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Mondschein

von

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Gewitter

Krawumms.

Du öffnest die Augen. "Was war das?", fragst du dich selbst. Du richtest dich auf. Aus dem Augenwinkel siehst du den Regen, der wie Steine gegen das Fenster schlägt. Nun stehst du auf, gehst zu dem Fenster und schaust hinaus, aber du kannst niemanden erkennen. Es ist es zu dunkel und der Regen zu stark, sodass du niemanden sehen würdest, selbst wenn er direkt unter dem Fenster stehen und dir zuwinken würde. Jetzt bemerkst du hoch am Himmel den Vollmond, welcher durch die Regentropfen an der Fensterscheibe ganz verschwommen aussieht. Du drehst dich um und steigst wieder in dein Bett. Es ist wahrscheinlich nur etwas umgefallen oder so ähnlich.

Tapp Tapp Tapp.

Du erstarrst. Du hörst das Geräusch von Schuhen die auf einem Holzboden aufsetzen. Langsam steigst du aus dem Bett und schließt die Tür deines Schlafzimmers ab. In dem Moment, in dem du den Schlüssel drehst, wird es still. Das Geräusch von eben ist verschwunden. Du atmest erleichtert auf. Beruhigt gehst du zu deinem Bett und legst dich hin. Du solltest ausgeschlafen sein, denn morgen wird ein anstrengender Tag. Die Abgaben für den Lehnsherrn sind fällig und du musst noch alles bereit machen, damit es keine Schwierigkeiten gibt. Außerdem ist deine Tochter bald in einem heiratsfähigen Alter und du musst dich um einen Mann für sie kümmern, damit sie weiterhin versorgt wird, wenn du einmal alt bist und diese Aufgabe nicht mehr meistern kannst. Der Regen hat nicht nachgelassen und das Licht des Mondes scheint spärlich ist dein Zimmer. Du schließt deine Augen.

Doch da ist es wieder.

Das Geräusch.

Sofort bist du angespannt, zwingst dich aber aus dem Bett. So leise wie möglich schleichst du zu der Tür. Du vermutest das Geräusch in der Küche, was zum Glück weit von deinem Zimmer entfernt ist. Als du an der Tür ankommst, ziehst du den Schlüssel aus dem Schlüsselloch heraus. Es beruhigt dich, ihn in deinen Händen zu halten, welche vor Angst begannen, zu schwitzen.

Das ist der einzige Schlüssel für die Tür, also verspürst du eine Woge der Sicherheit.

Ein Stuhl wird verschoben, als habe man ihn aus Versehen angerempelt. Die Schritte kommen näher. Du fängst an, zu zittern und umklammerst den Schlüssel nun fester. Dein Blick geht starr zu Tür, welche dich von den geheimnisvollen Geräuschen trennt.

Es hört auf. War dies doch nur eine Einbildung? Du bückst dich und siehst durch das Schlüsselloch.

Du kannst nichts erkennen. Um dich zu versichern, siehst du eine längere Zeit hindurch und schaust dir die Wände und den Boden hinter der Tür genau an. Du kannst auch die Küche erkennen. Alle Stühle sind an ihrem Platz, als habe man sie niemals verrückt.

Das ist der endgültige Beweis: Es ist niemand hier. Du gehst vom Schlüsselloch zurück und stellst dich aufrecht hin.

„Du bist verrückt. Da ist niemand“, flüsterst du dir zu. Du löst deine verkrampften Hände voneinander und begibst dich zu deinem Bett. Du amtest ein paar Mal ein und aus, um deinen Herzschlag zu entspannen. Anschließend legst du den Schlüssel auf den Nachttisch. Sicher ist sicher.

Plötzlich klopft es an deiner Zimmertür.

Du drehst dich zu ihr, verbleibst aber an deiner Stelle. Sofort ist die Anspannung zurück und du atmest wild. Das Klopfen ist nicht laut. Man würde es beinahe überhören. Dennoch scheint es so präsent und bedrohlich zu sein. Du schüttelst den Kopf, als möchtest du das alles ausblenden.

Das Klopfen ist verstummt. Dafür bewegt sich die Türklinke langsam nach unten. Zum Glück ist sie abgeschlossen. Es wird an der Tür gerüttelt.

Erleichtert blickst du zu dem Schlüssel auf dem Nachttisch.

Doch er ist nicht mehr da.

Etwas wird in das Schlüsselloch getan.

Du bist in Panik. Große Panik. Notgedrungen eilst du zu dem Fenster, aus dem du vorhin noch gesehen hast, öffnest es und springst. Unter deinem Fenster befindet sich glücklicherweise eine Menge heu, auf der du weich landen kannst. Du kletterst runter und rennst. Am Himmel siehst du wieder den Vollmond, der dir wegen des Regens leider nur wenig Licht spendet.

Du blickst zurück zu deinem Haus. An dem geöffneten Fenster erkennst du die Silhouette einer Gestalt. Sie schaut zu dir.

Du rennst noch schneller durch den Regen.

Du findest dich am Waldrand wieder und rennst ohne zu zögern hinein. Der Mond ist hinter den Bäumen verschwunden. Du kannst nichts sehen. Auf einmal fällst du. Du musst über einen umgefallenen Baum gestolpert sein. Du willst einfach nur liegen bleiben.

Die nasse Erde stört dich nicht. Du fühlst dich sicher.

Irgendwann siehst du Glühwürmchen herumfliegen. Sie helfen dir, dich zu beruhigen. Erleichtert amtest du auf. Die Gestalt von vorhin ist dir nicht gefolgt. Du beobachtest weiterhin die Glühwürmchen. Sie tanzen vor deinen Augen, als sei es ihr letzter. Du bist von ihnen fasziniert.

Doch sie bleiben nicht lange. Schon bald entfernen sie sich von dir und du bist wieder alleine.

Eine Weile passiert nichts. Nur der Regen und du. Sonst völlige Dunkelheit.

Du hörst das Knacken eines Astes.

Du erschrickst. Du versucht, etwas zu erkennen. Vor dir ist nichts. Über dir ebenfalls nicht. Langsam blickst du dich um.

Atem.

Das Licht eines Blitzes, welches hinter dem Wald erscheint, lässt dich sehen, was sich direkt vor dir befindet. Du bist nicht in der Lage, dich zu bewegen.

Knurren.

Geheul eines Tieres.

Danach ist alles still.

Der Tag danach

Du erwachst im Krankenhaus.

Was ist nur geschehen?

Langsam öffnest du deine Augen. Sie schmerzen. Du willst sie lieber wieder schließen, aber du zwingst dich, sie offen zu halten. Du kannst nicht erkennen, ob du noch immer im Wald liegst. Besser gesagt in dem Dreck, in dem du dich so sicher gefühlt hast.

Du blinzelst ein paar Mal. Auch das schmerzt. Aus Reflex wegen des plötzlichen Schmerzes in den Augen schließt du sie wieder. Es ist wohl doch besser, nichts zu tun.

„Habt ihr das gesehen?“, ertönt eine Stimme. Sie ist dir zu laut und du würdest deine Ohren zuhalten, wärst du in der Lage. Wieder hörst du die ungemütliche Stimme des Fremden, der, als habe man ihm nicht zugehört, denselben Satz noch einmal spricht und deine Ohren zum zweiten Mal schmerzen lässt.

Wegen der Unwissenheit über deinen Standort beschließt du, deine Augen erneut zu öffnen und offen zu halten, sollten sie weh tun. Mit einem plötzlichen Ruck öffnest du sie.

Der erwartete Schmerz in den Augen bleibt aus. Du siehst dich um. Erst jetzt merkst du, dass du in deinem Bett liegst. Ein Blick zum Fenster, das dir gestern das Leben gerettet hat, zeigt dir, dass die Nacht vorbei ist. Die Sonne scheint fröhlich ins Zimmer, als wäre gar nichts passiert.

Aber das ist es.

Nach und nach erkennst du Personen um dich herum stehen. Du kannst keine Gesichter erkennen. Es sind vier. Vielleicht auch fünf. Einer von ihnen kommt dir näher. Er ist von deinem weißen Schleier umgeben. Vielleicht der Arzt.

Er sagt dir, dass du viel Glück gehabt hast. Deine Verletzungen wären sehr schlimm gewesen und als er dich sah, hat er dir keine hohen Chancen angerechnet. Du stellst glücklich fest, dass seine Stimme im Gegensatz zu der vorhin dir keine Ohrenschmerzen bereitet. Das zählt für dich im Moment am meisten. Dass dir nicht noch mehr weh getan wird, als nötig.

Nach und nach bekommst du deine Sinne wieder. Der Mensch mit der angenehmen Stimme ist tatsächlich der Arzt und dich besuchen einige Leute, erkunden sich über deine Gesundheit und fragen, was dir widerfahren ist.

Sie sind natürlich nicht an dir interessiert. Die Heuchler haben nur um sich und ihre Familie Angst. Angst, dass ihnen dasselbe passieren könnte, wie dir.

Du betrachtest es mit einem Lächeln. Es geht dir nicht nahe, also erzählst du ihnen alles, was sie wissen wollen. Du lässt dabei nichts aus. Du sagst alles. Was du gehört hast. Was du gesehen hast. Was du gefühlt hast. Die Bewohner kommen zu dem Entschluss, dass sich im Wald etwas befinden muss, das es auszulöschen gilt. Aber wie? Man weiß nicht, was es ist.

Dir wird außerdem mitgeteilt, dass die Abgaben für den Lehnsherrn nicht mehr an diesem Tag abgegeben werden müssen. Zwei Männer haben ihm die Lage erklärt und der Lehnsherr antwortete, dass er wiederkommen werde, wenn es dir besser geht. Als die Männer dir die Nachricht übermittelten waren sie ganz stolz. Ohne dass sie es ausgesprochen haben, verlangten sie eine Belohnung für ihre Mühen, dir zu helfen. Dementsprechend enttäuscht, nein, wütend waren sie, als sie das Haus mit nur einem Dank verließen.

Als sich der Tag dem Ende zuneigt, teilt man dir mit, dass eine Wahl durchgeführt wird. Es wird ein Anführer gewählt. Jemand, der den Bürgern Hoffnung schenkt im Kampf gegen die Bestie.

Du interpretierst die Wahl als eine Suche nach jemandem, bei dem man all seine Sorgen, Ängste und Gedanken abladen kann, damit man selbst ein sorgenfreieres Leben hat.

Und wenn es gut läuft, bekommt man die Bestie. Wenn nicht, dann hat man einen Schuldigen.

Die Dorfbewohner können also nur gewinnen. Das Amt des Anführers ist vielmehr eine Bürde.

Dass alle Bürger für das Amt automatisch nominiert sind und jeder eine Stimme abgeben muss, bestätigt dich in dem Gedanken.

Die Wahl wird auf dem Dorfplatz stattfinden. Du wirst gebeten, deine Stimme ebenfalls abzugeben oder besser gesagt, du hast zu erscheinen, damit du als lebender Beweis den anderen Bürgern präsentiert werden kannst. Fast das ganze Dorf ist im Laufe des Tages bereits bei dir gewesen, sodass das nicht mehr nötig wäre, aber wahrscheinlich sollst du jede Widerworte im Keim ersticken.

Du wirst benutzt.

Es dauert nicht mehr lange, bis die Wahl losgehen soll, als deine Tochter zu dir ans Bett kommt. Sie hat Tränen in den Augen, versucht dies aber zu vertuschen. Ohne Erfolg, denn ihr Kopf ist rot und ihre Tränen sind kaum zu übersehen. Sie sagt dir, dass gleich ein Bewohner kommen und dich auf den Dorfplatz tragen wird, damit du nicht laufen musst. Du dankst deiner Tochter aus ganzem Herzen.

Als ihr auf dem Platz ankommt, lässt dich der Bewohner auf einem Stein, auf dem man gut sitzen kann, nieder. Du bemerkst, dass alle anderen bereits da sind und auf euch gewartet haben. Du blickst in ihre Gesichter. Die einen schauen verängstigt. Die anderen entschlossen.

Nach einer kurzen Einweisung geht die Wahlurne rum.

Die Bewohner haben alle schnell einen Namen auf den Zettel geschrieben und du überlegst heftig, wer für das Amt am besten geeignet ist. Obwohl es eher eine Bürde ist, musst du dich entscheiden. Einige Minuten vergehen und als die Urne nun bei dir ist, steht immer noch nichts auf deinem Zettel.

Die Wahl

Dir ist bewusst, dass der heutige Tag über Leben und Tod entscheiden kann. Auch über dein Leben. Den gescheiterten Angriff auf dich wird das Biest nicht so einfach hinnehmen.

Jetzt bist du hier auf dem Stein. Auf dem Marktplatz. Mit deinem leeren Zettel in der Hand. Langsam schaust du dich um und bemerkst, dass alle Blicke auf dich gerichtet sind. Nervös schaust du auf den Boden. Der heftige Regen von letzter Nacht hat große Pfützen hinterlassen. Jede weitere stürmische Nacht wird dich an die Letzte erinnern. Du betrachtest deine Wunden an deinem ganzen Körper. Dein linkes Bein sieht gar nicht gut aus. Als du aufgewacht bist, hast du es gar nicht mehr gespürt. Dein restlicher Körper ist mit Bisswunden von der Bestie übersät.

Sie werden nie vollständig heilen. Die Narben werden dich für dein Leben lang zeichnen.

Jetzt weißt du es, wer das Dorf anführen soll. Du kennst diese Person sehr gut. Es ist der Sohn des Nachbarbauern. Er half hier und da bei deinen Arbeiten, obwohl er selbst Aufgaben hatte. Du hast ihn als Mann für deine Tochter gesehen, wolltest dies vor einer endgültigen Entscheidung aber noch überdenken. Du vertraust ihm am meisten und traust ihm auch zu, dass er die Herausforderung meistern kann. Hastig schreibst du den Namen auf den Zettel und lässt ihn die Urne fallen.

Schnell wird die Urne weitergereicht, doch die Blicke ruhen auf dir. Als ob sie deine Entscheidung wissen und bereits über dich urteilen.

Eine gefühlte Ewigkeit dauert die Wahl. Wie zu erwarten erhalten ausschließlich Männer Stimmen, welche sich nach jeder weiteren brüsten und ihre Pläne laut verkünden, als hätten sie die Wahl bereits gewonnen. Du betrachtest dies als lächerlich. Man bekommt die Bestie nicht, indem man eine Show macht. Die Taten sind es, die zählen. Nicht das Volumen der Klappe.

Viel interessanter zu beobachten sind dabei die Frauen, die im Gegensatz zu den Männern bei jeder Stimme ihren Männern um den Hals fallen, als sei das letzte Mal, dass sie ihn vor sich haben. Die Meisten brechen in Tränen aus. Das zieht die Auswertung der Stimmen in die Länge, weil der Verantwortliche auf dem Podest immer wieder um Ruhe beten muss und darauf aufmerksam macht, dass es um Leben und Tod gehe.

Nach einer gefühlten Ewigkeit steht es fest.

Tasui soll der Anführer sein.

Alle jubeln und gratulieren ihm zu der Wahl. Alle nur du nicht. Du weißt nicht, ob du dich freuen sollst oder nicht. Es könnte das Todesurteil für ihn sein. Bei Misserfolg hat er nicht nur die Bestie gegen sich. Die Dorfbewohner, die jetzt um ihn herum stehen und beglückwünschen, werden eines Tages ihm die Schuld für weitere Angriffe geben.

Er ist ein Sündenbock, kein heroischer Anführer.

Insgeheim freust du dich, dass der Sohn des Nachbarbauern nicht gewählt wurde, denn er hat sein ganzes Leben noch vor sich. Er hat neben deine noch zwei Stimmen bekommen, wodurch er am wenigsten erhielt.

Tasui wird förmlich nach vorne auf den Podest gedrängt. Er hält eine kurze Rede, dass sie die Bestien unter seine Führung schnappen und gerecht bestrafen werden. Alle applaudieren fröhlich.

"Die Worte, die man von ihm erwartet", denkst du dir.

Du gibst ihm zwei Tage. Spätestens dann wird man von ihm Ergebnisse fordern. Mit einem gemischten Blick schaust du seinen Freunden zu, die Tasui beglückwünschen. Sie umarmen ihn und klopfen auf seine Schulter und beteuern, dass jeder gerne die Aufgabe übernommen hätte. Doch erkennst du nur ihr Lächeln, das schreiend verkündet, dass sie froh sind, vorerst aus der Sache raus zu sein. Aber nur du scheinst, diesen Schrei wahrzunehmen.

An dem Abend soll zu Ehren Tasuis Ernennung eine Feier stattfinden. Du gehst nicht hin. Du seiest zu schwach, sagst du, als man dich einlädt. Den wahren Grund behältst du für dich.

So kommst du schnell mit der Hilfe des Mannes wieder bei dir an im Bett an. Er wünscht dir gute Besserung und verlässt das Haus. Du bist froh endlich Ruhe zu haben. Vor den glotzenden Menschen. Sie waren dir zu viel für heute. Ihre Art strengt dich mehr an, als deine Wunden.

In dem Moment hörst du deine Tochter im Haus arbeiten. Du hast ein ganz schlechtes Gewissen, dass sie alles alleine machen muss. Hoffentlich kommt der Nachbarsjunge zum Aushelfen vorbei. Bei der Gelegenheit würdest du ihn auch fragen, ob der deine Tochter heiraten würde. Du hast entschieden, dass er der Beste für sie ist und sie mag ihn auch sehr.

Dann ist das wenigstens noch vor deinem Tod erledigt. Seufzend blickst du zu dem Fenster und du schaust zu, wie das Licht der Sonne immer und immer weniger wird. Jetzt steht der Vollmond wieder in seiner ganzen Pracht hoch am Himmel.

Zweifel

Moment mal…Vollmond? Gestern bei dem Angriff auf doch war auch Vollmond. Du reibst dir kurz über die Augen, um einen klareren Blick zu bekommen, aber er bleibt gleich. Du kannst keine dunkle Stelle erkennen. Irrst du dich? War gestern doch kein Vollmond? Und der Regen… Wie ist es möglich, dass trotz Regen der Mond zu sehen war? Mit einem Ruck überkommt dich ein Gefühl der Unsicherheit. Du machst dir Gedanken, ob du halluziniert hast. Auf einmal fühlt sich das alles hier unwirklich an. Möglicherweise bildest du dir Dinge ein, die deiner tiefsten und dunkelsten Vorstellungskraft entsprungen sind.

Du kannst nicht klar denken.

Kopfschüttelnd verdrängst du deine Angst, aber du kannst sie nicht vergessen. Du wirst die Situation weiterhin beobachten und bei Gelegenheit deine Tochter einweihen.

Mit einem mulmigen Gefühl schließt du deine Augen. Du weißt, dass in der Nacht etwas passieren wird. Du weißt es einfach. Du weißt nicht wann oder wo. Nur dass es passieren wird. Natürlich hoffst du, dass du diese Nacht verschont bleibst. Du und deine Tochter.

Voller Sorgen, was diese Nacht passieren könnte, zwingst du dich, einzuschlafen, damit sie so schnell wie möglich vorüber geht.

Niemand würde diese Nacht gut schlafen. Du hast Angst davor, den Angriff in einem Traum erneut erleben zu müssen. Nach einer gefühlten Ewigkeit verlierst du die Realität und fällst in einen tiefen Schlaf. Diesen hast du auch richtig nötig. In der letzten Nacht bekamst du nicht viel Schlaf und dieser ist wichtig, damit du wieder gesund wirst. Deine Großmutter hat zu ihren Lebzeiten bei jeder Krankheit gesagt, dass du einfach im Bett liegen und schlafen sollst, denn das würde helfen.

Damals hast du schon bewundert, dass der Körper sich selbst sehr gut erhalten kann. Das ganz ohne Hilfe. Und deine Großmutter hat dies schon erkannt. Du vermisst sie.
 

Am nächsten Morgen wirst du auf den Dorfplatz gebeten. Tasui will dir bezüglich der Bestie Fragen stellen. Du hast eigentlich keine Lust und verstehst nicht, warum du weiterhin damit belastet wirst, aber du denkst an Tasui, der wie du ein Opfer ist. Du willst ihm helfen.

Als du am Treffpunkt angekommen bist, stellst du fest, dass es noch dunkel ist. Möglicherweise will Tasui noch vor Sonnenaufgang eine Gruppe organisieren und die Bestie jagen.

Du schaust dich um und siehst auf der anderen Seite Menschen stehen. Tasui hat demnach bereits Freiwillige gefunden. Du gehst zu ihnen hin.

Tasui siehst du nach schnellen Blicken nicht. Du fragst sie, wo er ist.

Du erhältst keine Antwort. Jetzt fällt dir auf, dass alle von ihnen zu dem Wald schauen, der hinter dem Dorfplatz beginnt. Sie sehen nicht nur einfach so hin. Es ist, als ob dort etwas wäre.

Du siehst auch hin. Bäume. Mehr siehst du nicht. Du wirst ungeduldig. Schließlich hat dich Tasui herbestellt und du bist extra wegen ihm gekommen.

Du drehst dich zu den Menschen. Sie haben keine Gesichter. Du kannst einen erschreckten Schrei nur schwer unterdrücken. Sie haben keine Augen, Nase oder Mund. Es ist ein leeres Gesicht. Richtung Wald. Sie bewegen sich auch nicht oder beachten dich. Als wärst du gar nicht da.

Es breitet sich eine Schwärze von ihnen aus, die dich langsam umgibt, bis du nichts mehr sehen kannst. Du rennst umher. Panisch. Ahnungslos. Unwissend.

Du bist gefangen in einer unendlichen Schwärze.

Irgendwann sinkst du in dich zusammen. Das viele Rennen hat dich stark ermüden lassen.

Du stützt deinen Kopf auf deiner Hand ab.

Deine Hand greift in die Leere.

Du fühlst hinab. Dein Hals. Deine Brust. Deine Beine. Nichts ist da.

Deine Hand oder das, was du für deine Hand hältst, greift nach Nichts.

Angst bricht aus. Das wird dir alles zu viel. Du wünschst, dass du gleich aus einem Albtraum aufwachen wirst. Vielleicht schweißgebadet. Vielleicht wird deine Tochter neben dir sein und dich beruhigen, weil du schlecht geträumt hast, doch es passiert einfach nicht.

Du fällst in eine tiefe Trauer und verlierst die Kontrolle über dich und alles, was dich umgibt.

Nämlich Nichts.

Gejagt

Du fühlst dich. Endlich.

Was es auch war, es ist vorbei. Du bist wieder da. Dein Kopf, die Beine. Alles an seinem Platz.

Ein riesiger Stein fällt von deinem Herzen. Als du das Holz unter die fühlst, beruhigt es dich umso mehr. Du bist in der Nacht wegen des Albtraums aus dem Bett gefallen. Hoffentlich haben deine Wunden keinen Schaden genommen.

Du öffnest deine Augen. Du wusstest gar nicht, dass sie geschlossen waren, aber du tust es dennoch.

Sie sehen ein Haus von innen. Jedoch nicht deines. Du hoffst, dass deine Tochter dich panisch wie sie ist, zu jemandem hat bringen lassen, weil sie alleine nicht mit dir weiter wusste.

Du kennst das Haus nicht. Ein Blick zu einem Fenster verrät dir, dass es immer noch dunkel ist.

Zum Glück stellst du fest, dass deine Wunden tatsächlich nichts abbekommen, denn du kannst aufstehen, wenn auch etwas wackelig.

Nun willst du wissen, wo du bist. Auf deine Rufe nach deiner Tochter kommt keine Antwort. Auch meldet sich sonst niemand.

Polter.

Du erschrickst. Ist das denn möglich? Instinktiv und ohne Zeit zu verlieren eilst du zu dem nächstbesten Fenster und öffnest es. Du spürst die kühle Luft der Nacht von draußen auf deiner Haut, was eine Gänsehaut auslöst.

Das Poltern hat nicht aufgehört. Im Gegenteil. Es kommt näher. Woher, weißt du nicht. Du siehst auch niemanden in deiner Nähe. Würdest du nicht das Geräusch hören, wüsstest du gar nicht, dass du nicht alleine bist. So, wie in dieser Nacht. Aber du bist hier und jetzt und du spürst Gefahr.

Dich packt die Angst und du steigst aus dem Fenster. Ganz weit weg von diesem Ort. Irgendwohin, wo du sicher bist.

Etwas willkürlich setzt du einen Fuß von dem anderen. Du bist erneut auf der Flucht. Doch du zwingst dich, nicht wieder panisch wegzulaufen. Das hat beim letzten Mal schließlich auch nicht funktioniert. So schleichst du durch das Dorf. Es ist dunkel und der Vollmond scheint in seiner Pracht, aber es regnet nicht. Wenigstens etwas.

Du schmiegst dich eine Hauswand und bleibst still. Du dachtest, du hättest ein Rascheln gehört. Prüfende Blicke sagen dir jedoch, dass dir dein Verstand mal wieder einen Streich gespielt hat.

Dennoch fühlst du dich an der Wand gerade sicher, weshalb du geduckt an ihr weitergehst. Immer mal wieder hörst du das Geräusch eines Tieres aus dem Wald, was dir einen gewaltigen Schrecken einjagt.

Dir kommt dieser Teil des Dorfes nicht bekannt vor. Dabei bist du dir sicher, dass du überall schon gewesen bist. Dennoch ist es, als wärst du das erste Mal hier.

Du erstarrst.

Jetzt hast du etwas gehört. Daran gibt es keinen Zweifel, redest du dir ein. Du machst dich ganz klein und presst dich an die Wand, die dir ein schützendes Gefühl gibt.

Du siehst nach hinten.

Bis auf wenige Bäume am Waldrand, die sich im Weg bewegen und dabei ihre Blätter rascheln, kannst du nichts ausmachen. Das lässt dich etwas entspannen, denn scheinbar folgt dir niemand. Oder du hast ihn noch nicht entdeckt.

Als du nach vorne siehst, erkennst du, dass das Haus, an dem du gerade sitzt nach rechts weitergeht. Du vermutest dort eine Tür, die deine Rettung bedeuten könnte. Du willst dein Glück versuchen und den Hausherrn beten, dich hereinzulassen. Wenn er dich sieht, lässt er dich bestimmt eintreten. Dich kennt inzwischen das ganze Dorf.

Du gehst die wenigen Schritte um die Ecke. Nachdem du sie passiert hast, richtest du dich auf.

Direkt vor dir steht ein Mann.

Wie festgefroren stehst du vor ihm und siehst ihn an. Und er dich.

Du hast zu viel Angst, weshalb du erwartest, dass er dich packen und mitnehmen wird.

Doch es passiert nicht.

Er starrt dich mit seinen Augen, die dir scheinbar in die Seele schauen an. Mehr nicht.

Nachdem die anfängliche Angst vergangen ist, betrachtest du den Mann genauer. Er sieht sehr kräftig und ernst aus. Da ist es nicht besser, dass er dich anstarrt, als möchte er dich gleich aufessen. Gleichzeitig fragst du dich, was er hier um diese Zeit will, bemerkst aber, dass er dich das auch fragen könnte, also lässt du es lieber.

Außerdem stellst du fest, dass er direkt vor der rettenden Tür in das Haus steht. Deine Absicht, den Hausherren um Einlass zu bitten, hat sich trotz dieser Gestalt nicht geändert. Du machst einen Schritt.

Der Mann schubst dich zurück.

Auf einmal ist deine Angst wieder da und du wartest auf den kommenden Schmerz.

Da er nicht eintritt und der Mann wie zuvor an seiner Stelle steht, bemerkst du, dass er dich sanft geschubst hat. Hätte er dich töten wollen, wäre er nicht so sanft gewesen.

Du siehst an dem Mann vorbei zu der Tür. Mit deiner Hand deutest du ihm, dass du hinein möchtest, doch er schüttelt den Kopf und stellt sich demonstrativ vor die Tür.

Du bemerkst, dass das keinen Sinn hat und du wohl nicht in das Haus kommen wirst.

Daher überquerst du so leise wie möglich den Weg, um an der Wand des gegenüberliegenden Hauses entlang zu schleichen. Wände beruhigen dich.

Nach einer Weile bemerkst du, dass das Haus kein Haus, sondern eine Scheune ist. Sie ist nicht sehr groß, bietet aber genug Raum, als möglicher Ort für die Nacht zu dienen. Nachdem du dich hingesetzt und an die Wand gelehnt hast, suchst du ein paar Momente der Ruhe.

Du hörst das Heulen eines Wolfes. Du zwingst dich, keine Geräusche zu machen, denn auch jedes versehentliche Knacken eines Astes würde in dir die altbekannte Panik auslösen. Das klappt ganz gut. Nach dem Heulen des Wolfes passiert nichts mehr. Da sich dieses auch sehr weit entfernt anhörte, machst du dir keine Sorgen darum.

Da ist noch ein Heulen. Ein zweiter Wolf stimmt mit ein und nach ihm sogar noch ein dritter. Und leider sind sie auch nicht mehr weit weg, sondern auf einmal ganz nah. Du schließt deine Augen, um dich mehr auf das Hören zu konzentrieren.

Irgendwas tappt.

Es wird lauter.

Das sind die Wölfe.

Erneut bist du angespannt und bedacht darauf, keinen Ton von dir zu geben.

Du kannst die Wölfe inzwischen ohne Probleme hören. In der Nähe von deiner Scheune machen sie halt.

Da fällt dir der Mann von eben wieder ein und du machst dir automatisch Sorgen um ihn, auch wenn du ihn nicht kennst. Wahrscheinlich gerade deswegen.

Leider kannst du ihm nicht helfen. Er ist genau wie du auf sich gestellt.

Es sind lange Momente, in denen nichts passiert.

Entweder ist der Mann vor der Tür weg oder er ignoriert die Wölfe, jedoch will dir keine der Möglichkeiten gefallen, denn beides würde bedeuten, dass du keine Hilfe zu erwarten hast.

Die Tiere müssen bei der Tür herumstreunen, an der du anklopfen wolltest.

Alles an dir angespannt.

Passiert es jetzt wieder?

Wie aus dem Nichts tauchen vor dir die Wölfe auf, die sich in dein Fleisch beißen.

Du verlierst das Bewusstsein.
 

Als du erwachst, bis du vor der Scheune. Jemand oder besser gesagt etwas muss dich heraus gezogen haben. Du kannst dich nicht bewegen. Sogar deine Augen bleiben reglos.

Atmen ist nicht möglich.

Dennoch kannst du die merkwürdigen Personen ohne Gesichter erkennen. Sie stehen nicht unmittelbar vor dir. Sie sind eher hier und da verteilt und wirken unscheinbar, während sie gesichtslos zu dir sehen.

Die stämmige Person steht immer noch vor dem Haus. Es wirkt, als habe er sich keinen Millimeter bewegt. Du siehst eine Person in langen Gewändern den Weg entlang gehen. In ihrer Hand trägt sie einen runden Gegenstand. Was genau kannst du nicht erkennen. Sie scheint, dich jedoch gar nicht zu beachten, wie du da praktisch tot auf dem Boden liegst, unfähig einen Muskel zu regen.

Jemand Neues tritt in dein Blickfeld. Dieser läuft zu dir und bückt sich herunter. Auch diese Identität bleibt dir verborgen. Das Einzige, was du siehst, ist, dass dir die Person ein Fläschchen hinhält und dir kurz danach den Inhalt in deinen Mund laufen lässt. Weder kannst du dich regen noch dich anders dagegen wehren.

Du musst es zulassen.

Als du alles getrunken hast, geht die Gestalt wieder hoch und verschwindet hinter einer Ecke. Eine Weile liegst du noch so da unwissend, was nun passieren wird. Dir ist die ganze Situation ziemlich suspekt.

Plötzlich kannst du dich bewegen. Ein Blick auf deinen Körper zeigt, dass deine Wunden heilen. Nicht eine Narbe bleibt zurück.
 

Wie aus einem langen Schlaf öffnest du deine Augen. Im nächsten Moment findest du dich bei dir zu Hause wieder.

Da fällt es dir wieder ein. Du reißt die Deck von dir und findest du die Bestätigung. Die Wunden von dem Angriff zieren deinen Körper. Du bist stark verletzt und kannst dich ohne Hilfe nicht fortbewegen.

Was ist das gewesen? Für einen Traum hat es sich zu echt angefühlt, aber real kann es auf keinen Fall gewesen sein.

Du denkst den ganzen Tag darüber nach, was du erlebt hast. Dieser Mann vor der Tür lässt dabei das größte Fragezeichen zurück. Wer war er?

Im Laufe des Tages erfährst du, dass vor der Tür von Leni eine Nachricht lag. Leni wird darin beschuldigt, für den Angriff auf dich verantwortlich zu sein. Der Verfasser ist unbekannt, denn unterschrieben hat die Nachricht „der schwarze Rabe“.

Du fragst dich, was dieser Scherz soll. Zu deinem Bedauern glauben die Dorfbewohner, dass sich hinter dem schwarzen Raben ein übergestelltes Wesen verbirgt, das ihnen helfen will.

Das Dorf wird sich noch selbst noch vernichten. Dazu braucht es keine Bedrohung.
 

Heute würde jemand gehängt werden. Das ist die Strategie von Tasui. Jeden Tag soll jemand per Abstimmung sterben. Seiner Ansicht nach existiert ein höheres Wesen unter ihnen, das für alles verantwortlich ist. Als Tasui zum Anführer ernannt wurde, tat er dir leid, weil er offensichtlich der Sündenbock ist.

Das Gefühl ist mit der Bekanntmachung der Strategie sofort verschwunden.

Auch wenn du es für verabscheuungswert hältst, machst du dir dennoch Gedanken, für wen du stimmen wirst.

Entscheidungen

Du hast den ganzen Tag überlegt. Wer ist für dich am Verdächtigsten?

Dir wird schnell klar: Du weißt es nicht.

Du warst die ganze Zeit bei dir im Haus und kannst es nicht gut beurteilen. Aus Trotz haust du einmal gegen dein Bett. Deine Verletzungen danken es dir, indem du sie sofort spürst. Komisch. In dem Erlebnis heute Nacht hast du dich hockend an einer Wand fortbewegt und jetzt kannst du nicht einmal stehen.

Du überlegst nochmal, was du alles gesehen hast. Ob die Wölfe, die nur kurz erschienen sind, vielleicht jemandem ähnlich sahen?

Nach einem kurzen Moment gibst du auf. Diese Gestalten haben keine Ähnlichkeiten mit jemandem aus dem Dorf. Am Abend soll es einen Toten geben. Wie kannst du von deinem Bett über Leben und Tod entscheiden? Wie kann das überhaupt jemand? Das Dorf will bestimmt nur einen Sündenbock, damit sie bei einem Versagen dennoch ihre Mühen beteuern können. Und vielleicht haben sie dabei Glück?

Du fragst dich ehrlich, was bei Tasui im Kopf ausgesetzt hat, um diese Methode vorzuschlagen. Und das Dorf begrüßt es noch. Es ist zum Heulen.

Als habe er deinen inneren Wunsch nach Ablenkung, weil dir das Kopfzerbrechen nichts bringt, gehört, kommt im nächsten Moment der Lehnsherr zu dir. Kurz nach seinem Auftreten in deinem Zimmer sprichst du jede eventuell unbewusst und nett gemeinte Tat von ihm sofort wieder ab. Du erinnerst dich an die Zeit, in der er dir unterstellte, das andere Elternteil deiner Tochter entweder verjagt oder umgebracht zu haben, um so eine Ermäßigung der Abgaben zu erbetteln, weil deine Ernte mal wieder nicht gut ausfiel, weil du zu faul wärst seiner Meinung nach.

Also erhoffst du innig, dass dem Lehnsherr in diesem Moment, sollte er wider deiner Erwartung deinen Wunsch nach Ablenkung gespürt und dir durch seine Anwesenheit helfen wollen, nun dein Wunsch nach Einsamkeit in sein Gesicht klatscht, in der Hoffnung, dass er wieder geht.

Dem ist nicht so, denn wie du bei seinem Eintreten keinen Funken von Nettigkeit erkennen konntest, tust du das jetzt auch nicht.

Die Bestätigung kommt, als der Lehnsherr keine Anstalten macht, den Raum wieder zu verlassen und sogar noch anfängt zu reden.

Angestrengt hörst du ihm zu. Auch ein bisschen beleidigt, weil seine Schuhe mal wieder den Dreck von draußen im ganzen Haus verteilen.

Als er endet, erwiderst du die Antwort, die ihn am meisten zufriedenstellt. Nämlich, dass du sein gutes Herz erkennst und dafür dankst, dass die Abgaben, sollte es nicht anders gehen, auch verspätet geleistet werden können.

Bei einem Todesfall kennt er keine Gnade, aber kaum liegt jemand wegen Wunden den ganzen Tag im Bett. Vielleicht ist er auch sentimental, weil sein Dorf gerade beschlossen hat, sich systematisch auszurotten. Oder er hat Angst, dass du eines von den höheren Wesen bist und sicherstellen will, dass du ihn nicht umbringst.

Der Lehnsherr geht wieder weg und mit ihm das Gefühl von Unbehagen, was dich zu dem nächsten Thema bringt, das es unbedingt zu regeln gilt: Deine Tochter muss verheiratet werden.

So schickst du sie zu dem Nachbarsjungen, dass dieser doch mal kommen möge.

Als dieser erschienen ist, wirkt es, als ob er weiß, was du willst. So kommt es, dass du, als du ihn fragst, ob er deine Tochter zur Braut nehmen will, unterdrückte Freude wahrnehmen kannst. Sowohl von ihm, als auch von der geschlossen Tür.

Das ist also endlich vom Tisch. Die Hochzeit soll in einigen Tagen stattfinden.

Es neigt sich dem Abend zu und ehe du dich versiehst, bist du wieder auf den Platz, wo der Anführer gewählt wurde. Gewählt wird heute auch, aber dem Gewinner wird eine noch größere Bürde aufgebunden.

Die Urne geht rum. Dieses Mal steht aber schon ein Name auf deinem Zettel.

Du betest, dass das keine falsche Entscheidung war...

Das Opfer

Das Dorf schmeißt nach und nach die Zettel in die Urne. Du machst es den anderen gleich und wirfst ohne zu zögern möglicherweise ein Todesurteil, das nach reinem Zufall fungiert, hinein.

So sehr du diese Art, mit der Bestie umzugehen, hast, erhoffst du dir innerlich trotzdem, dass jemand für den Angriff bezahlt.

Jetzt ist die Chance.

Laut deinem Traum ist die Bestie ein Wolf. Besser gesagt die Bestien sind ein Wolfsrudel. Dann würde es aber nichts bringen, Dorfbewohner zu töten, wenn Tiere für den Angriff verantwortlich sind.

Das sind Tiere und du traust ihnen keine gezielten Angriffe zu.

Ebenfalls passt es nicht dem ersten Angriff auf dich zusammen, weil du Schritte gehört hast.

Das hast du für dich behalten und auch nicht deine Tochter eingeweiht.

Du hast nur noch das eine Ziel vor Augen: Zu wissen, wer dir das angetan hat. Ein Blick auf deinen Körper reicht aus und alles fühlt sich so an, als ob es wieder real ist.

Deine Flucht in dem Gewitter.

Und dieser Vollmond.

Der ist inzwischen dem Dorf auch schon aufgefallen. Er geht nicht unter und nimmt nicht ab. Selbst am Tag kann man ihn sehen, wenn man genau hinschaut. Er scheint, eine Art Einfluss auf die Geschehnisse hier zu haben.
 

Die Auslösung der Stimmen war der reinste Horror. Man hörte immer wieder Klagelaute, wenn ein Name eines Freundes, eines Nachbarn oder eines Familienmitgliedes genannt wurde.

Auch deine Tochter bekommt hin und wieder Stimmen, ist aber weit davon entfernt, in eine gefährliche Zone zu kommen.

Wer würde nicht auf einmal Angst bekommen? Dein Mut von vorhin ist auf einem Mal verschwunden.

Deinen Namen hört man selbstverständlich nicht, aber du kannst es dir nur zu gut vorstellen, wie es ist, wenn man plötzlich seinen Namen auf dem Schild sieht.

Topa, Ensia, Nilyn und Leni haben nach kurzer Zeit die meisten Stimmen. Leni schaut schreckhaft, da sie ja einen schlechten Eindruck durch den Raben bekommen hat, Topa leicht überrascht und Nilyn und Ensia halten sich fest an den Händen fest. Sie sind Schwestern.

Nein. Du nimmt es zurück. Du kannst dich nicht in sie hineinversetzen.
 

Der letzte Zettel, der letzte Strich, das Ergebnis steht fest. Du bist völlig überrascht. Du hättest mit allen anderen gerechnet, aber nicht mit ihr. Ein lauter Schrei weckt dich aus deinen Gedanken. Er kommt von Ensia.

Sie ist jedoch nicht das Ergebnis der Abstimmung. Dennoch kann sie ihre Trauer nicht zurückhalten.

„Pscht, es wird alles gut. Wir werden uns wieder sehen“, spricht Nilyn zu ihrer Schwester, die sie immer noch schreiend fest an sich drückt, in der Hoffnung, sie damit vor dem Tod zu bewahren.

Zwei selbsternannte Wachen kommen zu ihnen und versuchen, sie zu trennen. Trotz aller Versuche von Ensia ist es für sie ein Leichtes. Während der eine Nilyn nach vorne führt, hält der andere Ensia fest, welche immer noch schreit und bittet, ihr Leben zu verschonen. Du kannst, wie alle anderen auch, diese Bitte und die Trauer, die dahinter steckt, nur herzlos ignorieren und zur Seite schauen.
 

Als Nilyn in der Mitte ist, meldet sich Tasui zu Wort und erlaubt es Ensia, sich von ihrer Schwester zu verabschieden.

Sie halten sich an den Händen. Sie umarmen sich. Nilyn flüstert, dass es Zeit sei und läuft auf den Galgen zu. Ensia fällt in sich zusammen.
 

Dann wird Nilyn die Schlaufe um den Hals gelegt und nach einem kräftigen Ruck an dem Hebel baumelt sie anschließend einen Meter über dem Boden. Als Ensia hinsieht, fällt sie in Ohnmacht. Ein paar Bewohner nehmen sie und setzen sie neben dich auf einen Stein.

Obwohl sie es gar nicht merkt, nimmst du ihre Hand und hältst sie fest.

Die anderen warten derweil darauf, etwas passiert.

Das tut es auch.

Nilyn verwandelt sich. Aber nicht in die erhoffte Bestie, nein, in eine große stämmige Person.

Sie sieht aus, wie die Person, die du in deinem Traum beim Vorbeirennen vor dem Haus gesehen hast. Selbst jetzt spürst du die beschützende Aura, die von ihr ausgeht.

Die Verwandlung zeigt dir und dem Dorf, dass tatsächlich übernatürliche Kräfte unter ihnen sind und die Wolftheorie erscheint nicht mehr abwegig.
 

Nilyn war keine Bestie. Noch an dem Abend wird sie begraben. Alle wünschen sich, dass sie das rückgängig machen könnten. Ganz besonders ihre Schwester, welche noch den ganzen Abend da sitzt und weint.

Irgendwann steht sie auf einmal in deinem Zimmer und fragt, ob sie diese Nacht hier schlafen könne. Sie will nicht alleine sein und offenbar hat sie es gemerkt, wie du ihre Hand gehalten hast.

Du hattest sonst nicht viel mit ihr zu tun. Du sagst ihr zu und deine Tochter richtet ein provisorisches Bett für Ensia her.

Dennoch schläft sie früh ein und du folgst ihr kurze Zeit später.

Der Besuch

Du öffnest deine Augen. Dir ist schwindelig, als hättest du dich lange im Kreis gedreht.

Unter dir spürst du weiches Polster. Ein Blick bestätigt, dass du im Bett liegst. Draußen ist es dunkel.

Nun fallen dir die vielen Kerzen auf, die das Zimmer in ein angenehmes Gelb tauchen. Du musst durch das helle Licht geweckt worden sein, aber wer hat sie aufgestellt?

Ob es deine Tochter war?

Und warum sollte man in der Nacht Kerzen aufstellen?

Dir kommt die Situation komisch vor. Etwas in dir drängt dich, aufzustehen und die Tür so schnell wie möglich abzuschließen. Du erhebst dich, um dem Drang nachzugehen. Er klingt vernünftig.

Gerade als du aufstehen willst, bemerkst du neben dir ein Bild. Es ist gestickt. Das Bild zeigt Nilyn, die vor einem Haus steht. Es ist das Haus, in das du hinein wolltest, was durch die stämmige Person aber verhindert wurde.

Du weißt nicht, ob du traurig oder panisch sein sollst, denn von wem auch immer dieses Bild stammt, er hat euch beobachtet. In einem Traum.

Plötzlich hörst du Schritte. Du gehst von dem Bild weg und zur Tür, um sie abzuschließen.

Das hat dir beim letzten Mal zwar nicht viel geholfen, aber was anderes bleibt dir nicht übrig.

In dem Schloss ist nichts. Kein Schlüssel.

Die Schritte kommen momentan nicht auf dich zu, wodurch du die Hoffnung machst, stattdessen aus dem Fenster zu steigen.

Du rüttelst und ziehst, aber es lässt sich nicht öffnen. Warum geht die nicht auf?

Mittlerweile werden die Schritte lauter. Aber noch etwas hörst du.

Jemand singt. Das klingt nicht gefährlich. Vor allem wenn es nach einer Frau klingt.

Die Tür öffnet sich und herein kommt tatsächlich eine ältere Frau. Sie trägt ein Tablett.

Sie erschreckt sich leicht, als sie dich sieht.

Vermutlich, weil du dich direkt hinter der Tür versteckt hast.

Sie lächelt.

Offenbar seist du heute Abend bei ihr aufgetaucht und sie hat dich aufgenommen, weil es schon zu spät war und dich nicht wieder wegschicken wollte. Du hättest dich direkt ins Bett gelegt und seist eingeschlafen.

Sie stellt das Tablett auf einen Tisch und deutet dir dich auf den Stuhl zu setzen.

Sie hat dir Milch und Kekse gebracht.

Verlegen entschuldigst du dich für die Umstände und bedankst dich, dass du hier bleiben kannst.

Auch wenn du nicht weiß, wieso du weggegangen bist.

Als die Frau alles von dem Tablett herunter gestellt hat und gerade wieder gehen wollte, fragst du sie, ob sie sich nicht zu dir setzen will. In solchen Zeiten ist sicherlich gut, wenn man sich gegenseitig stärkt.

Sie lächelt verlegen und nickt. Du magst ihr Lächeln.

Du fragst sie, ob sie alleine hier wohnt. Sie bejaht. Ihr Mann sei vor einigen Jahren gestorben und Familie hat sie nicht. Als sie das sagte, tut sie dir leid.

Du kannst es dir nicht vorstellen, dass du irgendwann alt bist und deine Tochter nicht da wäre.

Sie ist praktisch immer für dich da.

Du überlegst, ob du sie vielleicht mal zu dir einladen solltest. Es gibt doch noch nette Menschen in diesem Dorf.

Als du ihr das sagst, strahlt sie. Sie würde sehr gerne zu dir gehen. Hier sei es sehr einsam.

Du sagst ihr, dass sich deine Tochter bestimmt freuen würde. Sie hat ihre Großeltern nie kennen gelernt. Insgeheim erhoffst du, dass die Frau für sie eine Art Großmutter werden könnte.

Sie würden sich bestimmt sehr gut miteinander verstehen.

Die Kekse sind köstlich. Auch die Milch ist purer Genuss.

Daher merkst du es nicht, als die alte Frau ihren Mund in deine Kehle rammt.

Dir wird schwarz vor Augen.
 

Dieses Mal kommt niemand, der dir helfen könnte.

Langsam verschwimmt das Bild von dem gelben Zimmer und mit einem lauten Schrei wachst du in deinem Bett auf. Ensia wacht auch auf und fragt, was los sei.

Du hast nur schlecht geträumt.
 

Am nächsten Morgen kommt überraschend die Mutter von dem Nachbarsjungen, um dir und Ensia etwas zu Essen vorbeizubringen. Sie hat ein schlechtes Gewissen, neben dir und Ensia zu wohnen und nicht eine gute Tat beizusteuern.

Es ist etwas Brot. Nicht viel.

Obwohl es äußerlich einige Fragen aufwirft, beißt du dennoch hinein.

Es ist wohl eher das Brot, was noch übrig geblieben und man nicht mal den Tieren vorwerfen würde. Trotzdem bedankst du dich und beteuerst die Köstlichkeit. Du willst ja keine Stimme von einer wütenden Person bekommen, wenn über Leben und Tod abgestimmt wird.

Sie freut sich oder spielt es vor, dass sie sich freut und verlässt den Raum.

Immerhin lässt sie die Tür nicht offen stehen.

Auch Ensia verzieht das Gesicht.

"Hast du auch so einen Brocken drinnen?", fragt dich Ensia.

Du legst das Brot weg.

Plötzlich siehst du einen Raben auf dein Haus zufliegen.

Jedoch hält er nicht an, sondern fliegt mit dem Schnabel voraus gegen die Scheibe. Du stehst schnell auf. Zum Glück geht es deinen Verletzungen schon besser.

Als du das Fenster öffnest, fliegt der Rabe nicht wie erwartet mit einer Botschaft auf deinen Arm, denn das wäre ja ein normales Verhalten, nein, er fliegt geradeaus weiter.

Gegen die Tür.

Und landet auf den Boden.

Mit einem grimmigen Blick stampfst du hinterher und öffnest die geschlossene Tür.

Wie von den Toten auferstanden hebt der Rabe wieder ab. Du rennst natürlich hinterher.

Weiter hinten hörst du jemanden schreien. Du erkennst schließlich Koroka, die Mutter des Nachbarsjungen, die sich gegen den Raben wehrt, indem sie ihre Arme unkontrolliert umher wedelt. Schließlich fällt sie mit ihrem Hintern voraus hin und auf ihrem Kopf landet eine Rabenfeder.

Dass die immer noch hier ist.

Deine Tochter eilt zu ihr, um ihr aufzuhelfen.

Die Dorfbewohner haben diesen Vorfall genau wie den vorherigen als Zeichen interpretiert, weswegen ihre Chancen bei der nächsten Abstimmung gleich schlechter stehen.

Wegen des Brotes, das sie euch gebracht hat, hast du kein Mitleid mit ihr.

So langsam bist du dir sicher, dass sich Dorf noch ausrotten wird.

Im Regen

Am späten Vormittag wurde die zerfetzte Leiche von Lingset außerhalb des Dorfes gefunden.

Wie Nilyn hatte auch sie sich verwandelt. In einen übergroßen Hasen. Erst war man erschrocken, weil die Gestalt nicht nach einem bekannten Tier aussah. Er bei näherem Betrachten fiel auf, dass das Gesicht das von Lingset ist.

Zunächst waren die Menschen erfreut, weil kein Opfer gefunden wurde und man dachte schon, dass sie diese Nacht verschont bleiben. Umso größer war ihre Enttäuschung, dass die Bestie, wobei du dir fast sicher bist, dass es Wölfe sind, ihr Opfer versteckt haben muss.

Dass sie gefunden wird, war klar. Dann muss der Ort, wo die Leiche vorher lag, dem Angreifer ein Dorn im Auge gewesen sein.

Leider hilft dir das nicht weiter, weil du dies bereits weißt.

Den anderen Menschen wurde erneut bestätigt, dass etwas Übernatürliches vor sich geht und das Misstrauen untereinander verstärkt sich. Bei deiner Tochter ist das nicht. Sie würde sowas nicht machen.

Da du dich nicht an das Gesicht der alten Frau erinnern kannst, gehst du genauso ratlos an die heutige Abstimmung ran wie gestern. Das wird eine Qual.

Dabei hattest du nach Ewigkeiten mal wieder einen schönen Tag. Ensia war die ganze Zeit bei dir gewesen und ihr habt euch wunderbar verstanden. Leider hat sie sich am Abend von euch verabschiedet und ist zu ihrem Haus zurückgekehrt. Sie möchte euch nicht länger zur Last fallen. Deinen Wunden geht es inzwischen auch wieder besser. So langsam sind sie verheilt, auch wenn sich große Narben um deinen Körper erstrecken werden.

Bevor die Sonne untergeht werdet ihr auf den Platz gebeten. An die vielen Abstimmungen in letzter Zeit hast du dich gewöhnt, dennoch bleibt die Nervosität. Und der Wunsch nach Rache.

Auf dem Weg zu dem Platz wünschst du dir, dass die Wahl heute drinnen stattfinden würde, denn es regnet in Strömen. Tasui besteht allerdings darauf, dass die Wahl wie jede andere auch auf dem Platz stattfindet. Okay. Es gibt kein Gebäude, das genug Platz bieten würde, damit jeder hineinkönnte. Doof findest du es trotzdem. Als ihr ankommt, stellen du und deine Tochter euch zu den anderen, ohne etwas zu sagen.

Die Bewohner stehen in einem Kreis weit von dem Podest entfernt, weil sich ein See um ihn gebildet hat und sich keiner in ihn hinein stellen möchte.

Immerhin hat auch Tasui den Willen, keine Zeit zu verschwenden, denn die Wahl geht sehr zügig los.

In deiner rechten Hand hast einen Stift und in deiner Linken ein völlig aufgeweichtes Blatt Papier. Hoffentlich kann man den Namen noch lesen.

Die Suche

Der Krug wird schnell weitergereicht. Anscheinend sind sich alle sicher bei der Wahl. Oder sie wollen nicht mehr begossen werden.

Leider dauert die Auswertung umso länger. Ganz langsam werden die Zettel genommen und ein Strich hinter die entsprechende Person gemacht.

Wie bei der ersten Wahl hörst du Klagelaute, wenn der Name eines geliebten Menschen ertönt. Auch deine Tochter erhält wieder Stimmen und bei jeder hältst du ihre Hand fester.

Jedoch ist bereits nach kurzer Zeit ein Spitzenreiter erkennbar. Auch die letzten Stimmen ändern nichts mehr an dem Ergebnis. Koroka soll es sein. Du unterdrückst deinen Kommentar.

Deine Augen schweifen über den Platz. Koroka siehst du nirgends.

Kein Schrei, kein Flehen, kein gar nichts. Sie ist nicht da.
 

Dem Rest scheint dies inzwischen auch aufgefallen zu sein. Ist sie abgehauen? Eine Gruppe meldet sich freiwillig um sie zu suchen. Wenn Koroka gefunden ist, soll eine neue Versammlung stattfinden. Da dies wahrscheinlich mitten in der Nacht sein wird, eilst du schnell in dein Haus zurück und legst dich schlafen, in der Hoffnung, dass dir der nächste Traum Erkenntnisse liefern wird.
 

"Hier drinnen ist sie nicht", ruft jemand aus einem Haus zu deiner Linken.

"Nicht da. Sie muss das Dorf verlassen haben, bevor wir es bemerkt haben", erwidert ein anderer.

"Gut, hört zu", spricht Tasui. "Sie kann nur in den Wald gelaufen sein. Es ist Zeitverschwendung, wenn wir weiter hier suchen."

Die Gruppe sammelt sich und läuft in Richtung Wald.

Ihr seid insgesamt zu viert. Das sollte hoffentlich reichen, Koroka zu finden und zu töten. Notfalls auch ohne Versammlung.

Als du hochsiehst, siehst du den Vollmond, der dir ein mulmiges Gefühl bringt. Er war immer am Himmel zu sehen, wenn jemand durch die Wölfe gestorben ist.

Am Waldrand bleibt ihr kurz stehen. Tasui holt ein paar Messer heraus und sagt, dass ihr sofort rufen sollt, wenn euch etwas auffällt.

Keine eigenen Sachen.

Ihr nickt und steckt die Messer ein.

In der Dunkelheit erstreckt sich der Wald wie ein Tor in die Hölle. Du glaubst nicht, dass euer Vorhaben problemlos ablaufen wird. Das glaubt keiner. Dennoch sind die anderen gewillt, Koroka zu finden.

Nach den ersten Schritten im Wald fühlst du dich wie in die erste Nacht zurückgeworfen.

Du bist aber nicht der Gejagte, sondern der Jäger.

Plötzlich spürst du etwas an deinem Bein. Du zuckst zurück und trittst mehrmals blind die Richtung, wo du das vermutest, was eben nach dir gegriffen hat. Als du dich sicher fühlst, hörst du die letzten Geräusche von etwas, das ein Baum hochklettert.

Von weitem fragt dich Tasui, ob alles in Ordnung sei.

Du weißt es selbst nicht.

Das von eben war mit Sicherheit ein Eichhörnchen oder so, aber du merkst, dass du mit der Situation überforder bist. Zu sehr erinnert dich das an die erste Nacht, als du vor der Bestie weg in den Wald geflüchtet bist.

Tasuis Frage ignorierst du demnach. Je schneller ihr Koroka gefunden habt, desto schneller bist du aus diesem Albtraum draußen. Du gehst weiter.

Das Zeitgefühl hast du verloren. Es könnten Minuten oder Stunden vergangen sein, seit ihr in den Wald gegangen seid. Der Mond scheidet als Uhr aus, da er sich nicht mehr bewegt.

Das Laufen durch den Wald ist mühsam und irgendwann bilden sich Schweißperlen auf deiner Stirn. Du wischst sie mit dem Ärmel weg. Doch sie kommen immer wieder und die mehr und mehr feuchtere Kleidung bringt keine Abhilfe mehr.

Einer von den anderen ruft nach euch, als du gerade durch die Baumkrone eines umgefallenen Baums läufst. Das ist schwieriger als gedacht, weil ständig Äste mit Blättern im Weg sind und du über oder unter sie klettern musst. Leider hat dich das ganz schön Zeit gekostet.
 

Auf einmal erschrickst du. Vor dir liegt Koroka. Du rufst nach den anderen. Kurz danach noch ein zweites Mal. Du weißt nicht, ob Koroka tot oder lebendig ist. Du beschließt, nicht näher zu ihr zu gehen, bevor die anderen da sind.

Das Gesicht ist zum Boden gerichtet. Ihre Kleidung ist dreckig und die weißen, nicht schmutzigen Stellen treten stark hervor.

Endlich kommt Tasui mit den anderen.

Er macht ein paar Schritte zu Koroka, welche ruckartig den Kopf umdreht.

Zusammengekrümmt und nach Luft schnaubend schaut sie euch hilfesuchend an.

"Was ist passiert?", fragt der Anführer.

"Es..war hier. Die Bestie…ein Wolf. Ich hatte solche Angst", erwidert sie stotternd.

"Beruhige dich. Wir werden dich ins Dorf bringen und dann weitersehen", spricht Tasui.
 

Die anfängliche Skepsis gegenüber Koroka fängt an, sich zu verlieren.

Du überlegst, ob sie doch kein Wolf ist. War sie auch ein Opfer, das überlebt hat...so wie du?

Einer von den Männern nimmt Koroka hoch.

Danach macht ihr euch auf den Rückweg.

Du fragst dich, ob die Abstimmung wiederholt wird oder ob das Dorf auf ihren Tod bestehen wird.

Ignorieren kann man das hier ja nicht.

„Da vorne! Der hat mich angegriffen!“, schreit Koroka und zeigt mit ihrem Finger in die Ferne.

Da steht ein Wolf.

Der Mann legt Koroka auf den Boden ab und holt sein Messer raus.

Der Anführer geht einen Schritt nach vorne.

"Beschütze Koroka“, sagt Tasui zu dir. „Wir werden den Wolf töten.“

Während der Rest zu dem Wolf sprintet, stellst du dich schützend vor Koroka. Du bezweifelst, dass sie den Wolf bezwingen können. Wahrscheinlich unterschätzen sie ihn.

„Oh, das wird nicht nötig sein“, flüstert Koroka, als vor euren Augen der Kampf beginnt.

Schnell zückst du dein Messer und drehst dich zu Koroka um, welche sich in einen Wolf verwandelt und mit dem Maul auf dich zuspringt.

Gemeinsam fallt ihr zu Boden.

Auf dir verwandelt sich der Wolf in Koroka zurück und schreit "Lauf weg! Verschwinde von hier!".

Der andere Wolf heult auf und der Kampf von den anderen wird leiser.

Jetzt spürst du eine schlimme Wunde an deinem Unterkörper. Koroka muss dich mit dem Angriff genau richtig getroffen haben.

Dafür ist es eine Genugtuung, als du dein Messer in ihrem Brustkorp siehst.

Du wirst zwar sterben, aber immerhin war dies nicht umsonst.

„Wie ist es, sein Spiegelbild zu sehen?“, flüstert Koroka breit grinsend, bevor sie ihre Augen schließt und aufhört zu atmen.
 

Du erwachst wieder in deinem Bett. Ein Blick aus dem Fenster zeigt, dass es mitten in der Nacht ist. Gerade kommt deine Tochter in dein Zimmer und meint, dass Koroka gefunden wurde und dass jetzt eine Versammlung stattfinden wird.

Auf dem Weg zu dem Platz sagt sie dir auch, dass einer der Freiwilligen, Miss Refdleid, ziemlich stark verletzt wurde, aber wohl nicht sterben wird.

Angekommen siehst du den Leichnam von einem Wolf. Es ist Koroka. Die Dorfbewohner pfeifen und äußern ihre Enttäuschung, obwohl der Wolf sie nicht mehr hören kann.

Du machst dir Sorgen wegen des Nachbarsjungen. Er hat seine Mutter verloren. Was ist, wenn es vererbt wird? Darüber willst du nicht nachdenken.
 

Nach der Erklärung, was passiert ist, kehren die Menschen rasch in ihre Häuser zurück. Es ist schließlich noch Nacht.

Geheimnisvolle Flüssigkeiten

Mit der Erwartung auf einen neuen Traum legst du dich schlafen. Du könntest genauso gut bis zum Morgen wach bleiben und auf das Opfer der Nacht warten. Doch hast du die Hoffnung, dass dir die Träume etwas Wichtiges mitteilen wollen. Bevor du dich hinlegst, beschließt du, dass du morgen den Nachbarsjungen besuchen willst. Er hat Beistand verdient.

Das Graben des Loches ist sehr anstrengend und du sehnst dir den Moment der Ruhe herbei. Obwohl du der Anführer bist und die Aufgabe jemand anderem übertragen könntest, ist es dir wichtig, dass du das Loch für Koroka gräbst. Alleine.

Sie war dir seit du denken kannst eine gute Freundin und wusste immer Rat, wenn du in Schwierigkeiten warst. Gleichzeitig hast du viel für sie getan. Du hast auf ihren Sohn aufgepasst, wenn Koroka das Dorf für eine längere Zeit verlassen hat. Was sie gemacht hat, willst du nicht wissen, jedoch hast du das auch gerne gemacht. Es war dir keine nervige Pflicht. Nein. Es war dir eine Freude, einer guten Freundin zu helfen. Deine Ernennung zum Anführer hat daran nichts geändert. Weder Koroka noch du habt euch verändert. Es war einfach perfekt.

Doch jetzt bist du enttäuscht von ihr, dass sie dich so lange belogen hat. Trotzdem bist du traurig, sie als Freundin verloren zu haben. Deshalb ist es dir ein persönliches Anliegen, sie zu beerdigen.

Du verschnaufst einen Moment. Es ist nicht mehr viel. Neben dir liegt Koroka in ihrer Wolfsgestalt. Es war, als hätte jemand ein Messer in dein Herz gerammt, als du sie verwandeln sahst.

Du wischst ein paar Tränen weg und führst deine Arbeit fort. Als du fertig bist, nimmst du den Leichnam wirfst ihn in das Loch und füllst es anschließend wieder in der Hoffnung, dass dieser Akt deine Trauer beendet.

Nach der Beerdigung gehst du zu deinem Haus.

Plötzlich bleibst du still.

Diese Gedanken.

Du wirst klar. Du hast es vergessen. Du bist in einem fremden Körper. Und das waren nicht deine Gedanken.

Dir wird bewusst, dass es Tasuis Gedanken sind.

Es ist, als hättest du die Kontrolle über deinen Körper zurückgewonnen. Du hast zwar schon vorher in einem Traum den Körper mit deinen Gedanken kontrolliert, aber dieses Mal war es gewollt. Nur sich daran zu erinnern war eine komplexere Sache.

Mit dieser Erkenntnis planst du, was du machen willst.

Du hast einen Drang, Miss Refdleid zu besuchen. Die Freiwillige aus dem vorherigen Traum. Dank Tasuis Erinnerung weißt du auch, wo sie ist.

Mit schnellen Schritten eilst du zu ihrem Haus.

Du fragst dich, wie dir in den anderen Träumen nie auffallen konnte, dass du trotz Verletzungen keine Probleme beim Laufen hast. Naja, das ist noch neu.

Du kommst leicht in das angepeilte Haus und findest auch sehr schnell Miss Refdleid.

Oder das, was von ihr übrig geblieben ist.

Miss Refdleid liegt völlig entstellt auf den Boden vor dem Bett. Du eilst zu ihr und betrachtest ihren Körper. Sie ist definitiv tot.

Die Wölfe hatten es also auf sie abgesehen und nun ihr Vorhaben beendet.

Doch kommen dir die Fläschchen an ihrem Gürtel bekannt vor. Du nimmst sie und betrachtest sie genauer. Es sind zwei Stück. Eines ist mit einer violetten Flüssigkeit gefüllt. Das andere ist leer.

Es ist offensichtlich.

Das ist die Gestalt aus dem Traum, in dem alles begann. In dem Traum, wo du tot auf dem Boden lagst. In dem Traum, wo du die stämmige Person vor der Tür gesehen hast.

Von ihr – die jetzt tot vor dir liegt - wurde die Person gerettet, welche du in deinem ersten Traum warst. Doch weißt du nicht, wer das war.

Ein Körper stürzt sich von hinten auf dich.

Einen Moment liegst du auf dem Boden.

Knurren.
 

Das Licht des Morgens scheint dir in das Gesicht und du öffnest deine Augen.

Deine Tochter stürmt außer Atem in dein Zimmer.

Du weißt, was sie dir mitteilen will.

Der Anführer ist tot.

Er sei in einer Hasenform ähnlich wie Lingset aufgefunden worden, was dich überrascht. Zwei Hasen?

Es soll ein neuer Anführer her. Wer verdient dein Vertrauen?

Die Spitze des Berges

Schon einen kurzen Augenblick später werden alle auf den Platz gerufen. Sie wollten tatsächlich keine Zeit verlieren.

Deine Meinung zu dem Anführer hat sich nicht geändert.

Tasui hat durch das Amt sein Leben verloren.

Ein Opfer des Dorfes.

Als du mit deiner Tochter auf dem Platz bist, schaust du mit deinen Augen in die Runde.

Du erblickst Gesichter, die müde sind. Die es leid sind, jeden Tag abzustimmen und Leichen zu beerdigen.

Nach dem Regen wirkt der schöne Sonnenschein, als würde die Natur diesen Moment unterstützen.

Als wüsste sie, dass der neue Anführer die richtige Entscheidung ist.

Dieser ist schnell gewählt. Anfangs wurde es als Ehre betrachtet, das Dorf im Kampf gegen das Unbekannte zu führen.

Damals gab es auch noch keine Toten.

Nur wenige melden sich für das Amt. Von den stolzen und sich brüstenden Möchtegern-Helden ist nichts mehr übrig.

Nacht kurzer Zeit steht das Ergebnis fest: Etzumesaksch bekommt die meisten Stimmen.

Die Glückwünsche halten sich sehr zurück und Etzumesaksch geht relativ schnell weg. Bevor sie endgültig verschwindet, ruft sie, dass die Wölfe verrecken werden.

Ein paar zustimmende Laute. Mehr nicht.

Mit deiner üblichen Skepsis nimmst du ihr Versprechen wahr.

Deine Tochter schlägt vor, bei dem schönen Wetter einen Spaziergang zu machen, anstatt in das Haus zurückzukehren. Zugegeben, du warst durch deine Verletzungen, welche schon fast verheilt sind, und wegen des regnerischen Wetters sehr viel im Haus und hast dieses nur wegen den Versammlungen verlassen.

Du erwiderst, dass dies eine fantastische Idee sei und fragst obendrein, ob deine Tochter nicht den Nachbahrjungen fragen will, ob er mit möchte. Ihre Augen strahlen und sie rennt schnell zu ihm, da er mit seinem Vater noch auf dem Platz steht.

Du kommst mit langsamen, aber bedachten Schritten nach deiner Tochter bei ihnen an.

Knapp grüßt du den Vater, welcher dies wohl als Anlass sieht, zu betonen, dass die Wölfe wohl bald ausgerottet sein werden und das Dorf gerade jetzt zusammenhalten muss.

Ein Wort über seine tote Werwolf-Frau verliert er nicht.

Es wirkt, als hätte er sie aus seinem Leben gestrichen.

Ganz anders als Tasui, welcher Koroka unbedingt selber beerdigen wollte, um sich von ihrer guten Seite zu verabschieden.

Nach einem fragendem Blick des Sohnes zu seinem Vater und dem darauffolgendem Nicken, brechen du, deine Tochter und der Sohn los. Ihr habt keine bestimmte Route, sondern lauft zufällige Wege durch das Dorf. Die meiste Zeit redet deine Tochter. Sie freut sich auf die gemeinsame Zeit mit dem Sohn, wenn die Wölfe endlich Geschichte sind.

Du gönnst es ihnen.

Die Bewohner, die euch begegnen grüßen euch freundlich. Offenbar hat sich das Misstrauen in Euphorie auf das hoffentlich baldige Ende verwandelt.

Oder sie sind glücklich, dass sie nicht zum Anführer gezwungen wurden.

Vermutlich ein bisschen von beidem.

Doch wunderst du dich, dass du nicht von dieser Euphorie betroffen bist. Das Schwärmen für die Zukunftspläne deiner Tochter beruhigt dich genauso wie die umherlaufenden, rosafarbenen Enten, aber warum musste so jemand wie deine Tochter her, um dich mit der Euphorie anzustecken?

Du kannst nicht weiter darüber nachdenken, denn auf einmal steht Ensia vor euch. Sie ist im Gegensatz zu allen anderen wütend. Der Grund dafür ist die Feder, welcher ein Rabe bei einem Angriff auf sie am Morgen hinterlassen hat.

Du hast den Raben als übermächtiges Wesen stets ausgeschlossen, aber die gefundenen Hasen und Menschen, die sich in Werwölfe verwandeln, lassen dich überzeugen, dass der Rabe genau wie auch der Beschützer existiert.

Anscheinend hat jeder in diesem Dorf eine zweite Identität. Mit dem Kopf schüttelnd geht ihr weiter.

Als der Spaziergang beendet ist, fühlst du dich richtig aufgeladen und bist von der Euphorie, dass heute Abend alles vorbei sein wird, überrannt.

Die Ruhe

Du weißt, dass die Wahl heute wichtig ist. Das ist jede, aber diese ist es besonders. Die Wahl kann darüber entscheiden, ob das Dorf wieder in Frieden leben kann.

Da noch Zeit bis zu der Wahl ist, willst du kurz in den Wald gehen. Du hast einfach das Bedürfnis.

Auf dem Weg zum Wald fällt dir abermals der Vollmond am Himmel auf, welcher seit der Plage mit den Wölfen kein Stück mehr gewandert ist. Ob es wieder normal wird, wenn die Werwölfe weg sind?

Zunächst gehst du im Wald bekannte Wege, doch schnell wird dir klar, dass dir das nicht reicht.

An einer Kreuzung gehst runter vom Weg. Es liegt zwar viel Geäst vor dir, doch das stört dich nicht. Einfach weiter. Durch diesen Wald.

Das Rascheln eines Tieres lässt dich kurz aufschrecken als du über die Baumkrone eines umgestürzten Baums kletterst, aber du lässt dich nicht lange aufhalten.

Ehe du dich versiehst, bist du bei der Stelle, an der du Koroka am Boden liegend gefunden hast.

Vielleicht war es gar nicht der Wald…

Als dir bewusst wird, dass es Dämmert und wo du dich befindest, eilst du so schnell du kannst aus dem Wald zurück in das Dorf.

An dem Abend versammelt ihr euch dem Platz. Es scheint, als gehört das zum Alltag.

Hoffentlich müsst ihr morgen nicht mehr kommen.

Das Dorf ist optimistisch einen Wolf zu treffen, aber genügt Optimismus?

Die Wahlen vorher waren doch vielmehr Glück, als wirklich Wissen oder Können.

Es wäre eine Tragödie, wenn noch eine Dorfbewohner sterben müsste.

Die Urne geht rum. Hoffentlich würde das bald ein Ende nehmen.

Böse Vorzeichen

Wie auch die anderen des Dorfes schaust du beschämt zur Seite, als du deinen Zettel in die Urne wirfst. Es hilft kein langes Nachdenken oder Kombinieren. Du weißt nicht, wer es sein könnte. Sollte dies die letze Wahl sein, wird sich das Dorf in ewig dafür schämen, den Sieg durch Zufall errungen zu haben.

Die Stimmen werden ausgezählt und kurz danach schauen schnell alle Augen zu Ensia.

Mit gesenktem Kopf schreitet sie nach vorne. Sie wird genau wie ihre Schwester sterben. Als Nylin ausgewählt wurde, hat wenigstens jemand um sie getrauert. Doch Ensia ist die Ruhe selbst. Du würdest gerne etwas Nettes sagen. Schließlich hast du dich durch sie das erste Mal seit dem Angriff wieder gut gefühlt.

Du rufst ihren Namen. Sie bleibt stehen.

„Nachdem deine arme Schwester gestorben war…ich muss mich bedanken, dass du mich aufgeheitert hast und es war mir eine Ehre, dir Obdach zu gewähren ganz egal was kommt.“

Du vernimmst einige schockierte Laute von den anwesenden Menschen, die zusätzlich die Hand vor dem Mund halten, um ihre Empörung deutlicher zum Ausdruck zu bringen.

Ensia hebt ihren Kopf zu dir und nickt.

Danach geht sie weiter.

Du hast nicht erwartet, dass sie mit Worten antwortet. Es war dir einfach nur wichtig, das mitzuteilen.

Der Podest gibt Geräusche der Wehklagen von sich, während Ensia über ihn zur Mitte schreitet.

„Ich würde gerne noch etwas sagen“, spricht Ensia, als Etzumesaksch ihr die Halsschlaufe um den Hals legen will.

Wieder ertönen empörte Rufe seitens des Dorfes, doch Etzumesaksch hält inne und deutet ihr, die Erlaubnis zu haben. Zuerst rufen einige Beschimpfungen nach vorne, nach denen Ensia endlich sterben solle und Etzumesaksch niemals den Platz von Tasui einnehmen könne. Das hält einen Moment, doch dann sind alle ruhig.

„Ich gestehe, ein Werwolf zu sein.“

Erneut kommen von mehreren Seiten Beschimpfungen und die Aufforderung, sie endlich zu töten.

„Ich lebte seit Jahren friedlich mit meiner Schwester in diesem Dorf. Sie wusste von mir, doch wir haben uns angepasst und wie normale Menschen verhalten. Jeder in den letzten Nächten umgebrachter Bewohner starb nicht durch meine Hand!“, spricht sie nun in einem Lauten Ton, um die anderen Rufe zu übertönen.

„Glaubst du dir eigentlich selbst? Koroka ist tot. Von wem wurden dann Tasui und Miss Refdleid getötet?“, antwortet Etzumesaksch mit einer festen und ängstlichen Stimme zugleich.

Ensia hebt ihren Arm.

Seit dem Angriff hat sich in dir eine tiefe Angst breit gemacht, dass deiner Tochter etwas zustoßen würde und du beschlosst, sie vor jeder Gefahr zu beschützen, denn sie sollte ein glücklicheres Leben haben als du. Jetzt weißt du, dass dieses Vorhaben endgültig zum Scheitern verurteilt sein würde, denn wie soll deiner Tochter so weiterleben?

Angstschweiß macht sich in dir breit und das Gefühl, dass das Biest, dass 2 Leben auf dem Gewissen hat, sich näher befindet als jemals gedacht, lässt dich beinahe Ohnmächtig werden.

Nach und nach hörst du die Rufe von wütenden Bewohnern. Du greifst nach der Hand deiner Tochter, um sie zu beruhigen, doch sie bleibt regungslos und kalt.

Dein ganzer Körper zittert, während du den Zeigefinger betrachtest, der den vermeidlichen Täter entlarven soll.

Er zeigt ohne Zweifel auf dich.

Auf einmal kommt es über dich. Die ganze Zeit bliebst du ruhig, weil Stress dem Dorf nicht geholfen hätte. Doch die angestaute Wut auf das verlogene Dorf blieb immer da. Und nun reicht es.

„Du Lügnerin!“, schreist du verkrampfst mit deinem Gesicht. „Dabei war es mir wichtig, mich bei dir zu bedanken. Dabei bist du nichts weiter als ein lügendes Drecksvieh! Dich bringe ich mit meinen eigenen Händen um.“

Schnell greifst du nach etwas, was dir wie eine Waffe dienen könnte und rennst auf Ensia zu.

Auf dem Weg zum Podest halten dich einige Bewohner fest und nehmen dir die Waffe weg.

„Wenn du die Wahrheit sprichst, nenne uns Beweise“, meldet sich Etzumesaksch wieder zu Wort.

„Bei unserer Ankunft im Dorf stellten ich sofort fest, dass Koroka auch ein Werwolf ist. Sie erkannte mich auch. Wir sind über die Jahre regelmäßig in den Wald gegangen und haben uns verwandelt.

Vor einer Weile meinte sie zu mir, dass sie das Dorf zerstören und mit ihrem Sohn weggehen will. Ich sollte ihr dabei helfen, aber ich habe verneint. Sie wurde wütend, akzeptierte es allerdings.

Ich denke, dass sie Ersatz für mich finden wollte, denn alleine würde sie das niemals schaffen.“

Nun dreht sich Ensia zu dir runter.

„Beim Gewitter…das war sie. Sie kam nicht in dein Haus, um dich zu töten. Sie hat dich verwandelt.“

Langsam begreifst du und deine Wut verfliegt.

„Du kannst dich erinnern, doch du hast dich jede Nacht verwandelt und Menschen getötet. Oft kommt es dabei vor, dass man in den Körper des geplanten Opfers geht und erlebt, wie man sich tötet. Doch habe ich zu spät erkannt, was Koroka vorhat. Es tut mir leid.“

Resignierend senkst du den Kopf. Das im Wald mit den Freiwilligen, als ihr nach Koroka gesucht habt. Der Werwolf danach warst du. Auf einmal hast den Moment, als Koroka in deinen Armen starb vor deinen Augen. Sie fragte dich, ob es Spaß mache und weißt erst jetzt, was sie damit meinte.

Wie in einem Zeitraffer siehst, du wie Ensia die Halsschlaufe umlegt und stirbt. Das Dorf stimmt ab, dass du verschwinden musst. Du packst das Nötigste zusammen und rennst in den Wald. Du weißt nicht, ob du überleben wirst oder was aus deiner Tochter passiert, die mit Korokas Sohn im Dorf bleibt.

Bei einem Blick in den Himmel fehlt etwas: Der Vollmond. Mit deinem Verschwinden ist wohl die natürliche Ordnung wiederhergestellt.

Als es dunkel wird, machst du dir ein kleines Lager. Es ist so gebaut, dass du schnell abhauen kannst, wenn es die Situation verlangt. In dieser Nacht träumst du von der Person, die sich „der schwarze Rabe“ nennt und zu deiner Überraschung ist es Leni. Sie hat sich in erste Nacht also selbst die Nachricht gegeben. Doch da ist noch eine andere Person in schönen Gewändern. Sie hat das Symbol eines Auges auf der Stirn. Es wirkt, als würde sich mehr wissen, als sie zugibt. Möglicherweise hat Etzumesaksch von Anfang an über dich Bescheid gewusst.

Dir wird klar, dass es das Beste ist, das Dorf zu verlassen und dich so weit wie möglich von Menschen zu entfernen. Sie werden sicherlich Jagd auf dich machen. Innerlich stellst du dir vor, wie deine Tochter dafür plädiert, dich in Ruhe zu lassen mit dem Wissen, dich nie wieder zu sehen, doch niemand aus dem Dorf würde auf sie hören.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, damit ist dieses RPG wohl zuende. Ich bin nur mäßig zufrieden mit dem Ergebnis. Okay, das war mein erster Versuch, allerdings bin ich nicht gut darin, die Gefühle einer Person ausführlich zu beschreiben. Ich finde, dass es an manchen Stellen abgehakt oder emotionslos ist.
Andererseits lässt diese Geschichte, welche auf eine Runde von Die Werwölfe von Düsterwald in einem Forum basiert, nicht wirklich viel Handlung drumherum zu und ich wollte mich nicht zu weit von dem Ablauf entfernen.
Trotzdem bedanke ich mich fürs lesen :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Adisa
2017-05-03T11:18:54+00:00 03.05.2017 13:18
Die Geschichte hat etwas von einem dieser modernen Horrorspiele, wo man allein in einem Haus sich vor Monstern verstecken und Rätsel lösen muss, das hat mir gefallen.
Beim Lesen habe ich noch ein wenig über die Hintergrundgeschichte gewundert. Wenn dieser Mann einen Lehnsherrn hat, ist er dann ein Bauer im Mittelalter? Dann habe ich mich geirrt und er hat kein Glas vor dem Fenster. Er kann aber nicht wirklich ein aber Bauer sein, wenn er mehrere Zimmer und Schlüssel hat.
Und braucht die Geschichte überhaupt einen Hintergrund? Das musst du natürlich selber am besten wissen. Nur hätte ich mehr Angst vor dem Eindringling gehabt, wenn die Beschreibung der gegenwärtigen Geschehnisse nicht unterbrochen worden wäre.
Tut mir leid, wenn ich zu stark kritisiere und danke, dass du diese Geschichte hochgeladen hast.
Antwort von:  Adisa
03.05.2017 13:19
*armer Bauer
Antwort von:  Tobiz
03.05.2017 13:43
Danke für dein Kommentar.
Ja, also "Du" ist ein Bauer im Mittelalter, das ist richtig. Zu dem Thema mit dem Fenster und den Zimmern kann ich nicht viel sagen. Ich hatte es mal in der Schule, aber wie genau die Lebensumstände nun sind, weiß ich nicht mehr zu 100%. Wenn geschichtliche Konflikte aufkommen, müssen sie wohl ignoriert werden.
Die Sache mit dem Lehnsherrn ist als Ablenkung gedacht, um sich sicher zu fühlen. Außerdem halte ich ein wenig Hintergrund für wichtig, da ich mich doch entschlossen habe, die Geschichte weiter zu schreiben.
Naja, es ist mein erstes Mal und ich bin noch am ausprobieren, ob es klappt.


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