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Trick or Treat

eine Halloween-Kurzgeschichte
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo Leute :) Viel Spaß bei dieser kleinen Halloween Kurzgeschichte. Ich hoffe, sie versüßt euch ein wenig den Abend ;) Komplett anzeigen

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Witch

Wer hätte gedacht, dass ich mal bei einer Wahrsagerin sitzen würde?

Also, ich nicht!

Für mich sind das alles Scharlatane, die einem das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Ich glaube nicht an diesen Unsinn. Wobei die Atmosphäre schon ein wenig Eindruck macht, das muss ich zugeben. Ein dunkler Raum, schummriges Licht und überall diese grusligen Bilder an den Wänden. Perfekt, um den Leuten Angst einzujagen.

Ich lege den Kopf schief, um eines der Bilder genauer zu betrachten.

»Hast du Schiss, Mimi?«, raunt eine Stimme dicht an meinem Ohr.

Ich schnalze mit der Zunge und werfe Tai einen genervten Blick zu. Wir waren gerade mit Kari auf dem Weg ein paar Sachen für unseren Halloweenausflug einzukaufen, als Tai mich in diese Dunkelhöhle zerrte und meinte, es wäre sicher lustig.

»Ehrlichgesagt drückt mir die Blase«, erwidere ich gelangweilt, weil mich das hier nicht weniger interessieren könnte. Mein Freund und seine dummen Ideen immer.

»Also, bei mir wirkt es«, nuschelt Kari neben mir und reibt sich beängstigend die Hände. Tai lacht diabolisch auf.

»Das wird spannend. Was machst du, wenn sie dir deinen Tod voraussagt?«

»Sei nicht albern, Tai«, widerspreche ich. »Das darf sie nicht.«

Plötzlich flackert das Licht und lässt uns erschrocken aufsehen. Wie auf Kommando betritt eine ältere Dame, in mehreren Lagen Tüchern gehüllt, den Raum. Ihr Blick ist dunkel, als sie sich uns gegenüber an den runden Tisch mit der Glaskugel setzt.

»Wer von euch möchte etwas über seine Zukunft erfahren?«, flüstert sie düster.

Kari erschaudert, während Tai hippelig wird.

»Sie!«, poltert er drauf los und hält meine Hand in die Höhe. Sofort entreiße ich ihm sie wieder.

»Ich möchte nicht, aber ich muss anscheinend«, erwidere ich zickig.

Der geheimnissvolle Blick der Wahrsagerin sucht meinen und auch sie greift nun nach meiner Hand. Ihre Finger sind eiskalt, ich bekomme eine Gänsehaut.

Dann sieht sie sich die Linien meiner Handinnenfläche an und fährt die ein oder andere mit dem Finger nach.

»Wie ich sehe, hast du bereits deine große Liebe gefunden, Mädchen.«, eröffnet sie mir. Ich laufe knallrot an, als Tai »Aha! Wusste ich's doch« ruft.

Unsanft stoße ich ihm in die Seite. »Sei ruhig, Idiot.«

»Und du hast eine Familie und Freunde, die dich lieben.«

Kaum merklich verdrehe ich die Augen. Vermutlich sagt sie das zu jedem, solche wagen Aussagen treffen doch meistens ins Schwarze. Doch dann verzieht sie das Gesicht. Erschrocken lehnt sich Kari weiter nach vorne. »Was ist? Was sehen Sie?«

»Der Fluch wird sich schon bald erfüllen.«

»Welcher Fluch?«, fragt nun auch Tai deutlich aufgebracht. Gott, diese Beiden …

»Es liegt ein Fluch auf deiner Familie. Es betrifft jedes erstgeborene Mädchen der nächsten Generation. Und dieser Fluch erfüllt sich morgen, an deinem 23. Geburtstag.«

Mit einem Ruck entziehe ich ihr meine Hand, während ich sie mit großen Augen anstarre.

Woher weiß sie, dass ich morgen 23 Jahre alt werde?

»Großes Unheil wird dich ab morgen verfolgen«, sagt sie mit ihrer rauen Stimme und sieht mir dabei direkt in die Augen. »Für den Rest … deines … Lebens.«

Ich schlucke hart.

»Das reicht!«, verkünde ich entschlossen. »Wir gehen.« Ich springe von meinem Platz auf und will verschwinden.

»Halt!«, ruft sie noch ein mal und ich drehe mich um.

Ihr Blick wandert von mir zu Tai, der inzwischen neben mir steht und dann wieder zu mir zurück.

Ihre grünen Augen verengen sich zu zwei Schlitzen, wie die einer schwarzen Katze.

»Du solltest dich in Acht nehmen.«

Genevt stöhne ich auf. »Ja, das sagten sie bereits.«

»Ich …«, erwidert sie gedehnt und zeigt mit ihrem langen Finger auf mich. » … meine nicht den Fluch.«

So, das reicht jetzt endgültig. »Danke, für Ihre Zeit«, sage ich und lasse die Alte und ihr Gefasel hinter mir.

»Woah, das war unheimlich«, sagt Kari, die kurz nach mir aufschließt.

»Ja«, stimme ich ihr zu. »Was für ein Hokuspokus. Na ja, aber immerhin hat sie sich Mühe gegeben. Ich hätte ihr diesen Quatsch fast abgekauft.« Ich lache, aber eigentlich hat mir diese Frau echt Angst eingejagt. »Du solltest dich in Acht nehmen«, ahme ich sie mit verstellter Stimme nach. Wenn ich mich darüber lustig mache, ist es weniger beängstigend.

»Ach, komm schon«, sagt Tai neben mir und legt beruhigend einen Arm um meine Schultern. »Solltest du wirklich verflucht sein, werde ich dich beschützen - mit meinem Leben.« Er grinst, aber ich rolle mit den Augen.

»Glaub mir, das wird nicht nötig sein. Ich hoffe, du hattest deinen Spaß. Wenn ich heute Nacht Albträume kriege, heißt das: einen Monat keinen Sex für dich!«

»Was?« Tai stöhnt empört auf, während Kari sich die Ohren zuhält.

Ein Fluch … dass ich nicht lache.

Was für eine Geldverschwendung!

Curse

Warum schläft Tai eigentlich immer sofort ein, sobald wir in ein Fahrzeug steigen?

Das frage ich mich schon lange. Wir sind gerade mal seit einer halben Stunde unterwegs und schon schnarcht er neben mir auf der Rückbank. Matt, Kari und Sora sind auch dabei. Hinter uns, in einem zweiten Wagen fahren Joe, T.K. und Izzy.

Sora fährt das Auto. Unser Ziel ist das Ferienhaus ihrer Eltern, das sich hoch oben in den Bergen befindet. Die Hütte ist so richtig abgelegen - perfekt zum Wandern. Und für Halloween. Es war Matt's Idee rauszufahren und dort mit allen eine Halloweenparty zu veranstalten. Irgendwie steht er total auf dieses Zeug.

Tai und ich waren beide wenig begeistert von dieser Idee.

Wir stehen nicht auf diesen ganzen Gruselkram. Normalerweise verbarrikadiert sich Tai an diesem Abend bei sich zu Hause, schaltet das Licht aus und tut so, als wäre er nicht da, weil er keine Lust auf »die nervigen Kinder« hat, die ständig an der Tür klingeln. Kann ich irgendwie verstehen. Deshalb verbringe ich den Tag meistens bei meinen Eltern zu Hause, die zu der Zeit für üblich in den Urlaub fahren. Ich passe dann auf das Haus auf und versorge besagte nervige Kinder an der Tür mit Süßigkeiten, weil ich zumindest die Kostüme ganz süß finde und mir es als Kind ebenfalls Freude bereitet hat, von Haus zu Haus zu ziehen. Bis jetzt sind wir damit ganz gut gefahren. Dies wird tatsächlich das erste Halloween sein, an dem wir zusammen sind.

Matt wollte einfach nicht locker lassen. Tai und ich sind schließlich eingeknickt, als er meinte, wir würden uns am Halloweenabend auch alle verkleiden und es wäre super schade, wenn wir beide da fehlen würden.

Was soll ich sagen? Tai kann seinem besten Freund eben nichts abschlagen.

»Tut mir echt leid, dass du deinen Geburtstag in einem Auto verbringen musst«, meint Sora entschuldigend und sieht mich durch den Rückspiegel hinweg an. Ich sitze zwischen Tai und Kari. Tai hat seinen Kopf an meine Schulter gelegt und schlummert selig. Kari liest ein Buch. Gott, mir würde speiübel werden.

»Schon okay«, entgegne ich. »Es sind ja nur drei Stunden.«

Trotzdem grinst Sora entschuldigend.

»Du wirst es nicht bereuen«, sagt nun Matt und dreht sich zu mir um. »Ich habe eine Menge geplant. Ich verwandle Soras Hütte in ein richtiges Horrorhaus.

Ich grinse. Oh, bitte nicht.

Während ich Matt so ansehe, wie er sich wie ein kleines Kind freut und auch Sora kurz auflacht und dadurch abgelenkt ist, fallen mir aus dem Augenwinkel zwei Lichter auf, die immer heller werden - und direkt auf uns zukommen.

»Sora, pass auf!«, rufe ich und im selben Moment reißt Sora das Lenkrad rum. Kari schreit auf, ihr Buch poltert zu Boden, während Matt herumwirbelt. Wir schlittern einige Meter über den nassen Asphalt und weichen somit dem Idioten, der uns im Gegenverkehr auf der falschen Fahrbahn entgegen kommt aus, bis wir zum Stehen kommen.

Mein Herz rast und ich greife mir an die Brust. Tai fährt erschrocken hoch. »Was ist passiert?«

Schwer atmend umklammert Sora das Lenkrad, als es auch schon an der Scheibe klopft und wir alle ein weiteres Mal aufschreien.

»Ist alles in Ordnung bei euch?«, höre ich Izzy von draußen rufen. Sora lässt die Scheibe runter.

»Alles gut. Das war nur so ein Idiot, der meinte, er müsse auf einer eh schon engen Landstraße überholen.«

»Man, das war haarscharf. Gut, dass euch nichts passiert ist«, sagt Izzy beruhigt.

Gut? Gar nichts ist gut.

Mir schießen sofort die Worte der alten Hexe wieder in den Kopf: »Großes Unheil wird dich ab morgen verfolgen. Für den Rest deines Lebens.«

Oh, Gott.

»Alles gut, Babe?« Tai greift nach meiner Hand. Verängstigt sehe ich ihn an, nicke jedoch.

»Ja, ich habe nur einen Schrecken bekommen, das ist alles.«
 

Wir fahren weiter, als wäre nichts gewesen. Doch mir geht das alles nicht mehr aus dem Kopf. Um ein Haar wären wir alle draufgegangen. Ob das meine Schuld war? Ich glaube nicht an Flüche, Zauber oder dergleichen. Aber das eben … war echt unheimlich.

Als wir nach einer schier endlos langen Autofahrt an der nebelverhangenen Hütte ankommen, möchte ich als erstes den Empfang checken. Doch als ich mein Handy aus der Tasche hole, stürmt T.K. an mir vorbei und rempelt mich so unglücklich an, dass es mir aus der Hand fliegt und auf einen Stein knallt.

»Oh, Mist. Sorry, Mimi«, entschuldigt er sich sofort.

Ich winke ab. »Schon gut.« Seufzend hebe ich es auf. Der Bildschirm ist gesprungen. Da tut sich nichts mehr. Großartig.

»Ist es kaputt?«, fragt Tai, der neben mich tritt.

»Sieht so aus«, antworte ich frustriert und stecke es wieder ein. Noch mehr Unglück - das kann ich heute wirklich gebrauchen.

»Hey, lass uns erst mal reingehen«, schlägt Tai vor und kneift mir dann in den Hintern. »Hier oben brauchst du sowieso kein Handy.« Er zwinkert mir zu und ich grinse.

Jedes Mal, wenn ich das Ferienhaus von Soras Eltern betrete, bin ich zutiefst beeindruckt, wie groß es ist. Dabei war ich schon etliche Male hier.

»Ihr wisst ja Leute, die Schlafzimmer sind im ersten Stock. Sucht euch eins aus. Das große am Ende des Flurs gehört natürlich Matt und mir.« Sora streckt Tai die Zunge raus, der eben demonstrativ mit den Augen rollt, aber ich muss einfach nur kichern. Ist doch klar, was die da drin vorhaben.

Wir bringen alle unsere Koffer nach oben. Tai und ich beziehen zusammen ein Zimmer mit einem großen Bett und einem eigenen, kleinen Badezimmer. Danach gehen Sora und ich gemeinsam in die Küche und bereiten das Abendessen vor. Während Sora einen Salat macht, koche ich die Nudeln. Plötzlich erklingen laute Stimmen aus dem Wohnzimmer. Tai und die anderen stimmen gerade ein Lied an. Verwirrt sehen wir auf, denn es ist »Happy Birthday«.

»Das ist dann wohl für dich«, sagt Sora und zeigt grinsend mit dem Messer auf mich.

Stöhnend werfe ich den Kopf in den Nacken. »Dabei habe ich gerade erfolgreich verdrängt, dass ich Geburtstag habe.«

Sora folgt mir ins Wohnzimmer. Tai und alle meine Freunde haben es sich natürlich nicht nehmen lassen, eine Torte, mit 23 Kerzen auf den Tisch zu stellen. Wie haben sie die nur unbemerkt hier rein geschmuggelt?

Ich will es eigentlich nicht, aber ich muss einfach lächeln, als ich Tais Gesicht sehe.

Hätte mir klar sein müssen, dass er sich als mein Freund noch etwas einfallen lässt, nachdem wir den halben Tag im Auto verbracht haben.

Als die letzte Zeile des Liedes verklingt und alle klatschen, kommt Tai auf mich zu und umarmt mich.

»Happy Birthday, Lieblingsmensch«, flüstert er und drückt mir einen innigen Kuss auf die Lippen.

»Danke«, sage ich und erwidere den Kuss.

»Komm, du musst schnell die Kerzen auspusten«, meint Kari freudestrahlend.

»Und vergiss nicht, dir was zu wünschen«, ermahnt mich Sora. Lächelnd stehe ich vor der Torte und weiß beim besten Willen nicht, was ich mir wünschen soll. Schon gar nicht, als ich in die Runde blicke und all ihre Gesichter sehe. Das sind die Menschen, die ich am meisten liebe und sie alle sind heute hier. Es gibt absolut nichts, was ich noch wollen würde - so, wie es jetzt gerade ist, bin ich wunschlos glücklich.

»Na, mach schon«, meint Tai und beugt sich vor, bis er mit den Lippen mein Ohr berührt. »Dein Geschenk bekommst du dann später von mir, wenn wir allein sind.«

Sofort wird mir warm, während ich tief Luft hole und mich hinunter beuge, um die Kerzen auszupusten.

Genau in dem Moment löst sich eine Strähne aus meinem Zopf und fällt nach vorne - direkt in die Flammen.

Meine Haare entzünden sich so schnell, dass ich erst gar nicht weiß, wie mir geschieht. Bis alle große Augen kriegen und ich aufschreie.

»Oh, Scheiße«, ruft Kari und presst sich die Hand auf den Mund, während ich spüre, wie die zunächst kleine Flamme sich in Windeseile ausbreitet und meine Wange verbrennt. Ich stolpere zurück, wirble herum, wedle wild mit den Händen vor meinem Gesicht, als würde das irgendwas bringen. Ich höre die anderen schreien, mich eingeschlossen, weil alles so unfassbar schnell geht. Plötzlich packt mich Tai an den Schultern und bringt mich somit dazu, still zu halten. Matt wirft ihm eine Sofadecke zu, die Tai mir über den Kopf schmeißt und die Flamme somit im Keim erstickt. Mein Haar riecht verkohlt und meine Wange brennt vor Schmerz.

Ich ziehe mir die Decke vom Kopf und stürze mich weinend in Tais Arme.

»Hey, es ist alles gut. Alles ist gut.« Das wiederholt er immer wieder, streicht mir dabei sanft über den Rücken. Irgendwann höre ich nur, wie Sora los rennt, um einen Erste Hilfe Kasten zu holen und Kari die Torte wegbringt, doch all ihre Stimmen gehen in meinem Gewimmer unter.

Ich bin geschockt. Verängstigt.

Das ging alles so schnell, es fühlte sich wie in einem Albtraum an. In dem einen Moment war noch alles gut, alles war perfekt und dann …

Ich zittere am ganzen Körper, als Tai sich mit mir aufs Sofa setzt, mich festhält und weiterhin versucht, mich zu beruhigen. Doch ich habe einfach nur unfassbare Angst. Erst der beinahe Unfall auf der Landstraße, dann das kaputte Handy und eben wäre ich fast in Flammen aufgegangen. Das konnte alles kein Zufall sein.

Hatte diese Hexe etwa doch recht? Bin ich wirklich verflucht?

Nightmare

Schwer atmend renne ich durch den Wald. Ich bekomme kaum Luft, weil meine Lungen vor Anstrengung brennen. Irgendetwas verfolgt mich. Es ist mir auf den Fersen.

Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Immer wieder rufe ich Tais Namen …

»Tai … Tai …«

Doch er antwortet nicht. Niemand antwortet. Weil ich ganz allein bin.

Plötzlich packt mich etwas am Knöchel und ich falle der Länge nach hin. Ich schneide mir die Wange an einem spitzen Ast auf, der am Boden liegt. Ich berühre die Stelle und merke sofort, dass ich blute. Es schmerzt. Ich will wieder aufstehen, aber ich kann nicht. Etwas liegt wie eine Last auf mir, hält mich am Boden fest. Als ich mich schwerfällig umdrehe, sehe ich in ein vertrautes Gesicht.

»Tai?«

Er ist über mir gebeugt, drückt mich mit aller Kraft in den feuchten Waldboden. Seine Augen leuchten blutrot, als wäre er ein wildes, ausgehungertes Tier, das mich gleich in Fetzen reißt. Ein tiefes Knurren dringt aus seiner Kehle, ein Geräusch, was definitiv nicht von dieser Welt ist. Was ist nur in ihn gefahren? Das ist nicht mein Tai.

»Tai, lass mich los.« Meine Stimme bricht, doch er grinst nur. Ich habe Angst. Was soll das? Ich habe noch nie Angst vor ihm gehabt. Sein Grinsen wird immer diabolischer, sein Griff immer fester. Sein Mund öffnet sich und senkt sich an meine Kehle.

Ich schreie vor Schmerz … dann …
 

… wache ich auf.

Keuchend und bis auf die Knochen durchnässt, sitze ich im Bett und greife mir an die Brust. Der kalte Schweiß auf meiner Haut fühlt sich an wie der nasse Waldboden. Orientierungslos blicke ich ins Dunkel.

»Hey.« Eine Hand berührt mich von hinten und ich schreie auf. Mit einem Satz springe ich aus dem Bett und stolpere zurück, bis ich auf den Boden knalle.

»Mimi, hey«, kommt es verwirrt von Tai, als er auch schon das Licht anschaltet. Mit aufgerissenen Augen steht er vor mir, halb nackt, genauso wie ich. Schwer atmend sehe ich mich um. Wir sind in unserem Schlafzimmer. Es ist mitten in der Nacht.

»Mimi, was hast du?«, will Tai wissen und kommt auf mich zugestürmt, während ich immer noch am Boden hocke.

Vorsichtig sehe ich in seine Augen, während die Bilder meines Albtraums in meinem Kopf aufblitzen. Doch es ist Tai. Einfach nur Tai, der mich besorgt, mit seinen warmen Augen ansieht.

»Ich …«, beginne ich und schlucke. Meine Kehle ist staubtrocken. »Ich hatte nur einen Albtraum. Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.« Dabei habe ich mich selbst am meisten erschreckt.

Ich stehe auf und krieche zurück unter die Bettdecke, während Tai sich neben mich setzt und an sich zieht.

»Ist es wegen vorhin?«, fragt er und meine Finger wandern unwillkürlich an meine Wange, an der ein Pflaster klebt. Zum Glück war es nur eine leichte Verbrennung, weshalb ich nicht ins Krankenhaus musste.

Ich schüttle den Kopf. »Nein, es ist nur …« Ich überlege, ob ich ihm die Wahrheit sagen soll. »Es ist nur die fremde Umgebung, sonst nichts weiter. In fremden Betten schlafe ich für gewöhnlich nicht gut.« Ich entscheide mich für die Lüge. Jetzt auszusprechen, dass dieser ganze Schwachsinn von gestern mich anscheinend ein wenig wahnsinnig macht, wäre albern. Tai würde mich sicher auslachen und ich mich ehrlich gesagt auch. Wie konnte ich auch nur eine Minute lang glauben, dass es diesen Fluch wirklich gibt?

»Okay«, sagt Tai, drückt mir einen Kuss aufs Haar und zieht mich noch enger an sich. »Dann halte ich dich eben ganz fest, bis du wieder einschläfst.«

Ich nicke und kuschel mich dankend an ihn. Mein Innersten beruhigt sich. Ich hatte schließlich schon öfter Albträume. Kein Grund, deswegen durchzudrehen, oder?
 

Am nächsten Morgen beschließen wir alle, wandern zu gehen, während Matt zu Hause bleibt und das Haus dekoriert. Anscheinend hat er viel vor, wenn er dafür einen ganzen Tag benötigt. Aber gut.

Das Wetter ist fantastisch und ich genieße die Zeit mit meinen Freunden. Tai ist zauberhaft und weicht mir nicht von der Seite. Die ganze Zeit macht er blöde Witze und will mich aufheitern, was ich wirklich zu schätzen weiß. Doch im Grunde ist mir klar, dass er sich einfach ein bisschen Sorgen macht. Vermutlich hat er sich letzte Nacht mehr erschrocken, als er es gezeigt hat.

Am späten Nachmittag machen wir eine Pause und essen ein paar Kleinigkeiten. Mein Orientierungssinn war noch nie der Beste und überhaupt bin ich den ganzen Tag nur hinter den anderen her gelaufen. Tai meint, wir wären nicht weit von der Hütte entfernt, aber für mich sieht hier jeder Baum gleich aus. Ich bewundere ihn dafür, dass er immer bei allem den Überblick behält. Manchmal verlasse ich mich auch zu sehr darauf, das ist mir durchaus bewusst. So, wie jetzt, als er mir vorschlägt, dass ich mich ein wenig ausruhen kann.

»Mach einfach ein bisschen die Augen zu und entspann dich«, meint er, als wir beide gegen einen Baum gelehnt da sitzen und ich meinen Kopf an seine Schulter lege.

»Aber ich bin entspannt«, widerspreche ich, kann jedoch ein Gähnen nicht unterdrücken.

Tai lacht auf. »Du hast letzte Nacht kaum geschlafen, Mimi. Und warst den ganzen Tag auf den Beinen. Es ist nicht schlimm, wenn du dich kurz ausruhst. Ich wecke dich, sobald wir weiter gehen.«

Ich seufze. Vielleicht hat er recht. Bevor ich die Augen schließe, vergewissere ich mich noch mal, dass alle noch mit essen und plaudern beschäftigt sind und keiner weiter auf mich achtet. Was macht es da schon, wenn ich für ein paar Sekunden die Augen schließe …? Ich spüre noch Tais Hand, die meine festhält, dann gebe ich der Müdigkeit nach.
 

Mir ist kalt und ich fühle mich unwohl. Mein Rücken tut weh, also öffne ich die Augen - und fahre sogleich zusammen.

Es ist dunkel.

Lediglich ein kleines Lagerfeuer brennt wenige Meter vor mir. Erschrocken wirble ich herum.

Wo sind die anderen?

Wie lange habe ich geschlafen?

Warum ist niemand hier?

Mir stockt der Atem. Träume ich etwa schon wieder?

Meine Finger krallen sich in den kühlen Waldboden. Nein, diesmal ist es echt. Zu echt.

Aufgebracht stehe ich auf und halte mich am Baumstamm fest, weil ich immer noch ganz benommen bin. Ich muss stundenlang geschlafen haben.

Wo ist nur Tai? Warum hat er mich hier allein zurück gelassen?

Mein Herz pocht wie wild, als ich ein paar Schritte nach vorne mache und versuche, in die Dunkelheit zu spähen. Weil ich absolut nichts erkennen kann, will ich mein Handy aus der Tasche ziehen und leuchten, doch dann fällt mir ein, dass es ja kaputt ist.

»Verdammt«, fluche ich und mache noch ein paar Schritte.

»Tai?«, rufe ich zaghaft, aber niemand antwortet. Scheiße. Ich bin hier mutterseelenallein.

Das ist ein Albtraum. Ich muss sofort hier weg!

Panisch stolpere ich weiter nach vorne. Die anderen haben gesagt, dass das Haus nicht weit von hier weg sei. Also muss ich es ja irgendwie finden. Aber ich sehe einfach nichts. Es ist so dunkel, dass ich nicht ein mal genau erkenne, wo ich hintrete. Meine Augen füllen sich mit Tränen und es fällt mir immer schwerer, Luft zu holen. Ich bekomme eine Heidenangst, klammere mich an einen Baum, weil ich sonst womöglich zusammenbreche und fange an zu weinen.

Plötzlich höre ich ein Knacken, unmittelbar neben mir. Instinktiv schrecke ich auf und will weglaufen, doch etwas packt mich am Handgelenk und zerrt mich zurück. Ich schreie, schlage wie wild um mich, aber es gibt kein Entkommen. Gott … es ist genau wie in meinem Traum.

Mein Schreien hallt durch den ganzen Wald, bis ich heftig geschüttelt werde und eine vertraute Stimme zu mir durch dringt.

»Mimi, Mimi, ich bin's!«

Ich verstumme und sehe in das Gesicht von Tai. Nun ist es auch nicht mehr dunkel. Erst jetzt fällt mir auf, dass er eine Taschenlampe bei sich hat, die alles in unserer näheren Umgebung erhellt. Verwirrt sehe ich mich um.

»Mimi, was soll das?«, fragt Tai mich aufgebracht und hält mich immer noch an den Armen fest, wahrscheinlich aus Angst, ich könnte wieder anfangen, um mich zu schlagen.

»Wieso warst du plötzlich weg?«

»Ich?«, entgegne ich schockiert. »Du warst doch nicht da, Tai. Ich meine, wie lang habe ich denn geschlafen? Es ist bereits dunkel und ich wache auf und bin plötzlich ganz allein. Was sollte das?«

Tai seufzst und lässt mich los.

»Du bist heute Nachmittag so tief eingeschlafen, dass dich niemand von uns wach gekriegt hat. Ich habe zu den anderen gesagt, dass sie ruhig schon vor gehen können und wir dann nachkommen, sobald du wach bist. Ich war die ganze Zeit bei dir, Mimi. Ich musste vorhin nur mal … na ja, für kleine Jungs eben. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du gleich so durchdrehst, wenn du wach wirst. Ich hatte dir doch extra ein Feuer angemacht.«

Erleichtert atme ich auf, obwohl mir der Schreck immer noch in den Gliedern steckt. »Tut mir leid«, sage ich ehrlich und fahre mir durchs Haar. »Ist irgendwie nicht mein Tag. Es ist lieb von dir, dass du die ganze Zeit auf mich aufgepasst hast.«

»Hmm«, macht Tai und legt einen verzweifelten Blick auf. »Anscheinend nicht gut genug. Bist du sicher, dass alles okay ist?«

Ich nicke schwach. »Ja. Ja, ich denke schon. Können wir jetzt bitte gehen? Ich will raus aus diesem Wald.«

»Keine Sorge«, meint Tai liebevoll und zieht mich in eine Umarmung. »In diesem Wald ist absolut nichts, wovor du dich fürchten müsstest.«

Tai hat recht. Ich habe wirklich das Gefühl, langsam durchzudrehen. Erst diese Wahrsagerin, die mir offensichtlich mehr Angst eingejagt hat, als ich zugeben möchte, dann dieser Albtraum … das ist alles ein wenig zu viel für mich. Ich bereue diesen Ausflug. Wir hätten alle niemals herkommen sollen.

Pumpkin

Ich bin immer noch durch den Wind. Selbst am nächsten Tag noch. Ich weiß nicht, warum, aber ich fühle mich in dem Haus nicht mehr sicher. Erst recht nicht, seitdem Matt hier gewütet und seine dunkelste Seite ausgelebt hat. Jedes Zimmer sieht zum fürchten aus, überall hängen Spinnweben und irgendwelche grusligen Fratzen. Hier und da hat er sogar mit Kunstblut rum geschmiert, was mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken jagt, wenn ich dran vorbei gehe.

Mist, ich hasse mich dafür, dass ich mich darauf eingelassen habe. Eigentlich habe ich kein Problem mit Halloween, aber inzwischen beschleicht mich das Gefühl, langsam wahnsinnig zu werden. Innerlich werde ich immer unruhiger, als würde bald etwas Schlimmes auf uns zustoßen. Es fühlt sich wie eine Vorahnung an.

Als ich in die Küche komme, erwartet mich bereits der nächste Schrecken. Kürbisse.

»Oh, hallo, Mimi«, begrüßt Matt mich, der gerade dabei ist, einem großen Kürbis ein hässliches Gesicht zu verpassen. Dann hält er mir ein scharfes Messer hin. »Willst du mitmachen?«

Ich zische. »Du lässt dieses Jahr auch gar nichts aus, oder?«

Seine Mundwinkel zucken belustigt. »Ach, komm schon. Die sind doch harmlos.«

»Sie beißen dich schon nicht«, sagt Tais Stimme hinter mir und ich zucke zusammen, als er mir einen sanften Kuss auf den Hals drückt. Dann krempelt er sich die Ärmel hoch. »Ich löse dich jetzt ab.«

Matt drückt ihm das Messer in die Hand und geht zur Spüle, um sich die Hände zu waschen.

»Das ist gut, die anderen und ich wollten noch mal eine kleine Runde durch den Wald spazieren gehen. Möchtest du mitkommen, Mimi?«

Tais und mein Blick treffen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Hat er ihm etwa von meiner Panikattacke gestern im Wald erzählt?

»Schon gut«, lacht Matt auf, als keiner von uns beiden antwortet. »Ich kann verstehen, wenn ihr das Haus mal für euch alleine haben wollt.« Sein Grinsen sagt alles und ich bin froh, dass er nicht weiter nachfragt.
 

Kurze Zeit später haben alle das Haus verlassen, nur Tai und ich sind zurückgeblieben. Ich sitze auf einem Barhocker in der Küche, während Tai mir gegenübersteht und den Kürbis schnitzt.

»Das ist echt hässlich«, sage ich tonlos und stopfe mir ein paar Chips in den Mund. »Du hast kein Talent dafür.«

Tai grinst, lässt sich jedoch nicht beirren und macht weiter. »Dafür habe ich andere Talente«, antwortet er, ohne dabei von seiner Arbeit aufzusehen.

»So, was denn zum Beispiel? Also, mir fällt da nichts ein«, ärgere ich ihn weiter und lehne mich auf dem Küchentresen weiter nach vorne.

Nun lässt er doch von dem Kürbis ab, stützt sich mit den Unterarmen ab und kommt mir ein Stück entgegen, um mich herausfordernd anzusehen. Ein Lächeln ziert seine hübschen Lippen, was mich augenblicklich zum Schmelzen bringt.

»Ach, wirklich? Gar nichts?«

»Hmm, nö.«

»Wie frustrierend«, seufzt Tai. »Wir können gerne nach oben gehen und ich zeige dir einige meiner Talente.«

Oh ja, bitte. In meinem Bauch kribbelt es erwartungsvoll.

Tai sieht das Leuchten in meinen Augen und vermutlich werde ich auch rot, weshalb er schnell wieder auf den Kürbis zeigt. »Aber erst muss ich den hier fertig machen, sonst macht Matt MICH fertig.«

Ich lache auf. »Da versteht er keinen Spaß, was?«

Tai setzt das Messer erneut an, um den Kürbis zu vollenden. »Nicht wirklich. Halloween ist für ihn wie Weihnachten. Nur … ein bisschen grusliger.« Genau in dem Moment, als er den Satz beendet, rutscht er mit dem Messer ab und schneidet sich in die Hand. Er schreit auf und ich zucke zurück.

»Au, verdammt!«, flucht er und lässt das Ding fallen. Der Schnitt ist so tief, dass dicke Bluttropfen an der Fratze des Kürbisses hinunterlaufen. Tai stürmt zur Spüle und dreht das Wasser auf, während ich wie versteinert da sitze und auf das blutige Messer starre. Das Gesicht des Kürbisses scheint mich auszulachen, wie ein Dämon, der das alles von langer Hand geplant hat.

»Oh, Mist. Das muss vermutlich genäht werden. Ich werde nachher alleine ins Krankenhaus fahren«, sagt Tai und wickelt sich schnell ein Küchentuch um die blutende Wunde. »Kannst du mir mal den Verbandskasten holen?«

Der Anblick lässt mich nicht mehr los. Ich bin wie gelähmt. Ist das der Fluch? Weitet er sich nun sogar schon auf alle Menschen aus, die ich liebe?

»Mimi?« Tai rüttelt mich wach. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an.

»Tai, das ist der Fluch.«

»Was? Wovon sprichst du?«

Das Küchentuch ist bereits blutdurchdrängt, doch ich kann nur an eines denken: dass ich an allem schuld bin!

»Oh, Gott. Das ist alles meinetwegen.« Ich springe vom Barhocker und fange an, panisch im Raum auf und ab zu laufen, während mein Puls rasant in die Höhe schießt. »Wir dürfen nicht mehr zusammen sein, Tai. Du darfst nicht bei mir sein. Nein, ich darf nicht bei dir sein. Ich muss mich von euch allen fernhalten.«

»Was, zum Teufel, redest du da?«

Bei dem Wort Teufel bleibe ich abrupt stehen und sehe in Tais verwirrtes Gesicht, während sich in meinem die blanke Angst widerspiegelt.

»Die Wahrsagerin hatte doch recht«, wispere ich benommen.

»Was?«

»Ich bin verflucht, Tai. Alle sind in Gefahr, wenn sie mit mir zusammen sind. Auch du!« Wieso versteht er das denn nicht?

»Mimi«, meint Tai plötzlich entrüstet und kommt auf mich zu. Ich weiche zurück, doch er packt mich an den Schultern. Schmerzerfüllt verzieht er das Gesicht, weil seine Hand so fest zudrückt, dass es selbst mir weh tut.

»Jetzt hör mir mal zu. Ich weiß, du bist gerade etwas durch den Wind und dass ich mich eben geschnitten habe, war ungeschickt von mir, aber …«

»Ungeschickt?«, wiederhole ich mit hoher Stimme. »Das war nicht ungeschickt. Das war der Fluch, der auf mir liegt. Er scheint sich auszuweiten und er verletzt dich und mich.«

Kalter Angstschweiß rinnt mir über die Stirn. Ich kann nicht mehr klar denken. Tai ist verletzt und sein Blut klebt an meinen Fingern. Gott, ich glaube, ich habe eine Panikattacke - schon wieder.

»Das ist Unsinn«, redet Tai mit fester Stimme auf mich ein.

»Woher willst du das wissen?« Wieso will er es nicht einsehen?

»Weil ich es war, der sich diesen Fluch ausgedacht hat.«

Mir stockt der Atem. Fassungslos sehe ich ihn an.

»Was?«

Wovon spricht er da?

»Mimi, das sollte alles nur ein Scherz sein, okay? Ein kleiner Halloweenstreich, nichts weiter«, erklärt Tai mir, lässt mich jedoch nicht los, sondern sieht mir stattdessen entschlossen in die Augen. »Ich habe dich zu der Wahrsagerin geschleift, weil ich es witzig fand und dir ein wenig Angst einjagen wollte. Es war … es war nicht Ernst gemeint, verstehst du? Nichts von alledem. Ich hatte vorher mit ihr gesprochen und sie dafür bezahlt, dass sie dir diesen Quatsch mit dem Fluch einredet. Ich wusste, du glaubst nicht an so was und dass du dich darüber nur lustig machen würdest. Es war einfach nur ein Scherz, Mimi.«

Mit einem Ruck reiße ich mich von ihm los. Voller Entsetzen begegne ich seinem aufgewühlten Blick.

»Was? Ein Scherz?«

»Ja, verdammt. Ein Scherz. Es sollte lustig sein, ich konnte ja nicht ahnen, dass du dir plötzlich was aus diesem Hokuspokus machst. Als ich dich dann gestern im Wald gesehen habe, wie verstört du warst, wusste ich, dass ich zu weit gegangen bin.«

»Und da kommst du nicht auf die Idee, es mir zu sagen?«

Tai stöhnt frustriert auf und fährt sich durch die Haare. »Ich dachte, du würdest dich schon wieder einkriegen, wenn du erst ein mal merkst, dass nichts weiter Schlimmes passiert und dass du nicht von Unheil verfolgt wirst. Dass du dich an den Kerzen verbrannt hast oder wir beinahe einen Unfall hatten, waren alles nur Zufälle. Dumme Zufälle, Mimi. Genauso wie das.« Er hält mir seine blutende Hand entgegen, die wirklich schlimm aussieht. Doch ich kann kein Mitgefühl mehr empfinden. Was Tai getan hat, war fies. Er hätte es mir eher sagen sollen, bevor ich fast den Verstand verliere und tatsächlich daran glaube, dass ich verflucht bin.

»Mimi, es tut mir leid«, sagt er nun eine Spur versöhnlicher und kommt auf mich zu. »Ich wollte dir nicht einen solchen Schrecken einjagen. Es tut mir leid, dass ich nicht in Erwägung gezogen habe, dass du das alles zu ernst nehmen könntest. Seit gestern Abend weiß ich, dass das falsch war. Aber ich hatte Angst, dass du sauer auf mich sein könntest, wenn ich es dir sage.«

Ich schnaufe verächtlich.

»Du hast recht. Ich bin sauer!«

Blanke Wut macht sich in mir breit und ich stürme an Tai vorbei, geradewegs auf den blutigen Kürbis zu. Dann nehme ich das Teil in beide Hände und werfe es mit aller Kraft zu Boden. Die Teile fliegen durch den Raum und klatschen gegen die Küchenschränke, so dass es eine richtige Sauerei ist.

Mir scheißegal.

Tai sieht mich entsetzt an, doch noch bevor er irgendwas sagen kann, lasse ich ihn stehen und laufe aus der Küche. Ich will nur noch weg von hier.

Trick or Treat

»Danke, dass du mich nach Hause fährst«, sage ich müde, während ich seit einer Stunde wie betäubt aus dem Fenster starre und die Landschaft wie einen Film an mir vorbei ziehen lasse.

»Kein Problem«, antwortet Sora, die so großzügig war und mir angeboten hat, mich zurück in die Stadt zu bringen. Ich habe die Nase echt gestrichen voll von Tai und seinen beschissenen Witzen. Ich kenne ihn ja und er hat sich schon oft den ein oder anderen Scherz mit mir erlaubt - aber diesmal hat er den Bogen echt überspannt.

»Da ist Tai wohl ein wenig übers Ziel hinausgeschossen, was?«, hakt Sora vorsichtig nach. Bis jetzt hat sie sich nicht getraut, das Thema anzusprechen, weil sie gemerkt hat, wie geladen ich war. Beruhigt habe ich mich auch jetzt noch nicht. Am liebsten würde ich meinen Freund zum Mond schießen.

»Du hast ja keine Ahnung«, seufze ich. Diesen Ausflug und meinen Geburtstag habe ich mir definitiv anders vorgestellt.

Sora versucht mich die restliche Fahrt lang mit Gesprächen abzulenken, aber es gelingt mir kaum, mich darauf zu konzentrieren. Ich bin einfach so sauer.

Als wir, nach gefühlt einer Ewigkeit, vor dem Haus meiner Eltern anhalten, atme ich erleichtert auf. Endlich. Ich weiß, dass meine Eltern momentan verreist sind und wären wir nicht weggefahren, hätten sie mich ohnehin gebeten, auf ihr Haus acht zu geben. Besonders an Halloween erlaubten sich die Kids aus der Nachbarschaft den ein oder anderen Streich.

»Es tut mir leid, dass ich dir den Ausflug verdorben habe«, sage ich aufrichtig, als ich mich meiner Freundin zuwende. Diese zuckt jedoch nur mit den Schultern.

»Halb so wild. Wenn ich jetzt gleich zurück fahre, bin ich pünktlich heute Abend zur Halloween Party wieder oben in den Bergen.«

Ich lege ein entschuldigendes Lächeln auf. »Trotzdem, danke.«

»Ich nehme mal an, dass es Tai echt leid tut, wie das gelaufen ist. Er sah vorhin ziemlich geknickt aus, als wir gefahren sind.«

Ich schnaube. »Ist mir egal.«

»Ach, Mimi«, seufzt Sora und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Wir wissen alle, dass er manchmal ein Idiot sein kann. Aber ihr seid jetzt schon seit fünf Jahren zusammen. Er kennt dich besser als jeder andere Mensch und er hätte sich diesen Scherz niemals mit dir erlaubt, wenn er ernsthaft daran geglaubt hätte, dass du es für voll nimmst. Er würde dir niemals absichtlich wehtun. Das weißt du doch, oder?«

Betrübt zucke ich mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

Sora legt den Kopf schief und lächelt traurig. »Hab einen schönen Abend, Süße. Und melde dich, sobald du ein neues Handy hast. Dann telefonieren wir.«

»Okay, aber ich habe mich gerade daran gewöhnt, keins zu haben. So kann ich Tai besser mit Ignoranz strafen«, grinse ich diabolisch und Sora lacht, als ich aus dem Wagen steige und die Tür hinter mir zuknalle. Sora fährt weiter und ich atme frustriert aus, während ich in das leere Haus gehe und mich mutterseelenallein fühle.

Ich kann es nur schlecht zugeben, aber … ich vermisse Tai schon jetzt. Und dass wir im Streit auseinandergegangen sind, gefällt mir gar nicht …
 

Der Abend verläuft wie erwartet. Ich habe auf den letzten Drücker noch ein paar Süßigkeiten besorgt und kaum ist die Sonne untergegangen, klingeln auch schon die ersten kleinen Gespenster, Hexen und Kobolde an meiner Tür. Fröhlich rufen sie: »Süßes oder Saures« und ich freue mich über ihre fantastischen Kostüme, bis sie jeder einzeln eine Süßigkeit aus der großen Schale nehmen dürfen. Nebenbei lasse ich einen Horrorfilm laufen, der mir, nach dem Wochenende in der Hütte, wie ein Kinderfilm vorkommt. Inzwischen frage ich mich, wie ich nur so doof sein und Tai auf den Leim gehen konnte?

Ein Fluch.

Was für ein schlechter Witz.

Als es erneut klingelt, pausiere ich den Film und gehe zur Tür. Ich öffne sie und das erste Mal an diesem Abend erschrecke ich mich wirklich. Vor mir stehen drei verkleidete Kinder, aber das ist es nicht, was mir Angst macht. Es ist der Typ, der hinter ihnen steht. Er ist groß, in schwarze Klamotten gehüllt, die Kapuze seines Pullovers hat er tief ins Gesicht gezogen. Unter ihr erkenne ich wage zwei rote Augen, die mich fixieren, während hinter seinem Lächeln spitze Zähne aufblitzen.

Ein Vampir.

Und ganz offensichtlich die Begleitung der Kinder. Allerdings sieht man es selten, dass die Eltern dieses Event genauso ernst nehmen, wie ihre Kinder.

»Süßes oder Saures!«, rufen sie im Chor und ich hole die Süßigkeiten hervor, während ich ihre tollen Kostüme lobe. Sie freuen und bedienen sich und ziehen schließlich weiter zum nächsten Haus.

Der Vampir bleibt stehen, regungslos.

Gerade, als er die Lippen erneut zu einem Grinsen verzieht und mir seine Zähne entblößt, schlage ich ihm die Tür vor der Nase zu.

Hat der sie noch alle?

Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür und grinse.

Denkt er ernsthaft, ich hätte ihn nicht erkannt?

Ach, Tai. Selbst als Vampir verkleidet, würde ich dein Grinsen unter Tausenden erkennen.

Aber was macht er hier? Und wie ist er hergekommen?

Schnell schalte ich das Licht aus, sowie den Fernseher. Als es an der Tür klingelt, tue ich so, als wäre ich nicht zu Hause, was eigentlich albern ist, weil Tai mich ja schon gesehen hat. Ich will ihn damit lediglich ein wenig aus der Reserve locken.

Schlechte Scherze? Das kann ich auch.

Rache ist süß - besonders an Halloween. Und wenn er spielen will, dann spielen wir.

Es klingelt noch mal, doch ich reagiere gar nicht. Ich weiß, dass Tai das Versteck für den Zweitschlüssel kennt. Eilig gehe ich in die Küche und öffne den Kühlschrank. Wie gut, dass wir Ketchup zu Hause haben. Ich öffne die Tube und verteile einiges davon auf meiner Kehle, meiner Kleidung und dem Fußboden. Dann stoße ich einen spitzen Schrei aus, so laut, dass ich mir sicher bin, dass ihn Tai auf jeden Fall gehört haben muss, falls er noch immer vor meiner Tür steht. Ich verstecke mich hinter der Küchentheke und gehe in die Hocke, als ich auch schon das Geräusch des Haustürschlüssels höre. Und Tais aufgebrachte Rufe.

»Mimi? Mimi, wo bist du? Mimi!«

Schnelle Schritte trampeln über den Fußboden und kommen immer näher.

»Mimi, alles okay?«, ruft er erneut, ehe er schließlich in die Küche platzt. Ich höre, wie schwer er atmet und beinahe tut es mir leid, was ich gleich tun werde.

Als er noch näher kommt und nichts ahnend um die Ecke blicken möchte, springe ich aus meinem Versteck hervor und falle ihn wie ein wildes Tier an.

Tai kreischt auf und springt zurück, während er panisch seine Hände betrachtet, die rot kleben. Er stolpert zurück und rutscht in dem Ketchup aus, den ich dort verteilt habe, doch was er sieht, ist nur rotes Blut. Und mich, die überall Blut an ihrer Kleidung kleben hat und nun wie ein Zombie auf ihn zukommt.

Noch ein mal schreit er laut auf, bevor er rückwärts fällt und auf seinem Po landet, während ich mich nicht mehr halten kann. Mein schauriges Knurren geht in Lachen über, bis ich mir den Bauch halte und wie eine Irre laut lachend vor ihm stehe.

»Was zum …?«, will Tai fragen, doch in dem Moment schalte ich das Licht wieder ein. Irritiert und zugleich beängstigt mustert er mich.

»Mimi, du … aber du …« Dann sieht er sich suchend um und betrachtet seine Hände. »Wo kommt all das Blut her?«

Ich muss immer noch lachen, während ich vor ihm auf die Knie gehe. »Du bist der schlechteste Vampir aller Zeiten, Tai. Kannst du etwa kein Blut sehen?«

Immer noch wie in Trance schüttelt er den Kopf. »Nicht deins.«

»Hmm, zu schade«, sage ich und schürze die Lippen. »Und ich dachte, du bist extra hergekommen, um mich auszusaugen.«

Ich fahre mit dem Finger über meine Kehle und schmiere ihm dann die rote Flüssigkeit an die Lippen, woraufhin er das Gesicht verzieht.

»Das ist nur Ketchup, du Idiot«, lache ich erneut auf.

Nun leckt sich Tai über die Lippen und atmet erleichtert aus.

»Du bist der Teufel, Mimi. Mach das nie wieder mit mir, hörst du? Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen.«

Ich zwinkere ihm zu. »Entschuldige, aber wer ist denn als blutrünstiger Vampir vor meiner Haustür aufgetaucht?«, frage ich und zeige auf seine zwei roten Augen. Offensichtlich hat er sich extra Kontaktlinsen reingemacht. Die Dinger sehen verdammt echt aus. Genau wie seine Zähne, die immer wieder aufblitzen, sobald er lächelt. Was man heutzutage nicht alles im Internet kaufen kann …

»Ich wollte dir nur geben, was du verdient hast.« Ich grinse diabolisch. »Es ist schließlich Halloween.«

»Okay, du hast vollkommen recht, das habe ich wohl verdient«, meint Tai und sieht mich entschuldigend an. »Ich hatte mich nur einfach schon für die Party heute Abend umgezogen, als ich kurzerhand entschlossen habe, zu dir zurück zu fahren. Ich wollte keine Zeit verlieren, habe mir Joes Auto geschnappt und bin wie der Teufel hergefahren. Ich wollte dich in der Aufmachung nicht erschrecken.«

Grinsend zucke ich mit den Schultern. »Hast du nicht. Ich habe dich erschreckt. Außerdem habe ich dich sofort erkannt. Ich glaube nicht an diesen ganzen Gruselkram, schon vergessen? Wie geht es eigentlich deiner Hand, zeig mal her.«

Ich greife nach Tais Hand, wo eigentlich eine tiefe Schnittwunde sein müsste, aber es ist nur noch eine schmale Linie zu sehen. Irritiert lasse ich sie wieder sinken.

»Hmm«, mache ich. »Du hattest einen ziemlich guten Arzt, oder?«

»Könnte man so sagen.« Ein unsicheres Lächeln legt sich auf Tais Lippen, als er zu mir aufsieht. »Heißt das, du bist mir nicht mehr böse?«

»Oh, doch, das bin ich immer noch.«

Tai runzelt die Stirn.

»Aber du könntest es wieder gut machen, indem du heute Nacht bei mir bleibst und mich vor bösen Geistern beschützt.« Vielsagend klimpere ich mit den Augen, als Tai lacht und mich auf seinen Schoß zieht.

»Sagtest du nicht eben, du glaubst nicht an den ganzen Halloween Quatsch?«

»Richtig«, säusle ich und berühre mit den Fingerspitzen seine Lippen, die sich heute irgendwie kalt anfühlen. »Aber dein Kostüm ist eben echt sexy.«

Ein tiefes, verlangendes Knurren dringt aus Tais Kehle, ehe er mich küsst. Ich schlinge meine Arme um seinen Nacken, während seine Lippen hinunter an meinen Hals wandern und seine Zungenspitze den Rest Ketchup weg leckt.

Seine Vampirzähne kratzen an meiner Haut, was mir eine angenehme Gänsehaut über den Rücken jagt.

»Gott, wo hast du nur diese Zähne her? Fühlt sich verdammt echt an.«

Genussvoll stöhne ich auf. Die Versöhnung ist jedes Mal das Beste an einem Streit.

»Du riechst so gut«, flüstert Tai drängend an meinem Hals.

»Ich liebe dich«, erwidere ich, bevor Tai seine Lippen öffnet und ich einen Schmerz verspüre, der anders ist als alles, was ich je gespürt habe. Es tut weh, aber ich will trotzdem nicht, dass er aufhört.

Als Tai seinen Kopf hebt und mich wieder ansieht, leckt er sich den Ketchup genüsslich aus den Mundwinkeln, während seine Augen aufleuchten. Er sieht so verändert aus. Ob das an der Maskerade liegt?

»Ich liebe dich auch, Mimi«, wispert Tai lächelnd.

Ich sehe seine spitzen Zähne. Ich sehe seine Augen. Es ist wie in meinem Traum.

Ich sehe ihn an und erkenne zum ersten Mal die Wahrheit. Tai hatte recht …

Es hat nie einen Fluch gegeben - jedenfalls nicht für mich.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Hallostern2014
2021-10-31T20:16:49+00:00 31.10.2021 21:16
Huhu meine Liebe,

Ein Perfekter Abschluss für Heute.

Mimi tat mir echt leid. Das mit dem Auto war mega krass und hätte sehr schlimm ausgehen können. Aber zum Glück ist nichts passiert.
Das Mimi danach Angst hat ist klar. Dann dieser Albtraum. Echt schlimm..Ich hätte da auch Angst bekommen. Klar das sie sofort Angst bekommt wenn sie in der Nacht im Wald alleine aufwacht. Aber zum Glück war Tai ja nicht weit weg.

Tai war echt gemein. Aber ich bin mir auch sicher das wenn er es gewusst hätte das Mimi solche Angst bekommt und so durch Tickt. Hätte er es nie gemacht. Das Mimi nach dem Geständnis abhaut kann ich verstehen..

Na, da war er aber sehr schnell bei Mimi wie er nun Wirklich zu ihr gekommen ist 😂. Aber selbst er hat sich nun erschrocken. Sehr gut, gut gemacht Mimi hat er verdient..

Das Ende war einfach der Hamma 😍. Es war einer wohl ein echter Vampire. Oder vielleicht doch nicht wer weiß 😂😁


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