Why?
Wie versteinert standen sie vor diesem tiefen Loch, beinahe zwei Meter tief ragte es in die Erde hinab. Es kam Ihnen vor als würde die Finsternis des Erdreiches, nach Ihnen rufen, sie greifen. Doch von Ihnen fiel Niemand in die Finsternis hinab. Stattdessen senkte sich ein Sarg langsam hinein. Warum hatten sie das nicht verhindern können?
Wieso gab es diese Raser, die Unschuldige einfach überfuhren! Warum passierte so etwas Schreckliches, so unvorhergesehen? Da waren einfach viel zu viele unbeantwortete Fragen, auf die es niemals eine Antwort geben würde. Wie sollte man so weiter leben?
Wie versteinert standen sie da…
Es heißt, es gibt fünf Phasen der Trauer: Verleugnung, Wut, Depression, Verhandlung und zu guter letzt die Akzeptanz des Verlustes. Jeder Mensch erlebt diese fünf Phasen vollkommen anders, aber was sicher ist, ist das es immer fünf sind.
Ob und wie wir durch diese Phasen kommen liegt ganz alleine an uns, unserer Umwelt und den Menschen die sich zusätzlich in unserem Leben befinden…
Tbc
Verleugnung - Are you really dead?
Zwei Wochen waren mittlerweile vergangen…
Ihre Spinde waren leer, der Aschenbecher auf dem Tisch würde nie mehr gefüllt sein, nicht von Ihnen jedenfalls. Irgendwie wirkte der Raum, der vor Kai lag trist, leer und irgendwie fremd. Dennoch schien sich allgemein nicht wirklich etwas verändert zu haben.
Wenn er die Augen schloss, dann sah er noch genau vor sich wie sie hier gemeinsam an Songs gearbeitet hatten. Doch das würde Niemals wieder so sein.
Kais Verstand sagte ihm sehr deutlich, dass das eine absolute Gewissheit war, aber sein Unterbewusstsein, sein Herz, wollten das einfach nicht akzeptieren.
„Bist du wirklich tot Ruki?“, fragte er in die Stille des Raumes, als würde er erwartet, das der Sänger gleich aus einem der Spinde springen würde, nur um ihn auf diese Weise ärgern zu können. Er konnte nicht einfach so gestorben sein.
Man konnte doch nicht einfach am helllichten Tag an einer grünen Ampel überfahren werden! Das ging doch gegen alle Regeln des Lebens, oder etwa nicht?
War das nicht der totale Schwachsinn? Beinahe wie von Sinnen stürmte Kai auf einen der Spinde zu und riss die Türe regelrecht auf, um hinein schauen zu können… Doch der Spind war leer. Hätte nur noch gefehlt, das ihm eine Motte entgegen geflogen wäre, wie in einem dieser Filme, die sie immer wieder mal zusammen angeschaut hatte.
Erneut meldetet sich Kais Verstand zu Wort: Er ist tot
„Niemals!“, wetterte sein Herz dagegen an.
Die nächste Spindtüre flog auf. Wieder Nichts. Nur absolute Leere.
„Komm raus Ruki!“. Der ex-Leader drehte sich eilig herum, rannte zur Aufnahme, wobei er fast über seine eigenen Füße gestolpert wäre. Als würde er erwarten Jemanden zu sehen, schaltete er das Licht ein, doch er sah Niemanden. Wie konnte er auch, wenn der Mensch den er gerade verzweifelt zu suchen begonnen hatte, doch auch eigentlich tot war? Aber Kai wollte das nicht wahr haben… Er konnte nicht.
Erschöpft und mit den Nerven am Ende, ließ er sich zu Boden gleiten und strich sich die Haare zurück. Genau, vielleicht war Ruki ja auch zu Hause und schlief seelenruhig in seinem Bett?
Ein Anruf würde reichen um endlich Gewissheit zu erlangen. Fast beschwingt von seiner Idee, wühlte er sein Handy aus dem Innenfutter seiner Jacke hervor. Aufgeregt, wie ein kleiner Schuljunge, froh gleich sicher die Stimme des Sängers vernehmen zu können, wählte er die Nummer und hielt sich das Handy an sein Ohr.
-Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vergeben…-
Kalter Angstschweiß brach auf Kais Stirn aus, denn auch auf der anderen Nummer bekam er dieselbe monotone ‚Abfuhr’.
Vor 3 Wochen war die Welt doch noch in Ordnung gewesen. Ruki hatte gesagt: Bis nächste Woche und dann war er gegangen. Wenn Kai doch nur etwas anderes erwidert hätte, anstatt zu sagen: Arbeite an den neuen Lyrics. Ruki durfte nicht tot sein, das ging nicht, nicht in Kais Welt. Er hatte ihm doch eigentlich sagen wollen, wie wichtig der Kleinere für sie Alle war.
‚Sieh es ein, er ist tot und er wird nicht mehr zurück kommen’, die liebevolle Stimme die sein Ohr streifte, glich der von Ruki, doch als Kai sich mit Tränennassem Gesicht herum wandte, war er vollkommen allein. Sein verstand, musste ihm wohl einen Streich gespielt haben.
Tbc
Wut - Anger makes me live
Ein Sandsack war einfach nicht genug, auf dem Motorrad herum zu fahren, befriedigte ihn auch nicht unbedingt. Beides war keine gute Alternative um sich aus zu toben und seinen Gefühlen freien Lauf lassen zu können. Reita kochte regelrecht vor Wut. Vor Hass… Fast machte es den Eindruck als würde dieser Hass versuchen ihn auf zu zehren, ohne das er etwas dagegen hätte tun können. Es gab eben Menschen, die konnten nicht aus ihrer Haut und im Moment gehörte er eindeutig dazu.
Wenn die Wut die Überhand ergriff und er mit sich Nichts mehr anzufangen wusste, wenn alles einfach nichts mehr half, dann rauchte er wie ein Schlot. Das Nikotin beruhigte wenigstens ein kleines bisschen seine Nerven und half ihm Schlimmeres verhindern zu können.
Doch die meiste Zeit verbrachte er damit seinen Sandsack zu malträtieren und wenn er frische Luft brauchte, fuhr er Stundelang mit dem Motorrad umher. Allerdings tat er das nicht einfach nur so. er war immer auf der Suche… Auf der Suche nach diesem miesen Typ, der am helllichten Tag einfach Fußgänger überfuhr. Er wollte dass dieser Mensch genau so leiden musste, wie Ruki, das er den gleichen Schmerz spürte. Dieser dreckige Bastard sollte krepieren, er sollte seine Seele aushauchen, zur Hölle fahren! Und wenn er seinen letzten Atemzug tat, wollte Reita dabei stehen und auf ihn hinab sehen und auf ihn spucken!
Er sollte doch einfach nur dafür bezahlen, dafür was er Ihnen allen eigentlich angetan hatte. Und nicht nur Ihnen, es ging dabei noch um viel mehr Menschen. Menschen die ins Unglück gestoßen worden waren, obwohl sie vollkommen unschuldig waren.
Da war Nichts mehr neben dem Hass und dieser alles verschlingenden Wut. Wie besessen prügelte Reita abermals auf seinen Sandsack ein. Ruki hatte ihm den geschenkt, mit den Worten: Ich will dein Selbstvertrauen stärken Akira
Selbstvertrauen, Courage, wie auch immer. Das alles hatte er doch schon. Jetzt wollte er nur noch seine Rache und dann wäre er zufrieden gewesen, oder etwa nicht?
Unter einem Monster ähnlichen Schrei und weiteren Schlägen, riss die Naht am unteren Teil seines liebsten Sportgerätes auf und die Füllung begann sich rieselnd auf dem Boden zu verteilen.
Für einen kurzen Moment schien die Welt in einer Zeitlupen Sequenz an ihm vorbei zu ziehen, doch kaum das die Information darüber, was gerade geschehen war, von seinen Synapsen verarbeitet worden war, stürzte sich Reita hektisch auf die Füllung und versuchte sie auf zu fangen und irgendwie zurück zu schaufeln. Aber egal wie sehr er sich darum bemühte, wie sehr er es versuchte… Am ende lagen doch alle kleinen Kügelchen auf dem dunklen Holzfußboden und Reita ließ sich mitten in diese hinein sinken. Hatte er nicht einmal die Kraft um diesen Sandsack zu retten? War er denn wirklich so nutzlos?
Das war nicht fair. Kraftlos sank er noch weiter in sich zusammen und starrte das Innenleben aus weißen Styropor an, was vor ihm ausgebreitet war. Frustriert ballte er beide Hände zur Faust. Er wollte sie irgendwo rein schlagen und weiter seinen Frust abbauen. Aber da war Nichts mehr… Es gab Nichts in diesem Moment was er hätte tun können.
Diese ganze Wut machte ihn kaputt. Reita war am Ende.
Selbst wenn er es nicht einsehen wollte, er hätte Nichts an alle dem ändern können, das Ruki nun tot war, das der Fahrer des Wagens, nur eine seichte Strafe bekommen hatte, weil es einfach ein Unfall gewesen war. Da war einfach NICHTS, was er hätte tun können um die Gesamtsituation zu ändern. Es gab nur noch Ihn, seine Wut, seinen Schmerz und die Anderen, die den gleichen Verlust zu ertragen hatten.
Es war still um Reita herum geworden und er musste sich selber eingestehen, dass die Welt sich trotzdem weiter drehte. Sein bester Freund war tot und trotzdem hörte die Welt nicht auf zu existieren und es gab auch noch Andere, die ihn jetzt brauchten. Wie hatte er das nur in all seinem Hass vergessen können?
Tbc
Depression - There is no tomorrow
Zwei Monate später.
Die Schnapsflaschen und Bierdosen stapelten und türmten sich rund um den Couchtisch in Uruhas Wohnung. Er kam nicht dazu sie weg zu räumen. Sobald er langsam wieder klar wurde und der Nebel der Lüge, den er versuchte sich aufzubauen, sich verzog, musste er schnell neuen Alkohol hinterher kippen nur um die Wahrheit zu ertränken, so wie er des Nachts das Gefühl bekam in seinen eignen Tränen ertrinken zu müssen.
Irgendwann hatte er dann abends soviel getrunken, dass da nur noch diese allseits bekannte und erschwerende Müdigkeit blieb. Erst dann schleppte er sich spät in der Nacht in sein Bett, schlief und stand wieder auf. Und weil er, wenn er morgens aufstand sich nicht ertragen konnte, kotzte er sich selber sprichwörtlich nur noch selber an.
Uruha hatte sich verändert. Seine glänzenden Haare, schienen stumpf, sein Lächeln war verschwunden und der Tod von Ruki hatte tiefe Wunden hinterlassen die er versuchte zu füllen.
Er vermisste den Kleineren sehr. Das Leben war viel zu ruhig geworden ohne den Anderen und ohne die Band, ohne die Musik war Uruha in ein schwarzes Loch gefallen. Er krebste darin herum, krüppelte den Anderen mehr oder weniger hinterher und blieb dann doch wie tot liegen.
Alles was ihn derzeitig tröstete war der Alkohol. Essen und Co. war zu einer reinen Nebensache geworden. Er tat es, weil er es eben musste, wenn er nicht auch sterben wollte.
Darüber nachgedacht hatte er, doch bis dato hatte er noch nie den Mut dazu gefunden sein trostloses Dasein zu beenden. Dieses Dasein seines Ichs, war einfach bedeutungslos geworden. Da war kein Licht mehr, nur noch Schatten der sich stetig weiter über Uruha zog und ihn sanft und liebevoll umhüllte, wie ein Kokon. Doch aus diesem würde kein neuer Schmetterling schlüpfen, höchstens eine Fliege… ein Schmarotzer der Gesellschaft. Ein Glucksen entfuhr Uruhas Lippen, bevor er verzweifelt durch seine Haare strich und feste daran zu ziehen begann.
„Dummer Kouyou… Dumm, dumm, dumm!“, schollt er sich, bevor er doch nach der Whiskeyflasche griff. Schluck für Schluck glitt seine Kehle hinab und irgendwann spürte er den Schleier des Vergessens wieder. Ja, das war der Zustand in dem ihm einfach alles egal wurde und er schwankend den Weg durch seine Wohnung fand. Nachschub, er brauchte diesen so dringend. Vorsichtig versuchte er in die Küche zu kommen in der er über Nacht meistens das Licht brennen ließ, dort durchwühlte er die Schränke…
„Scheiße.“, fluchend knallte er die Kühlschranktüre wieder zu und ging in den Flur. Die unwichtigen Dinge ließ er natürlich liegen, stattdessen zog er sich irgendwelche Schuhe an, griff nach seiner Geldbörse und schlurfte in die Kälte hinaus. Es war wirklich bitter kalt und wenn er noch etwas zu trinken gehabt hätte, wäre er sicher nicht vor die Türe gegangen. Müde, schwankend und zitternd war er auf der Suche nach noch mehr Alkohol.
Menschen kamen ihm entgegen und blickten schier auf ihn hinab. Früher war das nicht so gewesen, da hatten die Leute zu ihm aufgeschaut… Früher, das war doch noch gar nicht so lange her und dennoch hatte Uruha das Gefühl es wären schon Jahre ins Land gegangen.
„Penner!“, eine junge Frau keifte ihn an und rannte auch schon weiter. Erschrocken sah Uruha ihr nach. Ein Penner? Müde blickte er in die spiegelnde Oberfläche von Glas, ein Schaufenster, vor dem er stehen geblieben war. Seine schönen Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht, seine Wangen wirkten eingefallen, seine Mundwinkel schienen an Elastizität verloren zu haben, seine Augen blicken trüb, glasig und müde in die Welt.
Das war nicht mehr er…
’Schneid deine Haare nicht wieder so ab, das sah komisch aus Uruha…’, hatte das Ruki zu ihm gesagt? Langsam versuchte sich Uruha zu erinnern. Aber alles was ihm dazu noch einfiel war, das er den Sänger mit einer schnippischen Handbewegung abgewiesen hatte.
„Ich schneide meine Haare wie ich es für richtig halte…“, hauchte er leise und zupfte vorsichtig an seinen Haarspitzen. Ruki hatte Recht gehabt. Sein Haarschnitt war zum fürchten und sein Äußeres glich wirklich dem eines Penners.
Sein Blick haftete sich äußerst konzentriert auf sein Spiegelbild, bevor er nach seinem Portemonnaie griff, was er in der Hosentasche trug, er öffnete es mit zittrigen Fingern und holte ein altes Foto raus.
Fünf junge Männer schauten ihn von dort aus an, sie lachten und waren glücklich. Sein Arm lag freundschaftlich um Rukis Schultern und von rechts wurde er von Kai und Reita flankiert, während Ruki von Aoi auf der Anderen Seite eingekreist zu werden schien.
„Genau so... So sollte es wieder sein, so sollte ich wieder sein.", die Erkenntnis war über ihn herein gebrochen, wie ein warmer, frecher Regenschauer im Sommer. Ein Kribbeln jagte durch ihn hindurch und für einen Augenblick, konnte er spüren das er nicht so alleine war, wie er in den letzten zwei Monaten gedacht hatte.
Tbc
Verhandlung - Maybe I can live on
Der aufgerauchte Zigarettenstummel flog in den Gulli zu seinen Füßen. Aoi reckte das Gesicht dem Himmel ein wenig entgegen und atmete tief durch. Hier an dieser Stelle, war es passiert. Er betrachtete die Straße und hatte fast das Gefühl er könnte Ruki dort liegen sehen. Ruki war alleine gestorben und sie waren alle nicht dabei gewesen.
Ob er Angst gehabt hatte? Ob er sehr lange gelitten hatte, bevor sein Atem nicht mehr seine Lippen überwunden hatten? Der Gitarrist wandte den Blick ab und sah die Straße entlang.
Tief in seinem Inneren wünschte sich Aoi, das er dabei gewesen wäre. Damit Ruki nicht hätte alleine sein müssen in diesem Moment. In dem Moment in dem er gestorben war. Anfangs hatte er nicht daran glauben wollen das der Kleinere wirklich nicht mehr da war, dann war er schrecklich wütend gewesen und schlussendlich hatte er seinen Kühlschrank leer gefressen, seinen Biervorrat weg gesoffen und jetzt stand er hier und betrachtete diese Stelle.
Diese sehr besondere Stelle. Noch immer lagen Blumen hier und Kerzen standen am Gehwegrand und mahnten vor der Unvorsichtigkeit mit der man auf der Welt konfrontiert wurde.
Wie automatisch griff er in seine Tasche und zündete sich eine weitere Zigarette an. Der Lärm der Autos ging vollkommen an ihm vorbei, genauso wie die schnatternden Menschen um ihn herum. Sobald die Autos stehen blieben, liefen die Leute los, nur Aoi nicht. Er stand einfach hier und dachte nach… Über das Leben, über sich, über den Tod… Vor allem über Rukis Tod. Sie hatten nicht genug Zeit gehabt. Es gab doch soviel was Aoi dem Kleineren gerne noch gesagt hätte, vieles wofür er sich gerne noch entschuldigt hätte.
„Es tut mir Leid.“, murmelte er ohne darüber nachzudenken das er mehr mit sich selber sprach, als mit einem anderen Menschen.
Aber vielleicht konnte er auch weiter leben? Ohne das er ein schlechtes Gewissen haben musste? Wahrscheinlich hätte Ruki nicht gewollt das sie sich alle verhielten wie Marionetten die nicht mehr auf ihrem Leben klar kamen. Es waren doch schon sechs Monate. Sechs Monate in denen auch Aoi getrauert und geweint hatte, in denen er versucht hatte mit seinem neuen ‚Leben’ fertig zu werden.
Da war keine Musik mehr, da war kein Lachen, keine Freude mehr… Bis heute. Sollte es denn wirklich so weiter gehen? Sollte das Alles sein, was Aoi noch haben sollte? Vorsichtig trat er einen Schritt näher an die Gehwegkante heran und schaute auf den Betonboden. Wenn das alles war, was für ihn übrig war, wollte er dann so weiter leben?
„Nein…“, murmelte er und trat wieder zurück.
Das war kein Ausweg, keine Lösung. Er hatte selber so oft gesagt, dass da immer noch ein Morgen kommen würde, es konnte nicht einfach so vorbei sein. In Rukis Fall, war das anders gewesen, aber Rukis Tod war tragisch und unvorbereitet gekommen. Sie waren doch alle soweit wirklich zufrieden und glücklich gewesen, auf dem absoluten Höhepunkt ihrer Karriere, ihrer Glanzzeiten. Sicher, sie waren auch mal müde und ausgelaugt gewesen, sie waren wütend aufeinander gewesen, aber sie waren doch Freunde, eine Familie.
Und in einer Familie stritt man auch.
Aoi war kein einfacher Mensch, manchmal war er sogar regelrecht schwierig, es gab eben Dinge die sich niemals ändern würden, auch das nicht. Und dennoch…
So hätte es nicht enden müssen, nicht sollen! Aoi wollte die Zeit zurück drehen, eine Zeitmaschine bauen, zurück reisen und einfach alles ändern, vielleicht hätte er Ruki dann ja retten können? Vielleicht wären sie dann jetzt noch alle zusammen, gemeinsam auf dem Weg ihres Erfolges?! Vielleicht, vielleicht, vielleicht…
„Alles nur Hirngespinste und Wunschdenken!“, fluchte er leise und kniff die Augen zusammen. Es gab keine Zeitmaschine, für Ruki gab es keine späte Rettung mehr und all diese ‚Vielleicht’, halfen weder Aoi noch den Anderen. Es half einfach Niemanden. Er schaute zurück auf die Blumen und die Kerzen. Eine der Kerzen zitterte im Wind und Aoi trat etwas näher an diese heran. Bevor er sich versah nahm er die Kerze in die Hand und stellte sie so, dass sie vor dem Wind geschützt wurde.
„Du wirst nicht einfach ausgehen, wag es dich ja nicht!“, knurrte er das flackernde Licht an und blieb einen Moment einfach in seiner hockenden Position. Die Sonne kam wieder ein Stück weiter raus und Aoi hob den Kopf wieder mehr an. Die wärmenden Strahlen taten einfach gut und Aoi rieb leicht die Hände aneinander.
Sechs Monate… Zwei Wochen… Ein Tag und 18 Stunden… So lang war es schon her und ‚vielleicht’ gab es ja doch eine Möglichkeit einfach weiter zu leben, sich der Sonne entgegen zu strecken und den Toten ihre Ruhe zu gönnen. Wie sonst sollte Ruki in Frieden ruhen, wenn sie so sehr an seiner Seele zerrten und sich wünschten er wäre noch da?
Als Aoi sich wieder erhoben hatte und los ging, flackerte die kleine Kerze noch immer sanft im Wind, aber sie brannte, stark und unnachgiebig, mit ein wenig Hoffnung auf ein Leben, das vielleicht trotz allem weiter gehen konnte.
Tbc
Akzeptanz - Immortality
„Schon über ein Jahr.“, murmelte Uruha ruhig vor sich her und schien in seinen Gedanken versunken, bevor sich eine weitere Person neben ihn begab und kurz durchatmete. Es war komisch und doch so simpel gewesen in den letzten Monaten zu ‚leben’, das Leben wieder als ‚lebenswert’ zu betrachten.
Eine puderige Schneeschicht hatte sich über die Stadt gesenkt und alles in ein verzauberndes Glitzern gehüllt. Romantisch, kitschig?
So etwas in dieser Art, hätte Ruki sicher zu Ihnen gesagt, wenn er diesen Moment nun mitbekommen hätte. Nein, sicher bekam er diesen Moment mit, wahrscheinlich zeterte er schon die ganze Zeit über ihre Dummheit, wie sie hier zu viert standen und einfach schwiegen.
„Wir sollten rein gehen.“, schlug Kai irgendwann vor, der sich den Schnee von den Schultern wischte. Er fror und auch die anderen drei zitterten vor der klirrenden Kälte, die sich durch ihre Anziehsachen fraß.
Die Türe vor Ihnen öffnete sich und ein paar junge Leute kamen heraus, wie eine Schwelle zum Glück, griff Kai nach der sich wieder schließenden Türe und wank die anderen hinein. Sein Verhalten hatte sich bei weitem nicht geändert, den anderen gegenüber.
Noch immer war er der Leader, der der die Anderen schützte, der bei Ihnen war und der sie versuchte aufrecht zu halten, so wie er es in den letzten Monaten getan hatte. Er war der Erste gewesen, der sich wieder etwas gefangen hatte und Schritt für Schritt, schien es Ihnen allen ein klein wenig besser zu gehen.
„Ich kann noch immer nicht an der Stelle vorbei gehen, ohne irgendwie wütend zu werden.“
Mittlerweile hatten sie sich an einen Tisch gesetzt und Reita hatte zu sprechen begonnen.
„Manchmal hab ich noch das Bedürfnis ihn anzurufen…“, gestand Aoi dann nach einer kurzen Gesprächspause. Ein kurzes Schmunzeln huschte durch die Runde und sie schwelgten einen Augenblick, jeder für sich, in Gedanken, denn das hatten sie sicher alle versucht...
Der Platz am Kopf des Tisches blieb leer und er würde auch leer bleiben, trotzdem hatten sich die vier Augenpaare, dem schicken Stuhl aus verchromten Stahl und schwarzem Leder zugewandt, als würden sie auf eine Reaktion warten, die aber trotz allem ‚hoffen’ ausblieb.
„Glaubt ihr eigentlich das es ein Paradies gibt?“, wollte Kai mit einem Mal wissen und schaute von dem leeren Platz fort und den Anderen nacheinander ins Gesicht.
„Vielleicht, so etwas in der Art?“, überlegte Reita relativ ruhig der nachdenklich an einem Bierdeckel herum zupfte und ihn langsam, Schicht für Schicht, auseinander zu nehmen begonnen hatte.
„Ruki regiert das Paradies bestimmt. Als der Paradiesvogel.“, platzte es aus Aoi heraus, der mit einem Grinsen versuchte seine Unsicherheit etwas zu überdecken. Erst schien ein kurzer Schock in den Gesichtern der Zuhörer zu stehen, aber dann begann der Erste zu lachen.
„Absolut. Oder er ist in der Hölle gelandet und hat Satan den Thron streitig gemacht.“, fiel Uruha ein und er schüttelte fast ungläubisch den Kopf.
Allgemeines Gelächter brach unter Ihnen aus, während sie sich versuchten vorzustellen, wie Ruki auf dem Feuerthron, die Hölle zu regieren versuchte.
Sie lachten aus voller Kehle, bevor das Lachen stetig abebbte.
Schmunzelnd wischte sich Uruha ein paar Lachtränen aus den Augen und ihre Getränke hatten ihren Bestimmungsort mittlerweile auch gefunden. „Wisst ihr noch früher, wenn wir wegen eines Musik Arrangements gestritten haben… da hat er mit Zigarettenschachteln nach uns geworfen… Ich finde also, dass er sicher, wo immer er jetzt ist, die Zügel schon in der Hand haben wird.“, der Bierdeckel von Reita war durch einen neuen ersetzt worden und der Bassist schüttelte versonnen den Kopf.
„Du hast es gesagt…“, Uruha klang überrascht.
„Ja, ich hab es gesagt.“ Reita schien genauso überrascht über sich selber zu sein, denn er fühlte keine Wut, keine Sehnsucht… Es war irgendwie ein Gefühl der Freude, das ihn selber überkam. Ein Gefühl das er nicht genau in Worte fassen konnte, aber es hatte etwas von ‚los lassen’, von ‚Ruhe’, was ihn überfiel und ihn etwas aufrechter sitzen ließ.
„Was auch immer.“, begann Uruha nachdem er einen Schluck von seinem Wasser genommen hatte.
„Vergessen werden wir sicher niemals… Aber, wir haben Uns, wir haben unsere Familien und wir haben die Erinnerungen und das ist viel mehr wert, als Rukis Tod. Solange wir nicht vergessen, wird er da sein, weiter leben… Unsterblich sein.“, der Gitarrist hatte sich viele Gedanken in den letzten Monaten gemacht und die Erkenntnis, weiter leben zu wollen, war langsam aber sicher durch seinen Verstand gesickert. Der Alkohol, der Wunsch zu sterben, waren aus seinem Leben verschwunden, er hatte sich von Innen nach Außen gekehrt und sein Leben überdacht… ‚Frieden’, er hatte ihn gefunden.
„Akzeptanz… Nennt man das wohl.“, murmelte Aoi und sein Blick schweifte noch einmal herum, blieb bei jedem der anderen drei hängen. Sie waren wütend gewesen, verzweifelt, deprimiert, hatten nicht verstehen wollen, nicht gekonnt, was geschehen war… Sie hatten es hinter fragt, hatten mehrfach versucht Ruki zu erreichen, sie alle hatten diese Erfahrungen gemacht. Sterben war sicher nicht leicht, aber mit dem Tod zu leben, darüber hinweg zu kommen, sich damit zu befassen, war sicher nicht einfacher oder angenehmer gewesen.
„Hm…“, Kai stimmte dem ruhig zu und atmete tief durch, bevor er sich eine Zigarette anzündete. Sicher würden sie noch oft zurück blicken und sich wieder fragen: ‚Warum?’, aber das war auch vollkommen in Ordnung so.
„Auf Ruki.“, Kai hatte die Zigarette im Aschenbecher abgelegt und hob sein Glas, hielt es den Anderen entgegen, sie zogen nach, stießen miteinander an und stimmten in Kais Worte mit ein.
‚Auf die Zukunft’
Ende