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Contiguity Magica

A Crow and her Heaven
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein kurzes Vorwort, bevor es losgeht: Da ich im letzten Prolog auf einige sehr wesentliche Denkfehler aufmerksamgemacht wurde, habe ich einen überarbeiteten Prolog versprochen, den ich euch hier nun präsentiere.

Aus der Sicht eines Autoren zu seinem Werk: Ich finde, dieser Prolog lässt sich eindeutig besser lesen, als der vorangegangene. Er ist länger, Satzbautechnisch aber auch etwas bunter und dürfte, nach meinem ermessen, den Lesefluss zu keiner Stelle irgendwie behindern. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein frappant plakaiver Titel, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat. Hach, wenn mein Genius mich einmal einnimmt. xD
In diesem Kapitel kann ich weder ein großes Vor- noch ein Nachwort geben, weil es eigentlich nur eine Unstimmigkeit gegenüber der Serie gibt, die jedoch frappierende Auswirkungen auf die Geschichte haben wird, weil es genau das Kapitel ist, dass sich von den Geschehnissen der Serie abspaltet und sich in eine komplett andere Richtung entwickelt. Ab hier dem Ende dieses Kapitels, wird die neue Geschichte erzählt und, ganz ehrlich, ich freue mich schon sehr darauf. Kapitel 3 ist, zu dem Zeitpunkt, da ich dieses Vorwort hier schreibe, bereits in Arbeit und ich denke, man wird meine Motivation deutlich heranwachsen sehen, alleine schon, weil sich mein Schreibstil (aus meiner Sicht) viel flüssiger und ungezwungener liest. Doch genug der vielen Vorreden, viel Spaß beim lesen.^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Auch wieder nur ein relativ kurzes Kapitel, das man nun als zweite Einleitung ansehen könnte. Eine zweite Einleitung, was kann man darunter verstehen? Nun, die Handlung beginnt sich ab hier von dem eigentlichen Kanon der Serie abzuspalten. Die ersten drei Kapitel zuvor waren die Einleitung zum Kanon. Was jetzt folgt, ist die Einleitung zur eigentlichen Handlung. Und damit diese nicht zu langwidrig, kompliziert und eventuell langweilig wird -- immerhin greife ich alles erst Stück für Stück auf, um es später im Ganzen zu erklären -- teile ich die Einleitungen in verschiedene Kapitel auf. Wir haben also mit der eigentlichen Handlung nunmehr begonnen, sind aber noch quasi im Einstiegsverfahren. Heißt die, denen es nach Erklärungen dürstet, müssen sich leider noch in Geduld üben.

Außerdem: Wieso eigentlich die Eile? Lasst die ganze Geschichte einfach auf euch wirken. So unklar es für euch ist, wie sie verlaufen wird, so schöner ist es doch, wenn ich genau damit überraschen kann, oder? So wie die Serie von ständigen Wendungen gelebt hat, so wird auch diese Geschichte sich ständig durch einige Wendngen zu etwas weiterentwickeln. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Puh, wir nähern uns langsam dem endgültigen Ende der mehteiligen Einleitung. Soweit sind noch nicht alle Hauptfiguren vorgestellt, doch die Szenerie hat mit diesem kapitel nun den Höhepunkt ihrer Eröffnung hinter sich gebracht. Ich denke, mit dem Ende des fünften Kapitels, wären wir bereit, mit dieser Geschichte endlich durchzustarten und das Tempo etwas anzuziehen. Versprechen kann ich es nicht, nur so wiedergeben, wie es mir gerade vorschwebt. Nun, genug des kurzen Vorwortes, habt Spaß, meine Lesefreunde. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Was mich an diesem Kapitel jetzt hauptsächlich so lange gehalten hat, war tatsächlich seine Länge. Eigentlich fehlen ihm noch minimum vier ganze Seiten (ja Minimum, denn es war noch nicht wirklich fertig). Aber ich wollte mit der Veröffentlichung nicht länger warten. Außerdem denke ich, dass das Ende sich als ideales Kapitel-Ende anbietet. Komplett anzeigen

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Kapitel 00: Das Mädchen und die Zeit


 

Contiguity Magica

Kapitel 00: Das Mädchen und die Zeit

 

[JUSTIFY]„Zeit – so schätzt man heute mehr als damals – ist ein Mythos, eine Illusion, eine Wahnvorstellung des Menschen, um den Tag zu grenzen und ein Maß an Kontrolle darüber zu erhalten. Mittlerweile ist diese Vorstellung jedoch obsolet. Kontrolle über etwas Unkontrollierbares ist so unmöglich, wie das Verhältnis zwischen Zeit und Raum zu verändern. Man kann es vielleicht abwandeln, aber das Ergebnis bleibt immer dasselbe. Ich habe es viele, viele Male schon versucht und bin immer wieder aufs Neue gescheitert.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sie hatte den Blick zur Seite gewandt. Unter einem weinenden Himmel beäugte sie den erkalteten Leichnam der Stadt, die einer Ruine gleich, in Schutt und völlig verloren lag. Zerstörung und Tot, die einzige Konstante in ihren endlosen Versuchen. Eine schwarze Stadt unter einer aschfahlen Wolkendecke.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Das Blut an ihrer Stirn, welches durch das Regenwasser frisch und flüssig gehalten wurde, rann ihre Wange hinab. In dem Rot waren vereinzelt dünne, schwarze Risse zu erkennen, die sich bei genauerem Hinsehen als verklebte Haarsträhnen herausstellten. Die dunklen, blauvioletten Augen waren wieder dem kleinen Wesen zugewandt, welches sich auf einem der zahlreichen, vom einstigen Wirt gewaltsam losgerissenen Brocken abgesetzt hatte. Die immer gleiche Miene, mit der er ihren verächtlichen Blick erwiderte, verlor sich für keinen Moment in so etwas wie Emotionen und trotzdem war ihm die Niedertracht, welche er hinter dieser süßen Fratze verbarg, nicht von der Hand zu weisen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Sag mir, Inkubator ...“, sagte das Mädchen mit unheilvoll tiefer Stimme.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ja?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Was glaubst du? Bin ich verderblich?“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Verschwende ich meine Zeit?“ Es lag so viel Hass und Selbstzweifel in ihren Worten. „Ist es mir nicht bestimmt sie zu retten? Ist es verwerflich sie denselben Alptraum immer und immer wieder durchleben zu lassen, in der Hoffnung, ich könnte wenigstens sie retten?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Würde ich dir eine Antwort darauf geben, würde sie dich kümmern?“, erwiderte der Inkubator mit seiner gewohnt quietschigen Stimme. „Eure menschlichen Gefühle sind ein Hindernis für jederlei objektive Handlungs- und Sichtweise. Und dennoch wählt ihr ständig den Weg, der euch den größten Schmerz bereitet. Ihr brecht durch die Tür der Verzweiflung, in der Hoffnung, einen kleinen Funken Licht in der Finsternis zu finden.“ Er gestikulierte mit einem Kopfschütteln die Unverständlichkeit, die er für diese beschriebene Entscheidung verspürte. „Warum ihr einen solchen Weg beschreitet, entzieht sich meinem Verständnisses. Euer und unser Verständnis von Logik ist bis in den Kern identisch und doch wählt ihr stets den irrationalen Pfad. Ihr nehmt die größten Strapazen auf euch, nur um etwas von geringerem Wert in Tausch zu erhalten.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du schätzt das Leben eines einzelnen Menschen so gering und wertlos ein, dass es sich nicht lohnt, dafür zu kämpfen?“, fragte sie zähneknirschend.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nicht, wenn der Lohn nicht den Aufwand entschädigt, nein. Es ist der Lauf der Dinge, dass alles einmal vergeht. Und sich an das Vergangene zu klammern, welchen Sinn hat das für euch? Ich muss sagen, es fällt mir wirklich äußerst schwer, dies auch nur im entferntesten nachzuvollziehen. Dem Endgültigen zu trotzen, gar den Tod zu bezwingen. Eine solche Vermessenheit.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Das Mädchen ballte die Fäuste zusammen. „Versuchst du nicht genau dasselbe? Den Tod zu bezwingen?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Den Tod des Universums, ja“, stimmte der Inkubator zu, „aber nicht das Leben an sich, das nur temporär und nicht permanent ist. Wir haben die Aufgabe, die Dauer der Gemeinschaft – also das große Ganze – zu erhalten. Wir denken rational und effektiv. Empathisches Empfinden für den Einzelnen, das scheint nur euch Menschen zu liegen.“ Er erklärte die Sachlage mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass das Mädchen ihm degoutant den Rücken kehrte. „Gefühle sind, was eure Spezies ausmacht. Nur durch euch, ist eine Energiegewinnung für das Universum überhaupt erst möglich. Ihr leistet euren Beitrag zum Erhalt unserer riesigen Gemeinschaft und wir leisten unseren. Das ist der Lauf der Dinge.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich sehe, es hat wirklich keinen Sinn, sich mit dir darüber zu streiten“, sagte sie mit bebender Stimme. „Wie oft ich mit dir auch zu reden versuche, es endet immer auf dieselbe Art und Weise. Wir schaffen es einfach nicht. Wir könnten noch so oft in denselben Spiegel schauen, wir würden doch nur immer wieder uns selbst sehen. Der jeweils andere, der hinter dem Spiegel steht, wird für uns immer undurchdringlich sein.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Darauf erwiderte der Inkubator nichts.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Sei es drum. Ihr habt uns die längste Zeit benutzt. Ich werde es ein für alle Mal beenden.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Der Inkubator legte den Kopf schief. Die seltsamen Auswüchse aus seinen spitzen Ohren, um die jeweils ein goldener Ring zentral levitierte, zuckten misstrauisch. „Ist dem so? Und wie gedenkst du das anzustellen?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„So, wie ich es unzählige Male zuvor schon tat“, sagte sie mit bitterlicher Verwünschung in der Stimme und umfasste den kleinen, kreisrunden Schild, der an ihrem linken Handgelenk angebunden war. „Wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen“, hier legte sie den Kopf in den Nacken und blickte ihn von oben herab mit verheißungsschwerer Miene an, „werde ich deine Ideologie in einen großen Scherbenhaufen verwandeln.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die kleinen, komplexen Zahnräder in ihrem Schild begannen sich zu drehen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Und ich werde“,[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]sie wurden langsamer,[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„sie“,[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]stoppten,[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„nein, alle“,[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]und rotierten nun in die entgegengesetzte Richtung,[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„retten.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Und wie der Satz endete, war sie auch schon aus dem Sichtfeld des Inkubators verschwunden und hinterließ nicht mehr, als eine still gewordene, alternative Zeitebene; die eine unter vielen. Sie reiste zurück dorthin, von wo aus ihr Abenteuer begann. Ein tiefblaues Meer, das mit vielfarbigen Sternen in unschätzbarer Geschwindigkeit an ihr vorbeizog, verblasste nach nur wenigen Sekunden und wog sie in tiefste Dunkelheit. Diese war jedoch nur von relativ kurzer Dauer, denn nur einen Augenblick später lichtete sich die undefinierbare Finsternis und wurde von einem gleißenden Lichtschein aus abschätzbarer Richtung verdrängt. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf von etwas Weichem abgestützt. Unter ihrer Hand ertastete sie einen nachgiebigen, von Seide bezogenen Untergrund, während die andere still ruhend auf ihrer Brust lag. Mit den Zehnspitzen erfühlte sie einen rauen, schweren Stoff, der sie bis zur Brust eindeckte. Routiniert öffnete sie die Augen und warf sich, wie aus einem Alptraum erwacht, in eine aufrechte Sitzposition. Ihre Augen erfassten den ihr wohlbekannten Raum, der, von dem Boden, bis zur Decke und von einer Wand zur anderen, durch und durch weiß war. Alles stimmte. Sie war wieder im selben Zimmer, lag im selben Bett und fühlte denselben frischen Windzug ihr Gesicht liebkosen, der sich durch die engen Spalten der gekippten Fenster zwängte und die himmelblauen Vorhänge beiseite schob. Sie war wieder im Krankenhaus.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Eine hastige Bewegung ihres Kopfes zum Kalender an der Wand sagte ihr, dass sie in der richtigen Zeit war. Zwei Zahlen stachen, neben den rot durchgestrichenen, deutlich hervor. Die erste Zahl war die Sechzehn, die von einem hübsch gezeichneten Blümchen markiert wurde und den nämlichen Tag – also den jetzigen – bedeutete, an dem man sie endlich aus der Bettlägerigkeit entlassen würde. Die zweite, sehr viel wichtigere Zahl, war die Fünfundzwanzig, die mit einem blau gezeichneten Stern versehen wurde und der heranrückende Tag der Einschulung war.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Neun Tage“, sagte sie und warf sofort die Bettdecke von sich. „Es bleiben mir neun Tage, bevor es wieder beginnt.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sie machte eine routinierte Drehung und warf sich aus dem Bett. Umgehend hielt sie auf den Wandschrank zu, riss sich den violetten Pyjama vom Leib und stülpte sich ihre Sachen, die aus einem roten Rock, einem schwarzen Pullover auf dem ein rosafarbenes Kaninchen abgebildet war, schwarzen Socken und einem Paar braunen Lederschuhen bestanden, über.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Wenn meine Vermutung stimmt, dachte sie, während sie die Schleifen, die von einer ähnlichen Farbe wie ihr Pyjama waren und die langen, schwarzen Haare zu zwei Zöpfen zusammenhielten, entfernte, dann muss es eine Anomalie in dem Zeitgefüge geben. Sie schritt daraufhin zur Tür hinaus, bog in den langen, ebenfalls weißen Korridor zum Aufzug ein und fuhr damit ins Erdgeschoss. Und wenn das der Fall ist … Der Aufzug hielt, die zwei Türen schoben sich zur Seite und ebneten den Weg in einen großen Empfangsraum, der über und über von Menschen nur so wimmelte, dann muss es auch einen Weg geben, den Ausgang aller Geschehnisse selbst zu verhindern. Sie lief ging teilnahmslos an den vielen Leuten vorbei und hastete mit großen Schritten direkt auf den Ausgang zu. Die mechanischen Glastüren schwangen auf und ließen sie auf den Vorhof hinaus. Dieser bestand aus einem, aus verschiedenen Rottönen zusammengewürfelten Pflaster, einem einsamen, Baum, der in der ungefähren Mitte fröhlich sprießend dem wolkenlosen Himmel entgegenwuchs und einer weißen, knapp zwei Meter hohen Mauer.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ab der Mauer aus – ungefähr zehn Meter zur linken Seite gewandt – tat sich ihr der Anblick einer einsamen Bushaltestelle auf, die eine gläserne, horizontal gekippte Säule war und auf welcher durchsichtigen Oberfläche sich der Fahrplan in einer orangenen, gepunkteten Schrift holografisch wiedergab. Aus den Lautsprechern, die in der Überdachung fest verbaut waren, ertönte eine gekünstelte weibliche Stimme, die in ihrer Ankündigung so laut war, dass das Mädchen sie auch über die geringe Entfernung deutlich vernehmen konnte:[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Einfahrt: Linie Fünfzehn, nach Kazamino City.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nur neun Tage …“, sagte sie leise und in sich gekehrt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Bitte, lass mich nicht falsch liegen.“[/JUSTIFY]

 

Kapitel 1: Homura Akemi


 

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Kapitel 01: Homura Akemi

 

[JUSTIFY]Die ersten Strahlen des Morgens am fernen Horizont erstreckten sich gen Himmel und verkündeten den Aufstieg einer trägen, goldenen Scheibe. Der düstere Schleier über den Häusern hatte sich zu legen begonnen und aus dem Dunkel erwachten die Farben jedes Gebäudes, das groß genug war, um mit der Sonne an Höhe wetteifern zu können. Und mit jeder weiteren Minute malten sich immer deutlich werdende Konturen dieser turmhohen Bauten, die aus den glatten Ebenen herausbrachen. Unterhalb dieser riesigen Majestäten der Architektur, regte sich erstes Leben in den weitaus kleineren Häusern; ebenso auf der Straße. Zeitgleich verstarben die künstlichen Lichter der Laternen, welche über die Nacht hinweg, den zweibeinigen Nachteulen eine kleine Sehhilfe zuteil werden ließen. Über den Himmel malte sich das Morgenrot, welches einen goldenen Schein hinter sich herzog. Erste Schritte hallten in der noch anherrschenden Ruhe, ein dünner Schatten ging ihnen voraus. Die raren Frühaufsteher, zu welchen, vor allen anderen, die geschäftigen Leute gehörten, die mit Anzug, Schlips, Aktenkoffer und einer wertigen Uhr gewappnet, einen jener Büroräume in den obersten Etagen der Wolkenkratzer bewohnten und dort ihren Tagesdienst verrichteten. Sie kamen und gingen mit dem Auf- und Abstieg der Sonne und würden sich in ihrer Vermessenheit wohl selbst als Sonnenkinder bezeichnen, wären sie so religiös und fanatisch, wie zu Zeiten der weitverbreiteten christlichen Heilslehre. Der hektische Schritt, der ständige Blick auf das Handgelenk, die schmierigen, ordentlich zur Seite gekämmten Haare, in denen sich das eingefangene Licht heftiger bewegte, als in dem silbrige Band ihres tickenden Wertstücks und eine steinerne Miene, die leise Flüche losbrach.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Nach diesen hochgradig eitlen Gesellen, die zu der Zeit längst in ihren wohl temperierten Räumlichkeiten verschwunden waren und ordentlich die Hirnzellen mit Tabellen und mathematischen Formeln und Gleichungen in Schuss hielten, traten die ebenso tüchtigen, doch weitaus weniger wertig bezeichneten Normalverdiener auf den Plan. Vom einfachen Mitarbeiter eines Familienbetriebs, über den kleinen Angestellten einer Ladenkette, bis hin zum gemeinen Handarbeiter, der weder Dreck oder Schweiß scheute. Die einen waren, unter objektiven Gesichtspunkten, eher Schlicht gekleidet und blieben es auch über den Tag hinweg, die anderen waren zur Kennzeichnung eher einheitlich gekleidet, hieß mit Hemd und Schürze oder Latzhose.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]In dieser Stadt – in Mitakihara – die eine kleine, weiße Wirtschaftsmetropole mit Herzen Japans war, lebten die Menschen mit unvergleichlich hohen Ansprüchen, wie man sie sonst nirgendwo anders fand. Der außenstehende Beobachter würde wohl das Wort „Utopie“, für eine konkrete Beschreibung verwenden. Doch die Menschen lebten hier alles andere, als in utopischen Verhältnissen. Jeder der hier lebte und arbeitete, war für sich genommen schon ein fleißiges Bienchen, das nur seinen Stock zu erhalten versuchte. Das Wort „Großräumig“ würde dahingegen dem Zwecke der Bezeichnung dieser Stadt tatsächlich eher dienlich sein. Wo man hinsah gab es breite Straßen und Gehwege, die dem Gedränge zum Trotz angelegt waren. Nirgendwo anders fand man Einzimmerwohnungen, die so viel Fläche zu billigen Preisen anboten, ohne dahinter eine nämliche Kostenfalle zu vermuten. Nirgendwo anders fand man solch hochmoderne Krankenhäuser und Schulen, die sich rasant weiterentwickelten und mit den neusten Erkenntnissen und Gerätschaften schmückten. Die Menschen hier lebten wahrlich über den gewöhnlichen Standard der Welt hinaus, mussten dafür aber auch ihren Leistungsstandard höher ansetzen. Mitakihara war eine Blüte in der Wüste, ein einsamer Stern am nachtblauen Firmament, ein Ziel, dass es für viele Außenstehende zu erreichen galt. Und dennoch hatte jeder, der diese Stadt stolz seinen Heimatort nannte, mit Problemen zu kämpfen, die mal klein, mal groß ausfielen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Jeder. Ohne Ausnahme.[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]Auf einem kleinen, von goldbraunem Pflaster überzogenen Pfad, der einen Verbindungskanal zwischen der Hauptstraße und der, sich nahe der Stadtmitte befindlichen Schule bildete, hatten sich zwei Mädchen in eine themenreiche Unterhaltung vertieft. Sie trugen die Schuluniform der Mitakihara Mittelschule, welche aus einer cremefarbenen Jacke, eine schwarz karierten Kurzrock und eine roten Schleife, die ihren Hals zierte, sowie braunen Schuhen aus feinem Leder bestand. Wie man die Schale einer Orange eifrig von der süßen Frucht abpellte, so arbeiteten sich auch die beiden zum Kern ihrer Konversation vor. Von den unerledigten Hausaufgaben, über den wahrscheinlichen Ärger, den die klasseneigene Lehrerin deswegen machen würde, bis hin zu Späßen über das Liebesleben nämlicher Lehrerin und schlussendlich zum Zielende, auf das sie eigentlich zu Beginn zu sprechen kommen wollten: Hitomis kürzlich erhaltener Liebesbrief.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Und er will sich heute nach der Schule mit dir auf dem Hof treffen?“, fragte Sayaka Miki. Sie war ein Mädchen von geschätzten dreizehn bis vierzehn Jahren, trug blaues schulterlanges Haar und zeichnete sich unter anderem durch ihre sportliche Figur und ihr unverblümtes Mundwerk aus.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Das andere Mädchen mit den olivgrünen, welligen Haaren und der eher schlanken, zierlichen Statur, das auf den schönen Namen Hitomi Shizuki hörte, bestätigte mit einem verspielten Grinsen. Auch sie hätte man auf dreizehn bis vierzehn, maximal fünfzehn Jahren schätzen können.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Und, wirst du hingehen? Hat er überhaupt seinem Namen genannt? Was denkst du, wie sieht er aus?“, dürstete es Sayaka in ihrer unstillbaren Neugierde nach Antworten. Sie beugte sich nach vorne, umklammerte Hitomis Hände und strahlte sie Wissbegierig an.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hitomi schien an diesem, ihr und ihrem heimlichen Verehrer geltenden Interesse, großes Gefallen zu finden. Zumindest bekräftigte ihr Lächeln dies, das zwar schüchterne Zurückhaltung mimte, doch für Freude und Genugtuung stand. Bevor sie aber auf eine der Fragen eingehen konnte, wurden sich beide Mädchen eines leisen, sich monoton wiederholenden Geräusches gewahr, das schnell an Kraft und Lautstärke gewann. Sayaka ließ unverzüglich von Hitomis Händen ab und drehte sich zusammen mit ihr dem Geräusche zu. Beide erspähten sie die Freundin, auf die sie eine kleine Ewigkeit gewartet hatten. Es handelte sich um Madoka Kaname, die sich darum bemühte, das Lauftempo aufrecht zu erhalten. Sie hatte die eine Hand zum Gruß gehoben, während sie in der anderen ihre Schultasche festhielt, die, durch das ständige auf und ab des Laufschrittes, unsanft in alle Richtungen wippte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Schönen guten Morgen“, grüßte die in aller Eile Hinzugekommene. Madoka Kaname, sie war ein junges, gleichwohl hübsches, wie zierliches Mädchen, ebenfalls von geschätzten dreizehn bis vierzehn Jahren und hatte rosafarbenes, schulterlanges Haar, das sie zu zwei Zöpfen zusammengebunden hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hitomi grüßte mit einem ihr typisch charakteristisch schönen Lächeln zurück.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka machte hingegen ein eher, von inkonsequenter Strenge übergossenes Gesicht und schollt ihre Freundin für das verspätete zustoßen. Im selben Moment war ihr aber eine kleine Veränderung an Madoka aufgefallen, die jedoch eine so bedeutende Auswirkung auf ihr, ohnehin schon süßes aber kleinmädchenhaftes Aussehen hatte, dass sie ihren Ärger umso schneller vergaß und sich mehr dem neuen Look ihrer Freundin verschrieb. So fügte sie also, ohne auf eine Entschuldigung zu warten, mit überschwenkender Überraschung hinzu:[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Oh, das sind ja süße Schleifen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die „süßen Schleifen“ hielten Madokas Zöpfe zusammen. Sie waren rot und dünn, aber auffällig. Sie hatten ähnliche Wirkung auf das Gesicht, wie das hübsche Kleid einer Puppe, das den Gesamteindruck deutlich verschönerte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka strich sich verlegen über einen ihrer Zöpfe und kam dabei mit der Fingerspitze an das rote Bändchen. „Findest du? Sind sie nicht viel zu auffällig?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nein, sie sind sehr hübsch“, entgegnete Hitomi mit einer gesunden Mischung aus Ehrlichkeit und Schmeichelei.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Es beflügelte Madoka sichtlich, dies von Hitomi zu hören, die ja nicht nur die schönste der Drei, sondern wahrscheinlich die Schönste der ganzen Schule war.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Nun, da Madoka zu ihnen zugestoßen war, konnten sie ihren Weg unbeirrt fortsetzen. Die Zeit, die sie vom goldbraunen Pfad bis zur Schule benötigten, verkürzten sie sich mit einem kleinen, freundschaftlichen Rennen. Sayaka, die die Sportliche unter den ihnen war, führte die Spitze. Hitomi war dicht hinter ihr, während Madoka das Schlusslicht bildete. Alle drei lachten sie unbeschwert und keine foppte die andere dafür, dass sie entweder zu schnell, oder zu langsam war. Es ging wirklich nur um den Spaß an der Freude und konnte eine von ihnen nicht lachen, so hätte das Spiel schnell geendet. So führte Sayaka beispielsweise nicht, um sich als die Schnellste zu beweisen, ebenso nahm es Madoka den beiden nicht übel, dass sie zu schnell liefen. Schließlich war es ein Wettlauf unter Freundinnen, der nicht mit einem Wettstreit unter Gegnern verwechselt werden sollte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Der Weg selbst, auf dem sie sich befanden, war über und über von saftigem Grün umgeben. Beckenhohe Hecken markierten die Grenze zwischen dem goldbraunem Pfad und den umliegenden Bäumen, die einen kühlen Schatten auf das darunter ruhende Gras warfen. In dem seichten Bach neben dem Weg, der von einem kleinen Grenzwall aus ungleich großen und uneinheitlich geformten, kniehohen Steinen umzäunt wurde, hatten sich kleine Algen und Moos angesammelt, die dem klaren und reinen Wasser eine ungesunde, grünliche Färbung verliehen. Auf der anderen Seite des treibenden Bachs, der sich mit dem Pfad ungefähr dieselbe Breite teilte, fanden sich nur noch weitere Bäume, die ein kleines, unberührtes Fleckchen Wiese einkreisten, das über einen normalen Weg nicht zu erreichen war. Letzten Endes kamen sie an einer großen Überführung vorbei, die aus zwei gleichgroßen Steinplatten bestand, auf denen gut zwei Schüler nebeneinander hätten Platz finden können.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Dann rückte die Schule in sichtbare Nähe und das kleine Rennen endete. Hitomi hatte im Wechsel zum normalen Schritttempo rasch die Führung übernommen, während Sayaka und Madoka an das Ende des letzten Gesprächs anknüpften, das von den Schleifchen handelte. Wie sich herausstellte, hatte Madokas Mutter ihr den Tipp gegeben, dass eine Frau ruhig etwas auffallen dürfe, woraufhin Sayaka sie deswegen aufzog. Dabei kamen sie erneut auf das ausgefranste Thema rundum Liebesbriefe und die dazugehörigen Verehrer zu sprechen. Neid und Verlangen hielten sich dabei konstant die Waage mit dem Hochgefühl, das sie an Hitomis Stelle verspürten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wenn ich nur wüsste, wer mir diese Liebesbriefe schreibt“, entgegnete Hitomi auf das Geschwärme der beiden, machte auf einem Absatz eine Drehung und legte eine weniger betrübte, als mehr enttäuschte Miene auf. „Ach, das wäre schön.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka warf indes die Schultasche über die Schulter, während sie mit der freien Hand ihren Oberkörper an ihrer Hüfte abstützte und verlagerte ihr Gewicht auf das linke Bein, wohingegen sie das rechte nach hinten hin anwinkelte. „Also deine Probleme hätte ich gern“, erwiderte sie mit sarkastischem Unterton, den sie nicht an sich zu halten vermochte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Meine Güte, hast du es gut“, schwärmte Madoka hingegen unbeirrt weiter. Sie fasste sich sehnsüchtig mit einer Hand an die Wange und legte verträumt den Kopf schräg. „Ich würde mich total freuen, wenn ich auch einmal einen Liebesbrief bekommen würde.“ Ironisch an ihren Worten war, dass ihre Mutter ihr noch am selben Morgen predigte, dass kein Mann etwas taugen würde, der nicht offen über seine Gefühle sprechen konnte. Und dieses Gespräch kam seinerseits nur durch Hitomi und ihren Brief zustande. Der Kreislauf der Liebe; egal wie groß er auch war, er schaffte es immer wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du möchtest wohl auch zu einer allseits beliebten Schönheitskönigin werden, wie Hitomi“, analysierte Sayaka mit einem breiten Grinsen. „Jetzt verstehe ich auch dein neues Outfit mit den Schleifen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das stimmt doch gar nicht! Meine Mama hat –“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„So“, glänzte Sayaka plötzlich auf, „du lässt dir also von deiner Mama geheime Schönheitstipps geben? Wer so fiese Methoden anwendet“, sie hob die Hände über den Kopf, „muss mit Durchkitzeln bestraft werden“, und bekam die bereits zur Flucht ansetzende Madoka rasant zum Packen. Die erklärte Bestrafung folgte auf dem Fuße, ganz gleich, dass sie sich bereits in seh- und hörreichweite anderer Schüler befanden.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Nach dieser kleinen, aber impulsiven Buße, die Madoka tapfer über sich ergehen lassen hatte, erreichten die drei Mädchen das Schulgelände zeitnah zum Unterrichtsbeginn. Sie betraten das Gebäude und suchten ihr Klassenzimmer im ersten Stock auf. Das nämliche Gebäude selbst war kein ach so architektonisches Wunderwerk und wirkte in einer so hochtechnologischen Stadt wie Mitakihara völlig deplatziert, alt und überholt, wenn man es von Außen betrachtete. Eine langweilige, sehr kantige Form, die sich die Waage zwischen Glas und Beton hielt und im Ganzen fünf Stockwerke maß. Das Gelände war komplett mit senkrechten Metallstreben, die aus unterschiedlich langen und breiten Steinplatten herausragten, umzäunt. Als Eingang diente zwei, sich zur Seite verschiebbare Gittertore, über die sich ein metallischer Bogen spannte, an dessen Außenseite das goldene Emblem der Schule angebracht war. Der scharfe Kritiker mochte das Gebäude als sehr einfallslos und monoton beschreiben. Würde er jedoch einen Blick auf sein Innerstes werfen, sähe die Sachlage hingegen vollkommen anders aus. Ein verschachteltes Korridorsystem, verband die Klassenräume, Lehrerzimmer, Umkleideräume und natürlich auch die Treppen zu den anderen Stockwerken miteinander. Die Klassenzimmer selbst ähnelten sich bis aufs kleinste Detail. Sie waren von allen Seiten mit Glaswänden umgeben, sodass man vom Zimmer in den Flur und von dem Flur ins Zimmer blicken konnte. Die Pulte und Stühle, welche in sechs mal fünf Reihen einen gleichen Abstand von etwas mehr als einem Meter zueinander hielten, waren mittels einer Apparatur unterhalb der mattschwarzen Bodenplatten miteinander verbunden und fuhren automatisch hoch, sobald sich der, auf sie registrierte Schüler ihnen näherte. Die Konstruktion war ungewöhnlich stabil, bedachte man, dass beides – Stuhl wie Tisch – jeweils nur von einer Stütze gehalten wurden, die auch noch eine sehr unsichere Biegung machte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Das Klassenzimmer, in welchem sich Sayaka, Madoka und Hitomi einfanden, war schon zur Hälfte mit den Gesichtern ihrer Klassenkameraden gefüllt, die sich allesamt mit sich selbst beschäftigten. Zwei Jungs waren in ein Gespräch vertieft und nahmen das Erscheinen der drei gar nicht erst wahr, während ein Mädchen, das ihr Haar zu einem Seitenzopf gebunden hatte, Hitomi einen freundlichen Gruß zukommen ließ. Zwei weitere lagen mit den Köpfen auf ihren Pulten und der Rest hatte noch ein offenes Heft vor sich liegen, in welches sie mit eiserner Miene ihr Gesicht vergraben hatten und vermutlich noch einmal die Hausaufgaben durchgingen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Manch ungeschultes Auge mochte, wenn das Klassenzimmer mit allen dreißig Schülern gefüllt war, schnell den Überblick zwischen den einzelnen Individuen verlieren, sofern man nicht auf die Haarpracht oder die Körperform zu achten wagte da in dieser, wie auch in den meisten anderen Schulen in Japan, die Schüler eine einheitliche Schuluniform trugen. Die jungen Männer waren den Mädchen farblich gemessen völlig unterlegen. Sie waren gänzlich, von der Schulter, bis zu den Fersen, mit beiger Seide überzogen. An den Füßen trugen sie nussbraune, fast ins Schwarze übergreifende Schuhe, während sich auf Höhe ihres Handgelenks ein schwarzer, umgekrempelter Ärmel wiederfand.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die drei hatten sich schnell zu ihren Sitzen begeben und sofort fuhren ihre Pulte aus dem Boden. Madoka und Hitomi besetzten die Plätze vier und fünf der vorletzten Reihe, während Sayaka den Platz hinter Hitomi belegte, was sie persönlich als vollkommenes Unglück beschrieb, da es die heimlichen Gespräche unter den Dreien zwar nicht massiv erschwerte, aber auch nicht erleichterte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Binnen der letzten Minuten vor dem Unterricht, drängten sich die Nachzügler hastig durch die mechanischen Glastüren und eilten zu ihren Pulten. Und wie die Schulglocke pünktlich wie immer läutete, trat auch schon Miss Saotome – die Klassenlehrerin – ein. Sie war eine Frau, die mit einem bemerkenswert junggebliebenem Gesicht gesegnet war, bedachte man, dass sie frisch auf die vierzig zusteuerte. Sie hatte hellbraunes, schulterlanges Haar und trug eine Brille, über die sich oberhalb der Gläser ein elegant geschwungener, dicker roter Rahmen schlängelte. Unter der blassgrünen Wolljacke, die ihrem Aussehen nur wenig schmeichelte, lugte ein violettes Kragenhemd hervor. Um ihre Hüfte lag ein weißer Kurzrock, an dessem Saum noch einmal dünne Rüschen angenäht waren. An ihren Füßen trug sie rosafarbene Socken, die sich mit den schwarzen Sandalen modisch überhaupt nicht verstanden. Man erkannte sofort, dass Miss Saotome einen ganz individuellen Modegeschmack besaß, der zwar wesentlich zu ihrem Alter, nicht aber zu ihrem Auftreten passte. Denn zuzüglich ihres Aussehens, war sie auch noch eine sehr energische Frau mit dem Temperament eines zügellosen, jungen Mädchens, das sich auf Biegen und Brechen zu verlieben versuchte. Dies hatte zur Folge, dass ihre Liebesbeziehungen kaum mehr als drei Monate hielten, wofür sie wiederum bei ihren Schülern berühmt-berüchtigt war und was sie auch zur Zielscheibe mancher Lästermäuler machte. Nicht, dass sie nicht ganz unschuldig an dieser Sachlage war, denn Kazuko – so der Name von Miss Saotome – schleppte ihre Beziehungsprobleme nur zu gerne auch mit zu ihrem Arbeitsplatz, um sie dort mit den nämlichen Schülern zu besprechen und ihnen gegebenenfalls einen oder zwei Ratschläge zu erteilen. So auch heute, wo sie den Zeigestock voll Missmut beäugte und mit beiden Händen seinen schlanken Körper würgte, während sie eine scheinbar wichtige Frage an die Klasse richtete, die für ein leises, verwirrtes Raunen sorgte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Muss ein Spiegelei braun gebraten sein oder muss es noch weich sein?“ Sie blickte mit strafender Miene in die verdatterten Gesichter ihrer Schüler, als hätte jeder von ihnen eine Antwort zu ihrer Unzufriedenheit gegeben. „Was meinst du, Nakazawa-kun?“, wandte sie sich dann fix an den Jungen, der in der ersten Reihe mittig saß.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Nakazawa, der unter seinen Klassenkameraden als mitleiderregender Pechvogel galt, da er von Miss Saotome wirklich immer bei Fragen ausgewählt wurde, die mit ihren heimischen Problemen synergierten, zeigte sich rasch entrüstet und stotterte nervös: „Also, äh … ich denke … ich denke, beides ist eigentlich okay, oder?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Genau so ist es!“, bestätigte sie im aggressiven Tone. „Man kann beides mögen. Wer glaubt, er könne die Anziehungskraft einer Frau an der Konsistenz an Spiegeleier erkennen, irrt sich gewaltig!“ Wieder umgriffen ihre zierlichen Hände den noch zierlicheren Hals des Zeigestocks. Was ihm dieses Mal jedoch sein Verhängnis war, war die aufgebauschte Wut, die mit Miss Saotomes Worten zusammenflossen und die letztendlich dazu führten, dass das Utensil seinen Vorgängern ins Jenseits folgte und sich mit einem lauten Knacken und einer verbogenen Mitte verabschiedete. „Ein Rat an die Mädchen: Lasst euch auf keinen Fall auf solche Männer ein, die behaupten, sie könnten nur weiche Eier essen“, sagte sie weiter und deutete mit der verbogenen Spitze ziellos in den Raum.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Darauf drehte sich Sayaka amüsiert zu Madoka um. „Es scheint wohl vorbei zu sein“, flüsterte sie mit einem gehässigen Lächeln.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Oh ja, klingt ganz danach“, erwiderte Madoka.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Und den Jungs“, setzte die Klassenlehrerin mit steinerner Miene fort, während der Stock mit einem zischenden Ton nach unten schwang und sie die Hände in die Hüften legte, „gebe ich den guten Rat, niemals zu Männern zu werden, die an Spiegeleiern rummäkeln, die sie nicht selbst gebraten haben.“ Darauf stöhnte sie entnervt und hielt eine kurze Pause, ehe sich ihr Gesicht so plötzlich und unvorhergesehen aufhellte, als hätte es die letzte, frustrierende Minute gar nicht gegeben. „So, das musste einfach raus. Und jetzt möchte ich euch eine neue Mitschülerin vorstellen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Und das sagt sie uns jetzt erst?“, hörte man Sayaka belustigt wispern.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Klangvolle Schritte nahmen den stillen Raum für sich ein. Wo noch die einen der Zerstreuung verfallen, waren die anderen schon von etwas ganz anderem eingenommen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Also, Akemi-san“, sagte Miss Saotome, das Gesicht dem Eingang zugewandt, durch den die Neue gerade eingetreten war, „willkommen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Akemi-san. Homura Akemi. Sie hatte schwarzes, langes Haar, das sich zum Ende hin in unterschiedliche Richtungen spaltete und einen Körper, der sich zwischen Sportlichkeit und Grazile bewegte. Sofort war ihr das Interesse der ganze Klasse gesichert. Sie drehte sich erst mit dem Kopf, dann mit ihrem ganzen Leib zur Klasse hin und stand mit dem Rücken zur weißen Tafel. Ihre dunklen, blauvioletten Augen waren schön und finster zugleich.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wow, ist die schön“, sagte eines der Mädchen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„So schön wäre ich auch gern“, schwärmte ein anderes.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das haut dich ja um“, ließ da ein Junge verlauten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Die ist ja wirklich hübsch“, gab ein anderer von sich.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka, welche noch nie zuvor ein so vergleichbar schönes Mädchen neben Hitomi gesehen hatte, blickte fassungslos, beinahe eingeschüchtert, zur Seite. „Das ist ja ne Schönheitskönigin.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka machte hingegen etwas ganz anderes Kopfzerbrechen. Sie stierte wie eine Ungläubige, die den Schatten Gottes Kraft ihrer fähigen Sinne selbst erblickt, seine Stimme deutlich vernommen, seine Hände auf ihren Schultern gespürt hatte, dieses ihr fremde Mädchen an. Als hätte sie sie schon einmal irgendwo gesehen. Hatte sie sie schon einmal gesehen?[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Toll das du bei uns bist, kannst du dich bitte selbst vorstellen?“, fragte Miss Saotome und deutete mit einer Hand vorstellend auf das neue Mädchen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich heiße Akemi Homura und ich hoffe, wir werden uns gut verstehen.“ Ihre Worte waren wie ein Gefäß aus bittersüßer Galle. Es war keine Freundlichkeit, keine Zuneigung, keine Nervosität, keine Neugierde oder Desinteresse in ihrer Stimme zu vernehmen. Stattdessen schien sie völlig isoliert und geistig absent; als wären Emotionen eine rare Kost für sie. Selbst die blauvioletten Augen, gepaart mit diesem starren, eiskalten Blick, waren wie aus kargem Stein gemeißelt. Dieser kalte, unnachgiebige Blick, der eine schnelle Runde durch die Klasse machte und dann bei einem Mädchen verharrte, dass diesem ängstlich versuchte auszuweichen; Madoka.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hatte sie sie schon einmal gesehen?[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]Nach dem Ende der ersten Unterrichtsstunde, wuselten sich fünf der fünfzehn – jetzt sechzehn – Mädchen der Klasse um die frisch Hinzugekommene. Sie sprachen ihre Bewunderung für ihre Schönheit aus, wollten wissen, welche Schule sie zuvor besucht hatte, welches Shampoo sie für ihre Haare benutzte, in welchen Schülerclubs sie aktiv war; die standardisierten Kennenlernfragen eben. Und Homura nahm sich die Zeit, alle offenen Fragen kurz aber wahrheitsgetreu zu beantworten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Unterdessen blieben Hitomi, Madoka und Sayaka unter sich und besahen das merkwürdige Mädchen von Madokas Platz aus. Sie fühlten sich von ihrer Präsenz seltsam berührt. Besonders Sayaka und Madoka hatten das unbequeme Gefühl, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Sag mal, Madoka. Kennst du die Neue?“, wandte sich Sayaka Madoka mit misstrauisch-neugieriger Miene zu. „Ich hatte nämlich den Eindruck, dass sie dich vorhin total fixiert hat.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nein, also … ich weiß auch nicht“, versuchte sich Madoka zu erklären, als sich den Dreien plötzlich der sprichwörtlich herbeigerufene Teufel näherte; Homura Akemi. Sie hatte sich von der fünfköpfigen Gruppe ausgeklammert und stierte mit einer finsteren Miene direkt Madoka an. Madoka schluckte eingeschüchtert.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Kaname Madoka-san“, sagte die Neue mit einer gar unmenschlichen Gleichgültigkeit, „du bist doch die Gesundheitsbeauftragte der Klasse, nicht wahr?“ Sie sprach die Worte so quälend langsam und präzisiert, als würden sie ihr zum Halse heraushängen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka bestätigte stotternd.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Könntest du mich bitte zur Krankenstation begleiten?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka willigte nur ungern ein, konnte sich jedoch dem Amt der Gesundheitsbeauftragten nicht entziehen. Sie nahm ihre Aufgabe ernst und hatte sich auch freiwillig dazu verpflichtet. Und ähnlich wie der Schülersprecher nicht einfach so seine Aufgaben niederlegen konnte, nur weil ihm gerade danach war, konnte auch sie nicht einem Schüler oder einer Schülerin die gesundheitliche Hilfe verweigern. Selbst wenn diese nur darin bestand, den entsprechenden Schüler den Weg zur Krankenstation zu weisen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Doch auch hier zeigte sich wieder eine Eigenart an Homura Akemi, die Madoka sichtlich verunsicherte. Es war bezeichnend, dass das fremde Mädchen vorausging, während Madoka ihr hinterher trottete, statt dass es umgekehrt der Fall war. Kannte sie etwa den Weg? Und wenn sie es tat, wieso brauchte sie dan Madoka als Begleitung? Homura hatte sich unter dem Vorwand, dass es ihr nicht gut ging, hilfesuchend an Madoka gewandt, doch … sie schien alles andere als hilfsbedürftig.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ähm, also …“, versuchte Madoka sich an einem Gespräch mit ihr. „Woher wusstest du, dass ich die Gesundheitsbeauftragte bin?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Es dauerte zwei unendlich lange Sekunden, bis Homura ihr antwortete. „Die Lehrerin hat es mir gesagt.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ach so, die Lehrerin hat es dir gesagt.“ Diese Antwort erleichterte Madoka ungemein.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die beiden waren in einen Überweg eingebogen, der die eine Hälfte des ersten Stocks, mit der anderen verband. Dieser bot einen Ausblick auf den inneren Pausenhof der Schule, war mit Wellblechen überdacht und zu beiden Seiten mit nur mit Glas ausgestattet.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Akemi-san …“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du kannst mich Homura nennen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Homura-chan …“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Was ist?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka knetete aufgeregt ihre Hände. „Na ja, weißt du, ähm … du hast einen merkwürdigen Namen. Nicht, dass du mich falsch verstehst und denkst, er gefällt mir nicht, oder so. Im Gegenteil, ich finde ihn sogar richtig cool. Ich …“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Noch ehe Madoka ihren neuen Satz beginnen konnte, drehte sich Homura ab der Mitte des Überwegs auf einem Absatz um, was Madoka wieder in unsicheres Schweigen zurückdrängte. Homuras Haltung war standhaft, deutete sogar eine Spur von Gewaltbereitschaft an und für einen Augenblick war Madoka wie vor Angst gelähmt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Kaname Madoka“, begann Homura erneut in ihrer unheilvollen, tiefen Stimme, „hältst du dein eigenes Leben für wertvoll und kostbar?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka schrumpfte zu einem kleinen, Häufchen Elend zusammen, während sie meinte zu glauben, dass Homura an Größe deutlich zunahm.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Und bedeuten dir deine Familie und deine Freunde etwas?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka schrak um einen halben Schritt zurück und machte ein unentschlossenes Gesicht. „Ähm, also, j-ja natürlich. Sie bedeuten mir sehr viel.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ist das wahr?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ja natürlich“, bekräftigte Madoka ihre Antwort und faltete abermals die Hände zusammen. „Ich habe sie alle furchtbar lieb und sie bedeuten mir unendlich viel.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Gut. Falls du wirklich die Wahrheit sagst, dann bleib der Mensch, der du jetzt bist und ändere dich nie. Hast du das verstanden?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madokas Lippen bebten. Sie wollte fragen, was sie meinte, wollte um klarere Antworten bitten … doch sie traute sich nicht.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du musst Kaname Madoka bleiben. So wie bisher“, Homura drehte ihr den Rücken zu, „so auch in der Zukunft“, und beschritt den Rest des Weges alleine, die von Entsetzen und Verwirrung zerfressene Madoka Kaname hinter sich lassend.[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]Als Homura um die nächste Biegung verschwunden war, hielt sie für einen kurzen Moment an und sah sich zu allen Seiten um. Niemand war da. Niemand, außer sie …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das war ja mega-unauffällig“, hallte plötzlich die vertraute Stimme eines jungen Mannes gehässig in ihrem Kopf wieder. „Also wenn du das arme Ding verstören wolltest, dann hast du deine Aufgabe mit Bravour gemeistert“, lachte er hämisch.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Furcht zwingt den Geist zur Wachsamkeit. Meine Warnung wird ihren Zweck erfüllen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nicht, wenn man genannte Warnung hinter kryptischen Worten versteckt hält“, erklärte die Stimme besserwisserisch.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Bin ich zu direkt, so gerate ich in den Kreis des Misstrauens.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die Stimme des jungen Mannes lachte spöttisch auf und verendete in einem Quieken, das dem eines jungen Ferkels glich.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Kannst du mir sagen, was dich daran so vergnügt?“, fragte Homura in einem Ton, der entweder Gleichgültigkeit oder empörte Zurückhaltung bedeutete.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ach, nichts. Ich frage mich nur, ob du dir manchmal selbst zuhörst. In jedem Fall bin ich vor Ort, wenn du mich brauchst.“ Er seufzte. „Gott, langweile ich mich.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Befolge einfach nur den Plan.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Keine Sorge, ich habe alles im Griff“, sprach die Stimme mit prahlender Selbstverherrlichung. „Dafür bin ich schließlich hier, nicht wahr? Um alles im Griff zu behalten, meine ich.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Schön, dass du es insoweit verstanden hast. Also, hab weiterhin ein Auge auf die beiden“, sagte Homura und schritt den Korridor entlang. „Ich verlasse mich auf dich, Shiro.“[/JUSTIFY]

 

Kapitel 2: Düsternis


 

Contiguity Magica

Kapitel 02: Düsternis

 

[JUSTIFY]Der Schultag hatte sich nach einer quälend langen Zeit für die drei jungen Mädchen endlich zur Neige gelegt. Sie hatten über den Zeitraum, den sie auf dem goldbraunen Pfad verbrachten, mit einer schweren Zunge und einem noch schwereren Kopf zu kämpfen gehabt. Als Ergebnis fiel ein unfreudiges, in Gedanken verlorenes Schweigen aus, welches wenig mundete, doch jedes Wort kratzig für den Hals machte. Es ließ sich nicht von der Hand weisen, dass diese getrübte Stimmung, die noch am Morgen so fröhlich und unbeschwert sich erst mit der Sonne erhoben und sobald darauf mit ihr langsam aber stetig sank, seinen Ursprung bei der neuen Klassenkameradin hatte.[/JUSTIFY]

Homura Akemi.

[JUSTIFY]Allein der Name kitzelte und reizte den Reflex Sayakas so, dass sie ihn mehr spuckte als sprach. Und obwohl sie das Epizentrum der Verdrießlichkeit, nicht nur für Sayaka Miki, sondern für alle drei Mädchen war, schaffte sie es sogar noch für ein ungleiches Verhältnis an Problemen aufzukommen, von dem keine der drei wiederum wusste, ob sie dies nun beabsichtigte, oder nicht.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka war zu jeder gegebenen Zeit, die der Tag hergegeben hatte, Opfer ihrer malträtierenden Blicke geworden, die sie innerlich nahezu perforierten. Ununterbrochen behandelte sie die Frage, womit sie solche Missgunst auf sich gelenkt haben konnte, kam aber zu keinem nennbaren Ergebnis. Sie war ein Mädchen, dem es sehr nahe ging, wenn sie ohne ihr Wissen Ärger auf sich zog, was zu einer eben solchen Reaktion führte. Nun schaute das sonst so fröhliche Ding traurig und sich grämend zu Boden.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayakas taumelnder Gang, ähnlich wie ihre Stimmung, die auf der Grenze zwischen Frust und Neid tänzelte, war dahingegen von eher ranküner Natur. Eifersüchtig ließ sie alles Geschehene, jede einzelne Unterrichtsstunde, wie auch die Pausen, in denen die Neue alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, Revue passieren. Sie grämte die Gewissheit um ein Mädchen, dass schön, klug und sportlich zugleich war und Sayaka keine Gelegenheit bot, sich selbst profilieren oder zumindest beweisen zu können. Für ein so ehrgeiziges Mädchen, kam dies der Schmach einer Niederlage gleich. Doch was Sayaka daran wirklich verärgerte, sie gar zur brodelnden Lava in einem schlafenden Vulkan werden ließ, war die bislang unbekannte Eitelkeit, die in ihr, wachgerufen durch Homura Akemi, nun zu Tage getreten war. Ein verächtliches und hässliches Charakteristikum, von dem sie sich immer frei und ungebunden glaubte. Es störte sie – traktierte sie –, zu wissen, dass sie so etwas wie Eifersucht für ein Mädchen empfand, dass sie nicht einmal kannte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Was Hitomi betraf, so war sie von dem seltsamen Verhalten und den besonderen Talenten ihrer neuen Mitschülerin völlig unberührt geblieben. Sie bekümmerte es weitaus weniger, wer schöner, klüger oder sportlicher war als sie. Sie wusste um ihre Qualitäten, ihre Stärken, aber auch um ihre Schwächen und wollte keine freie Zelle ihres Gehirns für jemanden aufopfern, den sie weder kannte, noch der sie interessierte. Dies war übrigens auch der Grund, wieso sich das Mädchen nicht mit dem mysteriösen Fremden, der ihr diesen schönen doch namenlosen Liebesbrief geschrieben hatte, traf. In Hitomis Welt war wenig Platz für derlei Gestalten, die sich entweder viel zu auffällig benahmen oder sich für sich selbst schämten, was ihre enge Verbundenheit zu Madoka Kaname und Sayaka Miki formte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka, war immer ein sehr stolzes und selbstbewusstes Mädchen gewesen, dem es jedoch nicht darum ging, Eindruck zu schinden. Sie liebte das Leben und genoss dieses auch in vollen Zügen. Madoka war unterdessen vielleicht nicht ganz so selbstbewusst, dafür ebenso voller Lebensfreude. Schüchternheit und Offenheit, zwei so gegensätzliche Dinge, die sie miteinander vereinte. Hitomis Freundinnen waren, was ihr Leben um einiges reizvoller und schöner machte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Umso mehr betrübte es sie zu sehen, wie sich die beiden in eine quälende Absenz verirrt hatten und sich selbst damit drangsalierten. Nach zwei erfolglosen Versuchen, ein heiteres Gespräch zu erwirken, hatte sie schnell kapituliert und sich ebenso ihren ganz eigenen Problemen und Sorgen gewidmet. Diese galten zum Beispiel dem anstehenden Privatunterricht, in der sie eine Stunde lang Teezeremonien zelebrierte. Eine Stunde pure Langeweile. Das war das Kreuz, dass sie für ihren reichen Stand zu tragen hatte; wenig an Freizeit und dafür viel an Verantwortung. Und als wäre das nicht schon Nerven fordernd genug, musste sie noch für die anstehenden Prüfungen lernen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Eine durchweg trübe Stimmung, die sich, bis die drei Mädchen das Einkaufsviertel der Stadt erreicht hatten, nicht legte. Das Einkaufsviertel, das im selben Zuge auch namentliches Zentrum der Stadt Mitakihara war, war ein, von schillernden Farben und Neon beleuchteten Schriftzügen durchwachsenes Paradies. Wo man auch das Auge hinschweifen ließ, sah man grellbunte Reklametafeln, die für neue Filme und Produkte warben. Aus den umliegenden Spielhallen begattete die laute, basslastige Musik die Ohren der vorbeikommenden Passanten, während sich ein Gedränge – ganz gleich, wie breit die Straßen auch waren – selten bis gar nicht vermeiden ließ. Riesige Monitore erstreckten sich über die Häuserwände und boten dem Auge eine vielfältige Mischung aus Nachrichten und Werbung. Wahrlich, die Stadt Mitakihara war ein technologischer Meilenstein in der Geschichte Japans. Dieser Moment, wenn man zum ersten Male seine Schritte durch die Einkaufmeile lenkte und der Kopf beinahe autonom zu allen Seiten ausschwenkte, damit das wache Auge auch ja nichts verpasste; es war unvergleichlich und maß sich in der Erinnerung auf einer Stufe mit einem Freizeitpark.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Bog man von dem Platz, von dem man einen guten Blick auf die großen Flimmerkisten hatte, in die Straße ein, die zum nahegelegenen Fluss führte, der die Stadt spaltete und Wohnsiedlung von Industrie trennte, so kam man automatisch zu einem Gebäude, dass die Kubatur einer Kugel besaß. Die untere Trageschicht war aus Beton und Stahlträgern, die dem Konstrukt die nötige Festigkeit und Stabilität gaben. Die Kuppel darüber bestand aus neben- und übereinander gereihten Glasfenstern. Das Innenleben dieses faszinierenden Gebäudes war eine Aneinanderreihung großer Laden- und Restaurantketten, die über ein großflächiges Atrium miteinander verbunden und auf viele Stockwerke verteilt waren. Und in einer dieser Restaurantketten – die mehr ein gut eingerichteter Schnellimbiss war – hatten sich Sayaka, Madoka und Hitomi zusammengesetzt. Sie legten ihre Taschen auf die weiß gepolsterte Eckbank und warteten auf den Kellner, der auch prompt erschien. Mit Stift und Zettel und einem warmen Lächeln gewappnet, dass die drei Mädchen sogleich ein wenig erheiterte, notierte er sich ihre Bestellung und kehrte in nur wenigen Minuten mit drei Tabletts, die er auf seinen zwei Armen geübt balancierte, wieder. Die drei bedankten sich und warteten, bis er ihnen den Rücken gekehrt und sich einem anderen Kunden zugewandt hatte, ehe es aus Sayaka mit einem frustrierten Seufzen herausbrach und sie den stillen Raum zwischen den sich und den beiden anderen endlich mit Worten füllte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das ist zum verrückt werden, wie macht sie das nur?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Kein Schimmer, ist mir auch schleierhaft“, erwiderte Madoka, die Hände unter dem Tisch knetend und faltend.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka baute ihren kummervollen Frust auf den Wassern der Verdrießlichkeit. Sie war wie ein kleiner Wellengang, der sich unter unruhigem Himmel zu einem großen Wall aus Wasserschwaden auftürmte. Sie trennte ein großes Stück ihres bestellten Hot Dogs mit den Zähnen ab, kaute krampfhaft, wie als würde sie auf Gummi beißen, daran herum und deutete mit der abgekauten Seite in Richtung Madoka, die ihr gegenüber saß. Mit vollen Mund sprach sie dann: „Sie beherrscht die Kampfkunst, genau wie alte Schriften es vormachen, ist sowohl klug, als auch schön; vielleicht ist sie ja ein Freak.“ Dann schluckte sie, was sie zu einer breiigen Masse bearbeitet hatte, herunter und tat weiter ihren Unmut kund. „Das ist echt nicht zum aushalten, wie lange will sie sich denn noch beweisen, diese angeberische Schulwechslerin, glaubt sie etwa, dass so etwas cool ist?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka rutschte darauf mit unwohlem Gesicht auf ihrem Sitz vor und zurück, während sie ihre Finger miteinander verzahnte und die Hände dann, wie zu einem Gebet, zusammenpresste. Gleichzeitig schien sich ein Knoten in ihrer Zunge zu bilden, der sie stumm hielt und nichts auf Sayakas Worte erwidern ließ. Tatsächlich war ihr dieser Umstand aber sogar ein ganz angenehmer, denn Madoka wollte nicht über ihre neue und seltsam verwobene Mitschülerin nachdenken. Ihr genügte schon die offensichtliche Obsession gegen ihre Person, die sie an diesem Tage in Form der missbilligenden Blicke erhalten hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hitomi indes, die ihres Ermessens nach schon lange genug still war, blickte von Sayaka auf Madoka, legte dabei das ihr typische, hübsche Lächeln auf und sagte: „Madoka, bist du sicher, dass du Akemi-san noch nie begegnet bist?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka verneinte die Frage kopfschüttelnd. „Ich muss aber zugeben, es fühlt sich sehr seltsam an. Irgendwie scheint sie mich zu kennen und auch ich habe das Gefühl, ihr schon einmal irgendwo begegnet zu sein. Aber wo und wann und wieso ich mich nicht daran erinnern kann …“ Sie seufzte, als sich ihre Gedanken darüber zerstreuten und blickte niedergeschlagen auf den bestellten und unberührten Salat.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Denkst du, dass sie sich noch an dich erinnert, wenn ihr euch schon mal begegnet seid?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Weniger das „ob“, als mehr das „woher“, sinnierte Madoka im Kopfe und schüttelte diesen ratlos, um Hitomi eine Antwort nicht schuldig zu bleiben. Sie nahm den Deckel des durchsichtigen Plastikbehälters ab, griff zur Gabel und stocherte müßig in ihrem Salat herum. Wieso berührt mich das überhaupt so sehr? Neben diesem Gefühl der Beklommenheit, wenn sie mich so finster und böses wollend anblickt, fühle ich auch so etwas wie Trauer. So als ob …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwei Spitzen der Plastikgabel bohrten sich in eine der kleinen Tomaten, die unter einem grünen Blätterdach verborgen lagen. Madoka führte sich diese zum Munde, kaute genüsslich und unterließ den Versuch, die grämenden Gedanken weiter fortzuführen. Zeitgleich hob sie den Kopf und suchte erneuten Augenkontakt mit Hitomi und Sayaka. Dabei geschah es, dass sie durch den freien Raum zwischen den beiden, zum dahinterliegenden Tisch blickte und einen jungen Mann erblickte, der sie sofort mit seinen stieren Augen fing, die nur ihr allein galten. Es war der nämliche Gast, dem sich der junge Kellner noch vorhin zugewandt hatte, nachdem er den drei Mädchen die gewünschte Bestellung übergeben hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Madoka? Madoka. Hey, hörst du mir überhaupt zu?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka brach aus ihrer Trance, die anscheinend die Zeit selbst verschlungen hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Alles in Ordnung?“, fragte Hitomi.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ähm, ja ich …“ Sie flatete und knetete die Hände, fern den Augen ihrer beiden Freundinnen, unterhalb der Tischplatte und ließ dem jungen Manne immer wieder unsichere Blicke zukommen, während er sie fest fixiert und im Fokus seine ganzen Aufmerksamkeit hielt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka, die Madokas Verhalten kurz mit zerteilender Schärfe analysierte, legte einen Arm um die Lehne ihres Stuhl, drehte den Oberkörper, soweit es ihr Rückgrat zuließ und folgte der flatternden Linie, die Madokas Augen ständig über ihre Schulter hinweg zeichnete. Nun war auch sie auf den Manne aufmerksam geworden, der nun damit begonnen hatte, auf seinem Strohhalm herum zu kauen. Die eine Hand stützte seinen Kopf, die andere hielt das, von süßlicher Nässe befeuchtete Ende des weißen Trinkröhrchens. Er hatte kohlschwarzes, schulterlanges Haar, das nach hinten hin zu einem kurzen aber dicken Zopf zusammengeflochten war und trug eine dicke, rote Jacke, unter der sich ein schwarzes Hemd auf seiner leicht blässlichen Haut abzeichnete. Hinter seinen freundlichen Gesichtszügen konnte man eine Spur jugendliche Naivität vermuten, was vermutlich auch der Grund war, weshalb er die drei Mädchen so ungeniert angaffte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka schenkte ihm eine, seinen stierenden Augen angemessene, missbilligende Miene, drehte sich wieder Madoka zu und lehnte sich über die Tischkante zu ihr herüber. „Kennst du den?“, flüsterte sie.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nein“, flüsterte Madoka zurück.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wieso gafft der dich dann so an?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hitomi, welche ebenfalls ein misstrauisches Auge über ihre Schulter geworfen hatte, flüsterte, mit einem verschmitzten Lächeln im Anschlag: „Vielleicht hat er ja ein Auge auf dich geworfen, weil er dich super süß findet.“ Sie hielt sich kichernd eine Hand vor dem Mund. „Die Schleifchen zeigen bereits Wirkung.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich finde ihn sehr unheimlich“, erwiderte Sayaka mit angewiderter Miene. „Schau nur seine Haut. Die ist so fahl und blass. Und seine Augen sind so schwarz und irgendwie …“ Sie schauderte. „Irgendwie sieht er aus, als wäre er frisch aus dem Grab gekrochen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du meinst, er ist ein Zombie?“, erschrak Madoka, wie dem Aberglauben verfallen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Vielleicht sollten wir ja woanders hingehen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Aber Sayaka“, sagte Madoka und deutete auf den Hot Dog auf ihrem Tablett, „du hast dein Essen kaum angerührt. Und ich meins auch nicht.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Kannst du denn dein Essen genießen, mit der Gewissheit, dass du beobachtet wirst?“, sagte Sayaka. „Sowieso ziehst du heute ganz schön viele unheimliche Blicke auf dich.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka machte ein Gesicht, dass einen stillen Zuspruch für Sayakas Worte in sich trug.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich müsste sowieso auch jetzt los“, sagte Hitomi, als sie ihr blaues Klapphandy auspackte und auf das Display guckte, auf dem eine unstete Uhr zu sehen war.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Oh“, rief Sayaka aus, „stimmt ja, du hast ja noch deinen außerschulischen Unterricht. Hast du Klavier oder japanischen Tanz?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nur eine Teezeremoniestunde“, antwortete Hitomi, als sie mit einer Hand ihre Tasche und mit der anderen das Tablett ergriff und fuhr resigniert seufzend fort: „Und dabei muss ich noch für die Prüfung lernen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka machte darauf ein heiteres Gesicht, wie man es von Menschen kannte, die sich von Geburt an ihres Lebens mit dem begnügen konnten, dass ihnen der Mittelstand zu bieten vermochte. Sie hatte weniger Pflichten und Verantwortungen und dafür mehr Spielraum für ihre eigene Freizeitgestaltung. Ganz im Gegensatz zu Hitomi, die ihre Freizeit nur am Wochenende planen konnte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hey Madoka“, sagte Sayaka, sich beim Aufstehen wieder zu Madoka hinüber beugend, „wollen wir unterwegs noch kurz in ein Musikgeschäft gehen?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Um Madokas Lippen legte sich ein verspieltes Lächeln. „Klar doch. Wieder was für Kamijo-kun?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayakas Wangen wurden glühend rot. Die sonst so Temperamentvolle und durchaus Wortgewandte, vermochte bei dem Klang dieses Namens nicht zu sprechen und verfiel in einen Moment der Verlegenheit, den sie mit einem Kichern zu kaschieren versuchte.[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY] [/JUSTIFY]

[RIGHT]Zur selben Zeit:[/RIGHT]

[RIGHT]Ein unbekannter Ort[/RIGHT]

 

[JUSTIFY]Der, von fadem Licht begleitete, enge Korridor barg nur die Akustik ihrer sich widerhallenden Schritte. Eisern und verbissen ließ sie die Augen jede verräterische Spalte, jede noch so dunkle Ecke abtasten. Von weitem wurde sie dem donnernden Grollen großer Maschinen gewahr, derer sie sich langsam näherte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Und?“, fragte sie und hörte auf der anderen Seite ihrer telepathischen Verbindung nur ein müdes Gähnen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Sie verlassen gerade das Lokal.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Irgendetwas Auffälliges?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Es entstand eine auffällig lange Pause.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Shiro!“, erhob Homura mahnend die Stimme.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Man hat sie beobachtet.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ein Feind?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Vielleicht.“ Und wieder blieb er eine lange Zeit auffällig still. „Vielleicht war es auch nur der freche Blick eines neugierigen Typen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„War er allein?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ja.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Homura blieb abrput stehen. Sie schielte, aus Überzeugung einen verdächtigen Schatten an ihr vorbeihuschen gesehen zu haben, in eine kleine, enge Nische links von ihr. „Folge ihnen“, befahl sie, ohne den Spalt in der Wand aus den Augen zu lassen. „Lass die beiden nicht einen Moment unbeaufsichtigt.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wie fürsorglich. Und wie soll ich vorgehen, wenn der Typ sich als feindlich herausstellt und mich angreift?“, fragte Shiro.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Halte dich einfach bedeckt. Solltest du wirklich …“ Sie brach ab, als ein violettes Leuchten, ausgehend von dem kleinen Edelstein, der an ihrer linken Rückhand eingefasst war, plötzlich ihre Aufmerksamkeit verlangte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Homura?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich bin noch da. Eine Hexe ist in der Nähe.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Heute ist ja ganz schön was los. Soll ich kommen und dir helfen?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Sei nicht albern“, sagte Homura mit kalter Stimme. „Überlasse das mir. Du sorgst weiterhin für die Sicherheit der beiden. Kleb wie ein Schatten an ihnen, aber bleib unauffällig. Wenn alle Stricke reißen, ist dir alles erlaubt, um sie außer Gefahr zu halten.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Mehr brauch ich nicht zu hören. Ich nehme die Verfolgung weiter auf.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die telepathische Verbindung endete mit dem plötzlichen eintreten der lauten Geräuschkulisse der Umgebung, als hätten die Ohren – speziell für diese geistige Verbindung – alles störende gefiltert.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Homura hielt ihre Waffe im Anschlag, mahnte sich einem Moment zur Geduld, ungeachtet das ihr kleiner Edelstein leichte pulsierende Schläge von sich gab, zielte dann in die unbekannte Schwärze … und feuerte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY] [/JUSTIFY]

[RIGHT] [/RIGHT]

[RIGHT]Zur selben Zeit:[/RIGHT]

[RIGHT]Im Einkaufszentrum[/RIGHT]

[JUSTIFY] [/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hitomi stellte sich mit beiden Beinen auf die oberste Stufe der Rolltreppe, welche sie, zusammen mit einigen Vorangegangenen, schleichend ins Erdgeschoss beförderte. Sie hatte sich noch einmal rasch nach Madoka und Sayaka umgewandt, die Hand zum winken gehoben und ihre Freundinnen mit dem Versprechen auf das morgige Wiedersehen verabschiedet. Die beiden winkten zurück, warteten und wandten sich dann auch zum Gehen um. Ihr Weg führte sie in eines von drei Musikgeschäften der Einkaufspassage. Es war ein kleiner, eher unrühmlicher Laden, mit einer jedoch sehr besonderen Auswahl verschiedener Musiker und Komponisten. Er zählte zu Sayakas Spitzenfavoriten, wenn es um klassische Musik ging, speziell Saiteninstrumente hatten es ihr angetan.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mit einem Finger im Anschlag, schritt sie auf das kleine, abgeschrägte Terminal zu, während die andere Hand vom Gurt ihrer Tasche ließ, die, dank ihres raschen Gangs, nur noch lose um ihre Schulter baumelte und nach dem Kopfhörer griff, der unsicher und kippend an einem Haken direkt unterhalb des Bildschirms hing. Sie legte sich die Muscheln um die Ohren, suchte unter dem Karteireiter „Instrumente“ nach „Violinen“ und lauschte dem Spiel des Violinisten „Dawd Ostrakh“. Als der Mann die ersten Saiten zupfte – noch bevor er also überhaupt mit seinem Bogen über sein Instrument strich – war es schon um sie geschehen. Gespannt lauschte sie ihm, versank in die vielen schönen und sanften Töne und gab sich ihrer inneren Ruhe und Zufriedenheit hin. Sie schloss die Augen und träumte mit wachem Geiste.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Was Madoka betraf, so war sie weitaus weniger spezifisch in ihren Wünschen. Sie nahm sich den nächstgelegenen Kopfhörer den sie finden konnte und hörte sich das an, was die aktuelle Playlist gerade abspielte. Das Ergebnis war ein zufriedenstellender Fund. Es war ein Lied, das ihr, spätestens nach dem Einsetzen des Refrains, sofort zusagte. Eine wohlklingende, die Ohren verzaubernde weibliche Stimme, dazu ein gehaltvoller Text und ein klangvolles Zusammenspiel aus künstlichen Instrumenten, wie man sie aus dem Bereich „Pop“ häufig hörte. Jedoch vermochte es der Hochgenuss nicht richtig zu ihr durchzudringen. Irgendetwas hatte die ganze Atmosphäre des Liedes behindert. Madoka stoppte das Lied umgehend und merkte, wie sich der klare Verstand mit den Ohren darüber zerfetzten, ob und was sie da gerade gehört hatte. Ein Geräusch – nein, mehr ein Echo –, das verzweifelt, beinahe bitterlich leidend klang und jeden Ton der Fröhlichkeit aus der Sängerin zerrte. Madoka tippte mit dem Finger auf das Touch-Display und schob den Regler bis zu der geschätzten Sekunde zurück, in der sie diesen schweren Fehler in dem Lied meinte gehört zu haben. Gleich, gleich, jetzt … nichts. Sie hörte nichts, außer den gleichbleibenden Rhythmus der gekünstelten Melodie und die kraftvolle doch zarte Stimme der Sängerin. Doch nur Einbildung? Madoka zweifelte für den Anflug einer kurze Sekunde an ihrem Wahrnehmungsvermögen, bis sie es plötzlich wieder hörte:[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hilf mir.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Das junge Mädchen riss Mund und Augen so weit auf, dass es den Anschein hatte, sie würde einen stummen Schrei aus ihrer Kehle pressen. Sofort riss sie die Kopfhörer von sich, mahnte sich zur Ruhe und Besonnenheit; was ihr, nachdem sie die Hand auf die Brust drückte und mehrfach ein und ausatmete, auch gelang. So drastisch Puls und Herzschlag angestiegen waren, so schnell waren beide wieder in den Normalzustand gefallen. Sie schüttelte widerwillig den Kopf und redete sich mögliche Erklärungen, die das korrekte Wiedergeben der Musik in Frage stellte. Vielleicht hatte die Playlist aufgrund eines Fehlers, das von ihr gehörte Lied mit den Teilen eines anderen, viel düsteren Liedes oder eines Hörbuchs vermischt. Ja, ein Hörbuch, es war ein Hörbuch. Es musste eines sein. Eine dieser düsteren Geschichten, von denen sie sich immer fernhielt, weil sie sie verängstigten. Und nun wusste sie auch wieder um die Sinnhaftigkeit dieser Entscheidung, sich allem Grusel zu verweigern.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka bemühte sich um ein selbstironisches Lächeln. Ach quatsch, das hast du dir nur eingebildet, sprach sie sich aufmunternd zu. Züge der Erleichterung zeichneten sich daraufhin um ihre Lippen und Wangen und für einen Moment schien der Himmel für sie wieder so klar und blau, wie er es schon zu Beginn des Tages war. Und weiterhin wäre wohl auch nicht mehr passiert, wenn denn da nicht diese kleine, schwarze Wolke gewesen wäre, die sich, wie Madoka später schnell erkennen würde, mit dem Wankelmut eines Krokodils, bei dem man nie vorhersehen konnte, ob und wann es zuschnappte, vor die Sonne drängte und somit einen Schatten auf die sorgenfreie Welt darunter warf.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hilfe!, echote es erneut.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Da war es wieder, dieses gequälte Jaulen. Jetzt sogar noch lauter und deutlicher, ohne die Ohrmuscheln. Hektisch drehte sie den Kopf in alle Richtungen, auf der Suche nach jemandem, dem diese Stimme gehören mochte. Doch niemand in ihrer Nähe redete und zu niemandem schien diese Stimme, die sie einem kleinen Jungen zuordnen würde, zu passen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hilf mir, bitte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sie wurde kreidebleich. In einem Anflug aus panischer Verzweiflung und Ratlosigkeit, eilte sie, ohne zu bemerken, dass sie in ihrer Hektik Sayakas Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, aus dem Geschäft und horchte in ein tosendes Rauschen aus Stimmen und Schritten und stierte in ein Meer aus an ihr vorbeiziehenden Menschen; viele von ihnen so groß, dass sich Madoka fast in ihren Schatten verlor.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hilf mir.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Schon wieder. Sie wandte sich nach links – von da schätzte sie diese geisterhafte Stimme nämlich – und hielt an einer weiteren Weggabelung an, lauschte, bog in eine der Richtung ein, stürmte auf die nächste zu und wiederholte diesen Prozess fünf weitere Male, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich lief. Die getrübten Sinne, welche zur Vorsicht gemahnten, waren derweil kleinlaut gegenüber dem Hilferuf geworden. Dies war ihrem unerschütterlichen Willen zu helfen geschuldet, der den Charakter des jungen Mädchens schon seit Jahr und Tag ausmachte. Immer aufopferungsbereit, immer hilfsbereit, niemals den Gedanken an eine Belohnung im Hinterkopf hegend und niemals einen Missbrauch an ihrer guten Seele vermutend. So kümmerte das herzensgute Mädchen auch nicht, dass sie den quälenden Rufen einer geisterhaften Stimme hinterherjagte. Ebenso wenig kümmerte es sie, welches Geheimnis diese Laute umwoben. Wenn sie nur dadurch jemandem helfen konnte. Dieses herzensgute Mädchen lebte in einer Welt, in der freundliche Worte keine List verbargen und Bosheit immer einen funken Reinheit inne trug. Und deswegen zweifelte sie keinen Moment lang an, dass dieses fremde Geschöpf, diese nach Hilfe rufende Stimme, tatsächlich auch Hilfe benötigte. Und sie schätzte ihre Verstand auch weitestgehend stabil, als das sie diese Stimme als ein Hirngespinst abtat.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Plötzlich hielt sie inne. Sie war an einer Treppe, die in ein oberes, ihr unbekanntes Stockwerk führte, angelangt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Bitte, schnell.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Definitiv von da oben“, sprach sie leise zu sich selbst und flüstere sich den nötigen Mut zu, der zum Betreten des fremden Areals unerlässlich für sie war. Dann bestieg sie die Stufen mit schwerfälligem Gange. Das Fehlen der hektischen Menschenmenge war ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgefallen, so sehr hatte sie sich auf das Hinhorchen in die Stille konzentriert.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hallo?“, rief sie mit waltender Vorsicht. Keine Antwort.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Als sie das nächste Stockwerk erreicht hatte – es war der Teil eines fensterlosen Treppenhauses – ließ sie ihren Blick, auf der Suche nach einer, der Hilfe bedürftigen Seele, schweifen. Eine schreckliche Leere ummantelte diesen Bereich, dem eine furchterregende Dunkelheit voranging. Es war groß, von einer freimütigen Geräumigkeit, angenehm kühl und ähnelte dem Ansehen nach mehr einer sehr kleinen, im viktorianischen Stil angehauchten Vorhalle, denn einem Treppenhaus.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Eine weitere Treppe, die zentral auf dieser Ebene und zwischen zwei benachbarten Stufen lag, von denen eine Madoka gerade hinauf kam, endete an einem Treppenabsatz, von wo sich der Weg noch einmal in zwei, senkrecht nach oben führende Richtungen teilte, während in dem freien Raum dazwischen, eine sperrig wirkende Doppeltür in die Wand eingebaut war. Madoka wandte sich nach links und kam an einer von zwei Säulen, die Teil des Geländers der anliegenden Treppe waren, vorbei. Auf ihren flachen Kanten glimmten zwei fahle, goldene Lichter stetig vor sich hin. Diese vermochten sich nur vage gegen die allumfassende Schwärze zu behaupten, doch spendeten sie genug Licht und Wärme, um dem jungen Mädchen ein einigermaßen wohliges Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Vor dem neuen Treppenaufgang war das halbherzige Konstrukt einer Absperrung errichtet, welches mit drei trägen Seilen gesichert war, die schlaff dem Boden entgegen baumelten. Dahinter ein Schild auf einem Ständer, das den Zutritt für Unbefugte untersagte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madokas Blick haftete an der großen Doppeltür weiter oben. Sie war metallisch, maß wahrscheinlich um das doppelte von Madokas eigener Größe und war vermutlich auch dementsprechend dick genug, um etwas oder jemanden dahinter gefangen zu halten. Kamen sie von dort, diese quälenden Hilferufe?[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Die … Hilferufe?“, flüsterte Madoka für sich. Ruhe. Stille. Nicht einmal ein hohles Stöhnen des Windes. Und plötzlich, wie die Spitze einer Nadel durch das weiche Fleisch und weiter in die Blutbahn der Arterien dringt und der leichte Stich uns einen kurzen doch innigen Schmerzenslaut abzugewinnen weiß, so durchzuckte ein genau solches Gefühl in diesem Moment Madoka, als sie sich dieser Existenzlosigkeit von Klängen und Lauten bewusst wurde. Wohin waren die Hilferufe entschwunden? Sie versuchte wieder hinzuhorchen, doch kam nichts mehr.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Oh nein“, hauchte sie mit einem Gesicht, dass Hoffnungslosigkeit und Trauer in sich einte, „bin ich zu spät?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Für einen kurzen Moment blieb sie ruhig und unbeweglich.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hallo?“, rief sie der Tür zu, „b-bist du noch da?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ruhe. Stille.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„H-Hallo?“, rief Madoka mit zittriger Ungewissheit.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hilf mir.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Da war es wieder. Egal was, es lebte noch.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mit einer Woge aus Erleichterung, Mut und Zuversicht überwand Madoka die Absperrung, eilte an dem Schild vorbei die Treppe hinauf und lehnte sich mit ihrer ganzen Kraft gegen die Tür. Diese ging, zu Madokas Überraschung, widerstandslos auf, woraufhin sie in den Raum hinein stolperte und beinahe zu Boden stürzte, hätte sie nicht noch im rechten Moment ihr Gleichgewicht in einer stabilen Stehposition wiedergefunden. Mit also einem Bein nach vorn angewinkelt, während das andere nach hinten, gleichsam den Armen zu beiden Seiten voll durchgestreckt war, hielt sie für einen kurzen Moment diese Position, die einem trunkenen Seiltänzer ähnelte und nahm dann wieder eine normale Haltung an. Misstrauisch ließ sie die Augen durch den neuen Raum schweifen, der zwar dunkel, aber von Licht nicht völlig unberührt war. Von einer, für Madoka schwer zu erfassenden Stelle, drang Licht in den Raum, das sich nur spärlich verteilte, aber dennoch genug bot, damit sie etwas sehen konnte. Es schien ihr wie ein Abstellraum. Von überall bedeckten Planen große Kisten oder Materialien, deren möglicher Verwendungszweck von dem jungen Mädchen jedoch nur erahnt werden konnten. Von der Decke baumelten überall Ketten wie leblose Arme hernieder. An einer Säule glimmte ein schwaches Licht, das einen kleinen Radius in einem Unheil verströmenden Rot hüllte; wie das Auge eines dämonischen Wesens, das in der Finsternis glühte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka tastete sich weiter vorsichtig durch das Dunkel des Raumes, während sie all dies bemerkte. Fast hätte sich eines ihrer Schleifchen in einer der vielen Ketten verfangen und sie erschrak bei der verheißungsvollen Bewegung jenes beweglichen Metalls, das seine schattigen Bewegungen so auslegte, als wolle es tatsächlich nach ihr greifen. Ihr grauste die Vorstellung, etwas würde tatsächlich irgendwo in der Schwäre auf sie lauern und nur darauf warten, sie zu greifen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hallo?“, flüsterte sie mehr, als das sie sprach. „W-Wer bist du? Bist du hier?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sie tastete sich weiter voran, bis ihre Augen einen Gitterzaun ausmachten und sich ihr sowieso schon so zaghafter Schritt, noch ein Stück weit mehr verlangsamte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hallo?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hilf mir.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ha –“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Plötzlich ratterte und polterte es, wie, als würde man mit einem Stock auf ein Blech einschlagen. Das junge Mädchen machte einen gewaltigen Satz zurück, als darauffolgend etwas von oben herabstürzte und auf dem unnachgiebigem Boden schmetterte und ein so ekliges Geräusch nach sich zog, dass es sich Madoka unverzüglich ins Gedächtnis einbrannte. Es war der Klang von zerschellten Knochen. Noch vom Schock gefesselt und eine Hand schützend vor sich haltend, fixierte Madoka den kleinen Körper, der da vor ihr lag. Es war von einem weißen Pelz bedeckt und die zierlichen Pfoten verdeckten das Gesicht. Aus zwei Wunden, die sich längs über den Körper zogen, traten dünne rote Fäden hervor, die in rascher Geschwindigkeit dem Boden entgegen eilten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka fiel bestürzt auf die Knie und besah das kleine Elend, das mit den sichtlichen Schmerzen kämpfte. Sie nahm es mit der Vorsicht einer Mutter, die ihr Frischgeborenes das erste Mal zu erblicken gewillt war, in die Arme und ergatterte so einen besseren Blick auf dieses Wesen. Es ähnelte einer Katze, wenngleich sie sich diese seltsamen Auswüchse, die aus den spitzen Ohren hervortraten, nicht ganz erklären konnte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hast du um Hilfe gerufen?“, fragte sie in reger Hoffnung, eine Antwort von dem kleinen Ding zu erhalten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Vor … sicht …“, röchelte es.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka wollte etwas erwidern, doch irritierte sie ein dumpfer, ohne jede Vorwarnung auftretender Schmerz am Hinterkopf, der sie trübe im Denken und Müde im Handeln machte. Und noch ehe sie überhaupt wusste, wie ihr geschah, versank ihre ganze Welt in plötzliche Dunkelheit und das letzte, was sie noch mitbekommen hatte war, wie sie seitlich zu Boden kippte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Sie wusste nur das, als sie wieder aufwachte, sie in ein bekanntes, von Sorgen umwobenes Gesicht blickte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hey, Madoka!“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Sayaka-chan“, mühte sich Madoka zum Sprechen ab.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Helle Freude strich das von Angst und Kummer geplagte Erscheinungsbild ihrer Freundin hinfort. In die fahlen Wangen mengte sich allmählich wieder das Blut. „Dem Himmel sei dank.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wo … bin ich?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das wollte ich dich auch gerade fragen. Was hast du hier gemacht, verdammt? Wie bist du überhaupt in dieses Treppenhaus gekommen?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Treppenhausʻ?“, wiederholte Madoka verdattert. Ihre Sinne waren noch weit davon entfernt, zu ihr zurückzukehren, doch verriet ihr der neugierige Blick zu allen Seiten, dass sie in einer ausgestreckten Lage gegen etwas lehnte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wie lange liege ich schon hier?“, fragte Madoka mit erschöpfter Stimme.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich weiß es nicht“, gestand Sayaka und verzog das Gesicht, als hätte man sie getadelt, „ich bin gerade erst gekommen. Ich hab dich nur kurz aus den Augen verloren und dich dann im ganzen Kaufhaus gesucht. Dann hab ich dich versucht anzurufen, aber du bist nicht an dein Handy gegangen. Ich war so in Sorge und Panik, dass ich mich irgendwie hierhin verlaufen habe und frag mich jetzt nicht, wie ich darauf gekommen bin, hier zu suchen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ach so?“ Madoka machte eine Anregungen aufzustehen, bis sie plötzlich ein stechender Schmerz durchzuckte, der sie in ihre Sitzlage zurückfallen ließ.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hey, hey!“, mahnte Sayaka zur Gemach. „Übernimm dich nicht, du bist ganz übel gestürzt.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Gestürzt?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka tastete an ihrem Hinterkopf herum und suchte die Quelle ihres Schmerzes ab. Was die Spitzen ihrer Finger erfassten, war eine stark pochende Schwellung am Hinterkopf.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Bist du ohnmächtig geworden? Hattest du vielleicht einen Schwächeanfall?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka schüttelte unmerklich den Kopf, denn jede Bewegung schmerzte sie. „Ich … weiß nicht recht.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Soll ich einen Arzt rufen?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Wieder schüttelte Madoka den Kopf. „Nein, schon gut.“ Doch kaum hatte sie ihre Antwort schon gegeben, hatte Sayaka schon die Nummer gewählt und den Hörer an ihr Ohr gedrückt.[/JUSTIFY]

 

Kapitel 3: Unter einem wolkenverhangenen Himmel ...


 

Contiguity Magica

Kapitel 03: Unter einem wolkenverhangenen Himmel …

 

[JUSTIFY]„Es ist immerhin keine Schädelfraktur und bleibende Schäden wird der Sturz auch nicht nach sich ziehen. Sie haben dahingehend Glück im Unglück gehabt“, sagte der Arzt mit nüchternem Ausdruck und einer Art, sich gehoben zu artikulieren. Er war ein in die Jahre gekommener Mann, mit einem von Falten erschlafften Gesicht und einem, das blaue Hemd an seine Grenzen der Belastbarkeit bringend, runden Bauch. Eine kleine Lesebrille saß angeschrägt auf seiner Nase, die er sich mehrmals zurechtrücken musste. Sein Blick ruhte halb auf Madoka Kaname, halb auf dem Klemmbrett, welches er mit einer Hand festhielt, während die andere die Blätter umschlug. Dann setzte er fort: „Und das ist Ihnen vorher wirklich noch nie passiert?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka verneinte, woraufhin der Mann im Kittel eine andächtige Schnute zog und, wie von einer kalkülen Gleichgültigkeit vereinnahmt, nickte. Dann blickte er zu den zwei der vier Menschen, die sich mit dem Rücken zum Fenster gesetzt hatten. Eine dieser vier Personen war Sayaka, die auf dem kratzigen Polster des Stuhls platz genommen hatte. Auf ihrem Schoß der dreijährige Tatsuya, der mit einem sorglosen Lächeln, wie man es von kleinen Kindern her kannte, die die komplizierte Welt der Erwachsenen weder verstehen konnten, noch sie zu verstehen versuchten, fest die Hand seiner großen Schwester Madoka hielt und immer wieder versuchte, sie zu sich herüber zu ziehen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die beiden, die auf der anderen Seite des Bettes und mit dem Rücken zum Fenster saßen, waren die Eltern Madokas und Tatsuyas. Junko – die Mutter – war eine geschäftige Frau von schätzungsweise fünfunddreißig bis vierzig Jahre. Sie hatte schulterlanges, hellviolettes Haar, trug Lippenstift in einer eigentümlichen, roten Farbe und trug die Kleidung einer gewichtigen Sekretärin. Tomohisa – der Vater – war hingegen ein hagerer Mann, auch von etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahren. Er hatte kurzes, nussbraunes Haar, trug eine kleine, kantige Brille, einen blauen Pullover und eine cremefarbene Hose. Nach Sayakas Anruf waren sie umgehend in das Krankenhaus geeilt, was Madokas anfänglich blässlichem Gesicht allmählich wieder Farbe einhauchte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nun, ich empfehle ihnen beiden, da sie ja selbst die Unstimmigkeit in dieser Aussage und dem Geschehen vernommen haben, dass wir Madoka bis übermorgen hier behalten, damit wir sie auf diverse Symptome testen können.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ist das denn wirklich nötig?“, fragte Junko.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das obliegt Ihnen“, erwiderte der Kittelträger mit gewohnter Kalküle, „da ihre Tochter noch nicht volljährig ist. Ich kann nur meinen Rat als Arzt zu Besten geben. Und mein Rat ist, sie lieber bis übermorgen hierzubehalten. Denn ein plötzlicher Nervenzusammenbruch bei einem so jungen und gesunden Mädchen ...“ Er kehrte in sinnierende Stille ein, als wolle er sich die nächsten Worte so hingehend zurechtlegen, damit man ihn nicht im späteren Verlauf als Schürhaken für weitere, vielleicht unnötige Sorgen prozessierte. Dann sagte er weiter, den alten Satz unbeendet lassend: „Sicherlich steht es ihnen frei zu sagen, dass Sie sie wieder mit nachhause nehmen wollen, da wir im Moment nichts festgestellt haben, was uns dazu verpflichtet, sie längerfristig hierzubehalten. Aber, wie bereits gesagt, ist es nicht normal, das sie so plötzlich und unvorhergesehen das Bewusstsein verloren hat.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Also denken Sie, es könnte wieder passieren?“, fragte Tomohisa.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich denke“, sagte der Arzt, wobei er einen Seufzer unterdrückte, „das es klüger wäre, die Situation nicht herunterzuspielen. Es könnte ein einmaliges Vorkommnis sein, hervorgerufen durch einen uns unbekannten Faktor, den, wenn überhaupt, nur Ihre Tochter erraten könnte, es sei denn, wir bekommen die Chance sie morgen genauer zu untersuchen. Es könnte aber auch ein zweites und ein drittes Mal auftreten und von da aus dann in immer kürzeren Abständen und längeren Perioden der Bewusstlosigkeit. Alles was ich sagen kann ist, dass es weder ein Kreislaufschock, noch Herzversagen war – dafür sind die Nachfolgesymptome nicht gegeben. Normal sprechen die Fakten eher auf äußere Gewalteinwirkungen, aber laut Ihrer Tochter, kann sie sich keines dumpfen Schlages entsinnen – der ja dem Zusammenbruch vorangeht –, und daher noch dem Gedächtnis erhalten bleiben müsste. Gut, nun könnte man argumentieren, dass ein gut gezielter Schlag fatale Folgen auf das Kurzzeitgedächtnis haben kann – nicht muss –, aber das braucht einen harten Gegenstand und ein Gefühl für die eigene Stärke, damit keine Frakturen am Schädel hinterlassen werden. Ich will sie hier nicht mit unfachmedizinischen Details zu kleistern oder Spekulationen anstellen, die schon in eine sehr unangenehme Richtung gehen; für so etwas gibt es schließlich die Polizei. Wir wollen zu diesem Zeitpunkt nicht von der These lassen, dass die Beule das Resultat des Aufschlags auf dem Boden ist und dieser Aufschlag wiederum einem Kreislaufkollaps zuzuschreiben ist. Die Blutwerte haben diese These nicht ganz bestätigt, aber es gibt noch andere Mittel, um so etwas zu messen. Und als Ärzte sind wir eben dafür zuständig; zu ermitteln, woran es lag, dass das arme Mädchen bewusstlos aufgefunden wurde. Doch dafür brauchen wir den morgigen Tag und selbst der kann uns kein nennenswertes Resultat versprechen. Alles was ich versprechen kann, ist, es zu versuchen. Ob sie uns diesen Versuch lassen, liegt ganz und gar bei ihnen zwei.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die beiden Eltern warfen sich einen schweigsamen Moment lang unsichere Blicke zu, als würden sie die Entscheidung allein mit den Augen ausdiskutieren. Dann wandten sie sich Madoka zu. Diese hatte mit ihrem verspielten Bruder ein kleines Spielchen begonnen, in dem es darum ging, das die Spitze seines Zeigefingers die ihre berührte. Madoka hatte indes die Aufgabe, den Zeigefinger in kleinen unstetigen Bewegungen, Tatsuya eine Schwierigkeit in diesem Spiel zu bieten. Nie hatte man eine solche Konzentration in einem so unruhigen Kind vernommen und nie die Freude erahnt, die ihm dieses recht simple doch wirkungsvolle Spiel ihm einbrachte, wenn ihm das erwartete Kunststück dann gelang.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka hatte währenddessen aber auch zugehört. Wohl wissend, dass von ihr eine Antwort erwartet wurde, drehte sie den Kopf, ohne das Spiel zu unterbrechen, zu ihrem Eltern hin und machte ein unentschlossenes Gesicht. Einerseits schien ihr der Gedanke nicht verkehrt, herausfinden warum sie denn jetzt in diesem Bette hier lag, obwohl es ihr noch wenige Stunden zuvor so blendend ging. Andererseits konnte sie Krankenhäusern nur wenig abgewinnen. Die trostlosen Wände in Weiß, die beengten Flure, der sterile Geruch, der sie Kopfschmerzen leiden machte. Es gab nichts famoses an einem Krankenhaus, dass ein Mädchen wie Madoka – wohl generell eigentlich jeden gesunden Menschen – freiwillig dort hielt. Und doch …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich denke, es wäre vielleicht nicht das Schlechteste, wenn ich für einen Tag hierbleibe“, sagte Madoka, sich ein mühseliges Lächeln abringend.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Bist du dir sicher, Schatz?“, fragte Junko, die Hand ihrer Tochter ergreifend, woraufhin Madoka eine bestätigende Geste machte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ja. Ich denke, wenn ich etwas habe, dann sollte das schnell gefunden und behandelt werden. Und wenn ich nichts habe, dann ist das doch ein Glücksfall, oder nicht? Immerhin bedeutet es dann, dass ich gesund bin und es vielleicht wirklich nur ein einmaliges Vorkommnis war.“ Madokas Lächeln gewann an ehrlicher Munterkeit. „Außerdem ist es ja nur für einen Tag.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Der alte Mann rückte sich die Brille zurecht und brachte mit einem Nicken hohe Achtung vor diesem reifen Entschluss eines noch so unreifen Mädchens hervor.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Gut“, sagte Junko. „Wenn du dir denn sicher bist, dann will ich dir da nicht reinreden. Bist du dir sicher?“, fügte sie mit Nachdruck hinzu.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Bin ich“, bestätigte Madoka.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die Mutter presste die Lippen fest zusammen, als wolle sie, nichtsdestotrotz, einen Einwand vorbringen. Wenn sie dies gedachte zu tun, diese fürsorgliche und von Mutterliebe durchwachsene Frau, wie Groß musste dann der eiserne Griff der Selbstbeherrschung sein, dass sie es nicht tat?[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wenn Sie mir dann bitte folgen würden, damit wir rasch den Papierkram hinter uns bringen können“, sagte der Arzt, mit einer Geste zu gehen, auf die Tür weisend.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Das Elternpaar erhob sich fast gleichsam und ohne Hast, gab ihrer Tochter je einen Abschiedskuss – es dämmerte bereits und die Besuchszeit neigte sich dem Ende zu –, entließen Tatsuya aus Sayakas Obhut, indem Tomohisa ihn auf dem Arm nahm und schritten dann auf den Flur, der Arzt dicht auf.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Als sich die Tür dann schloss, drehte sich Sayakas Kopf zu Madoka hin und verwies mit einem Fingerzeig auf eben jene, im sterilen Weiß gestrichene Tür. „Kam es mir nur so vor, oder hatte deine Mutter wirklich eine Aversion gegen die Idee, dass du hierbleiben solltest?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nein, die hat sie wirklich“, antwortete Madoka und blickte, wie in andächtige Ruhe versunken, zur Zimmerdecke hin. „Die zwei Male ausgenommen, die sie Tatsuya und mich zur Welt brachte, war sie wegen zig anderer Dinge schon in einem Krankenhaus. Ich denke, mit der Zeit hat sie dagegen wohl eine Abneigung entwickelt, weil sie so viel Zeit dadurch von ihrer Familie getrennt war.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka machte große Augen. „Echt?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ja. Die meisten Symptome waren Alkoholvergiftung. Ihr Chef nötigt sie oft zum trinken, weshalb sie ihren Job auch nicht besonders mag. Ich hab mich immer gefragt, warum sie ihn überhaupt macht, hab sie aber nie danach gefragt.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wieso nicht?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich weiß nicht“, erwiderte Madoka, mit den Achseln zuckend. „Es hat sich irgendwie nie ergeben und wenn, dann habe ich in diesem Moment wohl nicht darüber nachgedacht. Und weil ich sie schon unzählige Male so geschwächt und teilweise auch hilflos gesehen habe, hat sie wohl Angst, genau dasselbe zu empfinden, wie ich. Man beginnt einen Menschen immer anders zu sehen, wenn die Situation eine befremdliche ist. Und vielleicht schließt sie von mich auf sich, wenn sie irgendetwas bei mir finden sollten. Oder vielleicht lehne ich mich auch zu weit aus dem Fenster und es ist wirklich nur reine Abscheu gegenüber einem Krankenhaus.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Also, wenn mich mein Chef zu so etwas nötigen würde, würde ich ihm mal so richtig die Meinung geigen. Sie ist doch nicht in dieser Firma angestellt, um ihm sein Glas zu füllen!“, empörte sich Sayaka, mit solcher Heftigkeit gar, dass sie vom Stuhl aufsprang und beide Hände zu Fäusten ballte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich denke, wenn das so einfach wäre, hätte sie es auch genauso gemacht“, sagte Madoka, resigniert den Kopf schüttelnd.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Es klopfte an der Tür, was die Unterhaltung der beiden Mädchen, wie ein grober Schnitt den dünnen Faden, unterbrach. Eine Krankenschwester, ganz in pinker Montur gekleidet und sich von dem weißen Hintergrund ideal hervorhebend, trat, halb im Türrahmen verweilend, ein und wies Sayaka freundlich aber bestimmt darauf hin, dass die Besuchszeit um sei. Ein schneller Blick zum Fenster zeigte, dass der Himmel sich gerade ins Dunkle verkehrt hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka verzog auf diesen Hinweis das Gesicht, gab aber keinerlei Widerworte. „Ich komm dich morgen noch mal besuchen, sobald die Schule um ist“, sagte sie, als sie sich die Tasche ergreifend, nach unten beugte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich freu mich schon“, sagte Madoka.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sayaka neigte ihr Haupt zum Abschied und eilte auf die Schwester zu und an ihr vorbei. Die Tür fiel zu, die Einsamkeit blieb zurück. Madoka hatte ihr noch hinterhergeschaut, ehe sie wieder ihre ganze Aufmerksamkeit der Zimmerdecke zuwandte. Die Minuten verstrichen daraufhin wie Stunden. Ein einsames Bett in einem einsamen Raum, das von Einsamkeit geschwängert und in unwohlsamer Umarmung fest umklammert lag. Das Zimmer war groß, doch barg es nicht mehr als ein großes, die Außenwand längs ausfüllendes, dreiteiliges Fenster, von welchem man aus den Mond sehen konnte und den Lichtkegel einer Lampe, die am Kopfteil des Bettes befestigt und mit einem biegsamen Hals ausgestattet war. Es gab nicht viel zu sehen, nicht viel zu tun. Es gab keinen Fernseher, kein Buch, keinen Unterhalter für das arme Mädchen weshalb sie sich resigniert die Fernbedienung für das Bettgestell griff, das auf dem unweit von ihr stehenden Nachttisch lag, die Matratze damit in eine Position brachte, in der sie völlig eben lag und dann die Lampe ausknipste. Doch, oh wehe dem Mond, der sein gleißendes Licht in das leere Zimmer warf und den Mund dieses artigen Mädchens mit Flüchen zu füllen gedachte. Ob sie nun die Augen offen hielt oder schloss, der strahlende Himmelskörper blieb unbeugsam in seiner intensiven Leuchtkraft.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka stülpte sich die Decke über den Kopf und versuchte sich so ans einschlafen. Und zu einer späteren Zeit war es ihr auch tatsächlich gelungen. Das zumindest, bis zu jener unmütigen Stunde, in der das junge Mädchen von einem lärmenden Krach aus der Welt der Träume Gerissen und in die Wirklichkeit zurückbeordert wurde.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Über dem nächtlichen Himmel legte sich eine pechschwarze Decke aus Wolken, in deren unförmigen Schwaden sich die verschieden temperierten Luftströme aneinander rieben und Blitze spien. Ein Donnergrollen folgte diesem maliziösen Spektakel, dem bald die ersten dicken Wassertropfen folgten. Wie ein Fingernagel, der unaufhörlich auf einem Holztisch lautstark tippte, so auch der Regen, als der Wind ihn gegen Madokas Fenster warf, während das anfänglich leise Gerassel eines Unwetters immer klangvoller wurde.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Madoka fuhr unter ihrer Decke zusammen, als einer kurzlebigen Lichtzuckung ein gewaltiger Donnerschall folgte. Schwer waren die Lider, der Körper ausgezehrt und der Geist dennoch von der Ruhelosigkeit des Himmels mitgefangen. Das arme Mädchen führte diese Nacht ihren Kampf gegen die Naturgewalten vor ihrem Fenster und verlor ihn mit einer solchen Kläglichkeit, dass es sie elend machte. Über die Nacht hinweg, bis zum Übergang in einem grauen Morgen, war der Regenschauer keinem Sonnenlicht gewichen.[/JUSTIFY]

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[RIGHT]Der angegraute Morgen:[/RIGHT]

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[JUSTIFY]Die dicke graue Decke verstand sich ausgesprochen gut darin, den frühen Morgenstrahlen der Sonne keinen Durchlass durch ihr dichtes Wolkenkleid zu gewähren. Schwer waren die Tropfen geworden, die wie stählerne Hammerschläge auf das trostlose Pflaster der Stadt hernieder prasselten. Das anfängliche Nieselwetter war zum Verkünder einer Sintflut geworden. Die Luft fauchte und zischte wie ein verwundetes Tier und aus allen Richtungen vermengte sich kaltfeuchte Luft zu einer dünnen Nebelbank. Es war wie an jenem verheißungsvollen Tag, als die Stadt unter einem Berg aus Trümmern und Scherben vergraben und von ihren traurigen Blicken berührt lag. Traurig? Nein, eher verzweifelt. Die verzweifelten Blicke eines hilflosen Mädchens, dass sich nichts sehnlicher wünschte, als zu retten, was sie liebte. Ein Mädchen, so verzweifelt, dass es den Schmerz des Verlustes nicht länger in Größe zu messen und in Gewicht zu wiegen wusste.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Der Regenguss peitschte sie, der Wind spaltete sie, doch Homura ließ sich von dieser Unbequemlichkeit nicht aus der Ruhe bringen. Sie saß auf dem angesenkten Dach eines der Nachbarhäuser des Krankenhauses. Das fünfstöckige Gebäude lag blässlich und kalt hinter der dünnen Nebelwand und doch konnte sie es sehen – nein, spüren. Das Zimmer, in welchem sich Madoka Kaname befand, konnte sie nicht länger einsehen, aber das war auch gar nicht ihre Absicht. Sie wollte nicht beobachten, wollte nicht über den Zustand Madokas mit eigenen Augen fortschreitend informiert bleiben. Wieso auch? Sie war nicht in Lebensgefahr und es galt andere Prioritäten zu setzen. Wozu hatte sie denn schließlich ihn, wenn nicht für ihre ständige Überwachung und den Garant der Sicherheit, für den er ständig warb?[/JUSTIFY][JUSTIFY]Ja, wozu hatte sie ihn eigentlich?[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Dieser verdammte Idiot“, spie sie frustgeladen und vergrub die Zähne in ihrer Unterlippe, um der Verwendung härtere Flüche vorzubeugen. Sie ballte die, auf dem angewinkelten Knie ruhende Hand mit solcher Kraft zur Faust, dass sie einen rohen Brocken Kohle zu einem Diamanten hätte zusammenpressen können. Was nun dieses Mädchen so rasend machte, war nur schwer verständlich für jene, die rational und nicht emotional darüber nachdachten. Madoka lebte, war, bis auf eine kleine Beule am Hinterkopf wohlauf und konnte ihr unbeschwertes Leben weiterhin fortsetzen, sobald sie dem Krankenhaus erst einmal den Rücken zugedreht hatte und ins heimische Heil und in die Arme ihrer treusorgenden Familie zurückgekehrt war. In diesem Moment, als er die eine Gefahr von Madoka abgewandt und ihr jegliche Erinnerung an diese genommen, während sich Homura mit einer ganz anderen Bedrohung befasst hatte, verspürte sie so etwas wie Freude und Dankbarkeit. Er war seiner Aufgabe nachgegangen, so gut sogar, dass sie ihn dafür nur zu gerne gelobt hätte; denn sie hatte ihm das Wichtigste in ihrem Leben anvertraut und er hatte sie nicht enttäuscht.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Nun, soweit so gut, würde jetzt jeder, von blindem Optimismus geprägte Mann sagen, der noch nie zuvor das Schwert der Logik gegen den emotionalen Schild einer Frau erhoben und daran zerbersten gesehen hatte. Denn so sehr Homura auch mit den Leistungen ihres Partners zufrieden, ja gar begeistert war, denn immerhin war dies nicht nur eine Sache von Aktion und Reaktion, sondern wirklich ein von Vertrauen geknüpftes Band, das nunmehr verstärkt wurde, so sehr verfluchte sie ihn auch für das, was er getan hatte. Denn er hatte Gewalt an Madoka ausgeübt, der Beweis war die Beule an ihrem Kopf und das Ergebnis war ein armes und verwirrtes Mädchen, dass nun wahrscheinlich darum bangen musste, dass ihr komatöser Zustand von ihrem Körper ausging und nicht etwa durch einen niederträchtigen Angriff aus dem Schatten.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homura konnte diesen Anblick nicht mehr aus ihrem Kopfe löschen. Er, wie er über die bewusstlose Madoka gebeugt und dann zu Homura geblickt hatte, als diese gerade am Ort des Geschehens eintraf. Tausend Gedanken und Befürchtungen waren ihr in diesem Moment durch den Kopf gewandert und tausend Flüche hätte sie ihm zukommen lassen, als er so selbstverständlich und mit einer nickenden Kopfbewegung sagte: „Keine Sorge, sie ist unversehrt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Das nennt er unversehrt“, fauchte sie wispernd, als sie wieder in die Gegenwart ankam und noch immer durch den dünnen Nebelschleier, in das Zimmer von Madoka zu blicken versuchte. „Dieser Idiot.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Als wäre dies die Beschwörungsformel, malte sich hinter ihr das schemenhafte Abbild einer Gestalt auf dem stetig grauen Hintergrund und aus dem undichten Rauchgebilde trat die Gestalt eines jungen Mannes hervor. Sie brauchte nicht den Kopf zu drehen, um zu wissen, dass es Shiro war.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Das habe ich gehört.“ Er sagte es wie jemand, den es nicht scherte, der es aber erwähnt haben wollte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homura verengte die Augen. Wie bereits erwähnt, war sie gleichermaßen stolz und verärgert über ihn. Sie wollte ihm seine gute Arbeit nicht zum Vorwurf machen. Doch ihn sehen und mit ihm reden, wollte sie deshalb noch lange nicht. Zumindest nicht, bis sie sich beruhigt hatte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Habe ich dir nicht einen Auftrag gegeben?“, herrschte Homura ihn an, in der Hoffnung, er würde wieder verschwinden.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Sayaka Miki ist nicht zuhause.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wo ist sie dann?“ Sie hatte ihn in dieser kurzen Zeitspanne, von fünf Tagen so gut kennengelernt, dass sie bereits zu erahnen vermochte, dass er auf diese Frage mit einem gleichgültigen Schulterzucken antworten würde – was er dann auch tat.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Das wissen Gott und die Welt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wie wäre es dann mit suchen und finden?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Bin ich ein Spürhund?“, maulte er.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homura schickte sich nicht an, diese Frage zu beantworten, drum trat eine kurze Periode des Stillschweigens ein, der nur das Zerschellen von Wassertropfen die herbeigesehnte Ruhe raubte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro ließ sich neben Homura nieder und mimte ihr, wie ein Kind seine Umgebung, die steife, verkrümmte Sitzhaltung und den stieren Gesichtsausdruck nach.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Sag, willst du mich provozieren?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„War das so offensichtlich?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homura drehte ihm darauf das Gesicht zu. Die niederschmetterndem Augen, die ebenso gefährliche Funken und Blitze schossen, wie es der Himmel zu diesem Zeitpunkt tat. Und Shiro wie ein Blitzableiter, der nach immer mehr Elektrizität zu verlangen schien, wenn man diesem frechen Ausdruck, der seine dünnen Lippen umspielte, richtig zu deuten vermochte. Was hätte jeder andere vor Schrecken um sein Leben gebangt, wäre er das Opfer dieses herrischen und zugleich furchteinflößenden Ausdrucks, wie ihn Homura aufgelegt hatte, geworden. Zu einer Zeit, als Rom noch die gefürchtetste Macht in Europa war und der Stand eines Herrn zu seinen Leibeigenen im Verhältnis als noch höher gestellt galt, als der zwischen Senat und Volk, hätte Shiro, in der Position eines Sklaven, ein solcher Blick wie der Homuras, die der Position einer Domina, den sicheren Tod durch das Kreuz wegen Denunzierung bedeutet.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Aber das Schicksal meinte es gut mit diesem jungen Spund, denn dies war nicht das antike Rom, sondern das moderne Japan und er war nicht Homura Akemis Leibeigener, sondern ihr Helfer, Kumpane, Gefährte, Mitstreiter; wenngleich sie seine Gegenwart nur unter Eigenzwang ertrug.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Warum er nun aber solche Missgunst bei eben jener Person zu erwirken provozierte, obwohl der logische Verstand ihm klar zum Gegenteiligen handeln ermutigen sollte, war zwei wesentlichen, grundverschiedenen charakteristischen Eigenschaften Shiros geschuldet. Die erste, welche gleichzeitig sein herausragendstes und für Homura Akemi im höchsten Grade unerträglichstes Merkmal an ihm war, war seine Verschlagenheit, die dem Charme eines Rotzlöffels, der hämisch grinsend in beiden Handflächen eine große Spinne der eigenen Schwester hinhielt, obwohl sie bereits panisch schreiend gegen eine Wand lehnte und ihn unter Tränen anflehte, diese kleine achtbeinige Monster von ihr zu entfernen. Die andere Eigenschaft war einer unscheinbaren und oftmals ungewissen Fürsorge vorausgegangen, der er sich unfähig gab, einfach auf normale Weise zu zeigen. Denn in dem Moment, als Homura ihm das Gesicht ingrimmig zugewandt hatte, hielt er ihr etwas hin.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homura wechselte bei jedem Blinzeln den Augenkontakt zwischen Shiro und dem, was er in der Hand hielt. „Was ist das?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ein Regenschirm“, antwortete er. Es war ein solcher, den man auf das Dreifache seiner eigentlichen Größe zusammenstauchen konnte und dessen Griff nicht länglich und gebogen, sondern klobig, rund und gerade groß genug war, dass er zwei Fingern Platz zum Greifen bot. Ein kleiner, kompakter, schwarzer Zwergregenschirm.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wofür sollte ich einen brauchen?“ Es war so abwertend gesprochen, dass sie genauso gut hätte sagen können: „Nimm ihn und schieb ihn dir irgendwo hin.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du sitzt im Nassen. Es hilft unserer Sache nicht, wenn du dir eine Erkältung zuziehst. Ins Warme bekomme ich dich nicht und aus irgendeinem Grund scheinst du Madokas Gesellschaft eher aus sicherer Entfernung, als aus nächster Nähe zu bevorzugen. Also hier, ein Regenschirm.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Hormua sah ihn an, schweigend und analysierend, als warte sie darauf, dass er eine alarmierende Bewegung ausführen würde, auf die sofort darauf eine Handlung erfolgte, mit der er noch größere Missgunst ernten würde. Vielleicht würde er ihr den Regenschirm mit ausgestreckter Zunge wieder entziehen, sobald sie nach ihm griff oder er würde ihr damit auf die Finger klopfen. Es wäre nicht das erste und gewiss nicht das letzte Mal, dass er solchen Schabernack mit ihr trieb. Denn außerhalb ihrer geschäftigen Beziehung, hatte er es in den fünf Tagen tatsächlich vollbracht, eine Atmosphäre des Misstrauens aufzubauen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Was ist?“, fragte er.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homura behielt ihm störrisch im Auge.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ich kann auch nett sein, wenn ich will.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Zwischen Können und Sein, mein Lieber, dachte sie und drehte ihm das Gesicht weg und wieder zum Krankenhaus hin. „Ich brauche keinen Regenschirm.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wie? Hast du neuerdings dein Haar imprägniert?“, lachte er spöttisch.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Sei nicht so blöd“, mahnte sie fauchend. „Ich kann mich nicht erkälten.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Bist du dumm? Natürlich kannst du dich erkälten, wenn du hier draußen im Regen sitzt und die Kleidung das Wasser wie ein Schwamm aufsaugt. Also echt, manchmal …“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homura griff in ihre Jackentasche und holte einen kleinen, ovalen Edelstein hervor, der von einem vergoldeten Standfuß, wie ein Ei im Eierbecher lag und von vier, im gleichen Gold glänzenden Streben umschlossen wurde. Dieser stieß dann und wann einen violetten Schimmer aus. Eigentlich als Warnsignal für einen nahen Feind zu verstehen, doch mit Shiro, der ihre Gegenwart teilte, konnte sie der Ursache für diesen Lichtimpuls einen Namen und somit auch eine Entwarnung geben.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Der Soul Gem beschützt mich vor so etwas.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Der Soul Gem“, pfiff er, „schützt dich vor dem psychischen Auswirkungen einer Erkältung, nicht vor der Erkältung selbst. Dein Körper ist immer noch anfällig für allerhand Viren, Bakterien und selbst für Verletzungen. Und das wird zu einem Problem, wenn du nicht genug Magie hast, um dagegen vorzubeugen. Sieh dich mal an, du hast schon blaue Finger. Dein Körper unterkühlt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]In der Tat war mit dem Regen auch ein frischer Wind hinzugekommen. Jedoch wäre es weit vermessen gewesen zu behaupten, dass dieser mit einer spät abendlichen Winterluft hätte verglichen werden können. Viel mehr war es die Mischung aus dicken schweren Wassertropfen und den frischen Windstößen, auf die der Körper des jungen Mädchens so empfindlich reagierte. Nichtsdestotrotz …[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ich habe genug Magie, um mich dagegen zu schützen“, sprach Homura in dieser Art, die nur ihr zu Eigen war, was dem jungen Manne wieder zu missfallen schien. Wahrscheinlich war es sogar die einzige Waffe, die sie gegen sein unverschämtes Lächeln erfolgreich anwenden konnte. Denn, wann immer sie keine Rücksicht auf Betonungen und Klangvariationen in ihrer Stimme nahm – also wie von Emotionen verlassen, sprach –, verengte er entweder die Augen oder stieß ein gelangweiltes Seufzen aus.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ich könnte ebenso gut mit einem Kind diskutieren, es würde genauso widerborstig und stur sein. Pass auf, ich lass ihn dir hier liegen“, fügte er hinzu, als er sich erhob.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Und wo gedenkst du jetzt hinzugehen?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro streckte die Glieder, wie als wäre er gerade erst erwacht und glitt sich durch das kohlschwarze, nasse Haar. „Weiß nicht. Vielleicht stell ich mich unter ein Dach, das mich vor dieser Überschwemmung beschützt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du könntest auch nach Sayaka Miki suchen“, wandte Homura ein, zu ihm aufblickend.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Sag mir wo sie ist, dann nehm ich die Überwachung wieder auf. Ansonsten mach ich es jetzt, wie es alle klugen Menschen machen, die bereits viel zu viel Zeit unter einem, von Regen durchnässten Himmel verbracht haben. Ich geh mich irgendwo unterstellen und …“, hier stieß er ein schweinisches Lachen aus, „erfreue mich dem Anblick armer Frauen, die mit ihrer durchnässten Kleidung Schutz vor dem Regen suchen.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Tu, was du nicht lassen kannst. Wenn Sayaka Miki aber etwas passieren sollte …“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Darauf verging ihm das dreckige Grinsen und er wandte sich verdattert Homura zu. „Du drohst mir, weil ich meiner Arbeit aus nachvollziehbaren Gründen nicht nachgehen kann?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homuras Mund blieb von Worten unberührt. Die blauvioletten Augen waren wiederum wie eine belebte Zunge, die ihn mit spöttischen Ausdrücken bombardierte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Boah, ist das deine Wahrheit?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ich habe nichts gesagt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ist auch nicht nötig, deine stechenden Blicke erzählen mir schon genug“, sagte er verdrossen und wandte sich um. „Mal ehrlich, ich sollte dir einfach die Augen ausstechen und mich mit denen unterhalten.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du klingst wie ein bockiges Kind. Kaum zu glauben, dass du älter als ich bist“, erwiderte Homura mit einem dünnen aber amüsierten Lächeln und glitt darauf, wie eine Geste der Überlegenheit demonstrierend, mit den Fingern durch das triefend nasse Haar, das sich erst in einer eleganten Schwingung von dem Gewicht der Regentropfen losbrach und dann langsam, wie eine Feder mit ihren vielen, feinen Härchen im Wind, wieder zurückschwang.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ja, das ist in der Tat unglaublich. Was die Erfahrung uns doch auf unterschiedliche Bahnen leitet, trotz desselben Erfahrungswertes.“ Er lachte süffisant auf. „Und am Ende des Weges sehen wir in einen Spiegel und erkennen, dass wir alt und doch nicht älter geworden sind. Paradox, nicht wahr?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er wartete nicht, bis Homura ihm eine Antwort darauf gab. Mit einem Sprung vom Dach, gab er sich, mit den Füßen voran, dem freien Fall zum Boden hin, der schon von einem seichten Nebelschleier verdeckt, seine Silhouette aber noch erkennbar ließ. Homura blickte ihm noch nach, sah, wie er unbeschadet auf dem Boden landete und sich gemütlichen Schrittes in südwestliche Richtung – also der Straße links entlang folgend – aufmachte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wir blicken in einen Spiegel“, wiederholte sie seine Worte leise sinnierend, „ und erkennen dass wir alt und doch nicht älter geworden sind.“ Sie kam nicht umhin, ihr Gesicht mit einem selbstironischen Lächeln zu zieren. „Also manchmal ist es wirklich schwer einzusehen, ob du nur ein poetischer Idiot oder ein idiotischer Poet bist, Shiro.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Als sie sich etwas gerader machte, die Hand von ihrem Bein nahm und sich auf mit dieser abstützen wollte, erfasste sie versehentlich den von Shiro zurückgelassenen Regenschirm. Sie nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn, als hielte sie etwas Fremdartiges und Exotisches in den Händen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ein Idiot, wie er im Buche steht“, sagte sie und kam nicht umhin zu bemerken, dass ihr Groll auf ihn gemildert war. Er war nicht vollkommen verschwunden, doch ihr schien es, als könne sie ihm zumindest wieder die Augen blicken, ohne den Wunsch zu verspüren, ihm diese auszukratzen.[/JUSTIFY][JUSTIFY] [/JUSTIFY]

Kapitel 4: ... da trafen sich ein Hexer und eine Hexe


 

Contiguity Magica

Kapitel 04: … da trafen sich ein Hexer und eine Hexe

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[JUSTIFY]Die erste von acht Erinnerungen, auf die Sayaka, bezogen auf dieses prächtige Domizil, das mit seiner verglasten Außenwand der Mittagssonne hingeneigt war, zugriff, lag beinahe nunmehr sechs Jahre zurück. Weil dieses Mädchen aus gewöhnlichen Verhältnissen stammte, war sie ein solches Aufgebot an großen Zimmer und weiten Fluren allerhöchstens von Hotels gewohnt. Und Hotels, in den Augen eines Kindes, waren nicht viel mehr, als die wirre Ansammlung an verschachtelten Gängen, die in ihrer monotonen Farbgebung des Kindes Verstandes so massiv beeinträchtigten, dass es, wenn es nichts mit den Zahlen an der Tür anzufangen wusste, schnell zu einer Irritation mit Folgepanik neigte. Und genau das war Sayaka in dem Anwesen der Shizukis passiert, als sie mit ihren zarten acht Jahren durch den mächtigen Gebäudekomplex, auf der Suche nach Hitomis Zimmer, herumirrte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hitomi, ihrerseits, war zu dieser Zeit der Grippe erlegen und Sayaka von der Lehrerin darum gebeten worden, ihr die Hausaufgaben vorbeizubringen. Das Verhältnis der beiden war noch nicht mit dem Bande der Freundschaft versehen. Mehr waren sie ein Gesicht unter vielen, das man jeden Morgen sah und manchmal sogar grüßte. Sie hatten nie gemeinsam zu Mittag gegessen und waren auch nie den Weg zur Schule und zurück, gleichwohl das sie ihn ab der ungefähren Mitte teilten, gelaufen. Zu diesem Zeitpunkt gab es für Sayaka nur Madoka und Kysouke, mit dem sie sogar schon im Sandkasten Eimer und Schaufel geteilt hatte. Es waren die einzigen beiden, die Sayaka das Glück hatte, tatsächlich Freunde nennen zu dürfen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Hitomi schien sich dahingehend eher schwer mit den Geschwüren zu tun, die sie wie Parasiten umkreisten und eigentlich mehr an ihrem Lebensstandart und ihrem Spielzeug, denn an Hitomi selbst interessiert waren. Die meisten waren wie Planeten, die sich von der Masse des Geldes haben anziehen und von dem gutmütigen Schein Hitomis haben erwärmen lassen. Hitomi aber, war schon damals ein kluges Mädchen und wusste bereits sehr gut um die Falschheit derer Bescheid, die sich um sie wuselten. Nur aus Höflichkeit schenkte sie den Kleinen, die schon in diesem Alter so von Falschheit übergossen waren, ein stetes Lächeln, wie man es ihr von Haus aus beibrachte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Mochte man es nun eine gnädige Fügung des Schicksals oder den Plan eines Gottes zur Verantwortung ziehen, was nach der Schule passierte. Sicher war, dass der Grundstein für diese langjährige Freundschaft zu Hitomi, an eben jener Tür der Shizuki-Residenz begann. Sayaka war von einem bejahrten Butler in Empfang genommen und ins Foyer geleitet worden.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Es ist schön“, sagte der Alte mit einer Stimme, die so gebrechlich schien, dass nur sie mit dem Knistern von Waldlaub zu vergleichen war, „dass jemand das junge Fräulein besucht. Sind Sie eine Freundin von ihr, junge Dame?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Sayaka wollte gerade antworten, da unterbrach sie ein plötzlicher schriller Ton, der von einem Telefon ausging, das einsam auf einer zweibeinigen Konsole stand. Sayaka erinnerte sich noch daran, wie sie über das schrill klingende Gebilde beinahe lachend das Gesicht verzog. Der Hörer war so entsetzlich krumm und gebogen und statt mit einem Tastenfeld, einer Drehscheibe ausgestattet. Da mochten auch die goldenen Enden des Hörers für Sayaka nicht den Anschein eines eleganten und modernen Telefons waren.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Verzeih, kleine Lady, doch ich muss diesen Anruf leider entgegen nehmen. Meinst du, du könntest hier ein paar Minuten warten, bis ich wieder da bin?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Sayaka nickte brav, woraufhin sie der alte Mann belohnend tätschelte. Dann wandte er sich um und ging dem Telefon entgegen. Worum es in dem Telefonat ging, das hatte Sayaka längst wieder vergessen. Was sie nicht vergessen hatte war, wie sehr sie die Warterei skalpierte, die aus heutiger Sicht vielleicht zwei Minuten betrug, doch aus der damaligen Sicht eines Kindes, eine unvorstellbare Ewigkeit anhielt. Gewillt, sich nicht durch die Schuld eines endlos langen Telefonats ins Rentenalter befördern zu lassen, brach sie also ihr Versprechen und begab sich selbst auf die Suche nach Hitomis Zimmert. Der alte Mann, der mit dem Gesicht zur Wand stand und sich mit Block und Stift Notizen zu machen begann, bemerkte unterdessen Sayakas verschwinden nicht.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Das junge Mädchen folgte der Treppe – dass den halben Foyer besetzte – bis in den ersten Stock, von wo aus sich der Weg teilte. Auf gut Glück nahm sie den rechten, öffnete Tür, nachdem sie dreimal geklopft hatte und fand nichts weiter als menschenleere Zimmer vor, die dafür mit allerhand Krimskrams und Wertgegenständen angereichert waren. Der Begriff „Themenzimmer“ hätte hier wohl seine treffliche Richtigkeit gehabt; doch wie will ein so junges Kind ein solches Wort und seine Bedeutung verstehen? Und wie will es daraus schlussfolgern, dass sie nun nicht in den Wohnflügel eingebogen war, sondern sich dort befand, wo die meisten Veranstaltungen und Privatunterrichte für Hitomi stattfanden? Drum suchte sie in ihrer Unsicherheit immer weiter, stieß jede neue Tür auf, bog in jeden neuen Flur ein und stellte sich irgendwann, als sie zurückschaute und sich von drei Seiten mit langen Gängen und vielen Türen umschlossen sah, voll Unsicherheit die Frage:[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wo bin ich?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Der restliche Teil der Erinnerung war ihr noch am besten erhalten geblieben. Sayaka hatte vor Panik eine Zimmertür nach der anderen aufgestoßen und das so laut und kraftvoll, dass es durch die Flure hallte. Letzten Endes konnte sie sich ihrer Tränen nicht länger erwehren, sah sich als Gefangene eines Labyrinths, aus dem es kein entkommen mehr gab und streifte, jammernd und schluchzend und die zwei Zeigefinger ständig vor Augen haltend, durch den menschenleeren Korridor.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Ihr Gejammer blieb nicht ungehört. Nur einen Moment später geschah es, dass sich die Tür, an der sie gerade vorbei geschritten, geöffnet hatte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Miki-san?“, hörte Sayaka die, von Kränklichkeit gedämpfte Stimme eines jungen Mädchens hinter sich.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Sofort wandte sie sich um und erblickte mit großen feuchten Augen …[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Shizuki-san?!“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Ab hier brach die Erinnerung plötzlich ab, als Sayaka von einem tückischen Geräusch wieder in die Realität zurückgestoßen wurde. Die wach gewordene Aufmerksamkeit war nun Hitomi gegolten, die sich am anderen Ende des Tisches, auf welchem sich ihre Schulhefte und Farbstifte verteilt hatten, schielend eine Hand vor dem Mund hielt, dem konstant leise Laute entwichen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Warum lachst du denn?“, fragte Sayaka.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Hitomi ihrerseits, hielt sich weiterhin kichernd die Hand vorm Munde. „Ach, nichts weiter. Es ist nur …“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ja?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du hast wieder über etwas nachgedacht, oder?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Sayaka krauste die Stirn vor Verwunderung. „J-Ja, habe ich. Woher weißt du das?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Hierauf hielt sich Hitomi so feste den Bauch, das man hätte meinen können, sie würde versuchen damit gegen üble Magenbeschwerden vorzubeugen, wäre ihr Gesicht nicht so von freudigen Reizen durchzogen gewesen. Sie krümmte und schüttelte sich und es war klar, dass sie mit aller Macht gegen den Drang, laut hallend loszulachen, ankämmpfte. „Du hast dir gerade mit einem Stift ein Muttermal auf die Unterlippe gemalt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Hä?“ Sayakas Augen wurden groß und weiß. Alle Farben waren mit einem Male verblichen, zurück blieb ein grauweißes Gebilde, dass mit starr gewordener Miene, verdutzt zu ihrer Freundin stierte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Hitomi zog einen Spiegel unter dem Tisch hervor und hielt ihn Sayaka, wie von hämischer Schadenfreude getrieben, vors Gesicht. „Hier.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Sayaka schaute in den Spiegel … und fuhr laut schreiend hoch. „Ah! Wieso hab ich das denn gemacht? Wieso sagst du nichts?!“ Man hörte ihre, von Frust und Schock geschwängerten Schreie noch durch die dicken Mauern des Hauses hinweg. Sie eilte aus dem Zimmer, suchte in dem riesigen Anwesen ein Zimmer auf, welches frisches Wasser zum saubermachen bot und ließ die Freundin, die voll Wonne zu Lachen begann, zurück.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Einen Moment später kehrte Sayaka wieder. Das Bad, welches sie nach zahllosen Türen aufstoßen aufgefunden hatte, lag ironischerweise nur zwei Zimmer weiter von Hitomis entfernt. Die Unglückselige hatte leider nur die falsche Richtung eingeschlagen und war daher fast einmal um den ersten Stock herum geirrt – ja, sie hätte sich beinahe zum zweiten Male in diesem Hause verlaufen. Für Hitomi war dies kein unwillkommenes Übel, da sie so die Zeit hatte, den Tisch abzuräumen und frischen Tee aufsetzen zu lassen. Dieser wurde ihr, zusammen mit zwei prächtigen Porzellantassen, deren glatte Außenseite mit schwungvoll vergoldeten Reliefen verziert waren, in einer kleinen Teekanne und von einem silbernen Tablett getragen, serviert. Sayaka ließ sich gefrustet wieder auf ihrem Sitzkissen nieder, nahm die ihr angebotene Tasse entgegen und ließ sich von Hitomi, wie ein alter Mann von seiner liebenden Frau, einschenken.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Nach nur einem Anlauf, ein fröhliches Gesprächsthema anzuschlagen, war die Stimmung im Raume wieder von Heiterkeit erfüllt. Der kleine Tisch, welcher auf einem grünen Teppichboden stand, der wiederum die spiegelglatten Fließen bis zu einem bestimmten Bereich unter sich verdeckte, maß eine ovale Länge von gut zwei Metern und eine Breite von zwei Armlängen. Drei der vier Wände, die cremefarben gestrichen waren, schnitten den ohnehin schon großen Raum, von der noch viel größeren Residenz ab, in der sie sich aufhielten. Die vierte Wand war, im typischen Mitakihara-Häuserstil, aus dicken Glas, welches eine hervorragende Sicht auf die verregnete Stadt bot. Unweit dieses Fensters – gute zehn bis fünfzehn Schritte vielleicht – stand ein riesiges Himmelbett, groß genug für drei Personen dort drin zu liegen, das von verschiedenen violetten Tönen bezogen und von weißen Seidenvorhängen verhüllt war. Darüber thronte ein Baldachin, dessen textiles Material wie eine Pyramide nach obenhin zusammenlief. Die Wand daneben, die gleichzeitig auch die Eingangstür hielt, verdeckte ein riesiger, aus weißen Holz gefertigter Kleiderschrank. Die letzte Wand – also die, die der Bettwand gegenüber lag – war von vielen Bildern verhangen. Festgehaltene Erinnerungen, auf denen vor allen Dingen Familienausflüge, aber auch Schulveranstaltungen zu sehen waren. Merklich war, das Hitomi nie alleine auf diesen Bildern, manchmal sogar gar nicht darauf zu sehen war. Die, auf denen sie mit drauf war, zeigten immer ein freudenstrahlendes Pärchen, das sich lieb in den Armen lag. Die, auf denen sie fehlte, stammten entweder aus einer Zeit, in der sie entweder noch gar nicht das Licht der Welt erblickt hatte oder selbst hinter der Kamera stand. Als Beispiel sei hier einmal das glückliche Elternpaar aufgeführt, welches Arm in Arm die Stufen der Kathedrale hinabstieg, kurz nachdem es sich das „Ja“-Wort gegeben hatte und einmal ihre Kindheitsfreundinnen Madoka Kaname und Sayaka Miki, die vor einem herbstlichen Hintergrund standen und, jede auf ihre eigene Art, posierten – Sayaka mit einem, für sie typischen, frechen Grinsen und Madoka eher schüchtern lächelnd.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Hitomi stellte die Tasse mit Behutsamkeit, der die Tischmanieren des reichen Standes vorangingen – denn man vermied unnötig laute Geräusche durch Porzellan oder dem Geschirr im Allgemeinen – und wagte einen schnellen Blick zu der stetig tickende Stehuhr, die auf ihrem Nachttisch stand. Es war ein kleines, klobiges Konstrukt aus Holz, dass mit einem mattgoldenen Schwingpendel hinter einer dünnen Glasscheibe und einem Satteldach ausgestattet war, an dessen Giebel sich das Ziffernblatt befand. Es war gerade fünf nach Zwölf geworden. Es kam ihr vor, als wären erst wenige Minuten vergangen; doch tatsächlich, es waren vier Stunden nun.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Von draußen grollte der Himmel wie Geröll, das einen steinigen Abhang hinunter stürzte und gegen die hervorstehenden Kanten stieß.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Das Wetter wird echt immer schlimmer“, seufzte Sayaka. „So schlimm hätte ich es mir nicht vorgestellt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Haben sie nicht gestern Abend noch im Fernsehen das Unwetter angekündigt?“, sagte Hitomi, mit schräg gelegtem Kopf.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ich schau doch keine Nachrichten, ich hab andere Sachen zu tun“, versuchte Sayaka ihr Unwissen zu verteidigen, was ihrer Freundin nur ein müdes Lächeln abgewann.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Zum Beispiel?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Schweigen. Peinliches Schweigen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Hitomi wandte den Blick, da sie ja mit dem Rücken zum Fenster saß, über ihre Schulter und betrachtete den Schauer, der sich aus der grauen Wolkendecke ergoss, mit missmutiger Miene. „Ich hoffe es legt sich bald. Laut dem Wetterbericht soll es ja um vierzehn Uhr aufhören.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ja, das hoffe ich auch“, sagte Sayaka. „Es reicht schon, dass ich pitschnass hier angekommen bin und mir deine Klamotten leihen musste. Nicht, dass ich nicht dankbar dafür bin“, fügte sie hastig hinzu, als Hitomi ihr das Gesicht zudrehte, „ich meine nur, das die Umstände etwas schöner sein könnten. Immerhin wollte ich dich nur über Madokas Unfall informieren.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wofür ich dir auch sehr dankbar bin, Sayaka-chan“, erwiderte Hitomi lächelnd. „Aber ein normaler Anruf hätte es auch getan.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Hast ja recht“, räumte Sayaka ein und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Aber ich habe auch nicht mit so einem scheußlichen Wetter gerechnet. Es hat ja am Abend nur ein bisschen genieselt und ich dachte, das bleibt so. Ach, ist ja auch egal, solange es sich um vierzehn Uhr wieder beruhigt und ich Madoka noch besuchen kann, ist es nur halb so wild.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du meinst: wir sie noch besuchen können.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du kommst auch mit?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Natürlich. Madoka-san ist auch meine Freundin.“ Hitomis verärgerter Ton, als hätte sie die Frage wie ein Stich durchs Herz getroffen, ließ Sayaka, trotz der sicheren Distanz, die der Tisch ihr bot, zurückweichen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„J-Ja“, sagte sie eingeschüchtert, „da hast du natürlich recht.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Entschuldige, ich wollte nicht laut werden.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Nein nein, schon in Ordnung. Ich hatte nur gedacht, da du sowieso so wenig Zeit zum lernen hast, würdest du den Tag lieber damit verbringen.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Madokas Gesundheit ist viel wichtiger. Und ich denke, es wird sie bestimmt auch freuen, wenn ich mitkomme.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Sayaka nickte. Sie stützte ihren Kopf mit ihrer Hand und hatte das Gesicht den vielen Bildern an der Wand zugedreht. Diese vielen eingefrorenen Erinnerungen, denen eigentlich jedes Leben fehlte und so viel zu erzählen hatten. Es war schon seltsam, wie viel sich aus nur einem einzigen Bild ablesen ließ, wenn man sich nur den Menschen darauf betrachtete. Ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht eines kleinen Mädchens, das Stolz das erste selbstgezeichnete Bild vor die Linse hielt. Die innige Umarmung eines sich liebenden Paares, das in freudiger Erwartung auf den Nachwuchs, sich hinter der schneeweißen Kinderkrippe positioniert hatte, damit diese nicht im Hintergrund des Entzückens geriet. Der sanfte Kuss einer Mutter, auf die Wange ihres Kindes, welches sie wiederum neckisch von sich wegzustoßen versuchte. Jedes Bild vermochte zu vermitteln, was selbst tausend Worte nicht hätten ausdrücken können.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Doch obwohl diese Wand der Erinnerungen von einem solch positiven Gepräge war, vermochte es Sayaka niemals den Blick mit einem Lächeln abzuwenden. Denn ein Foto – ein Fenster –, das ihr den Einblick in das Leben von Hitomi Shizuki gab, war von einer solchen Schwermut belastet, dass es Sayaka leicht zitternd und nachdenklich zugleich machte. Es erzählte, warum Hitomi der fürsorgliche Mensch geworden war, der sie bis zu diesem Tage geblieben, da Sayaka ein erneutes Mal dieses Bild betrachtete. Warum Hitomi einmal eine Klavierstunde hat ausfallen lassen und sich dafür eine laute Schelte von ihren Eltern einfing, nur um Sayaka zu zuhause zu besuchen, die mit einer Lungenentzündung das Bett zu hüten gezwungen war. Warum Hitomi einer Freundin ein Blumengesteck als Beileidsgabe zum Tode der verstorbenen Großmutter hat zukommen lassen, das von ihrem eigenen Taschengeld finanziert und mit ihrer Fingerfertigkeit ein wenig verschönert wurde. Warum Hitomi Madoka – und jeden anderen Menschen, den sie liebte – ihren schulischen Verpflichtungen immer vorziehen würde. Denn Hitomi lebte, um zu lieben und liebte, um zu leben.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Hitomi, dachte Sayaka, das Gesicht wie von Melancholie übergossen, je länger sie das Bild anstarrte und zeitgleich über ihre Freundin sinnierte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Auf dem Bild war eine cremefarbene Wand, vor der eine schneeweiße Kinderwiege stand. Und vor dieser Wiege hockte Hitomi, damals, so schätzte Sayaka, gute sieben Jahre alt. Sie war von unsagbarer Heiterkeit beseelt – unsagbar deswegen, weil man dieses Foto mit eigenen Augen erblicken müsste, um den Grad der Glückseligkeit mit einer Beurteilung bemessen zu können. Ihre Wangen waren wie frisch gereifte Erdbeeren knallrot angelaufen und die Augen von den Freudentränen in einen solchen Glanz versetzt, dass sich in ihnen das Licht, welches entweder von der Sonne oder einem Kronleuchter herrührte, brach. Den unteren Teil ihres Gesichtes nahm ein so breites und von Herzlichkeit umwobenes Lächeln ein, das auf eine Art gezwungen durch die Tränen, aber auch glücklich durch den Anlass wirkte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Es schnürte Sayaka immer wieder aufs neue die Kehle zu, wann immer sie auf dieses Foto stierte; auf das junge Mädchen mit diesem süßen Makel einer kleinen Zahnlücke, die über die Jahre durch die Anwendung einer Zahnspange ausgeblasst wurde und in deren dünnen Armen der kleine schlafende Körper eines frischgeborenen Säuglings lag, der in einer weißen Wolldecke umwickelt, sein Schläfchen hielt.[/JUSTIFY][JUSTIFY] [/JUSTIFY]

[RIGHT]Zur gleichen Zeit:[/RIGHT]

[RIGHT]In einer schmalen Seitengasse[/RIGHT]

[JUSTIFY] [/JUSTIFY][JUSTIFY]Der vom Grau verhangene Himmel legte sich düster über eine kleine, von Hochhäusern umzäunte Seitengasse. Seit der frühen Morgenstunden, als er in die schmale Nebenstraße eingebogen war, quälte und plagte ihn das schlimme Empfinden des in den Eingeweiden heranwachsenden Geschwürs. Er hielt sich krampfhaft die Hand vor die Brust, fauchte, keuchte, stöhnte und schlenkerte dabei tiefer in den gemeinsamen Schlund der zwei endlos langgezogenen Bauten. Die Kraft zu Gehen verlor sich mit jedem Schritt. Und als er nicht mehr konnte, ersuchte er sich einen sicheren Halt, in dem er mit der flachen Hand gegen eine der ihn umgebenden Wände lehnte. Doch mit dem Wasserguss, dass eine zweite Oberfläche auf der ohnehin schon glatten Fassade der Mauer bildete, war dem Armen ein fester Stand verwehrt. Er rutschte ab, stieß mit der Schläfe voran gegen die Betonwand und schlitterte zu Boden.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Verflucht …! Scheiße, es tut so weh!“, zischte er.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er versuchte wieder hochzukommen, scheiterte aber mit mitleiderregender Kläglichkeit. Nur ein, zwei Lidschläge waren getan – kaum die Zeit, um sich Gedanken über die momentane Situation zu machen –, da taten es auch schon die Arme den Beinen gleich. Sie knickten wie dünne Metallstreben ein, die unter dem konstanten Druck einer viel zu hohen Belastung litten. Das einzige, was ihm noch an Kraft geblieben war, war die in den Lungen, die einen gellend lauten Schrei ermöglichten. Wie schleimiges Gewürm, das sich durch den matschigen Untergrund wühlte, wand und krümmte er sich. Seine Haut wurde leichenblass, sein Atem war zu einem Röcheln verkommen und der Regen prasselte zu allem Überfluss weiter und unnachgiebig auf ihn herab. Unter Krämpfen zitterte sein Leib und das Gefühl, das er in jenem Moment empfand, war nur mit den letzten Momenten eines Todgeweihten zu vergleichen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Komm endlich raus …!“, krächzte er mit verschnürter Kehle.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Dann schrie er erneut auf. Noch lauter als zuvor, wenn es denn überhaupt noch ginge. Ein so von schrecklicher Agonie geplagter Schrei, dass er bis zur Straße hindurch preschte und sogar bis über Dächer der Häuser hinweg hallte. Ob Anwohner oder vorbeikommende Passanten – wer bei diesem heftigen Gekreische nicht hinhörte, nicht zumindest einen Blick zu erhaschen versuchte, welche ach so gottverlassene Seele sich da so qualvoll plagte, der war entweder von dem Schrecken vereinnahmt, welche unmenschliche Kreatur da in der finsteren Gasse lauern könnte oder hatte mit ganz eigenen Sorgen zu kämpfen, als das er sich um das Leid eines anderen Gedanken machen konnte; denn zu überhören war dieser beklagenswerte und schrille Laut nicht. Doch diese verwunschene Haltung fehlender sozialer und aufopferungsbereiter Gesinnungen hätte er gerade jetzt am wenigstens vermisst. Es war gut, das niemand sah, was hier vor sich ging. Weswegen sonst, hätte er sich auch eine enge und dunkle Gasse ausgesucht, wenn nicht, um einer möglichen Hilfe die größten Schwierigkeiten zu bereiten; allen voran der menschlichen Vorstellungskraft, die aus seinem gellenden Schmerzensschrei, den eines blutrünstigen und im tiefsten Schatten verbogenen Ungetümes machte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Sein Körper pulsierte. Die eine Hand langte noch immer zur Brust, die andere war unterdessen zu einer Faust verkrampft, mit der er kontinuierlich auf den asphaltierten Boden einschlug. Sein Gekreische verebbte ganz abrupt inmitten seiner Windungen. Wie von Stromstößen aus dem Schlaf gerissen, wälzte er sich im Wasser. In solch unbeschreiblichem Schmerz gebettet, lag er auf dem Rücken. Alle Bewegungen erstarben, einzig und allein das Zittern blieb seinem geschundenen Leib.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Es kommt![/JUSTIFY][JUSTIFY]Die Augen waren verdreht, beinahe ganz hinter dem Horizont der weit aufgerissenen Lider verschwunden. Seine Fingernägel kratzten über den asphaltierten Boden. Aus seinen Mund, der so weit geöffnet war, dass er den Rachen entblößte, schnellten urplötzlich schwarze Blitze einen halben Meter in die Höhe. Um sie herum lag eine dünne vielfarbige Korona, wie von einem Regenbogen ummantelt, doch in viel düsteren und Unbehagen verbreitenden Tönen. Erst schien es, als würden sie im Nichts verschwinden, aber nur einen Moment später – detailverliebt gesprochen: nach dem achten oder neunten Funken – formten sie ein kleines, dunkles und unförmiges Gebilde, das nur mit einer wabelnden anorganischen Masse hätte verglichen werden können. Und aus dieser Masse fertigte sich, je mehr Blitze in dieses Gebilde hineinschossen, eine Art dunkle Perle, an deren oberen Ende eine kurze und unteren Ende eine lange, silbrige Nadel hervorlugten. Noch ein paar Blitze zuckten empor, dann endete es so plötzlich, wie es begonnen hatte. Sie wurden nicht schwächer, blasser oder seltener; es war einfach ein letzter Funkenstoß, der all das beendete, was gerade passiert war.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Nun lag er da, in einer großen Wasserlache badend und von Pein übersättigt. Die Kehle rau und Trocken geschrien, das Herz rasend flatternd wie ein Vogel, der durch seine Brust zu brechen versuchte. Dann ließ die unsichtbare Hand, die das geschaffene Ding noch einige Sekunden in der Luft hielt, es, unweit von seinem Gesicht, auf den Boden aufschlagen. Dann … Stille. Ob nun das stetige Prasseln der am Boden zerschellenden Wassertropfen, die lärmenden Motorengeräusche eines vorbeirasenden Autos, selbst das ein oder andere menschliche Wesen, dass sich mit einer dicken Jacke und einem Regenschirm gewappnet, alleine oder zu zweit hinaus in das miese Wetter traute. Er nahm nichts mehr wahr. Und er hätte diese Gelegenheit auch wahrscheinlich dazu genutzt, einfach die Augen zu schließen und sich nach diesen quälenden Minuten, von denen ihm jede Sekunde wie eine halbe Ewigkeit im Gedächtnis geblieben war, ordentlich auszuruhen. Doch das Pflichtbewusstsein, oh diese verdammte Pflicht an der Menschheit – und noch eher an sich selber – zwang ihn wach zu bleiben. Nicht, das der Schlaf für ihn noch irgendeine Bedeutung hätte, wie zu vorangegangenen Tagen. Es wäre lediglich ein schönes Gefühl gewesen, alles in der Umgebung befindliche, von seinen fünf Sinnen auszugrenzen. Doch, erneut, die Pflicht rief seinen Namen und er folgte, gleich der Hund dem Ruf seines Herrchens, seines Besitzers, seines von ihm anerkannten Herrn und Gebieters.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er kämpfte tapfer gegen die steifen Glieder an,[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ja, ja … so geht es“,[/JUSTIFY][JUSTIFY]und richtete sich so langsam und mitleiderregend, wie ein gebrechlicher und in die Jahre gekommener Mann, auf die Beine. Es dauerte seine Zeit, doch er schaffte es. Für zwei Sekunden zumindest. Die zittrigen Glieder beraubten ihn des sicheren Standes und er fiel rücklings gegen die Häuserwand und schlitterte von dieser zu Boden.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Aua.“ Er schniefte ganz erbärmlich. Seine Hand glitt über seinen Hinterkopf und fuhr durch die kohlschwarzen und vom Regenwasser durchfeuchteten Haare. Von den unteren Augenlidern rannen dünne Bäche seine Wangen hinunter. Welchen Ursprung sie hatten – also ob sie nun dem Regen zuzuschreiben oder seinen eigenen Tränengüssen herstammten – konnte wohl getrost der Fantasie der unsichtbaren Beobachter überlassen werden. Entscheidender war dahingegen die Frage: Welcher Tropfen war zuerst vergossen?[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er zog die Hand wieder zurück und lenkte die Aufmerksamkeit der kleinen Perle, jenem verwunschene Ding, dem er gerade das Leben geschenkt hatte, zu und betrachtete es mit einem Ausdruck unendlicher Abscheu.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Scheiß Hexenei!“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er lehnte sich ein Stück weit nach vorne und streckte seinen Arm dem Ei entgegen. Beim ergreifen brach ihm ein dicker Faden aus Rotz und Wasser ab, der aus seinem rechten Nasenloch pendelte. Der Schleim verendete auf seiner olivgrünen Hose, genau auf Höhe seines Schrittes. Er fluchte, als er das bemerkte, hob das Hexenei auf und beäugte es mit einem noch viel finstereren Blick, als wäre es dafür zur Verantwortung zu ziehen. Zugegebenermaßen, die Hose war vom Unwetter durchtränkt und dadurch in einen viel dunkleren Grünton gehalten, der den Fleck nicht erkennen ließ. Doch er wusste, sobald sie wieder trocknete und ihre alte Farbe zurückerhielt, so würde ein dicker, weißlicher Fleck klar und zwischen seinen Beinen zu erkennen sein. Und das frustrierte ihn.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Scheiß Hexenei!“, wiederholte er mit zischelnder Zunge. Er hob es auf Augenhöhe hoch, um es zu betrachten. Sofort veränderte sich etwas in seinen Augen. Seine Abneigung gegenüber diesem Ding schien so plötzlich verschwunden, wie ein Herbstblatt, das von einer Windhose davongetragen wurde. Aber sein Hass war nicht verschwunden. Er war nur … nicht mehr so gebündelt. Was hatte ihn jetzt milder werden lassen? Die Lösung fand sich auf der matten Oberfläche des Eis, auf der eine Gravur aus sich überlagernden Kreisen gemalt war, die wie eine Kette ineinandergriffen. Ein Brandmal, wie er es nannte. Eine Kennzeichnung, die für eine Hexe so wichtig, wie für den Menschen die eigene Identität war. Und eben jenes Stück Identität, das auf dieser Perle abgedruckt war, war ihm die bekannteste und geläufigste.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Scheiß Hexenei“, sagte er abermals, doch dieses Mal bemühte er sich um ein wenig Schwermut in seiner Stimme. Auch, wenn er sich letzten Endes damit selbst belog, denn wirkliche Trauer fühlte er ebenso wenig, wie die Freude an dem qualvollen Geburtsritus jener Hexen. „Was glaube ich dir, dass du jetzt gerne schlüpfen würdest. Armes Ding. Ich habe ihn gefühlt, deinen Schmerz, die Verzweiflung, der geballte Hass auf das Leben und die Menschen. Aber auch die Trauer, mit der du letzten Endes einen Fluch auf diese Welt losgelassen hast. Armes Ding. Ich kann nicht sagen, wie ich dich hasse und doch bemitleide. Und gäbe es einen anderen Weg, würde ich ihn nehmen. Aber leider …“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er konnte nicht an sich halten bitterlich zu lächeln. Er lächelte so oft, zu so unvorstellbaren Situationen und mit so vielen unterschwelligen Bedeutungen. Es konnte Fröhlichkeit oder Angst bedeuten, von Einfältigkeit oder unterschätztem Wissen zeugen. Es war, man konnte es wirklich kaum anders formulieren, eine Art zweite Muttersprache für ihn geworden. Er hatte sich darauf zu verstehen gelernt, die von Zynismus geprägte Mimik, der gemeinen Zunge vorzuziehen, getreu nach dem Motto: Des einen zwei Augen, ersparen dem anderen tausend Worte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er seufzte. Die blanken Wassertropfen perlten von seinem blassen Gesicht. „Nimm es mir nicht übel, ja? Aber wir sollten das hier rasch hinter uns bringen.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Wie der weiche Schlangenkörper, der, trotz das er nur von einem langen Wirbel gehalten wurde, dennoch dazu befähigt war, eine enorme Kraft aufzubringen um seine Beute zu würgen – ja ihr gar die Knochen zu brechen – so legten sich auch seine Finger um das mattschwarze Ei und ließen es in seiner Handfläche verschwinden. Es war nicht viel an Kraftaufwand nötig und doch war es, als hätte er bereits die halbe Arbeit seines geplanten Tuns schon verrichtet. Dies mochte nicht verwundern, denn im Anfangsstadium besaßen Hexeneier in etwa die Stabilität einer Christbaumkugel, die ja von ihrer Beschaffenheit so dünn gehalten ist, um möglichst wenig Gewicht auf das Tannengeäst zu wirken. Es war ihm also selbst in seinem momentanen Zustand möglich, dieses kleine Ding einfach zu einem Scherbenhaufen zerdrücken. Und gerade als er gewillt war, genau dies zu tun, warf sich eine düstere und vom fahlen Lichte langgezogene Silhouette über ihn, die ihm raschen Einhalt gebot. Der Schatten rückte mit leisen doch flinken Schritten näher und vermengte sich mit der angrenzenden Dunkelheit der Gasse. Er, der er in seinem Bewegungen erstarb, sah erschrocken auf und zum Ursprung dieses düsteren, auf den Boden gezeichneten Gebildes.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du weißt, es ist nicht gut, wenn du die Hexeneier ständig zerstörst.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Für einen kurzen Augenblick schien es ihm, als würde sein Herz von einer unsichtbaren Hand gewaltsam zerdrückt. Wenn seine Hautfarbe schon vorher kränklich bleich erschien, und das tat sie ohne Frage, so hatte sich um seine Nase nun eine Totenblässe gebildet. Erst, als er die wohlbekannte Stimme vernahm, die zweifelsohne dem auf ihn zuschreitenden Schatten gehörte, beruhigte er sich und stieß mit einer ungleichen Mischung aus Ärger und Erleichterung, ein kehliges und langes Stöhnen heraus.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Kyubey“, sagte er. „Du Penner hast mich gerade zu Tode erschrocken. Dachte schon, mich käme jetzt der verdammte, leibhaftige Tod holen.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Kyubey. Es war jenes schneeweiße Katzenwesen, dass von Homura gemeinhin auch als Inkubator bezeichnet wurde. Seinen tapsigen Schritten folgte ein kaum wahrnehmbarer Laut.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Deine Magie ist nicht mehr so frisch, wie zu früheren Tagen“, sprach das geschlechtslose Vieh mit analytischer Nüchternheit und in seiner hohen, fiepsigen Stimmlage. „Dieses Ei zu zerstören, nachdem es zwei Wochen in dir gebrütet hat, wäre äußerst unklug, wo sich doch schon bereits das nächste nach dir verzerrt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du weißt ja verdammt gut über meine Brutzeiten Bescheid, sag mal“, erwiderte der Angeschlagene steif lachend. Mit diesem Lachen kaschierte er das, was der Volksmund allgemein als Furchtsamkeit, er aber als übertünchten Fahrlässigkeit bezeichnen würde. Das Wesen namens Kyubey, jene von Homura in tiefem Sud aus Verachtung badende außerirdische Lebensform, verstand sich nämlich erstaunlich gut darin, fehlende körperliche Kraft gegen eine beinahe fehlerlose Gelehrsamkeit aufzuwiegen. Das bedeutete, dass Kyubey all das wusste, was die gesamte Menschheit bereits wusste – und mehr. Der junge Mann war daher nicht vorsichtig, aber wachsam. Denn nahezu unbegrenztes Wissen, in Kombination mit einer eloquenten Zunge – und Kyubey verfügte wahrlich über beides – schnitten schärfer, als das schärfste Schwert und trafen härter, als der Faustschlag den Solarplexus. Aber er war auch entspannt. Kyubey legte nicht viel, eigentlich sogar überhaupt nichts, auf Konfrontationen, seien sie physisch oder mental. Er war ein kleiner, perfider, berechnender Pläneschmieder, der sich nur so kooperativ zeigte, wie es ihm die absolute Neutralität erlaubte. Er war aber auch ehrlich und fair, zumindest hatte es der junge Mann schon immer so empfunden. Andere, so dachte er, so wusste er, gab es, die würden sich eher zum Gegenteiligen aussprechen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Eine kurze Weile schuf sich ein Raum aus Stillschweigen zwischen den beiden. Der junge Mann griff in die Innenseite seiner Jackentasche und zückte eine rötliche handgroße Schachtel hervor. Diese schüttelte er zwei, dreimal, bis ein weißer, mit Tabak gefütterter Stängel aus der, am oberen Eck befindlichen Öffnung, emporstieg. Mit dem Daumen hielt er ihn fest, damit er nicht zurück ins pappige Innere rutschte und zog ihn mit dem Lippenpaar heraus. Aus einer anderen Tasche holte er ein kleines, von Kanten und Rundungen gleichermaßen geprägtes Stück Plastik hervor, das sich bei genauerem Hinsehen als ein Feuerzeug herausstellte. Er drehte an dem metallischen Rädchen und aus der kreisrunden Öffnung stieg eine kleine Flamme empor, mit welcher er die Zigarette anzündete. Ein dünner Rauchfaden zog vom angezündeten Ende aus gen Himmel. Er inhalierte, blies den beißenden und den Hals kratzenden Rauch aus den Nasenlöchern und machte ein Gesicht, wie man es von Menschen her kannte, die sich nach einem arbeitsreichen Tag, endlich ins heimische Wohl zurückgekehrt waren.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Kyubey betrachtete ihn derweil stillschweigend und mit der für ihn typischen, ausdruckslosen Miene. Seine roten Augen funkelten wie vom Licht bestrahlte Rubine, während er selbst dasaß und in einem unheilvollen Zwielicht eingetaucht war. Sein Rücken von dem wenigen Licht bestrahlt, das der Himmel hergab und seine Frontseite von Schatten überzogen. So, wie er jetzt dasaß, mit dem dämonischen Augenpaar, dem süßen Katzenmund, dem weißen Fell, das sich mit Licht und Dunkelheit vermischte. Wahrlich, für ihn konnte kein anderes Wort dienlicher und bezeichnender sein, als das vorhin erwähnte: Zwielicht.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Sag mal“, begann der junge Mann, nachdem er ein weiteres Mal an dem Glimmstängel zog, „es ist ja erwiesen, dass das Rauchen am schädlichsten für die Kinder ist, die sich noch im Mutterleib befinden. Glaubst du, dasselbe gilt auch für Hexen, die sich noch in ihrer Eierschale verbergen und in mir heranbrüten?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Kyubey verneinte diese Frage mit einer schüttelnden Kopfbewegung, ohne überhaupt den Anschein zu machen, er hätte darüber zumindest kurz sinnieren müssen. „Das ist eher unwahrscheinlich. Sie sind, gerade durch diese Eierschale – wie du sie nennst – vollkommen gegen jedweden äußeren Einfluss immunisiert. Das einzige, was sie in diesem Stadium zerstören kann, sind gewaltsame Einwirkungen von Außen. Und selbst die sind kein Garant für Erfolg. Nicht selten erwacht eine Hexe gerade deshalb aus ihrer Metamorphose, weil ihr Leben in diesem Augenblick bedroht wird. Man kann es einen unterbewussten Schutzreflex nennen, wie sie Babys ihn haben, wenn sie im Wasser versinken und automatisch mit Armen und Beinen zu paddeln beginnen, um wieder aufzutauchen.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Der junge Mann musste über diese Geschichte so laut auflachen, dass er einem rauen Hustenanfall unterlag, denn ihm war klar, worauf das kleine Katzenvieh mit damit hinzielte. „Du willst wirklich nicht, dass ich das Ding kaputt mache, mhm?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ich kann dich nicht dazu zwingen, es einfach heil zu lassen“, sprach das Kyubey in einer Art, wie sie von Erpressern gebraucht wurde, die damit drohten, unbequeme Wahrheiten an die Öffentlichkeit zu bringen, sollte man sich ihren Forderungen nicht beugen. „Ich kann dir nur sagen, wie es ist und das ich es dir nicht empfehlen –“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Das Geräusch von zersprungenem Glas erklang in der Faust, noch während er sprach. „Hoppla“, sagte der junge Mann mit einem vortrefflich gespielten Schock und bewegte dabei noch die Finger absichtlich so, das sich die Splitter aneinander rieben und ein unangenehmes Knirschen entstand. Dann zog er eine hämische Miene und öffnete die Hand. „Da hab ich wohl was kaputt gemacht.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Die rot leuchtenden Augen des Inkubators folgten dem Verlauf des zu Boden rieselnden Scherbenhaufens. Seine belebte Zunge war zu einer kleinen vertrockneten Wurzel verkommen; steif, von tiefen Furchen gemartert und in ihren zahlreichen Bewegungen gehemmt. Es war, dem andachtslosen Gesicht zum Trotze, als würde er in diesem Moment so etwas wie tiefe Empörung auszustrahlen versuchen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Entschuldige, falls ich dich unterbrochen habe. Bitte, fahr fort“, sprach er mit einem, zu einer Schnute verzogenen Mund und zog erneut an der Zigarette. Der Glanz reiner Schadenfreude legte sich, einer Maske aus Ton gleich, über sein Gesicht. Er konnte sich des feisten, die Zähne entblößenden Grinsens nicht erwehren und nahm gierig zwei weitere Züge zu sich. Ein dicker Aschehaufen brach sich von dem Stängel los und fiel auf das dünne, schwarze Hemd, das unter seiner dicken roten Jacke hervorstach.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Das Wesen Kyubey tat eine wankelmütige Kopfbewegung zur Seite, als wäre es ihm nun unmöglich, seinen Gegenüber in die Augen zu blicken. „Ich verstehe nicht, warum du dich so verhältst. All das Leid und der Schmerz, der zusätzliche Verlust deiner Magie, die für dich Überlebensnotwendig ist; und dann zerstörst du das einzige, was dir eben jene lebenswichtige Energie zurückgeben kann. Dein Verhalten ist völlig –“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Irrational?“, fuhr er dem Inkubator über den Mund. Wieder zierte ein breites und unsympathisches Grinsen sein bleiches Antlitz. „War es das, was du sagen wolltest? Wenn ja, dann danke ich dir. Irrationalität ist nämlich das einzige, was mich noch einigermaßen menschlich erscheinen lässt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Kyubey wandte ihm wieder das Gesicht zu. „Doch bist du schon lange kein Mensch mehr. Und es ist gefährlich sich diesen Fakt nicht vor Augen zu halten. Diese Lektion müsstest du doch eigentlich mittlerweile gelernt haben“,[/JUSTIFY][JUSTIFY]er senkte daraufhin die Lider,[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Oder etwa nicht, Hexer Vispas?“,[/JUSTIFY][JUSTIFY]und öffnete sie mit verheißungsschwangerer Trägheit wieder.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Wieder presste der junge Mann den tabakhaltigen Stängel zwischen sein Lippenpaar und zog mit einer missgestimmten Art daran, ähnlich einem Manne, der dem Fruste nahe oder ihm schon gar verfallen war. Hexer Vispas. Er inhalierte einen weiteren schweren Zug. Hexer. Vispas. Ein Laut, als würde er von einem plötzlichen Ekel gepackt würgen müssen, entsprang seinem Munde. Er besah den fast vollständig verglimmten Stängel, als würde er ihm daran die Schuld geben und drückte ihn frustriert an der Wand hinter sich aus. Doch es war nicht die Zigarette. Es war der Name. Er hasste ihn, denn es war nicht sein eigener und doch wurde er vom Inkubator immer so gerufen. Vispas. Welch schreckliche Art, die eigene Identität zu verschmähen, gleich einer Buchreihe, der man eine römische Ziffer hinter dem Haupttitel dranhing, während der eigentliche Name des Werkes nur noch als Untertitel fungierte.[/JUSTIFY][JUSTIFY] [/JUSTIFY]
 

[[USERFILE=673459]]

Vispas

Shiro Ikuto

[JUSTIFY] [/JUSTIFY][JUSTIFY]Ja, jener junge Mann war in der Tat Shiro. Derselbe Shiro, der sich dazu bereit erklärt hatte, mit dem Magical Girl Homura Akemi zu kooperieren. Und er war gleichwohl ein Hexer. Ein Feind der Menschen, wie die Hexen mit den Magical Girls. Und die Magical Girls, die als Beschützer der Menschen gelten, während die Hexer im schattenreichen Hintergrund ihr Werk verrichteten. Shiro war das Paradoxon, das Homura Akemi in Kazamino fand … aber nicht das, was sie suchte.[/JUSTIFY][JUSTIFY] [/JUSTIFY][JUSTIFY] [/JUSTIFY]
 

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Das paradoxe Paar:

Noch drei Tage bis zur Einschulung verbleibend

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[JUSTIFY]Das Wohnzimmer von Homura Akemi war ein Traum für Innenarchitekten. Es war beinahe unmöglich den begrenzten Verstand mit Worten zu füttern, damit dieser sich ein klares und scharfes Bild davon machen konnte, was die Augen sonst taten. Man musste es einfach gesehen haben. Andernfalls müsste man sich mit der Anmerkung begnügen, das Mitakihara, die hochtechnisierte Stadt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ihrer Zeit um gute einhundert bis einhundertfünfzig Jahre voraus war.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Nun, was also sah man in diesem Wohnzimmer? Zuallererst einmal war es ein einziger, grellweißer Raum. Man konnte nicht den erkennen, wo der Boden aufhörte und wo die Wände begannen. Die einzigen Anzeichnen, die dem irritierten Auge ihre Hilfe anboten, waren die eckigen Umrisse eines Durchgangs, der in die nächstgelegenen Räumlichkeiten führte und die unterschiedlich großen und breiten Bilder an der Frontwand, die sich – den Eindruck vermittelnd, sie würden schweben – unstetig in einem kleinen doch unklaren Muster bewegten. Über die eingerahmten Bilder hinweg, pendelte der Schatten eines ankerförmigen Gebildes, ähnlich wie das Schwingpendel im Inneren einer Standuhr. In der Mitte des Raumes stand ein einzelner violetter, kreisrunder Tisch, der von quadratischen Hockern mit himmelblauer Polsterung umringt war. Doch damit bei weitem nicht genug, füllte dasselbe Mobiliar in anderen Farben beinahe den kompletten Raum aus. Manche grenzten aneinander, wie das Gelbe an dem Himmelblauen, was den Eindruck eines Musters prägte, wenn man von oben darauf herabschaute. Andere standen weit im Abseits und mehr willkürlich.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro hatte sich längs auf der gelben Polsterreihung ausgebreitet, die Hände hinter dem Kopf zusammengefaltet und die Augen zur strahlend weißen Decke gerichtet. Es war ein seltsames Gefühl, so als würde er in die Sonne blicken, aber ohne die Folgen einer Blendung.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Homura saß hingegen mit andachtungsvoll gesenktem Haupt, ihm gegenüber; sprich, auf der anderen Seite des Tisches. „Gibt es noch irgendetwas, dass ich über euch Hexer wissen müsste?“, fragte Homura in ihrer gewohnten Art, mit der Shiro schnell umzugehen gelernt hatte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Nicht mehr als das, was ich dir bereits gesagt habe“, erwiderte er. „Hexer sind keine Kämpfer und ich schon dreimal nicht. Aber wir sind fähige Magier, sogar um Längen besser, als ihr Magical Girls. Unsere Kräfte wenden wir aber nur zu unserer eigenen Selbstverteidigung an.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Aber ihr müsst doch irgendeine Funktion haben. Es ist nicht möglich, das der Inkubator euch einfach Kräfte gibt, die ihr zu eurem persönlichen Belieben einsetzen könnt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wir erfüllen durchaus eine Funktion, natürlich“, stimmte er zu. „Wir sind eine zusätzliche Energiegewinnung. Alle Jubeljahre, wenn wir genug Magie getankt haben, wird sie uns abgenommen und zu Energie verarbeitet. Das ist natürlich nichts im Vergleich zu dem, was ihr leistet, aber mit einer ausreichenden Menge an Hexern, kommt auch schon eine ordentliche Energiegewinnung zustande. Wir sind also quasi die Notration für ein trübes Erntejahr.“ Er sprach es in einer Art amüsierten Tonfall heraus, als würde er es entweder als absurd oder erheiternd empfinden. „Solange wir beide uns also bedeckt halten, haben wir auch nichts vor anderen Hexern zu befürchten. Gleichwohl, dass sie es nicht gerne sehen, wenn sich einer Ihresgleichen mit einem Magical Girl abgibt.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Aha“, machte Homura in einem Tone, der eine misstrauische Haltung gegenüber dem Gesagten vermuten ließ.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro, der auf solche Äußerungen nicht mit tauben Ohren reagierte, erhob sich in einer schwungvollen Bewegung in eine aufrechte Sitzposition und blickte mit seinen dunklen braunen Augen in die blauvioletten Homuras. „Hey, vertrau mir, dass ist wirklich alles“, schwor er mit der Miene eines Halsabschneiders, der für eine gute Provision ein Fläschchen Hustensaft als ein Wundermittel verkaufte. „Mehr gibt es wirklich nicht über uns zu wissen. Ich würde dich doch nicht anlügen.“[/JUSTIFY]

Kapitel 5: Der Kuss der Hexe


 

Contiguity Magica

Kapitel 05: Der Kuss der Hexe

[JUSTIFY] [/JUSTIFY][JUSTIFY]Endlich, oh endlich,schickte sich das elende Wolkendach dazu an, Gnade über jene walten zu lassen, die sich nicht vor dem schweren Niederschlag zu retten wussten. Um jeden Minutenstreich klärte sich das Unwetter weiter auf, bis zum ersten Mal an diesem Tage, die lichten Strahlen der Sonne wie durch einen ergrauten Vorhang brachen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Oh“, sagte Shiro, den Blick nach oben gerichtet. „Der Tag ist wirklich ein ereignisreicher. Erst schüttet es wie aus Eimern und dann öffnet sich der Himmel, als hätte es dieses Unwetter niemals gegeben. Guck mal, es lösen sich schon kleine Wolkenfetzen ab. Wahrscheinlich kriegen wir heute doch noch einen blauen Himmel zu sehen.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Wenn Kyubey darauf etwas erwiderte, so war es leise und deutlich für empfindlichere Ohren, als die Shiros bestimmt. Er war Shiro mit einem, aus verständlichem Misstrauen entwachsenem Abstand gefolgt, war es doch immerhin dieser junge Mann, der ihm sein Leben schnell und doch gewaltsam genommen hatte. Man merke: eines seiner Leben. Denn es war das bemerkenswerte an dem Inkubator, dass er nur einer unter hunderttausenden war, die sich über dem ganzen Globus verteilt hatten. Gleichsam anzumerken war auch, dass jede Kopie simultan und unabhängig von den anderen agierte, interessanterweise alle aber denselben Geist teilten. Es war eines dieser Phänomene unseres Kosmos, das vielleicht einfach in Worte zu kleiden, aber nur schwerlich mit etwas Griffigem, etwas Verständlichem zu beschreiben war. Anders könnte man sagen, dass der begrenzte Verstand des Menschen sich nicht an etwas derartigem wie Kyubey heranwagen konnte, ohne sich dabei von der Begrifflichkeit völlig verlassen, gar hintergangen zu fühlen. Es war wie die Unendlichkeit des Universum oder der Anfang des Schöpfers aller Anfänge; man konnte es sich schlichtweg nicht vorstellen. Shiro hatte seinerseits schon lange das Interesse an den kleinen Tricks des Aliens verloren.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Wozu auch Zeit und Mühen für eine Sache opfern, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt war?[/JUSTIFY][JUSTIFY]Sie waren in eine Allee eingebogen, die nun schon seit fünf Minuten kein wahrnehmbares Ende zeigte. Keine Kreuzung, keine Biegung, nicht einmal eine jäh zu erkennende Sackgasse, die ihn dazu verleitet hätte umzukehren. Und möglicherweise hätte ihn dies sogar, zusätzlich zu dem Ereignis in der Gasse, in ein tiefes Loch aus Frustration geworfen, in welchem er sich über diesen Tag und die vielen Plagen, die er mit sich brachte, lauthals auslassen würde, wenn er denn nicht diesen Weg in voller Absicht eingeschlagen hätte. Shiro hatte ein klares Ziel, irrte also nicht planlos umher. Die Zeit, die er, bevor Homura ihn mit seiner Vollzeitaufgabe betraute, hatte er dazu genutzt, die Stadt zu erkunden. Dadurch waren ihn Abkürzungen, öffentliche Plätze, jene dunkle Gasse von eben und noch vieles mehr, ihm kein Fremdes. Doch ins Herz geschlossen hatte er wirklich diese Straße mit ihrer lächerlichen Länge, denn er war ein Liebhaber der Farbe Grün. Und das ist, was die Allee am besten beschrieb:[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ein Traum in Grün“, sagte er, wie von Euphorie benebelt. „Findest du nicht auch, Kyubey? Diese Straße könnte doch mit dem Garten Edens selbst konkurrieren.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Kyubey stimmte einvernehmlich zu.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Der Himmel begann sich zu lichten. Von oben kämpfte sich die Sonne durch das, vom Regen schwer gewordene Blätterdach der Bäume, die wie ein einziger Schirm über dem Fußgängerweg ausgebreitet hingen. Zu zwei Seiten grenzten schlichte Zäune aus Holz, Stein oder einfachem Gestrüpp, die einer einheitlichen Höhe zu unterliegen schienen, die Gärten der Häuser von der Straße und voneinander ab. Rosenbüsche, Blumenbeete, selbst angebautes Gemüse oder Schaukeln und Rutschen für die Kleinen, zierten das satte Grün des Rasen und gab jedem Garten seine eigene individuelle Gestalt. Und neben dieser optischen Finesse war die Luft von einer diesigen Schwüle verhangen, auf welcher der ätherische Duft von frisch gemähtem Gras ritt.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro nahm einen tiefen Zug dieser Luft durch die Nase ein; sein Brustkorb schwoll an, dann atmete er wieder aus. Er war schon immer ein Freund der Blumen, ein Beschützer der Gärten gewesen. Grün war nicht einfach nur seine Lieblingsfarbe, nein sie war einst sein ganzer Lebensinhalt. Wie oft hatte er doch als Kind davon geträumt ein Gärtner zu werden? Dafür engagiert zu werden, die verwahrlosten Grünflächen wieder zu ihrer einstigen Schönheit zu verhelfen. Die Welt zu einem wunderschönen, grünen Ort zu machen. Zusammen mit …[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er blieb stehen. Ein schwerer Schatten legte sich über sein ach so wonniges Gemüt.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Was ist los?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Gar nichts“, erklärte Shiro nach einer langen Pause, dann ging er weiter.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Unterdes, während sich die Allee so dahinzog, griff er reizlos in seine Jackentasche, zückte seine Zigarettenschachtel und schob sich einen jener Luft verpestenden Stängel zwischen die Zähne, als ob seine Liebe zur Natur niemals vorhanden gewesen wäre. „Hör mal“, sprach er dumpf durch die halb versiegelten Lippen, während er seine Taschen nach dem Feuerzeug abtastete, „wenn du mir schon folgst, dann lauf doch bitte neben mir. Ich bekomme ne leichte Gänsehaut, wenn ich deine stechenden Augen in meinem Rücken weiß. Außerdem will ich dich im Auge haben. Nicht, dass ich noch mit dir ein Gespräch führe, du dich klammheimlich aus dem Staub machst und ich hier auf einmal mit der Luft rede.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Seit unserem letzten Aufeinandertreffen …“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Du und Homura seid aufeinandergetroffen“, unterbrach er ihn scharf. Er fand den kleinen Feuermacher; und ja, er hatte wirklich vergessen, wo er es eingesteckt hatte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Sei es, wie du denkst“, sagte Kyubey unbekümmert – er klang immer unbekümmert, „aber das du mich getötet hast, lässt mich nun wachsamer dir gegenüber sein.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Nach vielen Versuchen, die er an dem Rädchen seines Feuerzeuges drehte, trat eine kleine Flamme aus dem Loch hervor, die mit dem anderen Ende der Zigarette züngelte. „Nicht, dass du denkst, dass ich das wollte, mein Freund. Aber ich habe dir wohl eine sehr deutliche Warnung zukommen lassen, die du einfach ignoriert hast“ erwiderte er seinerseits und ließ das Stückchen Plastik wieder in in dieselbe Tasche zurückgleiten. „Ich habe dir gesagt: ,Halte dich von Madoka Kaname und Sayaka Miki fern, oder ich spalte dir deinen süßen, junge Mädchen verzaubernden Schädel.ʻ Die Warnung hast du nicht ernst genommen, also habe ich meinen Worten Taten folgen lassen. Mehr war das nicht. Du siehst, es ist kein Akt aus Hass gewesen, demnach besteht auch kein Grund mir zu misstrauen. Also komm jetzt neben mich, sei so gut.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Eine kurze Weile, die für eine Antwort jedoch einer langen Zeitspanne entsprach, blieb es eigenartig still hinter seinen Rücken. Er verengte die Augen stutzig und wandte sich auf einem Absatz um.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Sag, hat es dir die – Huch!“, schrie er verwundert auf. Sein Blick tastete verunsichert den Boden in alle Richtungen ab; Kyubey war nicht mehr zu sehen. Weg. Einfach weg. Als wäre er nie da gewesen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er blies den Qualm durch die halboffene Mundöffnung heraus und strich sich wie jemand, der der Ohnmacht durch Erschöpfung nahe stand, mit der flachen Hand übers Gesicht. „Der kommt und geht, wann er will“, empörte er sich. Dann drehte er sich wieder um, warf einen letzten, prüfenden Blick über seine Schulter, als würde er die Präsenz eines Anderswesens – Kyubey, eine Hexe oder möglicherweise ein Hexer? – spüren. Aber was dem Geist nicht klar ersichtlich, ist für ihn nur null und nichtig.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]So tat er das seltsame Verschwinden des Inkubators seufzend und kopfschüttelnd ab und ging, ohne sich noch ein weiteres Mal nach hinten umzuschauen, weiter.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Nachdem er einige Weggabelungen, weitere Alleen und eine kleine Einkaufsmeile hinter sich gebracht hatte, erreichte er endlich sein Ziel; das Anwesen der Shizukis. Es war ein mächtiges, sich über drei Stockwerke erstreckendes Gebäude, das im Hintergrund eines Hofes stand. Zwei Flügel reichten beinahe bis zu der knapp ein Meter achtzig hohen Mauer, die das ganze Grundstück umschloss und nur in Form eines massiven Stahltors und einer sich daneben befindlichen Holztür legalen Einlass bot. Ein großes Fenster, das beinahe die komplette Frontwand des Hautgebäudes ersetzte, ließ, sofern sich nicht die Reflektion der Sonne davorschob, einen schwachen Einblick in das Innere dieses Hauses zu. Den Hof zierte ein Springbrunnen, in dem feine schwungvolle Reliefen eingearbeitet waren. Dieser verschönerte die Kreuzgabelung des Kiesweges, welcher an den drei Eingangstüren des Hauses – dem Haupteingang und den zwei Seiteneingängen, die in den jeweiligen Flügel führten – endete.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Warum es ihn ausgerechnet hierhin verschlug, ihn, dessen letzte an Homura gerichteten Worte, die eine Relevanz inne trugen, waren, dass er nichts über den momentanen Aufenthalt von Sayaka Miki wüsste. War es nun Zufall, dass der ihm unvertraute Wegbeiläufig an dieses Anwesen vorbeiführte? Vielleicht. Wenn ein Kind, dass seinen Eltern Geld gestohlen und unter seiner Matratze versteckt hatte, gefragt würde, ob es besagtes Geld entwendet hätte, und dieses wiederum mit einer klaren, einer gewissen Ernstigkeit in sich bürgenden Verneinung antwortete, war es dann vielleicht ein Dieb, oder war es definitiv eines? Der Mensch als ein weites Meer mit Blick zum Horizont, welcher die lichte, von der schattigen Seite trennte, barg desto mehr in sich, je tiefer das Wasser ging. Und gerne erblicken wir die vielen Eigenschaften eines Menschen als positives Element, verharren auf der Seite, welche wir als warm und schön empfinden, ohne zu ahnen, dass dieses tiefe Meer sich auch mit einem kalten Unheil vermengt.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Der Mensch sagt, der Mensch glaubt; so und nicht weniger auch Shiro. Seine vornehmen Motive zu dieser dreisten Lüge also, die er in diesem gefährlichen Spiel auf Leben und Tod seiner einzigen Partnerin auftischte, galt seinem eigenen Überlebensinstinkt. Kontrolle war dem Menschen das höchstes, dem Hexer sein heiligstes Gut. Indem er log, war ihm die Gewissheit sicher, dass Homura ihn nicht beim Überwachen von Sayaka Miki kontrollieren würde, denn dafür müsste er sie erst einmal finden. So konnte er also in aller Ruhe, unter dem Deckmantel einer lang andauernden Suche, das Hexenei in einer abgelegenen Gasse ausbrüten – es war ihm ja diesbezüglich keine Wahl geblieben –, es zerstören und dann seinen Dienst wieder aufnehmen, indem er später behaupten würde, sie zufällig erspäht zu haben. Und warum diese ganze Scharade so dringend nötig war, wo doch Vertrauen in einer Partnerschaft die wichtigste Voraussetzung war, nun … man müsse einen Einblick in das Leben des Shiro Ikuto erhalten, um seine Handlungsweise nachzuvollziehen. Lassen wir für diesen Moment stehen, dass Homura nicht das erste Magical Girl war, mit dem er paktierte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er schnippte die verrauchte Zigarette in eine willkürlich gewählte Richtung und war schon mit den Gedanken halb auf einem der umliegenden Häuserdächern, welches ihm den idealsten Einblick in das Zimmer von Hitomi Shizuki versprach, bis er plötzlich inne hielt und die mattschwarze Limousine vor dem Eingangstor bemerkte. Er zügelte seine Gang.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Ein alter Mann, der die Kleidung eines Butlers trug, hatte sich auf Höhe des hinteren Fensters hinabgebeugt und schien etwas durch den ergrauten Schnurrbart hinweg zu sagen. Dann erloschen die Bremslichter und der Wagen fuhr mit schnurrendem Motor davon.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro schwante eine furchtbare Ahnung, wer da gerade in diesem Fahrzeug gesessen haben musste und er eilte auf den alten Mann zu.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Entschuldigung“, rief er mit erhobener Hand.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Der alte Mann, welcher sich gerade dazu anschickte, wieder durch das Tor zu schreiten, blieb stehen und wandte sich zu Shiro um.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Verzeihen Sie, mein Herr“, sagte Shiro, der sich in seiner Eile nicht den höflichen Ton verdrängte. Mit einem nervösen Ausdruck, zittriger Stimme und wilder Gestikulation, die einem notorischen Lügner zu Gesichte standen, sprach er weiter: „Entschuldigung. Ich will Sie nicht lange belästigen. Guter Mann, ich bin ein Freund von Sayaka Miki, vielleicht hat sie mich ja mal erwähnt – ach, ist ja auch egal. Hören Sie, ich war eben bei ihr Zuhause, weil ich sie mal wieder besuchen wollte. Ihre Mutter hat mir gesagt, sie wäre rüber zu …“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er verstummte abrupt.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Verflucht, wie hieß die Kleine noch gleich? Shizuki? Oder Shizuka? Shizume? Shizu-irgendwas, verdammt![/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro, dem das Ärgernis seiner eigenen Gedankenlosigkeit zu Kopfe stieg, war für drei ewig lange Sekunden in völlig betroppeztes Gestotter verfallen. Er hatte schneller geredet, als gedacht und sich nun in eine Sackgasse geschwafelt. Er war so perplex, so in seinen Erinnerungen am wühlen, dass er nicht einmal das Namensschild bemerkte, das neben der Eingangstür über der Türklingel, welche eine integrierte Kamera hatte, thronte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Der alte Mann unterdessen, betrachtete Shiro mit einer solchen Seelenruhe, als wäre Zeit, gemessen an sich, seine geringste Sorge. Der in die Jahre gekommene Körper hielt sich so aufrecht, wie ein verbogenes Gestänge, während er seine Hände hinter seinem Rücken verkeilte, als wäre er versucht, sein Kreuz wieder ins Gerade zu richten. Keimte hinter diesen faltigen Augen bereits die Saat des Misstrauens, so war er ausgesprochen geschickt darin, sich diesen nicht anmerken zu lassen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Shizu-chan“, sagte Shiro notgedrungen und lobpreiste sich sogleich für den Einfall. „Ist sie zufällig hier?“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Unter dem ergrauten Bart, der den Raum zwischen Oberlippe und Nasen wärmte, verzog sich der Mund entweder zu einem Lächeln oder – und Shiro fürchtete dies – zu einer finsteren Grimasse, wie es sich böse Menschen gerne auflegten, wenn sie kleine Kinder mit einem Besen oder einer Harke von ihrem Grund und Boden vertrieben.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Miss Miki-san“, sprach der Alte und sofort war Shiro ohne weitere Sorgen, denn der Mann hatte eine herzensgute, warme Stimme, „ist zusammen mit dem jungen Fräulein Hitomi in ein Krankenhaus gefahren, um dort eine Freundin zu besuchen.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Also zu Madoka, schlussfolgerte Shiro. „Ich danke Ihnen.“ Eilig stürmte er an den alten Mann vorbei.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Wollen Sie denn nicht wissen, zu welchem –“[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ich kann es mir schon denken, danke sehr.“[/JUSTIFY]

[RIGHT] [/RIGHT]

[RIGHT]In der Zwischenzeit:[/RIGHT]

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[JUSTIFY]Zurück zu Shiro:[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Der Weg zum Krankenhaus[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]Die Straße, welche zum gewünschten Ziel führte, war ein von Häusern verschachtelter Alptraum für Fußgänger. Alles war von eiligen Leuten, die von ihrem Zeitgefühl betrogen wirkten und nun die verlorenen Minuten aufzuholen versuchten, verengt. Shiro, der nur um wenige Zentimeter größer war als Homura, war in diesem Gemenge ein Pimpf unter Riesen. Er stieß mit seiner Schulter gegen jeden Arm und mit Bauch und Brust gegen jede Tasche und jeden Koffer, welche die charismatischen Begleiter der Erwachsenen waren. Zähneknirschend liebkoste er schon mit dem Gedanken, einfach die Dächer zu benutzen und der treibenden Welle aus hektischen Leibern, die sich keinen Deut um ihn zu scheren schienen, somit aus dem Weg zu gehen. Doch wenn er dies tat, so spielte er sofort mit der Gefahr, dass man ihn entdecken würde. Im Schutze eines Regenschauers oder von der Schwärze der Nacht verschluckt, weit dem Lichte der Laternen fern, wäre diese Überlegung durchaus weniger risikobehaftet. Doch so, unter einem aufklarenden Himmel – nein, es würde ihn ganz sicher jemand sehen. Er konnte es nicht riskieren, gesichtet zu werden. Vor allen Dingen dann nicht, wenn ihn auch noch das falsche Auge erspähen könnte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]So kämpfte er sich also verbissen durch den Menschenstrom hindurch, versuchte alles und jedem auszuweichen und scheiterte Mal um Mal an diesem Vorhaben. Und so geschah es, als er dem ausgestrecktem Ellenbogen eines Mannes zu entgehen versuchte, der unter seinem Arme einen schweren Aktenkoffer trug, das er gegen eine Frau stürzte, die ihrerseits zu Boden fiel. Sofort wandte sich Shiro zu ihr um, reichte ihr die Hand und entschuldigte sich ehrlich.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Schon in Ordnung“, entgegnete die Frau mit einer müden Miene, als hätte sie diese Unannehmlichkeit nicht einmal realisiert. Sie ignorierte seine angebotene Hilfe und erhob sich. Dann schlenderte sie den Weg entlang, ohne noch ein weiteres Wort an ihn zu verlieren.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Junge, Junge, dachte er belustigt, die hat wohl nen ziemlichen Hangover. Da sieht man es mal wieder; wer zum trinken sich anschickt, der am Kater wohl erstickt.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro blickte der Dame noch für zwei unschätzbar lange Sekunden nach. Er wollte sich umdrehen, doch war ihm, als würde er damit etwas ignorieren. Die Art, wie sie wie eine Angeheiterte torkelte, das ausdruckslose Gesicht, die glasigen Augen. Doch was störte ihn daran? Er kannte den Rausch, den man hatte, wenn man unter der Wirkung alkoholischer Genussmittel stand. Aber es fehlte der entscheidende Indikator, der ihn einfach zum Umdrehen und erheiterten Schulterzucken verleitete.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Die Fahne. Auf sein helles, von Freude bewachsenes Gesicht, legte sich ein düsterer Schatten der Vorahnung. Sie hat überhaupt nicht nach Alkohol gestunken. Ist sie vielleicht anderweitig berauscht? Gut möglich. Schadet es, wenn ich dennoch einen neuen Blick erhasche?[/JUSTIFY][JUSTIFY]Und kaum, dass er das gedacht, war er auch schon der jungen Frau nachgeeilt, die zum Glück so langsam war, dass es kein Problem darstellte, sie in diesem Wirrwarr aus Köpfen und Kleidern auszumachen. Er holte sie ein, lief links neben ihr her und besah sie so auffällig wie ein Spanner, der sich in seinem Busch sicher und unauffällig glaubte. Vom Kopf ab bis zum Halse musterte er sie, dann erschauderte er. Ein schwarzer Abdruck, der für das gemeine Auge unentdeckt und von dem Betroffenem selbst unbemerkt blieb.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Der Kuss einer Hexe.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Die Frau blieb plötzlich stehen und drehte Shiro das Gesicht zu. Ihm lief ein eisiger Schauer über den Rücken, als er in ihre hellbraunen Augen starrte, die so leer, seelenlos erschienen und statt des Glanzes, nur einen leicht matten Schimmer bargen. Plötzlich schien es ihm, als würde sie mit diesen Augen um Hilfe und Beistand flehen und es schien wahrlich nicht mehr so belustigend, wenn man es aus der gefährlichen, statt aus der belustigenden Perspektive betrachtete.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Ja?“, sagte die Frau.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Oh“, entgegnete Shiro, „verzeihen Sie, ich dachte … nein, schon gut.“ Er lachte und spielte seine Rolle als peinlich Verlegener geradezu beängstigend gut. Und erneut, ohne ihm mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, als unbedingt notwendig, drehte sie sich zum Gehen um und tauchte in die Woge der Menschenmassen unter. Zur selben Zeit änderte sich der Ausdruck in Shiros Gesicht zu etwas, das einen anrüchigen Ehrgeiz offenbarte, der einem tyrannischen Kriegsherren hätte gehören können. Solche Menschen, die vor allen anderen mit beispielloser Gier, das Leben anderer, für die Erreichung des eigenen Ziels opferten. So war auch der nächste Gedankengang wie von einer zwiespältigen Persönlichkeit gesprochen – die eine zu Willen, ein Opfer zu bringen, die andere nur von dem puren Bestreben gelenkt, den eigenen Profit aus dieser Geschichte zu ziehen.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Diesen Grief Seed hole ich mir. [/JUSTIFY][JUSTIFY] [/JUSTIFY][JUSTIFY]Die letzte Distanz zwischen Leben und Tod, das letzte Hindernis, das die Seele noch mit Diesseits der Welt verankerte; kein anderes Beispiel hätte Shiro in diesem Moment besser in den Sinn kommen können, als das des griechisch-mythologischen. Wie die des Lebens überdrüssig gewordenen, die der Fährmann Charon, im Austausch für zwei Münzen, über den Styx und in das Totenreich übersetzte, so auch die arme Unglückliche, die über der Brücke wandelnd den Fluss überquerte, der die blühende Metropole vom Industrieviertel trennte.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro war sehr viel daran gelegen, ihr unauffällig und in einem Abstand zu folgen, der ihm sowohl eigene Sicherheit versprach, als auch verhinderte, dass er sie nicht aus den Augen verlöre. Hexen waren nämlich sehr berechenbare Kreaturen. Ihre Opfer lockten sie stets in die Nähe ihres Territoriums, um sie dann in den Selbstmord zu treiben. Aber sie waren auch feige Kreaturen. Sie verharrten nie lange an einem Ort und würden auch nicht lange fackeln und die Flucht ergreifen, sobald sie seiner Präsenz gewahr würden. Es kam nur selten vor, dass sie sich einem offenen Kampf stellten, es sei denn, sie glaubten sich überlegen. Um eine Hexe zu einem Kampf zu zwingen, gab es nur eine Möglichkeit: Man musste durch ihren Bannkreis stoßen und tief genug in das Labyrinth vordringen. Erst dann wäre ihr ein Entkommen unmöglich.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Und das war Shiros Ziel.[/JUSTIFY][JUSTIFY]In dem er sich also weit hinter ihr hielt, vermied er den Eindruck, er wäre nur hinter der manipulierenden Kraft her. Ein weiteres Zeichnungsmerkmal, dass man den Hexen ankreiden konnte: An ihnen konnte mehr ein Grad an Instinkt, denn ein wirklich beigelegter Grad an Intelligenz beobachtet werden. Sie verstanden nichts von Strategie, konnten nur bedingt Opfer von Jäger unterscheiden und das auch nur, wenn sich ihnen der Jäger gerade als solcher präsentierte. Viele bemerkten es nicht einmal, wenn sich jemand unbefugten Eintritt in ihr allerheiligstes Domizil verschaffte. Und wenn sie es bemerkten, war es meist schon zu spät.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Nun begann Shiro sich zu allen Seiten umzublicken. Sie hatten die Brücke hinter sich gelassen und schritten weiter auf einem Untergrund entlang, der durch und durch asphaltiert war und kein Überbleibsel von der Natur zurückgelassen hatte. Dies war das Industrieviertel von Mitakihara. Lichtmasten, so hoch wie Bäume, Wassertürme zu allen Seiten, als würde ein flammender Schatten über diesen Teil der Stadt liegen, Rohre die zwei Meter über dem Kopf hinweg führten und natürlich auch Fabrik- und Lagerhäuser. An den letzteren zu erblickende Industrieanlagen, war besonders ein angelagerter Siff an den Wänden zu beobachten, welcher sich durch senkrechte, braune und grünblaue Striemen kennzeichneten und sich beinahe über die gesamte Höhe der Bauten zog.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Als hätte alles hier eine Woche lang unter Hochwasser gestanden, dachte Shiro. Der Gedanke machte ihn schaudern und er versuchte ihn schnell wieder zu verdrängen. Denn Shiro hasste das Wasser.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Die Besessene steuerte auf ein Gebäude zu, dass vom Aussehen einer großen Lagerhalle glich. Ein breites Satteldach unterschied es von den umliegenden Fabrikhäusern, die man mit einem klassischen, für diese Baugattung typischen, Sägezahndach ausgestattet hatte. Doch nein, es wirkte zwar wie ein Lagerhaus, war aber auch ein Fabrikgebäude. Denn es beherbergte große metallische Behälter, die über und über von Nieten bestückt waren, so als wären jedes von ihnen hundertfach aufgeplatzt und immer wieder mit Aluplatten neu zusammengeflickt worden.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Wie selbstverständlich schritt die willenlose Marionette in das Gebäude hinein; dass Gebäude stand offen und verlassen, wie eigentlich das ganze Gelände. Shiro, der in seinem Eifer, den Grief Seed zu ergattern, eisern geblieben, war dieser Fakt noch nicht aufgefallen. Ob es eine Feuerprobe gab, ob jeder Mitarbeiter um dieselbe Uhrzeit zur Mittagspause läutete, ob sie heute alle frei hatten oder es eine Betriebsversammlung gab – solange ihn niemand bei der Arbeit störte, war ihm alles herzlich egal.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er schmiss sich bei einem kurzen Sprint, nachdem er den Abstand zu ihr etwas zu groß hat werden lassen, mit dem Rücken voran gegen die Außenwand des Gebäudes und spähte hinein. Im gleißenden Scheine der drei Dachfenster, die das dunkle Innere mit einem weißgelben Licht füllten, stand die Frau. Wie benebelt starrte sie auf die metallischen Behälter. Sie waren zu je zwei Seiten viermal vertreten. Getragen wurden diese zylindrisch geformten Metallkolosse, die in der Höhe bald fünf und in der Breite zwei Meter fünfzig maßen, von je einem Metallblock. Dieser musste in seinem Kern wohl eine Menge Drähte und Kabel horten, denn abseits des einen Ventils, das blutrot aus dem stählernen Gehäuse herausragte, wurde das Außenleben von vielen Tachometern, blinkenden Knöpfen und einem großen Display beherrscht. Von oberhalb dieser Behälter drang je ein Rohr ein, das entweder etwas abpumpte oder einließ. Und ob diese Rohre überhaupt eine Verwendung fanden, entschieden, so überlegte Shiro, wohl die einzelnen Ventilräder.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Die Ventile“, stellte er erschüttert fest. „Oh nein!“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Als ob diese Worte das Startsignal setzten, hatte die Frau hatte damit begonnen, die Ventile der Reihe nach aufzudrehen. Rapide machte sich in dem ersten bereits ein unheilvolles Rumoren bemerkbar, als würde ein übergroßer Druck die von Nieten übersäte Metallwand nach weiter nach Außen drücken.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Jetzt aber schnell!“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Die Frau hatte gerade die Hände an das zweite Ventil gelegt, da war auch schon Shiro aus seiner sicheren Deckung gesprungen und auf sie zu gestürmt. Sie hatte nicht die Zeit sich umzudrehen. Dies war aber weniger seiner Schnelligkeit geschuldet, als mehr der Hexe, die, um einen optimalen Einfluss auf den freien Willen auszuüben, das Wahrnehmungsempfinden des Geistes massiv einschränken musste. Denn um eine völlige Kontrolle über einen Menschen zu erlangen, musste man zu dessen innere Stimme heran gedeihen. Und um dieser inneren Stimme eine Art Monopolstellung im Bewusstsein des Menschen zu erbauen, musste das Bewusstsein selbst, wie auch das Empfindungsvermögen des Wirtes getrübt werden. Psychologie und Hexerei spielten sich in dieser Beziehung in die Hände. Da Shiro als ein Hexer aber ein versierter Kenner seiner weiblichen – um nicht zu sagen: biestigen – Artgenossen war, waren ihm auch die allgemeinen Tricks und Kniffe dieser Wesen bekannt. Als er also mit einem schnellen Sprint auf die Frau zuhielt, hatte er schon die verminderten Reflexe zu seinem Vorteil mit einkalkuliert. Schließlich war es deutlich einfacher einen Menschen genau dann mit einem gut gezielten Schlag ins Traumreich zu befördern, wenn dieser damit am wenigsten rechnete; Madoka hätte diese Tatsache zu bestätigen gewusst. Wichtiger war es ihm aber, dass er kein markantes Gesicht im Gedächtnis des Niedergeschlagenen blieb. Jemand der mit starken Kopfschmerzen an einem ihm fremden Ort aufwacht, könnte ein Problem in Shiros Handlungsfreiheit darstellen, wenn er sich seines markanten Gesichtes ersann und damit vielleicht sogar zur Polizei ginge.[/JUSTIFY][JUSTIFY]In der Innenseite seiner linken Hand hellte ein grelles Licht auf, aus dem sofort ein überlanger Dolch entwuchs. Mit dem goldenen Kolben, der an der Rückseite des Griffes angebracht, war es ihm gelungen, die Frau mit einem harten Schlag auf den Hinterkopf erst ins Wanken, dann bewusstlos in seine Arme fallen zu lassen. Selbiges Verfahren hatte er übrigens auch bei Madoka Kaname angewandt.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Eine halbherzige Entschuldigung ging über seine Lippen, als er sie mit der Behutsamkeit eines liebenden Mannes, der seine volltrunkene Frau zu Bette trug, längs über den Boden legte. Dann erhob er sich, griff zum Ventil und drehte es rasch wieder zu. Das metallische Grummeln im Inneren des Metallkörpers verebbte. Die Nadeln der Tachometer, die einmal den Druck in Bar, die Temperatur in Celsius und einige weitere Messeinheiten, die Shiro jedoch nicht zu deuten wusste, angaben, pendelten in den normalen Bereich zurück.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Puh, da hab ich ja mal wieder den Tag gerettet.“[/JUSTIFY][JUSTIFY]Er klopfte sich auf die Schulter,[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Gut gemacht, Shiro. Ein guter Mann, ein toller Mann“,[/JUSTIFY][JUSTIFY]und gickelte wie ein Kind, das mitleidig über den schlechten Witz eines Erwachsenen zu lachen versuchte. Dann, als er mit dem sarkastischen Eigenlob fertig war und sich seine Gesichtszüge verhärteten, hob er die rechte Hand, zu einem stummen Befehl ausrufend. Über dem von Staub bedeckte Boden fegte ein lauer Windzug. Sanfte Böen strömten aus allen Richtungen herbei. Jeder kleine Luftzug sammelte sich in zirkulierenden Bewegungen um ihn, als würde sich eine kleine Windhose auftun. Sein Zopf schlug wie eine Peitsche von einer Richtung in die andere aus. Und am Ende, als sich die Ströme wieder in alle Richtungen aufteilten, grellte ein so unsagbar luminöses Licht in dem Fabrikgebäude auf, dass es sogar noch den hellen Tag noch in seiner Helligkeit übertraf. Ein weißer Schleier kämpfte sich durch die Dachfenster, hinauf in den Himmel und verglimmte nach zwei langen Sekunden wieder.[/JUSTIFY][JUSTIFY]Shiro hatte sich mit einem Arm die Augen verdeckt; er spuckte leise Flüche über dieses garstige Licht aus, dann nahm er ihn wieder runter und betrachtete sich sein Werk. Vor seinen Augen schwebte ein magischer, von Runen umschlossener Zirkel.[/JUSTIFY][JUSTIFY]„Das Tor ins Reich der Hexe.“ Eine lange Pause folgte diesem Satz, in der er nur auf dieses magische Siegel, das den Scheideweg zwischen der Menschenwelt und der Welt der Hexe widerspiegelte, einfach nur anstarrte. Langsam, von einem schieren Unglauben beträufelt, senkte sich sein Arm. Er hielt ihn auf halbe Strecke in der Luft und lenkte seinen Blick auf die halboffene Hand. „Das ist ja krass …“[/JUSTIFY]

Kapitel 6: Schlag auf Schlag


 

Contiguity Magica

Kapitel 06: Schlag auf Schlag

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[RIGHT]Was sich Zwischendurch zutrug:[/RIGHT]

[RIGHT]Homura Akemi[/RIGHT]

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[JUSTIFY]Als der Wind die letzten grauen Schäfchen von dem blau flächigen Hintergrund befreite und der sanfte goldene Schein der Sonne wieder zum Vorschein kam, atmete Homura erleichtert auf. Die Nebelwand hatte sich mit dem ausdünnen des Regenschauers von dannen gemacht und auch auf den Straßen waren wieder erste Anzeichen von Leben zu vermerken.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das wurde aber auch Zeit.“ Sie klappte den Regenschirm ein, zog das Band über den Stoff zu und legte ihn neben sich hin. Nass war sie zwar dennoch. Hemd und Jacke klebten an ihrem Körper wie feuchter Teig. Das lag nicht an dem mangelhaften Schutz des Regenschirms, sondern an ihrer eigenen Unvorsichtigkeit. Hätte Shiro ihn ihr vorbeigebracht, wie viel nasser hätte sie wohl noch werden können? Im Prinzip war seine Geste zwar nett gemeint, doch ohne wahrlich ohne Wirkung. Der einzige Erfolg, der damit vielleicht verzeichnet werden konnte, war, dass sie den verwunschenen Tropfen ihr Ziel, die Schuluniform am Trocknen zu hindern, erschwert hatte. Ein kleiner, unbedeutender und nichtiger Sieg, den sie ihm noch zum Vorwurf machen würde. Bei diesem Gedanken musste sie ihr leises Lachen unterdrücken.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Lachen. Es tat so gut mal wieder lachen zu können. Aber nur kurz, denn sie musste immer bei klarem Verstand bleiben. Keine Ablenkung durfte sie unvorsichtig machen. Sie war schließlich nicht zum Vergnügen hier, sondern weil sie ein Ziel hatte, dass es zu erreichen galt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mit den flüchtigen Gedanken an Shiro also schnellen Abschied nehmend, wand sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder dem vierten Fenster des fünften Stockes zu. Madoka lag wieder in ihrem Bett, nachdem sie für eine ganze Weile von einer Schwester aus ihrem Zimmer gebracht wurde, um untersucht zu werden. Mit etwas in der Hand, das einem Buch oder einem Manga glich – Homura war es nicht möglich zu erkennen, was es nun war – vertiefte sie sich mit friedvoller Miene in die Lektüre, bis etwas anderes ihre Aufmerksamkeit erhaschte. Sie klappte das Buch zu und drehte dem Fenster den, vom pinken Haar bedeckten Hinterkopf zu.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Homuras Augen wurden riesig, als sie erkannte, wer ihrer lieben Freundin die Ehre eines Krankenbesuchs erstattete. Hitomi Shizuki und Sayaka Miki waren in das Zimmer eingetreten. Ein Schatten legte sich über ihre Augen. Die Tatsache, dass Sayaka, ohne Shiro an ihren Fersen, hier war, ließ für sie den Schluss zu, dass er es immer noch nicht fertig gebracht hatte, sie zu finden. In einer verregneten, von Menschen bis zum Anbruch dieser Stunde ungedüngten, war es ihm nicht möglich, dieses eine Mädchen bei einer Freundin zu vermuten, gleichwohl, dass sie ihm das soziale Umfeld von ihr und Madoka näher gebracht hatte. Entweder also hatte er ihr nicht zugehört, oder aber er hatte sich gar nicht erst auf die Suche gemacht, so wie er gesagt hatte. Und obgleich der eine oder der andere Fall zutraf, der Ausgang war derselbe.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mit einer inneren Wut, die nach Außen hin nicht mehr, als ein genervter Blick und ein schwermütiges Seufzen war, richtete sich Homura auf und versuchte einen telepathischen Kontakt zu Shiro aufzubauen. Die Verwirrung kam, als ihr dies nicht gelang. Auch nach dem zweiten Male nicht. Einen dritten Versuch ließ sie aus, denn seine Aura war einfach nicht auffindbar. Grübelnd verschränkte sie die Arme. Sie konnte nur drei mögliche Ursachen aufbringen, die eine einleuchtende Erklärung zu dem unauffindbaren Shiro brachten. Entweder war er außerhalb der Reichweite des telepathischen Wirkungskreises – was sie dementierte, denn das würde bedeuten, er wäre außerhalb der Stadtgrenze – oder er hielt sich in diesem Moment in einem anderen Raum, als dem gegenwärtigen auf; sprich: das Labyrinth einer Hexe. Doch auch das war ihr unwahrscheinlich, denn, sofern er sie nicht belogen hatte, was sie ihm durchaus zutraute, so war es einem Hexer nur erschwert möglich, eine Hexe ausfindig zu machen, geschweige denn, sich Einlass in ihr Reich zu verschaffen. Über den letzten Punkt mochte sie nicht nachdenken. Fielen die anderen beiden Gründe aus, so war er höchst wahrscheinlich tot.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hoffentlich hat dieser Idiot sich nicht auf einen sinnlosen Kampf eingelassen“, seufzte sie in einer Art, wie sie dem weiblichen Geschlecht förmlich angeboren war. Ein Seufzen, dass eine gedrückte Trauer hervorrief, die weder ehrlich, noch lebhaft gespielt war. Ebenso gut hätte sie in dieser Art auch einer kaputten Blumenvase nachtrauern können.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Es mochte ihr nicht als charakterliches Defizit angerechnet werden, denn Homura und Shiro hatten beide von vorneherein klargestellt, dass ihre Kooperation rein geschäftlicher Natur sei. Weder kannten die beiden sich lange genug, um Sympathie für einander zu entwickeln, noch hatte sich je der andere darum bemüht, eine Verbindung zu der anderen Person aufzubauen, die sich über den aktuellen Stand der Situation hinaus bewegte. Shiro würde nicht viel mehr um ihr Ableben trauern, als sie um seines, dessen war sie sich gewiss.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Tja, es hilft alles nichts“, sagte sie und setzte sich wieder. Sie beschloss, dass es reine Zeitverschwendung wäre, sich nun über sein Befinden zu „sorgen“ und lenkte ihre Aufmerksamkeit lieber auf das, was wirklich wichtig war. Madoka.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY] [/JUSTIFY]

[RIGHT]Währenddessen:[/RIGHT]

[RIGHT]Die Hexenjagd[/RIGHT]

[RIGHT] [/RIGHT]

[JUSTIFY]Noch immer war die Hand von leichten Luftströmen umwoben. Seine vor Überraschung geweiteten Augen konnten nicht von ihr ablassen. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, er könne den zweiten Schutzwall, der den Grief Seed wie die dünne Eierschale das Küken behütet umschloss, tatsächlich durchbrechen. Denn tat es für das Jägerauge eines Magical Girls keinen Unterschied, ob dieser Wall bestand hatte oder nicht, war es für Hexer wie Shiro und für normale Menschen generell, unmöglich diese unsichtbare Mauer auch nur zu spüren, gar zu durchstoßen. Aber er hat es wider erwarten geschafft. Das Tor lag offen und helle Freude, die die Verwunderung abdrängte, in der Luft.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ha! Ich bin einfach der absolut Geilste!“, gellte er, stemmte die Hände die die mageren Hüften und lachte rabiat stockend, wie ein angeheitertes Raubein. Dann wandte er sich mit zuversichtlicher Miene zu der am Boden liegenden Bewusstlosen um und streckte den Daumen in die Höhe. „Keine Sorge. Ich schnappe mir diese vermaledeite Hexe.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Er legte seine Hand auf den magischen Zirkel nieder. Ein nachgiebiger Widerstand und das Gefühl, eine dünne Haut zu berühren, machten sich bemerkbar. Das Tor selbst war ein von Hexenrunen umringtes Gebilde. Ein magischer, aufrecht in der Luft schwebender Kreis, der komplexe aber unbedeutende Linienführungen in seiner Mitte barg, die, wenn überhaupt, nur zufällig ein identifizierbares Muster ergaben. Hexenrunen selbst waren, was die Buchstaben für die Menschen sind. Zeichen, so klobig wie es die Sprache seiner Anwenderinnen war.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Aber verlieb dich bloß nicht in deinen edlen Retter“, witzelte er ein letztes Mal der Frau zu, ehe er eintauchte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die Welt um ihn herum verschwamm, alles vermengte sich zu einem Bildnis abstrakter Kunst. Wie Farben auf einem Ölgemälde, die ihre Konsistenz verloren und verwässert ineinanderliefen, so auch die dahingeschmolzene Umgebung. Aus diesem verwaschenen Umland, schöpfte sich die Welt im inneren des Grief Seeds. Ein schönes und klares Gewässer erfüllte den Raum in seiner ganzen Größe. Von der weit entfernten Oberfläche schimmerte gebrochen das Licht einer künstlichen Sonne. Der Boden war ein nachgiebiges blau-gräuliches Gemisch aus Kies und Sand, aus dem sich ein langer und kurvenreicher Trampelpfad dunkel hervorhob. Die Luft war weder schwer, noch schnürte sie ihm die Lunge ab. Lediglich kühl war es. Schlingpflanzen, Algen und Korallen schmückten den Meeresboden. Darüber schwammen die dunklen Silhouetten der Meeresbewohner, die von einer goldenen Korona umgeben, friedvoll und in einem dichten Reigen ihre Kreise zogen. Es musste dieses schöne und zugleich befremdliche Spektakel wie eine Fliege um den Kopfe des Autors herumgeschwirrt sein, als er die Feder ansetzte und die Spaltung des Meeres durch Moses zu Papier brachte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Shiro pfiff beifällig. Er machte einen leichten Sprung aus dem Stand und gickelte vergnügt, als er, von dem Wasser sanft getragen, wieder zu Boden sank. Dann begab sich auf den viel gewundenen Pfad und ließ die Augen nicht von der rastlosen, wenn auch nur durch die Kraft der Magie am Leben gehaltenen und somit unnatürlichen Umgebung ab. Manches Mal packte ihn die Neugierde bei der Hand, bis sie ihn förmlich übermannte und sie aus dem Grenzbereich des Pfades lenkte. Ein Fehler, den er nicht zu wiederholen gedachte, denn augenblicklich brach eine der schwarzen Silhouetten aus ihrem Reigen und entblößte eine lange Reihe scharfer Zähne, die nach seinem Arm schnappten. Shiro zog ihn, erbleicht aufschreiend, sofort wieder ein, umklammerte ihn mit einer Hand presste ihn an seine Brust.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Mistvieh!“, spie er. Er hatte den Arm noch rechtzeitig wegziehen können, andernfalls wäre er wohl nun ab.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die Kreatur verharrte noch einige Sekunden still an Ort und Stelle, als würde sie über die plötzlich verschwundene Beute sinnieren. Dann zappelte sie so plötzlich und extrem wie ein am Haken hängender Fisch, der um sein Überleben rang und schnellte zu guter Letzt wieder zurück an seine ursprüngliche Position.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Erleichtert atmete Shiro aus. Er verfluchte das Wesen und blickte auf seine Waffe, die er im Eifer der Situation hat fallen lassen. Es war ein markantes Konstrukt, völlig seinem kreativen Geist entwachsen und mithilfe seiner Magie in eine reale Waffe transmutiert. Die gerade Klinge war handbreit, maß etwa zwanzig Zentimeter in der Länge und war beidseitig stumpf. Der Griff war von einem zerrissenen bräunlichen Stoff umwickelt. Ein schwerer, runder, goldener Kolben schmückte das Ende seines dünnen Halses. Die beiden Elemente verband ein metallischer Ring. Er hob den Dolch wieder auf und setzte seinen Weg fort, ohne die Augen von den Kreaturen zu lassen. Anfangs noch von der Annahme geblendet, diese Fische seien durch die Sonne im Rücken so dunkel in ihrer Erscheinung, wurde er durch den Angriff nun eines besseren belehrt. Sie waren tatsächlich schwarz. Schwarze Fische, mit leuchtend weißen Augen und einem Maul, dass sich beinahe die Hälfte ihres ein Meter langen Körpers entlangzog.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Verfluchte Familiare“, giftete Shiro ihnen nach.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Familiare. Sie sind, was einmal eine Hexe werden könnte. Nach einer Zeit, die auf keinen allgemeinen Zyklus festzulegen ist, löst sich ein Einzelner von seinem Dasein als Beschützer und Diener seiner Herrin, beginnt seine Jagd auf die Menschen und wird alsbald darauf selbst zu einer Hexe. Wenngleich für die Menschen, waren sie nicht ansatzweise so gefährlich für Magieanwender. Eigentlich waren sie sogar die einfachere Beute. Leider warfen sie keinen Grief Seed ab, weshalb viele Magical Girls auch keine Jagd auf sie machen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Weiter den Pfad entlang schreitend, war er doch ein wenig verwundert, nicht einmal auf eine Weggabelung oder eine Kreuzung zu treffen. Schließlich nannte man die Welt der Hexe nicht ohne Grund auch Labyrinth. Dann, je genauer er darüber nachdachte, nannte man sie wohl auch einfach nur Labyrinthe, weil die Menschen, sobald sie sich hinein verirrten, keinen Weg mehr heraus fanden. Seltsam, so sagte er sich, war es trotzdem. Bislang hatte er noch kein so weitflächiges und lineares Labyrinth gesehen. Und in seinem langen Leben, in dem er schon mit dem ein oder anderen Magical Girl verkehrte, konnte er schon auf etliche von den Hexen geschaffene Welten zurückblicken. Generell war noch keine so so ruhig und atmosphärisch, ja man könnte beinahe sagen: bezaubernd und die Familiare so zurückhaltend und gastfreundlich, sofern man nicht vom Wege abkam.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Am Ende der Reise wurde er endlich fündig. Eine doppeltürige Wegsperre baute sich wie ein unheiliges Omen am fernen Horizont auf. Je näher er ihr kam, desto größer und bedrohlicher wurde sie.Sie war von einem azurblauen Gepräge, das von einem matten, in verschiedenen Grüntönen bestrichenen Rahmen getragen und von Runen, die als weiße Reliefen hervorstanden, verziert. Hinter diesem Tor, das von keiner Wand getragen, lag das Heiligtum der Hexe, das Epizentrum aller Magie, die dieses Labyrinth und all seine Bewohner am Leben erhielt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Gerade wollte er schon die Doppeltür aufstoßen, da wurde er sich wieder dem Dolch bewusst und warf diesem einen missgünstigen Blick zu. „Mit dieser Klinge werde ich wohl kaum in der Lage sein die Hexe zu töten.“ Er streckte seinen Arm seitlich von sich weg und befreite seine Hand von der Existenz der Waffe, in dem er in einem grell aufblitzenden Licht eintauchte und verschwand. Direkt darauf schufen sich neongrüne Lichtfäden hinter seinem Rücken und formten die Waffe, mit der er eigentlich seine Kämpfe bestritt. Ein prächtiger Zweischneider, der mit einem silbrigen gebogenen Handschutz geschmückt und von einer rot-weißen Scheide getragen wurde. Dem, von einen weinroten Leder umwickelten Griff, thronte ein versilberter Knauf, der in Form und Gestalt einem Vollmond gleichkam. An der Scheide waren zwei Stoffriemen befestigt, von denen einer sich von der rechten Schulter ab zur linken Hüfte legte, während der andere sich noch einmal gesondert um das Becken herum schlängelte. Diese einfache doch wirkungsvolle Halterung verhinderte, dass die leere Scheide während eines Kampfes so unkontrolliert und den hektischen Bewegungen folgend, hin und her schaukelte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Gut“, sagte er sich, „jetzt kann von mir aus kommen was mag.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Und mit diesen Worten gesprochen, erhob er den Fuß und donnerte ihn gegen die blauen Pforten der Herrscherin des Labyrinths. Doch die sperrige Doppeltür gab sich massiv und unnachgiebig. Keinen Millimeter hatte sie sich nach innen verschoben, kein bisschen stand sie offener als vorher. Shiros Fuß hingegen, der war weit und weit davon entfernt, es der Tür gleichtun zu können. Mit einem weinerlichen Gesicht, dass oft bei Kindern zu beobachten war, die sich die Tränen krampfhaft wegzudrücken versuchten, kehrte er der Doppeltür den Rücken, kniete und rieb sich das Knie, dass von dem schweren, doch wirkungslosen Tritt in Mitleidenschaft gezogen wurde.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Au“, quiekte er und schniefte den vom Schmerz beschworenen Rotz durch die Nase wieder hoch.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Darauf tat sich hinter ihm ein unheilvolles Geräusch auf, welches dem mechanischen Wirken komplex ineinander verzahnter Räder nicht unähnlich war. Und es geschah, wie auf wundersamer Art und Weise, dass sich die Türen zu öffnen gesinnten. Zeitgleich zogen das Wasser, die Tiefseeflora und die Familiare wie eine kunstvolle Leinwand an seinem Auge vorüber und er tauchte, durch die offenen Pforten gleitend, in ein tiefes und schwarzes Nichts ein, dass sich so langsam, wie die Eröffnungssequenz in einem Film, wieder erhellte. Raues Felsgestein, das von einer violetten Sonne beschienen, ummauerte ihn wie eine Arena. Der kantigen Fassade zierten rundum riesige und tief in die Felswand eingegrabene Höhlendurchgänge, die von einem finsteren Gepräge waren. Und wie sich das unheilige Übel aus dem tiefsten Spalt der Erde erhob, so kroch auch die boshafteste Gestalt dieser Welt aus einem der tiefen Löcher.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hier war sie nun, die Herrin des Labyrinths.[/JUSTIFY]

 

 
 

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Mariane

 

[JUSTIFY]Die langen feingliedrigen Arme ragten aus dem Loch wie die Spinnenbeine über das klebrige Netz. Vereint zogen sie, was als Rest an sie gebunden war. Aus der, vom gebrochenen Sonnenlicht unberührten Schwärze, trat in träger Rasche eine wabblige Masse ans Tageslicht, die sanft vom Wasser getragen, auf den sandigen Untergrund hinab schwebte. Der bleiche Sand wirbelte um sie herum auf, als sie den Boden erreichte. Ein Kopf, der beinahe so lang wie jeder ihrer, von Saugnäpfen bestückten Fangarme war und wie ein Anker in die Breite wich. Die Augen, mit senkrecht geschlitzten Pupillen versehen, waren kaum größer als die von Shiro. Auf der blassgrünen Oberfläche malten sich kunstvolle Kringel in unterschiedlichen Farben, Größen und geometrischen Formen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Keine Hexe, ohne ihr Aussehen. Je abstrakter die Erscheinung, umso größer die magischen Kräfte. Nun war diese Hexe, die in Gestalt eines bunt bemalten Kalmars kam, beurteilt nach ihrem Äußeren, von geringer Macht, was Shiro zuversichtlich über den Ausgang des Kampfes stimmte. Das einzige, was an ihr ein wenig abschreckend wirkte, war die beachtliche Größe. Jeder ihrer Fangarme hatte eine Länge von gut acht zwölf Metern, etwa so lang war auch der Körper. Die Schmerzen in seinem Bein verdrängte er tapfer wie ein kleiner Junge, der sich das Knie aufgeschürft hatte. Er erhob sich und wandte sich ihr in einer Haltung zu, die gleichermaßen Würde und Stolz ausstrahlte, gleichwohl dass Mariane dieser keine Bedeutung beizumessen wusste. Für sie war er nicht mehr als das, was er auch für jede andere Hexe war. Ein Eindringling, der sie um ihre Mahlzeit erleichtert hatte und ihr zudem noch nach dem Leben trachtete. Nun war er das Futter, dass sich bereitwillig in ihre Mitte gewagt hatte. Sie würde den Unverfrorenen fressen; ihn gewaltsam seines Lebens überdrüssig machen. Sie würde ihn für seine Unverschämtheit wie Schlachtvieh massakrieren. Denn letzten Endes war auch sie nicht mehr, als eine Hexe. Eine zügellose Bestie, die Fluch und Tod über die Welt brachte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Shiro unterdes, war sich der vollen Gefahr, in der er nun zu schweben drohte, durchaus bewusst. Hinter dieser frechen Maske, die zu allen Zeiten ein spöttisches, die Zähne entblößendes Grinsen gegen alles und jeden richtete, verbarg sich das ernste Gesicht eines konzentrierten Jägers, der nicht so blauäugig war, seine Gegnerin zu unterschätzen. Denn er wusste, dass ein falscher Schritt sein Ende bedeutete.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Er spannte beide Hände über den weinroten Griff; Mariane setzte zum Angriff an. Zwei der acht Arme preschte vor. Er wehrte den ersten mit einem Hieb seiner aschfahlen Klinge ab, drehte sich einmal in voller Gänze und schlug den zweiten sogleich von sich. Darauf stürmte er auf die Hexe zu, beförderte sich mit einem mächtigen Sprung in die Höhe und stürzte, mit dem Schwert über seinem Kopfe erhoben, auf sie hernieder. Leider war ihm hier der Fehler unterlaufen, dass er glaubte, die natürliche Schwerkraft würde ihn schnell wieder dem Boden näher bringen. Das Wasser aber belehrte ihn eines besseren. Die Welt einer Hexe schuf ihre eigenen Regeln. Bisher hatte er weder Einbußen in seiner Schnelligkeit noch seiner Atmung gehabt, darum hatte er auch nicht darüber nachgedacht, dass die Schwerkraft unter Wasser anders funktionierte. Er glitt ihr zu langsam entgegen, als das er einen schnellen verheerenden Treffer hätte landen können, was ihr wiederum zu einem Gegenangriff verhalf. Zwei weitere Fangarme wurden ihm entgegen geworfen. Einen schaffte er es abzuwehren, der andere aber wickelte sich um seine Füße und schmetterte ihn wie ein Sack Fleisch zu Boden. Der Sand war weich genug, um den dumpfen Aufprall um die Hälfte seiner schmerzvollen Wirkung zu berauben. Weh tat es dennoch. Ein kurzer kehliger Laut entfleuchte seiner Kehle. Vom Becken auf bis zum Kopf, zog der dumpfe Schmerz seine Bahn. Dann wurde er, mit den Füßen voran, hochgehoben. Ein weiterer Tentakel wand sich so eng um seinen Körper, dass es ihm die Luft aus den Lungen quetschte und versuchte ihn gewaltsam in zwei Hälften zu zerreißen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Oh, das soll wohl ein Scherz sein“, krächzte er. Das Schwert noch immer fest umgriffen, schlug er mit einem Hieb eine tiefe Kerbe in den ihn ausquetschenden Fangarm, woraufhin dieser sich umgehend von ihm lossagte. Der Schlag darauf galt dem Tentakel, der seine Füße fest gepackt hielt und nachdem die scharfe Schneide ihm einen gleichsam tiefen Schnitt zufügte, waren auch die Beine wieder frei. Kopfüber dem Boden entgegen steuernd, materialisierte sich in seiner rechten Hand einer seiner markanten Dolche. Mit dem Zeigefinger in der offenen Rundung des Ringes, drehte die Waffe so schnell wie ein Kreisel, woraufhin er sie dann wirbelnd in Richtung der Hexe warf. Die Klinge fand ihr Ziel. Sie traf den freien Raum zwischen dem Augenpaar. Mit der Spitze voran drang der Stahl in das weiche Fleisch der Kalmarin. Ein schrecklicher Laut hallte von den löchrigen Wänden her wider. Ein tiefes Kreischen, von Schmerzen beschworen und vom Wasser ungefiltert wiedergegeben.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Shiro tätigte eine halbe Drehung vorwärts, wodurch er mit den Füßen voran auf dem nachgiebigen Untergrund landete. Darauf hob er routiniert sein Schwert in Richtung der Hexe, sprach: „Das war deine letzte Chance, mich zu töten“, und stürmte erneut auf sie zu. Dieses Mal jedoch würde er nicht zu einem Sprung ansetzen, um sich eine höhere und somit vorteilhaftere Position zu erzwingen, sondern frontal und direkt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mariane schlug ihm all ihre Fangarme entgegen, um ihn, wenn schon nicht zu töten, zumindest doch zu auszubremsen. Aber Shiro war zu agil und zu störrisch, um sich treffen oder bremsen zu lassen. Alles was von oben kam, dem wich er einfach zur Seite aus. Was von der Seite auf ihn zuhielt, war entweder ein zu hoch oder zu niedrig angesiedelter Hieb, weshalb er sich unter dem Angriff entweder hinweg duckte, oder hinweg sprang. Letzteres waren kleine Hüpfer, welche sich nicht negativ auf seine Fallgeschwindigkeit auswirkten, da seine Füße umgehend wieder den sandigen Boden berührten. Dann erreichte er sie. Gerade das Schwert gegen sie ansetzend und zum tödlichen Schlag ausholend, passierte etwas, womit Shiro wahrlich nicht gerechnet hatte. Er traf nicht. Mariane war plötzlich in die Höhe geschossen und der Reichweite seines tödlichen Hiebes entwichen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Wie ein echter Kalmar, war auch sie mit einer Mantelhöhle und einem Trichter bestückt, welcher für die Fortbewegung unabdinglich war. Sie blies das Wasser zum Trichter heraus, welches durch die verbundenen Mantelhöhle eingesaugt wurde. Kalmaren war es somit möglich, eine enorme Schnelligkeit damit zu erzielen. Und mit einem Sipho – der unter Schnecken-, Muscheln- und Tintenfischarten die Luftröhre war – war es ihnen zusätzlich gestattet, mithilfe der entsprechenden Muskulatur, eine drastische Richtungsänderung vorzunehmen, was sie zu wendigen und mobilen Jägern machte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]So also schnellte sie hoch empor und verschwand durch eines der Löcher im Felsgestein.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du fliehst?“, brüllte er ihr nach.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]In dem Glauben, die Hexe würde sich zurückziehen und seine Chance auf ihren Kopf wäre vertan, senkte er das Schwert und somit auch die Deckung. Dies mochte vielleicht dumm erscheinen, doch hätte auch ein versierter Jäger – etwa ein Magical Girl – sich diesem Irrtum hingegeben. Hexen waren von Natur aus feige Kreaturen und flohen, sobald sie sich im Nachteil sahen. Dies war auch der Grund, weshalb so manches Mädchen einen schlimmen Tod erlitt, weil sie ein rasches Ende des Kampfes zu erzwingen versuchte. So durfte es also nicht verwundern, dass Shiro nun genau dieser Irrtum unterlaufen war. Weiterhin hatte er nicht damit gerechnet, dass jede Höhle durch ein weitläufiges Tunnelsystem mit der jeweils anderen verbunden war. Gewaltig war somit die Überraschung, als die Hexe plötzlich aus der Schwärze eines anderen Loches geschossen kam und mit dem ankerförmigen Ende voran auf ihn zu hielt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Oh verdammt!“ Shiro entging dem Treffer noch gerade so. Seine Reflexe hatten ihn vor einem verheerenden Treffer bewahrt. Und beim ausweichen hatte das voranstürmende Kopfende seine Klinge berührt. Es war, als würde Stahl auf Stahl treffen und ihm ereilte in jener kurzen Schreckenssekunde der furchteinflößende Gedanke wie es wohl ausgegangen wäre, hätte er nicht zur Seite springen können.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sie setzte zu einer scharfen Kurve nach hinten an. Nicht überrascht, aber doch beeindruckt, dass sie sogar zu einem Wendemanöver fähig war, entschloss er sich etwas zu tun, was ihm eigentlich missfiel. Er suchte sein Heil abseits des Bodens und in einem Sprung, wohl wissend, dass er völlig ohne jede Möglichkeit zum ausweichen war. Doch das war auch gar nicht seine Absicht. Er musste den Kampf beenden, bevor sein Körper noch an den Anstrengungen zu Grunde ging, denn es drohte genau das zu passieren, wenn er sich keinen Vorteil mehr erkaufte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du bist schnell und wendig“, sprach er anerkennend, „und noch dazu ist dein Kopfende eine breiten Klinge. Du bist wirklich eine Hexe unter tausend, die mir ernstzunehmende Probleme bereitet.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Als hätte er es vorhergesehen, wendete sie erneut und schnellte nun in die Höhe und – abermals – direkt auf ihn zu.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Aber jetzt endet es für dich.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Beihändig umfasste er den Griff. Das Schwert, dessen Spitze erst auf sie gerichtet, schwang mit einer furchtsamen und gleichwohl ruhigen Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Er wisperte die Formel zur Beschwörung seines mächtigsten Angriffs und daarauf das entscheidende Wort:[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Windschnittflut“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Als sie nun nahe genug war, setzte er in einer schnellen und kontrollierten Bewegung zum alles vernichtenden Schlage an. In dem Glauben, den Sieg nun mit einer unerschütterlichen Sicherheit für sich ergattert zu haben, war sein Blick für die Umgebung in diesem Moment wie von einem seidenen Schleier verhangen. Noch aus dem Augenwinkel sah er es, bevor es zu spät war. Ein lautes Donnern wie von hundert Kanonenschlägen hallte von allen Seiten des Raumes wider, während sich selbiger in einem leuchtenden grellen sonnengelben Schein einhüllte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]So auch die Hexe.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]So auch Shiro.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Alles wurde dunkel. Und die Welt tunkte sich mit dem Verblassen des Lichtes, in eisige Finsternis.[/JUSTIFY]

 

Kapitel 7: Mami Tomoe


 

Contiguity Magica

Kapitel 07: Mami Tomoe

[RIGHT] [/RIGHT]

[RIGHT]Was Unterdessen geschah:[/RIGHT]

[RIGHT]Mami Tomoe[/RIGHT]

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Regen und Schule. Was gab es trübsinnigeres, als eben genanntes? Welches Ärgernis, dass den Jüngeren dieser Tag geschenkt wurde, während die Älteren auf die Schulbank mussten. Aber damit musste man zu leben lernen, wenn man an der Mitakihara-Mittelschule aufgenommen werden wollte. Gute Leistungen sprossen nur aus dem vielen Lernstoff hervor. Und im Abschlussjahrgang musste man auch den Samstag als einen offiziellen Schultag im Kalender eintragen. Nicht immer, aber auch nicht selten. Immerhin hatte sich der Regen soweit verzogen, dass der Himmel wieder aufklären konnte. Passend für …

„Mami“, rief eines der zwei heran eilenden Mädchen, hob den Arm zum Gruße hoch und fing sich den verärgerten Blick des Lehrers ein, an dem sie gerade vorbei stürmte. Die andere hielt ihre Geschwindigkeit auf Schritttempo, da sie um das Verbot, was das Laufen im Korridor betraf, wusste. „Toshibara-san und ich wollen einen Tee trinken gehen. Kommst du mit?“

Mami war ein Mädchen von fünfzehn Jahren, mit goldblondem Haar, dass sie zu zwei spiralförmigen Zöpfen geflochten hatte. Sie war gerade im Begriff ihre Schultasche aus dem Spind zu holen, als sie ihre goldenen ihrer Klassenkameradin zuwandte. Sie biss sich hinter verschlossenen Lippen auf die Zunge, denn beinahe wäre sie dazu verleitet gewesen zuzusagen.

„Na, was ist?“ Das Mädchen war vor sie zum Stehen gekommen. Sie hatte ein ansteckendes Lächeln.

„Oh, das tut mir Leid, Nigasawa-san“, sagte Mami und bemühte sich um ein wohlwollend freundliches Gesicht, „aber ich habe leider auch heute schon wieder –“

„Ach komm“, unterbrach das Mädchen sie in beinahe flehendem Tone und umschloss die weichen dünnen Hände mit den ihren, „dieses Mal musst du einfach mitkommen. Die haben eine ganz tolle und neue Teesorte rein bekommen, die – hey!“

„Na komm, jetzt dräng sie nicht“, packte das andere Mädchen ihre Freundin am Kragen und zog sie von Mami weg. „Wenn sie nicht will, dann zwing sie nicht dazu.“

Ihre Worte, wenngleich sie nett gemeint, waren mit einer kränkenden Gleichgültigkeit verpackt, die Mami das Gefühl gab, dass die Einladung nur von einer Seite Zustimmung gefunden hatte. „Es tut mir wirklich leid.“ Sie bemühte sich, nicht geknickt zu erscheinen.

„Ach was, kein Ding. Verzeih, dass wir dich aufgehalten haben“, erwiderte Toshibara und verneigte sich rasch, ohne die Hand vom Kragen ihrer Freundin zu nehmen. Dann zog sie an diesem und schleifte sie an Mami vorbei, den Korridor entlang. Den lauten Protest, den sie damit heraufbeschwor, ignorierte sie gekonnt.

Mami sah den beiden hinterher. Noch lange, nachdem sie hinter der nächsten Biegung verschwunden waren. Ihr hübsches Lächeln war verblasst. Als sie ihre Tasche nahm und die Spindtür schloss, sich zum Gehen umwandte und ihr Blick über den leer gewordenen Flur streifte,

Ich wäre gerne mitgekommen …,

bemerkte sie erst, wie allein sie wiedereinmal war.

Allein.

 

Das finale Leuten der Schulglocke endigte den Tag für die jungen Menschen. Wer einem Club angehörte, der harrte noch in den entsprechenden Räumlichkeiten, bis das Abendrot der Sonne sich über das Land erstreckte. Für Mami aber war der der letzte Glockenschlag auch gleichzeitig die Erlösung von dem Leben, dass sie nur träumte zu führen. Ein normales Mädchen sein, dass sich über die Hausaufgaben auslässt und sich viel lieber Gedanken um ihre Freizeit machte, denn Sorgen um die anstehende Klassenarbeit, für die sie eigentlich ihre Nase in ihre Hefte stecken müsste. Ein Mädchen, dass sich mit ihren Freundinnen traf, um mit ihnen zu shoppen, ein Eis zu essen und sich über die glänzende Platte ihres Lehrer ergötzen, die er mit ein paar Strähnen drüber gekämmt zu verstecken versuchte. So ein Mädchen war sie nicht. Dieses Leben war ein Traum. Und der letzte Glockenschlag ihr Weckruf.

Mamis Apartment lag günstig zwischen der Schule und den vielen Einkaufsmöglichkeiten, die Mitakiharas Innenstadt zu bieten hatte. So sehr sie für ihre im Herzen, wie auch im wörtlichen Sinne entfernte Verwandtschaft kaum mehr als ein gutes Wort im Jahr aufwenden konnte, so sehr musste sie ihnen doch zugestehen, wie viel Mühe sie sich damit gaben, ihr nach besten Eigenbedürfnissen ein so angenehmes Leben zu verschaffen, wie es ihnen die prall gefüllte Geldbörse ermöglichte. Eine schöne, geräumige, zweistöckige Wohnung und das monatliche Einkommen von rund sechzigtausend Yen, das aus des Onkels großen Hafen Monnaie in den ihren einsegelte, bloß damit sie ihnen ja fern vom Leibe blieb. Eine Geste, die Mami gern entgegennahm. Sie hegte ebenso wenig Liebe für die ferne Verwandtschaft, wie diese es für sie tat. Ein monatlicher Anruf und sechs Sätze –

„Wie geht es dir?“

„Gut. Dir?“

„Auch gut.“

„Alles klar.“

„Gut, tschüss.“

„Tschüss.“ –

war alles, was zur Verbindung der zwei Seiten beitrug. Na ja, das und das Geld, wobei dieses schon wieder mehr einem Grenzwall ähnelte, der jeden Monat mit neuen Steinen aufgewartet wurde. Aber solange das geschah, konnte auch sichergegangen werden, dass die eine Seite sich noch auf dieser Welt wägte, während die andere sie dafür verteufelte. Wenn nicht offen, so doch im Stillen.

Als sie Zuhause angekommen war, zog sie die weißen Schuhe vor dem Eingang aus, stellte den Regenschirm in den Schirmständer und begab sich sogleich in den zweiten Stock. Dort wartete, auf einem gelben Sitzkissen aufrecht sitzend, ihr wohl einziger Freund.

„Willkommen zurück, Mami.“

„Hallo Kyubey. Na, hast du dich auch benommen, während ich weg war?“

„Selbstredend.“ Kyubey verfolgte Mamis Bewegungen wie ein Hund, der auf seine Leckereien wartete. Oder wie ein wachsames Tier, dass um eine ständige Bedrohung bangte. So genau wusste man das bei ihm nie.

Mami legte ihre Tasche auf dem Ecksofa, welches den Glastisch zur Hälfte umzäunte, ab und gesellte sich zu ihm. Mit der flachen Hand liebkoste sie sein Fell, was ihr ein vergnügliches Kichern entlockte. Sein kleiner Körper wog sich einträchtig mit dem Richtungswechsel ihrer Hand, wie es ein Grashalm im Winde tat. Man hätte wirklich meinen können, dass er sein Vergnügen aus dieser liebevollen Geste schöpfte.

Kyubey war Mami der beste – der einzige – Freund in dieser gefühlskalten Welt. Als er den Vertrag mit ihr geschlossen und sie zum Magical Girl gemacht hatte, war er ihr nur selten von der Seite gewichen. Die Schulzeit stellte für ihn daher das ideale, zuweilen auch einzige Zeitfenster bereit, in welchem er sich auf die Suche nach weiteren potenziellen Vertragspartnerinnen begab. Sicher gab es auch seine vielen vielen Klone, die er mühelos in der ganzen Stadt verteilen könnte. Doch das kleine Alien war sich sehr eigen, was die Benutzung seiner unzähligen Körper anging. Mehr als einer pro Stadt, war für ihn eine schändliche Vergeudung von Zeit und Energie, die er von der Lebenszeit des Universums abrechnen musste. Und er war schließlich auf diesen Planeten gekommen, um genau das Gegenteilige zu bewirken.

Was Mami anging, so wusste sie nichts von seinen Plänen, hinterfragte seine Existenz nicht und sah in ihm nicht mehr, als ein Wesen, dass die Menschheit vor der Bedrohung durch die Hexen zu retten versuchte. Dass er sich dafür unfeiner Mittel bediente und junge Mädchen mit dem Versprechen eines Wunsches zu einem Dasein als Hexenjägerinnen verdammte, das kümmerte sie nicht; beziehungsweise: nicht mehr. Getreu dem Prinzip, nachdem die Welt sich nun einmal drehte: Wenn du etwas gibst, so bekommst du als Gegenleistung auch etwas zurück. So hatte sie ihr Schicksal zu akzeptieren gelernt und die positive Seite an diesem Pakt gesehen. Sie lebte. Und das verdankte sie nur ihm.

Der Nachmittag war noch jung. Nach der Schule erledigte Mami eigentlich immer ihre Hausaufgaben, machte sich ihr Essen, unterhielt sich mit Kyubey bis zur Abenddämmerung und verließ alsbald darauf das Apartment, um auf Hexenjagd zu gehen. Doch der gewohnte Alltag machte einer gezwungenen Veränderung platz. Seit kurzem mehrte sich das eigentümliche Phänomen, dass sich die aufgenommene Spur einer Hexe nach einer bestimmten Zeit der Verfolgung plötzlich verlor. Der Soul Gem, ein ideales Instrument zum aufspüren und ausfindig machen der üblen Kreaturen, erlosch so plötzlich wie er aufleuchtete, wenn sich eine Hexe bemerkbar machte. Wäre der Soul Gem ein irdisches Instrument, so würde sie den Fehler wohl in der Technik suchen. Aber Kyubey beteuerte seine einwandfreie Funktionalität unter allen irdischen Gegebenheiten. Und es war unmöglich, dass sich eine Hexe so schnell auf so weite Distanz entfernen konnte, dass es dem Soul Gem nicht möglich war, die Spur weiter zu verfolgen, er sie also verlor. Nicht alle zumindest. Das Verlöschen der Fährten konnte demnach nur noch eine logische Schlussfolgerung nach sich ziehen. Jemand anderes musste wie besessen auf Grief Seeds aus sein. Das war nicht gut für sie. Der Soul Gem nahm allmählich eine trübe Farbe an und würde das Licht noch weiter aus seiner schönen Form bleichen, würde sich auch ihre Lebenskraft dem Ende neigen. Sie musste sich dringend einen Grief Seed ergattern. Andernfalls wäre es das Lebenslicht in ihren Augen, dass sich verflüchtigen würde.

Sie stand also auf und anstatt zum Herd, ging sie in ihr Schlafzimmer, wo sie sich neu umkleidete. Sie streifte sich einen olivgrünen Rock über, der sich angenehm zu einem Paar langer blauvioletter Seidenstrümpfe gesellte. Für den Oberkörper brauchte es zu dieser Jahreszeit – der nämliche Frühling – nicht mehr, als ein weißes langärmliges Hemd, dem golden glänzende Knöpfe von der Brust bis zum Rocke schmückten. Der weite Kragen versteckte den braun-gummierten Hosenbund, der sich über beide Schultern erstreckte. Über die Füße zog sie ein feines Paar weiße Lederstiefel, die ihr bis knapp unter die Kniescheibe langten. Schlussendlich warf sie sich die kleine weiße Handtasche über die Schulter, welche von einem dünnen Lederriemen getragen wurde.

„Du gehst?“, fragte Kyubey, als sie fertig umgezogen aus dem Zimmer kam.

„Ja. Ich muss dringend auf Hexenjagd gehen, bevor sich mein Soul Gem noch ganz vertrübt.“

„Und wieso bist du dann nicht sofort gegangen?“

„Ich will nicht unbedingt als Schulmädchen gekleidet am helllichten Tag eine Hexe jagen. Es könnte zu unangenehmen Fragen führen, sollte mich jemand aus meiner Klasse erkennen.“

„Aber sie würden dich auch so erkennen, gleich ob Schulkleidung oder private Tracht“, bemerkte Kyubey spitzfindig, wie eh und je.

„Ja, schon. Aber ich kann mich damit herausreden, dass ich auf dem weg zu einer Verabredung bin oder noch Einkäufe zu erledigen habe. Eben das, in welche Richtung mich der Soul Gem führt; ob nun in die Innenstadt oder weiter davon raus. Tue ich das in meiner Schuluniform, fragen sie sich, ob ich keine anderen Sachen zum anziehen habe. Und da sie wissen, dass ich alleine lebe, würde ich nur ihr Mitleid erregen, wodurch sie mich vielleicht gar nicht mehr in Ruhe lassen. Und vergeudete Zeit kann ich mir überhaupt nicht leisten, wie du weißt.“

„Ohne, dass ich dir deine Zeit stehlen will“, wand Kyubey ein, „aber was ist, wenn du einfach sagst, dass du dich gerne in deiner Schuluniform gekleidet, auf die Straße begibst?“

„Dann zerreißen sie sich im Stillen das Maul über mich, weil sie aus dieser Antwort entnehmen, dass ich mich dafür schäme, arm zu sein. Ganz egal ob sie überhaupt wissen, dass es nicht so ist. Und ich wüsste nicht, ob ich das ertragen könnte.“

Diese Antwort legte Kyubey nachdenklich den Kopf zur Seite. „Ich gebe zu es fällt mir schwer, diese Sorgen nachzuvollziehen. Aber ich verstehe was du meinst. Viel Glück bei der Jagd, Mami.“

„Danke Kyubey. Und benimm dich, während ich weg bin“, sagte sie mit einem verschmitzten Grinsen, ehe sie durch die Tür verschwand; und Kyubey zurückließ.

Das mehrstöckige Apartment durch die Treppe zur Straße verlassen. Sie ging ihre gewöhnliche Route, die sie auf etwa zwanzig-minütiger gerade Strecke an eine Brücke vorbeiführen würde. Von dort aus käme sie ins Industrieviertel. Aber das war gar nicht Mamis Ziel. Zumindest nicht zuerst. Sie wollte die üblichen Orte abklappern. Welche, die berüchtigt für ihre Selbstmordrate waren. Da war zum einen ein verlassenes Bürogebäude im äußeren Kern des Zentrums – es sollte bald abgerissen werden, ein leerstehendes Lagerhaus nahe am Fluss, sowie weitere, über die Stadtkarte verteilte und von Menschen wegen gräuelicher Geschichten gemiedene Plätze. Ideal, um eine Suche nach einer Hexe zu beginnen.

Und wie sie das tat, die Straße entlang und mit gedankenverlorenem Blicke zum aufgeklarten Himmel stierend, verarbeitete sie das noch jüngste Phänomen wie ein Schreiber die Übersetzung einer fremden Sprache in die seine. Sie war gerade von der Schule zurück. Der Schlüssel war noch nicht einmal vollständig ins Schloss der Apartmenttür eingedrungen, da machte schon der Soul Gem auf sich aufmerksam. Eine Hexe war in der unmittelbaren Nähe erschienen. Die pflichtbewusste Mami packte selbstverständlich die Gelegenheit beim Schopfe, lag doch der letzte, in ihrem Besitz befindliche Grief Seed schon mehrere Tage zurück. Sie setzte die Schultasche im Hausflur ab und nahm direkt darauf die Spur der Hexe auf. Diese lenkte sie ins Einkaufszentrum, das namentliche Mitaki-Arcade, von wo aus die Spur jedoch, wie jede anderen seit den letzten Tagen, einfach verschwand; als hätte es die Hexe nie gegeben.

Mami, die die Welt nicht mehr verstand. Kyubey, der um das Wissen über dieses vermeidliche Mysterium keinen Hehl machte und dann wieder Mami, die nicht wusste, dass Kyubey etwas wusste. Auf ihre Frage hin, ob er denn eine Ahnung hätte, was es mit dem Verschwinden der Hexen auf sich hatte, meinte Kyubey nur: „Es könnte mit einem anderen Magical Girl zu tun haben.“ Er war ihrer Frage bewusst aus dem Weg gegangen. Das kleine Wesen, das nie die Unwahrheit sprach. Und trotzdem ließen die doch recht eindeutigen Fragen zu vielen Gelegenheiten erfolgreiche Umwege um des Kerns der Ehrlichkeit zu. Gab es eine sichere Möglichkeit auszuschließen, dass beispielsweise nicht nur Shiro und Homura die Jagd auf die Grief Seeds anführten – und Kyubey war nicht zu jeder Gelegenheit bei ihnen, also gab es die –, so war es ihm gestattet, seine Antwort allgemeiner zu formulieren, selbst wenn er es vermutlich besser wusste.

Mami, die also nichts über ihren Freund im weißen Pelz wusste, andersrum jedoch dachte, sie hätte eine grobe Ahnung davon, wie er denn ticken würde, war in diesem Spiel demnach auf verlorenem Posten. Indem sie nämlich seine konsistenzarmen Aussagen als wahrheitsgetreue Worte aufnahm, galt ihr oberstes Anliegen natürlich der Identität ihrer neuen Konkurrentin; gleich nach dem Einsammeln dieses Grief Seeds, den sie so dringend benötigte.

Und sprach man vom Teufel – der Soul Gem beschleunigte das Tempo im Aufhellen und Abklingen des Lichtes. Gleichwohl nahm die Intensität des goldenen Schimmers zu, welcher seine glasige Eierschale umgab. Mami war von einer der Querstraßen zum Fluss gelangt. Auf der anderen Seite des dreißig Meter breiten Kanals erstreckte sich das rustikale Bild des industriellen Parts der Stadt. Und die Spur schien sie genau dorthin zu führen.

„Ein recht ungewöhnlicher Ort für eine Hexe“, sinnierte Mami. „Aber was dieser Tage als ungewöhnlich galt, ist zur Normalität geworden.“

Sie suchte entlang des Flusses einen Überweg, den sie nur zweihundert Meter weiter in Form einer Brücke vorfand. Dieselbe Brücke, die Shiro noch wenige Minuten zuvor überquert hatte, um genau derselben Hexe ihrer Beute zu berauben und ihr Dasein als Fluch der Welt zu endigen. Mami überquerte die Brücke und gemahnte sich zur Vorsicht. Jeder Schritt war sorgfältig gesetzt, um sich geräuschlos und schnell zwischen die Fabrikhäuser hindurch zu bewegen. Als ein erfahrenes Magical Girl war ihr diese Art des Vorgehens bei der Jagd in Fleisch und Blut übergegangen. Sie tat es schon mehr instinktiv, denn bewusst; gleichwohl dass ihr rasch die Abwesenheit der Mitarbeiter des Geländes auffiel. Ihr Fehlen erschien ihr zwar verdächtig, aber nicht hinderlich. Sogar im Gegenteil, je weniger Menschen in der näheren Umgebung, desto ungestörter konnte sie ihre Arbeit verrichten und sich frei und ungezwungen umherbewegen. Was sie zwar nicht tat, aber könnte. Als Magical Girl musste sie eben stets damit rechnen, irgendwo auf einen unbeteiligten Passanten oder Mitarbeiter, je nach Ort und Zeit, zu treffen. Und ihrer Erfahrung nach waren Menschen nie weit von der Aura bösartiger Wesen, die die Welt wie die Tumore den Körper befielen, entfernt. Letzten Endes war es die Vorsicht allein, die ein Magical Girl vor einem schlimmen Tod bewahrte.

Sie folgte weiterhin der Spur und erreichte das Gebäude, in dem die Hexe sich niedergelassen hatte.

„Da drin also.“

Mami lehnte, bevor sie den Entschluss zum Eintreten fasste, lieber erst einmal der Sicherheit folgend gegen die Außenmauer des riesigen Gebäudes und lugte hinein. Keine Menschen, weder im gleißenden Lichte der Dachfenster, noch im umliegenden Schatten. Nur das, von Runen verzierte Tor der Hexe; der Eingang in ihre Welt. Sie hielt ihren Soul Gem bereit und wollte gerade zum Portal stürmen, als sie den dahinterliegenden Körper erspähte. Der Impuls, sofort in die Deckung zurückzufallen, verflüchtigte sich direkt nach dem zweiten Mal hinschauen. Ein regungsloser, am Boden liegender Mensch – erst der dritte Blick verriet ihr, dass es eine Frau war – neben dem Portal einer Hexe, bedeutete meist nichts Gutes.

Sie eilte an dem Tor vorbei und auf die regungslose Frau zu, kniete sich hin und vergewisserte sich gleich ihres vitalen Zustandes. Zwei Fingerspitzen ruhten auf dem Hals der Bewusstlosen. Mami übte einen leichten Druck auf diesen aus und … ja, sie fühlte einen Puls. Und dieser war nicht einmal schwach, wie man es bei Menschen vermuten würde, denen man langsam doch stetig die Lebenskraft aussaugte. Die Frau lebte noch.

„Aber wieso?“ Mami legte nachdenklich Daumen und Zeigefinger über das Kinn. Ihr scharfer Blick musterte das Hexenopfer. Es war ihr unvorstellbar, dass sich ein lebender Mensch bewusstlos neben dem Eingang zum Reich einer Hexe befand. Normalerweise verschwanden die Opfer in der anderen Welt und somit aus dieser. Das es hier lag, ohnmächtig und lebend, konnte nur einen logischen Schluss nach sich ziehen.

Mami richtete sich langsam auf, den Soul Gem zwischen Zeige- und Mittelfinger haltend und wandte sich dem Tor zu. Diesen hob sie auf Augenhöhe, woraufhin er, auf ein telepathisches Kommando reagierend, golden aufzuleuchten begann. Was hierauf passierte, war das typische Phänomen einer etappierten Verwandlung, die jedes Magical Girl hinter sich brachte, ehe sie sich in den Kampf stürzte:

Der olivgrüne Rock wurde golden wie die Sonne und das langärmlige Hemd wich einen weißen ärmellosen mit einem hochgeschlossenen Kragen, um den sich eine grellgelbe Schleife wickelte. Vom Oberarm hinab bis zum Handgelenk formten sich aus dem Nichts zwei weiße Puffärmel. Um ihre schmale Taille wand sich ein dunkelbraunes Korsett, das von drei Schnallen zusammengehalten wurde und ihren ausgereiften Busen, in Kombination mit dem dünnen Hemd, stark hervorhob. Die nackten Beine, vorher von zwei violetten Strümpfen bedeckt, zierten nun bis zum Oberschenkel reichende lila-weiß gestreifte Kniestrümpfe, über die sich ein langes Paar Stiefel zog, die von der Spitze bis zur Ferse gelb und von da an hinauf bis zur Kniescheibe in einem matschigen Braun getönt waren. Zu guter Letzt bildete sich auf ihrem Kopf ein schwarzes Barett, an dem eine weiße Feder und der Soul Gem, in Form einer goldenen Blume haftete.

Mamis Outfit war, wie auch bei jedem anderen Magical Girl, einzigartig in seinem Design. Keine zwei Mädchen waren in derselben Kampfmontur unterwegs. Der magische Stoff sorgte für optimale Bewegungsfreiheit und Funktionalität im Kampf. Wie letzteres aussah, musste jede Hexenjägerin für sich selbst herausfinden.

Ohne weitere Zeit zu verlieren, sprang Mami durch das Portal und gelangte unweigerlich in die Welt der Hexe Mariane. Die Welt, wie sie vorher aus Shiros Sicht beschrieben, gab sich bis ins kleinste Detail auch vor Mamis Augen wieder. Der erdbraune Weg aus Kies und Sand, der sich von dem feinkörnigen Weiß des Bodens hervorhob. Die Korallen, Algen und Steine, die auf dem Grund eines azurblauen Meeres badeten. Das gebrochene Licht der Sonne, dass bis auf eben jenen Grund hinab schien. All diese Idylle einer magisch simulierten Wasserwelt; völlig unberührt vom bereits tobenden Kampf zwischen der Hexe und dem Hexer. Das war natürlich nicht verwunderlich, funktionierten Hexenreiche eben doch ganz anders, als es ein Haus mit vielen Zimmern tat. Hier trugen sich keine Geräusche von Raum zu Raum oder von Ebene zu Ebene. Die räumliche Distanz glich der zweier unterschiedlicher Dimensionen. Etwas, was die versierte Jägerin natürlich wusste. Was ihr jedoch neu, war die Beschaffenheit dieser künstlichen Welt, aus schwarzem Zauber geschaffen. Normalerweise war das Reich einer Hexe ein grob verzerrtes und im höchsten Maße abstraktes Gebilde, das aus einem Picasso hätte stammen können. Überall war die Ordnung der Anarchie verfallen, es tummelten sich die Leibeigenen ihrer Hoheit wie lästiges Gewürm über durch das ganze Labyrinth verteilt und der Weg war nicht so offenkundig und klar ersichtlich. Verständlich, sonst wäre es ja kein Labyrinth. Die Welt einer Hexe war von Chaos erfüllt. Ein obskures Abbild, das von Gräuel, Hass und Schmerz geschaffen und der verkrüppelten Seele ein Heim, eine Zuflucht, eine Festung bot. So dachte Mami zumindest immer. Diese Welt aber war frei von Anarchie und Chaos, einte finstere Hexenzauber mit der Schönheit der Tiefsee und wirkte nicht abschreckend, sondern einladend. Sie war das völlige Gegenteil allem, dem Mami als Magical Girl bislang begegnet war und stellte ihre bisherigen Erkenntnisse auf den Kopf. Die Frage war, verbarg sich hinter diesem friedlichen Erscheinungsbild eine Strategie? Setzte die Hexe mit der Schönheit einer Unterwasserwelt auf die Vernachlässigung der Aufmerksamkeit ihres unerwünschten Gastes?Waren Hexen überhaupt zu strategischem Handeln fähig? So oder so, Mami war zu erfahren, als das sie außer Acht lassen würde, dass sie auf feindlichem Boden war. Hier hatte das Böse den Heimvorteil. Und sie würde es dem finsteren Wesen nicht noch einfacher machen, indem sie ihre Deckung sinken ließ.

Mami schritt unerschrockenen Mutes den gewundenen Weg entlang. Ihre Augen wanderten von einer Seite der Meereswand zur anderen, stets auf der Hut, für keinen Moment unachtsam. Die Gefahr konnte überall lauern. Aber die Minuten verstrichen, ohne dass etwas geschah und sie erlaubte es sich Gedanken über die fehlenden Familiare zu machen. Welche kuriose Hexe beheimatete in ihrer eigens für sich geschaffenen Welt die ebenso eigens für sich geschaffenen Diener, die ihre Angriffslust im Zaum hielten und einen Eindringling lieber näher an ihre Herrin herantreten ließen, statt ihn zu attackieren? Die Ironie an dieser ganzen Geschichte war, das Mami bereits die Familiare gesehen hatte, als sie das Gesicht der fernen Oberfläche zuwandte. Doch den Schwarm schwarzer Fische, der sich im gleißenden Sonnenlicht so willkürlich bewegte, als würde er einen zeremoniellen Tanz praktizieren, hatte sie nicht als einen Haufen Familiare vermutet. Viel mehr dachte sie, er würde seinen Beitrag zur Tiefseeatmosphäre dazu steuern. Mit dieser Vorstellung lag sie zwar nicht gänzlich falsch, aber eben auch nicht vollkommen richtig. Das diese Fische, die nicht mehr taten, als in einem dichten Reigen einfach vor sich hin zu schwimmen, die untätigen Familiare waren, darauf wäre sie nicht gekommen.

Ihre Füße trugen weiter und weiter, bis das Ziel erreicht und die Tür am Ende des Weges in Sicht war. Es war überraschend, wie einfach und unkompliziert der Marsch durch das magische Unterwasserparadies gewesen war. Selbst jetzt, so kurz vor dem Ziel, schien sie nichts aufhalten zu wollen. Die seltsamen Tage krönte wahrhaftig eine seltsame Hexe.

Mit beiden Händen stieß sie die sperrige Doppeltür auf. Sie durchfuhr denselben Tunnel aus Schwärze, wie es auch Shiro tat, bevor er in das Zentrum des ganzen weltlichen Komplexes vorgedrungen war. Das tiefblaue Meer verwässerte sich, zog sich zu einem Kernpunkt zusammen der von plötzlich aufkommender Finsternis verschlungen wurde und entlud sich auf dieselbe Weise zu einer neuen Umgebung.

Mamis Augen bot sich das von löchrigen Felsklippen umrundete Areal dar, in welchem der bereits entbrannte Kampf zwischen einem Monstrum mit Tentakeln – offenkundig die herrschende Hexe dieses Labyrinths – und einem Magical Girl stattfand. Die Schlussfolgerung, dass es sich bei der zweiten Gestalt um ein Mädchen handeln musste, balancierte zwar auf standhaften Säulen der Logik, beruhten aber gleichzeitig auf fehlende Informationen, die wiederum zur Missinterpretationen führten. Mami kannte nur die zwei Parteien der Magie, welche die Hexen mit ihren Flüchen und die Magical Girls mit ihrer Hoffnung darstellten. Eine zusätzliche Irreführung stellten der schwarze Zopf und die magere Statur dar, die sie fälschlicherweise für den zierlichen Körperbau eines gleichaltrigen Mädchens hielt.

Mami blieb, obwohl die Beschaffenheit der Umgebung sie als Fremdkörper eigentlich nicht begünstigte, von den beiden unbemerkt. Ihre Konzentration galt einzig und allein dem Kampf, der sich seinem scheinbaren Finale näherte. Die Hexe, die mit einer unglaublichen Gewandtheit, die man von Weichtieren so gar nicht kannte, zu einem scharfen Wendemanöver nach hinten ansetzte, steuerte mit dem breiten Ende ihres Körpers auf ihre Gegnerin zu. Diese wich mit einem Sprung in die Höhe aus.

Was macht sie denn da? Da sitzt sie doch wie auf dem Präsentierteller!

Und kaum, dass sie den Gedanken endigte, geschah es auch, dass sich die Hexe mit einem weiteren Manöver nach oben und dem Magical Girl hinterher begab.

„Oh nein!“

Mami verlor keine Zeit. Sie zupfte an einem der losen Enden ihrer gelben Schleife. Der Knoten löste sich, das Band wirbelte in einer spiralförmigen Drehung vor ihr her, ein kurzer Lichtblitz hüllte dieses in ein strahlendes Weiß und verblasste sogleich wieder. Anstelle des rotierenden Bändchen, hatte sich nun eine absurd große Waffe materialisiert. Ihr Aussehen glich einer Taschenpistole, wie man sie zu Zeiten des wilden Westens verwendete. Vom braunen Griff bis zum silbernen Hahn, maß sie in etwa Mamis Größe. Dem langen, von geschnörkelten Reliefen durchzogenen Lauf, mündete ein großes Loch, das einen immensen Auswurf an Feuerkraft versprach. Ausgerichtet war sie auch schon. Zwei metallische Streben, die direkt an den Lauf geschweißt und der Waffe als eine Stütze dienlich waren, schufen sich aus einem goldenen Licht und gruben sich in den sandigen Untergrund. Dies alles geschah in weniger als einer Sekunde.

Mami machte sie einsatzbereit. Mit einem festen Stand, der auf den schweren Rückstoß vorbereitete, hob sie den Arm in die Höhe, sprach die Befehlsformel:

„Tiro-Finale!“,

und schwenkte die Hand mit allen fünf Fingern gespreizt in Richtung der Hexe. Darauf schoss aus dem kopfgroßen Loch eine grelle, von einer goldenen Korona überzogenen Lichtkugel, dem ein lauter dumpfer Knall folgte. Wie erwartet, war der Rückstoß enorm und Mamis Füße gruben sich tiefer in den Sand, als sie zurückgestoßen wurde. Das Wasser, wenngleich es omnipräsent in dieser Welt war, verlangsamte den Angriff um keinen Deut. Mami beobachtete, wie die Kugel die Hexe erreichte, auf den Kontakt eine Sprengung erfolgte und alles in ein strahlendes Licht hüllte.

 

 

[RIGHT]Eine gewisse Zeit danach:[/RIGHT]

[RIGHT]Shiro[/RIGHT]

 

Die Dunkelheit entglitt dem ruhenden Geiste und die Nacht wart dem Licht des Tages gewichen.

Die bleiernen Lider erhoben sich mit träger Gleichgültigkeit. Die Müdigkeit machte den Schlaf attraktiv und beinahe unwiderstehlich. Doch ein süßer Duft, der seine Sinne wie der Hauch einer Göttin bezirzte, wollte ihn nicht wieder in das Reich der Träume einkehren lassen. Drum schlug er langsam seine Augen auf und was er erblickte, raubte ihm den Atem. Unter dem goldenen Schein einer untergehenden Sonne, malten sich die sanften Konturen des Lichtes über die weichen Züge eines engelsgleichen Gesichtes. Die schönen großen Augen, die weichen Lippen des kleinen Mundes, die von purpurnen Rot bestrichenen Wangen und die kleine Stupsnase. Alle Muskeln in Shiros Körper zogen sich zusammen, verkrampften. Keine Sekunde wollte er verschwenden und sich dieses Bild in all seinen Feinheiten und Details einprägen.

„Was für ein Glück, du bist wach.“

Der schmale Mund malte sich zu einem Lächeln. Ihr Kopf zog sich langsam und gemächlich von dem seinen zurück. Er hatte nun einen besseren Blick auf ihre ganze Gestalt. Es war ein ernüchterndes Ergebnis, als er ihre Kleidung bemerkte. Nichts exotisches oder freizügiges, was er nach seinem Befinden einem Engel oder einer Göttin beimessen würde.

„Oh man“,stöhnte Shiro, als er sich, den schmerzenden Gliedern zum Trotz, aufrichtete.

„Langsam, langsam“, ermahnte ihn das schöne Mädchen mit sanfter Strenge.

Shiro aber machte keine Anstalten, ihren Rat zu beherzigen. Lieber drehte er den Kopf in beide Richtungen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wo er sich gerade befand. In der Ferne erblickte er eine Sonne, die unter einem blutroten Himmel dem Horizont entgegensteuerte. Unter ihr die schattierten Bauten der großen Stadt, auf die er eine exzellente Sicht hatte. Seine Hände tasteten über eine leicht angeraute Oberfläche, wie man sie von dem Pflaster eines Gehwegs kannte. Als er das Gesicht seiner rechten Schulter zuwandte und seine Augen das schöne Mädchen erfassten, fing sie seinen Blick mit ihren Augen auf und legte den Kopf schräg, als würde sie etwas hinter den verwirrten Zügen etwas Seltsames vermuten. Von ihrem Kopf, wanderte sein Blick langsam hinab zu ihren Beinen. Sie saß in einer japanisch-typischen Art und Weise; hieß, auf den Knien hockend. Ihre Hände lagen gefaltet auf ihren Oberschenkeln. Auf ihnen, so vermutete er, hatte wohl vorhin auch sein Kopf gelegen.

Als nächstes versuchte er sich zu entsinnen, was passiert war. Doch das stellte sich schnell als eine Sackgasse heraus. Er wusste, dass er gegen eine Hexe gekämpft hatte und dann plötzlich in ein grelles Licht eingetaucht war. Und jetzt, kurz vor Anbruch der Nacht, war er wieder aus seinem komatösen Zustand erwacht und von einem hübschen Mädchen bewacht worden.

Das Mädchen …

„Sag, wer bist du?“

Das Mädchen erwiderte die Frage erst mit einem Lächeln, stand dann auf und reichte ihm freundschaftlich die Hand. „Ich heiße Mami. Mami Tomoe.“

Shiro beäugte die Hand kurz, als würde sie ihm etwas Unbekanntes hinhalten. Dann nahm er sie entgegen und sie half ihm sogleich auf.

„Und du bist?“

„Kei“, log er, ohne lange zu überlegen. „Kei Tsumoya.“

„Kei? Ein schöner Name.“

„Danke, ich reich es an meine Eltern weiter.“

Mami verkniff sich ein Lachen. „So“, sprach sie dann mit einem ernsteren Ton, doch demselben Lächeln weiter, „also Kyubey geht nicht nur Pakte mit Mädchen ein?“

Die Aussage verblüffte Shiro für einen kurzen Moment. Dann aber entsann er sich, dass sie kein gewöhnliches Mädchen sein konnte. Ein normales Mädchen würde einen bewusstlosen jungen Mann wohl kaum auf das Dach eines Gebäudes schleppen, das, wie er gerade bemerkte, für Menschen nicht einmal zugänglich war.

„Wie bezeichnet ihr euch?“

„Wie meinen?“

„Na ja, wenn wir Magical Girls sind, müsst ihr Jungs …“ Sie machte eine Handbewegung, die es ihr erlaubte, den Satz nicht zu beenden.

„Ach, so meinst du das. Wir nennen uns … Magical … Boys.“ Shiro verzog unmerklich das Gesicht bei dieser Aussage. Es klang selbst in seinen, an Lügen gewöhnten Ohren so unglaublich falsch.

Mami aber entlockte dies ein Schmunzeln und es schien, dass sie seinen Worten Glauben schenkte. „Verstehe. Du bist der erste, auf den ich treffe.“

„Es gibt auch nur wenige von uns.“

„Wie viele?“

„Keine Ahnung. Weniger als Magical Girls, auf jeden Fall.“

„Verstehe. Und wo dein Soul Gem?“

„Mein Soul Gem?“

„Ja. Besitzen Magical Boys etwa keinen?“

Für einen kurzen Augenblick war ihm völlig dieses wichtige Detail, das unabdingbar für seine Schwindelei war, entfallen. „Nein … haben wir nicht.“

Mami betrachtete ihn mit argwöhnischer Miene.

„Wir … haben das hier.“ Er fasste in seine Jackentasche und zauberte rasch einen kleinen metallischen Ring herbei, den er prompt hervorholte und ihn ihr präsentierte.

„Ein Ring?“

„Ja. Ein … Soul Ring.“

Die Gesichtszüge lockerten sich wieder und es schien, als wäre der letzte Funken an behutsamer Skepsis von ihr gewichen.

Noch bevor sie einen genaueren Blick auf den Ring erhaschen konnte, verstaute Shiro ihn schnell wieder in seine Tasche. Nicht, dass sie noch die Falschheit hinter ihm erkannte und ihn als gemeinen Lügner entlarvte.

„Erlaube mir jetzt eine Frage“, wechselte er rasch das Thema. Mami nickte hellhörig. „Du hast doch die Hexe vernichtet, richtig?“

„Ja.“

„Was ist dann aus dem Grief Seed geworden?“

In den Worten steckte etwas verdächtigendes, wie bei einem Polizisten, der den gefangenen Dieb nach der gestohlenen Beute ausfragte. Mami aber schien auf diese Frage vorbereitet, beugte sich zu der kleinen Handtasche auf dem Boden hinab – welche Shiro erst jetzt bemerkte, dass sie da war – und zückte aus ihr das schwarze Juwel hervor.

„Den hier?“, fragte sie rhetorisch und erhob sich wieder.

Shiros stierte ungläubig auf das kleine schwarze Ding, dass mit der langen dünnen Spitze aufrecht auf ihrer offenen Handfläche stand. Sie hatte es tatsächlich nicht verbraucht? Sie war das erste Magical Girl, dass sich nicht wie eine gierige Hyäne auf diesen kleinen magischen Lebensspender stürzte, ihn sogar freiwillig einem potenziellen Konkurrenten präsentierte. Und dann die Worte, die ihn beinahe völlig von den Beinen haute:

„Willst du ihn?“

„D-Du gibst ihn mir?“, fragte er, woraufhin sie nickte.

„Er hat genug Magie für uns beide. Ich habe mir meinen Teil schon genommen.“

Ach so, darauf ruht also ihre Großzügigkeit, dachte er, sich von dem Schock der freundlichen Geste wieder erholend. „Und was willst du im Gegenzug dafür?“

„Nichts“, antwortete Mami mit dem Lächeln einer herzensguten Frau. „Ich war ja schließlich diejenige, die ihr den Gnadenstoß versetzt hat. Eigentlich war es sogar falsch von mir, die Hälfte der Magie für mich zu beanspruchen. Leider aber war es notwendig, da mein Soul Gem beinahe völlig getrübt war. In dieser Stadt verschwinden neuerdings Hexen, sobald ich ihre Spur erfasst habe. Du weißt nicht zufällig etwas darüber?“

Kein Wunder, Homura und ich haben schließlich die letzten Tage beinahe pausenlos Jagd auf Hexen gemacht. Wenn ich ihr aber das sage, stellt sie noch mehr Fragen und wird am Ende noch in diese ganze Sache mit involviert. Das wäre äußerst unpraktisch. Aber sie wird mir auch wohl kaum abnehmen, dass ich mit den verschwundenen Hexen nicht zumindest teilweise etwas zu tun hätte. Bleibt mir also nur der graue Pfad zwischen beiden Entscheidungen.

Den innerlichen Monolog abgeschlossen, nickte Shiro zögerlich. „Ja, also was das betrifft, so führt das wohl auf mich zurück. Verzeih. Ich wusste nicht, dass diese Stadt schon das Revier eines Magical Girls war und eigentlich hätte ich auch kein Anrecht auf diesen Grief Seed. Ich komme aus einer kleinen Ortschaft, nicht weit von Kazamino. Und so eine große Stadt, die massig an Grief Seeds abwirft, war einfach zu verlockend. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“

Er verneigte demütig sein Haupt, wie es ein gebürtiger Japaner entweder zum Gruß, zum Abschied oder eben – wie in diesem Falle – dann tat, wenn ihm etwas aufrichtigen Herzens leidtat. Shiro, in dem Fall, tat sein Handeln weniger leid. Er spekulierte darauf, dass hinter dem großzügigen Wesen, welches Mami zu Tage getragen hatte, auch eine gütige und vergebende Seele stand. Und das Vertrauen in ihre Freundlichkeit sollte nicht unbelohnt bleiben. Mami überreichte ihn den Grief Seed.

„Ich danke dir.“

„Wie bereits gesagt“, entgegnete Mami, „es ist zur Hälfte auch deine Beute. Eigentlich sogar ganz. Ich sollte diejenige sein, die zu danken hat, dass du nicht erbost darüber bist, dass ich ihm die Hälfte seiner Magie entzogen habe. Ich halte nicht viel von Revieren und die Streitereien um Grief Seeds. Unsere Feinde sind schließlich die Hexen, nicht wahr?“

„Ähm, j-ja richtig.“ Shiros Gesicht lief heiß an und seine Wangen wurden mit einem Mal knallrot. Dieses schöne Mädchen und ihr reines Herz entzückten gar das seinige. Zu seinem Glück war Sekunden vorher die Dunkelheit der Nacht angebrochen, was die markante Röte ein wenig übertünchte. Er verstaute den Grief Seed in seiner Hosentasche, wandte sich um und verabschiedete sich, als Mamis Worte ihn jedoch inne hielten ließen.

„Wir könnten ja demnächst zusammen auf die Jagd gehen.“ Sie sprach den Vorschlag so, als wäre es völlig selbstverständlich, wenn zwei Konkurrenten sich zusammentäten.

„Ich …“

Fürchte das geht nicht!

Er zögerte, diesen Gedanken in Worte zu wandeln.

„Lass es mir durch den Kopf gehen.“

Verdammt!

Mami strahlte über das ganze Gesicht. Sie schlug beide Hände zusammen und sprach in einem Ausruf der Freude: „Wunderbar.“

Sie drehte sich um, beugte sich zu ihrer Tasche hinunter, deren Existenz Shiro erst jetzt realisierte, zückte Stift und Papier hervor, kritzelte etwas auf das leere Blatt und überreichte es ihm dann.

„Was ist das?“ Er nahm das kleine Zettelchen an und betrachtete die mit ehrlichem Unwissen die Buchstaben und Zahlen darauf.

„Meine Adresse. Ich gehe für gewöhnlich immer so kurz vor der Abenddämmerung auf die Jagd, also gegen neunzehn oder zwanzig Uhr. Falls du um diese Uhrzeit nicht beschäftigt bist, können wir zusammen auf Patrouille gehen.“

„Ah, verstehe. Alles klar.“ Er verstaute den Zettel in der anderen Tasche seiner Hose, verabschiedete sich und verschwand rasch, bevor ihr noch etwas einfiel, womit sie ihn festhalten konnte.

Sie, ihrerseits, sah ihm begeistert nach, als hätte er ihr bereits die Antwort, welche sie ersehnte, schon gegeben.

Shiro wiederum fand die ganze Situation überhaupt nicht mehr zum Lachen. Es fehlte ihm noch, dass sich zu seinen vielen unsteten Sorgen noch eine weitere hinzugesellte.

„Diese Frauen“, murrte er, als er von einem Dach zum nächsten sprang, „die bringen mich noch mal um.“

Kapitel 08: Eine Nacht voller Überraschungen


 

Contiguity Magica

Kapitel 08: Eine Nacht voller Überraschungen

[RIGHT] [/RIGHT]
 

Zeit, die wir uns nehmen,

ist Zeit, die uns etwas gibt.

-Ernst Ferstl

[RIGHT] [/RIGHT]

[RIGHT]Was unterdessen geschah:[/RIGHT]

[RIGHT]Im Krankenzimmer[/RIGHT]

 

Wollen wir die Uhr noch ein weiteres Mal zurückdrehen, den Abend zum Tage machen und den Schauplatz der Handlung zum letzten Male wechseln.

Denn zu dem Zeitpunkt, da die Sonne endlich die entleerten Wolkenschwaden durchbrochen hatte und Mitakihara wieder in einem lichten Schein des Frühlings badete, der junge Hexer noch ziellos durch das Gewirr aus Menschen irrte und jede der jungen, uns bekannten Damen sich ihr gestellten Aufgabe nachgegangen ist, fand ein Mädchen bislang in nur sehr knappen und ereignislosen Worten ihre Erwähnung. Unter der Lawine der gewichtigen Geschehnisse begraben und verschollen, aber nicht vergessen, wollen wir sie nun wohlbehalten bergen und wärmen und auch ihr ein wenig an Beachtung zukommen lassen. Denn schließlich und endlich hatte das arme Ding nichts für ihre jetzige Situation gekonnt. Und wenn das ihr gegebene Interesse geheuchelt ist, verdient sie es zumindest wohl, dass sie nicht nur in einer mitleidigen Erwähnung Dritter, ihre Rolle zu diesem Moment der Geschichte ausübt.

Der Tag war von einer zermürbenden Ruhe geprägt. Madoka hatte, weil die Matratze zu hart und das Bettzeug zu steif, die Umgebung zu ungewohnt und die Gedanken so unstetig blieben, in der verregneten Nacht den erholsamen Schlaf missen müssen. Letzterer Grund ließ sie im Geiste immer dieselbe Frage wiederholen: Was war passiert? Was hatte sich in diesem kurzen Zeitraum, welcher zwischen dem Moment der Verabschiedung Hitomis und dem des Erwachens auf dem kühlen Fußboden lag, nur so schlimmes ereignet? Warum wusste sie nicht einmal mehr, dass sie mit Sayaka den Musikladen betreten hatte und warum sie ihn so plötzlich und ohne scheinbaren Grund verließ? Es nagte an des Mädchens gequälten Verstand, dass sie auf diese Erinnerung keinen Zugriff hatte. Wie bei einem Computer, der ein Passwort für das Abrufen einer Datei verlangte, das von Vorneherein nicht von ihr festgelegt wurde. Und es grub die ernste Sorge, man könne sie für unzurechnungsfähig erklären, viele Furchen zwischen den Brauen.

Madoka richtete sich im Bette auf. Beide Hände führte sie zum Kopf, wobei die Finger wie das Gezweig der Baumwipfel in einer Winternacht zitterten. Dabei ertastete sie jenes einzige Überbleibsel dieses unvorstellbar großen Mysteriums. Das laute Prasseln des draußen vorherrschenden Regenfalls vermengte sich mit dem ungewissen Dunkel des Raumes, dem ein unverständliches Geflüster entkam. Vielleicht mochte es nur die Einbildung sein, vielleicht mochte sich doch etwas in dem Schwarz verbergen, dass sie scharf beobachtete und sie jeder Fröhlichkeit beraubte, welche dieses liebenswürdig Mädchen einst so fein schraffierte. Aber es brachte sie der Frage näher, die sie, ohne ihr Wissen, zu einer eigentlichen Krankheit pervertierte, dadurch, dass sie sich zu sehr sorgte:

War sie noch die Herrin ihrer eigenen Sinne?

 

Zur Mittagsstunde hatte es an ihrer Tür geklopft. Madoka war etwa vor einer halbe Stunde von ihrer mehrschichtigen Untersuchung wieder auf ihr Zimmer zurückgebracht worden. Nur eine halbe Stunde, die das melancholische Kopfdrama von einem blütenverregneten Frühlingstag unter klarem Himmel trennte. Die Tür wurde langsam aufgestoßen; der freudige Anblick für Madoka trat ein.

„Guten Morgen, Madoka!“, grüßte Sayaka in einem Ton, der die kargen Wände des Raumes mit munteren Farben sprenkelte. Das aufgeweckte Gesicht hüllte das Zimmer selbst in ein helleres Licht, als das der Sonne, die durch das Fenster schien.

Gleich nach ihr trat Hitomi ein, die gleich die Tür hinter sich schloss.

„Wir haben doch schon Mittag, Sayaka-san“, sagte Hitomi mit einem zierlichen Lächeln auf den Wangen.

Beide traten sie an das Krankenbett heran. Madoka richtete sich sogleich auf, legte beide Hände auf den Schoß und musterte die beiden mit einem Strahlen in den Augen, als hätte sie ihre zwei liebsten Freundinnen seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.

„Wie geht es dir, Madoka-san?“

„Viel besser, jetzt wo ihr hier seid, Hitomi. Es macht mich wirklich glücklich, dass ihr mich besuchen kommt.“

Madoka strahlte über das ganze Gesicht.

„Ist doch selbstredend“, sagte Sayaka. Mit den Händen in ihre Hüften gestemmt, das Kinn stolz erhoben und die Brust gerade heraus gestreckt, stand sie da wie eine strahlende Heldin, die ein goldener Schein ausleuchtete.

Hitomi blieb dagegen mehr ihrer natürlichen Körperhaltung treu, schnappte sich einen der zwei freien Stühle und gesellte sich zu Madoka ans Bett. „Und dir fehlt auch wirklich nichts weiter?“, fragte sie, einer besorgten Schwester gleich.

Madoka machte eine verneinende Kopfbewegung.

„Und die Untersuchung? Hast du die schon hinter dir?“

„Ja.“

„Haben sie schon gesagt, wann du die Ergebnisse bekommst?“

Madoka legte legte den Zeigefinger aufs Kinn und zog eine nachdenkliche Schnute. „Der Arzt meinte, die Auswertung würde etwa einen halben, bis einen ganzen Tag in Anspruch nehmen. Ich würde das Ergebnis erst frühstens heute Abend mitgeteilt bekommen, spätestens aber morgen früh.“

„Also im Prinzip das, was er schon gestern prophezeit hat“, meinte Sayaka.

„Ja.“

„Was hast du, Madoka-san?“

Hitomi war dieser kurze doch eindeutige Ansatz von Kummer nicht entgangen, welcher Madokas niedliches Gesicht schon einige Stunden zuvor so verzerrt hatte. Und obgleich Madoka sich die größte Mühe damit gab, sich nicht in die Auffälligkeit ihres, von Sorgen geplagten Verstandes zu verirren, so brachte es dieses arme Mädchen doch nicht zustande, den verruchten Gedanken ein Gesicht zu verweigern. Gedanken, mit denen sie sich schon seit Beginn dieses Tages malträtierte. Dem Mädchen war gar fürchterlich nach weinen zumute. Doch sie wollte stark bleiben, eine falsche Maske aufsetzen, ihre Freundinnen nicht mit diesen persönlichen Problemen zu belasten, ihnen nicht das Lächeln verwehren, wie es dieser vermeidliche Schicksalsschlag mit Madoka getan hat. Denn war man nur nahe genug an dem Quell der Qualen, war jeder Mensch eine Geisel seiner Essenz und fühlte das Pflichtgefühl an seiner Ethik zerren, gefälligst mit zu trauern. Das wollte Madoka Hitomi und Sayaka nicht aufbürden. Gleichzeitig war es für so ein ehrliches Kind schwer, ein trügerisches Bild vor das eigene Antlitz zu errichten, gleich dem Grunde, dass es dem eigenen Schutz oder dem der ihr naheliegenden Menschen dient.

Diese Verzweiflung, kaum das sie länger als vier Sekunden währte, verleitete Sayaka zu einem Handeln, welches ganz und gar typisch für sie war. Sie gesellte sich zu Madoka aufs Bett – mehr dass sie am Rande der Matratze platz nahm –, ergriff die, von Schwermut ins Zittern gebrachte Hände und kam ihrem Gesicht unbeschreiblich nahe. Zwei Welten, eine von Zuversicht und Leben, die andere von Trübsinn und Verzagtheit bevölkert. „Bleib ganz ruhig und mach dir keine Gedanken darum, was kommen wird oder was sein könnte. Du bist ein kerngesundes Mädchen und ich bin mir sicher, dass sie nichts negatives feststellen werden.“

„Denkst du das wirklich?“

„Na, ich würde es nicht sagen, wenn ich nicht selbst daran glauben würde.“

Und so wie sie es sagte, glaubte Madoka ihr auch. Denn es brauchte für sie nicht viel mehr als diese Worte, gesprochen von ihrer besten Freundin, um die, von ernsten Gedanken durchzogenen Furchen wieder verschwinden zu lassen.

Als Hitomi dieses einträchtige Verhältnis der beiden von ihrem Platz aus beobachtete und ihre gelähmte Zunge stumme Äußerungen tätigte, die aus gemeinen Vorurteilen gegen das gleichgeschlechtliche Begier bestanden und für diese Zeit der Welt, auf einen sehr spröden Familienstammbaum zurückschließen ließ, welcher seine Wurzeln noch bis tief ins Mittelalter grub, blieb sie doch schweigsam ihren Freundinnen gegenüber. Es war ihr zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine reine Vermutung, die sie händeringend abzutun versuchte, sich aber später noch zu einem Laubfeuer in einem dicht bewachsenen Wald entwickeln würde. Und diese züngelnden Flammen würden das Laub abgrasen, das Holz verkohlen den Boden sängen und am Ende ein Aschefeld hinter sich lassen.

Aber bis zu diesem Tag, sollte erst einmal der Abend des heutigen als Vorreiter für das selige Bündnis der drei Mädchen dienen. Madoka lachte über Sayakas plumpen Witze und Hitomi wartete gelegentlich mit noch plumperen auf; welche, die man einem Mädchen ihrer Zunft kaum zugetraut hätte. Und bis zum Erhalt des lang garenden Ergebnisses, vor dem Madoka sich winselnd und duckend, wie vor einem Blitzschlag unter die Decke verkroch, sollte sie kaum mehr einen Moment erhalten, um glücklich und unbeschwert zu sein …

wie es ein Kind eigentlich immer sein sollte.

 

[RIGHT]Bis zum Abend:[/RIGHT]

[RIGHT]Shiro[/RIGHT]

 

Wie ein junger Spatz, der nach jedem Flügelschlag die Sicherheit eines stabilen Astes aufsuchte, so war auch Shiro von einem Dach zum anderen unterwegs. Im Dickicht des schwarzen Himmels, fernab der unter ihm des vorherrschenden Lichtmeeres aus Laternen, Autoscheinwerfern und der Belichtung in den Zimmer der Häuser, musste er sich nicht darum sorgen, von Passanten entdeckt zu werden. Was ihn aber nicht davor bewahrte, dass sich seine Gedanken nicht um das neugewonnene Problem drehten. Das Lichterspiel unter ihm verwuchs zu einem einzigen diffusen Bild, jenes wie ein Schiff bei hohen Wellengang kippte. Zeitgleich machten seine Glieder Anstalten, seinem Willen ungehorsam zu werden. Die Beine bogen sich nach jedem weiteren Sprung. Das Gefühl, sie könnten jeden Moment wie Holz zerbersten, zwangen ihn auf einem der flachen Dächer halt zu machen, um zu verschnaufen. Dabei nutzte er die Gelegenheit, sich noch einmal alles Wichtige durch den Kopf gehen zu lassen. Denn nachher würde er nicht mehr die Zeit haben, sich eine eigene Wahrheit zu erschwindeln.

„Gut, um die Sache noch einmal bis hierhin durchzugehen, damit ich mich auch ja nicht verplappere: Homura weiß nichts von dem wahren Existenzgrund der Hexer. Was gut ist, denn andernfalls würde sie mich mit ihren Kugeln torpedieren. Was habe ich ihr noch verheimlicht? – Ach ja! Ich gebäre Hexen. Ha, na das darf ich auf keinen Fall loswerden.“

Die Stimmung des jungen Mannes war, angesichts der momentanen Situation, eine entspannte, gar heitere. Die Ermüdungserscheinungen und die etwas verfahrene Lage, an die das neue Magical Girl nicht ganz unschuldig, aber nicht hauptschuldig war, ließ er sich, als hätte er in den vielen Jahren seines Lebens eine Routine für sein schelmisches Lächeln entwickelt, nicht anmerken. Stattdessen schüttelte er schwungvoll die Beine aus, um sich wieder eines Gefühl des munteren Lebens in ihnen zu erwirken und setzte unterdessen sein doch ernstes Denken fort. Natürlich verpackte er auch hier jeden Gedanken in einen Monolog. Denn hier, wo ihn weder ein Mensch hören, noch erreichen konnte, fühlte er sich ungestört und laut denken fiel ihm offenkundig leichter, als in sich versunken zu sinnieren.

„Soweit das. Das sollte nicht im Einklang mit dem Problem stehen, welches gerade die verfahrene Situation zu verantworten hat. Zum einen habe ich Homura erklärt, dass es einem Hexer unmöglich wäre, eine Hexe ausfindig zu machen, geschweige denn ihr Reich ohne ihr Wohlwollen zu betreten. Da hab ich vielleicht wieder schneller geredet, als gedacht, sollte mich aber keine Mühen kosten, es zu erklären. Die Wahrheit lässt sich schließlich immer leichter sprechen, auch wenn sie nicht für jeden gut zu wissen ist. Von der Suche nach dem einen Mädchen – Herr und Himmel, jetzt ist mir doch ihr Name entfallen – über die Vernichtung der Hexe, brauche ich keinen Teppich aus Lügenmustern legen, um das wahre Ereignis unsichtbar zu halten.“

Er seufzte.

„Wie allerdings erkläre ich nun dieses andere Mädchen – Teufel, wieso entfallen mir gerade die ganzen Namen? Ah, Mami Tomoe, richtig! Sie hat ungefragt den Grief Seed mit der Trübe ihres Soul Gems geladen. Ihre Worte darauf ,Er hat genug Magie für uns beideʻ, lässt den Schluss zu, dass ein Magical Girl weiß, wie viel ein Grief Seed an Verfänglichkeit aufnehmen kann. Folglich wird Homura in der Lage sein zu wissen, dass dieses schwarze Ei bereits zweckentfremdet wurde. Die Geheimhaltung des Aufeinandertreffens mit diesem Mädchen und mir lässt sich also nur unter einer unmöglichen Bedingung einrichten.“

Und er glitt mit der Hand in die Hosentasche, aus der er die Beute hervorholte.

„Ich muss den Grief Seed loswerden. Das wäre nicht schwer, schließlich brauche ich ihn nur zu zerdrücken. Allerdings“, warf er ein, „ich bin sehr geschwächt; sowohl durch die Hexengeburt, als auch durch den Kampf mit jener Fluchbringerin. Wenn ich nicht bald an Magie komme, so verende ich garantiert. Und wie ich Homura kennengelernt habe, will sie sicherlich wissen, warum ich so katastrophal zugerichtet bin. Und welche Antwort könnte ich ihr diesbezüglich geben, wenn ich das einzige Beweisstück beseitige? So Homura also wirklich in der Lage ist zu erkennen, ob der Grief Seed schon von einem geschwächten Soul Gem genährt wurde, bleibt mir keine andere Alternative, als von der Begegnung mit dieser Mami zu berichten. Es führt wohl wirklich nur das Glück an diese Unbequemlichkeit vorbei.“

Und mit einem letzten Seufzer glitt das todbringende Kleinod zurück in die Tasche. Obwohl seine Beine immer noch träge und leicht schmerzend, biss er die Zähne zusammen und setzte seinen Weg über die Dächer fort. Recht bald schon erhob sich aus der Ferne der kolossale Bau, welchen er als Ziel anstrebte. Weiter davor, auf einem der umliegenden Häuser nämlich, konnte er einen vom unteren Licht bestrahlten Schatten ausmachen, aus dem, als er sich diesem gut angenähert hatte, seine Partnerin Homura Akemi hervorging. So wie er sie verlassen, fand er sie auch wieder vor: Sitzend und das Gesicht dem Krankenhaus zugewandt.

Shiro landete auf dem ebenen Verbindungsstück des Daches, welches die vier abgeschrägten Seiten miteinander verband und prustete erschöpft durch die Nasenlöcher aus.

„Das hat aber ganz schön lange gedauert“, waren Homuras Begrüßungsworte. Und obwohl sie sich bereits eine Antwort zusammensetzen konnte, fragte sie ihn: „Hast du Sayaka Miki ausfindig machen können?“

„Immer wieder eine Freude, den fürsorglichen Ton in deiner Stimme zu hören“, erwiderte er schnippisch und stützte sich gleich auf seinen Beinen ab. So wie er da stand, schwer atmend, das Gesicht totenbleich und die Stirn perlglänzend, hätte man dem Trugschluss erliegen können, er wäre den halben Nachmittag, bis zur jetzigen Stunde, um sein Leben gerannt.

Homura, die durch das erschöpfte Seufzen misstrauisch ihre Blicke in seine Richtung lenkte, offenbarte für einen kurzen Moment der Verwunderung eine gefühlvolle Seite, welche Shiro bisher noch nicht an ihr betrachten durfte. Eilig sprang sie auf, hielt auf ihn zu und half ihm mit leichten Nachdruck dabei, sich zu setzen. Die Sorgenfalten verblassten so rasch wie Tinte im Wasser und an ihrer Stelle traten die altgewohnten Züge hervor, die sich mit dem reizlosen analysieren von Symptomen einer Ärztin mischten.

„Was ist denn mit dir passiert?“

„Hab mich mit ein paar Typen gekloppt. Ja, war ganz interessant, mal drei frechen Männern, die ungebührlich über Frauen herziehen, mal ordentlich die Zahnreihe um zehn Zentimeter nach innen zu verschieben. Und danach hab ich gejoggt.“

Schweigen.

„Glaubst du auch nur irgendetwas davon?“

„Nicht ein Wort.“

„Ja, das hätte mich auch gewundert. Na ja, bevor ich meine verbliebene Energie noch in weiteres, sinnentleertes Gebrabbel tilge, lass es mich dir einfach zeigen.“

Hierauf zog er den Grief Seed aus der Tasche und hielt ihn Homura hin. Sie streckte ihre Hand nach diesem aus, zögerte erst einen Moment, als würde sie einen Stromstoß erwarten und nahm ihn schließlich mit Daumen und Zeigefinger an. Auf das Kleinod mit Erstaunen, auf Shiro mit Verärgerung. Wo sie das, dem Fluche ausgetriebene Ei auf seine Echtheit kontrollierte, machte sie Shiro, wie auf einem Richterstuhl thronend, böse Augen.

„Ich weiß, was du denkst und du kannst dir den anklagenden Blick sparen. Ich hab´s niemandem entwendet. Und ganz sicher habe ich kein Magical Girl umgebracht, um das Ding an mich zu bringen, falls du gerade auch diese Möglichkeit in Betracht gezogen hast.“

Darauf gab sie keine Erwiderung.

„Oh Himmel, du hast gerade wirklich gedacht, ich hätte ein Mädchen für den Grief Seed kalt gemacht, oder?“

„War es denn nicht so?“

„Nein!“, widersprach er böse. „Das du das überhaupt von mir denkst, Teufel noch eins!“

„Gut. Dann erzähl mir doch mal, wo du ihn her hast.“

Und das tat er. Er berichtete in einer kurzen doch detaillierten Fassung, was sich alles während des Nachmittags ereignet hatte. Von der vermeidlichen Suche nach Sayaka, die er bei dem Anwesen der Shizukis startete, über das zufällig ausgewählte Opfer einer Hexe, bis zum Kampf mit eben jener, aus welchem er als Sieger mit der Beute hervorging.

„Eine nette Geschichte“, kommentierte Homura, die Arme vor der Brust verschränkt. „Allerdings, unglaubwürdig. Hattest du mir nicht erzählt, dass du eigenständig keine Hexen jagen kannst? Erzähl mir nicht, du wärst plötzlich doch in der Lage dazu.“

„Ehrlich“, erwiderte Shiro mit einer unschuldigen Miene, „ich bin ebenso überrascht, wie du misstrauisch bist. Es war das erste Mal, dass ich die unsichtbare Wand, die den Eingang zum Bannkreis umgibt, gebrochen und in das Reich einer Hexe ohne fremde Hilfe eindringen konnte.“

„So so, ohne fremde Hilfe.“ In Homuras Stimme ruhte der Argwohn.

Er nickte. Da er die Erwähnung Mami Tomoes bewusst und geplant nicht in seine Erzählung mit eingebunden, hatte er die Hoffnung, die nächste Frage würde Homura nicht über die Lippen wandern. Doch alleine der Blick, mit welchem sie das Hexenei in ihrer Hand betrachtete, ließ die Quelle dieses Wunschdenkens schnell versickern.

„Und wer hat dann den Grief Seed benutzt?“

„Was meinst du?“, erwiderte er mit meisterlich gespielten Unwissen.

„Er hat bereits Schmutz aufgesammelt. Das warst ja wohl nicht auch du, so zugerichtet, wie du bist.“

Ja, das habe ich mir gedacht. Er biss sich auf die Unterlippe. Den Magical Girls ist also wirklich die erstaunliche Fähigkeit zu eigen, einen bereits benutzten Grief Seed von einem unbenutzten zu unterscheiden. Da habe ich mich doch zu sehr wie ein blinder Optimist auf die Hoffnung gestützt. Diese Gedanken in seinem Kopf abgeschlossen, entgegnete er dann:

„Tja, dir kann man wohl nichts vormachen. Leider, so muss ich gestehen, habe ich auf der Jagd das Gefahrenrisiko, einem Magical Girl zu begegnen, welches mindestens ebenso sehr nach dem Grief Seed trachtet, wie ich, kläglich unterschätzt. Und du kannst es dir schon sicherlich denken, ich bin einem dieser Magical Girls begegnet.“

Über Homura legte sich der Schleier einer düsteren Vorahnung. „Wem?“

„Ihr Name ist, so sie mich nicht angelogen hat, Mami Tomoe. Ein ziemlich – hey, alles in Ordnung?“

Homura Akemi hatte ihm den Rücken zugewandt. Eine Böe stieg auf und das Mädchen entfaltete ihre schwarzen Flügel – so taufte Shiro ihr Haar, das sich des Nachts, wenn Licht und Schatten die von der unteren Mitte gespaltenen Enden, welche die einzigen Zeugen ihrer einst geflochtenen Zöpfe waren, beschienen und der Wind es wie Papier wellte.

„Mami Tomoe“, wisperte sie nachdenklich. Die Winkel des Mundes zogen die Lippen in einer gebogenen Form nach unten, während die Augen sich, wie von Missgunst beseelt, verengten. Dann wandte sie sich auf einem Absatz um. Ihr Haar schwang nachträglich hinterher, was ihr das überlegene Abbild einer Göttin verlieh. „Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein.“

Diese Aussage machten Shiro sprachlos vor Erstaunen. Er wusste nicht, wie diese Mahlzeit verdauen, hatte er doch mit einigem gerechnet. Von Vorwürfen, über eine Strafe, war er nahezu jedes mögliche und unmögliche Szenario im Geiste durchgegangen. Aber … dass Homura selbst in einer solchen Situation noch einen Vorteil versicherte, das hätte er sich nicht einmal im Ansatz vorzustellen gewagt.

„Verwirrt?“, fragte sie.

Er bestätigte mit einer Kopfbewegung. „In vielerlei Hinsicht. Deiner Reaktion entnehme ich, dass du sie gut kennst. Was mich zu folgender Frage führt: Warum hast du mir nicht gesagt, dass es neben dir noch ein anderes Magical Girl in dieser Stadt gibt? In diesem Fall wäre ich nämlich vorsichtiger bei der Jagd gewesen.“

„Ich bezweifle“, meinte Homura mit weiser Voraussicht, „dass der Verlauf deiner eigenmächtigen Handlung anders ausgegangen wäre. Es sei denn, du hättest in Anbetracht der neugewonnenen Erkenntnis darauf verzichtet, der Frau zu helfen; was vielleicht möglich gewesen wäre, denn ich weiß nicht, wie du so tickst und in wie weit deine Bereitschaft, anderen zu helfen, sich mit deinen eigenen Motiven überschneiden. Außerdem hatte ich nicht erwartet, dass du selbstständig auf Hexenjagd gehen würdest. Genug Gründe für diese Annahme, hast du selber hervorgebracht. Und zu guter Letzt war es auch mein Ziel, vermeidbaren Komplikationen zu entgehen.“

„,Vermeidbare Komplikationenʻ? Interessante Worte. Magst du mir einige belegbare Beispiele dafür geben, was für Komplikationen diese äußerst nützliche Information für unsere Sache hervorgebracht hätte?“

„Die da wären?“, verlangte Shiro aufgebracht zu erfahren.

Homura schien für einen kaum wahrnehmbaren Moment schrecklich frustriert. Dann legte sich ein neuer Anstrich über kalte, berechnende Fassade und sie antwortete: „Mami und ich pflegen eine komplizierte Vergangenheit, die sich von Monat zu Monat wiederholte. Je nach meinen Entscheidungen war sie mir etwa freundlich oder feindlich gesinnt. In dieser Zeitperiode wollte ich sie meiden, so gut es eben ging. Ich bin schließlich mit ihrem Jagdmuster vertraut, weiß wann sie wo welche Hexe jagen wird. Daraus habe ich uns einen effizienten und erfolgversprechenden Zeitplan aufgestellt. Wir haben uns die Hexen geschnappt, die ich kannte und von denen ich wusste, wo sie dann und wann zu finden sind. Gleichzeitig sind wir Mami immer erfolgreich aus dem Weg gegangen. Wenn Walpurgisnacht eingetroffen wäre, hätte es keine Zeit für Fragen oder Misstrauen gegeben. Wir hätten unsere Kräfte in friedlicher Eintracht einen und, nach Beseitigung der Bedrohung, jede wieder ihrer Wege gehen können.“

„Erfolgversprechend?“, fragte Shiro, der in ein hyänenartiges Gelächter ausgebrochen war. „Du misst deiner Kalkulationen für das Risiko gerade erstaunlich viel an positiver Resonanz bei, werte Akemi Homura. War das, was im Einkaufszentrum vorgefallen, etwa auch kalkuliert?“

Homura schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein. Mein Ziel galt Kyubey. Das eine Hexe auftauchen würde, hatte ich weder gewusst, noch erwartet.“

„Das ist echt gut.“ Er wischte sich mit seinem Finger über sein amüsiert tränendes Lid, wohl wissend, dass er sie auf diese Art nur ihren Zorn erregte. „Was hättest du getan, hätte sie uns gesehen? Wir, die wir über dem Leichnam Kyubeys laut gellend einen Grief Seed in der Hand hielten, während weiter daneben ein bewusstloses Mädchen wie Tod läge?“

Homura Akemi, die stets darauf achtete, Beherrscht und rational zu agieren, konnte auf diese Bemerkung beobachtet werden, wie sie damit kämpfte, ihre Fassung zu wahren. „Habe ich dich nicht dafür auf Madoka aufpassen lassen?“, erwiderte sie mit einer wahrnehmbaren Schärfe in der Stimme. „Damit eben gerade das nicht passiert? Was aber hast du getan? Sie aus den Augen gelassen. Wir konnten froh sein, das kein größerer Schaden aus dieser missgünstigen Lage entstanden war. Und was passiert heute, nur einen Tag später? Du hast schon wieder außerhalb deines Aufgabenbereiches agiert und du hast Mami Tomoe auf dich aufmerksam gemacht.“

Resigniertes Schweigen und ein schuldbewusstes aber der Reue fremdes Gesicht war zutage getreten. Der Stich der Wahrheit, welcher ihren Lippen zu seinem Leidwesen nur allzu oft entwich, füllten seine bleichen Wangen mit dem Rot der Scham und des Zorns. Denn Kritik war dem jungen Manne so lieb, wie ein Dorn im Finger oder ein Krampf in den Waden.

„Nun“, meinte sie, nach einem Moment andächtiger Stille, „wie ich aber bereits sagte, ist die Lage nicht völlig aussichtslos. Sie könnte uns vielleicht sogar von Nutzen sein.“

„Ach, tut sie das?“, erstaunte er erneut, obgleich dieser abermals optimistischen Aussage.

„Ja. Ausschlaggebend dafür, dass Madoka und Sayaka mit Kyubey einen Pakt eingingen, waren unter anderem Mamis einflussreiche und motivierende Worte. Sayaka trachtet danach eine Heldin der Gerechtigkeit zu werden und Madoka … sie …“ Homura senkte in einem schwachen Moment, da sie über dieses ihr so kostbare Mädchen nachdachte, ihr Haupt und es war ein zögerlicher Anflug von Bitterkeit und Trauer in ihren Zügen zu vernehmen. „Sie ist eine herzensgute Person. Sie will einfach nur helfen. Und … besonders sein.“

Eine Friedensträchtige, eine Heldin und eine herzliche Samariterin, mhm, dachte Shiro und spreizte die Mundwinkel zu einem weiteren schamlosen Grinsen, mit dem er sich an einem geschmacklosen Witz erfreute. Das magische Trio-Infertile.

Homura, der dieses, an eine Debilität erinnernde Freudenstrahlen nicht entging, zog die Augenbrauen zu einem verächtlichen Ausdruck zusammen. „Findest du das witzig?“

„Nein nein, ach wo denkst du hin“, wehrte Shiro ab und herrschte die eigenwilligen Winkel seines Mundes zu einer neutraleren Miene an. „Also, was dir vorschwebt, ist, dass ich Mami von den beiden fernhalte … während ich zeitgleich dasselbe mit Kyubey tue, verstehe ich das in soweit richtig?“

Homura bestätigte, er seufzte.

„Das wird schwer“, lachte er zweifelnd. „Ich bin mir nicht sicher ob das wirklich eine gute Idee ist. Wenn Goldglöckchen herausfindet, was ich wirklich bin, könnte das zu ernsthaften Problemen führen.“

„Ja, dieses Risiko lässt sich nicht ganz ausschließen“, gab Homura zurück. „Aber du kanntest um die Gefahr, als du dich entschlossen hattest, dich mit mir zu verbünden.“

„Sicherlich. Aber mir war nicht klar, dass ich, um Zahnarzt zu sein, erst einmal meinen Kopf in das Maul einer Löwin stecken müsste.“

„Eine sehr schön gewählte Metapher“, erwiderte Homura der Gefühlsregung eines Eisblocks. „Lass mich auf diesem Argument eine Gegenmetapher aufbauen. Denn warst du es nicht, der im Zuge seines Freigangs den Entschluss gefasst hatte, die Sicherheit des Geheges zu verlassen, um Jagd auf Freiwild zu machen, anstatt auf die Fütterung zu warten? Und nun findet sich der listige Fuchs in der Höhle dieser Löwin wieder, die ihm nun den Ausgang versperrt. Tja, der schlaue Fuchs hat nicht bedacht, dass auch andere Tiere über einen gewissen Intellekt verfügen.“

Über die glatte weiße Stirn legte sich eine Reihe grober, dunkler Vertiefungen. Es war bislang das erste Mal, dass Homura, die sowieso schon redegewandt war, auf seine Weise der Verständigung zurückgriff. Wahrscheinlich wusste sie, dass er nur auf diese Art Kritik an sich üben ließ, denn er wusste kein Gegenargument mehr vorzubringen. Keines zumindest, dass Bestand haben würde.

Sie verlegte eine Hand auf ihre Hüfte, ließ die andere an dem dünnen Arm wie ein Gewicht an einem Seil baumeln und besah ihn mit einem Ausdruck, der trockener nicht sein konnte.

„Ich sehe trotzdem nicht“, begann er dann von Neuem, „wieso ich sie von den Mädchen fernhalten soll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kyubey ihr von Madoka und Sayaka berichtet hat. Zumal ich beide nicht zur selben Zeit überwachen kann.“

„Das steht auch nicht zur Debatte, denn ich bin auch noch da. Aber wir können sehr wohl verhindern, dass die drei zufällig in Kontakt geraten. Wir gehen schließlich alle auf dieselbe Schule, was die Gefahr enorm macht. Sollten die beiden dann noch zufällig einer Hexe in die Arme laufen und Mami zufällig des Weges kommen, würde der Plan ins Wanken geraten.“

„Das sind mir doch zu viele Zufälle. Sei ehrlich, ist es nur reine Spekulation oder weißt du mehr, als du mir gerade verraten willst?“

Homura musste hierauf nichts erwidern. Wie einer Matrone, die ihr Leben dem Machtkampf gegen die hoheitlichen Würdenträger widmete, war auch Homura die besondere Gabe zu eigen, mit ihrer Körpergeste, den Zügen ihres schönen, glatten Gesichtes und dem tief dringenden Augenpaar, ganze Bände zu sprechen, die an Argumenten selten auf würdige Konkurrenz trafen. Letztere waren wohl nicht nur Schön wie der Nachthimmel, sondern auch respekteinflößend gleich der Gefahren hinter diesem bezaubernden Schleier. Dagegen waren Shiros helle braune Augen kaum mehr, als ein Erdhügel, eine Ansammlung von Schmutzpartikel. Sein Schwert mochten die Worte schärfen, doch ihre Waffe war die Erfahrung, zusammengetragen aus vorangegangenen Entwicklungen. Homura hatte gelernt, dass der Mensch sich – mehr, als vor allem anderen – vor dem Unbekannten fürchtete. Und sie hatte aufgehört ein Mensch zu sein. Was aber war sie dann?

„Ach verdammt“, seufzte er resigniert, „ich sehe schon, es macht keinen Sinn, dagegen weiter zu argumentieren, ganz gleich, was ich sage.“

Er stemmte eine Hand gegen das Bein, während er sich mit der anderen am Hinterkopf kratzte. Das er bei Mami nicht nur eine, sondern gleich zwei falsche Angaben gemacht, sich ihr als der Magical Boy Kei Tsumoya präsentiert hatte, wollte er seiner Partnerin nicht unbedingt erzählen. Er fürchtete, er würde nur ihr Misstrauen erregen, wenn er ihr dies eingestünde. Immerhin, er schätzte jetzt schon, dass sie von ihm als einen notorischen Lügner dachte. Er erhob sich, schwerfällig wie ein müder Bär, und sagte:

„Bevor ich mich aber jetzt als Doppelagent versuche, bitte ich dich, meinen Energievorrat aufzustocken.“

Diese Bitte nickte sie ab. Sie fasste in ihre Rocktasche, holte den Soul Gem hervor, hielt ihn Shiro hin und konzentrierte sich auf die Übertragung ihres Magieflusses auf den seinen. Es war für ein versiertes Magical Girl keine schwierige Aufgabe, mit dem kleinen magischen Artefakt Magie auf fremde Objekte oder von lebendem Gewebe überzogene Körper zu wirken. Doch je nachdem, was sie mit dieser Magie anzurichten gedachten, entleerte sich der Soul Gem seiner Brillianz und wurde zusehends trüber, bis sich erste schwarze Flecken zeigten, deren Ausbreitung, wie Tinte in einem Wasserglas ähnlich, voranschritt. Dies passierte auch so gerade, als Homura mit der Wiederherstellung von Shiros Lebensenergie endigte und erschöpft zusammensackte.

„Homura!“

Noch bevor ihre Knie die Ziegel des Daches berührten, stützte er sie und half ihr langsam runter.

„Das …“, sagte sie erschöpft, „kam unerwartet.“

Den Grief Seed, der sich noch immer in ihrer nun zittrigen Hand befand, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und führte ihn langsam an den Soul Gem heran, bis sich beide Kleinode sanft berührten. Die schwarze Perle saugte begierig nach der Finsternis im Inneren des Soul Gems, wie ein Baby an der Brust der Mutter. Der natürliche Drang schnell heranzuwachsen, war in jedem Lebewesen fest verankert. Und einem Grief Seed, der nicht mehr als ein gereinigtes Hexenei war, verlangte es unersättlich nach noch mehr Finsternis, um auf bald als neuer Fluch auf die Welt losgelassen zu werden.

Homura atmete noch einmal tief durch, erhob sich dann zusammen mit Shiro, dessen Fürsorge für sie wieder verschwunden war und betrachtete die schwarze Perle. „Den müssen wir schleunigst entsorgen, wenn wir nicht wollen, das sich der ganze Spuk mit der Hexe wiederholt.“

„Gebt ihn einfach mir“, hörten die beiden plötzlich eine ihnen sehr vertraute Stimme und blickten zur gleichen Zeit zu der Stelle, an welcher sie sie ausmachten. „Ein so gut genährter Grief Seed ist ein willkommenes Geschenk für die Erhaltung unseres Universums.“

„Inkubator“, sagte Homura, mit dem düsteren Versprechen eines grausamen Todes in ihrer Stimme.

„Das optimale Haustier“, sagte Shiro, dessen Laune mit der neugewonnenen Energie angestiegen war. „Er kann Kunststücke, er kann reden und er ist sofort zur Stelle, wenn´s Fresschen gibt.“

Er stierte in erwartungsvoller Hoffnung, ihre Mundwinkel würden sich zumindest in einem schmalen Grade hochwärts bewegen, zu Homura. Die aber betrachtete nur das schwarze Ei, das eine bedrohliche Aura auszustrahlen begonnen hatte und sich somit gezwungen sah, seiner Bitte zu folgen und warf sie es in seine Richtung. Eine zweisekündige akrobatische Einlage seitens Kyubey begann damit, dass er sich mit einem Satz in die Höhe beförderte und den Flug des Kleinods mit den Pfoten abfing. Darauf trat er diesen, als er eine Drehung nach hinten und zurück zum Boden vollzog, in einer geraden Bahn den Himmel entgegen, landete und sich der weiße Kern seiner roten eiförmigen Bemalung auf dem Rücken wie eine Rollklappe öffnete. Das Hexenei sank im Sturzflug auf ihn zu und verschwand in eben dieser Öffnung, die der Inhalt eines unbekannten Lagers wurde. Die Öffnung versiegelte sich und er kratzte sich mit der Hinterpfote übers Ohr, als sei dies eine unbedeutende, alltägliche Handlung gewesen.

Shiro aber war begeistert von dem, was er da sah und klatschte fasziniert in die Hände. „Hui, na das war doch mal ein aufwendiges aber cooles Kunststück. Machst du das immer, wenn´s Fresschen gibt? Ich möchte fast nur aus diesem Grund Grief Seeds sammeln.“

Auf diese Aussage folgte einer Erwiderung des Aliens, wie er es noch nie zuvor von ihm gesehen hatte. Kyubey legte sich mit dem Rücken längs über die Kacheln, wand den kleinen Körper einem Tier gleich, dass sich eines grausamen Juckreizes zu erwehren versuchte und behielt dasselbe unschuldige und doch nichtssagende Gesicht bei, welches ihm so eigen war.

Homura ballte die zwei Hände zu Fäusten. Ihre Nägel gruben sich in das dünne Fleisch der Handflächen. Zwar nicht fest genug, um die Haut zu durchbohren und die Lebensessenz aus dieser schmalen Öffnung raus zu quetschen, aber auch nicht Sanft genug, als das ihre Hände davon nicht zittern mochten. Kyubeys nämliche Sorglosigkeit gegenüber den beiden jungen Menschen, welche ihm auf drastische Weise zu verstehen gaben, dass es in ihrer Gegenwart nur eine bedingte Sicherheit für ihn gab, bedeutete in einer Sprache, die Homura selbst nur all zu gut sprach, dass er mit einem weiteren Anliegen zu ihnen gekommen war. Und gleich, dass ihr Gesicht von der Eiseskälte einer Tundra bestrichen, war es dem Hexer an ihrer Seite dennoch aufgefallen, dass sie im Inneren wie ein dampfender Kessel über eine prasselnden Feuer brodelte.

„Willst du mit der Frage nicht herausrücken?“, fragte sie dann schließlich in einem kalten, fast mechanischem Tone.

Hierauf beendete das Alien, was auch immer es da tat, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und lenkte die roten runden Augen auf das Magical Girl. „Erstaunlich“, sagte es. „Du weißt also, wofür ich unter anderem hier bin?“

„Du willst wissen, was unsere Beweggründe sind, dass wir dich daran hindern, mit Madoka Kaname und Sayaka Miki einen Pakt zu schließen.“

„Akemi Homura, du weißt wirklich zu faszinieren“, nickte er ihr anerkennend zu.

Nur, solange man die Hintergründe nicht kennt, dachte Shiro, ohne sich in das Gespräch der beiden einhaken zu wollen.

„Doch“, knüpfte Kyubey an die vorangegangenen Worte an, „du wirst es mir nicht sagen, oder?“

„Richtig, das werde ich nicht“, bestätigte Homura.

„Darf ich denn erfahren, wieso nicht?“

„Weil du es nicht verstehen wirst.“

Auf diese Antwort legte Kyubey unverständlich den Kopf zur Seite.

„Es würde sich deines rationalen Verständnisses entziehen. Etwas oder jemand wie du, der sich nicht einmal im Ansatz ein Bild zu machen vermag, was auch nur ein möglicher Grund für uns Menschen sein könnte, würde die komplexe Einfachheit der Antwort nur hinterfragen.“

„,Komplexe Einfachheitʻ“, gluckste Shiro. „Ein Oxymoron.“

Kyubey wiederum, der immer nach dem Rationalem und dem Logischen in diesem Universum strebte, schien sich bei dieser Antwort keinen festen Boden unter den weißen Pfoten zu erfühlen. Er trieb schwerelos und ohne klare Richtung in einem endlosen Raum, ohne sich jemals Gedanken über die Grenzen der Unendlichkeit an sich zu machen. Er würde niemals, obwohl doch bereits so weit gereist, zur Endlichkeit vorstoßen können. Warum sollte er auch, denn es gab sie nicht. Anders, als der Mensch, der niemals aufhören würde, die Grenzen der Unendlichkeit zu suchen. Der begrenzte Intellekt ließ den Glauben an den Anfang ohne Ende niemals zu. Und genau deshalb, so wusste Shiro, so wusste Homura, würde Kyubey niemals die Entität des Wesens des Menschen erfassen können, weshalb er niemals die Grenze des Grenzenlosen erreichen würde.

Genauso wenig wie zwei Geister sich trafen, wenn der eine seinen Frieden gefunden, und der andere, unfähig seine letzte Ruhe anzunehmen, ein Gefangener im Diesseits der Lebenden blieb.

Genauso wenig wie der Künstler, der mit viel Fantasie an sein Werk heranging, und der Geschäftsmann, der sich der sich ernst und nüchtern, dem ernst des Lebens und der Realität verschrieben hatte.

Genauso wenig wie das Alien, dass sich um das Wohl aller sorgte, und der Mensch, der es sich erlaubt, den Einen über alle anderen zu stellen.

„Mehr werde ich dir nicht sagen“, sagte Homura. „Nun verschwinde.“

Die verhassten Worte aufgenommen, nickte das Wesen Kyubey kurz und verflüchtigte sich. Still, langsam und ohne den Blick abzuwenden, verschwand er wie der Schatten in der Nacht.

„Und weg ist er“, bemerkte Shiro ernüchtert.

Homura wandte sich gleichgültig um und ließ sich wieder auf ihrem gewohnten Platz nieder. Neben ihr lag noch immer der Regenschirm, welchen Shiro ihr am verregneten Morgen vorbei gebracht hatte. Sie nahm ihn und reichte ihn dem Hexer hin.

„Sicher, dass du ihn nicht noch einmal brauchst? Vielleicht wird es noch einmal regnen.“

Homura schwieg. Ihre Augen waren auf das eine Fenster fixiert, in welchem gerade das Licht erstarb.

„Jetzt also Schweigen.“ Er nahm den Schirm seufzend entgegen und ließ ihn in eine der breiten Seitentaschen seiner Hose verschwinden. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass du sauer auf mich bist.“

„Bin ich nicht“, war ihre Antwort. „Aber ich bin auch nicht glücklich darüber, was du getan hast.“

„Ich pflichte dir bei. Ich hätte die arme Frau lieber ihrem Schicksal überlassen sollen.“

„Vielleicht …“

Shiro verengte skeptisch die Augen. „Das kannst du nicht ernst meinen.“

„Vielleicht … war es die richtige Entscheidung“, meinte Homura mit bitterlicher Miene. „Vielleicht lag ich ja falsch mit der Entscheidung, dir nichts von Mami zu erzählen. Ich weiß es nicht.“

Plötzlich sah sie auf. Ihre Augen funkelten, als wäre sie der Verzweiflung nicht mehr fern. Das genügte, um Shiro hellhörig und gefügig für das Folgende zu machen:

„Aber zum Wohle unser beider Ziele bitte ich dich, nicht noch einmal eigenmächtig zu handeln. Wir können uns weitere solcher Fehltritte nicht leisten. Dieses Mal war es Mami Tomoe, mit der es uns vielleicht gelingt, sie nicht in diese ganze Geschichte zu verstricken. Doch wer oder was wird es das nächste Mal sein? Wir können nicht die selbstlosen Retter sein, die wir so gerne wären. Wir sind beide nur Schachfiguren in einem grausamen Spiels, auf Leben und Tod. Und wir streben nach einem Ziel, dem wir uns vollkommen hingeben müssen.“

Er begriff, was sie ihm sagen wollte. Ein Gefäß aus honigsüßer Galle ergoss sich über ihn. „Unser Ziel bedeutet auch Opfer. Jene, die wir nicht retten können, wenn wir uns strikt an den Plan halten.“

„Ja.“ Homura nickte wie jemand, der seine eigene Idee verteufelte. „Madoka Kaname und Sayaka Miki sind die einzigen beiden, für die wir uns voll einsetzen müssen.“

„Ja …“ Über Shiros Züge legte sich der Ekel einer ganzen Menschheit.

Beide schwiegen sich an.

„Mann, Mann, Mann. Auf jedem Friedhof ist die Stimmung fröhlicher.“

Die beiden schraken auf und wandten sich der Richtung zu, aus der die Stimme kam. Dort, vor einem nachtblauen Hintergrund, dem einige schwarze Türme mit vielfarbigen Lichtern verdeckten, stand ein Mann, wenige Meter von ihnen entfernt. Er grinste schelmisch in ihre Richtung.

„Habe ich dich endlich gefunden, Vispas.“

Kapitel 09: Aufeinandertreffen


 

Contiguity Magica

Kapitel 09: Aufeinandertreffen

 

[RIGHT] [/RIGHT]

[RIGHT]Unterdessen:[/RIGHT]

[RIGHT]Mami Tomoe[/RIGHT]

 

Anders als Shiro, der sich über die Dächer fortbewegt hatte, war Mami lieber mit den Füßen nahe dem Boden. Sie genoss die Spaziergänge am Abend. Die Ruhe herrlich und angenehm, das bläuliche Licht der Laternen von den Straßen dem Nachthimmel schwach entgegen geworfen und die laue Frühlingsbrise, die ihr von Zeit zu Zeit ins Gesicht schlug, dankbar entgegengenommen. Unter der Kuppel aus frischer und wohl genehmer Atmosphäre, liebte Mami den Spaziergang durch die leeren Straßen Mitakiharas. Es erinnerte sie an die „Sternennacht“ Vincents van Goghs, nur ohne die geschnörkelte Linienführung, die für den Post-Impressionismus unabdinglich war. In vielen Nächten, wenn Mami diesen Weg entlang geschritten, der weitläufigen Lichterkette bis nach Hause gefolgt war, dachte sie über die Kunst nach; wie viel an Wirkung nur ein einziges Bild auf den Menschen haben konnte und wie viel Wirkung es auf sie hatte. Es war ein beruhigendes Gefühl, den dunklen Wolken, die die glatte Stirn mit weiten, bis zur Mitte des Gesichtes herabhängenden Schatten verdunkelten, stets mit einem positiven Gedanken entgegenzuwirken. Ein Künstler, der sich freiwillig in die Obhut einer Anstalt begeben und dennoch nie der Trostlosigkeit des kalten Gemäuers erlegen, sondern stets das Glück mit einem Blick aus dem Fenster gesucht und auch gefunden hatte, verlieh ihr die Kraft, auch an ihrem Glück festzuhalten.

Das zumindest, waren die üblichen Gedanken. An einem üblichen Tag, zu üblicher Stunde. Heute aber konnte sie sich nicht dieser Üblichkeit hingeben. Dafür waren ihr zu viele andere Fragen durch den Kopf gegangen.

Mami war geschickt darin, ihre wahren Gedankengänge unter Verschluss zu halten. Schon einige Jahre lief sie mit diesem Lächeln herum, das sie mittlerweile wie ein zweites Gesicht trug. Verrückt, wo ihr Anfangs noch die Wangen von diesem falschen Strahlen schmerzten, war es nun die reine Gewohnheit, die sie zur Heiterkeit veranlasste. So hatte sie zumindest diesem „Magical Boy“ das blauäugige Dummchen vormachen können, für die er sie offenbar hielt. Sie war zu lange bereits als Magical Girl aktiv, um sich nicht einmal bei Kyubey zu erkundigen, ob es auch männliche Hexenjäger gab. Dies hatte er vehement verneint, was also die Frage in ihr auftat, wer oder was dieser Kei Tsumoya tatsächlich war. Der Grund, warum sie ihn so willentlich zu sich nach Hause eingeladen und ihm die Alles Glaubende vorgaukelte, war, das die zweifelhafte Möglichkeit bestand, das nicht etwa dieser Kei, sondern ihr langjähriger Freund Kyubey sie angelogen hatte. Immerhin, er war ein junger Mann, der die Kräfte eines Magical Girls besaß. Eine wahrscheinlich seltene Ausnahme, war er doch der Erste, der ihr begegnet war. Diesem Rätsel, wenn es nicht sogar ein Intrigenspiel war, musste sie auf den Grund gehen. Sie würde vorerst dieses kleine Spielchen mitspielen und durch scharfe Beobachtungen den wahren Lügner so entlarven und zur Rede stellen. Denn wer auch immer log, würde bestimmt nicht auf ihr Drängen von seiner Schwindelei abweichen. Sie konnte dieser nur mit Logik entgegenwirken. Und um zu wissen was logisch war, musste sie sich erst einmal durch das Gewirr aus Wahr und Falsch tasten.

 

„Ich bin wieder da“, rief Mami, während sie die Schuhe von ihren Füßen und die Tasche, die an dem weißen ledernen Gurt baumelte, von ihrer Schulter zog. Gleich darauf stellte sie das Schuhpaar ordentlich vor dem Eingangsbereich hin, zog die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel zweimal ganz herum, bis sich der Widerstand bemerkbar machte. Darauf wandte sie sich um und trat in das schön möblierte Zimmer, wo sie sich auch gleich nach Kyubey umblickte. Doch er war nicht da.

Nicht auf dem Stuhl, das vom Polster bedeckt, nicht auf dem Tisch, das vom Porzellan gedeckt, nicht auf der Treppe, die ins zweite Stock sie bringt und nicht im zweiten Stock selbst, wo sie sich am meisten nach ihm sinnt.

Kyubey war wohl wieder einmal ausgegangen. Ausgehen bedeutete in diesem Falle, dass er seiner Hauptaufgabe nachging, welche darin bestand, fortwährend nach Mädchen zu suchen, mit denen er einen Vertrag besiegeln könnte. Immerhin, um der steten Bedrohung durch die Hexen, die niemals weniger zu werden schienen, Herr zu werden, musste eine nicht unerhebliche Anzahl an Magical Girls vorhanden sein. Gleichwohl konnte er auch nicht alleine Mami betreuen, sondern musste sich um alle Mädchen gleichsam kümmern. Ihnen Vernunft einbläuen, wenn sie ihr Urteilsvermögen fehlleitete, ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, damit sie keine unklugen Entscheidungen trafen oder von unbeantworteten Fragen abgelenkt wurden. Im nicht seltenen Falle war er ihnen aber auch einfach nur die gute Gesellschaft, die ihnen in einsamen Stunden Trost und Unterhaltung spendete, damit sie sich nicht der Verzweiflung durch die Isolation von der Gesellschaft hingaben. Dies betrübte Mami zwar, schätzte sie doch das kleine Anderswesen wie einen wahren Freund, war aber auch im gleichen Maße froh über diese selbstlose Handlungsdevise. Immerhin, er hätte ebenso gut einen Vertrag mit den Mädchen aushandeln und sie dann einfach sich selbst überlassen können. Dafür schätzte sie ihn. Auch, wenn ihr ein

„Schade“,

über die Lippen huschte, weil sie sich den Abend nun selbst unterhalten musste.

Mami erklomm die Treppe ins obere Geschoss, schaltete dort das Licht ein und setzte sich an den gläsernen Tisch, über den sie sich nur kniend beugen konnte. Sie hatte sich ein Heft zur Hand genommen, überging die bekritzelten Seiten und notierte auf einer leeren alles, was sie zu der kurzen Begegnung mit der Hexe noch im Kopf behalten hatte. Dies tat sie, um möglichen Verbündeten und zukünftigen Magical Girls im Falle ihres Ablebens etwas zu hinterlassen. Sie glaubte, das Hexen nach einem Muster verfuhren, hatte es selbst bei manchen Begegnungen so erfahren. Bestimmte Gattungen, seien sie in animalischer, humaner oder dämonischer Gestalt, verfolgten eine ähnliche Strategie im Kampf, die sich nur durch ihre Fähigkeiten unterschied. Sie glaubte aber auch, dass gleich aussehende Hexen auch über dieselben Fähigkeiten verfügten. Einmal, so entsann sie sich, traf sie zu verschiedenen Zeitperioden auf zwei Hexen, die nicht nur dasselbe Aussehen, dieselbe Farbmischung teilten, sondern sich auch methodisch beängstigend identisch verhielten. Sie war sich sicher, dass diese Notizen einmal das Leben vieler Mädchen retten könnten. Und möglicherweise sogar ihr eigenes.

Als sie dann fertig war, schloss sie das Heft wieder, legte es zusammen mit dem Stift zur Seite und streckte, in Folge der langsam eintretenden Ermüdung, die Arme der beleuchteten Decke entgegen. Wie Tageslicht grellte die Wohnung im goldenen Schein der Deckenlampe.

Da fällt mir ein, sinnierte Mami dann, den Kopf nachdenklich auf eine Hand stützend, hatte er nicht Kazamino erwähnt? Ja, richtig. Er sagte, er sei aus Kazamino. Kazamino … jetzt erst fällt mir diese Similärität zu ihr auf. Nicht nur dieselbe Stadt, auch, dass er den Grief Seed so bereitwillig angenommen hatte und sogar in Erwägung zog, mit mir zu kooperieren. In irgendeiner Weise trägt das ihre Handschrift. Damals war sie genauso. Ich frage mich, ob … Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das ist verrückt. Das entspräche nicht ihrem charakterlichen Muster. Oder doch …? Hach, es ist alles so kompliziert. Na ja, es bringt mir nichts, mir jetzt noch den Kopf zu zerbrechen. Am Besten ist, ich lasse den morgigen Tag erst einmal passieren und schaue, was ich in Erfahrung bringen kann … wenn er denn kommt.“

So stand sie denn auf, ging die Treppe zu ihren Bett – es lag offen und einsehbar, ohne Wände drum herum – hinauf, deckte sich und schlummerte nach kaum mehr als zwei Minuten weg.

 

 

[RIGHT]Unterdessen:[/RIGHT]

[RIGHT]Homura Akemi[/RIGHT]

[RIGHT] [/RIGHT]

Die dürre Gestalt erschien von ihrem Platz größer und breiter, als sie in Wahrheit war. Shiro hatte sich so vor sie gestellt, das es Homura unmöglich war, den Mann ihnen gegenüber weiter in Augenschein zu nehmen. Sicher war das nicht seine eigentliche Absicht und es schien vermessen zu glauben, er könne sie hinter sich verstecken. Nichtsdestoweniger war es ein bewegendes Symbol der Verbundenheit, die seinem Schwur eine ganze Menge an Gewichtung bei warf. Nur wollte Homura nicht beschützt werden. Auch hatte sie niemals von ihm verlangt, sein Leben für ihren Schutz zu geben. Schließlich war in einer Welt, die von Pakten und Versprechen in eine Zeit des Kapitalismus getrieben wurde, sich jeder selbst der nächste und es gab kaum einen, der mit einer Waage ohne Gegengewicht feilschte. Nur einen Menschen kannte sie, der so dumm genug war, dies zu tun. Und das mindeste was Homura tun konnte, war im Ausgleich so lange am Leben zu bleiben, so lange zu kämpfen und dasselbe Zeitraffer stetig zu wiederholen, bis sie ihre Pflicht erfüllt hatte.

Der Fremde schielte an Shiro vorbei und beäugte Homura mit dem boshaften Grinsen eines Scharlatans.

„Kein Freund von dir, habe ich recht?“, fragte sie Shiro, nachdem sie sich aufbäumte und an seine Seite schritt. Sie war ohnehin schon entdeckt, da konnte das paradoxe Paar dieses Versteckspiel auch gleich beenden.

„Tatsächlich nein“, entgegnete der Mann, als hätte sie die Frage an ihn gerichtet. Mit einer schwungvollen Armbewegung verneigte er sich, gleich einem galanten Prinzen vor seiner Prinzessin. „Ich bin der Hexer Reaps, meine Teuerste.“

„Reaps?“ Homura verschränkte argwöhnisch die Arme. „Ein seltsamer Name.“

„Nun, es ist der Name, der mir bei meiner Wiedergeburt gegeben wurde. Ähnlich wie bei Eurem teuren Vispas hier.“

Whispers?“, fragte Homura und machte Shiro das Geschenk eines verwirrten Ausdrucks, in ihrem Gesicht.

Shiro mit verneinender Kopfbewegung: „Nein, Vispas. Ähnliche Aussprache, nur mit einem stummen ,Rʻ. Oh, und mit einem ,Aʻ, wo eigentlich das ,Eʻ ist.“

„Tut die Aussprache jetzt wirklich etwas zur Sache?“

„Eigentlich nein, da ich den Namen nie angenommen habe“, sagte Shiro grimmig.

Homura machte einen kurzen Laut des Verstehens, der gleichwohl auch mit Desinteresse hätte verbunden werden können und wagte dann einen genaueren Blick auf den Mann zu werfen, nachdem sich der Mond seines Wolkengewandes entledigte und einen weißen Schein auf die Welt niederließ. Er war, soweit sie es einschätzen konnte, von zarten dreiundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahren, mit weiß-goldenem Haar, in dem ein wenig das Grau vom Alter mit einfloss, sonnengebräunte Haut und einem faltenlosen Gesicht, dass von den Zügen so hübsch geschmiedet, wie von seinem boshaften Lächeln ins Unheimliche verschlissen war. Die Haare trug er zu einem langen Zopf geflochten, der ihm bis zur Mitte seines Rückens reichte. Über den dunklen Stoff, welcher sich an an seinem Körper schmiegte, trug er einen vernarbten und aggressiv aufgemachten Brustpanzer, Armschienen um die Arme, dreilagige Schulterplatten und klobige Stiefel an den Füßen, die ein gehemmtes Bewegen vermuten ließen. Alles aus Metall. Vom Becken abwärts bis zu den Knien trug er nichts zum Schutz, außer den besagten schwarzen Stoff, der sich vom Hals, bis zu den Beinen eng an ihn schmiegte und einen Gürtel, der lose und schief und ohne erkennbaren Nutzen um seine Hüften lag.

Shiro hat mich bereits davor gewarnt, dass es jemanden gäbe, der ihn wohl verfolgte. Das wird dann wohl dieser Jemand sein.

So hätte Homura zumindest gewettet, wenn denn nicht Shiro – der ewig Unberechenbare – mit einer neuen Überraschung aufwartete, welche ihre nicht einmal ausgesprochene Vermutung mit Entsetzen entlohnten.

„Also, da du mich kennst, werde ich mal annehmen, dass du mit Gamic unter einer Decke steckst.“

„Brillante Kombinationsgabe, du Klugscheißer“, erwiderte Reaps, provokant mit den Achseln zuckend. „Als wäre das keine Offensichtlichkeit gewesen. Oder kann es etwa sein, dass du noch mehr Hexer gegen dich aufgebracht hast? Mehr Fraktionen, die deinen Kopf gerne aufgespießt sähen?“ Diese Vorstellung schien ihn köstlich zu amüsieren, denn sein Grinsen wurde merkbar breiter.

„Das würde mich allerdings auch interessieren“, sagte Homura. Als Shiro sie darauf mit großen Augen unsicher fixierte, nicht begreifend, was sie mit diesen Worten auszusagen versuchte, wandte sie ihm nur die seitliche Hälfte ihres Gesichtes zu und trat einen Schritt auf den Hexer Reaps zu. „Also, ich denke wir brauchen uns nicht hinter Förmlichkeiten zu verstecken. Du bist sicher nicht hier, um ein nettes Gespräch mit uns zu führen, richtig?“

„Oh, die Kleine hat Mumm“, feixte dieser mit von Hohn übergossener Fratze. „Bewundernswert. Nun, da du schon so ein cleveres Mädchen bist, soll dein Entgelt die Ehrlichkeit, aus den tiefen Kammern meines Herzens geschürft, sein. Obwohl ich es dir eigentlich nicht sagen muss, da du es schon selber erraten hast, wie ich an deinem verdrießlichen Ausdruck zu schätzen wage.“

Und damit hatte er recht. Homura rang in diesem Augenblicke bereits mit dem Gedanken, den Soul Gem in ihrer Hand zu aktivieren und mittels der ihr gegebenen Fähigkeit der Zeitmanipulation, einen schnellen und vernichtenden Angriff auf den bedrohlichen Manne zu verrichten. Was sie in diesem Vorhaben zügelte, war die respektable Furchtsamkeit, welche sie wachsam und bedächtig werden ließ. Immerhin, Shiro hatte ihr nichts von den Schwächen eines Hexers erzählt. Denn so wie Magical Girls nicht gleich starben, solange der Soul Gem noch unversehrt und gut von Magie genährt war, so war sie sich sicher, dass ein Kopfschuss einen Hexer nicht gleich umbrachte.

Als hätte Shiro ihr förmlich in den Kopf gesehen, legte er ihr eine Hand auf die Schulter, welche Geste ihr in der althergebrachten Körpersprache der Protektoren bedeutete, keine unbedachte Aktion auszuführen. Er selbst tat dabei einen Schritt vor, fasste den feindlichen Hexer ins Auge, selbstbewusst und mit einschüchternder Miene, dass es selbst seinem Gegenüber kurzzeitig verblüfft aufblicken ließ und sprach mit einer tiefen und von Ernst durchdrungenen Stimme, wie sie Homura noch nie zuvor an ihm gehört hatte: „Oho, du denkst also, es wäre leicht uns zu besiegen?“

Uns“?, wiederholte Homura in Gedanken, ging sie doch fest davon aus, er würde eher alles daran setzen, sie aus diesem Kampfe herauszuhalten.

„Dann“, sagte Shiro weiter, „will ich dir mit nur einem Angriff das Leben nehmen. Damit wir uns endlich deiner scheußlichen Visage entledigen können, die mich so hämisch provokant angrinst, dass es mich schaudern und wüten lässt.“

Das konnte Reaps nicht ohne ein hässliches Lachen kommentieren. „Hört, wie der Hahn kräht. Nun gut, dann zeig mir doch einmal deinen Angriff. Komm schon, werfe mir den Fehdehandschuh vor die Füße.“

„Nur zu gerne“, erwiderte Shiro, drängte Homura um zwei Schritte nach hinten und schuf mit seiner Zauberformel „Sphere-F“ neongrüne Linien, die sich längs überschnitten und ein mal ein Meter große Quadrate auf dem flachen Untergrund des Daches zeichneten.

Da diese flache Stelle gerade einmal zehn mal fünf Meter Maß, war das Raster verhältnismäßig kleiner, als wie Homura es eigentlich gewohnt war, doch wusste sie um des strategischen Vorteils, den sich Shiro damit erkaufte. Der Hexer Reaps aber, der beirrt die Augen gesenkt und die Funktion dieses Zaubers zu Entschlüsseln begonnen hatte, war für diesen kurzen Augenblick soweit abgelenkt, dass er Shiros verschwinden bereits zu spät bemerkt hatte. Das entgeisterte Gesicht, dass er für den Bruchteil einer Sekunde aufgelegt, als der Kopf wieder in die Höhe schnellte und nur die zurückgebliebene Homura erblickte, gab ihr eine beinahe sadistische Befriedigung. Doch seine schnelle Auffassungsgabe verweigerte ihr dieses gewinnende Lächeln, denn er ahnte sofort, dass Shiro bereits hinter ihm mit einem Dolch lauerte. Gerade tauchte die Klinge tief genug in den Hals ein, dass die dünne Spitze auf der anderen Seite wieder hervorlugte. In diesem blitzschnellen Moment hatte Reaps bereits herumzuwirbeln begonnen, dass seine von Schrecken geweiteten Augen und das von Schmerzen verzerrte Gesicht ganz seinem Henker zugewandt waren. Verquerte Laute, die wohl als Worte gemeint waren, die er durch die geschlossene Zahnreihe zischte, vermischten sich zu einer dickflüssigen Substanz aus Gurgeln und Knurren.

Obwohl der Größenunterschied nicht gerade gering, war es Homura dennoch möglich, an den Todgeweihten vorbei, die marmornen Züge Shiros zu erblicken, mit welchen er den verhassten Blick seines Gegners erwiderte. Kalt und erbarmungslos, die Falten tief von der scheinbaren Anstrengung, mit der er den Dolch weiter fest gegen den Hals drückte. Niemals hätte sie erwartet, je einen solchen Ausdruck in seinem Gesicht zu erblicken. Es war zum ersten Male seid ihrer Begegnung, dass er konzentriert und Kalkül mordete. Selbst bei den Hexen – schien es ihr zumindest – strahlte er einen Hauch von Mitleid für diese verteufelten Wesen aus, deren Leben er vorzeitig endigte.

Stille kehrte ein. Die Todeslaute trug der Wind hinfort. Wolken legten sich über den Mond, woraufhin Mitakihara in ein schattiges Tuch gehüllt wurde. Dieser Zustand war nur von einer kurzen Lebensdauer, denn kurz darauf brach das fahle Licht wieder hervor und klarte alles, was von den Laternenmasten kaum berührt blieb, wieder auf. Ein eisiger Schauer befiel sie. Um Shiros Handgelenk hatten sich die fünf Finger des Hexer Reaps gewunden. Mit respekteinflößender Kraft, die unermüdlich gegen den Druck ankämpfte, den Shiros Hand auf den Dolch ausübte, schaffte er es die Klinge aus der Einstichwunde zu ziehen, woraufhin sich der breite Schlitz sofort zuzog und nicht einmal eine Narbe zurückließ. Shiro wollte seine zweite Hand zur Hilfe nehmen, doch fand sich diese ebenfalls im Griffe seines mächtigen Gegners wieder. Alle Mühen des Hexer Reaps, den Dolch von sich fernzuhalten, schienen mit einem Mal verschwunden. Auch, wenn Homura es von ihrer Position aus nicht sehen konnte, so wusste sie, dass dieser Mann, da er sein Gesicht dichter an das von Shiro heranführte, ihm hämisch ins Gesicht grinste.

„Schade aber auch, Vispas“, sagte Reaps mit einer furchtbar unheilvollen Stimme. „Wäre es doch nur so einfach gewesen, nicht wahr?“

Shiro ächzte unter der Anstrengung, mit welcher er der Kraft des Mannes Herr zu werden versuchte. Aber unter der Rüstung barg sich ein muskulöses Gerüst, das beinahe den Aufwand, den es brauchte, um Shiros Arme von sich weg zu bewegen, in den Bereich des Nullpunkts hielt. Als er Shiro fixierte, zuckte eines seiner Beine hoch. Mit der stählernen Sohle voran, wuchtete der eiserne Stiefel ungebremst gegen den dürren Leib, was diesen vom Boden hob und ihn gegen die spiegelnde Fassade eines entfernten Hauses schmetterte. In Zuge des Aufpralls zerbrachen Körper und Glas gleichermaßen und Shiro verlor sich im dunklen Leib des Hünen.

Homura, die immer so gerne die Berechnende, die Kühle, gab, wich in diesem Augenblick das Rot der Gesundheit aus den Wangen. Die schöne Haut war von einem Mal zum anderen vom Schrecken bleich gefärbt und von der Angst um das Wohlbefinden ihres Hexers mit vielen, tief dringenden Falten vernarbt. Sie wollte Shiro sofort ins Gebäude folgen, da warf sich auch schon der Hexer vor sie, eine Hand gegen die Hüfte pressend, die andere zu einem haltenden Befehl erhoben.

„Langsam, langsam, schönes Fräulein“, sagte er, die Winkel seines Mundes feixend in einer steilen Kurve angehoben. „Wo willst du denn so plötzlich hin?“

Homura vergrößerte umgehend den Abstand zwischen sich und ihm. In ihrer linken Hand, die zu einer Faust geballt den Soul Gem verbarg, kämpften sich die violetten Lichtpartikel durch den schmalen Spalt der Finger hindurch. Und da sie die Hand vor ihrer Brust gehalten, hatte der Hexer – wie sie es an seinem Ausdruck bemerkte – das Leuchten natürlich registriert. Anstatt das er aber, wie sie es erwartet hätte – nun zur Tat schritt und sie attackierte, noch bevor sie die Möglichkeit zur Verwandlung hatte, verknotete er die Arme und nahm eine entspannte Haltung ein.

„Du willst dich verwandeln, nicht wahr? Nur zu, ich hab´s nicht eilig. Ich warte, bis du fertig bist.“

„Du wirst also nichts tun, um mich aufzuhalten?“, fragte Homura, die der ominösen Passive misstraute.

„Wozu sollte ich? Unser Freund“, Reaps deutete mit dem Daumen auf die Bruchstelle im Fenster, „braucht wohl noch ein kurzes Weilchen, bis er uns wieder Gesellschaft leisten kann. Bis dahin vertreib ich mir die Zeit gerne mit dir. Solltest du mich überleben, könnt ihr es ja mal zu zweit gegen mich probieren.“

Homura rümpfte die Nase, obgleich dieses widerlichen Grinsens, welches jedes seiner Worte mit selbstgefälliger Arroganz beträufelte. Doch, auf der anderen Seite betrachtet, war es sehr entgegenkommend von ihm, sie nicht als eine Herausforderung anzusehen. Drum nahm sie das Angebot nur zu gerne entgegen, entpackte den Soul Gem und startete die Transformation zum Magical Girl.

Das breite Schuhwerk aus braunem Leder gefertigt, machte sich nun schlanker um ihren Fuß. Die Ferse drückte ein hoher Absatz nach oben und aus dem erdbraun brach ein tiefes Schwarz hervor, das sich mit ihrer Strumpfhose einte. Der Schulrock mischte Grau mit Violett und an seinem unteren Ende kam ein weißer Kranz aus Rüschen hinzu. Die Ärmel der Jacke verkürzten sich bis zum unteren Ende der Oberarme. Unter dieser neuen weißen Jacke trug sie einen schwarzen Pullover mit gefaltetem Kragen, der sich über eine Schärpe, von derselben Farbe wie ihr Rock, legte an dessen hinterem Ende zwei lange, dunkelviolette Bänder baumelten. Die dicke rote Schleife am Halse wechselte, ähnlich wie auch bei Mami Tomoe, zu einem schlanken Design über, war also lang und dünn und von der Farbe ihrer Augen bestrichen. Um ihr linkes Handgelenk manifestierte sich die Schilduhr, jenes magische Artefakt, das speziell auf sie zugeschnitten war und ihr die Macht über die Zeit zusprach.

Die Verwandlung in ein Magical Girl dauerte für Außenstehende kaum mehr als zwei oder drei Sekunden. Auch zeigte sie nichts als eine helle Sphäre mit individuell kolorierter Korona, von welcher die Mädchen eingehüllt wurden und die nach Beendigung der Transformation auch gleich wieder verschwand. Das war ein wichtiger Fakt, um sich das Gesicht des Hexers vor Augen zu führen, der wohl noch nie einer Verwandlung von Mädchen zum Magical Girl beigewohnt hatte und seine Erwartungen, wie trister Wüstensand vom Wind erfasst, die Enttäuschung freilegte, mit welcher er Homura nun anblickte.

„Also, da habe ich mir doch etwas mehr erhofft“, sagte er wie ein schmollendes Kind. „Ich meine, was, ihr verschwindet einfach im Licht wie eine Raube im Kokon und seit dann verwandelt? Ist ja langweilig.“

Homura, still und ernst, wie sie war, hob die Schilduhr vor sich hoch. Augenblicklich begannen sich die kleinen Rädchen in dessen Innerem zu drehen. Erst schnell, dann langsam, bis sie mit einem lauten Klick! abrupt stoppten.

Alles, was einen Laut getan, war mit einem Mal verstummt. Die Autos, die mit ihren brummenden Motoren kommunizierten, das Säuseln des Windes, der mit seinen kalten Strömen durch die Luft schnitt, die Strömung des Flusses, der seine Bahn durch Mitakhiara zog, das kaum wahrnehmbare Dröhnen flackernder Laternen, die Schritte in der Dunkelheit verhallend, die Worte noch nicht geendigter Sätze plötzlich abgeschnitten – alle Sprache war tot.

Homura nahm die Schilduhr wieder herunter. Zuversicht, die die Vorsicht umspülte, sie auf eine kleine Insel verbannte, die nicht weit der Küste des Festlandes entfernt lag, ließ sie voranschreiten. Sie näherte sich dem Manne festen Schrittes, der es mit trockener regungsloser Miene geschehen ließ. Sie kam vor ihm zum stehen, starrte ihm direkt in die kalten roten Augen, wie man sie auch bei skrupellosen Mördern bestaunen konnte. Keine Liebe war mehr in ihnen zu finden, alle Wärme alles Mitgefühl war aus ihnen getilgt, als wären sie Gift. Wahrlich, Homura betrachtete ihn und sah keinen Menschen, sondern eine Bestie vor sich stehen.

„Gefällt dir, was du siehst?“

Ja, das hätte er wohl gesagt, wäre er nicht im stillstehenden Meer der Zeit gefangen. Viel Zeit blieb ihr nicht. Nur wenige Sekunden dauerte dieser Zauber, bis die Zahnräder wieder nahtlos ineinander greifen und das Uhrwerk routiniert in Bewegung bringen würden. Es würde so sein, als hätte es diesen stillen Augenblick, in dem nur Homura alleine zu Handeln erlaubt war, niemals gegeben.

Als sie also vor dem Hexer Reaps zum stehen gekommen war, hatte sie die Hand, die sie hinter ihrem Schild verborgen hielt, wieder hervorgeholt. Der schlanke Finger krümmte sich um den eisernen Abzug der schwarzen Pistole, dessen Lauf sie dem Manne prompt gegen die Stirn drückte. Die Schilduhr verfügte, neben der Manipulation der Zeit, auch über eine ebenso wirkungsvolle Beeinflussung des Raumes. Alles, was sie in ihre Schilduhr einführte, wurde bis zur Benutzung in einem Vakuum verstaut, das nicht kleiner als die Unendlichkeit war.

Dem sechsfachen Donnergeheul war die Welt als Zeuge verschont geblieben. Denn niemand hörte, was die Nachtluft hinfort trug. Denn als der Fluss der Zeit wieder zu fließen begann, hatten die Kugeln auch schon dunkle Vertiefungen im Kopf des Hexers zurückgelassen, auf deren Folge er regungslos zu Boden stürzte. Auf dem Rücken liegend, das schockierte Gesicht dem Mond zugerichtet, musterte Homura ihn mit misstrauischer Miene, als würde sie von ihm erwarten, dass er noch einmal aufstehen würde. Und das würde er auch, dessen war sie sich sicher. Es war ohnehin nicht ihre Absicht, ihn zu eliminieren. Sie hatte sich lediglich die Zeit erkauft um Shiro zu bergen und sich schnell auf sichere Distanz zu diesem Mann zu begeben. Denn in unmittelbarer Nähe Madokas, wollte Homura einen offenen Kampf mit allen, ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, verhindern.

Vom Rand des Daches, nachdem sie sich vom tot scheinenden Hexer abgewandt hatte, sprang sie in Richtung des riesigen Monstrums aus Glas und Metallknochen und landete zielsicher in der offenen Wunde, welche Shiros Aufschlag hinterlassen hatte. Hier fand sich Homura in einem dunklen weitflächigen Raum wieder, der vom äußeren Lichtwurf erhellt wurde. Die Eingeweide dieser Etage waren, so schätzte Homura, das denkende Zentrum eines Konzerns. Ein verschachteltes System aus Wänden, die die einzelnen Tische voneinander abschirmten. Monitore, Faxgeräte, Telefone, Kaffeemaschinen, Stifte, Teile der dünnen Wände – vieles hatte sich über dem grauen Teppichboden verteilt und dabei eine unfreiwillige Spur zu dem Übeltäter gelegt. Homura folgre der Spur und gelangte zu einer Kopiermaschine, die gegen eine weiß bestrichene Wand gepresst stand. Sie war verbeult und verbogen, das Glas des Kopierers von der plötzlichen Gewalteinwirkung zersplittert und der Deckel balancierte lose an einer dicken Ausbeulung. Darunter Shiro, der in das Gerät förmlich eingedrückt war wurde. Er ächzte vor Schmerzen; seine Augen bewegten sich unruhig, als suche er etwas. Als sie dann aber Homura erblickten, wurden sie ruhiger.

Ein gequältes Lächeln legte sich über seine Lippen. „Das … kam unerwartet“, krächzte er. „Hat mich … wirklich überrascht. Starker … Tritt.“

„Warte, ich helfe dir.“

Sie beugte sich zu ihm herab, packte seinen Arm und schreckte sorgend zurück, als er unter ihrer Berührung einen Schmerzenslaut losließ. Für einen Moment hielt sie inne, dann packte sie den Arm erneut, ignorierte den gequälten Laut und zog ihn mit aller Kraft aus der unbequemen Lage. Mit einen letzten kräftigen Ruck fiel er wie ein kraftloses Kind in ihre Arme, sein Kopf über ihre Schulter gelegt und ihre Arme vorsichtig um seinen Körper geschlungen. Homura wollte ihm zum Aufstehen verhelfen, doch die kehligen Laute und sein Gewicht nagelten ihre Knie am am Boden fest.

„Nur einen … einen Moment“, flüsterte er in ihr Ohr.

„Wir haben keinen Moment“, widersprach sie ihm mit ruhiger doch energischer Stimme. „Er könnte jeden Augenblick hier aufschlagen und uns angreifen.“

„Ich … brauche nur einen kurzen Moment“, wiederholte er. „Dann kann … ich weiterkämpfen.“

„Wir werden aber nicht kämpfen. Wir werden uns zurückziehen.“

„Madoka …“, sagte er mit schwacher Stimme.

„Wir sind hier nicht sicher. Und sie auch nicht, ebenso wenig wie alle anderen Menschen in diesem Krankenhaus, wenn wir so nahe daran kämpfen.“

Das schien Shiro zur Besinnung gerufen zu haben, denn er musste ihr beipflichten und befürwortete ihren Fluchtgedanken. Allmählich schien sich auch die Regeneration endlich durchzusetzen, denn er versuchte aus eigener Kraft aufzustehen. Beim ersten Mal knickten seine Beine ein und stürzte er wieder in ihrer Arme. Beim zweiten Mal konnte er sich mit ihrer Hilfe immerhin auf ihnen halten. Langsam, aber beständig, kehrten seine Kräfte zurück. Homura ließ ihn los und anfangs noch wackelig, dann aber beständig, konnte er wieder eigenständig stehen. Auch seine Stimme fand zur alten Kraft zurück.

„Daran werde ich mich nie gewöhnen“, meinte er kopfschüttelnd. „Unser Freund?“, meinte er dann, zu Homura blickend.

„Könnte jeden Moment hier aufschlagen. Wer weiß, wie schnell er sich von sechs Schüssen durch den Kopf erholt.“

„Schneller, als uns lieb ist.“

Erst verstand Homura nicht, bis ihr auffiel, dass Shiro gar nicht mehr sie anschaute, sondern der Blick über ihre Schulter ging. Sie wandte sich mit einer schrecklichen Vorahnung um und da stand er auch schon. Der dunkle Mann in der eisernen Rüstung, die Fratze von Ekel und Abscheu und auch von glühendem Zorn gebrannt.

„Ihr beide kämpft wirklich auf die unfairste Art und Weise, wie ich es noch bei keinem anderen zuvor gesehen habe. Selbst die Magical Girls hatten mehr Karat, sich mir entgegenzustellen und mich nicht hinterrücks zur erdolchen oder zu erschießen.“

„Zu blöd, dass wir damit ohne Erfolg waren“, gab Shiro zur Antwort.

Das eitle Antlitz erbost und der Rache sinnlich gestimmt, war von solchem Unmut durchwachsen, dass es nur an den, durch die Hautschicht nach außen tretenden, pochenden Krampfadern gefehlt hätte, um seine Gefährlichkeit vollkommen zu machen. Auch schien er die Worte erst wie ein brodelnder Kessel voll siedendem Wasser entgegenzunehmen, dem noch weitere Scheitel ins Feuer hinzugegeben wurden. Zähneknirschend und aus den Augen Funken sprühend, galt sein einziges Interesse nunmehr ausschließlich Shiro und Homura fürchtete, dass er nun seine ganze Kraft aufbringen würde, um sie beide zu vernichten. Umso härter traf sie die Überraschung, als sich seine verspannten Muskeln lockerten und sich die Mundwinkel nach oben bewegten, ohne dabei die gebleckten Zähne zu verhüllen.

„Es ist unfassbar“, lachte er. „Hätte man es mir nicht versichert, würde ich es nicht für möglich halten, dass du eine der großen Hexen des Westens vernichtet hast. Wirklich, ich frage mich, wie so ein feiger Meuchler wie du, das fertig gebracht hat.“

Damit schien er einen Nerv bei Shiro getroffen zu haben, denn nun war er es, der das Gesicht in Unmut verzog.

„Nun, es spielt wohl im Endeffekt sowieso keine Rolle. Jetzt, wo ihr mir den Fehdehandschuh hingeworfen und mich auf die feigste Art attackiert habt, ist euer Anrecht auf Schonung ganz verfallen. Nun …“

Er lachte erneut.

„Nicht, dass ich diese euch überhaupt gewährt hätte.“

Und mit seinen Hände griff er das schlanke Leder, das um seine Hüften hing, löste die metallene Schnalle und zog es in seiner ganzen Länge mit einem kräftigen Schwung durch die Luft.

„Du hast mir deine Waffen präsentiert, Vispas, nun erlaube mir, dir meine zu präsentieren.“

„Deinen Gürtel?“, meinte Shiro verdutzt.

Doch er fehlte weit, wie Homura rasch erkannte. Dieser Gürtel war alles andere als gewöhnlich, hielt sich sein biegsamer Körper doch steif wie ein Stock. Die zwei Enden formten sich zu je zwei spitzen Enden, von denen die silberne Schnalle auch die längere Spitze war. Das kantige Leder selbst wurde schmal und rund wie ein Stab, das es sich gut in der Hand halten ließ.

„Ein Speer“, meinte Homura, als sich das Licht des Mondes matt auf dem Griffstück, wie bei Leder und spiegelnd auf der langen Klinge, wie auf Metall, brach.

„Gut erkannt“, pries er frech lobend ihren Scharfsinn. „Mal sehen was ihr dem mächtigsten Speer – dem Gae Bolg – entgegenzusetzen habt.“

Trotz des Eisens, das sich um Schulter, Brust und Beine wand, war er überaus schnell und der Stoß, der ihm voranging, von unvergleichlicher Kraft. Er war so schnell an sie gelangt, dass die scharfe Schneide einen langen roten Graben in Homuras Wange und einen Trümmerhaufen, der noch kurz zuvor einen kleinen Teil der Wand ausmachte , hinterließ. Sie selbst war dem Schicksal, das sie mit der Wand hätte teilen sollen, nur deshalb entronnen, weil es Shiro war, dessen Reflexe so ausgeprägt waren, dass er sie und sich zur Seite stieß.

Staub wirbelte auf. Der Gestank von zerbröseltem Zement vermengte sich mit dem dünnen grau-weißen Schleier, welcher sich im Umkreis der drei in der Luft auftat.

Die am Boden liegende und vom Staube ganz eingehüllte Homura blickte zum Hexer Reaps auf. Seine roten Augen funkelten finster in ihre Richtung und sie meinte zu sehen, wie er die Spitze seines Speers in ihre Richtung lenkte. Sein Schlag dauerte dieses Mal aber länger, da auch sein Sichtfeld von der mageren Dichte der Staubwolke beschränkt war. Dieses Momentum wusste sie wohl zu nutzen, drum hielt sie die Schilduhr schützend vor sich und aktivierte das magische Artefakt, um ein weiteres Mal die Zeit zu einem abrupten Stillstand zu bringen.

Im gleichen Augenblick aber blitzte die schwarze Speerspitze durch das rauchige Gewandt. Die Schwade brach in zwei Richtungen auseinander, wie es etwa eine Wolke tat, wenn ein starker Wind sie zerschnitt. Noch kurz bevor der Hexer ihr das Auge durchstoßen und die Klinge ihr hinten durchs Haar wieder ausgetreten wäre, tat die Schilduhr den von ihr geforderten Zweck und hauchte allen Lebens den Fluch der toten Zeit ein. Zur gerade rechten Zeit, denn der gezielte Stoß war nur unmittelbar vor ihrem Auge zum unnatürlichen Halt gekommen.

Ihre Lunge befreite sich mit einem schweren Seufzer der Entlastung, welcher den Schrecken auf den Schwingen der geschöpften Erleichterung davontrug. „Das war zu knapp“, hauchte sie wie ein schwächliches Kind, richtete sich darauf rasch auf und schritt im knappen Bogen an ihm vorbei und auf Shiro zu. Der war, auf einem Knie hockend, mit ausgestreckter Hand und einem entsetzten Ausdruck erstarrt, als hätte er durch die dünne Schwade das ganze Geschehen, welches Homuras Ende hätte bedeuten können, beobachtet. Die Sprache seiner Haltung sagte ihr, dass er schon auf halbem Wege war wieder aufzustehen und auf den Hexer loszustürmen.

Sie nahm seine Hand in die ihren, woraufhin die Wärme des Lebens in die vereiste Statue zurückkehrte. Mit einem lauten „Homura“ auf den Lippen, was etwa ab der Mitte des Rufes verklang, war er aufgestanden und gleich wieder mit den Knien voran zu Boden gestolpert. Beirrt von dem, was seine Augen ihm mitzuteilen versuchten, nämlich das er Homuras Hände um seine geschlossen fühlte, während sie ihn mit ruhiger und zuversichtlicher Miene anblickte, wo doch der Tod hinter ihr stand, kalt und leblos wie das Denkmal einer rühmlichen Legende aus Zeiten von Kampf und Blut.

„So“, sagte er, nachdem er die Fassung wieder gefunden hatte, „sieht es also aus, wenn die Zeit stillsteht.“

„Ich schlage vor, dass du meine Hand nicht loslässt, wenn du dich dieses Anblicks weiter erfreuen willst“, entgegnete Homura, wandte sich um, als wolle sie sich vergewissern, dass der Hexer noch immer in der gefrorenen Zeit festsaß und sagte dann weiter: „Wir ziehen uns besser für´s Erste zurück.“

„Dieser Vorschlag missfällt mir“, sagte Shiro. „Wir haben doch deine, die Zeit manipulierenden Fähigkeiten. Wieso ihm nicht jetzt den Gar ausmachen?“

„Ich entsinne mich, dass wir beide das schon versucht haben. Der Ausgang dieses Versuches war, dass er dich durch ein Fenster getreten und mich beinahe aufgespießt hätte. Trotz der verheerenden Wunden, die wir ihm zugefügt haben.“

„Ja, aber –“

„Und ich erinnere dich daran“, unterbrach Homura seinen Einwand, „dass du nicht kämpfen kannst, wenn ich die Zeit anhalte und dich nicht berühre. Außerdem kann ich diese Art der Magie nicht ewig aufrecht erhalten. Und wir wissen nicht, wie oft er sich dem Tod durch die beigefügten Wunden entziehen kann. Wir könnten ihn vielleicht töten, aber genauso gut könnte er auch uns töten. Bis die Zeit anhält, vergehen wertvolle Sekunden. Sekunden, in denen es ihm fast gelungen wäre, mir einen tödlichen Stoß zu versetzen, hätte sich nicht im allerletzten Augenblick noch die Zeit zum Stillstand bewegt. Ich will mich für´s Erste zurückziehen, bis ich mir Gedanken darüber gemacht habe, wie wir ihn am besten besiegen können. Vorher macht jede weitere Unternehmung gegen ihn gar keinen Sinn. Und bedenke, dass wir nicht die genaue Zahl unserer Feinde kennen. Wer weiß, wie viele sich derzeitig im Umkreis befinden und ihm zur Hilfe eilen können.“

„Und noch immer widerstrebt mir die Idee, mich zurückzuziehen“, meinte er zähneknirschend. „Aber ich gebe zu, das mir kein passendes Gegenargument einfällt. Gut, treten wir für diesen Moment den Rückzug an.“

Homura nickte. „Halte dich gut an meiner Hand fest. Wenn du sie loslässt, bleibst du wieder mit der Zeit stehen.“

„Ja ja, ich weiß“, gab er gereizt zurück.

Sie traten die Flucht aus dem zerbrochenen Fenster und über die Dächer an. Im Schutze der eingefrorenen Zeit waren sie bald aus der Sichtweite des Gebäudes entschwunden. Schon bald darauf klackten die Zahnräder und alle Bewegung kehrte abermals in die Welt zurück. Wieder, als sei nie etwas gewesen.

Kapitel 10: Der schmale Grad zwischen Lüge und Wahrheit


 

Contiguity Magica

Kapitel 10: Der schmale Grad zwischen Lüge und Wahrheit

 
 

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Das paradoxe Paar:

Noch neun Tage bis zur Einschulung verbleibend

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[JUSTIFY]Vom vergilbten Grabmale abwärts wandernd, säuselte das Geräusch eines aus der Ruhe gebrachten Tieres mit dem ruhigen Wind. Es lehnte gegen das steinerne Kreuz, als wäre es das ihm zugewiesene Denkmal, fauchte und zischte und nahm den Blick nicht von der Jägerin. Der ganze Körper von trockenem Staub und feuchter Erde verklebt, wie ein Unwesen, das aus dem Grabe entstiegen. Nur aber wo das Loch, aus dem es entsprungen war? Vielleicht irgendwo im Schatten des abendlichen Dämmerlichtes verborgen? Dieses Wesen – dieses Tier –, im Körper eines kränklichen Kindes, das voll Missgunst mit gebleckten Zähnen zu ihr hinauf schielte. Die Luft, obwohl so mild und wie ein zarter Abendkuss die Wangen ertastend, war von einer bedrohlichen Aura umwuchert, deren ganzes Ausmaß an Zerstörungswut, unsere Homura zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erkennen im Stande war. Dort waren sie; auf dem Grabplatz vor der Sakurakirche, die mit ihren zertrümmerten Kunstfenstern und dem rissigen Mauerwerk nur mehr ein blasser Schatten ihrer vergangenen Großartigkeit darstellte.[/JUSTIFY]

Wie viel Zeit war wohl vergangen, als sich ihre Blicke trafen? Wie war es überhaupt zu diesem Treffen gekommen? Ein klarer Gedanke versagte sich ihr zu dieser festen Stunde. Es war ihr, als würden die blutroten Funken, die seinen Augen entbrannten und sie als ihr Ziel hervorhoben, sich auf ihren Verstand einschießen und ihn perforieren, auf dass ihr jeder klare Gedanke als eine zähe Flüssigkeit aus dem Kopfe entweiche.

Sie sprang von dem Monument einer sich im seligen Gebet befindlichen Maria von Nazaret, die in tiefer Verbeugung, mit einem gekrümmten Rücken und gefalteten Händen über dem Grabe kniete und näherte sich dem Jungen bis auf zwei Schritte zum sicheren Abstand. Stille füllte den leeren Raum zwischen den beiden. Die gesenkten Augenbrauen, die bei Homura kalte Berechnungen und bei dem jungen Manne brühenden Hass bedeuteten, lockerten sich in keinem Gesicht.

„Wer bist du?“, fragte Homura.

Der Junge erwiderte die Frage mit einem sinisteren Grinsen, als würde er einen Fluch über sie aussprechen.

Darauf reagierte Homura mit einem, von Missgunst überwältigten Ausdruck, der sich in den breiten, nach unten verkrümmten Winkeln ihres Mundes wiedergaben. „Was?“, fragte sie unheilvoll. „Was findest du so lustig?“

„Nun“, war das erste Wort, dass der Junge ihr zurückgab, „dumme kleine Mädchen bringen mich immer zum lachen.“

Ich habe wirklich nicht die Zeit, dachte Homura, mich mit einem dummen Bengel herumzuschlagen. Doch wie er da liegt …

„Bist du verletzt?“

„Das lass nicht deine Sorge sein, Kleine“, keuchte der freche Kerl, ohne von seinem unverschämten Ausdruck abzulassen. „Ich bin nur hier, weil ich noch etwas zu erledigen habe.“

„Um zu sterben?“, fragte Homura mit geheucheltem Interesse.

„Vielleicht“, sagte der Junge.

„Und das hier?“

„Wo denn anders, wenn nicht auf einem Friedhof?“

„Tragische Entscheidung“, sagte sie. „Auch ich habe hier etwas zu erledigen und es reizt mich nicht im geringsten, dich hier liegen zu lassen und mich meinen Angelegenheiten zuzuwenden. Das wäre mit meinem Gewissen nicht konform.“ Sie beugte sich zu ihm herab und kam ihm nun so nahe, dass sich nur noch eine Hand zwischen sie hätte zwängen können. „Sag mir wo es weh tut, damit du hier verschwinden kannst.“

„Bist du etwa eine Ärztin, oder was?“, blaffte sie der Bursche an.

„Gewissermaßen“, gab Homura zur Antwort.

„Nun, dann bemühe dich nicht. Manche Wunde dringt tiefer als das Auge sieht.“

„Und doch kann ich dir helfen.“

„Und wie?“

„Schließe die Augen und glaub an das Wunder.“

Eine kurze Stille der Unsicherheit legte sich als der düstere Schatten einer stürmischen Wolke über sein blasses Gesicht. Es dauerte von dort an noch einen weiteren Augenblick, bis er wieder den Weg zu seinen Worten gefunden hatte.

„Du verarschst mich, oder?“

„Nein“, beschwichtigte Homura seinen Unmut. „Schließe deine Augen, zähl langsam bis zehn und öffne sie wieder. Dir wird eine positive Veränderung auffallen.“

„Süße, ich werde nichts der Gleichen tun.“

„Willst du dich besser fühlen oder dein junges Leben an Ort und Stelle enden lassen?“, fragte ihn Homura mit der Kälte eines Eisblocks. „Mir ist nämlich beides Recht. Denn ich habe keine Reue an jemanden zu verschenken, der meine Hilfe nicht will. Nur, wenn ich sie ihm nicht anbiete.“

Der Bursche legte seine Stirn in tief grübelnde Falten, die sein Misstrauen deutlich zeichneten. Nichtsdestotrotz legte er, nachdem er ein Seufzen entließ, welches eine Kapitulation des gesunden Verstandes gegen die Willkür eines Priesters bedeutete, den Kopf gegen das steinerne Kreuz und schloss die Augen. So er auch mit dem Zählen anfing, vergewisserte sich Homura, dass seine Augen tatsächlich fest geschlossen waren, in dem sie ihm direkt unter die Lider zu blicken versuchte, um festzustellen, ob diese nicht zur zu Hälfte geschlossen waren und holte dann den Soul Gem aus ihrer Rocktasche hervor. Mit ihrer magischen Kraft übertrug sie einen Teil ihrer vitalen Energie auf den Jungen. Ein Vorteil dieser Prozedur war, dass sie so in der Lage war, jede übelwollende Krankheit und jede physische Wunde, gleich ob tödlich oder harmlos, verschwinden zu lassen. Auch wenn sich hier nicht erschloss, wann die heilende Wirkung vollends ihre Aufgabe erfüllt hatte, war es für sie doch eine sichere Sache, dass bei einem Fünftel der übertragenen Lebenskraft, auch jede Art von Verletzung kuriert werden konnte. Schließlich war es die Magie, jenes Epizentrum aller aufgehobenen Grundgesetze von Physik und Chemie, dass es seinem Anwender ermöglichte, bei korrekter Ausführung auf einfachste Weise selbst die schlimmste schwelende Krankheit aus dem Körper zu tilgen. Die Regeneration abgestorbener Zellen, die selbst das Wachstum neuer Körperteile anregten, war hier nur eines der starken Beispiele der Magie, von welcher die Magical Girls Gebrauch machten. Und noch Interessanter: es passierte ohne großes Zutun der Mädchen. Meist brauchte der Soul Gem nur ein Ziel, welches er in seiner Besitzerin fand. Seine heilende Energie auf sie verströmend, brauchte das Mädchen nichts anderes zu tun, als abzuwarten. Diese heilende Magie auf jemand anderes zu übertragen, bedurfte hingegen einer gewissen Übung, welche Homura schon lange verinnerlicht hatte.

So der Bursche gerade bei der Zahl Acht angekommen war, steckte sie den Soul Gem schnell wieder weg und nach zwei weiteren Sekunden schlug er seine Augen auf.

„Und?“, fragte Homura. „Fühlst du dich nun besser?“

Der Junge hob mit weit aufgerissenen Augen beide Hände vor sein Gesicht und betrachtete diese, als hätte er zum ersten Male realisiert, dass sich welche an seinen Armen befanden. Dann fasste er sich mit einer an die Leiste und stellte mit einem Ausruf der Überraschung fest, dass ihm dort kein Schmerz mehr am Boden hielt.

„Ich“, sagte er mit zittriger aber dankbarer Stimme, „ich bin geheilt. Ich fühle keine Schmerzen, mein Körper ist nicht mehr wie Blei. Wie hast du …?“

„Ich bin ein Mädchen mit vielen Geheimnissen“, erklärte Homura. Gleich einer erhabenen Göttin, die von Anmut bestrahlt, erhob sie sich in voller Größe und reichte ihm die Hand. „Betrachte es einfach als ein Wunder Gottes.“

Diese Worte hatten einen lästigen Beigeschmack, doch waren sie am einfachsten über die Lippen zu bringen.

„Ein Wunder Gottes?“, wiederholte er verblüfft.

Homura wollte bejahen, doch versiegte von einem Augenblick zum Nächsten der Quell ihrer Worte. Denn auf einem Male war die dankbare Verwirrung in des jungen Mannes bleichem Antlitz vollends gewichen. Wie ein Dämon nach dem beleibten Mahl, schlug er Homuras Hand mit einer ihr unwürdigen Ignoranz in den Wind und erhob sich aus eigener Kraft vom Boden. Eines Monsters gleichgültiges Augenpaar zog sie fest in seinem Bann. Ein, die kaputte Seele zerreißendes Gefühl bahnte sich seinen Weg durch Körper und Geist des ihren, als wäre sie einen finsteren Zauber verfallen, der sie an ein Leben als steinerne Frau verdammte. Homura erinnerte sich dieses seltsamen Empfindens, denn es war ihr kein fremdes, dennoch aber eines, von dem sie glaubte, es zu verspüren schon lange nicht mehr im Stande zu sein.

Angst.

„Nicht doch viel eher das Wunder deiner Magie, junges Fräulein?“

Homura erblasste. Das Rot der Gesundheit war aus ihren Wangen gewichen, bis ihr das Gesicht auf dasselbe Weiß kippte, welches auch der junge Mann als seinen natürlichen Teint trug.

„Du bist nicht das erste Mädchen, dass mich mit ihrer Magie wieder aufpäppelt. Ich weiß, wie sich die wohltuende Aura eines Soul Gems anfühlt. Und ich mag die Wärme einer göttlichen Gabe wohl mit dem Fluch der Magical Girls zu unterscheiden. Weißt du, woher?“

Homura schwieg.

„Gottes Wunder und seine Gnade sind das Hirngespinst beknackter Aposteln, die den Kopf nicht über das Ungerechte dieser Welt klar bekommen. Und verzeih meine Worte, doch du siehst mir wirklich nicht so aus, als wäre Gott die letzten Tage gut zu dir gewesen.“

Es brauchte einen Moment und einen großen Aufwand an Überwindung, bis es Homura gelang, zu ihrer inneren Ruhe wiederzufinden. In ihrer Hand, die sie hinter ihrem Rücken verbarg, lagerte sie zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger ihren Soul Gem, jederzeit bereit, sich zu verwandeln und zu kämpfen. So sprach sie mit verengten Augen und trockenen Lippen:

„Und was bist du, wenn du um die Magical Girls weißt? Sicher kein Magical Boy, wenn ich das mal annehmen darf.“

„Ich?“, fragte der junge Mann und schürzte seine Lippen mit einem Lächeln, das vorgetäuschte Unwissenheit und Gleichgültigkeit im selben Maße verkörperte. „Ikuto Shiro, mein Name. Ich bin Dichter, Denker, Philosoph und nebenher auch Magier und Hexenjäger.“

„Und?“

„Und was?“

„Es muss eine Bezeichnung für das geben, was du bist.“

„Die gibt es in der Tat.“

„Also?“

„Bevor du forderst“, sagte Shiro und kratzte sich den Hals, ehe er beide Hände, bis auf den Daumen, in die Hosentaschen gleiten ließ, „solltest du dich selbst einmal vorstellen. Einfach ,Duʻ zu dir zu sagen, scheint mir doch ein bisschen unpersönlich, nachdem du mich gerade aus einer Notsituation gerettet hast.“

Homura zögerte einen kurzen Moment, ehe sie sagte: „Und warum sollte ich dir meinen Namen nennen?“

„Tja“, sagte Shiro, „warum solltest du einen in die Not geratenen Jungen wie mich retten? Fragen über Fragen, den einen marternd, den anderen um keinen Schritt weiter bringend. Hör zu, ich habe mich aus einer reinen Höflichkeit vorgestellt und erwarte dasselbe auch von meinem Gegenüber. Vielleicht ist es falsch von meiner Retterin einen solchen Gefallen zu erbitten, doch gerade weil du das bist, nämlich meine Retterin, will ich deinen Namen wissen. Also …?“

Homura verengte die Augen und machte ein erzürntes Gesicht. „Akemi Homura.“

„Homura. Ein schöner Name.“

„Wirst du mir“, ignorierte Homura das Kompliment des Fremden, „nun verraten, was du genau bist?“

„Tja, schwierig, schwierig. Für mich gibt es nur die Bezeichnung, welche Kyubey mir auferzwungen hat. Doch ist man etwas, was man nicht sein will, nur weil jemand anderes eben das in dir sieht?“

Ein Philosoph in der Tat, dachte Homura verbissen.

Shiro zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Man schimpft mich einen Hexer.“

„Einen Hexer?“, wiederholte Homura, den Soul Gem fester umklammernd. „Also ein Feind der Magical Girls, wie die Hexen?“

„Nein. Ich gleiche keiner Hexe, die ihr Magical Girls so fleißig bekämpft.“

„So?“, erwiderte Homura, das Juwel nun mit ihrer ganzen Hand umschlingend. „Dann erkläre mir den Unterschied. Denn soweit ich es auf den Inkubator zurückführen kann, werden nur Magical Girls zur Bekämpfung gegen die Hexen auserwählt.“

„Inkubator?“, erdreistete sich der junge Mann zu einem Erstaunen, obwohl es doch offensichtlich Homura vorbehalten war, sich hier als die Verwunderte hinzustellen.

„Du musst nichts auf diesen Namen geben. Nenne ihn einfach bei dem Namen, mit dem er sich vorgestellt hat.“

„Oh, verstehe“, begriff Shiro. „Inkubator nennst du ihn. Ja, der Name kleidet ihn hervorragend, wenngleich mir Kyubey ein wenig besser mundet.“

„Also?“

Shiros Miene verfinsterte sich schlagartig. Homura nahm dies als ein Signal der Warnung und wich einen Schritt zurück.

„Ich sehe mich eigentlich nicht in der Verpflichtung, dir das erklären zu müssen.“

„So wie ich nicht dazu verpflichtet war, dir zu helfen?“

„Wohl gesprochen. Ich sehe, du benutzt deinen Kopf.“ Der Hexer nahm eine Hand aus der Tasche und stemmte diese gegen die magere Hüfte und entwendete seinem Gesicht den finsteren Beiton. „Aber ich sehe mich dennoch in der pflichtigen Position, dir alles zu erzählen.“

„Und wieso nicht?“

„Kollateralschaden.“

„Was?“

„Du hast schon richtig gehört. Manche Geheimnisse sind aus gutem Grund geheim. Und nicht jedes Mädchen verträgt die Wahrheit. Allein schon bei dem Fakt, dass mich die meisten Mädchen aufgrund meines von mir nicht anerkannten Titels als eine Bedrohung erkannt hätten und ich in deinem Gesicht bereits die Bereitwilligkeit zur Eliminierung meiner Person erkenne, denke ich, dass ich besser Stillschweigen über meine Funktion als Hexer bewahre. Nebenbei, verwandle dich bitte endlich oder nimm den verdammten Stein aus der Hand, wo du denkst, dass ich nicht weiß, dass du ihn hinter deinem Rücken vor meinen Augen verborgen hältst. Es macht mich nämlich außerordentlich nervös raten zu müssen, ob du mich nun töten willst, oder es doch lieber bleiben lässt.“

„Nur“, forderte Homura, „wenn du mir dafür eine andere Frage wahrheitsgemäß beantwortest.“

„Ich verspreche es nicht, aber stelle sie.“

„Bist du ein Feind der Magical Girls, oder nicht?“

„Gute Frage. Du wägst dich noch in der Welt der Lebenden, also …“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage“, sagte Homura, ohne den Verdruss über diesen Jungen zur Geltung zu bringen.

„Siehst du das so? Ich sehe es sehr einfach. Alles, was dich nicht sofort umzubringen versucht, kann dir auch nicht gefährlich werden. Und ich bin keine Gefahr für die, die keinen Kampf mit mir suchen. Anders als die Hexen, welche nur durch einen Fluch das Licht der Welt erblicken, entsprang meine Geburt gleichsam der deiner: durch einen Wunsch nämlich. Außerdem bin ich nicht darauf angewiesen, ein kompliziertes Labyrinth zu schaffen und Menschen dort hinein zu locken. Darin liegt der Differenzial-Unterschied.“

„Aber welche Aufgabe dich mit deinem Wunsch an Kyubey verbindet willst du mir dennoch nicht sagen, richtig?“

Shiro nickte. „Das ändert aber nichts daran, dass auch ich Jagd auf Hexen mache.“

„Wieso das, wenn es nicht deine Aufgabe ist?“

„Oh, ich hab meine Gründe. Einer davon ist, dass ich den Magical Girls helfe.“

„Aber nicht uneigennützig nehme ich an“, meinte Homura mit erhobener Augenbraue.

„Hör zu, ich würde ja gerne mit dir darüber reden, doch du hältst noch immer den Soul Gem in der Hand und ich fühle mich ein wenig von dir in Bedrängnis gebracht. Wie wäre es, wenn du den Stein endlich wegsteckst und wir von Angesicht zu Angesicht miteinander reden.“

„Und wer garantiert mir, dass du mich nicht sofort attackierst, nachdem ich genau das tue?“

„Gerechter Gott“, seufzte Shiro zum Himmel empor, ehe er sich wieder Homura zuneigte. „Glaube mir und glaube mir in diesem Falle wirklich, wenn schon nicht die anderen Male zuvor: Ich kenne weiß um die Dauer der wenigen Sekunden, die euch zur Verwandlung bleiben. Doch diese wenigen Sekunden sind für mich schon völlig ausreichend. Wenn ich dich hätte töten wollen, dann lägst du auch schon längst tot vor mir im Dreck – mit aufgeschlitzter Kehle und die Sonne ein letztes Mal absteigen sehend.“

Homura zögerte für einen unbestimmbaren Moment, bevor sie auf seinen Wunsch reagierte und den Soul Gem in ihre Rocktasche steckte.

„Na siehst du“, sagte Shiro mit diesem frechen Grinsen, dass sie noch viele Male später zu sehen verflucht war. „Jetzt, junge Dame, lass uns vernünftig reden.“

 
 

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Umgeben von den dicken Wänden eines kleinen Raumes, inmitten tiefster Dunkelheit gelegen, erwachte aus ihrem ruhelosen Schlummer eine schwarze Rose. Die Nacht, die sich dem neu erweckten Morgen ergeben hatte, war eine viel zu kurze gewesen. Den Schlaf, den sie so sehr gebraucht, nachdem sie sich gar verzehrt hatte, war ihr dieses Mal in weiter Ferne geblieben. Und gerade, wo sie doch erst in den frühen dunklen Morgenstunden erst heimgekehrt und ganz erschöpft ins Bett gefallen war. Denn nachdem die beiden vor ihrem Angreifer getürmt waren, gab Shiro seinen Vorschlag zum besten, sich doch lieber aufzuteilen, um mögliche Verfolger zu verwirren und abzuschütteln. Schließlich wäre es einer fatalen Katastrophe gleichgekommen, hätte sie doch tatsächlich jemand bis zu ihrem Unterschlupf, Homuras nämliche Wohnung, verfolgt. Darum hatten beide über einen langen Zeitraum in einem, eigens von ihnen erwählten Versteck irgendwo in oder im Umkreis der Stadt ausgeharrt, bis sie sich über eine telepathische Kommunikation über die Sicherheit der jeweiligen Umgebung versicherten. Erst dann, nachdem sie sich in völliger Sicherheit wägten, waren beide wieder heimgekehrt. Er, in derselben trägen Art, welche mehr von Unmut, als von Unlust sprach und sie, die sie durch den Soul Gem zwar keine Unruhe verspürte, aber als Mensch nun einmal auch nicht dazu in der Lage war, ewig ohne Ruhe zu verweilen. Und gerade in ihrem zarten Alter von etwa vierzehn Jahren war der Schlaf eine Notwendigkeit. Doch von diesem musste sie sich nun erst einmal abwenden, denn in ihrem Kopf tummelten sich die Gedanken wie Kinder auf einem Spielplatz. Es war ihr derzeit unmöglich zu schlafen. Drum erhob sie sich aus dem Bett, gleich einem toten Körper, dem eine neue Seele zugeführt wurde und erschrak beim ersten Kontakt ihrer nackten Füße mit dem kalten Boden. In ihrer Schlafmontur, die ein einfacher hellvioletter Pyjama, der mit dunkelvioletten Dreiecksmustern bestickt war, suchten ihre Füße nach den warmen Fell der Pantoffeln unweit des Bettes, zog diese heran und schlüpfte in sie hinein. Darauf verließ sie den Schlafraum auf geradem Wege durch die Tür. Dem Flur bis zum Ende folgend, gelangte sie ins Wohnzimmer; jener Raum, der komplett in weiß gehalten und mit schwebenden Bildern verziert war, auf denen sich die Hexe Walpurgisnacht abbildete.

„Bist du schon wach?“, fragte sie, sich den Sand aus den Augen reibend und sich am kniehohen Tisch niederlassend.

Die Frage betraf Shiro, der ihr gegenüber und der Länge nach ausgestreckt auf dem, aus eckigen Polsterteilen zusammengesetzten Sofa lag. Die eine Hand unter seinem Nacken als Stütze, die andere auf seiner Brust, murmelte er etwas, dass Homura als ein erschlafftes „Ja“ deutete.

„Gut zu wissen“, meinte sie kühl im Worte und eisig im Geiste.

Einen Moment hielt sich das Schweigen als Leitgut zur pfleglichen Konversation. Dieses brach Homura aber sofort wieder, denn die tobenden Kinder in ihrem Kopfe wollten endlich heraus.

„Können wir reden? Ich möchte dich nämlich etwas fragen.“

„Das dachte ich mir. Wurde auch Zeit, dass du endlich deine Gefühle für mich entdeckt hast. Aber ich muss dich um Verzeihung bitten, denn ich stehe mehr auf Frauen, die sich auch wie solche benehmen. Aber ich verspreche dir, wir können immer noch Freunde bleiben.“

„Bist du fertig?“

Shiro antwortete mit einem hämischen Grinsen.

Der Witz verfehlte seine Wirkung und brachte sogar einen gegenteiligen Effekt hervor, denn Homura war nicht zu solchen Scherzen aufgelegt. Zwei weitere dieser unpassenden Späße und er hätte ihr Feuer so weit geschürt, dass er die Konsequenzen eines Waldbrandes zu tragen hätte. Noch aber war sie ruhig. Zumindest von außen. Was möglicherweise der gefährlichste Aspekt an dem Mädchen namens Homura Akemi – nein, an einer jeden Frau – war. Denn es war die Rachsucht einer Frau im Geheimen, die einen jeden Mann, der sich auf dem Throne der Schöpfung glaubte, schnell von seinem erhobenem Platze tief im Dreck wiedergefunden hatte, weil er sich eine Frau zum Feinde gemacht hatte, ohne es auch nur im Ansatz zu merken. Die Geschichte beweist es nur zu gut, dass die Ruhe einer Frau nur mehr zur Obacht rufen sollte. Ob nun der Hunnenkönig Attila durch seine Ildico in in ihrer Hochzeitsnacht durch eine scheinbar ominöse Todesursache, die abertausend Hugenotten in ganz Frankreich, auf Befehl der Katharina von Medici, weil diese sich einer anderen Glaubenskultur verpflichtet fühlten oder der – nun von der Metapher in die Wirklichkeit – Verlust des Thrones, wie es Peter dem III. in einem Staatsstreich durch Katharina der II. widerfahren ist. Wahrlich, stille Wasser sind tief. Und in den ruhigsten Gewässern, da schwimmt die Frau.

„Du verstehst auch überhaupt keinen Spaß“, brummte er, das starre Gesicht von ihr nach Anzeichen eines Lächelns musternd. „Also, schieß los. Wobei ich mir schon denken kann, worüber du reden willst.“

„Dieser Mann von gestern …“, sagte Homura.

„Ich wusste es“, stöhnte Shiro mit abgewandtem Haupte.

„Er hatte dich Vispas genannt“, setzte Homura ungehindert fort.

„Und?“

„Nun, ich würde gerne wissen, wieso.“

„Was weiß denn meine Wenigkeit.“

„Mehr, als sie zugeben will.“

„So?“

„Etwa nicht?“, kommentierte Homura rhetorisch, was Shiro mit den Schultern zucken machte.

„Sag du es mir.“

„Du scheinst vergessen zu haben, was du gestern Abend noch gesagt hast.“

„Ah? Und das wäre?“

„Du hast gesagt, dass du den Namen nie angenommen hast.“

Shiro legte einen Ausdruck träger Denkarbeit in sein Gesicht, als er sich dieser Worte zu entsinnen versuchte. Dann umfasste ihn die Einsicht. Ein strafender Seufzer auf sein Haupt entstieg aus seinem Munde.

„Oh, stimmt ja. Ich vergaß doch glatt, dass ich in diesem Augenblick ein wenig freimütig mit meiner Zunge hantiert habe.“

„Scheint so.“

„Doch Homura“, sagte Shiro einwendend, sich in eine aufrechte Sitzposition begebend, dass er nun seitlich zu ihr saß, „du hast doch nicht unsere Abmachung vergessen, nicht wahr?“

„Keineswegs“, meinte Homura kopfschüttelnd. „Und ich habe auch nicht vor dich zu zwingen, mir den Bestand zu erklären. Aber du willst sicher nicht bestreiten, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, mir zumindest zu erklären, was hier vor sich geht und auf welche Höllenfahrt ich mich mit dir eingelassen habe.“

„In der tat, das will ich bestreiten.“

„Das kannst du nicht ernst meinen“, verwunderte sie mit von vor Unmut gekräuselter Stirn. Doch ein Augenmerk auf Shiros matte Gesichtszüge gerichtet und es ergab sich ihr augenblicklich, dass der Hexer jedes seiner Worte ernst meinte. „Kannst du mir denn auch verraten, wieso du mich nicht an diesem seltsamen Geheimnis teilhaben lässt?“

„Das kann ich dir wohl sagen“, erwiderte Shiro und erhob sich von seinem Sitzplatz, direkt auf eines der großen Wandgemälde hin schreitend, welches die fürchterliche Walpurgisnacht darstellte. Mit den Fingern strich er über den kunstvollen Rahmen, dem feine Schraffierungen einer unmenschlichen Sprache ins Holz eingearbeitet waren, welche die Worte „Walpurgisnacht, die Große und Fürchterliche“ schrieben. Es war die Runenschrift der Hexen, über welche Shiros Fingerkuppen so fein und beinahe ehrfürchtig drüber glitten. „Schau, wir beide hüllen uns in einen Schleier aus obskuren Geheimnissen, um jene zu täuschen, von denen wir nicht behaupten, dass sie uns verstehen würden. In den Augen deiner lieben Freundin Madoka, bist du nur ein, in allen Punkten herausragendes Talent, mit dem es ein normaler Mensch niemals aufnehmen könnte. Auf dieses Bild hast du dich berufen. Und im selben Maße tue ich das mit allen Mädchen, mit denen ich paktiere. Wie die Magical Girls für die Menschen, bin ich ein herausstehendes Muster in einem großen Wandteppich. Ich harmoniere mit dieser Schönheit mittelalterlicher Kunst, dass man sich an mir nicht stören dürfte. Und trotzdem wecke ich das schlafende Auge des Kritikers in jenen, die mich erblicken. Dieses Auge sieht mich als ein Schandfleck, ein Klumpen Dreck auf einen sündhaft teuren und mit viel Arbeit hergestellten Kunstwerk. Wie eine kleine Spinne auf der makellosen Haut einer schönen Frau, wenn dir diese Metapher eher zusagt. Der eine mag sich nicht an meiner Präsenz stören, dafür tut es aber ein anderer für ihn. Du kannst noch so weit folgen? Denn nun kommen wir zum eigentlichen Fokus dieser Abwandlung unserer Beziehung.

„Ich bitte darum“, sagte Homura, die alle Mühen auf sich nahm, seiner Erklärung zu folgen.

„Gut denn“, meinte Shiro, „bleiben wir bei dem Beispiel mit der Spinne, denn sie scheint mir hierfür geeigneter, um nicht zu sagen ,einfacherʻ zu sein. Wie bereits erwähnt, stören sich die einen nicht an mir, die anderen aber schon. Manche lieben Spinnen, andere verachten sie. Dafür können sie nichts, denn es liegt in ihrer Natur so faszinierend und gleichermaßen ekelerregend zu sein. Aber es ist egal, zu welcher Sorte du dich zählst, am Ende sind sie alle gleich. Alle wollen sie wissen, ob diese Spinne harmlos bin. Und sobald sie es herausgefunden haben, wissen sie schon zu viel. Sie sehen diese Spinne als eine Bedrohung für ihr Leben und geraten in Panik, machen sich Vorstellungen von ihr, wie sie sie im Schlafe in die Mundhöhle krabbelt, sie beißt oder in ein Netz einwickelt. Mal dir aus, was für dich am schlimmsten ist. In jedem Fall ist das anfänglich so faszinierende Tier in den Augen des Neugierigen ein bösartiges Monster. Und was tun wir mit Monstern? Wir töten sie. Über einen anderen Weg wird gar nicht erst nachgedacht, nein! Die Spinne ist ein Monster, darum muss sie sterben. Obwohl sie nichts getan hat, wird sie dafür verurteilt, was sie ist.“

Homura schluckte, als er endlich mit seiner Erklärung endigte, denn dieser Fluss an metaphorischen Informationen musste erst einmal verdaut werden. „Und was ist“, fügte sie nach, „wenn mich diese Spinne nicht weiter kümmern würde und es nur die Gewissheit bräuchte, um endlich Ruhe vor der Ungewissheit zu haben?“

„Eine schöne Vorstellung“, pflichtete Shiro ihr mit einem melancholischen Seufzen bei. „Aber eine Vorstellung trotz allem. Bislang konnte keines der Mädchen den Gedanken ertragen, mich auch nur in dieser Welt zu wissen, nachdem sie erfahren hatten, was ich eigentlich bin.“

„Also macht dich dieses Geheimnis … macht es dich zum Feind der Magical Girls?“

Shiro drehte sich auf einem Absatz zu ihr um. Zuversicht umstrahlte ihn, wie eine gleißende Aureole ihren Stern, ganz die Düsternis der letzten Minuten hinfort gespült, als hätte es sie niemals gegeben. „Es besteht keinerlei Grund zur Sorge. Dieses Geheimnis, so schwer es auch für dich zu glauben ist, behindert uns in keinster Weise in unserer kleinen Zusammenarbeit. Ich bin nur solange kein Feind, wie du deine Waffe nicht gegen mich richtest. Und ich habe auch nicht vor, dir dafür einen Anlass zu geben.“

„Das beantwortet jedoch nicht meine Frage“, sagte Homura.

Das“, erwiderte Shiro, „ist aber alles, was ich dir als Antwort geben kann. So es dir nicht passt, kannst du unsere Übereinkunft natürlich auch für Null und Nichtig erklären. In diesem Fall werde ich noch zur selben Stunde die Stadt verlassen haben.“

Diese Option erschien Homura in der Tat sehr verlockend. Schließlich überwog Shiros ganze Art seinen positiven Beitrag auf ihr Ziel. Es schien ihr beinahe sogar, als würde er diese Operation eher sabotieren, als vorantragen. Vielleicht trübte aber auch der Schlafmangel und der gereizte Geist ihre Urteilskraft und sie mutete ihm mehr Abscheulichkeiten zu, als er tatsächlich vollbrachte. Schließlich war ihr schon von Beginn ihrer Kooperation bewusst, dass er ein schwieriger Partner werden würde. Nur seine herausragenden Fähigkeiten und seine Effizienz bei der Jagd auf Hexen wogen ihn in ihrer Gnade.

Ich kann nicht sagen, dass es mir gefällt, dachte sie. Aber mit ihm habe ich im Moment die höchsten Chancen, Walpurgisnacht zu bezwingen. Was danach ist, das ist mir ohnehin schon lange egal. Aber bis zu ihrem Erscheinen ist es noch lange hin und wer weiß, was noch alles passieren könnte. Gerade, wenn sich eine unbestimmte Zahl an Hexern an Shiros Fersen heftet und …

Homura blickte auf. „Shiro.“

„Ja?“

„Können diese Hexer – deine Verfolger – einen von uns beiden aufspüren?“

„Du meinst, so wie Magical Girls die Hexen? – Nein, das ist ziemlich ausgeschlossen.“

„Wie konnte uns dann einer von ihnen finden?“

„Gute Frage. Ich würde auf simples Pech tippen.“

„Pech?“, fragte eine äußerst irritierte Homura. „Es soll Pech sein, dass sie uns inmitten einer so großen Metropole auf einem Inselstaat suchen und finden, gerade wo wir uns einmal eine Woche kennen?“

„Hör zu“, seufzte Shiro, „ich weiß nicht, wie viele Hexer uns verfolgen und wo sie überall nach uns suchen. Sie wissen aber spätestens seit gestern, dass wir uns in Mitakihara aufhalten, was uns gewiss vorsichtiger machen sollte, nicht aber ehrfürchtiger. Keiner von uns kann einfach geortet werden, solche Fähigkeiten besitzen wir nicht. Wir sind schließlich keine Jäger, sondern …“

„Sondern?“

„E-etwas anderes eben“, wehrte Shiro ab.

Unbequeme Stille.

„Oh man, glaub mir wenigstens das, wenn schon nicht alles andere, was ich dir eben erzählt habe. Es gibt keinen Grund für diese Sorge. Sie können weder dich, noch mich aufspüren.“

Homura wusste nicht, ob sie ihm glauben sollte. Es war schwer bei ihm abzuwägen, wann er nun die Wahrheit sagte und wann er log.

„Nun, da das geklärt ist“, meinte Shiro, sich von den Bildern entfernend, an ihr gemächlich vorbei und zum Ausgang des Raumes hin schreitend, „will ich mich entfernen. Schließlich habe ich immer noch die Aufgabe Madoka Kaname zu überwachen, ehe sich der Abend nähert und ich mich mit dem kleinen Goldlöckchen zu befassen erlaube. Infiltration und Sabotage.“ Die letzten Worte sprach er mit einem bedächtigen Flüstern, doch Homura hatte sie vernommen. Es klang in ihren Ohren, als hätte er in diesen eine tiefe Abscheu geborgen.

Sobald er die Klinke in die Hand genommen und die Tür einen Spalt weit geöffnet hatte, rief ihn Homura noch ein mal beim Namen und er wandte sich ihr zu. „Damals, auf dem Friedhof … wieso warst du wirklich dort?“

Shiro nahm die Frage mit einem irritierten Lächeln auf. „Ich denke, das habe ich dir schon gesagt“, meinte er.

„Ja“, sagte sie, „du warst zum Sterben dorthin gekommen. War das der einzige Grund?“

Der junge Hexer zögerte einen winzigen Moment, welcher aber selbst an der Aufmerksamkeit einer erschöpften Homura nicht unbemerkt vorbeizuziehen in der Lage war.

„Ja“, sagte er schließlich.

„Und warum ausgerechnet auf dem Friedhof in Kazamino?“

„Ich habe meine Augen zum ersten Mal in Kazamino aufgeschlagen. Da erschien es mir nur sinnvoll, sie dort auch wieder zu schließen.“

„Und es hat ganz sicher nichts mit etwas anderem zu tun?“

Wieder ein kaum wahrnehmbares Zögern. „Zum Beispiel?“

Homura kam der Gedanke an ein ganz bestimmtes Mädchen, welches aus Kazamino stammte, wagte aber nicht sie zu erwähnen. Warum sie es nicht tat, konnte sie sich selbst nicht erklären. „Ich weiß nicht“, sagte sie also stattdessen. „Nur so ein Gedanke.“

„Vertreibe diesen“, sagte Shiro, sich wieder umwendend. „In dieser Welt gibt es nichts, das mir erhalten wurde. Daher sind auch meine Motive so einfach und ohne jeden Hintergrund. Und das kannst du mir glauben.“

Mit diesen Worten gesprochen, war er aus dem Zimmer verschwunden und gleich darauf war das Geräusch einer sich schließenden Haustür zu vernehmen. Homura, die noch immer mit gebeugtem Haupte auf ihrem Platz gesessen, hatte sich die Worte wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen.

„,In dieser Welt gibt es nichts, das mir erhalten wurdeʻ“, zitierte sie ihn; in Worten, wie in Gedanken. „Ist es also vielleicht doch, wie ich es vermutet habe …“

Kapitel 11: Wiedersehen


 

Contiguity Magica

Kapitel 11: Wiedersehen

 

[RIGHT] [/RIGHT]

[RIGHT]Unterdessen:[/RIGHT]

[RIGHT]Shiro Ikuto[/RIGHT]

 

Als der weiße Wagen vor dem Haus der Kanames zum Stehen kam, die Warnblinkanlage einschaltete und der Fahrer das Geld entgegennahm, öffnete sich auch gleich die hintere Beifahrertür und Madoka trat, mit ihrem kleinen Bruder Tatsuya im Arm, heraus und gab dabei Acht, dass sie nicht in einer der vielen Pfützen trat, die noch von heftigen Regenschauer des gestrigen Tages übrig geblieben war. Direkt nach ihr folge ihre Mutter Junko auf der gegenüberliegenden Seite und dann Tomohisa, der sich neben dem Taxifahrer befunden hatte. Der Wagen fuhr wieder los und hinterließ die Familie Kaname bei ihrem Anwesen.

Madoka setzte den kleinen Tatsuya auf dem Boden ab, der es sich für die gesamte Fahrt nicht nehmen lassen wollte, auf dem Schoße seiner Schwester zu verweilen und sie, gleich einer Göttin dem braven Gläubigen, die ihm schon so oft im Traum erschienen und nun endlich in fleischgewordener Gestalt gegenüber getreten war, anzubeten, anzuhimmeln und sich ihrer tatsächlichen Existenz immer wieder mit den Händen auf ihrem Gesicht zu überzeugen. Die letzten zwei Tage der physischen Absenz von Madoka für ihn, waren für einen erwachsenen Mann gleich zwei Jahre fern der Freiheit in einem Gefängnis. Dieses Beispiel hinkte nicht, denn die beiden Geschwister waren ein Herz und eine Seele, wie die Lungen und der Sauerstoff, das Leben und die Gesundheit und eben auch der Mensch und seine Freiheit. Mit Junko, die durch ihren Beruf nur selten frühzeitig Zuhause war, um ihren Sohn noch beim zu Bett gehen zu erwischen – meistens schlief er nämlich schon, wenn sie gerade durch die Tür war –, oblag es Tomohisa den jüngsten Spross der Familie einzudecken und mit einer seiner eigenen Geschichten, das Tor zum Traumland aufzustoßen. Die Zeit davor, die seiner munteren Unterhaltung diente, war hingegen Madoka vorbehalten, was maßgeblich das Band zwischen den beiden verstärkte, wie man schon erahnen konnte. Natürlich daher vorstellbar, wie wenig tapfer er darauf reagierte, dass seine Schwester dieses Ritual vor dem zu Bett gehen nicht durchzuführen im Stande war und Tomohisa seine Schwierigkeiten damit hatte, den sonst so braven Jungen zu zähmen. Nun, da aber alles wieder gut und Tatsuya in Madokas Armen die Gewissheit hatte, dass nun alles wieder zum Alten gekehrt war, ergab sich nur ein kleines, eher unbedeutendes Problem: er wollte diesen Armen nicht mehr entweichen.

Madoka, die sich in gebeugter Haltung befand und ihn wie eine Puppe auf wackligen Füßen auf dem Boden abzustellen versuchte, durfte Zeuge seines enormen Durchhaltevermögens werden. Beide Hände umklammerten die cremefarbene Jacke der Schuluniform wie einen Schatz, während er das ganze wohl als eine Art Spiel aufzufassen versuchte, denn er gab die ganze Zeit ein amüsiertes Lächeln von sich.

„Na dann eben wieder auf den Arm“, sagte Madoka und zog ihn wieder hoch bis zu den Schultern, wobei sie ihre Anstrengung, denn der Junge war nun schon einmal drei Jahre alt und somit größer und schwerer als noch vor einem Jahr, mit einem Lächeln zu verdecken wusste.

Aus einer sicheren Entfernung konnte sich Shiro dieses herrlich harmonischen Schauspiels betrachten, ohne mit der Sorge im Nacken eine Beklommenheit zu empfinden, man könne ihn bemerken. Denn es ergab sich der glückliche Zufall, dass es unweit des Hauses der Kanames ein weiteres Familienanwesen gab, auf welchem Flachdach ein breiter und langer Kamin thronte, mit dessen Hilfe sich der Hexer vor den Blicken aller entziehen konnte, während er selbst eine klare Sicht auf die Geschehnisse hatte, die sich vor der Auffahrt des Hauses abspielten.

Madoka, zusammen mit ihren Eltern, verschwand durch die Tür, die ihr so freundlich von ihrem Vater aufgehalten wurde und war von da an seinen Augen entzogen. Einige Zeit blieb er noch an dieser Stelle verharrend. Nicht, weil er sich der Gewissheit versichern wollte, dass sie auch unter keinen Umständen mehr das Haus für den heutigen Tag verließ, sondern weil ihm etwas an das Bildnis von vorhin, das Tatsuya im Arm seiner Schwester Madoka gezeigt hatte, eine Kerbe ins Gemüt schlug. Unweigerlich war sein Geist zurück in die Vergangenheit gereist, ohne das er einen Einfluss darauf hätte nehmen können. Das Antlitz einer Frau, das von der Stirn abwärts von einem tiefschwarzen Schatten verdeckt wurde, rief sich ihm ins Gedächtnis. Welche Farbe krönte die Augen? Welche Länge hatten die Haare? Lächelte diese Frau, weinte sie, war sie wütend gar? Er wusste es nicht mehr, denn es war eine, über die Jahre schwer verblasste Erinnerung an einen Menschen, den er einmal sehr geliebt hatte.

„Wo ist die Zeit nur mit mir hingegangen?“, seufzte er, als er sich wieder in der Gegenwart befand. Er legte den Kopf andächtig in den Nacken, als erwarte er dieses Gesicht deutlicher im blauen Morgenhimmel widergespiegelt vorzufinden. „Wie lange bin ich nun schon hier? Schwester, ich habe dich tatsächlich vergessen.“

Mit diesen wehmütigen Worten und den traurigen Gedanken, verstrichen noch wenige aber lange Sekunden, in denen er so bleich und starr wie eine Marmorstatue dahockte, bis er sich dann letzten Endes aus der Umarmung der Seelenpein löste, sich erhob und zum Aufbruch bereit machte. Jäh wurde dieses Vorhaben aber durch eine Fügung des Schicksals unterbrochen. Ein Schauer überzog ihn, wie ein plötzlicher Wintersturm an einem milden Frühlingstag. Sofort materialisierte sich in seiner Hand ein Dolch und mit einer gewandten Umdrehung rotierte er herum und nahm eine verteidigende Haltung ein.

„Na na, du wirst doch nicht am helligten Tage einen Kampf anzetteln?“

„Ah du“, murrte Shiro. „Natürlich du, immer wieder du!“

Vor ihm stand ein junger Mann vom äußeren Erscheinungsbild eines fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jährigen, mit dichten goldenen Haar und einem kleinen eckigen Brillengestell auf einer breiten Nase und vor einem blauen Augenpaar, der ganz in einer weißen Robe mit blauem Saum gekleidet und mit einem langen Stab aus einem stabil anmutenden Holz in der Hand dahergekommen war. Auf der Spitze dieses Stabes thronte ein ungeschliffener und daher von unfeinen Kanten übersehener blauer Kristall, auf dem der Kopf einer goldenen Schlange ruhte, die ihren Körper zweifach um den Stab wickelte.

„Ja, ich bin es“, sagte der Mann und machte mit der freien Hand eine beruhigende Geste. „Bitte, nimm doch den Dolch runter. Ich möchte nur reden.“

„Das ist fein“, entgegnete Shiro mit misstrauischem Blicke. „Zieh von dannen und unterhalte dich mit dir selbst. Los, geh! Bevor dich mein Dolch noch zwischen die Augen trifft.“

„Ach mein Gott“, lachte der Mann, „es ist wirklich nicht zu Glauben, dass du dich nach diesem Jahr noch um keinen Deut verbessert hast. Im Gegenteil noch, du scheinst weit verdrießlicher zu sein.“

„Und wessen Schuld mag das wohl sein?“

Der Hexer machte ein verblüfftes Gesicht. „Doch wohl nicht etwa meine?“

„Wessen soll es sonst sein?“

„Es geht dir doch wohl nicht um das eine Mädchen in Kazamino, oder?“

Shiros Finger umschlangen den Griff des Dolches nur noch fester, während der Ausdruck auf seinem Gesicht der einer wilden Bestie immer ähnlicher wurde.

„Na na, jetzt setz doch erst einmal wieder zur Vernunft an.“

„Warum sollte ich? Vernunft hatte ja noch nie bei einem von uns beiden funktioniert. Nenne mir also nur einen guten Grund, warum ich noch einmal einen Fuß auf diesem Pfad ins Nichts setzen sollte. Los, erzähl schon, Gamic. Erzähl, bevor ich die Dolche singen lassen.“

„Nun“, versuchte der Hexer Gamic in einer schlichtenden Weise das erhitzte Gemüt des Hexer Vispas zu kühlen, „wir befinden uns hier auf einem Dach, gut einsehbar für Menschen, die sicherlich auch an einem Sonntag diese kleine Straße entlang marschieren. Es wäre nicht gut, wenn sie uns sehen würden. Denn du weißt, was ich dann zu tun habe, nicht wahr?“

„Sag, erpresst du mich?“

„Ich?“, fragte Gamic, eine Hand auf die erschrockene Brust legend. „Beim Namen Gottes, ich würde dich niemals erpressen.“

„Pah“, sagte Shiro.

„Ach, ob du es nun glaubst, oder nicht, der Fakt bleibt doch derselbe. Ein jähes Ende all derer, die uns zu Gesicht bekommen. Willst du das wirklich riskieren, alter Freund? Du weißt, mir ist es einerlei, denn ich denke nur an dein Gewissen, dass du damit belastest.“

Shiro musterte das Lächeln, mit dem sich Gamic beinahe alle Zeit schürzte und welches ihm schon beim bloßen Anblick in wilde Raserei versetzte. Denn es war eine jener unscheinbaren Grimassen, die eine karitative Überlegenheit ausstrahlten. Das Mitleid als Krone auf dem Haupte einer Übermacht. Shiro blickte in dieses so fiese Antlitz und erkannte in seiner Schande, dass der Hexer leider völlig im Recht war. Er ließ den Dolch also wieder im Strom seiner Magie verschwinden und nahm eine neue Haltung ein, die das sich widerstrebende Bild einer friedlichen Gesinnung malte.

„Schon besser“, meinte Gamic mit einer erfreuten Kopfbewegung. „Also, wollen wir irgendwohin, wo wir vollkommen ungestört –“

„Ich werde nirgendwo mit dir hingehen“, fiel ihm Shiro erbost ins Wort. „Ich werde es nicht vergessen. Es steht noch eine Schuld zwischen uns, die ich beglichen sehen will. Eine, die die langen Monate in Gefangenschaft umfasst, wegen der ich fernab meiner kleinen Schwester, die ich wegen dir niemals wiedersehen werde, gezwungen war zu leben.“

Der Hexer Gamic legte einen unbekümmerten Ausdruck in die eher warmen Züge seines Antlitzes, als wüsste er nichts mit diesem Vorwurf anzufangen. Er blieb schweigend an Ort und Stelle verharren und trug den scharfen Blick Shiros mit bewundernswerter Ruhe.

„Teile deinen Freunden folgende Botschaft mit: Ich, Shiro Ikuto, nicht Hexer Vispas, werde alle in die Vergänglichkeit reißen, die es wagen, mich in eben jenes Loch hinabzuwerfen. Das betrifft dich, deinen Speermeister und alle, die deinem Ruf gefolgt sind und noch folgen werden.“

„Deine Drohungen solltest du an jemanden richten, der sie auch ernst nehmen kann“, entgegnete Gamic mit derselben Gelassenheit, wie er sie auch einer schnurrenden Katze entgegenbringen würde. „Du siehst dich zu sehr in einer Position, die dich als ein mächtiges Ebenbild eines aufrecht stehenden Hexers stellt, dabei du nur zaghaft kniest, mit schwächlichen Beinen, die dein Gewicht kaum zu tragen vermögen. Sag mir, wie lange ist es her, dass du mal wieder richtige Hexenmagie zu dir geführt hast? Die reine Magie eines Soul Gems zerstört die finstere Aura, nicht wahr?“

„Sie ist gut genug, um dich deinem lieben Gott näher zu bringen.“

Gamic gab zur Erwiderung ein freimütiges Lächeln. „Diese Meinung teilst nur du.“ Und hierauf wandte sich der Hexer erstmals von seinem Widersacher ab und beschaute einen leeren Fleck auf der Dachfläche, als könne er eine Erscheinung wahrnehmen. „Sag es ihm, Kyubey. Erzähl ihm von den Nachteilen, die eine dauerhafte Zuführung reiner Magie seinem Körper bringt.“

Wie von einem Augenblick zum anderen, zwischen dem Sekundenwechsel einer Uhr oder dem Lidschlag eines Menschen, besetzte den Platz, auf den Gamic vorher hingestarrt hatte, nun jenes Alienwesen Kyubey, der mit je einem Auge einen der beiden Hexer zu erfassen schien. Ganz wie eine misstrauische Katze, die den Menschen vor sich kein Vertrauen entgegenbrachte, gleichwohl, dass seine gelassene Sitzhaltung eine andere Botschaft vermittelte.

„Es ist unbestreitbar“, stimmte Kyubey mit Gamic überein, „das die Magie der Magical Girls einem ganz anderen Fluss verfolgt, als dem der Hexen und der Hexer. Das macht auch nur Sinn, da man Feuer schließlich nicht mit Feuer bekämpft, wie es ein unlogisches Sprichwort der Menschen gerne behauptet. Wasser mit Feuer, Licht mit Dunkelheit, Hoffnung gegen Flüche. Das Gute, gegen das Böse, wenn dir diese Metapher eher liegt.“

„Oh“, stöhnte Shiro auf, „das fehlt mir noch zu meinem Elend. Das du noch hinzukommst und mich belehrst, wie es dieser Prediger hier tut.“

„Predigten, die noch immer zu auf taube Ohren stoßen“, sagte Gamic.

„Deine Weltanschauung alleine ist ja schon von einem sarkastischen Himmel umwölbt“, sagte Shiro im spöttischen Tone. „Du erzählst vom Licht und schwelgst doch für die Dunkelheit.“

„Und was ist mit dir?“, fragte Gamic. „Markus, 8,36: ,Was hat ein Mensch denn davon, wenn ihm die ganze Welt zufällt, er selbst dabei aber seine Seele verliert?ʻ Nicht, das wir überhaupt noch eine besäßen, nicht wahr? Dennoch, Korinther, 15,10: ,Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.ʻ“

„So auch ich“, antwortete Shiro.

„Nein, nicht wie du. Denn du hast dich der Gnade Gottes abgewandt und dich auf einen Weg begeben, der dir nicht vorherbestimmt war. Ich ersuche dich nochmals umzukehren, oder ich kann dir keine Gnade mehr garantieren.“

„Nur zu. Gleich hier und jetzt? Was ich gestern mit deinem Mann versäumt habe, kann ich ja bei dir nachholen.“

„Ich halte das für keine adäquate Lösung“, warf sich Kyubey in das Geschehen.

„Dem pflichte ich bei“, sagte Gamic und rückte sich mit der Hand die nach unten gerutschte Brille wieder zurecht. „Dies ist weder die rechte Zeit, noch der rechte Ort, um unsere Differenzen zu klären. Ich war nur hier, um zu sagen, was ich gesagt habe. Lange habe ich dein Handeln toleriert, nun ist es genug. Der gestrige Kampf galt nur einer Warnung, der nächste wird dein Ende herbeiführen. Sei gefasst, Vispas: Wir kommen.“

Gamic schlug drei Male mit dem Fuße seines Stabes auf das Dach und verschwand so schnell und leise wie ein Schatten in der Dunkelheit.

„Weg ist er“, sagte Shiro mit tief gesenkten Augenbrauen.

„Er war sehr darauf bedacht eine friedliche Einigung mit dir zu finden“, erklärte Kyubey, sich zu Shiro hin begebend. „Ich würde es an deiner Stelle noch einmal überdenken und ihn zumindest anhören.“

„Dann ist es ja gut, dass du nicht an meiner Stelle bist, mein Freund. Ich habe keine Worte mehr mit ihm zu wechseln. Ich will nur eines aus seinem Mund hören und das ist das letzte Röcheln kurz vor seinem Tod, wenn sich meine Klingen in seinen Hals vergraben.“

„Du bist dir hoffentlich im Klaren, dass du diese Schlacht mit ziemlicher Sicherheit nicht überstehen kannst, oder?“

„Das werden wir erst erfahren, wenn es soweit ist.“

„Selbst“, begann Kyubey Shiros Chancen analytisch zu erfassen, „wenn es dir tatsächlich gelänge, einen von ihnen zu eliminieren, könntest du doch niemals gegen sie alle bestehen. Dein Körper, der dazu ausgerichtet ist, dunkle Magie aus Hexen zu sammeln, um wiederum neue Hexen aus vergangenen Tagen zu beschwören, verträgt sich nicht mit der Magie der Magical Girls. Du kannst niemals dein volles Kampfpotential ausschöpfen, wenn du dich weiterhin auf diese Weise am Leben erhältst.“

„Und sollte ich auch sterben, so sterbe ich in dem Wissen, etwas Gutes vollbracht zu haben. Wenigstens ein bisschen Licht in dieser schrecklichen Finsternis meines Herzens.“

Shiro legte eine Hand auf die linke Seite seiner Brust und ballte sie zu einer Faust, dass er seine Jacke fest mit seinen Fingern umklammerte. Ein Ausdruck trauriger Verdrießlichkeit legte sich wie ein Schatten über sein Haupt.

„Nur das du weder ein Herz besitzt, noch eine Seele, die sich mit deinen Taten lasten kann“, sagte Kyubey.

„Ach, du nimmst auch alles wörtlich, nicht wahr?“, versuchte sich Shiro an einem Grinsen, mit dem er das Kalkül des Alienwesens belächeln wollte. Es gelang ihm aber nur äußerlich. Denn von Innen zerfraß ihn die Bitterkeit, die da mit der schlimmen Wahrheit einherging.

Eine Weile lang kehrte auf dem Dach Stille ein. Beide schauten sie in die Ferne, die einen schönen Ausblick auf das Wohngebiet bot, hinter welchem sich die großen Bauten Mitakiharas erhoben. Die grünen Bäume, die sich um und zwischen dein einzelnen Wohnhäusern aufhielten, wuchsen hoch bis zu den Dächern und vereinten auf wundersame Weise die Moderne Zivilisation mit der Schönheit der Natur. Es wurde sich Shiro mit diesem Ausblick immer erst wirklich bewusst, wie viele Menschen hier in dieser utopischen Stadt lebten. Und wie sauber und rein sie doch war, im Vergleich zu den meisten anderen auf dieser Welt.

„Sag mir, Kyubey“, begann Shiro nach dieser langen Zeit der Ruhe.

Kyubey, der die Gedanken des jungen Mannes zu erraten schien, legte leicht den Kopf in die Schräge, als er zu Shiro hinaufblickte. „Du willst wissen, wie vielen Hexern du Unmut bereitet hast, oder?“

„Du bist einfach zu schlau für mich“, meinte Shiro und brach in ein helles Gelächter aus.

„Würde das Wissen um ihre Zahl denn etwas an deiner Entscheidung ändern, die du getroffen hast?“

„Tja, wer weiß. Ich klammere mich trotz der Vergangenheit noch immer an eine Zukunft.“

Kyubey schien für einen Augenblick in eine Welt der Wägungen zu flüchten, ausmachend von der Ruhe, in die er eingekehrt war. Immerhin galt es sich in eine Sache einzumischen, die zwischen Hexern ausgetragen wurde und wonach es ihm verboten war, Partei zu ergreifen. Das setzte alleine schon die Freigabe von Wissen voraus, die einem anderen nicht gängig war. Dann wiederum, und hierauf baute Shiro, heiligte der Zweck die Mittel. Wenn er es schaffe seine wertvollen Produkte, welche die Hexer darstellten, auf eine Einigung zu stimmen, wäre eine kleine Scherbe des Glücks aus den Bruchstücken zu bergen, die das momentane Fiasko darstellt.

Schließlich und endlich beschloss er also zu sprechen und gab an: „Es sind momentan vier Hexer.“

„Vier“, murmelte Shiro. „Werden es mehr?“

„Das kann nicht bestimmt werden. Die Möglichkeit liegt aber offen.“

„Mit Gamic also vier. Einer mehr, als ich zu vermuten wagte, aber gut, es hätte auch weitaus mehr sein können.“

„Können es immer noch“, mahnte Kyubey. „Mit dir und Gamic haben wir neunundvierzig Hexer über den Globus verteilt. Fünf nun in Japan und drei weitere in unmittelbarer Nähe zu dem Inselstaat.“

„Sollen sie kommen“, sprach Shiro Unheil verheißend. „Und bin ich auch der Schwächste unter ihnen, werde ich dem Tod nicht die Hand der Reue zur Begrüßung ausstrecken.“

„Du willst trotz dessen weiter kämpfen?“, gab sich Kyubey die Blöße der Verwunderung.

„Ich muss, mein Freund.“

„Ungeachtet der Zukunft, an die du dich klammerst und die dir dann für immer entrissen wird?“

„Eine Zukunft ohne Bedeutung für mich, wenn ich weiter dazu genötigt werde Hexen in diese Welt zu holen.“

Das kleinen Alien schien begriffen und gab einen Laut der Erkenntnis von sich. „Nun, ich kann dich wohl nicht Lügen strafen, da du nur gesagt hattest, du würdest es dir überlegen. Doch komme ich nicht umhin zu glauben, dass das eine Lüge war.“

„Eine Lüge?“ Shiro lachte wie von einer heiteren Erinnerung beflügelt. „Ach, sei doch nicht albern, Kyubey. Ich könnte niemals so elegant lügen, dass du es nicht zu bemerken im Stande wärst. Und überhaupt war alles, was ich dir gesagt habe, war gesprochen. Ich klammere mich an eine Zukunft. Eine, auf der die dunklen Tage als Hexer endlich der leuchtende Morgen folgt. Und mit ihm das Ende meines Leidensweges.“

„Ich kann dich wohl wirklich nicht von diesem Irrglauben abbringen, du könntest noch einmal dein Leben als Mensch verbringen“, gab sich Kyubey einsichtig. „Dann wirst du den Pfad der Selbstzerstörung weiterhin folgen. Doch wie viele Leben junger Mädchen planst du noch mit ihm zu pflastern? Übersteigt der Wert ihres Lebens nicht die freie Sinnhaftigkeit deiner Hoffnung, die du als hehre Ziele ansetzt?

„Du fragst den Falschen, wenn du um Mitleid für sie bettelst. Ich bade nicht im Sud der Schuld, die du mir anzulasten versuchst.“

„Selbst dann nicht“, sagte Kyubey, sich dabei von Shiro abwendend, „wenn du Homura und Mami besseren Wissens in einen Kampf verwickelst, der nur allein auf dich zurückzuführen ist?“

„Mami?“ Shiro fuhr eilends herum, doch Kyubey war schon auf dieselbe Art und Weise verschwunden, wie er sich so unerwartet seinen Augen präsentiert hatte. „Der Kleine“, murmelte er mit gerunzelten Brauen, „ist wirklich immer auf dem neusten Stand. Ich will mich wundern, wo er überall seine Augen und Ohren versteckt hält.“

Verblüfft, aber deshalb nicht weniger von der Tatkraft eines ehrgeizigen Gesellen beseelt, begab sich auch Shiro auf den Weg, denn es gab an diesem Ort für ihn nichts mehr zu tun. Nun galt es allein den Tag zu überstehen, wo noch nicht einmal den Scheitel überflogen hatte. Schwer war es an einem Sonntag an Vergnüglichkeiten zu gelangen, die dem Wohl des Zeitvertreibs gelegen waren. Und zu Homura mit ihren lästigen Fragen zurückzukehren, kam für ihn ebenfalls nicht in Frage.

„Homura“, wisperte er mit mürrischem Tone, „dieses Mädchen und ihre Pläne. Mit kalten Berechnungen glaubt sie die Menschen nach ihrem Ermessen manipulieren zu können.“ Ein spöttisches Zischen entfiel seiner Kehle, wie bei einer Schlange, die den Versuch einer in die Ecke gedrängten Maus belächelte, die glaubte sie könne noch irgendwohin fliehen. „Und jetzt schickt sie mich in die Krallen einer Katze und weist mich an, ihr nicht die Zähne zu zeigen. Oh, wie ich mir sicher bin, dass das noch einen bösen Wendepunkt in dieser Geschichte nehmen wird.“

 

 

[RIGHT]Später am Abend:[/RIGHT]

[RIGHT]Mami Tomoe[/RIGHT]

 

Der dünne Schleier der Abendröte tunkte das Blau des Himmels in ein feuriges Rot. Von den blanken Fußsohlen abwärts, erstreckte sich über den massiven Eichenholzboden ein langer dunkler Schatten, der sich bis zur halben Höhe der gegenüber vom Fenster liegenden Wand als ein verschwommenes Gebilde abzeichnete. Die weiche zarte Hand des schönen Mädchens ruhte auf dem dicken Glas der rahmenlosen Fensters, welches sich vom Boden bis zur Decke erstreckte. Siehe da, wie sie den Blick auf die Stadt gerichtet, um den Untergang der Sonne zu bezeugen. An ihrer Brust erspürte sie das Herz mit der rechten Hand im schrecklich schnellen Tempo schlagen. Ein Zeichen der Unruhe, das nur mehr von den Sorgenfalten in ihrem Gesicht untermalt wurde. Die Stunde der Jagd, sie rückte näher. Doch war es nicht die bevorstehende Konfrontation mit einer Hexe, die das von Außen her sonst so gefasste Mädchen beunruhigte. Nein, Urheber für die unruhigen Wellen auf der sonst so glatten Wasseroberfläche war ein einfacher Stein, der jedoch ohne Vorwarnung aufgeschlagen kam. Ein einzelnes Blatt an einem Herbsttag, das unter tausend von dem Mutterbaum verstoßen wurde, aber der Wind als einziges nach oben trug, anstatt zu Boden. Ein Regenbogen am Firmament, ein einzelner Regentropfen, der durch eine andere Farbe hervorsticht, ein Jäger unter Jägerinnen. Es dürfte mittlerweile eingedrungen sein, das Mami aus einem bestimmten Grund mit den Nerven rang. Kei Tsumoya, ein Junge der die Hexen ebenso bekämpfte, wie ein Magical Girl und damit Leben rettete. Ein scheinbar unbeschriebenes Buch, dessen Seiten erst unter der züngelnden Flamme einer Kerze gehalten werden musste, um den lesbaren Inhalt freigegeben zu bekommen. Ließ man die Neugierde und das Misstrauen außer Acht, mit der sie sich schon seit dem gestrigen Abend befasste, war Mami aber auch noch aus einem anderen Grunde an den Jungen interessiert. Einen, der jedes Mädchen in ihrem Alter nachforschte, sobald der zarten Blume endlich die Blüten entsprießen.

„Du wirkst bedächtig“, sagte Kyubey, der auf einer Sofalehne ruhte. „Obwohl, nein. Jetzt wo ich genauer hinsehe, erzählen dein Blick und deine Haltung mehr von einer stummen Sorge. Furchtsamkeit, meine ich darin zu erkennen.“

„Ach Kyubey“, seufzte Mami, das zerrüttete Herz fest umklammernd, „ich mache mir zu viele Gedanken. Als könnte ich das unabänderliche dadurch ändern. Oder es zumindest ertragbar machen.“

„Und was ist das Unabänderliche?“, fragte Kyubey, den Kopf in die Schräge werfend.

Mami machte einen Ansatz der Frage zu antworten, brach jedoch mit einem Stocken ab. Ein Ausdruck wirren Unverständnisses zeichnete sich wie ein breiter weißer Ring, in dessen Mitte die goldene Iris verweilte; völlig anders als die kalten und nichtssagenden Augen von Kyubey, mit der er der Welt begegnete. Mami, in einer wehmütigen Haltung im langsam untertauchenden Sonnenlicht badend, getraute sich nicht sich auf eine Antwort festzulegen, da sie sie selbst nicht genau bestimmen konnte. War es, dass sie im Glauben war, da jedes Magical Girl nur für sich kämpfte, dass auch die männlichen Hexenjäger keine Ausnahme in diesem egoistischen Krieg um die Grief Seeds bildeten? War es, dass sie wusste, dass entweder der selbsternannte Magical Boy, Kei, oder das außergewöhnliche Wesen Kyubey, dass sie lange Zeit als ihren Freund betrachtet, ihr etwas verheimlicht, sie vielleicht sogar wissentlich angelogen hatte? War es doch genau umgekehrt, dass es nämlich Magical Boys überhaupt nicht gab und Kei es nun gewesen war, der sich dazu erdreistete sie anzulügen? War es, weil sie eine rege Furchtsamkeit für diese ungewisse Welt fühlte, in der vielleicht noch andere Geheimnisse sich im Verborgenen hielten und sie nur durch Zufall auf eines gestoßen war? War es das geschürte Verlangen nach Freundschaft und eventueller Liebe, von der doch jedes junge Mädchen zu träumen wagte, gleichwohl dass es nicht jedem erlaubt war, diesen Traum auch auszuleben? War es alles oder doch etwas ganz anderes? Zu viele Fragen, für ein so junges Mädchen.

„Wenn du nur wüsstest, worüber ich mir den Kopf zermartere, dann wüsstest du vielleicht bereits die Antwort auf die Frage, die ich noch nicht einmal ergründet habe“, meinte Mami mit gedrückter Stimmung wieder aus dem Fenster blickend.

„Willst du darüber reden?“, bot sich Kyubey an, Mami aber winkte sofort ab.

„Nein, schon gut. Ist zwar lieb gemeint, aber es ist jetzt nicht so, als würde es mich bei der Jagd behindern oder mich im Allgemeinen ablenken.“

Diese Aussage schien Kyubey auf keiner überzeugenden Basis zu fundieren, denn selbst der Verniedlichung seines nichtssagenden Katzengesichtes stand der Unglaube starr und stramm zwischen Stirn und Kinn.

„Es ist das erste Mal seit Kyoko, dass du wieder mit jemandem zusammen auf die Hexenjagd gehst. Vielleicht ruht dein –“

„Kyubey“, unterbrach ihn Mami mit sanfter Strenge, „ich habe doch gesagt, ich möchte nicht darüber reden.“ Sie schritt auf das Sofa hin, streckte die Hand nach dem Kleinen aus und streichelte ihm den Kopf, wie es Frauen seit alters her gerne bei Hunden oder Katzen taten. „Männer machen sich bei Frauen sehr unbeliebt“, ermante sie lächelnd, „wenn sie sie zu etwas drängen, was sie nicht wollen.“

Kyubey tauschte nur zu gerne das überflüssige Gerede gegen die sanften Berührungen des Mädchens ein. Man mochte ihm nicht immer anmerken was er gerade dachte oder ob er etwas fühlte – wenn er denn überhaupt etwas fühlte –, neben der vollkommenen Gleichgültigkeit. Doch spürte man zumindest Ansätze freudigen Empfindens, wann immer Mami ihn wie eine Katze liebkoste und mit Streicheleinheiten verwöhnte. Dabei wandte sie noch einen letzten langen Blick zum Fenster hin. Kaum mehr als ein flüchtiger Schimmer lugte über den Horizont. Die Dunkelheit verdrängte das Abendrot und der Teppich der Nacht breitete sich zu allen Seiten des Himmels aus. Sie ließ von Kyubey ab und begab sich zur Treppe hinüber, die sie ins Untergeschoss führen würde.

„Wirst du jetzt gehen?“, fragte Kyubey, ihr nachblickend.

„Ja“, erwiderte Mami, ohne sich umzuwenden.

„Und dein Gast, auf den du so geduldig gewartet hast?“

„Ich kann nicht mehr warten. Wenn er jetzt noch nicht erschienen ist, wird er es wohl auch nicht mehr.“

„Macht dich das traurig?“, fragte Kyubey, der anhand der akustischen Tiefe der Stimme, den schlaff herabhängenden Schultern und des bedrückten Gesichtes, welches er über den ganzen Tag gesehen hatte, zu vermuten wagte.

Mami wandte den Kopf über die Schulter und schüttelte ihn. „Nein“, sagte sie mit einem meisterlich aufgesetzten Lächeln, dass es ihr jeder geglaubt hätte, der sie nicht kannte. „Nein, denn schließlich habe ich immer noch dich, Kyubey.“

Kyubey legte den Kopf grübelnd in die Schräge. Dann blitzten seine Augen unmerklich auf, als sähe er eine Gelegenheit, welche körpereigene Sprache vor Mami gänzlich verschleiert blieb.

„Aber du wünschst dir wohl auch jemanden, der an deiner Seite kämpft, nicht wahr?“

Mami gab nur ein stummes Nicken zur Antwort.

„Jemanden, auf den du dich verlassen könntest und der sich wiederum auf dich verlässt, stimmt´s?“

Mami wandte sich mit argwöhnischer Neugier um. „Worauf willst du hinaus, Kyubey?“

„Nun“, erklärte sich Kyubey, „ich habe vor kurzem zwei Mädchen entdeckt, mit denen sich ein Vertrag schließen lassen könnte. Und ich schätze, sie würden ein erfahrenes Magical Girl wie dich als ihren Lehrmeister sehr wohl akzeptieren.“

„So?“

„Wie es der Zufall so will, gehen sie sogar auf deine Schule. Sie verbringen ihre Pausen öfters auf dem Dach. Dort will ich mich ihnen morgen vorstellen. Wenn du willst, kannst du auch zugegen sein.“

„Was? Aber wäre das nicht gegen die Regeln?“

„Es gibt keine solche, die das verbietet, nein. Genauso wenig stehe ich in der Pflicht dir zu erzählen, ob und wie viele Mädchen in dieser Stadt leben, die das Potenzial zu Magical Girls haben. Normalerweise kommt dies jedoch nicht zur Sprache, weil Magical Girls dazu neigen, sich untereinander zu konkurrieren und im schlimmsten Falle sogar tödlich verletzten. Du bist da ganz anders. Deshalb kann ich dir dies auch ohne Bedenken erzählen.“

Mami betrachtete Kyubey in einer Weise, als könne sie sich nicht so recht ein Urteil darauf bilden.

„Was ist? Ich dachte, dich würde diese Nachricht aufheitern.“

„Es ist nicht so“, meinte Mami bedächtig, „dass es mich nicht freuen würde, wenn deine Erzählung tatsächlich der Wahrheit entspräche. Aber es macht mich doch stutzig, warum du mir das erst erzählst, wenn du längst hättest selbst aktiv werden können. Also, ich meine, dass du dich ihnen nicht schon längst gezeigt hast.“

„Es ist nicht so“, beantwortete Kyubey in seiner ehrlichen Art, „dass ich es nicht schon öfters versucht hätte.“

„Aber?“, hakte Mami nach.

Kyubey verharrte für einen kurzen Augenblick in Schweigen, ehe er antwortete: „Es sind leider Umstände aufgetreten, die es mir unmöglich gemacht haben, an die zwei Mädchen näher heranzukommen.“

Diese Aussage machte Mami hellhörig, denn sie vermutete gleich richtig, worauf ihr Freund hinauswollte.

„Ah, du scheinst es schon zu vermuten“, ergab sich Kyubey sofort ihrem Scharfsinn, der alleine schon von dem Ausdruck ihres Gesichtes profitierte. „Ja, es war – beziehungsweise ist – ein Magical Girl, dass mich nicht an diese zwei Mädchen herantreten lässt.“

„Hat sie dir wehgetan?“

„Keine Sorge. Wie du sehen kannst, bin ich gesund und munter.“

„Hat sie dich gejagt?“

„Das hat sie wohl, ja.“

„Und die Mädchen?“

„Was ist mit ihnen?“

„Sind sie in Gefahr?“

„Das würde ich nicht vermuten. Es schien der Ominösen ausschließlich nur darum zu gehen, mich zu beseitigen, aber nicht ihre potenziellen Konkurrentinnen.“

„Verstehe“, sagte Mami, einen Entschluss fassend. „Dieses fremde Magical Girl … ist sie in meinem Alter?“

„Von ihrem Aussehen her, würde ich es vermuten.“

„Dann geht sie also auf unsere Schule.“

„Da es die einzige Mittelschule in dieser Stadt ist, ja.“

„Wie sieht sie aus?“

„Nun, sie hat langes, rabenschwarzes Haar und ein kaltes, berechnendes Auftreten. Wo ich so darüber nachdenke, gleicht sie mehr einer jungen Erwachsenen, die im Körper eines Mädchens verharren geblieben ist.“

„Sehr eindeutige Informationen“, sinnierte Mami. „Ich kann mich nicht erinnern, ein solches Mädchen an unserer Schule schon einmal gesehen zu haben.“

„Nun“, erwiderte Kyubey, „sie trägt definitiv die Kleidung der Mitakihara Mittelschule.“

„Verstehe. Nun gut, dann werde ich definitiv zugegen sein, wenn du dich den beiden Mädchen zeigst. Und sollte sich diese ominöse Schülerin dir oder den beiden annähern, werde ich mit ihr ein ernstes Wörtchen führen.“

„Das zu hören“, sagte Kyubey, „erleichtert mich sehr.“

„Gleich morgen, dann?“

Kyubey nickte.

„Gut.“ Mami warf einen hastigen Blick zur Uhr, dann zu Kyubey. „So“, sagte sie, zur Treppe schreitend und die Hand zu einer Geste des Abschieds erhebend, „jetzt muss ich mich aber sputen. Ich will ja nicht zu spät ins Bett kommen. Das wäre schließlich schlecht für die Haut.“

„Ich wünsche dir viel Glück, Mami“, verabschiedete Kyubey sie. „Und pass auf dich auf, hörst du.“

„Selbstverständlich“, rief sie ihm auf halbem Wege ins untere Stockwerk zu.

Vorbei an einem großen, ovalen Tisch, auf dem ein hellgrünes Tischtuch ausgebreitet lag und auf dem ein ganzes Teeservice ordentlich aufgeteilt stand, für den Fall, dass sie einmal Besucher zu empfangen hatte, eilte sie weiter über die glatten Holzdielen zum Hausflur, der nur einen kleinen Teil des Eingangsbereiches darstellte. Dort stülpte sie sich die Straßenschuhe, die Teil der Schuluniform waren, über die nackten Füße, zog den Schlüssel von der Tür und öffnete darauf diese. Gleich das sie einen Fuß über die Schwelle getreten hatte, gab sie einen kurzen Schreckenslaut von sich. Der junge Mann vor ihr zuckte darauf zusammen.

„Oh“, meinte sie, völlig unsicher, was sie sagen sollte.

Kei Tsumoya hob die Hand zu einem verlegenen Gruß. „Ja. Sorry für die Verspätung. Habe mich total verlaufen.“

„Verlaufen?“

„Ja“, bestätigte er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Mein Orientierungssinn gleicht dem eines Regenwurms. Stur geradeaus, bis dich ein Hindernis zum Umlenken bewegt. Und dann noch durch dieses riesige Haus irren und nach deinem Namensschild suchen.“

„Oh, hab ich das Stockwerk etwa nicht aufgeschrieben?“

„Nur die Hausnummer.“

Mami schlug sich die flache Hand vor die Stirn. „Ach, entschuldige bitte. Und ich sitze hier und frage mich, ob du überhaupt kommst, während du durch zwei Stockwerke, wo manche nicht einmal ein Namensschild an ihrer Tür hängen haben.“

„Ach nein“, winkte er hastig ab, „bitte fühl dich nicht schlecht deswegen. Es war ja auch zum größten Teil meine Schuld, weil ich erst auf die letzte Sekunde die Wohnung verlassen und zu dir geeilt bin. Zumal ich auch den Zettel erst einmal suchen musste, weil ich mir nicht mehr gewiss war, wo ich ihn nach gestern Abend hingelegt hatte.“

Mami ballte die Hand zu einer Faust und hielt sich diese kichernd vor die Lippen. „Nun, es ist ja noch einmal alles gut gegangen. Ich bin jedenfalls froh, dass du hier bist.“

Und das war sie wirklich. Obgleich sie sich noch immer nicht sicher sein konnte, wie viel Wahrheit hinter dem jungen Magical Boy steckte, war sie doch über jede Gesellschaft hocherfreut, die sie bei der Jagd an ihrer Seite wissen durfte. So schritt sie also ganz aus der Wohnung hinaus, schloss die Tür und wandte sich wieder ganz Kei zu.

„Es tut mir leid, dass ich dich nicht hereinbitten kann“, erklärte sie verlegen. „Ich hoffe, das erscheint dir nicht unhöflich, oder so.“

„Nein, nein“, schüttelte er energisch den Kopf, „ganz und gar nicht. Wie gesagt, es ist ja auch mein Versagen daran schuld, pünktlich zu erscheinen.“

„Es ist leider nun mal so, dass morgen wieder Schule ist und ich daher nicht zu spät im Bett sein will.“

„Mach dir bitte keine Sorgen, alles ist gut.“

„Das freut mich“, erwiderte sie lächelnd. „Danke für dein Verständnis. Also, wollen wir dann los?“

Kapitel 12: Die Löwin und die Katze


 

Contiguity Magica
 

Kapitel 12: Die Löwin und die Katze
 

 

[RIGHT][RIGHT]Am nächsten Morgen:[/RIGHT][/RIGHT]

[RIGHT][RIGHT]Madoka Kaname[/RIGHT][/RIGHT]

 

Ein neuer Tag, eine neue Schulwoche. Noch drei Wochen bis zur Ankunft der Hexe Walpurgisnacht.

Madoka erwachte und hievte sich noch im Halbschlaf in eine aufrechte Sitzhaltung. An ihre Brust drückte sie den Kopf eines ausgemergelten Stofftieres, dessen Ähnlichkeit zu einem Hasen, nur durch die Ohren, die zwei perlschwarzen Knopfaugen und die nach unten zeigende, dreieckige Nase herauszukristallisieren war. Ein lautes Gähnen entlud sich aus dem übermüdeten Mädchen. Es erfüllte das ganze Zimmer, hallte von den pinken Wänden wider, gleich dem frühmorgendlichen Sonnenlicht, das durch die vorgezogenen Vorhänge schien. Madoka war um diese Zeit kein wenig zum Aufstehen bereit. Meist harrte sie in derselben Position wie jetzt, geklammert an ihr Stoffhäschen und blieb für die nächsten fünf Minuten unansprechbar. Wenn sie sich dann endlich aus ihrem Bett erhob und noch bis zur Tür hin torkelte, das goldene Licht der Morgensonne durch das große Fenster in den dunklen Gang hineinschien und den schmalen Weg, auf dem sie bis zur Treppe ins Untergeschoss wandelte, nur bis zur Hälfte beschien, wurden Geist und Körper zusehends wacher. Erreichte sie dann die oberste Stufe, welche nach der siebten auf einem Treppenabsatz nach links weiter ins Erdgeschoss führte, nahm ihr Tempo beachtlich zu. Beinahe schon übersprang sie mit jedem Schritt zwei bis drei Stufen und war im Nu im Wohn- und Esszimmerbereich des Hauses angelangt, von dem aus auch der Garten zugänglich war. Dieser lag im hinteren Bereich des Hauses, umringt von einem gläsernen Atrium.

„Morgen, Papa“, rief Madoka durch den offenstehenden Bereich in den Garten hinein.

Tomohisa, der vor einem Strauch hockend, Zwergtomaten von den hängenden Stielen mit einer kleinen Schere abtrennte, wandte sich auf den Ruf seiner Tochter um. Sein Gesicht umspielte ein zufriedenes Lächeln, das er zu jeder Zeit des Tages, im Speziellen jedoch am Morgen, auf den Lippen trug.

„Ist Mama schon wach?“

Er erwiderte mit einem Nicken: „Tatsuya hat sie aufgeweckt. Sie macht sich im Badezimmer fertig.“

Der Tochter entwischte ein verwundertes Stöhnen. Weniger verwunderlich, wenn man die Hintergründe von Junkos Morgenträgheit wusste, welche sie zu einem Teil an Madoka vererbt hatte. Nur Tomohisas morgendliche Munterkeit, die den anderen Teil des Schlafzyklus des Mädchens füllte, war es zu verdanken, dass das Mädchen bei Erhebung der Sonne überhaupt den Weg aus dem Bett fand.

„Mach dich doch auch gleich fertig“, schlug er ihr vor, während er eine weitere Tomate vom Strauch schnitt. „Ich bereite derweil das Frühstück vor.“

„Okay, mach ich.“

Der Stimme ein heiterer und schwungvoller Klang beigestimmt, als würde sie die Worte zu singen versuchen. Sie eilte im Laufschritt und mit einer schüttelnden Handbewegung, die dem Vater zugewendet war, wieder die Treppe hinauf. Dort durch die erste Tür auf der rechten Seite geschritten, gelangte sie in ein lichtdurchflutetes Zimmer, das ganz von gläsernen Wänden gehalten und mit dutzenden Spiegeln aller Größen und Formen ausgeschmückt war. Dort erblickte sie sogleich ihre Mutter, die ihr den Rücken und das Gesicht einem der Spiegel hingehalten hatte. Der angewinkelte Arm auf Höhe ihres Kopfes und die ruckartigen Bewegungen bedeuteten Madoka, dass sich Junko noch in der frühen Phase der Morgenpflege befand. Denn erst wenn sich diese Frau vollständig in ihre geschäftige, dunkelgraue Tracht geworfen, sich darauf die Zähne geputzt und am Ende den Schminkkoffer geschlossen hat, war ihre Verwandlung vom Morgenmuffel zur Karrierefrau abgeschlossen.

Madoka gesellte sich neben ihre Mutter, nahm sich eine Bürste und die Zahnpastatube aus dem Keramikbecher vor ihr heraus und schrubbte sich ebenfalls die Zähne weiß. Während dieser Zeit kamen die beiden erst gar nicht im Gespräch. Bei den beiden Damen war es nämlich kein vergnügliches Phänomen zu beobachten, wenn sie im Zeitraum der Mundpflege simultan ein Gespräch führten. Junko versaute sich mit einem simplen „Morgen“ die Bluse oder das Sakko und Madoka den Pyjama. Erst, als beide den Mund frei und ausgespült hatten, konnte ein Mutter-Tochter-Gespräch ohne fürchterliche Folgen von Statten gehen.

„Wie fühlst du dich heute, Madoka?“

„Also – gut, denke ich.“ Madoka nahm sich die Haarbürste neben dem Becher zur Hand und fuhr sich damit durch das weiche pinke Haar.

„Das klingt nicht sehr überzeugend“, sagte Junko misstrauisch. „Bist du dir sicher, dass du nicht doch lieber noch zuhause bleiben willst. Zumindest für einen Tag, damit du dir auch sicher bist?“

„Ach was, Mama“, meinte Madoka, die Sorgen ihrer Mutter mit einem Lächeln und einer winkenden Handbewegung herunterspielend, „mir passiert schon nichts.“

„Und trotzdem …“

„Ich verspreche es dir.“

Junko hielt für einen Moment inne, bevor sie mit dem Eyeliner weiter über die Augenlider fuhr. Die Winkel ihres Mundes schlugen tiefe Kerben in die geglätteten Wangen, ausgehoben vom dem Mutterinstinkt, der sie verzweifelt dazu anriet, Madoka noch für einen weiteren Tag im Hause zu behalten. Sie ließ die Schminkutensilien zurück in kleinen Koffer verschwinden und gab mit einem letzten Seufzer diese Diskussion auf. Darauf richtete sie, nachdem sie sich im Spiegel nun genug bestaunt hatte, ihr Augenmerk auf die Tochter und ein Lächeln fand sich auf das rote Lippenpaar.

„Was denn?“, fragte Madoka rhetorisch, denn sie ahnte bereits, worauf ihre Mutter mit diesem Lächeln anspielen würde.

„Die Schleifen stehen dir wirklich gut. Sieht sehr süß aus.“

Madoka errötete. „Mama, hör auf“, sagte sie mit beiden Händen bescheiden die glühenden Wangen verbergend.

Gemeinsam verließen das Mutter-Tochter-Gespann das Badezimmer und gesellten sich zu Tomohisa und Tatsuya an den Frühstückstisch. Junko blätterte wie üblich durch die Zeitung beim Kaffeetrinken, wobei sie nur nebenher noch an ihren frisch gebackenen Waffeln knabberte, während Madoka sich nebenher mit ihrem Vater über triviale Dinge unterhielt. Mal verharrten beide bei der Schule, dann und wann brachte Tomohisa seinen eigenen Alltag mit in das Gespräch ein. Zum Beispiel welchen der Nachbarn er beim Einkaufen getroffen hatte oder wie Tatsuya seinen Haushaltsplan gekonnt durcheinanderzubringen versteht. Heute aber interessierte sich der zweifache Vater an erster Stelle für das gesundheitliche Wohlbefinden seiner Tochter, welche kurze Antwort, wenn auch in der höflichsten Form ausgesprochen, ihm die klare Botschaft vermittelte: „Mama hat schon ihre Bedenken geschildert, also behalte deine bitte bei dir.“ Dieses, etwas drastisch formulierte Signal, welches Madoka so in Worte niemals gegen ihren Vater auszudrücken in der Lage wäre, widerwillig hinnehmend, wechselte er das Thema und fragte sie über das neue Mädchen, welches zum Ende der letzten Woche ihre Einschulung hatte.

Madoka ließ ihre Gabel auf den Teller nieder und machte eine andächtige Kopfbewegung. „Sie heißt Homura.“

„Homura, mhm?“, sagte Junko und stützte den Kopf auf einer Hand ab. „Ein schöner Name. Und, seid ihr zwei schon Freundinnen.“

Madoka nahm ihrerseits die Hand vom Tisch und legte sie, als Zeichen der verlegenen Unsicherheit, auf ihre Wange. „Ich will nicht behaupten, dass wir schon Freundinnen sind. Irgendwie sieht sie mich eher so an, als … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ihre Blicke haben so etwas Mahnendes und Feindseliges.“

„Ach so?“, meinten beide Elternteile erstaunt.

Madoka nickte. „Als würde sie mich für etwas verurteilen, von dem ich noch nicht einmal weiß, ob ich es getan habe. Oder noch tun werden könnte. Und als sie mit mir gesprochen hat, wirkte sie sehr besorgt um mein Verhältnis zu meiner Familie und meinen Freunden. Sie fragte mich, ob ich sie alle lieben würde. Und ob ich auch mein eigenes Leben wertschätzen würde. Als ich sagte, dass ich sie alle sehr lieben würde, schien sie ganz zufrieden und etwas lockerer.“

„Ein seltsames Mädchen.“ Junkos Gesicht war die Reflektion einer analytischen Zersetzung dessen, was Madoka ihr erzählt hatte.

Madoka wusste darauf nicht viel zu erwidern, denn auch aus ihrer Sicht war die Neue überaus suspekt in Verhalten und Auftreten. Was wohl ihre Intensionen waren, als sie Madoka damals zur Rede und Antwort stellte und was sie mit ihrer nachträglichen Warnung zu bezwecken versuchte – sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Welche Motive sie hatte, was die unterschwellige Drohung bedeutete; es war zu viel für ein einzelnes Mädchen, das in Erfahrung zu bringen.

„Oh je“, rief Junko, als sie die Uhr erblickte, die fünfzehn Minuten vor acht zeigte. „Fast die Zeit vergessen. Muss los.“ Sie trank hastig den übrigen Rest in ihrer Tasse leer, verabschiedete sich von ihrem Mann mit einem Kuss auf den Mund, dem Sohn mit einem Kuss auf die Wange und ihrer Tochter mit einem, auf Kopfhöhe angesetzten Handschlag, wie man ihn von zwei Sportlern kannte, die sich zur Ablöse in die Hände klatschten. Und für war dies der Startschuss, der sie nun selbst von dem Tisch hat aufstehen lassen, sich von dem geliebten Vater und dem süßen Bruder zu verabschieden und den Weg zur Schule anzutreten. Madoka verließ das Haus immer zur selben Zeit. Gerade noch rechtzeitig, um sich mit Sayaka Miki und Hitomi Shizuki zu treffen und doch so spät, dass sie die beiden nur im Lauf noch vor den Schultoren abfangen konnte. Das hieß, wenn die beiden mildtätigen Mädchen nicht – wie jeden Morgen – auf ihre späte Freundin warten würden. So, wie es auch am heutigen Tage der Fall war.

„Guten Morgen, Madoka“, ergriff Hitomi als erste das Grußwort.

 Madoka kam einen halben Meter vor den beiden zum Halten. Sie stützte sich mit einem langen Seufzer auf ihren Beinen ab und schnappte nach diesem, für sie, viel zu langen Lauf erst einmal nach Luft, bevor sie sie wieder der Sprache fähig war.

Sayaka musterte sie argwöhnisch. Ihr war es unbegreiflich, wie Madokas Kondition stets dasselbe Niveau beibehielt, während sie sich dieser täglichen Morgentortur aussetzte, ohne jemals schneller oder ausdauernder zu werden. Doch kaum dass Madoka aufblickte, regte sich ein grobes Lächeln über Sayakas schmale Lippen. Grob in dem Sinne, da es unweigerlich einer Verhöhnung gleich kam, jedoch im weitem Abstand mit einer Böswilligkeit verbunden wurde. Es war ein geringer Spott unter Freundinnen, die, wenn sie sich dieses Maß an Hohn nachtragen würden, niemals zu Beginn hätten so enge Freundinnen werden können. Madoka fasste jedenfalls Sayakas neckische Miene nicht als einen Angriff auf und erwidere daher mit einem ihr typischen Lächeln. Eines von der Sorte stiller Zusprüche und ungewollter Eingeständnisse. Eines, das beim bloßen Anblick die Worte heraufbeschwor: „Ja, ich weiß schon.“

„Schön, dass es dir wieder besser geht“, sagte Sayaka und reichte ihrer Freundin Madoka die Hand.

Madoka ergriff diese und ließ sich so zu einem aufrechten Stand verhelfen. Eine Geste, wohlgeschätzt. Sayaka hatte sie schon immer zu stützen und zu tragen gewusst, wann immer es Madoka an nötigem Halt mangelte. Heute, wie auch an vergangenen Tagen und mit ziemlicher Sicherheit auch in der Zukunft: Sayaka würde Madoka immer mit einer Hand zu stützen wissen. Dieser Gedanke allein löste in dem jungen Mädchen, das so unbeholfen auf ihre Umgebung wirkte, ein Glücksgefühl sondergleichen aus.

„Danke, Sayaka-chan.“

Die drei Mädchen setzten gemeinsam ihren Schulweg fort. So sich Hitomi noch anfänglich über die tatsächliche Genesung mit offener Verwunderung hingab, flaute der Verdacht mit dem Ausdruck der Zufriedenheit auf Madokas glücklichem Gesicht immer weiter ab. Und es dauerte nicht lange, bis auch sie in das stimmungsvolle Gelächter mit einstimmte, welches sich aus dem Ulk der Mädchen herauspellte. Scherze, die ein jeden unfreiwilligen Lauscher bestürzt zurücklassen würde, der dem Kontext nicht gewahr wurde. Für die jungen Mädchen aber die feinste Art des Humors, denn er folgte keiner Ethik, keinen Regeln und war so überspitzt formuliert, dass kein Ernst dahinter auffindbar war.

Als die drei Mädchen ihr Klassenzimmer erreichten, mussten sie wie gehabt feststellen, dass sie mit zu den Nachzüglern gehörten. Zwei Jungs und ein Mädchen, die sich noch vor dem Eingang in einer Unterhaltung vertieft hatten und erst auf Bitten Hitomis den Weg frei machten. Die meisten, die an ihren Tischen saßen, blickten auf, um zu sehen, wer da drei Minuten vor dem Glockenschlag auftauchte. Jene, die nicht aufblickten unterhielten sich mit ihren Nachbarn. Ein Junge, der gegen Sayakas Tisch lehnte, um sich mit seinem Freund zu unterhalten, räumte ihr augenblicklich, beinahe in respektvoller Eile, den Platz. Dahinter setzte sich Hitomi und neben Hitomi ließ sich Madoka auf ihren Platz nieder. Die beiden kicherten. Sayaka horchte auf und drehte sich nach Hitomi um.

„Was denn?“

„Hast du nicht gesehen“, kicherte Hitomi, „wie er dich angesehen hat?“

Sayaka machte ein verdutztes Gesicht.

„Der hat bestimmt das letzte Mal noch nicht vergessen.“

Sayaka legte fragend den Kopf in die Schräge.

Madoka hob den Zeigefinger im Sinne der Erläuterung. „Sie meint, als du ihn und seinen Freunden beim Aufräumen der Turnhalle den Marsch geblasen hast.“

Auf einmal schien Sayaka zu begreifen. Ein triumphales Lächeln spiegelte sich auf ihren Lippen ab. „Ach so, das meint ihr.“

Zur Erläuterung des besagten Vorfalls: Es war ein kalter Wintertag und Sport konnte nur innerhalb der Turnhalle stattfinden. Neben dem Aufwärmen wurde Volleyball für die Doppelstunde vorgeschlagen. Man baute zwei Netze für zwei Felder auf, stellte einen Wagen mit Bällen in der Mitte beider Felder auf und teilte sich untereinander in Teams ein. Wo der Aufbau also noch harmonisch ablief, war der Abbau und das Zusammensuchen der Bälle weniger zu einer Klassenaufgabe geworden. Als es dann bei den genannten drei Burschen beim Saubermachen haderte und die Worte fielen „Das Saubermachen ist doch eigentlich eher Frauensache, oder?“, konnte Sayaka nicht an sich halten, stapfte auf die drei zu und, um es in Madokas Worten wiederzugeben, blies ihnen den Marsch. Manche in der Klasse belustigten sich über ihre Wuttirade und scherzten, dass ihr Gebrüll noch immer von den Wänden der Turnhalle widerhallen würden. Die Poetischen der Klasse gingen noch einen Schritt weiter und behaupten, dass, wenn man ganz leise sei, könne man den Wind die Schreie der Sayaka Miki tragen hören.

Der Waage aus Spott und Scherz war Sayaka zwar bewusst, nahm sie aber nur auf dem tauben Ohr wahr. Solange niemand mit ihr den Streit suchte, war sie auch nicht im Begriff, einen vom Zaun zu brechen. Zwar glaubten Madoka und Hitomi, dass sie an jenem Tag zu temperamentvoll reagiert hätte, sahen sie aber grundlegend im Recht.

Noch eine Minute vor acht. Auch die letzten haben sich bereits an ihre Plätze begeben und der Raum schien fast vollzählig. Nur ein Sitz blieb noch kalt. Die mechanische Tür öffnete sich und augenblicklich erschien es Madoka, dass sich der lichte Raum verdunkelte. Die schwarzen Haare, die mit jeder Bewegung flatterten wie ein seidener Umhang im Wind. Alle Augen starrten gebannt auf das Mädchen, das wie die Königin unter ihr Volk trat. Und ihr Blick war es, der sich auf einen bestimmten Punkt im Raume festhielt. Ein Punkt den sie anstrebte, wie ein ruheloser Geist ein seelenloses Gefäß. Alle blickten sie auf. Alle, an denen sie vorbeischritt. Alle Augen folgten dem Verlauf der Schritte dieses wunderschönen Mädchens. Alle, bis auf eine. Die eine, vor deren Tisch sie zum Stehen kam. So bald schon berührte ihr Rock die schmale Tischkante, dass es Madoka Unbehagen machte. Ihr Kopf zuckte von einer Seite zur anderen, die Augen dabei nervös in alle Richtungen blinzelnd. Erst, als Homura ihren Namen sagte, blickte auch das scheue Mädchen hoch zu ihr.

„Kaname Madoka-san.“

Madoka schluckte so laut, als würde sie an einen Stein hinabwürgen. Homuras ganzer Ausdruck machte sie kalt und zitternd. Dieser ungnädige Blick, der Funken zu versprühen schien, aus denen ganze Flammen emporbrechen könnten. Ein blauviolettes Feuer, das Madoka zu verschlingen drohte.

Homura Akemi. Es erschien, als würde sie allein den Fortlauf der Zeit bestimmen. Niemand regte einen Muskel, niemand wagte einen Atemzug. Nicht, bis sie endlich handelte. Und als sich ihr Haupt langsam beugte, die langen schwarzen Haare sich an ihren Schultern vorbeischlängelten, bis die dünnen Spitzen zu Boden zeigten, trat das erste Geräusch wieder an jedermanns Ohr. Der tickende Zeiger der Uhr. „Ich freue mich, dass es dir wieder gut geht.“

Madoka wollte sprechen, doch versagte ihr die Zunge. Der Mund gehorchte nur bis zu einem gewissen Grad, bevor er sich jedweder weiterer Schließbewegung verweigerte. Homura, indes, hob wieder das Haupt, wandte sich ab und begab sich zu ihrem Platz in der vordersten Reihe. Und kaum das sie ihren Sitz eingenommen, hatte sich auch schon das Getuschel im Klassenraum verbreitet. Jeder so leise, das nur sein Nachbar ihn hörte und vereint doch so laut, dass gleich alle wussten, worum der jeweils andere flüsterte.

„Was sollte das denn?“

„Hast du das gerade auch mitbekommen?“

„Das ist gerade wirklich passiert, oder?“

„Wer war jetzt krank?“

„Hey, Madoka“, wisperte das Mädchen mit den langen, roten Haaren und lehnte sich weit zu Madoka hinüber, „wann warst du denn krank?“

„Woher weiß sie denn davon?“, fragte Hitomi, die Hand vor Schreck vor ihrem Mund gehalten.

„Die ist doch echt nicht mehr zu fassen“, sagte Sayaka, die geballten Fäuste zitternd auf dem Tisch drückend. „Was hat diese Schulwechslerin für ein verdammtes Problem?“

Viel Zeit zur Spekulation blieb nicht, denn nur wenige Sekunden auf das Meer aus Geflüster, läutete es auch schon zur ersten Stunde. Und pünktlich wie das Läuten, kam auch die Lehrerin, Miss Saotome, durch die Tür geschlendert. Mit gesackten Schultern, einem schlurfenden Gang zum Pult und einem Ausdruck, der ebenso entweder eine missglückte Verabredung oder eine schlaflose Nacht – oder sogar beides direkt – verkündete. Damit wussten auch alle Schüler sofort, dass ihnen die ersten Minuten ein langer Monolog bevorstünde.

 

Zur ersten Pause auf dem Schuldach entfesselte Sayaka ihre ganze Erbostheit über die Schulwechslerin. Böse Flüche waren gefallen, gemeine Spitznamen schwappten wie Ter aus ihrem Munde und zu Boden, bis Madoka endlich ein paar Worte der Beruhigung an sie richtete.

„Ich will mich aber nicht beruhigen“, fauchte Sayaka. „Findest du das etwa nicht unverschämt, was sie getan hat? Es muss doch wohl nicht gleich jeder wissen, dass du im Krankenhaus warst! Es gibt schließlich so etwas, dass sich Privatsphäre nennt.“

„Aber sie hat doch nur –“

„Und überhaupt“, fuhr Sayaka fort, ohne Madokas Einwand zu beachten, „woher weiß sie überhaupt davon? Wieso weiß sie immer alles? Was ist sie, ne Magiern?“

„So beruhige dich doch, Sayaka“, versuchte es Hitomi mit einem schmalen Lächeln. Sayaka aber wandte sich auf diese Worte nur ab und raufte sich beidhändig die Haare.

Es war dem zornigen Mädchen wohl nicht länger abzustreiten, dass sie einen persönlichen, tiefsitzenden Groll gegen Homura Akemi hegte. Aus welchem Gefühlschaos jedoch dieser entsprang, schien nicht einmal Sayaka wirklich zu wissen. War es nur der Neid, auf denen sich die Säulen namenloser Motive türmten oder war es der Zorn allein, der sich allein an Homura Persönlichkeit labte, um weiter zu gedeihen. Mochten die eigenen Unzulänglichkeiten klarer in der Gegenwart dieser Alleskönnerin Zutage gefördert werden und war der Hass auf sie einfacher, als der Hass auf sich selbst? Wahrscheinlich entstammte der Groll auf Homura Akemi einfach aus der Unsicherheit, wieso sie das Ziel von Sayaka Mikis Missgunst war. Es schien ihr selbst gar unschlüssig. Allein der kalte starre Blick Homuras schien ihr als gerechtfertigter Grund in den Sinn zu kommen. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr schien es ihr deutlich zu werden, dass es Homuras ganze Persönlichkeit war, die sie so abstoßend fand. Die Art, wie sie mit anderen sprach oder andere ansah, selbst alles konnte und von Bescheidenheit unberührt schien. Ja, vielleicht war das der Grund, weshalb sich Sayaka so schwer mit Homura Akemi tat.

„Ich geh mir mal einen Saft holen“, seufzte Hitomi. „Möchtest du auch etwas, Madoka?“

Madoka lehnte dankend ab. Es war ihr bewusst, aus welchem Grunde Hitomi tatsächlich zum Getränkeautomaten verschwand. Madoka zugestimmt, wäre sie nur vorzeitig vor dem nächsten Glockenschlag zurückgekehrt und hätte sich womöglich mehr von Sayakas Elend geben müssen. Und neben der Schule hatte Hitomi noch genügend andere Verpflichtungen, die ein Mädchen aus gutem Hause zu erfüllen hatte, drum sollte sie wenigstens in den Pausen nicht mit der weniger bedeutsamen Not anderer zu kämpfen haben.

Bevor Hitomi verschwunden war, machte sie Sayaka dasselbe Angebot. Diese verwies lediglich auf ihr ungeöffnetes Trinkpäckchen auf, welches neben Madoka auf der Sitzbank stand, vergaß jedoch immerhin nicht, auf das Angebot ein Wort des Dankes zu entbehren, bevor dann Hitomi im Schatten des breiten Tors zum Treppengang verschwand.

„Oh man.“ Sayaka ließ sich neben Madoka auf die breite Sitzbank fallen. Das Gesicht war gequält zum Himmel gerichtet, so sie eine Hand nach dem Trinkpäckchen ausstreckte, den Strohhalm an der Seite aus seiner Plastikhülle quetschte, ohne ihn vorher von dem haltenden Kleber zu reißen und mit dem gespitzten Ende so heftig in das silbrig markierte Loch stieß, als würde sie einen Pflock durch das Herz eines verhassten Widersachers treiben.

Madoka saß da, die Hände nervös zwischen ihren Beinen reibend und mit sich hadernd, ob und was sie ihrer Freundin erzählen sollte, während diese die blutrote Flüssigkeit aus dem Halm sog und sich der Erfrischung erfreute, die ihren überhitzten Kopf angenehm kühlte. Sie ließ ihre Blicke abwechselnd zwischen Sayaka und dem Eingang zum Dach schweifen. Bitterlich erhoffte sie sich, dass zu jedem Augenblick, da sie ihre Augen auf den beschatteten Eingang des Treppenhauses legte, Hitomi wieder hervortreten würde. Bitterlich deshalb, weil Madoka einer besseren Annahme gewiss war. Bitterlich deshalb, weil dieses Mädchen viel zu passiv war, um mit einer verärgerten Freundin umgehen zu können. So ergab sie sich, nachdem sie zum fünften, sechsten, siebten Male zu dem Eingang schielte, dieser gekippten Stimmung. Zumindest aber erhoffte sie sich Ruhe durch Schweigen, als Stimmung durch hohle Ausbrüche, bevor die erste Pause sich dem Ende neigte. Doch tatsächlich vermochte sie es in dem dunklen Schatten eine Bewegung auszumachen. Erst waren es die weißen Schuhe, welche die abgeschrägte Grenze ins Sonnenlicht übertraten. Dann die Beine, die von einer braunen Strumpfhose überzogen waren. Schließlich der Rock, die Jacke und das schöne Gesicht eines Mädchens, welches Madoka sich nicht entsinnen konnte, je gesehen zu haben. Ihr blondes Haar mit ihren markanten spiralförmigen Zöpfen ließen sie ebenfalls von der Erinnerung an dieses Mädchen befreit. Sie trug ein Lächeln auf, als sie Madoka und Sayaka erblickte, als wäre sie die Mutter Sonne selbst.

„Nanu“, sagte Sayaka verwundert. „Die kenne ich doch.“

Madoka überraschte, obgleich dieser Aussage.

Sayaka hielt nachdenklich einen Finger an die Stirn, während sie sich an den Namen zu entsinnen versuchte. „Kotome. Motome. Otome.“

Der letzte Name gab Madoka den Grund für ein argwöhnisches, zu einer Seite weit gespreiztes Lächeln. Es veranlasste sie zu glauben, dass Sayaka sie zu bespaßen versuchte, um ihr genau jene Reaktion abzugewinnen. Die Annahme verflüchtigte sich aber rasch, denn der ernste Anstoß einer Erinnerung ergab sich nicht dem vermeintlichen Scherz, auszumachen an Sayakas grübelnder Haltung. Und ehe Madoka etwas erwidern konnte, war das Mädchen schon vor den beiden gehalten. Das Licht der Sonne zeichnete goldene Umrisse um ihre zierlich geformten Körper. Und als Madoka erst in das Gesicht dieses wunderschönen Mädchens blickte, war ihr einziger Gedanke nur, wie schön dieses Mädchen doch war.

„Hallo, ihr beiden“, sagte das Mädchen völlig unbeschwert, als würde sie Sayaka und Madoka wie zwei alte Freundinnen begrüßen. Madoka blickte mit der Befürchtung zu Sayaka hinüber, welche diese damit rechtfertigen würde, dass sie, noch bevor die Vorstellung des Mädchens ganz zu Ende gewesen, sie ihr bereits einen der komischen Namen zugeworfen hätte, über die sie noch am grübeln war. Doch Sayaka war still. Sie saß da mit überkreuzten Beinen und verschränkten Armen und sah das Mädchen gleich wohl neugierig, wie überrascht an. „Ich bin Mami Tomoe.“

Selbst ihre Stimme war schön. Nicht so süß und leise, wie man es von einem Mädchen wie Hitomi erwartete. Viel mehr so kraftvoll und dennoch sehr hell, wie man es bei einer Mutter gern erwartete, um die Kinder entweder mit ihrem Verhalten laut zu tadeln oder leise zu loben. Eine Stimme aber auch, die einen leichten Beigeschmack von Hochmut und Arroganz hinterließ. Letzteres aber auch nur dann, wenn sie sich in irgendeiner Weise profilierte. So wie in diesem Moment, als Madoka und Sayaka gerade darüber wähnten, wie man sich jemandem am besten vorstellte, der sich zwar gerade selbst die Ehre gegeben, aber nicht nach den Namen der Gegenüberstehenden erkundigt hatte.

„Ihr seid Miki-san und Kaname-san, richtig?“

„Wie?“, sagte Sayaka und rutschte ganz erschrocken gleich ein ganzes Stück nach hinten. Immerhin, die Bank war ja ohne Rückenlehne und auch nur ein massiver, quadratisch gehauener Stein, über den sich ein paar lange Holzplanken erstreckten. Sie mochte den Satz wohl noch weiter denken und sich fragen, woher diese Mami ihre Namen kannte. Doch sie wollte diese Frage nicht stellen. Ob sie die Antwort fürchtete? Vielleicht war ein seltsamer Zauber darin involviert? Sayaka glaubte schließlich an Magie und Wunder auf dieser Welt, so sollte man es ihr also nicht verdenken, dass sie diese Antwortmöglichkeit nicht ausließ.

Madoka war hingegen völlig überfordert. Erst Homura und nun Mami. Zwei Mädchen, die sich keine Blöße damit gaben, ihren Namen zu kennen oder gar unerschrocken auf sie zumarschierten.

Mami ließ indes ein leises Lachen verlauten, welches hinter schmunzelnden Lippen und einer Hand, die sich leicht gegen diese drückte, keine Chance bekam, noch von jemand anderem als Madoka und Sayaka gehört zu werden. Damit gab sie ein beruhigendes Bild für die beiden Mädchen ab.

„Es tut mir so leid, dass ich euch gerade hier fast förmlich überfalle“, sagte Mami, um das einseitige Schweigen zu umgehen, „aber ich muss euch zwei fragen: ihr seid doch Kaname-san und Miki-san?“

Die Augen der beiden Mädchen verharrten starr und ohne zu blinzeln auf das ihnen fremde Mädchen. In ihnen die grenzenlose Leere der Fassungslosigkeit gespiegelt.

„Oh“, rief die blonde Schönheit gleich auf, kaum dass sie auch nur eine Sekunde auf das Warten der Antwort entbehrt hatte, „verzeiht die Unhöflichkeit. Man sollte sich ja schließlich erst einmal selber vorstellen.“ Sie kicherte und klopfte sich mit den Fingerspitzen gegen den schief gelegten Kopf. Beinahe dümmlich, mindestens aber naiv erschien sie mit ihrem Lächeln und dem kurzlebigen Kichern. „Ich bin Tomoe. Mami Tomoe. Aber ihr könnt ruhig Mami zu mir sagen.“

„F-Freut mich“, sagte Sayaka, merklich von dem Angebot irritiert.

„M-Mich auch“, sagte Madoka, nicht weniger von dieser Darstellung überfordert. Schließlich war es nicht gerade üblich, sich in Japan mit dem Vornamen anzusprechen, wo man sich doch kaum kannte.

„Also?“

Die beiden Mädchen sahen einander fragend an. „Also was?“, fragte Sayaka.

„Seid ihr Miki-san und Kaname-san?“

„Oh! Ja, entschuldige“, räusperte sich Sayaka. Sie legte die Hand auf ihre Brust ab, als Geste der Vorstellung. „Ich bin Miki-san – also, Sayaka Miki, meine ich. Du kannst mich ruhig Sayaka nennen.“

„Oh, und mich Madoka“, ergab sich Madoka der üblichen Gepflogenheiten. Sich gleich beim ersten Kennenlernen beim Vornamen zu nennen zeugte zwar von schlechten Manieren, aber wenn sich alle darauf verständigten, warum sollte sie sich dann dagegen sträuben?

Mami hielt sich grinsend eine Hand vor dem Mund, bevor sie sagte: „Das ist nett, danke.“ Unmittelbar darauf erschien ihr naives Abbild abzuflauen und eine deutlich ernste, aber nicht weniger nette Mami Tomoe ans Licht des Tages zu treten. „Ich muss mich noch einmal entschuldigen. Ich gestehe, dass ich euch zwei nur aus formellen Gründen nach euren Namen gefragt habe. Ich weiß sehr wohl, wer ihr seid. Ich war mir nur nicht sicher, wie ich das Gespräch hätten anders anfangen sollen, als so.“

„Tja, ähm“, sagte Sayaka, die sich die größte Mühe damit gab, den dünnen Schwall aus Rauch, der dem schwer ächzenden Maschinenwerk, der ihren Kopf darstellte, zu verbergen, „das ist ja ganz schön, und so. Aber wir kennen dich leider nicht. Also, ich meine: Ich habe dich schon einmal gesehen und deinen Namen auch mal irgendwo gehört. Warst du nicht mal unter den Top Zehn des letzten Jahrgangs?“

Mami kratzte sich beschämt am Hinterkopf. „Oh je, ausgerechnet das weißt du von mir? Es war Platz 8, also kaum der Rede wert.“

Kaum der Rede wert, dachte Madoka und zeigte sich noch beschämter. Was sich Sayaka dazu dachte und die möglichen Folgen, die daraus zu resultieren drohten, konnte Madoka sich bereits ausmalen. Noch so eine Hochbegabte. Und das nicht zu Unrecht. Sie war, von sechshundertzwanzig Schülerinnen und Schülern, unter die zehn Jahrgangsbesten gekommen. Das war mehr, als Sayaka und Madoka je hätten vorweisen können. Und Sayaka, die in allem einen Wettbewerb der geistigen und körperlichen Stärke sah, konnte die Enttäuschung über eine Niederlage, noch vor dem eigentlichen Wettstreit, nur spärlich verkraften. Sie hasste nicht die Menschen, die nach ihrem Ermessen soweit über sie standen, sondern verurteilte sich für ihr eigenes Versagen, nicht besser werden zu können.

Ein langes Schweigen mischte sich unter die Mädchen. Wie Wasser durch ein schmales Tal, säuselte der Wind zwischen ihnen hindurch. Keine von ihnen wusste das Gespräch weiter anzuführen.

„Oh je, das ist ja nicht zu aushalten“, hallte es von einer unbekannten Entfernung in ihren Ohren. Madoka und Sayaka blickten erst einander, dann Mami Tomoe ratlos an. Beide wollten nicht glauben, dass sie gerade einen jungenhafte Stimme gehört hatten, doch konnten sie auch nicht leugnen, ineinander dieselbe Ratlosigkeit ausgemacht zu haben.

Mami wiederum schaute weniger verunsichert, als mehr tadelnd in eine Richtung, wo niemand stand.

„Du hast das auch gerade gehört, oder?“, sagte Sayaka, der der Blick der Blondine nicht entgangen war. Ja, Sayaka mochte mit ihren akademischen Leistungen nicht in der vordersten Reihe mitspielen, doch was das auffällige Verhalten von noch ausfälligeren Menschen anging, war sie eh und je die Scharfsinnigste gewesen. Auf Mamis tonlose Erwiderung sprang sie auf und rief: „Wer ist da? Zeig dich! Es ist unhöflich jungen Mädchen nachzuspionieren!“

Kaum hatte sie die Worte gesprochen, materialisierte sich aus der Luft eine durchsichtige Silhouette, die nach und nach die Form einen jungen Mannes angenommen hatte. Das schwarze lange Haar, die rote Jacke mit der olivgrünen Hose und dem schwarzen Hemd, zusammen mit dem stieren Blick eines empörten Knaben, machten Mami Tomoes anfängliche Heiterkeit schnell verschwinden.

„’Tschuldige, wer ist hier bitte unhöflich“, blaffte Shiro gleich zurück, die Arme gegen die mageren Hüften gestemmt. „Auf dem Schuldach einfach rumzuplärren, bei dir hakts wohl.“

Sayaka schrak zurück, stolperte und stürzte rücklings zu Boden. Mit dem einen Arm stützte sie den Oberkörper vom Boden ab, während sie den anderen verängstigt vor sich hielt, als würde sie einen Schlag ins Gesicht erwarten. „E-E-Ein Geist!? Ein Monster! Ungeheuer, Dämon!“

„Das wird ja immer besser, was kommt denn noch für ’ne Steigerung!?“, wetterte Shiro gleich drauf los. „Ich bin weder ein Geist, noch ein Monster, Ungeheuer, Dämon oder Teufel! Wenn überhaupt bin ich der liebe Engel in dieser Geschichte, du ungehöriges Balg!“

Sayaka schlotterten die Knie. Sie wusste keine Erwiderung. Nur ein kurzer Blick reichte zu Madoka, um sich zu vergewissern, dass sie sich das Ganze nicht nur einbildete. Doch in einer Art beruhigte Madokas vereiste Erstarrung sie, denn auch sie sah fassungslos in die Richtung des ihnen fremden Jungen.

„Kei-san“, brummte Mami Tomoe, „ich dachte, wir wollten die Sache so unkompliziert, wie möglich halten.“

Shiro, der der Blondine nur als Kei Tsuyoma bekannt war, zuckte unbekümmert mit den Schultern und antwortete gelassen: „Tut mir leid, Mami. Aber das wurde langsam wirklich schwierig mit anzusehen. Ich konnte mich kaum zurückhalten, so bedauerlich war euer Gespräch.“ Zur gleichen Zeit, wie er diese Worte gesprochen, hatte sein Blick sich kurz zu einem fernen Punkt verflüchtigt. Ein kurzer Augenblick, dem Madoka völlig unbedacht folgte. Er blickte zum Schulturm, der sich seitlich zum Gebäude befand und einen guten Überblick auf das Schuldach ermöglichte. Wenngleich es auch Schülern verboten war, diesen Turm zu besteigen, erschien es Madoka kurz, als hätte sie im Schatten des kleinen Torbogens jemanden gesehen. Die unverkennbare Jacke der Mitakihara-Uniform, im gleichen Zuge mit langen schwarzen Haaren, die sich eilig aus ihrem Sichtfeld und ins Turminnere verschwanden. War das … etwa Homura?

 

„Magical Girls?“, grübelte Sayaka.

Die Mädchen saßen auf einem weichen Kissen am Tische in Mamis Wohnung. Die junge Blauhaarige legte den Kopf in eine bedenkliche Schräge, dass man meinen mochte, der Hals würde ihn nicht länger halten können. Und wo die eine Mittelschülerin mit Argwohn und Skepsis an die Erzählungen Mamis heranging, fieberte die andere mit einem Leuchten in den Augen jedem neuen Worte entgegen. War es nun ihre jungreife Neigung oder die Obsession, an Wunder und Märchen zu glauben, so lächerlich diese auch erscheinen mochten, Madoka wollte mehr wissen.

„Das klingt aber ein bisschen weit hergeholt, oder Madoka?“, grinste Sayaka und stieß die beste Freundin neckend mit dem Ellenbogen an.

„Ähm, na ja …“, brabbelte Madoka vor sich hin. Gewiss konnte sie sich nicht darauf einstellen, dass diesen Erzählungen Wahrheit innewohnten und doch konnte sie dem Verlangen kaum widerstehen, nach mehr Informationen zu fragen. So machte sich ihr Blick hektisch auf die Suche nach etwas, dass sie nicht mit einer grundsätzlichen Erwartungshaltung betrachtete. Sei es Mamis gelassener Ausdruck, der von einer gleichmütigen Fröhlichkeit erzählte oder Sayakas schillernde Keckheit, die zum Hinterfragen und Amüsieren anregte. Dann war da noch Kei, der sich vom Tisch ferngehalten und gegen eine Wand lehnend, die drei Mädchen mit einem identisch anmutenden Ingrimm zu sortieren schien, wie es Homura mit der Klasse im Kleinen, mit Madoka jedoch im Speziellen getan hatte. Als forderte er sie im stillen Maße auf, das Thema zu verlassen und sich einem anderen zu widmen. Letzten Endes entschied sich das unsichere Mädchen dafür, einfach in das Spiegelbild ihres lauwarmen Tees zu blicken. Zumindest diesen Augen würden sie nicht dazu ermutigen, Stellung zu beziehen.

„Also“, setzte Sayaka mit erhobenem Zeigefinger fort, „ich bin ja nicht ganz gegen diese Vorstellung einer Superkraft, die insgeheim der Rettung der Menschheit dient. Vielleicht kannst du uns ja mit einem Kunststück beweisen, dass du uns nicht ungeniert anflunkerst.“

„Fragte das Mädchen, dass erschrocken zusammengesackt auf dem Boden gekauert hatte, als ich einfach aus dem Nichts vor ihr erschien“, seufzte Shiro und fing sich dabei den mahnenden Blick Mamis ein.

„Das zählt nicht“, erklärte Sayaka spöttisch, als hätte die Sache erst gar nicht stattgefunden.

„Ah, ach so?“, spottete Shiro zurück. „Dann erklär mal, was zählt denn für dich als unvernichtbarer Beweis?“

„Mhm. Keine Ahnung. Ah – ich, hab’s!“ Sie nahm die Teetasse zur Hand und hielt sie zwischen Mami und Shiro in die Höhe. „macht aus dem Tee Pudding. Oder lasst die Tasse schweben. So, dass ich mit eigenen Augen sehen kann, dass es sich hier um keinen Trick handelt.“

„Echte Magie funktioniert leider nicht so“, meinte Mami verlegen.

„Außerdem sind wir keine Zauberartisten“, fügte Shiro hinzu. „Diese Magie dient nicht zur Unterhaltung, sondern zur Bekämpfung finsterer Mächte.“

„Da muss ich ihm zustimmen“, nickte Mami. „Unsere Magie ist nicht zu Wundern in der Lage. Sie ist mehr eine Erweiterung unseres Könnens. Aber“, setzte sie mit leichtherziger Miene fort, „da ich mir schon gedacht habe, dass wir euch nicht mit ein paar Geschichten überzeugen können, habe ich selbstverständlich einen anderen, unkippbaren Beweis für euch in Petto.“

„Ein …“, begann Madoka.

„Unkippbarer Beweis?“, beendete Sayaka den Satz.

Und wie, als wäre dies sein Stichwort gewesen, materialisierte sich aus dem Nichts, vor aller Augen, das kleine Wesen Kyubey. Sayakas und Madokas Augen wuchsen zur unfassbaren Größe heran, als sie dieses Phänomen einer Katze plötzlich vor sich auftauchen sahen.

„W-Was …“, brabbelte Sayaka, die keine Worte zur Vollendung des Satzes fand.

Ich begrüße euch beide, Madoka Kaname. Sayaka Miki.“

Kyubeys freundlich piepsige Stimme traf sofort den Nerv zur Beruhigung der beiden schockierten Mädchen. Wenngleich auch beiden nicht ganz zu fassen vermochten, wessen sie gerade Zeuge geworden waren, beschlich sie doch gleich eine ungewohnte Ruhe, obgleich des sehr interessanten Anblicks. Mochten Menschen schließlich Mittel und Wege finden, sich in Luft aufzulösen oder gar vor wachsamen Augen sichtbar zu werden, wie es Shiro getan, hatte noch nie jemand Zeuge einer sprechenden Katze gestanden, die sich einfach vor ihnen, zwischen Tee und Gebäck, aus der Luft heraus sichtbar gemacht hatte.

„D-Das, das ist ein Trick, oder?“, murmelte Sayaka argwöhnisch und stieß das Katzenwesen mit dem Finger an. „Aber fühlt sich täuschend echt an.“

„Ich bin auch echt“, sagte Kybei.

Statt zurückzuweichen, wie zu Anfang, plagte nun Interesse Sayakas Gemüt. Wie man eine Katze so trainieren konnte, ruhig zu sitzen und still zu verharren, gleichzeitig einen neutralen, gar desinteressierten Ausdruck zu halten, während man sie wieder und wieder mit dem Finger an verschiedene Stellen anstieß, ohne nach dem selbigen zu schnappen, erschloss sich ihr nicht. Für die Stimme kam ihr nur eine logische Erklärung: „Das ist ein Bauchrednertrick, oder?“, fragte sie Mami.

Madoka machte ein hinterfragendes Gesicht. Sie glaubte nicht, dass sich jemand so viel Mühe machte, um zwei unbekannte Schulkameradinnen hereinzulegen. Wenngleich sich ihr der Gedankensatz erschloss, warum Sayaka nicht glauben wollte, wessen Teil sie gerade Zeugen wurden. Wer wollte schon, der klar bei Verstand war, an eine sprechende Katze glauben?

Mami grinste indes auf Sayakas Anfrage. „Ich trickse euch nicht aus, keine Sorge. Das hier ist Kybey.

„Es war ihm sehr wichtig, euch einmal persönlich kennenzulernen.“

Die beiden Mädchen sahen einander ratlos in die Augen. Eine langjährige Freundschaft, die ohne Worte einen strengen Kommunikationsverkehr aufrecht hielten. Ein Dialog, wie er untereinander in Worte kaum so schnell zu fassen war, hatte binnen weniger Sekunden nur durch den schieren Augenkontakt stattgefunden. Dabei konnte Madoka aus dem Augenwinkel heraus beobachten, wie Shiro, ihr bekannt als Kei, sie, und sie allein, mit einem warnenden Ausdruck betrachtete. So als wolle er ihr eine drohende Mitteilung aussprechen, die sie jedoch nicht zu entziffern vermochte. Böse Blicke hatte sie sich schließlich noch nie einen eingefangen. Wohl aber wusste sie, wann sie vor jemandem etwas zu befürchten hatte. Dann, jedoch, entfleuchte der unfriedliche Ausdruck ihr und wandte sich dem Wesen namens Kyubey zu, der ihn, wie sie ebenfalls aus dem Augenwinkel zu erkennen vermochte, mit seinen großen runden Augen und nach hinten gebäumten Haupt, zurückstarrte. Beinahe hatte diese Haltung etwas Selbstgefälliges. Wie ein König, der seinen Sieg erklärte.

„Ich möchte“, knüpfte Kyubey dann an Mamis Aussage an, fasste beide Mädchen ins Auge und schien dabei so unschuldig, „dass ihr zwei mit mir einen Pakt schließt und zu Magical Girls werdet.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und noch ein Nachwort: Nachwörter werde ich wahrscheinlich nicht in jedem Kapitel hinterlassen. Aber wenn, dann werden sie in erster Linie eine kleine (hoffentlich auch spoilerfreie) Hilfestellung zu den Geschehnissen sein und was ich mir als Autor dabei gedacht habe, die Dinge so zu schreiben und zu beschreiben.

Was sicherlich deutlich herausstechen wird, ist, dass die Namen der zwei Gestalten im Prolog zu keinem Zeitpunkt erwähnt werden und sie auch nur rar beschrieben sind. Das liegt daran, dass, obwohl sich jeder denken kann, um wen es sich bei dem Inkubator und das Mädchen handelt, ich den Leser ein wenig triezen wollte. Ich wollte ihm einen Prolog bieten, wie man ihn auch in Büchern bekommt, wenn der Autor seine mysteriösen Figuren das erste Mal in seine Geschichte mit einbringt. Ich fand diese idee persönlich sehr gut und hoffe, dass ihr es genauso seht.^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich kann mir vorstellen, dass der neue Charakter, mit seinem ziemlich plötzlichen und nicht gerade für selbstverständlich zu erklärenden Auftritt, deutlich für Verwirrung gesorgt haben dürfte. Um mögliche Aufreger diesbezüglich zu vermeiden: Ich versichere euch, er wird noch seine Einführung bekommen, inklusive seiner "Verbindung" zu Homura. Ich möchte da nichts vorwegnehmen da es schon mit Absicht so knapp und zusammenhangslos geschrieben wurde. Immerhin war dies auch ein starkes Stilelement der Serie. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sehr schön, ihr habt das Kapitel beendet und meine Güte, was für ein scheußliches Ende, nicht wahr? xD
Keine Sorge, auch ich bin kein Fan von unschön ausgeschmückten Enden, aber es dient alles einer höheren Sache. Hier gibt es nichts Interessantes zu wissen, da es sich alles ziemlich von selbst erklärt. Ganz im Stile der Serie, bleiben manche Begebenheiten etwas mysterös und seltsam verwoben, werden aber wohl das große Ganze nicht stören. Noch einmal kann ich meine Freude nicht oft genug darüber kundtun, endlich mit dem dritten Kapitel, meine eigentliche FanFic zu beginnen. Wir haben meinen dreiteiligen Prolog nunmehr erfolgreich übersprungen und kommen nun zur Hauptveranstaltung. Ich wünsche euch viel Vergnügen. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, wir haben nun einen ersten Eindruck von Shiro bekommen (mehr in seine Persönlichkeit, denn seine eigentliche Daseinsberechtigung). Zweck dieser Konversation zwischen Homura und ihm war, direkt das Verhältnis der beiden offenzulegen, dass sowohl von (bislang einseitig dargestelltem) Vertrauen getragen und von Shiros provokantem Auftreten leicht gestört wird. Ich kann versprechen, dass dies nur ein kleiner Vorgeschmack war, denn gerade Shiro wird sehr viel mehr Komplexität in sein wohl durchdachtes Charakterkonstrukt offenbaren, als man ihm jetzt zutrauen würde. Und was Homura angeht, tja ... da verhaare ich noch in Stillschweigen. :P

Auf jeden Fall bin ich sehr auf eure meinung zu diesem kapitel gespannt. Die Arbeiten zu Kapitel 4 laufen bereits auf Hochtouren.^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr habt das Kapitel hinter euch gebracht. Gratulation! Es war, so hoffe ich, nicht ganz so trocken, wie es mir vorkam, aber tatsächlich hat mir diese Passage ungeheuer Spaß gemacht zu schreiben. Ich konnte endlich Shiros Charaker ein wenig ausbauen, eine kleine Headcanon-Backstory zu Hitomi anfertigen, ein wenig Anime-Humor (der hoffentlich auch gezündet hat) einbauen, schon einmal in groben Zügen erklären, was nun Shiro eigentlich ist, etc. Alles in allem bin ich sehr zufrieden mit diesem Kapitel.
Vor allen Dingen (ich kann es ja ruhig sagen, denn es ist ja mein OC) freue ich mich wirklich darauf, mehr mit Shiro arbeiten zu können, jetzt, da ich ihm endlich einmal etwas an Persönlichkeit geben durfte, nachdem er drei Kapitel lang mehr eine farblose Figur war, die hintergründig agierte. Und glaubt mir, ich hab noch so viel Schönes mit ihm vor (natürlich werden dabei die anderen Charaktere nicht vernachlässigt). :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nun denn, wir haben nun einen groben Eindruck von einem der ersten Gegenspieler erhascht. Lasst mich etwas zu ihm erzählen: Es wird mir eine große Freude bereiten, ihn öfters zu erwähnen, weil er sich jetzt schon zu meiner Lieblingsfigur etabliert hat. Das kann natürlich daran liegen, dass ich schon meine Pläne zu ihm habe und auch weiß, wie es mit ihm weitergehen wird. :P Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  Flordelis
2016-10-11T14:42:24+00:00 11.10.2016 16:42
Wie schön, ich hab es heute noch geschafft, alle vorhandenen Kapitel zu lesen. ♥
Es ist schon durchaus ungewöhnlich, einen Stil wie deinen in einer FF zu lesen, aber wie gesagt, mich stört das nicht im Mindesten, mir gefällt das. Qualität ist immer was Feines. ♥

Ah, mir scheint, du hast einige Probleme mit dem das/dass, kann das sein?
> Das war das Kreuz, dass sie für ihren reichen Stand zu tragen hatte (ist jetzt nur ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel, es gibt noch mehr derartige Sätze im Kapitel)
In diesem Fall müsstest du "das sie für" schreiben. Du schreibst immer "das", wenn du es durch "welches" ersetzen könntest - oder eben, wenn es sich auf ein Substantiv, in diesem Fall das Kreuz, bezieht. In allen anderen schreibst du "dass": "Er sagte, dass er bald heimkäme"
"Das Haus, das er sein Zuhause nannte"
Im Grunde ist es ganz einfach, wenn man erst mal dahinter gekommen ist. ;3

Sehr eindrucksvoll, wie du Sayaka und ihr Verhalten und ihre Gefühle mit Wasser verbindest. Das ist eine schöne Bildsprache, die auf ihr Dasein als Magical Girl hinweist. ♥

Auch wenn das Ende nicht ausgeschmückt war, gefiel es mir. Schon allein weil es hier wirklich extrem von der Serie abwich und mir zeigt, dass wir nun wirklich einen neuen Weg beschreiten.
Und ich kann so ziemlich kaum erwarten, zu sehen, was du dir ausgedacht hast.
(Und jetzt will ich auch wieder Madoka-Fics schreiben, nur in meinem Stil eben. XD)

Sehr gute Arbeit von deiner Seite aus kann ich jedenfalls nur sagen.
(Bis auf die das/dass-Sache, aber auch das ist wieder nur ein kleiner Kritikpunkt im großen Ganzen und mein kleines Steckenpferd, deswegen kann ich das einfach nie unerwähnt lassen. ;D)

LG
Farleen~
Antwort von:  WrightGerman
11.10.2016 18:13
Wie schön, ich hab es heute noch geschafft, alle vorhandenen Kapitel zu lesen. ♥
-Ich bin auch ziemlich beeindruckt. Ich hätte nicht gedacht auf solches Durchhaltevermögen zu treffen, gerade weil ich es meinen Lesern ja nicht einfach mache, den Text mal eben so zu überfliegen. Das meine ich tatsächlich so, denn ich habe schon diverse FFs gelesen, in denen der Verlauf der Story vorhersehbar und das Geschreibsel wenig aufwendig war, weshalb ich nicht das ganze Kapitel lesen brauchte, um zu wissen, was passierte und wie es beschrieben wird. Gerade das (diese monogame Wortwahl) versuche ich deshalb mit aller Gewalt zu umgehen, was sich auch deutlich herauslesen lässt, denn viel erscheint beim erneuten Drüberlesen arg gezwungen (aus meiner Sicht gesprochen).

Deswegen: meine Hochachtung für deine Ausdauer. *hochatungsvoll verneig*

Ah, mir scheint, du hast einige Probleme mit dem das/dass, kann das sein?
-Leider falsch, ich kenne sogar sehr gut die feinheitlichen und groben Unterschiede zwischen "Das" und "Dass". Das Problem liegt eher im korrigieren und/oder ausbauen vorangegangener Sätze. Es mag wie eine schlechte Ausrede klingen, aber es hat schon seinen Grund, warum ich ein mieserabler Beta-Leser wäre. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist unwahrscheinlich gering und gerade beim Korrekturlesen, das von simplen Fehlerbehebungen, bis hin zur gänzlichen Ungestaltung von Zeilen reicht, sinkt meine Aufmerksamkeit schnell ins Bodenlose und der Wille, die FF endlich hochzustellen, schießt wie ein gleißend heller Lichtstrahl in den interstelaren Kosmos hinaus. Das ist diese eine Art, die ich mir immer noch nicht richtig aneignen konnte, trotz, dass ich nun schon vier Jahre Geschichten schreibe: Geduld.

Sehr eindrucksvoll, wie du Sayaka und ihr Verhalten und ihre Gefühle mit Wasser verbindest. Das ist eine schöne Bildsprache, die auf ihr Dasein als Magical Girl hinweist. ♥
-Ich bin sehr, sehr ehrlich und sage, dass ich gerade das beinahe versaut hätte. Ursprünglich habe ich sie mit einem Vulkan verglichen, da ich, entgegen ihrer Kolorierung, sie nicht in dem Element Wasser sehe. Wasser steht im krassen Gegensatz zum Wankelmut und Jähzorn, was Sayakas Persönlichkeit für mich eindeutig ausmacht. Ich gehe sogar so weit, dass sie gegen Ende hin schon gar kein klares Element mehr charakterisiert, sondern einfach ein schwarzes Loch wird.
Aber da ich sowieso den Storyverlauf zur Serie massiv verändere, kann ich sie vielleicht in diese Richtung einlenken, ohne sie ins Out of Charakter-Feld zu schieben. Eine kleine herausforderung, die ich gerne für meinen Lieblingscharakter in der Serie eingehe (ja, Sayaka ist meine Lieblingsfigur). :)

Auch wenn das Ende nicht ausgeschmückt war, gefiel es mir.
-Es war auch sehr problematisch, diese Stelle auszuschmücken. Ich bewahre ja immer Outtakes zu meinen Kapiteln auf (komischerweise ist mir das zum zweiten Kapitel abhanden gekommen -- wie auch immer das passiert ist -- weshalb ich dir nicht zeigen kann, wie mein Ausschmückungsversuch aussah und warum das Ende des Kapitels letzten Endes so geworden ist, wie es eben nun ist). Sagen wir einfach, dass nicht jede Zeile spannend sein muss, solange es dem Grundkonzept keinen Schaden zufügt. Wie ich ja herauslese, hat es dir gefallen, also sehe ich es auch nicht als so tragisch an. ;D

Und ich kann so ziemlich kaum erwarten, zu sehen, was du dir ausgedacht hast.
-Hui, da sind wir schon zu zweit. Ich habe bereits mein Ende vorbereitet. Der Weg dorthin wird hingegen auch für mich ein uneinsehlicher Pfad sein, auf den ich mich schon sehr freue, ihn mir zurechtzulegen. :3

(Und jetzt will ich auch wieder Madoka-Fics schreiben, nur in meinem Stil eben. XD)
-Ich sollte mal bei dir vorbeischauen. Vielleicht finde ich ja auch eine kleine Oase im großen FF-Jungle. Und da ich sowieso gerade im Madoka-Fieber bin ... ;P

Sehr gute Arbeit von deiner Seite aus kann ich jedenfalls nur sagen.
-Zu viel der Freundlichkeit. *blushes*
Danke. :'3
Von:  Flordelis
2016-10-11T14:13:44+00:00 11.10.2016 16:13
Du hast wirklich nicht übertrieben, als du meintest, du willst wie ein Buchautor schreiben, was? ;3
Jedenfalls hat mich der Stil hier ein wenig an E.T.A. Hoffmann erinnert (sieh das als Kompliment, ich mag Hoffmann ^^).
Sehr schön, dass du dich an den Anfang der Serie hältst und auch sehr interessant, wie du den Teil der Nacherzählung wiedergegeben hast. Auch wenn ich diese Szene schon x-mal gesehen habe, gab es bei deinen Beschreibungen keinen Grund zur Langeweile.
Den ersten Abschnitt über die Stadt fand ich sogar sehr eindrucksvoll, ich ziehe den Hut vor deiner Wortgewandtheit und deinem reichhaltigen Wortschatz. *Hut zieh*
Der letzte Absatz macht dann wirklich neugierig und Lust auf mehr, damit man herausfindet, wer wohl Shiro sein mag. Ich bin jedenfalls schon gespannt~.

Hin und wieder hast du kleinere Fehlerchen drin (u.a. fällt auf, dass du Adjektive gern groß zu schreiben scheinst ;3), aber das ist jetzt nichts, was weiter irritiert. Wie gesagt, das sind wirklich nur winzige Kleinigkeiten, die tun dem großen Ganzen keinen Abbruch~.

Gute Arbeit. ♪

LG
Farleen~
Antwort von:  WrightGerman
11.10.2016 17:38
Du hast wirklich nicht übertrieben, als du meintest, du willst wie ein Buchautor schreiben, was? ;3
-Ich übertreibe nie. ;)
Ehrlich gesagt versuche ich immer einen gewissen Grad zwischen Wahrheit und Spannung zu erhalten; das heißt, Interesse zu wecken, ohne falsche Versprechungen zu machen. Ich muss sagen, meine Zeit auf Bronies.de hat mir wirklich einen wertvollen Erfahrungsschatz gegeben, was die wertige Wortwahl angeht, die sich für eine Geschichte wirklich als unverzichtbar herausstellt. Und Alexandre Dumas war auch wirklich keine verkehrte Lektüre, um den Einstieg ins Autorendasein zu erleichtern.

Den Vergleich mit E.T.A. Hoffmann nehme ich sehr gerne als Kompliment, wenngleich mir sein Stil völlig unbekannt ist und ich, gedankt sei es Wikipedia, nur weiß, dass er Romantik-Romane geschrieben hat.

Den ersten Abschnitt über die Stadt fand ich sogar sehr eindrucksvoll [...]
-Ich bin sehr überrascht zu lesen, wie sehr dir dieses Kapitel doch zugesagt hat, wo ich eigentlich eine erhebliche Summe darauf verwettet hätte, dass du diesem Kapitel ähnlich zugeneigt sein würdest, wie dem anfänglichen Prolog. Ich muss gestehen, selbst kein Fan der ersten zwei Kapitel (den Prolog nicht mit eingebunden) zu sein. Nicht, weil ich mich als Autor immer härter kritisiere, als es neunzig Prozent der werten Leserschaft wahrscheinlich wagen würde, sondern weil ich die Formulierung teilweise sehr umbrüchig und wenig dem Leseflow angemessen fand. Das es dir gefällt, heißt entweder, dass du keine großen Ansprüche an meine nächsten Kapitel gesetzt hast oder ich tatsächlich viel zu hart mit mir ins gericht gehe. Auf jeden Fall freut es mich, dass ich dich begeistern konnte. :D

*Hut zieh*
Oh, shugs. *Blush*
:'3

[...](u.a. fällt auf, dass du Adjektive gern groß zu schreiben scheinst ;3)
Das höre ich komischerweise so oft, dabei ist es eigentlich das genaue Gegenteil. Eher habe ich diese besondere Begabung, Nomen kleinzuschreiben (was ich allerdings meiner Tastatur und der rasanten Tippgeschwindigkeit anschulde und nicht meiner Fähigkeit, orthographisch korrekt zu schreiben. xD)
Gerade beim erneuten durchlesen fällt mir das immer wieder auf, aber die groß geschrieben Adjektive entgehen mir seltsamerweise immer. Wärst es nur du, würde ich um Beispiele bitten, aber ich höre es wirklich sehr häufig, dass ich Adjektive und manchmal sogar Verben in Nomen verwandle. Ehrlich gesagt beschämt mich das ein bisschen und ich muss auch sagen, dass ich beim Hochladen der Kapitel meine Beta-Leser-Prüfung überspringe. Nicht, dass ich seine Arbeit nicht dankenderweise wertschätze, aber er braucht so lange für ein Feedback, also lege ich selbst noch mal ein prüfendes Auge über den Text.

Ich bin froh, dass es der Geschichte letztendlich aber keinen Abbruch tut.

Vielen Dank für dein schönes Feedback und ich sage mal: "Bis gleich", zum K2-Fb. :D
Von:  Flordelis
2016-10-11T13:52:26+00:00 11.10.2016 15:52
Jetzt hab ich ewig gebraucht, wieder hierherzukommen. Es tut mir sehr leid. ~_~
Aber ich kann dir auf jeden Fall versichern, dass mir dieser Prolog wesentlich besser gefällt als die erste Version. Nicht nur wegen dem Ausmerzen der fehlerhaften Plotpunkte (ich finde schön, dass du wirklich darauf eingegangen bist, ich hatte befürchtet, du wärst dann nur beleidigt - schlechte Erfahrungen >_<), nein, ich fand die Beschreibungen hier auch wesentlich besser und lebhafter als in der ersten Version. Du hast hier wirklich gute Arbeit beim Überarbeiten geleistet.
Auch gefallen mir die ganzen kleinen Details, die du nach dem Erwachen im Krankenhaus eingebaut hast, wie etwa die Beschreibung des Kalenders. Das finde ich sehr schön. ♫
Ich werde hoffentlich noch ausgiebig Zeit haben, die anderen Kapitel zu lesen, denn ich bin immer noch sehr interessiert an dieser FF. ;3

LG
Farleen~
Antwort von:  WrightGerman
11.10.2016 16:10
Es freut mich sehr, wieder von dir zu lesen und zwar auf zweigeteilter Hinsicht. Zum einen, da du die Erste unter hoffentlich vielen warst und bist, die mir ein Feedback dagelassen haben und zum anderen, weil es mich sehr freut zu lesen, dass dir die Überarbeitung sehr zusagt. Gerade weil das Feedback kein typisches: "Toll, gib mehr" war, sondern eine ernsthafte Kritik an den Plot und die literarische Struktur. Geize nicht mit Kritik, gerade auf solches Feedback gehe ich liebend gerne ein, denn ich suche steitge Verbesserung, kein einheitliches und spannungsloses Mittelmaß.

Was die anderen Kapitel angeht, so kann ich eine Einhaltung des Standards, den der Prolog gesetzt hat, bis zum zweiten Kapitel nicht vollständig garantieren, da ich erst mit Kapitel 3, der ja dann mit dem eigentlichen Handlungsstrang allmählich ins rollen kommt, so richtig in Fahrt komme. Allerdings garantiere ich kein negatives Verhalten meinerseits, was das "sich beleidigt geben" angeht. Ich muss nicht jedem Kritikpunkt zustimmen, doch, wie du siehst, reagiere ich nicht wie ein kleines Kind. xD
Es wäre ja auch ziemlich sinnlos, eine Geschichte zu veröffentlichen, nur um Schulterklopfer zu ernten. Als jemand, dessen Traumberuf und Hobby gleichermaßen das Erzählen von Geschichten ist, ist es eine Notwendigkeit -- gar eine Pflicht --, sich die Meinung des Lesers zu herzen zu nehmen.

Und jetzt bin ich ein wenig stolz auf mich, da ich sowohl meinen Beta-Leser, als auch dich mit dem prolog begeistern konnte. Ich hoffe sehr, wieder von dir zu lesen. :D

PS: Es muss dir nichts leid tun. ;)


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