekick einen Namen gemacht und waren gleichzeitig auch für Ihre Heldenkostüme bekannt. Heute unterrichten Sie in einer der besten Heldenschulen überhaupt. Und Mt. Lady, Sie haben erst kürzlich ihre eigene Agentur eröffnet, doch Fans und Medien lieben Sie bereits seit Ihrem ersten Auftritt.“

Die beiden Heldinnen nickten in Richtung Kamera und richteten einige Worte zur Begrüßung an das Publikum, welches die Sendung von Zuhause aus verfolgen würde, dann schwenkte die Kamera wieder zum Moderator der heutigen Sendung.

An der Wand hinter ihm wurde ein Bild eingeblendet, welches Midnight zu ihrer Zeit als Sidekick, in einem mehr als gewagten, luftigen Heldenkostüm zeigte.

Yu musterte das eingeblendete Bild und ihre Mundwinkel zuckten belustigt. Sie warf ihrer Sitznachbarin einen arroganten, fast schon spöttischen Blick zu.

Midnight wiederum nutzte die Tatsache, dass die Holzverkleidung des Tisches bis zum Boden reichte, um der Jüngeren als Warnung einen leichten Tritt gegen das Bein zu versetzen.

Die Blondine wiederum zögerte keine Sekunde und trat ihr zum Dank auf den Fuß. Beide Frauen warfen sich Todesblicke zu, machten jedoch gute Miene zum bösen Spiel, als die Kamera erneut umschwenkte und auf sie gerichtet wurde.

„Beginnen wir mit dem ersten Thema unserer heutigen Sendung, den Heldenkostümen. Und ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass Sie sich mit Ihren Kostümen damals einen echten Namen gemacht haben, Midnight...“, begann der Moderator.
 

Diese verdammte, eingebildete Tussi! Die Lehrerin war so wütend, dass sie der Blondine am liebsten den Hals umgedreht hätte.

Bei dem Streit vor der Sendung war es nicht geblieben, wäre ja auch zu schön gewesen. Nein, mitten während des Interviews hatte die Kleine wieder begonnen sie auf so dreiste Art und Weise zu provozieren, dass ein Wort schließlich das andere gegeben hatte. Das Publikum hatte folglich den hitzigen Streit der beiden Heldinnen live mitbekommen.

Irgendwann war Nemuri so verärgert gewesen, dass sie sämtliche guten Vorsätze vergessen und eins der hornähnlichen Enden der Dominomaske der Profiheldin gepackt hatte, um daran zu ziehen und ihren Worten etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Yu wiederum hatte das zum Anlass genommen, ihr vor laufender Kamera ein einzelnes Haar auszureißen und jeden Zuschauer wissen zu lassen, dass es sich dabei um ein Graues gehandelt hätte. Die verdammte, kleine...!

Letztlich hatte der Fernsehsender das Live-Interview mit den beiden Heldinnen abgebrochen und stattdessen behelfsmäßig einen anderen Beitrag gezeigt. Vom Sender hatte es erstmal ein riesen Donnerwetter gegeben, ehe sie das Interview nach der kurzen Unterbrechung, mehr oder weniger friedlich, mit erzwungenem Waffenstillstand, zu Ende gebracht hatten.

Trotzdem war die Lehrerin noch auf 180. Wie hatte Yu es wagen können, sie vor laufender Kamera dermaßen zu blamieren?!

Und die Gelegenheit, um sich wieder zu beruhigen, hatte sich bislang leider auch nicht ergeben.

Nach dem Fernsehauftritt hatten die beiden Heldinnen das Gebäude zur gleichen Zeit verlassen und hatten den gleichen Weg eingeschlagen. Nemuri war überzeugt davon, dass die Jüngere sie nur in der Absicht, sie weiter zu provozieren, verfolgte.

Unter anderen Umständen hätte die kühle Abendluft vielleicht gutgetan, um wieder etwas runterzukühlen, doch allein die Anwesenheit der jüngeren Heldin, ließ sie köcheln.

„Sag mal, was dackelst du mir eigentlich die ganze Zeit über hinterher?!“, drehte die Dunkelhaarige sich schließlich zu der Kleineren um und blaffte diese gereizt an.

Unbeeindruckt musterte Yu sie auf ihre provokante Art. „Hältst du dich wirklich für so wichtig? Ich verfolge dich nicht und außerdem bist du es, die die ganze Zeit über neben mir herläuft.“

„Ich bin lediglich auf dem Weg zum Parkplatz. Auf deine Anwesenheit könnte ich dabei auch gut verzichten, Quälgeist.“ Nemuri warf ihrer aktuellen Begleitung keinen all zu freundlichen Blick zu.

„Nur weil du es vielleicht gern so hättest, nehme ich bestimmt keinen Umweg. Die Bushaltestelle liegt nun mal auch in der Richtung.“, konterte Yu.

Dagegen war leider nichts einzuwenden. Nemuri wusste, dass es in der Tat eine Bushaltestelle in der Nähe des Parkplatzes, welcher sich etwa 500 Meter hinter dem Gebäude des Fernsehsenders befand, gab. Doch dieses Wissen allein reichte nicht aus, als das die Lehrerin gewillt wäre, es damit gut sein zu lassen. Nein, ganz bestimmt nicht. Bis vor kurzem hatte sie sich wirklich noch für die jüngere Heldin gefreut, das diese es geschafft hatte ihren Berufswunsch zu verwirklichen, doch seitdem Mt. Lady sie erst in dem Zeitungsartikel neulich und nun auch noch vor laufender Kamera, schlecht gemacht und alt genannt hatte, hatte sich Nemuris Einstellung gegenüber der anderen Heldin geändert. Kein Wunder, oder?

„Du nimmst den Bus?“, hakte sie nach, während sich auf ihre Lippen nun ihrerseits ein provokantes Grinsen stahl. „Hast du etwa immer noch keinen Führerschein? Mit Anfang zwanzig hatte ich mein eigenes Auto.“

Griesgrämig blickte die Blondine sie an. Hatte sie da etwa einen Nerv getroffen?

„Ich hatte andere Prioritäten.“, murrte sie vor sich hin. „Aber anders als du, habe ich inzwischen Karriere als Profiheldin gemacht. Den Führerschein kann ich jederzeit nachholen, du hingegen hast es nie über die Position eines kleinen Sidekicks gebracht und hast dich dann auch noch dazu entschieden, als Lehrerin in der Versenkung zu verschwinden. Für die Selbständigkeit hat es wohl nie gereicht, was?“

Schon wieder dieser arrogante Blick und Tonfall und die nächste Provokation.

„Bitte?! Sag das nochmal! Natürlich hätte ich mich selbständig machen können, wenn ich es gewollt hätte!“ Dank des unübersehbaren Größenunterschiedes der beiden Frauen, fiel es Nemuri leicht, ihr Gegenüber von oben herab anzusehen. „Was auch immer du in den letzten Jahren gemacht hast, dir hätte eine Zeit als Sidekick ganz eindeutig gut getan. So wie du dich den Medien an den Hals wirfst, um Aufmerksamkeit zu erlangen, ...sag mal, ist dir eigentlich nichts peinlich?“

Aus wütenden, rötlichen Augen funkelte Yu zu ihr hoch. „Die Medien lieben mich nun mal und ich bin so nett, ihnen das ein oder andere Interview oder Foto zu geben. Daran ist nichts verwerflich und schon gar nicht peinlich!“ Die junge Frau grinste sie provokant an. „Du bist doch nur eifersüchtig auf mich, weil die Medien das größere Interesse an mir haben. In deinem Alter bist du inzwischen doch so gut wie abgeschrieben.“

Die rechte Hand der Lehrerin schnellte vor und packte Yu am Kragen. „Suchst du Ärger?“, grollte sie.

„Willst du mir dro- VORSICHT!“
 

Gerade noch hatte die Blondine auf die Herausforderung eingehen wollen, als sie plötzlich vom Lichtkegel eines herannahenden Fahrzeugs erfasst wurden. Das Auto, ein silberner Geländewagen, war so plötzlich aus einer Seitenstraße geschossen, dass Fahrer und Heldinnen vollkommen überrumpelt waren.

Nemuri hatte das Gefühl, als würde die Zeit von einem Augenblick zum nächsten zähflüssig wie Honig verstreichen. Sie wirbelte zu dem Fahrzeug herum, hatte aktuell jedoch das Gefühl sich wie in Zeitlupe zu bewegen. Der Autofahrer riss überrascht die Augen auf, während der Beifahrer nicht minder erschrocken dreinblickte und dem Mann neben sich irgendetwas zuschrie. Der Fahrer riss eiligst am Lenkrad, um den Geländewagen in die Kurve zu lenken und ihn noch irgendwie an den Frauen vorbeischlittern zu lassen, doch der Abstand stimmte einfach nicht mehr.

Das Licht der Scheinwerfer blendete sie. Nemuri wollte zur Seite springen, doch ihre Schuhsohlen waren wie mit dem Asphalt verwachsen. Sie bewegte sich keinen Millimeter, während das Fahrzeug heranraste. Die Lehrerin fühlte sich wie ein Reh auf einer Landstraße. Ein Stich aus Panik und Adrenalin fuhr durch ihren Magen. Horror mischte sich bei der Erkenntnis dazu, dass sie dem in die Kurve schleudernden Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig würde ausweichen können.

All das geschah im Bruchteil einer Sekunde. Von jetzt auf gleich war ihr Zeitgefühl zurück, als sich jemand heftig gegen sie warf. Der Stoß riss sie aus ihrer Starre und sorgte dafür, dass die Geschehnisse um sie herum, sich nicht mehr anfühlten, als wäre sie in unfreiwilliger Zeitlupe gefangen.

Der Aufprall riss die Lehrerin von den Füßen. Das Fahrzeug musste sie getroffen haben...irgendwie aber auch wieder nicht. Sie hatte zumindest nicht das Gefühl, wirklich gegen das Auto geprallt zu sein.

Yu und sie wurden etwa zwei Meter weit weggeschleudert. Weit genug, um von dem schmalen Fußgängerweg abzukommen und die steile Böschung zum Flussufer herunterzurollen.

Ihre Welt drehte sich. Mal sah sie Gras, dann wieder die jüngere Profiheldin, welche mit ihr die Böschung herunterrollte.

Seltsamerweise hatte sie keine Schmerzen wegen des Zusammenpralls mit dem Auto. Dann, noch auf dem Weg nach unten, wurde Nemuri auch schlagartig klar, warum das so war. Yu hatte sich eben noch gegen sie geworfen. Die Jüngere musste den direkten Treffer für sie kassiert und sie, so gut es ging, beschützt haben, war im Anschluss gegen sie geschleudert worden und hatte sie dadurch mit sich die Böschung heruntergerissen.

Die Lehrerin bekam die Blondine, welche sie bei dem Sturz versehentlich schon mehrfach überrollt hatte, zu fassen, zog sie an sich und versuchte die Rutschpartie die Böschung herunter so gut es ging abzufangen.

Nemuri fühlte sich wie in einem Wirbel gefangen, bis sie endlich das untere Ende der Böschung erreicht hatten und nicht mehr weiter rutschten. Endlich hatte die Welt wieder aufgehört sich zu drehen. Dennoch schwirrte ihr der Kopf und ihr war noch etwas schwindelig.
 

Im Hintergrund hörte sie das leise Rauschen des Flusses. Nemuri kniff die Augen zusammen, hielt sie einen Moment lang geschlossen, ehe sie wieder blinzelte und sich orientierte.

Sie waren auf dem Grasstreifen knapp neben dem Fluss gelandet. Aufgrund fehlender Straßenbeleuchtung, lag die Böschung, welche sie gerade heruntergestürzt waren, wie ein dunkler Wall, bestehend aus Gras, Büschen und undefinierbaren Schatten, vor ihnen. Lediglich die Scheinwerfer des Fahrzeugs, welches den Unfall verursacht hatte, spendeten ein wenig Licht.

Sie spürte den warmen Körper der jüngeren Frau noch dicht an sich. Erst jetzt wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass sie die Blondine immer noch an sich gedrückt hielt. Nemuri ließ die Andere wieder los und warf ihr einen alarmierten Blick zu. „Yu! Alles in Ordnung mit dir?“

„Urg..“, die Blondine wirkte noch vollkommen neben der Spur, blinzelte aber und stützte sich auf einen Arm, um sich in eine halbwegs sitzende Position zu bringen. „Mir ist noch ganz schwindelig von dem Absturz, aber es geht soweit.“

Immerhin. Die Antwort beruhigte die Lehrerin schon mal etwas.

„Und was ist mit dir? Hast du dich verletzt?“, wollte Yu schließlich vo ihr wissen.

Gedanklich sortierte Nemuri ihre Knochen, stellte jedoch fest, dass ihr glücklicherweise nichts weh tat. Das war gerade noch einmal gutgegangen. „Nein, ich bin nicht verletzt. Mit mir ist alles in Ordnung.“

Kurz herrschte Schweigen, dann blickten die beiden Frauen gleichzeitig hoch zu der Böschung, an deren oberen Ende nun zwei Gestalten erschienen waren. Scheinbar der Fahrer des Fahrzeugs und dessen Beifahrer.

„Hey! Hey, Sie! Sind sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?! Sie hätten uns beinah überfahren!“, rief Nemuri den beiden Männern zu. Einerseits war sie noch ziemlich schockiert wegen des Unfalls, andererseits mischte sich inzwischen auch Wut über die Rücksichtslosigkeit des Fahrers zu dem Schreck. Zumindest der vorherige Streit mit der Blondine war für den Moment vollkommen vergessen.

Anstatt ihr zu antworten, tauschten die beiden Männer rasch einen Blick aus.

„Die beiden leben noch, ein Glück.“

„Das ist kein Glück mehr, wenn sie die Story erstmal der Polizei erzählt haben.“

„Schon, aber daran ist jetzt auch nichts mehr zu ändern. Wir sollten ihnen da rauf helfen.“

„Idiot! Die Tussis haben unsere Gesichter bestimmt nicht gesehen, dafür ist es hier zu dunkel!“, blaffte der Fahrer seinen Kollegen an.

„Mag sein, aber was willst du jetzt damit sagen?“

„Das wir abhauen sollten, du Intelligenzbestie!“

„Ja, aber...?“

„Los jetzt, beweg dich! Das ist die Chance einer Menge Ärger zu entgehen!“

Die Gestalt des Autofahrers verschwand vom oberen Rand der Böschung. Der Beifahrer stand noch einen Moment lang da und blickte verunsichert nach unten.

„Jetzt mach schon!“, forderte der Fahrer noch einmal nachdrücklich. Schließlich hatte er auch seinen Kumpel überzeugt sich abzuwenden. Der zweite Mann verschwand aus dem Blickfeld.

Kurze Zeit später war zu hören, wie Autotüren geschlossen wurden, dann entfernte das Fahrzeug sich auch schon zügig und ließ die beiden Heldinnen am Flussufer zurück.
 

Dadurch, dass sie jetzt noch nicht einmal mehr das Licht des Scheinwerfers hatten, war die Umgebung von jetzt auf gleich in Dunkelheit getaucht. Nemuri konnte Yus Umrisse nur noch schemenhaft erkennen. Doch die plötzliche Dunkelheit war es nicht, die sie störte. Viel mehr glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen. Diese beiden Chaoten, die den Unfall verursacht hatten, hatten nichts besseres zu tun, als ihr Heil in der Flucht zu suchen?!

„Das darf doch jetzt nicht wahr sein! Sowas ist Fahrerflucht!“, entrüstete sich neben ihr auch schon Yu.

„Diese verdammten...!“, grollte Nemuri und blickte die Böschung hoch, dorthin, wo gerade noch das Unfallfahrzeug und dessen Fahrer gestanden hatten. Nun lag die Umgebung wieder dunkel und verlassen da.

So gerne sie die Fahrer auch jetzt direkt zur Rechenschaft ziehen wollte, die Lehrerin wusste, dass sie sie so schnell nicht mehr einholen könnte. Außerdem gab es gerade wichtigeres. Die Böschung wieder heraufzuklettern, zum Beispiel.

Sie rappelte sich auf, prüfte noch einmal, ob sie sich auch wirklich schmerzfrei bewegen konnte und klopfte dann einige Grashalme von ihrem Heldenkostüm.

„Lass uns erstmal wieder die Böschung hoch. Oben angekommen, können wir immer noch die Polizei informieren.“

Die junge Profiheldin, die noch im Gras saß, blickte hoch zu ihr und nickte. „Gute Idee.“

Der Streit von eben war nach dem Unfall erstmal vergessen. Aktuell zickten die beiden Frauen sich noch nicht einmal an, zu tief saß der Schock wegen der beinahe-Katastrophe.

Gerade hatte Nemuri damit begonnen die steile Böschung wieder nach oben zu klettern, als sie nach den ersten zwei Metern einen unterdrückten Schmerzenslaut und ein dumpfes Geräusch hörte, als ihre derzeitige Begleitung wieder im Gras landete.

Sie hielt inne und wandte sich Yu zu. Die junge Frau saß im Gras und tastete vorsichtig ihren Fußknöchel ab. Nemuris Augen hatten sich inzwischen weit genug an die Dunkelheit gewöhnt, um zu erkennen, dass das Gesicht der Jüngeren schmerzverzerrt war.

„Was machst du denn? Bist du dir sicher, das alles in Ordnung ist?“, wollte sie wissen.

Obwohl sie sich eben erst noch heftig gestritten hatten, so war es jetzt viel mehr leichte Sorge, die aus ihr sprach.

Yu schwieg einige Augenblicke lang und untersuchte ihr Gelenk, ehe sie aufsah und zu der Lehrerin hochblickte. „Ich kann meinen rechten Fuß nicht belasten. Gerade, als ich noch nicht versucht habe aufzustehen, muss mein Körper noch so mit Adrenalin vollgepumpt gewesen sein, dass ich es im ersten Moment nicht bemerkt habe.“, gab sie zähneknirschend zu.

Nemuri musterte sie. Dem Tonfall und der Mimik der Blondine nach, fiel es dieser nicht gerade leicht, diese derzeitige Schwäche überhaupt erst zuzugeben.

Vorsichtig kletterte die Lehrerin das kurze Stück der Böschung, welches sie schon zurückgelegt hatte, wieder hinab. Sie gesellte sich zu der Profiheldin, kniete sich neben sie und musterte sie mit einem ernsten und gleichzeitig auch besorgten Blick.

Wäre Yu einfach nur grundlos mit dem Fuß umgeknickt, hätte sie sie vielleicht ungeschickt genannt und sie ein wenig geärgert, ehe sie ihr geholfen hätte, aber das war nicht der Fall. Die junge Frau war gerade von einem Auto angefahren worden. Höchst wahrscheinlich war sie nur in dem Ausmaß erwischt worden, weil sie sich gegen Nemuri geworfen hatte, in dem Versuch sie zu retten, anstatt selbst die Beine in die Hand zu nehmen und sich in Sicherheit zu bringen.

Das schlechte Gewissen begann an ihr zu nagen. Wäre sie gerade nicht vor Schreck erstarrt, wäre das hier vielleicht nicht passiert. Und trotz des vorherigen Streits hatte Yu keine Sekunde lang gezögert, um sich schützend vor sie zu werfen. Scheinbar hatte die Zeit allerdings nicht mehr gereicht, als das sie dazu gekommen war ihre Quirk noch zu aktivieren, denn dann hätte das Auto wohl kaum Schaden angerichtet.

„Meinst du, du hast dir den Fuß nur verstaucht, oder könnte er gebrochen sein?“, erkundigte die Ältere sich.

Angesprochene schüttelte ratlos den Kopf. „Woher soll ich das wissen? Ich kann dir nur sagen, dass ich nicht auftreten kann und das es weh tut.“

Vorsichtig wollte nun auch die Lehrerin den Knöchel abtasten, doch bei der kleinsten Berührung zuckte die Profiheldin zusammen, griff sofort nach der Hand der Größeren und entfernte diese umgehend von der Verletzung.

„Lass das!“, zischte die Blondine, wobei der übel gelaunte Tonfall aktuell mehr auf die Schmerzen zurückzuführen war.

Nemuri sparte sich einen Kommentar diesbezüglich. Wenn es nicht möglich war, den Fußknöchel der Anderen zu untersuchen, ohne ihr dabei weh zu tun, ließ sie es lieber bleiben.

„Hast du dir bei dem Zusammenprall sonst noch was getan? Ich meine, bis auf deinen Fuß?“, wollte sie wissen.

Yu zögerte. „...Meine Rippen auf der rechten Seite tun weh.“, gab sie schließlich zu.

„Wie schlimm?“, hakte Nemuri nach. Das Auto schien die junge Frau wirklich richtig erwischt zu haben, was ihr Sorge bereitete. Um Yu nicht zusätzlich zu beunruhigen, versuchte sie sich eben jene Sorge jedoch nicht anmerken zu lassen.

Anstelle einer Antwort, sah die Blondine schräg zur Seite und wich ihrem Blick aus.

„Yu!“, mahnte die Lehrerin noch einmal und forderte eine Antwort auf ihre Frage ein.

„Ziemlich, sonst hätte ich es gar nicht erst erwähnt.“, murrte Mt. Lady vor sich hin. Über ihre Verletzungen zu sprechen gefiel ihr ganz offensichtlich gar nicht. „Ich kann atmen, aber besser möglichst flach.“

Das klang nicht unbedingt gut. Zwar so, als hätte es auch noch schlimmer kommen können, aber geprellt oder gebrochen könnte die ein oder andere Rippe dennoch sein.

Nemuri seufzte. „Also wirklich. Warum muss ich dir das alles erst aus der Nase ziehen, anstatt das du ganz einfach zugibst, dass du dich bei dem Unfall eben verletzt hast?“

Im Gras sitzend, funkelte die Profiheldin sie abwehrend aus roten Augen an. „Weil ich ganz sicher keine Lust habe, das Klischee des weinerlichen Blondchens zu erfüllen. Ich bin Heldin und damit nicht aus Zucker.“, stellte die junge Frau klar.

„Was für ein Schwachsinn. Auch Profis dürfen Schmerzen ruhig zugeben. Verletzt zu werden ist in unserem Beruf leider ein alltägliches Risiko, aber genau so gehört es auch dazu, Verletzungen zuzugeben und sich vernünftig darum zu kümmern.“, belehrte Nemuri die Berufsanfängerin, allerdings ohne tadelnd dabei zu klingen.

Yu blieb ihr eine Antwort schuldig und starrte stattdessen viel lieber den Rasen an, so als hätte sie dort gerade etwas sehr interessantes entdeckt.

Die Lehrerin zog den Reißverschluss ihrer Tasche auf, kramte ihr Handy daraus hervor und prüfte kurz, ob dieses den Zusammenstoß überlebt hatte. So, wie es schien, war das Handy unbeschadet. Ein Glück.

„Versuch am besten gar nicht nochmal aufzustehen und bleib ganz ruhig hier sitzen, oder liegen, wenn du dich so wohler fühlst. Ich ruf einen Krankenwagen.“
 

Kaum hatte sie das ausgesprochen, konnte sie beobachten, wie Yu erschrocken die Augen aufriss.

„Was?! Nein, untersteh dich! Keinen Krankenwagen!“, rief sie entsetzt aus.

Nemuri, die gerade die Nummer hatte eintippen wollen, hielt inne und blickte die Jüngere erstaunt an. „Dann erklär mir doch mal, wie du sonst die Böschung wieder hochkommen willst, wenn du nicht laufen kannst. Außerdem bist du verletzt, das muss sich ein Arzt ansehen.“

„Unsinn, ich komm hier schon irgendwie wieder hoch, dauert bloß etwas. Die Bushaltestelle ist auch ganz in der Nähe und von der Haltestelle, an der ich aussteigen muss, ist es nur noch ein Katzensprung bis zu meiner Wohnung.“

Nun war es die Lehrerin, die die Jüngere ungläubig musterte. „So ein Quatsch, du bist wohl verrückt!“, widersprach sie entschieden. „Selbst wenn du es irgendwie die Böschung hoch schaffst, willst du dann den restlichen Weg auf einem Bein hüpfen? Und deine Verletzungen muss sowieso ein Arzt unter die Lupe nehmen.“

„Ich lasse mir ganz einfach Zeit. Im Bus selbst muss ich bloß sitzen und Zuhause bin ich ganz gut in der Lage, mir zur Not selbst ein paar Verbände anzulegen. Vergiss den Krankenwagen und den Arzt.“, beharrte Yu darauf keinen Rettungswagen zu rufen.

Einen Moment lang musterte die Lehrerin sie. Die Kleine sah richtig entsetzt aus, kaum das die Worte Krankenwagen und Arzt gefallen waren.

„Hast du Angst vor der Behandlung? Die Ärzte wissen schon, was sie tun.“, versuchte die Dunkelhaarige ihre Gesprächspartnerin etwas zu beruhigen und legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie dazu zu bringen, sie wieder anzusehen.

„Kein Krankenwagen.“, widersprach die Blondine erneut. „Ich schaff das allein.“

„Das ist doch Wahnsinn. Hast du wirklich solche Angst vor der Behandlung?“, hakte Nemuri noch einmal nach und konnte es kaum glauben.

Die Profiheldin sah ziemlich unglücklich aus, kauerte sich noch etwas mehr zusammen und wirkte dadurch noch kleiner, als sie schon war. „Nicht vor der Behandlung, vor den Behandlungskosten.“, gab die Blondine schließlich zögernd zu.

Überrascht zog Nemuri eine Augenbraue hoch. „Vor den Behandlungskosten? Aber die zahlt doch die Versicherung.“, wunderte sie sich.

„Ich bin aber nicht krankenversichert!“, fuhr Yu sie plötzlich an. „Ich...ich hab neulich das Dach von meiner Agentur geschrottet und bin versehentlich auf ein Auto getreten. Natürlich musste das ein Ferrari sein. Ich bin hochverschuldet und spare alles, was unnötig ist, ein, um die Raten abzahlen zu können. Und so eine private Krankenversicherung ist für Profis nicht gerade günstig, weißt du?“ Das zuzugeben war ihr ganz offensichtlich nicht gerade leicht zu fallen. Nemuri konnte der Jüngeren ansehen, wie sehr die sonst so stolze Heldin sich schämte, überhaupt über ihre Schulden zu sprechen, doch jetzt, wo davon die Rede gewesen war, einen Krankenwagen zu rufen, hatte sie es wohl als unvermeidbar angesehen.

Eigentlich wäre ein solches Geständnis wunderbarer Nährboden, um die Blondine in einem Streit aufzuziehen und zu ärgern, aktuell tat die Kleine der Lehrerin allerdings viel eher leid. Die Tatsache, dass sie auf die Idee gekommen war, zu sparen, indem sie beispielsweise auf ihre Krankenversicherung verzichtete, was genau genommen so noch nicht einmal zulässig war, überraschte sie zudem.

„Und was ist, wenn die Behandlung umsonst wäre?“, wollte sie von der Jüngeren wissen.

„Ist sie aber nicht. Niemand arbeitet ohne Bezahlung.“, wehrte Yu reichlich skeptisch ab.

Nemuri seufzte, stand wieder auf, streckte sich kurz und beugte sich dann zu der am Boden sitzenden Profiheldin herunter.

„Na los, wir bringen dich jetzt zu jemandem, der sich deine Verletzungen mal ansieht.“, entschied sie. Sie steckte ihr Handy zurück in die Tasche, legte schließlich einen Arm um den Rücken der Kleineren, den anderen Arm schob sie unter deren Kniekehlen durch. Im nächsten Moment hatte die Lehrerin sie auch schon hochgehoben und drückte sie vorsichtig an sich, um ihr mehr Halt zu geben, wobei sie natürlich darauf geachtet hatte, dass es die linke Seite war, die gegen sie lehnte.

„H-heey!“ Im ersten Moment wirkte Yu vollkommen überrumpelt und blickte sie erschrocken und verständnislos zugleich an. Dann begann die junge Heldin sich im Griff der Größeren zu winden, in dem Versuch wieder heruntergelassen zu werden. Damit, dass Nemuri sie plötzlich spielend leicht hochhob, hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. „W-was machst du da?! Lass mich wieder runter!“, protestierte Yu. „Und überhaupt, ich hab dir doch gesagt, dass ein Arztbesuch für mich nicht in Frage kommt!“

Die Blondine wand sich in ihrem Griff, was Nemuri dazu veranlasste, sich ein wenig mehr zu ihr zu lehnen, sodass Yus Gesicht ihren Hals nun fast berührte.

„Hör auf so zu zappeln und schlaf jetzt.“, wies sie sie an, ehe die Dunkelhaarige ihre Quirk aktivierte. Ihr Hals war nur zum Teil von ihrem Heldenkostüm bedeckt, weshalb eine kleine Wolke des blassrosanen Nebels der nackten Haut entweichen konnte.

Zugegeben, Nemuri war sich nicht ganz sicher, wie gut ihre Quirk nun auf diese Frau, die in den letzten Jahren zu so einer arroganten Zicke geworden war, wirken würde, doch sie wurde positiv überrascht.

Kurz noch wehrte die Jüngere sich, dann hatte sie den Schlafnebel doch eingeatmet und sackte praktisch sofort schlafend in ihren Armen zusammen.

Für einen Moment musterte die Lehrerin die schlafende Frau. Das hatte besser funktioniert als erwartet. Normalerweise wirkte ihre Quirk auf andere Frauen nicht so gut, doch die junge Profiheldin war praktisch schon in dem Augenblick eingeschlafen, in dem sie einen einzigen Atemzug des Nebels eingeatmet hatte.

//...Das hat ja ziemlich gut funktioniert. Ich bin überrascht. Findest du mich am Ende doch nicht so alt und uninteressant, wie du die ganze Zeit über tust?//, dachte sie sich.

Schließlich machte sie sich daran, mit der Blondine in ihren Armen, die Böschung wieder hochzuklettern. Das Vorhaben entpuppte sich als gar nicht so leicht, doch nach einer Weile hatte sie es endlich geschafft.

Nemuri sah sich um. Wie verlassen die Straße, kurz hinter dem Fernsehsender doch war.

Sie könnte einerseits einfach zum Sender zurücklaufen, oder aber gleich per Handy einen Krankenwagen rufen, nun wo Yu schlief und es nicht mitbekam, doch das zu tun erschien ihr gemein, wo sie doch eine bessere Alternative kannte.

Sie griff noch einmal nach, um die Andere besser halten zu können, dann machte sie sich auf den Weg zum Parkplatz, auf welchem sie ihr Auto vorhin abgestellt hatte.

Die Polizei musste wegen der Fahrerflucht auf jeden Fall auch noch eingeschaltet werden, doch erst einmal wollte sie die Profiheldin, die ihre eben vermutlich noch das Leben gerettet hatte, versorgt wissen.

Die Fahrt bis zur UA war überschaubar, erst recht, da die Straßen zu der späten Stunde bereits ziemlich leer waren. Nach einer guten Viertelstunde kam das riesige Gelände in Sichtweite, nach weiteren zwei Minuten hatte Nemuri ein Tor erreicht, welches sie mit ihrem Lehrerausweis öffnen konnte.

Ein Mechanismus ließ die beiden massiven, stählernen Torelemente links und rechts in der Mauer, welche das Schulgelände umzäunte, verschwinden. Die Lehrerin ließ das Fenster ihres Autos wieder hochfahren und fuhr schließlich auf den Parkplatz, auf welchem das Personal seine Fahrzeuge abstellen konnte.

Nachdem sie ihr Auto in der Parktasche, die für sie reserviert war, abgestellt hatte, stieg sie aus, umrundete das Fahrzeug einmal und öffnete schließlich die Beifahrertür.

Nemuri hatte die schlafende Profiheldin eben noch vorsichtig auf dem Beifahrersitz platziert und diesen etwas nach hinten gestellt, sodass die Blondie es möglichst bequem hatte.

Gerade, als sie sich ins Auto beugte, um ihre Mitfahrerin abzuschnallen und sie aus dem Wagen zu heben, begann die Jüngere aufzuwachen. Müde blinzelte sie, gähnte hinter vorgehaltener Hand und realisierte dann erst, dass sie sich nicht unbedingt in vertrauter Umgebung befand.

Verwirrung spiegelte sich in Yus Mimik, erst recht, als sie das Schulgelände erkannte und bemerkte, dass Midnight direkt bei ihr war und sie gerade abgeschnallt hatte.

„Nemuri...was zum? Wo sind wir hier? Das ist doch die UA, oder?“, wollte die Blondine noch recht verschlafen und durch den Wind wissen.

Die Ältere nickte. „So sieht es aus.“, bestätigte sie. „Du bist genau zur rechten Zeit wieder aufgewacht.“

Kurz stockte Yu und wirkte fast so, als würde sie über etwas grübeln, dann blickte sie sie vorwurfsvoll an. „Du hast deine Quirk gegen mich eingesetzt!“, beschwerte sie sich.

Auf Nemuris Lippen stahl sich ein amüsiertes Grinsen. „Was ziemlich gut funktioniert hat, wie ich feststellen durfte.“

„Bist du verrückt?! Du kannst doch nicht einfach deine Quirk einsetzen und mich dann mitnehmen. ...Was genau soll ich hier überhaupt?“

Ohne um Erlaubnis zu bitten, legte die Lehrerin wieder einen Arm um den Rücken der Jüngeren und schob den anderen Arm unter deren Kniekehlen durch, ehe sie sie aus dem Auto hob.

„Heeeey!“, beschwerte Yu sich erneut und klang inzwischen deutlich wacher. „Lass mich sofort wieder runter! Ich kann alleine laufen!“

Nemuri verdrehte die Augen. „Klar kannst du das, wo du deinen rechten Fuß nicht belasten kannst.“, stellte sie ironisch fest. „Ich bringe dich jetzt erstmal zur Krankenstation. Recovery Girl wird sich deine Verletzungen ansehen.“

Erneut wirkte die Profiheldin regelrecht erschrocken. Midnight konnte spüren, wie die Kleinere sich in ihren Armen anspannte. „Was?! Nein! Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht krankenversichert bin! Das kann ich mir nicht leisten...“

„Du Dussel. Sie wird dafür kein Geld verlangen.“

Skeptisch blickte die Blondine die andere Heldin an. „...wirklich?“, hakte sie noch einmal nach.

Nemuri warf ihr ein beruhigendes Lächeln zu. „Was meinst du, warum ich dich mit zur UA genommen habe? Wäre es nur darum gegangen, dass sich ein Mediziner deine Verletzungen ansieht, hätte ich genau so gut einen Krankenwagen rufen können.“

Das schien auch Yu einzuleuchten. Sie entspannte sich wieder etwas und hörte auf zu zappeln.

Kurz herrschte Schweigen und die Lehrerin machte sich mit ihrer Begleitung auf dem Arm, auf den Weg in Richtung Krankenstation.

„Schön und gut, aber du kannst mich wirklich wieder absetzen. Es reicht vollkommen, wenn du mich stützt.“, murrte Yu peinlich berührt vor sich hin.

„Und wie lange sollen wir dann für den Weg brauchen? Sieh dich um. Das Gelände der UA ist riesig.“, erinnerte Midnight sie, während sie ihren Weg unbeirrt fortsetzte.
 

Um diese Uhrzeit lagen die Flure still und dunkel da. Im Schulgebäude befand sich so spät am Abend niemand mehr und auch die Krankenstation bildete da auf den ersten Blick keine Ausnahme.

„Bei der Beleuchtung könnte man hier abends prima einen Horrorfilm drehen.“, stellte Yu fest. Sie hatte sich mit der Tatsache abgefunden, das die Lehrerin sie trug und protestierte nicht mehr.

Das Kinn hatte sie auf die Schulter der Älteren gelehnt, wohl auch, damit Nemuri ihr nicht so einfach ins Gesicht blicken und ihr die Schmerzen ansehen konnte. Doch das war auch gar nicht nötig. Die Profiheldin war viel ruhiger als sonst und atmete möglichst flach. Indizien genug, dass Nemuri sich denken konnte, wie es der Blondine aktuell ging.

„Ein Horrorfilm in der UA? Dabei ist es hier so sicher wie sonst nirgendwo.“, plauderte sie munter. Sie wollte sich ihre Sorge nicht anmerken lassen. Das würde Yu mit Sicherheit nicht unbedingt beruhigen.

„Da hinten brennt noch Licht. Sehen wir also mal nach.“, beschloss sie dann, nachdem sie einen schwachen Lichtschein bemerkt hatte, welcher durch einen schmalen Türspalt fiel.

Mit dem Fuß schob Nemuri die Tür weiter auf und blickte in den Raum, der wie eine Art Schwesternzimmer eingerichtet war.

Recovery Girl saß an einem Schreibtisch und gab irgendetwas in den Computer ein, was auf den ersten Blick stark nach Patientenakten aussah.

„Ah, du bist noch hier. Das trifft sich gut.“, begrüßte die Lehrerin sie.

Bei ihren Worten, blickte die alt Frau auf und wandte sich zur Tür. Erst wirkte sie fragend, dann schaute sie überraschter drein.

„Midnight, hallo.“, begrüßte Recovery Girl die Dunkelhaarige. „Du bist um die Uhrzeit noch auf der Krankenstation unterwegs? Und wen hast du da im Gepäck? Ich könnte schwören, Mt. Lady ist keine Schülerin, sondern Profiheldin.“

„Ich hatte gehofft, du könntest sie dir trotzdem mal ansehen.“

„Was ist passiert?“ Recovery Girl stand von ihrem Platz auf und wirkte nun noch kleiner und gebrechlicher. Auch die alte Heilerin konnte sehen, dass es der jungen Heldin nicht gerade gut ging.

„Ich bin angefahren worden.“, erklärte Yu ihr.

„Sie hat mich noch zur Seite gestoßen und hat deshalb selbst den schlimmeren Treffer kassiert. Die Fahrer sind einfach abgehauen.“, ergänzte Nemuri und spürte, wie der Ärger wieder in ihr aufstieg, wenn sie an diese verdammten Feiglinge dachte.

„Was? Fahrerflucht? So weit ist es also schon mit der Gesellschaft...“ Recovery Girl schüttelte den Kopf, ehe sie die beiden Heldinnen wieder direkt ansah.

„Bring sie doch bitte schon mal in den Behandlungsraum. Ich suche noch etwas Material zusammen und sehe mir Mt. Lady dann gleich an.“ Fragend legte die Alte den Kopf schief. „Und was ist mit dir, Midnight? Bist du auch verletzt?“, wollte sie wissen.

„Nein, abgesehen von dem Schrecken und ein paar Grasflecken auf dem Heldenkostüm, ist mir nichts passiert.“, beruhigte die Lehrerin sie, ehe sie sich wie gewünscht mit der Profiheldin im Schlepptau auf den Weg zum Behandlungsraum machte.
 

Dort angekommen setzte sie die Blondine auf der Liege ab und stellte diese ein Stückchen höher, damit Yu in einer möglichst bequemen, halb sitzenden, halb liegenden Position, warten konnte.

Nemuri selbst nahm auf einem Stuhl neben der Liege Platz. Sie musterte die Profiheldin, die ihre Schmerzen so gut es ging zu verbergen versuchte, was jedoch nur mäßig gut funktionierte.

Die stille, schweigsame Yu, die unbewusst eine gewisse Schonhaltung eingenommen hatte, war nicht die freche, quirlige junge Frau, wie sie sie kannte.

„Kennst du Recovery Girls Behandlungsmethoden schon?“, wollte Nemuri von der Jüngeren wissen.

„Mh...? Nein, kenne ich nicht. Muss ich mir Sorgen machen, wenn du sie extra erwähnst?“

„Nein, im Gegenteil.“, beruhigte die Lehrerin Yu amüsiert. „Recovery Girl hat eine äußerst nützliche Quirk. Dir wird es bald schon wieder viel besser gehen.“

Einige Momente lang herrschte Schweigen. Lediglich die Wanduhr tickte leise und im Schwesternzimmer konnte man Recovery Girl kramen hören.

Die Blondine drehte den Kopf zu Nemuri. „Warum hast du mir geholfen? Ich meine, mich hier her gebracht?“, wollte sie zögerlich wissen. „Ich war immerhin alles andere als nett zu dir.“

Nemuri blickte ihr Gegenüber überrascht an. Eine solche Frage hätte sie der Profiheldin ebenso wenig zugetraut, wie die Tatsache, dass sie von sich aus zugab, sich unfreundlich verhalten zu haben.

„Du hast dich vor mich geworfen, als ich mich nicht von der Stelle rühren konnte und hast mich damit vermutlich vor Verletzungen bewahrt. Obwohl wir uns gerade gestritten haben und ich dich am Kragen gepackt hatte.“

„Helden tun sowas, schon vergessen?“, erinnerte Mt. Lady sie.

„Wem sagst du das? Wir sind immerhin beide Heldinnen.“, schmunzelte Midnight.

Nun, wo sie einmal nicht stritten und ruhig miteinander redeten, erinnerte die Jüngere sie wieder viel mehr an das Mädchen, welches sie damals gekannt und wirklich gemocht hatte. „Du hast dich im Übrigen wirklich gemausert. Ich muss zugeben, dass ich bei deiner Quirk in der eher beengten Stadt erst meine Bedenken hatte, aber du machst dich gut.“, fügte Nemuri noch hinzu.

Yu blickte sie überrascht an, hatte sie wohl kaum mit einem Kompliment gerechnet. Schließlich schlich sich auch ein Lächeln auf ihre Lippen und ihre rötlichen Augen blickten etwas wärmer drein. „Und du bist inzwischen Lehrerin mit Leib und Seele, was? Wenn ich Gespräche von UA Schülern in der Stadt aufschnappe, dann kommst du dabei ziemlich gut weg.“

Diesmal war es an Nemuri die Jüngere überrascht anzusehen. Das erwähnte sie? Nachdem sie im Vorfeld in Interviews kein gutes Haar an ihr gelassen hatte? Und nachdem Midnight es gewesen war, die vor acht Jahren verhindert hatte, dass die Blondine als Schülerin an der UA angenommen worden war? Das kam nun wirklich unerwartet.

„Ach ja, ist das so? Dabei war mein Berufsstart doch eher holperig, fürchte ich. Ich war vor 8 Jahren immerhin nicht dazu in der Lage eine Schülerin zu unterrichten, die den Einstellungstest eigentlich bestanden hatte, da ich Zweifel hatte, ob ich sie aus einem neutralen Blickpunkt aus beurteilen und mich so verhalten könnte, wie eine Lehrerin sich eigentlich verhalten sollte.“, fasste Nemuri sich ein Herz, das Thema anzusprechen, über das sie seit damals noch oft nachgedacht hatte.

„Du wolltest mich damals nicht unterrichten, weil du Angst um deine Karriere hattest. Angst es am Ende noch schlimmer zu machen und dir nur noch mehr die Finger zu verbrennen. Das war wirklich ganz schön unprofessionell.“, bestätigte die Blondine unverblümt. „Aber ich war damals auch ziemlich dumm. Ich hätte mich gar nicht erst als erwachsene Studentin ausgeben sollen. War doch immerhin klar, dass ich dich damit in Teufelsküche hätte bringen können. So wie ich mich kenne, hätte mein damaliges Ich sicher nicht so schnell damit aufgehört dir schöne Augen zu machen, wäre ich an der UA angenommen worden, und womöglich hätte ich dich damit am Ende wirklich noch reingerissen. Das du mich auch mochtest, wusste ich immerhin.“

Yu musterte die Lehrerin, wobei sie nicht mehr unbedingt verärgert wegen damals zu sein schien. Sie wirkte müde und erschöpft wegen der Schmerzen, sprach aber so, als würde das Drama von damals, für sie inzwischen der Vergangenheit angehören.

„Ganz genau das hatte ich damals ehrlich gesagt befürchtet. Ich wollte verhindern, dass ich am Ende wirklich noch Probleme bekomme, oder mich vielleicht sogar strafbar mache. Trotzdem hat es mir später leid getan, dass ich dir die Aufnahme an der UA verwehrt habe. Die UA ist immerhin eine der Top Heldenschulen des Landes und als Lehrerin hätte ich eigentlich über so etwas stehen müssen. Das einem hin und wieder Schüler schöne Augen machen, kommt immerhin vor und ein Pädagoge sollte damit umzugehen wissen.“

Es war überraschend, wie offen sie nun miteinander redeten und das im friedlichen Rahmen. Eigentlich hatte Nemuri ihre Bedenken wegen damals nie aussprechen wollen, vor niemandem, aber nun mit der Profiheldin, welche inzwischen erwachsen und unmittelbar von ihrer damaligen Entscheidung betroffen war, zu sprechen, fiel ihr überraschend leicht.

„Und? Stehst du inzwischen über derartigen Problemen?“, wollte Yu wissen und ließ ihre Stimme dabei scherzhaft provokant wissen.

„Hey!“, brauste Nemuri auf, auch wenn sie nicht wirklich verstimmt war. „Natürlich tue ich das! Ich bin inzwischen lange genug Lehrerin, als das mich so etwas nicht mehr aus der Bahn werfen kann.“ Sie schnippte der Jüngeren mit zwei Fingern etwas gegen die Stirn.

„Autsch!“, beschwerte diese sich, grinste dann aber leicht.

Yu suchte nach einer bequemeren Position auf der Liege. Das Gespräch strengte sie an, vor allem, da sie nach wie vor darum bemüht war, möglichst nicht durchblicken zu lassen, dass sie Schmerzen hatte.

Wieder herrschte einen Moment lang Schweigen, wieder durchbrach die Profiheldin die Stille.

„Ich war damals so unglaublich wütend auf dich.“, gab sie zu. „Das verletzte Ego einer Jugendlichen, du weißt? Der Ärger ist mit der Zeit verblasst, aber irgendwie hatte ich mich nach wie vor die ganze Zeit über ziemlich auf dich eingeschossen. Nachdem ich als Profiheldin durchgestartet bin, habe ich weiterhin ganz automatisch kein gutes Haar an dir gelassen und habe Dinge über dich gesagt, die nicht in Ordnung waren. Heute, vor laufender Kamera auch wieder...“

Nemuri musterte die Jüngere einen Moment lang schweigend, ehe sie antwortete. „Und dafür wollte ich dir so manches mal am liebsten den Hals umdrehen. Du hast damals, in dem Fragebogen angegeben, dass ich dein Vorbild wäre. Kann es sein, dass ich inzwischen eher zu einer Art Rivalin für dich geworden bin, die du als Profiheldin übertrumpfen möchtest?“

Yu blinzelte und dachte einen Moment lang über die Worte der Älteren nach. „Vielleicht. Ich kann es dir nicht genau sagen.“

Das Gespräch der beiden Frauen wurde unterbrochen, als Recovery Girl die Tür zum Behandlungsraum aufschob. Sie hatte einen kleinen Rollwagen dabei, auf welchem sich Verbandsmaterial und ähnliches befand.

„So, ich habe jetzt so weit alles zusammengesucht. Dann sehen wir doch mal, was dir passiert ist, junge Dame.“, wandte die Heilerin sich an Mt. Lady, ehe sie die Lehrerin beherzt in Richtung Tür schob.

„Und dich darf ich bitten solange draußen zu warten, Midnight. Am besten im Schwesternzimmer, dann weiß ich wenigstens, wo ich dich gleich finde.“
 

Während die Lehrerin darauf wartete, das Recovery Girl die Untersuchung und Behandlung der Profiheldin abgeschlossen hatte, nutzte sie die Zeit, um zum Handy zu greifen und die Polizei über den Unfall samt Fahrerflucht zu informieren.

Ihr selbst war vielleicht nichts geschehen, doch ihre Begleiterin war angefahren und verletzt worden. Als wenn das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hatten der Fahrer des Wagens und dessen Kumpel nichts besseres zu tun gehabt, als sich aus dem Staub zu machen, anstatt den Heldinnen Hilfe anzubieten.

Nachdem Nemuri den Wagen so gut es ging aus dem Gedächtnis beschrieben hatte, erfuhr sie durch die Polizei, dass zwei Männer wenig später und nicht weit entfernt vom Unfallort, wegen ihrer auffälligen Fahrweise angehalten und wegen Trunkenheit am Steuer, sowie Drogenbesitz, festgenommen worden waren. Das Fahrzeug der Männer stimmte mit der Beschreibung des Unfallfahrzeugs überein.

Natürlich würden die Heldinnen noch eine Aussage bei der Polizei machen müssen, genau so wie es nötig sein würde, Fahrer und Fahrzeug möglichst zu identifizieren, doch konnte dies glücklicherweise auch noch bis morgen warten. Inzwischen war es bereits mitten in der Nacht. Nemuri wollte nur noch zurück ins Lehrerwohnheim und natürlich zuvor in Erfahrung bringen, wie es Yu ging.

So zickig die Jüngere in letzter Zeit auch gewesen war, so normal hatten sie eben miteinander reden können. Ehrlich gesagt hätte sie nicht gedacht, dass dies möglich wäre und die Tatsache, dass die Profiheldin sich für ihr Verhalten entschuldigt hatte, hatte sie ebenfalls überrascht. Vielleicht war die Blondine mit dem Erwachsenwerden zunehmend arrogant und noch selbstbewusster geworden, als sie es als Teenie bereits gewesen war, doch es schien ganz so, als wäre sie trotz allem auch noch die selbe junge Frau, die sie damals kennengelernt und gemocht hatte.

Schritte waren auf dem Flur zu hören. Eine Person näherte sich dem Schwesternzimmer, dann steckte Recovery Girl den Kopf in den Raum.

„Sie wird wieder. Mit meiner Quirk konnte ich ihre Verletzungen heilen, aber diese Nacht sollte Mt. Lady eindeutig noch auf der Krankenstation bleiben, um sich auszuruhen. Eine solche Heilung strengt den Körper immerhin sehr an.“

Schon mal eine Sorge weniger. Nemuri spürte, wie ihr eine Last von den Schultern fiel.

„Das ist gut. Danke, Recovery Girl.“ Sie nickte der Älteren zu. „Und die Tatsache, dass sie heute hierbleiben soll um sich auszuruhen, hat sie einfach so akzeptiert?“

Recovery Girl seufzte leicht genervt. „Nach langer Diskussion. Vielleicht solltest du besser auch nochmal nach ihr sehen und ihr ins Gewissen reden. Ich fürchte, sonst ist sie schneller wieder unterwegs, als sie es sollte.“

„Ich wollte sowieso nochmal nach ihr sehen, da kann ich auch gleich nochmal an Takeyamas Vernunft appellieren.“

„Apropos Vernunft: ich habe ihr ordentlich den Kopf gewaschen, wie sie als Profiheldin an der Krankenversicherung sparen kann. Ich hoffe Mt. Lady überdenkt diesen Irrsinn nochmal.“, äußerte Recovery Girl, die für diese Unvernunft nun wirklich kein Verständnis aufbringen konnte.

„Na da bin ich wirklich mal gespannt, ob deine Ansprache fruchtet.“, schmunzelte Nemuri.
 

Wenig später war die Dunkelhaarige auf dem Weg zu einem der schuleigenen Krankenzimmer, welches die alte Heilerin der Profiheldin für diese Nacht zugewiesen hatte.

Profis hier in der Schule unterzubringen, war nun wirklich nicht die Norm, doch das von der jungen Heldin keine Gefahr für die Schüler ausging und folglich kein Grund zur Sorge bestand, war ebenfalls klar.

Als Nemuri den Raum betrat, fand sie Yu auf der Bettkante sitzend vor. Sie stutzte merklich, als sie die Ersatzkleidung betrachtete, welche Recovery Girl der Blondine zur Verfügung gestellt hatte.

Ein Trainingsoutfit, wie die Schüler der UA es für gewöhnlich trugen. Sie gab einen amüsierten Laut von sich und musste unweigerlich grinsen. „Die Klamotten stehen dir, Zwerg.“, kommentierte sie belustigt.

„Hey! Komm nur her, ich geb dir gleich Zwerg!“, entrüstete Yu sich und zupfte an dem Oberteil des Trainingsoutfits herum. „Mein Heldenkostüm war voller Grasflecken, da hat Recovery Girl mir diese Kleidung gebracht, damit ich etwas sauberes zum umziehen hatte.“ erklärte sie dann.

„Wie geht’s dir?“, wechselte Nemuri das Thema und setzte sich neben der Blondine auf ein freies Stück Bettkante.

„Schon wieder viel besser. Recovery Girl sagte, dass mein Fuß gebrochen und meine Rippen geprellt waren, aber sie hat mich wieder geheilt. Ich bin nur noch ein wenig müde.“

„Recovery Girls Quirk ist wirklich ein Segen.“ Nemuri streckte sich. „Während sie dich behandelt hat, habe ich übrigens mit der Polizei telefoniert. Es sieht ganz so aus, als hätten sie die beiden Chaoten geschnappt, weil sie nach ihrer Fahrerflucht kurze Zeit später wieder durch ihre Fahrweise aufgefallen sind. Wir sollen morgen aufs Revier kommen um unsere Aussagen zu machen.“

„Wirklich?“ Yus Mimik hellte sich deutlich auf. „Geschieht diesen Vollpfosten recht! Da sage ich morgen doch nur zu gerne aus!“, ereiferte sie sich.

„Das war dann wohl Karma für diese beiden.“

Nun wieder fragend, blickte Nemuri die Kleinere an. „Gut, dass dieses Problem sich scheinbar von allein erledigt hat und das es dir auch wieder besser geht. Aber sag mal, was hättest du gemacht, wenn du wegen einer Verletzung für längere Zeit ausgefallen wärst?“

„Huh? Na ich hätte mich für ein paar Tage zwangsweise ausruhen müssen, aber dann hätte ich mich zusammengerissen und hätte wieder gearbeitet. Geld verdient sich nicht von allein und als selbständige Profiheldin gibt es niemandem, der einem ein festes Gehalt zahlen würde.“

„Ein Grund der dagegen spricht sich selbständig zu machen.“ Die Lehrerin warf ihr ein schiefes Schmunzeln zu. „Dein Debüt kam im Übrigen ziemlich überraschend. In einem Interview hast du gesagt, dass du vorher nicht erst als Sidekick gearbeitet hättest. Was hast du in den letzten Jahren denn eigentlich dann gemacht?“

Das hatte Nemuri sich schon die ganze Zeit über gefragt. Warum also sollte sie sich nicht direkt bei Yu danach erkundigen, nun, wo die Profiheldin schon einmal hier neben ihr saß und sie sich ganz normal unterhielten.

„Naja, die Sache mit der Heldenschule hat damals nicht mehr geklappt. Die meisten Schulen wären für eine Quirk wie meine nicht ausgelegt, hieß es. Ich habe also eine ganz normale weiterführende Schule besucht, habe die Schule dann allerdings nach dem 2. Jahr abgebrochen und bin zu meinem Freund in die Nachbarstadt gezogen. Wir haben fast fünf Jahre lang zusammen gewohnt, ich habe in einem Blumenladen gearbeitet und habe dann, als ich genug Geld zusammen hatte, auf eigene Kosten meine externe Heldenlizenz in verschiedenen Kursen nachgeholt. Die Zeit, die ich in die externe Lizenz investiert habe und die Entscheidung, als Heldin durchzustarten, hat unsere Beziehung immer mehr kriseln und letztlich zu Bruch gehen lassen. Mit meiner Lizenz in der Tasche, bin ich schließlich wieder zurück in die Stadt gezogen und habe mich selbständig gemacht. Von da an kennst du die Geschichte.“
 

Für einen Moment lang blickte Nemuri die Jüngere an und versuchte sich deren Leben in den letzten Jahren vorzustellen. Das Küken von damals hatte also in einer langjährigen Beziehung gelebt, einen ganz normalen Job ausgeübt und auf eigene Kosten nebenbei die Heldenlizenz erworben? Irgendwie fiel es ihr schwer sich das vorzustellen, andererseits war Yu inzwischen 23 und keine 15 mehr.

„Klingt nach einem ganz normalen Leben und nach einem ziemlichen Umweg bezüglich deiner Lizenz.“, stellte sie schließlich fest.

„Wie gesagt, mit den Heldenschulen hat es damals nicht geklappt und die externe Lizenz war der einzige Weg, um meinen Traum doch noch wahrzumachen.“

Erneut musste Nemuri daran denken, warum dieser Umweg erst notwendig gewesen war und wieder nagte das schlechte Gewissen an ihr. „Ich hatte dir damals doch noch die Unterlagen für die Shiketsu gegeben. Dich dort unterzubringen wäre nicht das Problem gewesen.“

Yu verdrehte die Augen. „Ich habe dir damals schon gesagt, dass ich nicht durch Vitamin B an einer Schule angenommen werden, sondern die Aufnahmeprüfung aus eigener Kraft schaffen wollte. Wie auch immer, inzwischen habe ich meine Lizenz Gott sei Dank in der Tasche.“

Die Lehrerin suchte nach einer bequemeren Sitzposition. Inzwischen hatte sie sich ihrer Gesprächspartnerin ganz zugewandt.

„Und dann bist du gleich als selbständige Profiheldin durchgestartet, ohne vorher Erfahrungen zu sammeln?“

Die Blondine warf ihr einen warnenden Blick zu. „Ich weiß, dass viele diesen Schritt kritisieren, aber das schert mich nicht. Ich habe lange genug darauf gewartet, meinen Berufswunsch wahrzumachen, da wollte ich meine Zeit nicht auch noch als Sidekick vergeuden. Wie man sieht, läuft es ja auch so ziemlich gut und wenn ich mal nicht weiter weiß, hilft mir Kamui.“

Interessiert blickte Nemuri die Jüngere an. „Ihr zwei versteht euch ziemlich gut und arbeitet seit deinem Debüt recht eng zusammen.“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.

„Auf Kamui ist immer Verlass und ja, wir kommen gut miteinander aus und ergänzen uns. Es war wohl ziemliches Glück, dass ich ihm gleich am ersten Tag meiner Karriere über den Weg gelaufen bin.“, gab Yu ohne lange zu zögern zu.

„Also ist an den Gerüchten, die ständig durch die Presse gehen, etwas Wahres dran? Das ihr zwei ein Paar seid, meine ich.“

Überrascht blinzelte die Blondine Nemuri an, ehe sie eher nachdenklich wirkte. „Nein...also ich meine, ich bin mir ehrlich gesagt unsicher. Es stimmt schon, dass wir gut miteinander auskommen, aber ich weiß nicht, ob ich wirklich mit ihm ausgehen soll. Kamui ist ohne die Maske schon ganz süß und er ist so ein zuverlässiger Typ, aber dann denke ich wieder, dass er etwas zu bodenständig und zu lieb für mich ist.“

Yu war sich unschlüssig, was sie tun sollte? So war das also? Irgendwie hatte Nemuri das Gefühl, dass dieses Gespräch hier gerade leicht zu einem typischen Mädchengespräch werden könnte. Sollte sie der Jüngeren jetzt Ratschläge geben, was gut für sie war? Einerseits wäre es nur vernünftig, Yu den ruhigen, zuverlässigen und bodenständigen Profihelden ans Herz zu legen. Aber wollte sie das? Ihr zu einer Beziehung raten, die mit Sicherheit funktionieren würde? Vernünftig wäre es und ein guter Ratschlag sicherlich auch. Sie kannte Kamui nicht persönlich, aber das, was sie von dem Profihelden in der Öffentlichkeit mitbekam, war durch die Bank weg positiv. Er würde durchaus gut zu Mt. Lady passen und wäre gleichzeitig auch so etwas wie die Stimme der Vernunft, die sie sicher gut gebrauchen konnte, aber dann war da wieder etwas, dass sie davon abhielt, Yu genau das zu sagen.

Um genau zu sein, war es diese selbstsüchtige innere Stimme, die sich da gerade ganz deutlich zu Wort meldete. Warum ein gutes Wort für Kamui Woods einlegen, wenn -“Wenn er dir zu bodenständig und zu lieb ist, warum gehst du dann nicht einfach mit mir aus?“, hörte sich die Lehrerin da auch schon selbst fragen.

Yu blinzelte perplex, Nemuri tat es ihr gleich. Dieser spontanen Eingebung, diesem Anflug von Eifersucht auf den Top-Profihelden hatte sie eigentlich nicht so leicht nachgeben wollen.

„War das... gerade dein Ernst?“, hakte Yu schließlich nach und blickte sie schräg an.

„Ja. Ich meine, wieso nicht?“ Auch, wenn sie diese spontane Frage so eben ganz sicher nicht geplant hatte, klang Nemuri trotz allem wie die Selbstsicherheit in Person. Wo die Worte jetzt eh schon ausgesprochen waren, würde sie nun auch keinen Rückzieher mehr machen.

Es stimmte schon, dass sie Yu in letzter Zeit für ihre Frechheiten mehr als einmal am liebsten die Augen ausgekratzt hätte, allerdings hatte die junge Frau praktisch sofort wieder ihr Interesse auf sich gezogen, als sie zum ersten Mal als Profiheldin in den Nachrichten aufgetaucht war. Sie hatte die Blondine bereits als Teenie süß gefunden, als junge Erwachsene war sie nur noch attraktiver und das Yu nicht nur unausstehlich, sondern auch ganz normal, oder sogar so wie damals sein konnte, hatte sie ebenfalls mitbekommen. Warum sollte sie die Jüngere also nicht nach einem Date fragen?

„Du hast mich damals sitzen lassen, schon vergessen?“, hakte Yu nun skeptisch nach.

„Du warst 15 und hast dich als 18-Jährige Studentin ausgegeben. Ich hatte logischerweise nicht den Wunsch mich strafbar zu machen.“ Nemuri verdrehte die Augen. „Heute bist du 23, wenn ich mich nicht verrechnet habe, was das ganze unproblematisch macht.“

„Und du hast inzwischen die 30 geknackt.“, erinnerte die Blondine sie mit einem frechen Grinsen. „Was macht dich so sicher, dass ich noch an dir interessiert sein und dich attraktiv finden könnte?“ Das provokante Grinsen der Jüngeren wurde eine Spur breiter.

Im ersten Moment wäre Nemuri beinahe auf die Provokation angesprungen, dann jedoch fiel ihr ein, dass sie einen viel besseren Konter hatte.

„Oh, was das betrifft, bin ich mir sogar ganz sicher. Meine Quirk wirkt auf Frauen normalerweise nicht so gut wie auf Männer. Dich habe ich vorhin allerdings schlafen geschickt, kaum das du einen Atemzug von meiner Quirk eingeatmet hast. Beweis genug?“

„Vielleicht war ich ganz einfach müde? Schon mal auf die Idee gekommen, Sherlock?“, versuchte Yu sich herauszureden und blickte etwas peinlich berührt zur Seite.

Das Schmunzeln der Lehrerin wurde breiter. „Dadurch hättest du trotzdem nicht auf die, in meiner Quirk enthaltenen, Pheromone reagiert.“, erinnerte sie sie.

Ertappt wich die Blondine ihrem Blick aus und schmollte fast schon. Das und die leichte Röte auf ihren Wangen ließen sie unglaublich niedlich aussehen. Und ihre Reaktion verriet Nemuri, dass sie sie auch nach all den Jahren noch nicht so uninteressant fand, wie sie vorgab.

„Nenn mir auch nur einen Grund, warum ich mit dir ausgehen sollte.“, verlangte die Profiheldin.

Das Schmunzeln auf Midnights Lippen wurde triumphierender. „Ich soll dir einen Grund nennen? Nun, da fallen mir gleich mehrere ein.“, begann sie. „Wäre der Altersunterschied nicht gewesen, hätte die Chemie beispielsweise schon damals gestimmt, du reagierst ausgesprochen stark auf meine Quirk, was bedeutet, dass du mich sogar ziemlich attraktiv finden musst. Und Kamui ist dir zu lieb? Nun zu zahm, oder zu lieb, bin ich ganz gewiss nicht...“ Während sie sprach, hatte die Dunkelhaarige sich immer weiter zu ihrer Gesprächspartnerin gelehnt. Yu hatte versucht den Abstand einigermaßen zu wahren und hatte sich immer weiter zurückgelehnt, bis sie sich schließlich auf einen Arm gestützt, in einer halb sitzenden, halb liegenden Position befand und nicht weiter zurückweichen konnte, wenn sie das Gleichgewicht nicht verlieren wollte.

Nemuri betrachtete die Jüngere genau. Die Kleine wirkte nicht so, als wäre sie zurückgewichen, weil ihr die Situation unangenehm war, sondern viel mehr, weil sie es ihr nicht zu leicht machen wollte. Außerdem wusste sie, wie stur Yu sein konnte. Da war es klar, dass sie zum Großteil auch rein aus Prinzip handelte. Ein wenig rot im Gesicht war sie zwar geworden, doch sie glaubte sie gut genug zu kennen, um einschätzen zu können, dass Yu sie bereits entschieden weggeschubst und abgewiesen hätte, würde ihr das Näherrücken wirklich gegen den Strich gehen.

„Außerdem...“, sie lehnte sich noch etwas weiter vor. Ihre Lippen berührten beim Sprechen leicht die der Profiheldin. „- außerdem bin ich überzeugt davon, dass ich viel besser küssen kann, als es dein Teamkamerad je können wird.“, raunte sie ihr gegen die Lippen, ehe sie die eben getätigte Behauptung unter Beweis stellte und damit begann die Jüngere sanft zu küssen.

Der Rotschimmer auf den Wangen der Blondine intensivierte sich, jedoch drehte sie ein Stück weit das Gesicht weg. Nemuri legte ihr eine Hand an die Wange, brachte Yu so dazu sich ihr wieder zuzuwenden und machte da weiter, wo sie aufgehört hatte. Erst liebkoste sie die Lippen der Jüngeren sanft, dann zwickte sie ihr leicht in die Unterlippe und begann damit sie fordernder zu küssen. Sie schmunzelte in den Kuss hinein, als die junge Frau langsam nachgab und schließlich auf den Kuss einging.

Was der Lehrerin gleich auffiel war, dass die Blondine nicht mehr so unsicher und verlegen wirkte wie damals. Aber was erwartete sie auch? Yu war kein Teenie mehr, sondern eine äußerst selbstbewusste junge Frau.

Scheinbar hatte sie sich etwas zu sehr gegen die Blondine gelehnt, was ihr spätestens in dem Moment bewusst wurde, als es plötzlich ein Stück weit abwärts ging. Nur auf einen Arm gestützt, hatte Yu ihr eigenes und Nemuris Gewicht schlecht tragen können.

Die Lehrerin störte sich nicht groß daran. Sie stützte sich lediglich mit einem Arm neben der Jüngeren ab.

„Wenn ich mit dir ausgehe, dann...mmmh~.., lädst du mich ein und übernimmst gefälligst die Rechnung, nur um das klarzustellen.“, nuschelte Yu gegen die Lippen der Lehrerin.

Nemuri ging wieder ein kleines Stückchen auf Abstand, leckte sich über die Lippen und blickte amüsiert zu der Blondine unter sich. „Noch genau so dreist wie damals, was?“, stellte sie belustigt fest.

„Pah! Du hast schließlich mich gefragt, ob ich mit dir ausgehe, nicht umgekehrt.“, konterte Yu, wobei sie ebenfalls recht amüsiert klang.

„Nun, ich glaube das hält mein Geldbeutel schon aus.“, grinste die Dunkelhaarige, konnte nicht widerstehen, beugte sich wieder zu der Profiheldin herunter und verwickelte sie erneut in einen Kuss. Diesmal ging Yu praktisch sofort darauf ein.

„Midnight! Was war so schwer daran zu verstehen, das Mt. Lady heute hierbleiben soll um sich zu erholen?!“, zog die tadelnde Stimme Recovery Girls die Aufmerksamkeit der beiden Frauen auf sich. Die betagte Frau stand in der Tür, durch die vom Flur aus nun wieder mehr Licht in das Krankenzimmer fiel.

„Ich dachte, du wolltest mit ihr reden, damit sie nicht auf die Idee kommt, in ihrem angeschlagenen Zustand heute noch die Krankenstation zu verlassen, aber das sieht mir ja wohl kaum nach reden aus.“, tadelte Recovery Girl weiter, seufzte dann jedoch resigniert. „Aber das ihr euch scheinbar bereits besser kennt, erklärt neben der fehlenden Krankenversicherung auch, warum du sie mit zur UA gebracht hast.“

Kaum das Recovery Girl im Türrahmen stand, saßen die beiden Heldinnen wieder nebeneinander, als wäre nie etwas passiert. Während Yu die Anwesenheit der alten Heilerin etwas unangenehm zu sein schien, störte Nemuri sich kaum daran. „Es war nicht das, wonach es vielleicht aussah. Mir ist schon klar, dass sie aktuell besser noch mit Samthandschuhen angefasst werden sollte.“

Die Lehrerin stand von ihrem Platz auf und streckte sich kurz. Weiterhin wirkte sie vollkommen selbstsicher und entspannt. „Keine Sorge übrigens. Mt. Lady bleibt heute auf jeden Fall noch hier und wird ganz sicher nicht noch durch die Stadt nach Hause reisen.“, versicherte sie dann.

Yu zog daraufhin eine Augenbraue hoch. „Ach ja, tue ich das?“, hakte sie nach. Scheinbar war ihr Interesse daran, heute auf der Krankenstation der Schule zu bleiben, eher gering.

Schmunzelnd hob Midnight die Jüngere erneut hoch und ging mit der Blondine auf dem Arm zwei Schritte durch den Raum. „Natürlich bleibst du. Allerdings nicht hier auf der Krankenstation. Ich nehme dich mit ins Lehrerwohnheim.“, stellte sie klar.

Die junge Profiheldin stutzte merklich. „Hast du Recovery Girl eben nicht gehört? Ich soll mich e-r-h-o-l-e-n.“, buchstabierte sie es der Dunkelhaarigen noch einmal.

„Das sollst du ja auch. Mein Appartement im Lehrerwohnheim ist allerdings gemütlicher als die Krankenstation. Im Übrigen würde ich auch ganz gerne noch etwas schlafen. Es ist schon spät und der Wecker klingelt morgen in aller Frühe.“

„Sorgt sich da etwa jemand Falten zu bekommen, wenn der Schönheitsschlaf zu kurz kommt?“, stichelte Yu scherzhaft.

„Hey! Sag das nochmal und ich lasse dich fallen!“, ging Midnight gespielt auf die Provokation ein.

„Prima, dann habe ich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich kann auch allein laufen, weißt du?“

„Was hast du gerade an Recovery Girls Anweisung, dich heute noch zu erholen, nicht verstanden? Sie hat dich gerade erst geheilt, da belastest du deinen Fuß jetzt ganz sicher nicht gleich wieder!“

„Das schiebst du doch jetzt nur als Grund vor, weil du mich tragen willst!“

Recovery Girl blickte den beiden Heldinnen hinterher, welche sich gerade viel mehr neckten, als das sie wirklich stritten, während sie den Raum verließen. Hatten die beiden sich nicht vorhin noch live in einer TV-Show fast die Augen ausgekratzt? Jetzt wirkte das Gezanke viel mehr scherzhaft als alles andere.

Kopfschüttelnd blickte die alte Heilerin ihnen nach und schmunzelte. „Was sich liebt das neckt sich, sagt man doch.“ Amüsiert zuckte sie mit den Schultern und zog die Tür des nun leeren Krankenzimmers hinter sich zu.



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