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Kleinigkeiten

für Kathrin
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, willkommen zu meinem fast literarischen Auswuchs.
Inspiration war Natsume Sôsekis "Kokoro" und ich habe nur aufgeschrieben, was ich in meinem Kopf gesehen habe, von daher kann ich selbst nicht mit einer vollständigen Interpretation dienen. Ich rate trotzdem, mein Autoren-Nachwort zu lesen.
Ich hoffe, es ist nicht zu pseudo-literarisch... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Japanische Literatur Proseminar die Zweite.
Ich gebe allerdings zu, dass ich nicht genau weiß, woher die Geschichte stammt. Ich glaube, es ist eine chinesische Geschichte, die Akutagawa Ryûnosuke irgendwo aufgegriffen hat. Noch so ein depressiver Misanthrop...
Eigentlich endet sie damit, dass der junge Mann auf allen Vieren nach Hause kriecht, doch ich habe mir die Freiheit genommen, sie ein wenig fortzusetzen.
Enjoy^^ Komplett anzeigen

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Herz

„Ist sie nicht eine wundervolle Frau?“, schwärmte der blonde Komponist seinem besten Freund vor.

Jener Freund, ein schwarzhaariger Sänger, wirkte plötzlich traurig.

Er kannte den Komponisten schon, seit er sich zurückerinnern konnte. Daher wusste er, dass dieser Sex und die Frauen ganz allgemein liebte, so wie sie ihn auch liebten. Und ihm war durchaus klar, dass er wohl einen entsprechend ausschweifenden Lebensstil führte, auch wenn das der Aspekt im Leben des Komponisten war, mit dem sich der Sänger möglichst nicht beschäftigen wollte. Doch nun las er im ganzen Verhalten des Blonden, seiner Gestik, Mimik und Stimme, dass er wirklich verliebt in diese eine Frau war.

Normalerweise wäre der Sänger darüber sehr froh gewesen. Bei seinem unsteten Wesen und seinen Launen konnte es seinem Freund nur gut tun, Stabilität und Liebe in seinem Leben zu haben. Nur warum musste es ausgerechnet diese Frau sein?

„Die Wundervollste überhaupt“, erwiderte der Sänger leise, aber fest.

Der Komponist, nicht gewohnt in einem seiner häufigen Gefühlsausbrüche bestärkt zu werden, hielt inne und betrachtete seinen Freund überrascht.

„Du findest das auch?“, wunderte er sich arglos.

Der Sänger sah ihm traurig in die Augen, als er leise, aber deutlicher als nötig sagte: „Ja.“

Als der Komponist verstand, was sein Gefährte seit Kindertagen ihm sagen wollte, erblasste er sichtlich und trat einen Schritt zurück. Und sobald er die Erkenntnis ganz begriff, ertrug er es nicht mehr, ihm ins Gesicht zu sehen und sah zu Boden.

„Ich… es tut mir so Leid…“, murmelte er betroffen.

„Es ist nicht deine Schuld“, sagte der Sänger mit der Gelassenheit und dem traurigem Lächeln von jenen, die sich mit einem Verlust abgefunden hatten. Und das entging dem Komponisten keineswegs.

„Es war trotzdem nicht schön für dich, mich so Schwärmen zu hören“, meinte er, nun wieder sicherer, „und das tut mir Leid, egal was du jetzt sagst.“

Der Sänger seufzte. „Ich werde mich sicher nicht deiner Liebe in den Weg stellen. Wenn du mit ihr glücklich bist, werde ich damit klarkommen.“

„Immer langsam, ich habe erst ein paar Mal mit ihr gesprochen.“ Der Komponist schenkte seinem Freund ein aufmunterndes Lächeln. „Wer weiß, vielleicht mag sie dich ja lieber als mich.“

Als Antwort zog der Sänger lediglich eine Augenbraue hoch und sah demonstrativ an sich herunter.

Sie waren beide nicht mehr jung, doch der Komponist hatte immer noch seine blonden Locken, sein charmantes Lächeln und seine schlanke, durchtrainierte Figur. Eine längere Beziehung hatte er nie gehabt, doch die zahlreichen Frauen, mit denen er Affären gehabt hatte, grollten ihm selten, denn er wusste sie trotz allem mit Respekt zu behandeln.

Der Sänger hingegen war einst verheiratet gewesen. Doch seine Frau hatte ihn nicht nur im Hinblick auf ihre Ehe betrogen, stattdessen hätte er ihretwegen beinahe sein gesamtes Vermögen und seinen besten Freund verloren. Die Scheidung kam einer Erlösung gleich. Er war weder charmant noch gutaussehend, hatte auch einige Kilo zuviel.

„Was? Warum sollte sie nicht?“, schnappte der Komponist trotzig.

„Als ob ich mit dir in irgendeiner Hinsicht mithalten könnte“, knurrte der Sänger, der glaubte, es handele sich hierbei um einen Scherz auf seine Kosten.

Sein Freund verdrehte die Augen, dies sah ihm so ähnlich. Er hatte sich immer in seinem Schatten gesehen, da er weniger gutaussehend und selbstbewusst war, zudem hatte er von seinen Eltern auch nie viel Wertschätzung erhalten. Der Komponist hatte das jedoch nie so gesehen. Er war oft unsicher, unstet und gesundheitlich angeschlagen, aber zu stur und stolz, um sich damit auseinanderzusetzen. Es war der Sänger, der ihm mit seiner Präsenz Halt gab und ihn dazu brachte, ordentlich zu schlafen, zu essen und zum Arzt zu gehen, gegebenenfalls auch gegen seinen Willen. Zudem setzte er sich oft und vehement für andere ein.

„Komm mir nicht wieder mit diesem Unsinn“, rief er daher. „Mag ja sein, dass ich allgemein für hübscher gehalten werde, aber das macht mich nicht überlegen! Ich bin ein chaotisches, starrsinniges Nervenwrack, mit dem es kaum einer länger als drei Wochen aushält, abgesehen von dir. Aber du, du hast ein Herz aus Gold.“

Mit sanfterem Gesichtsausdruck trat er zu dem Sänger und legte die Hände auf seinen Schultern.

„Du warst nie böse auf mich wegen damals, dabei hätte ich es mindestens genauso verdient gehabt wie du. Du setzt dich immer für andere ein, egal ob das ich bin oder jemand völlig Fremdes. Und wer hat denn immer meine Launen ertragen, wenn es mir schlecht ging, das ewige Gefluche und Gezicke?“

Er sah, dass sein Freund mit den Tränen kämpfte, auch seine Sicht war verdächtig verschwommen. So zog er den Sänger in eine feste Umarmung und flüsterte:

„Das war nicht irgendeine Frau, sondern du. Du bist mein bester Freund.“

„Du bist auch mein bester Freund“, würgte der Sänger hervor, bevor er sich unterdrückt schluchzend an die Brust des Komponisten krallte. Dieser streichelte ihm etwas unbeholfen durch das schwarze Haar. Normalerweise war er derjenige, der dem anderen wegen irgendetwas die Hemden durchnässte.

„Du bist der wunderbarste Mensch, den ich kenne“, sagte er, „und wenn sie zu blind ist, um das zu sehen, dann will ich sie auch nicht.“

„Du hast immer zu mir gestanden, egal wie viel Mist ich gebaut habe“, schluchzte der Sänger und krallte sich fester an ihn, „Und ich habe viel Mist gebaut, streite das bloß nicht ab! Ich werde nicht noch mal riskieren, dich zu verlieren. Keine Frau der Welt ist das wert.“

So standen sie eine ganze Weile still da, bis ein leises Rascheln ihre Aufmerksamkeit zur Tür lenkte. Sie war offen und ihre Liebste lehnte im Rahmen. Wie lange sie dort gestanden hatte, war nicht ersichtlich, doch sie lächelte sanft und ihre fast unwirkliche Schönheit strahlte den ganzen Raum aus.

Sie ließen einander los, der Sänger wischte sich verstohlen die Tränen aus den Augen und der Komponist strich sich verlegen eine blonde Haarsträhne hinters Ohr.

„Ich… Wir…“

Die Frau hob noch immer lächelnd eine schlanke, weiße Hand und bedeutete ihnen, zu schweigen. In ihren Augen lag ein warmer Glanz.

„Es ist alles gut. Nun wird alles gut“, sagte sie.

Als sie diese Worte gesprochen hatte, löste ihre Gestalt sich in golden glitzernden Staub auf, der sich rasch in der Luft verlor. Dort wo sie gestanden hatte, lag ein Rosenzweig, aus dem zwei Blüten gesprossen waren, eine blau und eine weiß.

Gehen

Der junge Mann kroch die verlassene Landstraße entlang. Es war nicht so, dass er zu schwach zum gehen war, auch wenn er sich müde und ausgelaugt fühlte. Er konnte es einfach nicht mehr.

Sein ganzes leben hatte er in einem kleinen Dorf auf dem Land verbracht. Doch als er älter wurde, hatte er begonnen, sich rastlos und unzufrieden zu fühlen. Und eines Tages hörte er von einem Reisenden, dass die Menschen in der großen Stadt viel fortschrittlicher und wacher waren. Dazu fügte er die Vermutung, dass es an der neuen Gangart läge, die die Menschen dort sich angeeignet hatten.

Neugierig und in der Hoffnung, die Unruhe in sich zu beruhigen, war der junge Mann losgezogen, um in die große Stadt zu gehen und diese neue Gangart zu lernen. Als er in der Stadt angekommen war, sah er sofort, dass die Leute hier tatsächlich anders gingen, als auf dem Land. So hatte er sich Bücher besorgt und verschiedene Leute um Erklärungen gebeten. Und er hatte es geübt, viele Tage lang. Doch nach einigen Wochen hatte er bemerkt, dass es ihm nicht gelingen wollte. Die neue Gangart blieb ihm verschlossen.

Also hatte er wieder auf die alte Weise gehen wollen. Doch auch das gelang ihm nicht mehr, so sehr er es auch versuchte. In seinem Bemühen, die neue Gangart zu lernen, hatte er die Alte verlernt. Doch die Neue hatte er nie gemeistert. Nun konnte er gar nicht mehr gehen.

Beschämt und den Tränen nah kroch er die Straße entlang, auf dem Weg nach Hause. Zwar hatte er Angst, was sie dort wohl sagen würden, doch er hatte keinen anderen Platz wo er hin konnte. Seine Knie schmerzten und der Stoff seiner Hose würde nicht mehr lange halten. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Plötzlich hörte er Schritte näher kommen und sah auf.

Ein Reisender kam auf ihn zu. Er war groß, aber schmal und obwohl sein Gesicht ebenmäßig und freundlich wirkte, kam er dem jungen Mann seltsam vor. Seine Kleidung war eine Mischung aus städtischer und ländlicher Mode zusammen mit Elementen, die er noch nie gesehen hatte, gleiches galt für seinen Gang, der ruhig und selbstsicher wirkte. Der reisende blieb vor dem jungen Mann stehen und beugte sich zu ihm herunter. Dieser konnte nur in das freundliche Gesicht starren. Es war jung und hübsch, doch in der Abendsonne konnte er eine Narbe erkennen, die sich vom Unterkiefer bis zur Nasenwurzel heraufzog. Zudem hatte er noch nie einen Menschen mit silbrigen Augen und grünem Haar gesehen.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte der Fremde.

„Mir fehlt nichts. Ich habe nur das Gehen verlernt“, antwortete der junge Mann.

„Du hast das Gehen verlernt?“ Der Fremde klang verwundert, doch dann sah er sich kurz um und deutete auf einen Hügel am Wegesrand. „Komm, setzen wir uns dorthin und teilen unser Essen miteinander. Bei einem guten Bissen kann man besser reden.“

Er schritt voran und der junge Mann kroch hinter ihm her. Schließlich saßen sie nebeneinander und sahen auf die untergehende Sonne. Der Fremde holte ein Bündel hervor, das Brot enthielt, das der junge Mann noch nie gesehen hatte, doch die Früchte daneben waren ihm vertraut. Er selbst trug ein wenig Gebäck und Käse aus der Stadt bei sich. Sie teilten schweigend und er merkte schnell, dass das Brot des Fremden zwar fremd, aber sehr gut schmeckte. Auch wenn er so etwas nie geschmeckt hatte, kam es ihm vage vor, als hätte er sich sein ganzes Leben nach diesem Geschmack gesehnt. Doch er tat den Gedanken als unsinnig ab.

Als sie gegessen hatte, bat der Fremde ihn, zu erzählen, wie es dazu kam, dass er das Gehen verlernt hatte. Und er erzählte zunächst zögerlich, doch dann immer emotionaler, wie es ihm ergangen war.

Stumm hörte der Fremde ihm zu und als er geendet hatte nickte er langsam.

„Ich verstehe. Ich habe dergleichen schon gesehen, allerdings kam es nie soweit, dass diese Personen kriechen mussten, da man ihnen Krücken gab. Du hattest wohl niemanden, der dir welche geben würde.“

Der junge Mann senkte traurig den Blick. „Kannst du mir welche geben?“

Der Fremde lachte bitter auf. „Selbst wenn ich welche hätte, wolltest du dein ganzes Leben auf Krücken gehen, obwohl du ganz gesund bist? Niemand von denen ist je glücklich gewesen. Jeder glaubte, dass sie krank seien und irgendwann glaubten sie es selbst. Dadurch wurden sie wirklich krank.“

„Aber… was soll ich jetzt tun?“

„Was hättest du denn getan, wenn du die neue Gangart gelernt hättest?“

Darüber musste er eine Weile nachdenken. „Ich denke, ich wäre zum Meer gewandert. Ich wollte es schon immer mal sehen. Und dann hätte ich mir ein Handwerk gesucht.“

„Das Meer? Ja, das solltest du sehen. Es ist wunderschön, und gleichzeitig beängstigend, als wolle es uns sagen, wie klein und machtlos wir doch sind. Ja, du solltest zum Meer wandern. Und was das Gehen betrifft…“

Der Fremde stand auf und streckte ihm seine rechte Hand hin.

„Komm, steh auf.“

Zögerlich ergriff der junge Mann die ihm dargebotene Hand. Immerhin, stehen konnte er noch.

„Kümmere dich nicht um irgendwelche Gangarten“, sagte der Fremde. „Setze einfach einen Fuß vor den Anderen. Der Rest wird sich mit der Zeit ergeben.“

Der junge Mann versuchte vorsichtig ein Paar Schritte und strauchelte. Doch der Fremde hielt ihn fest.

„Denk nicht so viel. Mach es einfach so, wie es dir in den Sinn kommt. Dann wirst du bald deine eigene Gangart haben. Und die wirst du dann nie mehr verlernen.“

Fest an das Meer denkend versuchte der junge Mann es erneut. Und siehe da, seine Schritte waren etwas wackelig und unsicher, aber sie trugen ihn.

Er drehte sich strahlend zu dem Fremden um. „Wie kann ich dir danken?“

„Indem du deinen Weg gehst. Ich brauche nichts von dir.“

„Willst du mich nicht zum Meer begleiten?“

„Nein, mein Ziel liegt in der anderen Richtung.“

„Oh. Was ist dein Ziel?“

„Das werde ich sehen, wenn ich es erreicht habe.“

„Werde ich dich je wieder sehen?“

„Wenn du das willst, dann werden wir uns wiedersehen. Lass uns heute in einem Jahr wieder an dieser Kreuzung zusammenkommen.“

„Ja, lass uns das tun. Viel Glück auf deinem Weg.“

Der Fremde hatte sich bereits abgewandt und ging gemächlich der untergehenden Sonne entgegen. Obwohl er eine Hand zum Abschied gehoben hatte, schaute er nicht zurück. Leise lächelnd sah der junge Mann ihm nach, bis er aus seinem Blickfeld verschwunden war. Schließlich wand er sich nach Osten und ging mit immer sicherer werden Schritten dem Meer entgegen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Seltsam, nicht?
Nun zur Interpretation:
Wer mich und meinen bisherigen Kram kennt, sollte nicht überrascht sein zu hören, dass ich bei dem "Komponisten" und dem "Sänger" Yoshiki und Toshi von X Japan vor Augen hatte, auch wenn ich es hier irgendwie angemessener fand, keine Namen zu nennen. Die Ereignisse, die sie andeuten, basieren auf Dingen, die ich tatsächlich gehört habe (ob sie wahr sind, ist nochmal was anderes...). Auch die Farben der Rosenblüten stehen für die Beiden, immerhin ist die blaue Rose eines von Yoshikis Lieblingstextmotiven und Weiß... passt irgendwie zu Toshi. Ich hab nicht groß Ahnung von Blumensprache, daher könnt ihr das außen vor lassen.
Na gut, die Rosen könnten durchaus für Liebe stehen, schon möglich. Aber aus der Schlussszene werde ich selbst nicht schlau. Warum die Frau sich auflöst und etwas zurücklässt, dass mit den Beiden Männern zu tun hat? Keine Ahnung.
Wer "Kokoro" nicht kennt: Sehr bedeutendes literarisches Werk in Japan. Es geht darum, dass zwei beste Freunde sich in dieselbe Frau verlieben. Der eine verrät den anderen, um sie zu kriegen. Der erfährt das allerdings nie, er scheitert an sich selbst, da er seine Liebe nicht mit seinem Ideal vereinbaren kann und begeht Suizid. Der andere heiratet die Frau, wird aber nie glücklich, da seine Schuldgefühle ihn verfolgen, bis er sich schließlich auch umbringt. Trübsinnig, ne? Überhaupt sind Dreiecksbeziehungen mit resultierender Katastrophe Sôsekis Lieblingsmotiv. Ich hab mir also gedacht: Was wäre, wenn die zwei Freunde ihre Freundschaft über irgendeine fremde Frau stellen? Das ist nämlich mein Gedanke, wie es sein sollte. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, warum ich dann die Szene im Kopf hatte, in der sie sich lächelnd auflöst. Was meint ihr dazu? Komplett anzeigen

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